1 Dr. N. Strobach, PS Logik II, SSem. 1998, Mi 14-16, R 236 Syllogistik oder: Wie alles anfing Teil I - Einführung Um 350 v. Chr. entwickelte Aristoteles in Athen die erste formale Logik. Er war der erste, der gründlich untersuchte, daß gewisse Satzfolgen (Schlüsse) nur aufgrund ihrer Form, abgesehen von allem Inhalt, wahr sein können. Bei Aristoteles' Logik handelt es sich um eine Logik der Begriffe "alle" und "einige". Das liegt nahe. Denn die Begriffe "alle" und "einige" gehören zu den beim Argumentieren wichtigsten Begriffen. Aristoteles' Logik beschränkt sich auf - das jeweils einfache Vorkommen von "alle" und "einige", - auf Eigenschaften und - auf nichtleere Begriffe. Die moderne Logik hat diese Beschränkungen überwunden. Sie kann Quantoren verschachteln, mit leeren Begriffen umgehen und Relationen berücksichtigen. Innerhalb ihres begrenzten Ansatzes ist Aristoteles' Logik jedoch kaum etwas hinzuzufügen. Der Kern von Aristoteles' Theorie findet sich in den ersten sieben Kapiteln des ersten Buches seiner Schrift "Analytica Priora". Aristoteles' Theorie wurde im Mittelalter systematisch ausgebaut. Der systematische Abschluß gelang interessanterweise aber erst Leibniz. 1 Es handelt sich bei Aristoteles' Theorie um eine Theorie von Schlüssen einer bestimmten Form der Syllogismen. Ein (assertorischer) Syllogismus ist eine Folge von drei Sätzen einer bestimmten Form.2 Dabei muß gelten: Der dritte Satz ist wahr, wenn sowohl der erste als auch der zweite Satz wahr sind. Damit läßt sich vom ersten und zweiten auf den dritten Satz schließen. Der erste und zweite Satz sind die Prämissen. Der dritte Satz ist die Conclusio, das, worauf man schließt, das Ergebnis des Schlusses. In jedem Syllogismus kommen nur drei Begriffe vor. Und zwar in folgender Form: Die erste Prämisse enthält Begriff No.1 und No.2. Die zweite Prämisse enthält Begriff No.2 und No.3. Die Conclusio enthält nur noch Begriff No.1 und No.3. Bochenski, Formale Logik, München 1978, S.303f; Leibniz, De arte Combinatoria, Gerhardt-Ausagabe IV (Philosophische Schriften, 7 Bände, Berlin 1875-1890), 27-102 ; De formis syllogismorum mathematice definiendis, in: L.Couturat, Opuscules et fragments inedits de Leibniz, Paris 1903. 2 Genau genommen kennt Aristoteles noch modale Syllogismen und praktische Syllogismen. In modalen Syllogismen kommen die Begriffe "möglich" und "notwendig" vor (auch sie werden in Analytica Priora untersucht). Im praktischen Syllogismus (z.B. De motu animalium 701b) kommt in einer Prämisse ein Begriff wie "Sollen" oder "Wollen" vor, und die Conclusio ist kein Satz, sondern einme Handlung. I.f. wird "Syllogismus" in der engeren Bedeutung gebraucht. Will man sie gegen die weitere Bedeutung abgrenzen, so spricht man von assertorischem Syllogismus. Beide Arten Syllogismus sind sehr interessant, aber schwer zu verstehen und heftig umstritten. Sie gehören nicht zum Kern der klassischen Logik. 1 2 Der jeweils erste Begriff eines Satzes eines Syllogismus (einer Prämisse oder der Conclusio) heißt Subjektbegriff. Der jeweils zweite Begriff eines Satzes eines Syllogismus (einer Prämisse oder der Conclusio) heißt Prädikatbegriff. Diejenige Prämisse, die den Prädikatbegriff der Conclusio enthält, wird maior (grosse Prämisse) genannt. Diejenige Prämisse, die den Subjektbegriff der Conclusio enthält, wird minor (kleine Prämisse) genannt. Üblicherweise wird die maior zuerst, die minor als zweite Prämisse geschrieben. Bei jedem Syllogismus wird, wie man sieht, ein Begriff im Schluß von den Prämissen auf die Conclusio "weggekürzt". Und zwar gerade der Begriff, den beide Prämissen gemeinsam haben (nämlich No.2). Er vermittelt sozusagen die Bekanntschaft zwischen den Prämissen und zieht sich dann zurück. Deshalb