Winkelfunktionen Dr. H. Macholdt 21. September 2007 1 1 Altgrad, Bogenmaß und Neugrad Die Einteilung eines Kreises in 360 Grad ist schon sehr alt und geht auf die Sumerer zurück, die offensichtlich von der Tatsache begeistert waren, dass ein regelmäßiges Sechseck von einem Kreis umschlossen ist. Die Teilung der sechs Dreiecke in diesem Sechseck in sechs gleiche Abschnitte führte dann zur Einteilung des Kreises in 360 Teilstücke. Jedes Grad ist nochmal unterteilt in 60 Minuten und diese wiederum in 60 Sekunden. Altgrad oder Grad: Einheitenzeichen Grad Einheitenzeichen Minute Einheitenzeichen Sekunde Beispiel : ◦ : 0 : 00 : α = 43◦ 260 1500 90° R α 180° s 0° 360° 270° Um eine Vorstellung von der Feinheit der Aufteilung zu bekommen, stelle man sich einen Kreis mit einem Radius von R = 10 m vor. Der Umfang dieses Kreises ist also U = 2 · R · π = 62, 83 m Ein Winkel von einem Grad entspricht also einer Bogenlänge s von 62, 83 m/360 = 17, 45 cm, ein Winkel von einer Minute entspricht einer Bogenlänge von 17, 45 cm/60 = 2, 91 mm und ein Winkel von einer Sekunde ist nur 2, 91 mm/60 = 0, 048 mm lang. 2 Zur Umrechnung des Winkels in die Dezimalschreibweise benutze man die alltägliche Erkenntnis, dass eine Stunde sechzig Minuten oder 3600 Sekunden hat. 260 1500 + = 46, 4375 60 3600 Will man umgekehrt einen Winkel in Dezimalschreibweise in Grad, Minuten und Sekunden angeben, so ergibt sich der Minuten- und der Sekundenwert durch Multiplikation der Nachkommastellen mit 60. z.B. ist 43◦ 260 1500 = 46◦ + z.B. ist 43, 4375◦ 0, 4375 · 60 0, 250 · 60 also ist 43, 4375◦ = = = = 3 43◦ + 0, 4375◦ 26, 250 1500 43◦ 260 1500 Die Einteilung des Kreises in 360 Grad mag zunächst einmal als recht willkürlich erscheinen und in der Tat kann man auch von eine andere Teilung vornehmen, die sich mehr am Dezimalsystem orientiert. Diese Einteilung in 400 Grad für einen vollen Kreis wird Neugrad genannt und besitzt die Einheit ’Gon’, abgekürzt durch ein hochgestelltes g. Bis auf Nischenanwendungen konnte sich diese Einteilung aber nicht durchsetzen, der Mensch ist halt ein Gewohnheitstier. Die Umrechnung von ’Grad’ in ’Neugrad’ ist recht einfach, da der Winkel in ’Neugrad’ lediglich um einen Faktor 400 = 10 größer ist. Jedes ’Neugrad’ ist nochmal unterteilt in 360 9 100 ’Neuminuten’. Eine weitere Unterteilung gibt es nicht, man erreicht diese durch entsprechende Nachkommastellen. Im Prinzip ist damit die Einführung von ’Neuminuten’ eigentlich überflüssig. Neugrad oder Gon: Einheitenzeichen Neugrad : g Einheitenzeichen Neuminute : c Beispiel : α = 43g 79c = 43, 79 gon 1 gon = 100 Neuminuten 100gon R α 200gon s 0 gon 400gon 300gon Um den Beispielwinkel umzurechnen in Altgrad multipliziert man mit dem Faktor α = 43g 79c = 43, 79 gon = 4 9 · 43, 79 gon = 39, 41◦ 10 9 , 10 also In den Natur- und Ingenieurwissenschaften wird bei den meisten Berechnungen die Winkelfunktionen (sin, cos und tan) beinhalten der Winkel im Bogenmaß (rad) angegeben. Diese Einteilung des Kreises beruht auf der Vorstellung das ein Kreis mit dem Radius von R = 1 m einen zahlenmäßigen Umfang von 2 · π besitzt. Die