heißt er Mittelbegriff (terminus medius). Ein jeder Satz eines Syllogismus hat immer einer die folgenden Formen (wobei S und P Begriffe sind): (A) Alle Gegenstände, die S sind, sind P. (E) Alle Gegenstände, die S sind, sind nicht P. (I) Wenigstens ein Gegenstand, der S ist, ist P. (O) Wenigstens ein Gegenstand, der S ist, ist nicht P.3 Es klingt natürlicher, wenn man (E) zu "Kein Gegenstand, der S ist, ist P" umformuliert. Die Abkürzungen A, E, I und O stammen schon aus dem Mittelalter. Sie sind aus den Vokalen der Worte "affirmo" und "nego" abgeleitet. "affirmo" heißt "Ich bejahe"; und in der Tat sind A- und I- Urteile bejahende Aussagen. Und zwar sind die A-Aussagen allgemein bejahende Aussagen, weil sie etwas positiv über alle Dinge aussagen. I-Urteile sind partikulär bejahende Aussagen, weil sie etwas positiv über einige Gegenstände aussagen. "Nego" heißt "Ich verneine"; E- und O-Urteile sind denn auch verneinende Aussagen. E-Urteile sind allgemein verneinende, OUrteile partikulär verneinende Aussagen. A-, E-, I- und O-Aussagen bilden das berühmte "logische Quadrat":4 konträr A E impliziert kontradiktorisch I O subkonträr 3 Oft findet man auch die Abkürzungen: SaP, SeP, SiP und SoP. 4 impliziert Es geht auf Aristoteles zurück. Nachweise: Bochenski S. 69. 3 Voraussetzung dafür ist (wie oben erwähnt), daß die verwendeten Begriffe nicht leere Begriffe sind. Sonst gehen die Implikationen nicht durch. Dabei gilt: (1) Zwei Aussagen stehen genau dann konträr zueinander, wenn sie nicht zugleich wahr sein können. Möglicherweise sind sie aber beide falsch. (2) Zwei Aussagen stehen genau dann subkonträr zueinander, wenn sie nicht zugleich falsch sein können. Möglicherweise sind sie aber beide wahr. (3) Zwei Aussagen sind kontradiktorisch entgegengesetzt genau dann, wenn sie weder zusammen wahr noch zusammen falsch sein können, d.h. wenn sie sich ausschließen, aber wenigstens eine von beiden wahr sein muß. (4) Eine Aussage impliziert eine zweite genau dann wenn die zweite Aussage nicht falsch sein kann, falls die erste wahr ist. Ein alter Ausdruck für Implikation im Rahmen des logischen Quadrates ist Subalternation. Syllogismen lassen sich in vier "Figuren" systematisieren. In der ersten Figur ist der terminus medius Subjektbegriff der ersten und Prädikatbegriff der zweiten Prämisse. In der zweiten Figur ist der terminus medius in beiden Prämissen Prädikatbegriff. In der dritten Figur ist er in beiden Prämissen Subjektbegriff, und in der vierten Figur ist er in der ersten Prämisse Prädikat- und in der zweiten Subjektbegriff. Daraus ergibt sich folgendes Schema, mit S, P und M als Begriffen: Erste Figur: MP SM SP Zweite Figur: PM SM SP Dritte Figur: MP MS SP Vierte Figur: PM MS SP Die vierte Figur hat Aristoteles in ihrer systematischen Bedeutung übersehen. Auch im Mittelalter ist sie nicht klar erkannt erkannt worden. Bei Leibniz ist sie klar herausgearbeitet.5 So ganz hat Kant also schon nicht recht, wenn er schreibt: "Daß die Logik diesen sicheren Gang [einer Wissenschaft] schon von den ältesten Zeiten her gegangen sei, läßt sich daraus ersehen, daß sie seit dem Aristoteles keinen Schritt rückwärts hat tun dürfen, [...] sie [aber] auch bis jetzt keinen Schritt vorwärts hat tun können, und also allem Ansehen nach geschlossen und vollendet zu sein scheint." (KrV Vorrede B VII) Seit 1787 hat sich dann erst recht viel getan... 5 Bochenski S.303. 4 Bevor es formal wird, noch ein Beispiel eines (gültigen) Syllogismus: maior: minor: conclusio: Quantität Subjektbegriff Qualität Prädikatbegriff Alle Alle Alle Bären Grizzlies Grizzlies sind sind sind pelzig Bären pelzig (1) "Bär" ist terminus medius. (2) Der erste Satz ist die maior, weil dessen Prädikatbegriff "pelzig" auch der Prädikatbegriff der conclusio ist. (3) Der zweite Satz ist die minor, weil dessen Subjektbegriff der Subjektbegriff "Grizzly" der conclusio ist. (4) Die Quantität aller drei Sätze ist "allgemein". Sie wäre "partikulär", wenn statt "alle" "einige" stünde. (5) Die Qualität aller drei Sätze ist "bejahend". Sie wäre verneinend, wenn statt "sind" "sind nicht" stünde. (6) Es handelt sich um einen Syllogismus der ersten Figur (der terminus medius wird schräg von links oben nach rechts unten weggekürzt). (7) Ein Syllogismus der ersten Figur mit drei allgemein bejahenden Sätzen heißt bArbArA, weil er aus drei A-Aussagen besteht. Es handelt sich also um einen Barbara-Syllogismus. 5 Teil II - Eine Formalisierung der Syllogistik 1. Die Sprache A (Aristoteles) Wir wollen die klassische Syllogistik formalisieren, um Aristoteles' und die mittelalterliche Beweismethode für Syllogismen nachvollziehen zu können. Dafür konstruieren wir die formale Sprache A. Sie enthält einiges Ungewöhnliches, aber der Einfachheit halber auch Bekanntes, z.B. Junktoren und einen Satznegator.6 Alphabet Das Alphabet von A besteht aus - Mengenbuchstaben (beliebige Groß- und Kleinbuchstaben des lateinischen Alphabets) - Junktoren und dem Satznegator ~ - dem Quantitätszeichen A - Nick's Negator nNick's Negator hat seinen Namen nach dem Philosophiedozenten Nicholas Denyer vom Trinity College in Cambridge. Denyer schlägt informal diese Interpretation der Negation für Platons späten Dialog "Der Sophist" vor.7 Ich bin für den späten Platon und einige Passagen bei Aristoteles anderer Meinung. Aber zur Einführung der Syllogistik eignet sich Denyers Vorschlag sehr gut. Syntax Ein atomarer Zeichenkomplex von A ist ein Mengenbuchstabe, dem eine Folge von 0 bis beliebig vielen Vorkommnissen von Nick's Negator vorhergeht. (1) Eine atomare Formel von A ist a) eine Folge von zwei atomaren Zeichenkomplexen von A b) das Quantitätszeichen und eine Folge von zwei atomaren Zeichenkomplexen von A Eine atomare Formel von A ist eine wff von A. (2) Junktoren und ~ haben die übliche Syntax: a) Wenn α eine wff von α ist, so auch ~α. b) Wenn α und β wff von α sind, so auch (α v β), (α & β), (α → β) und (α ≡ β). Klammern können wie üblich eingespart werden. 6 Stärker vom Üblich weicht J.Corcoran ab, der die Syllogistik als Kalkül des natürlichen Schließens rekonstruiert hat. Dieser Ansatz hat viel für sich, kann aber nicht berücksichtigen, wie stark Aristoteles in An.pr. besonders für ungültige Syllogismen semantisch argumentiert. Vgl. J.Corcoran, Aristotle's Natural Deduction System in: Ancient Logic and its Modern Interpretation hg. v,. J. Corcoran, Dordrecht 1974. Noch extremer vom heute Üblichen weicht der - hochinteressante - Ansatz der Termlogik ab. Vgl. hierzu z.B. George Englebretsen, Logical Negation, Assen 1979. 7 Nicholas Denyer, Language, Thought and Falsehood in Ancient Philosophy, London 1991, S.137f. 6 Semantik Eine A-Interpretation I A besteht aus einer nichtleeren Menge von Individuen U IA und einer Funktion Ext-IA, die jedem Mengenbuchstaben von A eine nichtleere Teilmenge von U IA zuordnet. Die Funktion Ext*-IA Sei Π ein beliebiger Mengenbuchstabe und Φ ein beliebiger atomarer Zeichenkomplex von A. Ext*-IA ist eine Funktion, die jedem atomaren Zeichenkomplex von A eine Teilmenge von U IA zuordnet, wobei gilt: (1) Ext*-IA(Π) = Ext-IA(Π) (2) Ext*-IA(n-Φ) ist die Menge aller Elemente von UIA, die nicht Elemente von Ext-IA(Φ) sind. Diese Funktion ist eine Besonderheit von A. Sie charakterisiert Nick's Negator klar als mengenbildendes Prädikatpräfix. Erfüllung Seien Φ und Γ atomare Zeichenkomplexe von A. So gilt: Eine A-Interpretation I A erfüllt eine wff α von A in folgenden Fällen: (1) α = ΦΓ, und Ext*-IA(Φ) und Ext*-IA(Γ) haben eine nichtleere Schnittmenge. (2) α = AΦΓ, und Ext*-IA(Φ) ist eine nichtleere Teilmenge von Ext*-I A(Γ).8 (3) Junktoren und ~ haben die übliche Semantik: a) IA erfüllt ~α gdw IA α nicht erfüllt; b) IA erfüllt (α & β) gdw I A α erfüllt und β erfüllt. c) IA erfüllt (α v β) gdw IA entweder α erfüllt oder β erfüllt oder beide. d) IA erfüllt (α → β) gdw IA α und β erfüllt; oder α nicht erfüllt, aber β; oder weder α noch β. e) IA erfüllt (α≡β) gdw I A α und β erfüllt; oder weder α noch β. Klausel (3) schreibt man normalerweise kürzer, indem man einige Junktoren per Abkürzungsregel einführt. Aber ausführlich ist übersichtlicher und schadet nicht. Allgemeingültigkeit Eine wff α von A ist A-allgemeingültig, wenn sie von jeder A-Interpretation erfüllt wird. Eine wff α von A ist A-kontradiktorisch, wenn sie von keiner A-Interpretation erfüllt wird. 2. Wichtige allgemeingültige Formeln von A (1) Für Nick's Negator gilt eine spezielle "Doppelte Negation"-Regel: Ext*-IA(n-n-Φ) = Ext*-I A(Φ). Denn Ext*-IA(n-Φ) ist die Menge aller Element von U IA, die nicht Elemente von Ext*-IA(Φ) sind. Ext*-IA(n-Φ) ist also das Komplement von Ext*-I A(Φ) in bezug auf U IA. Ext*-I A(n-n-Φ) ist 8 Aber nicht unbedingt eine echte Teilmenge. AFG ist erfüllt, wenn Ext*-IA(F) und Ext*-IA(G) extensionsgleich sind. 7 ebenfalls das Komplement von Ext*-IA(n-Φ) in bezug auf U IA. Es ist also uninteressant, Nick's Negator zu iterieren: eine ungerade Anzahl entspricht einem, eine gerade Anzahl keinem Vorkommen davon. Wir können festhalten: Unterscheiden sich zwei Formeln von A, α und β, nur darin, daß an jeder Stelle, an der in α Nick's Negator einmal vorkommt, in β eine ungerade Anzahl von Nick's Negatoren steht, so ist α ≡ β A-allgemeingültig. Unterscheiden sich zwei Formeln von A, α und β, nur darin, daß an jeder Stelle, an der in α Nick's Negator nicht vorkommt, obwohl er dort syntaktisch vorkommen könnte, in β eine gerade Anzahl von Nick's Negatoren steht, so ist α ≡ β A-allgemeingültig. (2) Da die Junktoren und ~ auf die übliche Art eingeführt werden, gelten alle bekannten Theoreme der Aussagenlogik auch in A. Eine i.f. wichtige aussagenlogisch gültige Formel ist: (α & β) ≡ (β & α). Wir wollen sie Transpositionsregel nennen und TRP abkürzen. (3) Die Formel AFG → FG ist A-allgemeingültig. Denn wenn Ext*-IA(F) eine nichtleere Teilmenge von Ext*-I A(G) ist, so haben beide Mengen auch eine nichtleere Schnittmenge: Ext*-I A(F). Entsprechendes gilt natürlich für AFn-G → Fn-G Wir wollen die entsprechende Regel AΦΓ → ΦΓ die Subalternationsregel nennen und SUB abkürzen. (4) Die Formel (i) FG ≡ GF und die Formel (ii) AFn-G ≡ AGn-F sind A-allgemeingültig. (i) Die Relation "...eine nichtleere Schnittmenge haben..." ist offensichtlich symmetrisch. 9 (ii) Wenn Ext*-IA(F) eine Teilmenge von Ext*-I A(n-G) ist, so ist kein Element von Ext*-I A(F) ein Element von Ext*-IA(G). Dann ist aber auch Ext*-IA(G) eine Teilmenge von Ext*-I A(n-F). Das Umgekehrte gilt offensichtlich ebenso. 9 Eine Relation R ist symmetrisch gdw. gilt: Wenn aRb, dann bRa. 8 Wir wollen die entsprechenden Regeln ΦΓ ≡ ΓΦ und AΦ∼Γ ≡ AΓ∼Φ conversio simplex-i und conversio simplex-e nennen und mit CSI bzw. CSE abkürzen. (5) Die Formel AFG → GF (i) ist A-allgemeingültig. Ebenso die Formel AFn-G → Gn-F. (ii) Das läßt sich so begründen: (i) AFG → FG (SUB); FG → GF (CSI); AFG → GF (AL). 10 (ii) AFn-G → AGn-F (CSE); AGn-F → Gn-F (SUB) . Aber auch intuitiv ist die Allgemeingültigkeit beider Formeln einleuchtend: (i) Ist Ext*-IA(F) Teilmenge von Ext*-IA(G), so sind einige Elemente von Ext*-I A(G) eben auch Elemente von Ext*-IA(F). (ii) Ist Ext*-IA(F) Teilmenge von Ext*-I A(n-G), so sind einige Elemente von Ext*-IA(n-G) eben auch Elemente von Ext*-IA(F). Traditionell heißen die entsprechenden Regeln AΦΓ → ΓΦ und AΦn-Γ → Γn-Φ conversio per accidens (CPA). 3. Syllogistik 3.1. Allgemeines Syllogistische Formeln von A sind Formeln der Form α & β → γ, wobei gilt: (1) α, β und γ sind atomare Formeln von A. (2) In α, β und γ kommen jeweils zwei verschiedene Prädikatbuchstaben vor. (3) In α & β → γ kommen genau drei Prädikatbuchstaben vor. (4) In γ kommt genau je ein Prädikatbuchstabe aus α und aus β vor. (5) Der erste Prädikatausdruck einer in einem Syllogismus vorkommenden atomaren Formel enthält kein Vorkommnis von Nick’s Negator; der zweite kann, muß aber nicht. Von 256 möglichen syllogistischen Formeln sind genau 24 A-allgemeingültig. Man kann dies folgendermaßen zeigen: 10 Denn natürlich gilt aussagenlogisch: ((α → β) & (β → χ)) → (α → χ). 9 1. Schritt: Vier Syllogismen der ersten Figur werden als A-allgemeingültig erwiesen. 2. Schritt: Alle übrigen gültigen Syllogismen werden mit conversio simplex, conversio per accidens, Subalternation und Transposition oder durch indirekten Beweis auf die vier ausgezeichneten Syllogismen zurückgeführt. 3. Die nicht-gültigen Syllogismen werden in Gruppen klassifiziert und deren Ungültigkeit gezeigt. Dieses Verfahren entspricht Aristoteles' Vorgehen in An.pr. I 1-7. 3.2. A-Allgemeingültigkeit von Barbara etc. A-allgemeingültig sind: (i) AFG & AHF → AHG (Barbara) (ii) AFn-G & AHF → AHn-G (Celarent) (iii) AFG & HF → HG (Darii) (iv) AFn-G & HF → Hn-G (Ferio) Begründung: (i) und (ii): Die Teilmengenrelation ist offensichtlich transitiv. 11 (iii) Sei I A eine beliebige A-Interpretation. So gilt: Wenn Ext*I A(F) Teilmenge von Ext*I A(G) ist und Ext*IA(H) mit Ext*IA(F) eine nichtleere Schnittmenge hat, so müssen die Elemente dieser Schnittmenge auch Elemente von Ext*I A(G) sein. Also haben auch Ext*I A(H) und Ext*IA(G) eine nichtleere Schnittmenge. (iv) Analog zu (iii) mit n-G statt G. Die Namengebung dArII, cElArEnt und fErIO ist aus Teil I offensichtlich. 3.3. Der Merkvers und seine Entschlüsselung Alle Logikstudenten des Mittelalters mußten eine frühe Version des folgenden Merkverses auswendig lernen:12 Barbara, Celarent, Darii, Ferioque prioris Cesare, Camestres, Festino, Baroco secundae Tertia Darapti, Disamis, Datisi, Felapton Bocardo, Ferison habet. Quarta insuper addit Bramantip, Camenes, Dimaris, Fesapo, Fresison. Was war an diesem Vers so wichtig? Nun, zunächst hatte man so praktisch alle gültigen Syllogismen auf einen Blick (zu den fehlenden vgl. unten "subalterne modi"). Man konnte also so z.B. lernen: "AAI4 ist gültig; AEE 2 ist gültig usw." 11 Eine 12 Relation R ist transitiv gdw gilt: Wenn aRb und bRc, dann aRc. Diese enthielt noch keine klare Abgrenzung der vierten Figur, war aber ansonsten ganz ähnlich. Die oben angegebene Version stammt aus Arthur Prior, Traditional Logic, in Paul Edwards (Hg.), The Encyclopedia of Philosophy, New York 1967ff, Bd. V, S.37. Eine ältere Version findet sich z.B. in den Petrus Hispanus zugeschriebenen Summule Logicales (vgl. Bochenski S.247). 10 Und das ist schon ganz schön komprimiert verglichen mit: "Ein Syllogismus mit zwei allgemein bejahenden Prämissen und partikulär bejahender Conclusio in der vierten Figur ist gültig. Ein Syllogismus mit allgemein bejahender maior und allgemein verneinender minor und allgemein verneinender conclusio in der zweiten Figur ist gültig. etc." Erst recht ist es praktischer, als auswendig zu lernen: "Der Schluß von 'Alle F sind G' und 'Kein H ist G' auf 'Kein H ist F' ist ok. "Der Schluß von 'Alle F sind G' und 'Alle G sind H' auf 'Einige H sind F' ist ok. etc." Aber das ist noch längst nicht alles. Denn bisher haben wir nur die Information ausgewertet, die in den Vokalen steckt. Aber auch die Konsonanten haben System: Sie zeigen, wie die übrigen Syllogismen auf die vier ausgezeichneten zurückzuführen sind. Und das geht so: - Der erste Konsonant weist auf den Ausgangssyllogismus der ersten Figur hin, z.B. Cesare auf Celarent - Ein s hinter einem Vokal (Cesare) weist auf conversio simplex des durch den Vokal bezeichneten Satzes hin. - Ein p hinter einem Vokal (z.B. Fesapo) weist auf conversio per accidens des durch den Vokal bezeichneten Satzes hin. - Ein m (z.B. Dimaris) weist auf Transposition der Prämissen hin. Der Übersichtlichkeit halber verwenden wir zur Notation einen Mini-Kalkül des semantischen Schließens KA, der auf der folgenden Regel basiert: β darf unter eine Menge von Zeilen M geschrieben werden, wenn α → β A-allgemeingültig ist, wobei α die Konjunktion aller Elemente von M ist. Dabei werden aussagenlogische Schlüsse, die natürlich alle in bezug auf A in Ordnung sind, mit AL gekennzeichnet. Die Elemente von M werden jeweils am Rand einer neuen Zeile mit ihrer Zeilennummer angemerkt. Beispiel 1: Cesare2 Denn: 1. AMn-N & AXN 2. AMn-N 3. ANn-M 4. AXN 5. AXn-M 6. AMn-N & AXN → AXn-M Annahme AL, 1 CSE, 2 AL, 1 Celarent, 3,4 AL, 1, 7 QED cEsAre cEsare cESare cesAre Cesare 11 Das einzelne Wort "Cesare" im Merkvers bedeutet also: "Daß der Schluß von 'Alle F sind nicht G' und 'Alle H sind G' auf 'Alle H sind nicht F' ok ist, läßt sich beweisen, indem man die Prämissen annimt, die maior mit conversio simplex umformt und dann mit Celarent auf die conclusio schließt." (...nicht auszudenken, wie lang die Erklärung ohne jeden Fachterminus würde!) Wir sind nun in der Lage, ein Stückchen aus den Analytica Priora zu verstehen (vgl. Querblatt) Beispiel2: Bramantip4 AFG & AGH→ HF Denn: 1. AFG & AGH 2 AGH & AFG 3. AFH 4. HF 5. AFG & AGH→ HF Annahme TRP, 1 Barbara, 2 CPA, 3 AL, 1, 4 QED brAmAntip braMantip Bramantip bramantIP 3.4. Subalterne Modi Einige Syllogismen folgen a fortiori aus andern (und werden daher von Aristoteles und den mittelalterlichen Logikern nicht gesondert behandelt). So ist, da wir leere Begriffe ausgeschlossen haben, klar: Wenn gilt "Alle F sind G; alle H sind F; also: Alle H sind G" (Barbara 1), dann gilt auch "Alle F sind G; alle H sind F; also: Einige H sind G" Dieser Schluß heißt (natürlich) Barbari und ist sehr leicht zu beweisen: 1. AFG & AHF 2. AHG 3. HG 4. AFG & AHF → HG Annahme Barbara, 1 SUB, 2 AL Ebenso hat z.B. Celarent einen sogenannten "subalternen Modus": Celaront 1. Außerdem gibt es Cesaro2, Camestrop2 und Camenop4. 3.5. Indirekte Beweise Einige Syllogismen (genauer gesagt: zwei) lassen sich nicht direkt beweisen, sondern müssen indirekt bewiesen werden. Das macht man so: Man nimmt an, daß die Prämissen wahr sind, aber dennoch die Conclusio falsch, und zeigt, daß daraus ein Widerspruch folgt. Die beiden nur indirekt zu beweisenden Syllogismen sind Baroco2 und Bocardo3 . 12 Für die indirekten Beweise brauchen wir eine der sogenannten Äquipollenzen der klassischen Logik.13 Sie lautet: Die Formel ~Fn-G ≡ AFG ist A-allgemeingültig. Das ist leicht zu sehen: Damit Fn-G nicht erfüllt ist, dürfen Ext*-IA(F) und Ext*-IA(n-G) keine nichtleere Schnittmenge aufweisen. Das kann aber nur der Fall sein, wenn alle Elemente von Ext*-IA(F) Elemente des Komplements von Ext*-I A(n-G) sind. Und dieses Komplement ist Ext*-IA(G). Wir wollen die entsprechende Regel ~Φn-Γ ≡ AΦΓ mit AEQ abkürzen. Man sieht hier, daß die Äquipollenzen in der klassischen Logik nicht so trivial sind wie die entsprechenden Formeln der modernen Prädikatenlogik. Dort gilt natürlich schon aufgrund der Interdefinierbarkeit der Quantoren: ~∃x (Fx & ~Gx) ≡ ~~∀x ~(Fx & ~Gx) ≡ ∀x (Fx → Gx). Der Beweis für Baroco (unter Verwendung von Barbara) ist nun einfach: Baroco2 AFG & Hn-G → Hn-F Denn 1. AFG & Hn-G Annahme 2. ~Hn-F Voraussetzung 3. AFG AL, 1 4. AHF AEQ, 2 5. AHG Barbara, 3, 4 6. Hn-G AL 1 Zeile 5 und Zeile 6 widersprechen sich. Also: ~ ((AFG & Hn-G) & ~Hn-F) und somit (per AL) AFG & Hn-G → Hn-F, QED. Ebensowenig Schwierigkeiten macht... Bocardo3 Fn-G & AFH → Hn-G Denn 1. Fn-G & AFH 2. ~Hn-G 3. AHG 4. AFH 13 Komplette Liste in PL-Notation auf dem Blatt "Nichtsyllogistische Schlüsse der klassischen Logik". 13 5. AFG 6. Fn-G Zeile 5 und Zeile 6 widersprechen sich. Also ~(Fn-G & AFH) & ~Hn-G), somit (per AL) Fn-G & AFH → Hn-G, QED. Auch das indirekte Beweisverfahren geht auf Aristoteles zurück (zweites Querblatt) 4. Allgemeine Bemerkungen (1) Die Stärke des Beweisverfahrens: Das erläuterte Beweisverfahren funktioniert auch, wenn man andere Syllogismen auszeichnet (z.B. die der zweiten Figur). Außerdem kann man alle Syllogismen, die sich direkt beweisen lassen, auch indirekt beweisen. (2) Ungültige Syllogismen. Die 24 gültigen Syllogismen als A-allgemeingültig zu beweisen ist ein Klacks gegen die Aufgabe, die restlichen 232 ungültigen als nicht A-allgemeingültig zu beweisen. Streng genommen ist erst dann die Korrektheit von A als syllogistischer Logik gezeigt. Dazu könnte man 232 Gegenbeispiele suchen. Und das spare ich mir hier. Bewunderswert ist die Fleißarbeit von Aristoteles, der für die ersten drei Figuren in An.pr.I 1-7 komplette Fallunterscheidungen von jeweils 16 möglichen Kombinationen der Prämissen abarbeit. Ein Beispiel bietet die Strukur der Passage An.pr.I 4 25b39-26b25: Ziel der Passage: Untersuchung der ersten Figur 25b39 Aus AA1 läßt sich auf A schließen. (Barbara) 25b40 Aus EA1 läßt sich auf E schließen. (Celarent) 26a2-9 Aus AE1 läßt sich auf nix schließen. 26a10-17 Aus EE 1 läßt sich auf nix schließen. 26a23f Aus AI 1 läßt sich auf I schließen. (Darii) 26a26f Aus EI 1 läßt sich auf O schließen. (Ferio) 26a31-37 Aus IA1 läßt sich auf nix schließen. Aus OA1 läßt sich auf nix schließen. 26a37-41 Aus IE 1 läßt sich auf nix schließen. Aus OE1 läßt sich auf nix schließen. 26b1-11 Aus AO1 läßt sich auf nix schließen. 26b11-14 Aus EA1 läßt sich auf nix schließen. 26b23-25 Aus II 1 läßt sich auf nix schließen. Aus OO1 läßt sich auf nix schließen. Aus IO1 läßt sich auf nix schließen. Aus OI 1 läßt sich auf nix schließen. Dabei nennt Aristoteles allerdings oft nur die Ergebnisse. Vielleicht hat er ähnliche Veranschaulichungen benutzt wie die im 19.Jahrhundert entwickelten sogenannten VennDiagramme (Vorform bei Leibniz a.a.O.). 14 (3) Singuläre Terme. Die Sprache A unterscheidet sich in einem sehr auffälligen Punkt von der heute üblichen und in Logik I vermittelten Standard-Prädikatenlogik, wie sie 1879 von Gottlob Frege erfunden wurde. A kennt nämlich keinen Unterschied zwischen singulären und generellen Termen. Die singulären Terme, die für einzelne Gegenstände stehen, fehlen einfach. Wie kann man nun in A über einzelne Gegenstände reden? Was macht man z.B. mit dem Schluß: Alle Bären sind pelzig. Ned ist ein Bär. Also ist Ned pelzig. ?14 In der Tat ist die Abwesenheit eines Unterschiedes zwischen singulären und generellen Termen in A aber gar kein Problem. Man kann ja einen Mengenbuchstaben von A einfach mit einer Einermenge interpretieren. So könnte die Extension von N (Ext-IA(N)) die Menge sein, deren einziges Element Ned ist. Ist die Extension von B die Menge aller Bären und die Extension von P die Menge aller pelzigen Wesen, so läßt sich der oben genannte Schluß wiedergeben als: ABP & NB → NP. Natürlich ist das die A-allgemeingültige Formel Darii. Und da die gewählte Interpretation von N, B und P tatsächlich ABP und NB erfüllt, kommt auch NP in ihr als wahr heraus. Interessanterweise erfüllt jede A-Interpretation, in der N mit einer Einermenge interpretiert ist, die Formel NB ≡ ANB. Wenn die Einermenge {Ned} mit der Menge der Bären eine nichtleere Schnittmenge bildet (nämlich {Ned}), so ist nämlich die Einermenge {Ned} auch Teilmenge der Menge der Bären, und umgekehrt.15 Wenn einige Neds Bären sind, und es gibt nur einen Ned, dann sind alle Neds Bären. Wir können also den Schluß auch als Barbara ausdrücken: ABP & ANB → NP. Tatsächlich ist es im Mittelalter umstritten gewesen, ob man Schlüsse wie den Schluß mit Ned als Barbara oder Darii betrachten soll, oder ob man eine spezielle Syllogistik für singuläre Terme einführen müßte. Man sieht: Das ist nicht nötig. William von Ockham war z.B. dafür, einen solchen Schluß als Barbara zu analysieren. 16 (4) Die Frege-Trichotomie. Als Frege die moderne Logik erfand, war er - anders als Logiker vor ihm - der Meinung, man müsse drei ganz verschiedene Gebrauchsweisen des Wortes "ist" unterscheiden: 14 Das Beispiel ist, glaube ich, von Benson Mates. Aber ich erinnere mich nicht genau. George Englebretsen bezeichnet dieses Phänomen in "Logical Negation" als wild quantity. 16 So Bochenski (unnötig kritisch) S.269f mit Bezug auf Ockham, SL III 1,8 38. 15 15 (1) "ist" der Existenz (etwas altertümlich, wie in "Gott ist") (2) "ist" der Identität (etwa in "Der Morgenstern ist der Abendstern") (3) "ist" der Prädikation ("Ned ist pelzig"). Alle drei Gebrauchsweisen haben nach Freges Meinung eine logisch jeweils ganz andere Struktur.17 Man nennt diese Unterscheidung die "Frege-Trichotomie". Nach Frege notiert man denn auch in PL: (1') ∃x [Gx] (2') m=a (3') Pn. In A gibt es keine Frege-Trichotomie. (1) kann man auf zwei Arten ausdrücken: (1"a) GE (wobei Ext-IA(E)=UIA) (1"b) GG Im zweiten Fall haben wir (2") MA. Und im dritten (3") NP. In allen drei Fällen sieht also A dieselbe logische Struktur. Um A etwas weniger ungewöhnlich zu notieren, können wir uns natürlich auf die Konvention G (für "Gottlob") einigen: Konvention G: Mit Einermengen werden Kleinbuchstaben und nur Kleinbuchstaben interpretiert.18 Wir erhalten dann: (1"') Eg (oder, ungewöhnlicher, gg) (2"') ma (3"') Pn. 5. Anhang: Die vierte Figur in der mittelalterlichen Logik In der frühen Fassung des Merkverses bei Petrus Hispanus werden der ersten Figur folgende Syllogismen hinzugefügt: 17 Frege, Begriff und Gegenstand in: Funktion, Begriff, Gegenstand (hg. v. G. Patzig), Göttingen 1994, S.67f. Bei Frege ist der Unterschied fundamentaler. Kleinbuchstaben in einer fregeschen Logik werden nie mit Mengen interpretiert, sondern immer nur mit Individuen. 18 16 Baralipton, Celantes, Dabitis, Fapesmo, Frisesom. 19 Man nannte diese Syllogismen indirekte Syllogismen, weil sie einen kompletten Syllogismus voraussetzen und dann nur noch durch Manipulation der Conclusio entstehen. Dafür fehlt die vierte Figur. Wie kommt das? Nun, ein Baralip(ton) ist z.B. ein Barbara mit conversio per accidens der Conclusio, also: AFG & AHF → AHG (Barbara) AFG & AHF → GH (Baralip). Man sieht leicht, was das mit der vierten Figur zu tun hat. Vertauscht man einfach die Prämissen von Baralip, so entsteht ein Bramantip4 . AFG & AHF → GH (Baralip). AHF & AFG → GH (Bramantip4). Sind also die Syllogismen der vierten Figur nur solche der ersten mit vertauschten Prämissen? Die meisten mittelalterlichen Logiker meinten das. Aber das stimmt nicht ganz. Durch die Manipulation der Conclusio werden Subjekt- und Prädikatterm der Conclusio vertauscht. Damit ist aber Baralip1 kein syntaktisch wohlgeformter Syllogismus. Denn in diesem müßte der Prädikatbegriff der Conclusio in der maior auftauchen, nicht der Subjektbegriff. Das geschieht in Bramantip4 . Entsprechendes gilt für Celantes 1 / Camenes4, Dabitis1 / Dimaris4, Fapesmo 1 / Fesapo4 und Frisesom1 / Fresison4. 19 Bochenski S.247.