Umrechnung von einem Winkel in Bogenmaß in Gradmaß ist eine einfache Dreisatzrechnung. Bogenmaß: Einheitenzeichen : rad Beispiel : α = 1, 456 rad 360◦ = 2 · π ≈ 2 · 3, 14159265 rad ≈ 6, 2831853 rad π/2 R α π s 0 2π 3/2π Um den Beispielwinkel umzurechnen in Altgrad multipliziert man mit dem Faktor 180◦ =, also π 180◦ α = 1, 456 rad · = 83, 42◦ π 5 360◦ 2·π = 2 Rechtwinklige Dreiecke Wir betrachten zunächst ein rechtwinkliges Dreieck wie unten dargestellt, bestehend aus den Punkten A, B und C, wobei der rechte Winkel am Punkt C liegen soll. B’ β B a’ c a α A b C C’ Vergrößert man dieses Dreieck auf die Punkte B’ und C’, so dass ein rechtwinkliges Dreieck erhalten bleibt, erkennt man leicht (man denke nur an die Strahlensätze), dass beide Dreiecksseiten im gleichen Verhältnis größer geworden sind, d.h. wird die Seite b in ihrer Länge verdoppelt, dann wird auch die Seite a’ doppelt so lang sein wie die Seite a. Daraus folgt, dass bei gleichbleibenden Winkel die Seitenverhältnisse im rechtwinkligen Dreieck konstant sind. Bezüglich des Winkels α ist die Seite a die dem Winkel gegenüberliegende Seite. Wir nennen sie deshalb Gegenkathete und die am Winkel liegende Seite b bekommt den Namen Ankathete. Die längste Seite im rechtwinkligen Dreieck c liegt immer gegenüber dem rechten Winkel, wir wollen sie Hypotenuse nennen. Da das Verhältnis zweier beliebiger Seiten im rechtwinkligen Dreieck bei gleichen Winkeln konstant ist, geben wir diesen Seitenverhältnissen ebenfalls Namen und sagen: Das Verhältnis von Gegenkathete zur Hypotenuse heiße SINUS. Das Verhältnis von Ankathete zur Hypotenuse heiße COSINUS. Das Verhältnis von Gegenkathete zur Ankathete heiße TANGENS. Um deutlich zu machen, das diese Verhältnisse abhängig vom zugehörigen Winkel sind, schreiben wir die Gleichungen wie folgt: 6 a sin α = Gegenkathete = Hypotenuse c b Ankathete = cos α = Hypotenuse c a Gegenkathete tan α = Ankathete = b Bezüglich des Winkels β ergeben sich drei ähnliche Gleichungen: sin β = Gegenkathete Hypotenuse = Ankathete = cos β = Hypotenuse tan β = Gegenkathete Ankathete = b c a c b a Um in einem rechtwinkligen Dreieck die Länge aller Seiten zu berechnen, benötigt man also nur die Kenntnis von einem Winkel (außer dem rechten Winkel, der immer gegeben ist) und einer Seite. Beispiel 1: Um die Höhe eines Turmes zu messen, messe man den Winkel α zwischen der Waagerechten und der anvisierten Spitze des Turmes sowie den Abstand l vom eigenen Standpunkt zum Turm. h=? α=68° l=50m 7 In diesem rechtwinkligen Dreieck ist also die Ankathete gegeben und die Gegenkathete wird gesucht. Wir suchen also eine Gleichung in der diese Größen vorkommen und finden: tan α = h l nach h umstellen liefert h = l · tan α = 50 m · tan 68◦ = 50 · 2, 475 = 123, 7 m Bei der Berechnung von tan α mit dem Taschenrechner achte man darauf, das der Winkel im Gradmaß eingegeben wird, der Taschenrechner also im Modus ’deg’ eingestellt ist. Beispiel 2: Sind nur zwei Seiten gegeben, so kann die dritte Seite immer mit dem Pythagoras und die Winkel durch die zugehörigen Umkehrfunktionen berechnet werden. h=18m ? c= α=? l=33m Da im obigen rechtwinkligen Dreieck beide Katheten gegeben sind, kann man die Hypotenuse mit dem Pythagoras berechnen: c= √ q l2 + h2 = (33 m)2 + (18 m)2 = 37, 6 m Jetzt ergibt sich der SINUS des Winkels α durch: sin α = h 18 m = = 0, 479 c 37, 6 m Das Ergebnis wurde an der dritten Stelle hinter dem Komma gerundet. Wenn der SINUS eines Winkels gegeben ist dann ist natürlich auch der zugehörige Winkel durch die Umkehrfunktion gegeben. Bei den meisten Taschenrechnern sind die Funktionen sin und sin−1 auf der gleichen Taste belegt. Der Winkel ist also: α = sin−1 0, 479 = 28, 6◦ 8 Beispiel 3: Eine Anwendung aus der geometrischen Optik. Wir betrachten nun eine Linse, die einen Gegenstand der Größe G auf einem Schirm in der Größe B abbildet. Wir kennen dieses Prinzip z.B. von einem Dia-Projektor. Da in diesem Falle das Bild auf dem Kopf stehend abgebildet ist, werden die Dias immer ’verkehrt’ herum in das Projektormagazin eingelegt. Aus der Physik ist vielleicht noch die Konstruktion des Strahlenganges in Erinnerung. In der folgenden Skizze sind nur zwei charakteristische Strahlen eingezeichnet. Ein Strahl, der parallel den Gegenstand zur optischen Ebene verläßt wird durch die Linse in den Brennpunkt gebeugt. Ein Strahl, der durch den Mittelpunkt der Linse geht, wird nicht abgelenkt. Das Bild entsteht an der Stelle, wo sich die beiden Strahlen schneiden. f b−f G β a β a B Gegenstandsweite=g Bildweite=b Betrachten wir nun die physikalischen Überlegungen als abgeschlossen und schauen auf die Skizze, so erkennen wir zwei rechtwinklige Dreiecke, die von den beiden Strahlen gebildet werden. Da der Winkel α in beiden Dreiecken gleich groß ist gilt die Beziehung: tan α = G B = g b Dies ist die Abbildungsgleichung einer Sammellinse, die besagt, dass sich die Gegenstandsgröße G zur Gegenstandsweite g genau so verhält, wie die Bildgröße B zur Bildweite b. Umgeformt erhalten wir die Gleichung: G g = B b Rechts von der Linse sind noch zwei weitere rechtwinklige Dreiecke mit dem Winkel β enthalten. Für diese gilt die Beziehung: tan β = G B = f b−f Die Größe f nennt man die Brennweite der Linse. Wir formen diese Gleichung etwas um und erhalten: f G = B b−f G Nun können wir aber die Abbildungsgleichung verwenden und B ersetzen durch gb . Dies führt nach Kehrwertbildung zu der Gleichung: b−f b = g f 9 oder wenn wir durch b dividieren zu 1 b−f b f = = − g b·f b·f b·f Nach Kürzen von b und f erhält man eine weitere nützliche Abbildungsgleichung: 1 1 1 = + f g b Die Kehrwerte von Bild- und Gegenstansweite addieren sich also zum Kehrwert der Brennweite. 10 3 Allgemeine Dreiecke Gegeben ist ein beliebiges Dreieck, welches keinen rechten Winkel enthält. Um unsere bisherigen Erkenntnisse anwenden zu können, benötigen wir aber rechtwinklige Dreiecke. Aus diesem Grund zeichnen wir in das gegebene allgemeine Dreieck jeweils die Höhen, welche senkrecht auf den Seiten liegen ein und benennen Sie mit Höhe auf Seite a gleich ha und die anderen Höhen entsprechend. γ hb b α hc ha a β c Betrachtet man die dadurch entstehenden jetzt rechtwinkligen Teildreiecke genauer, so stellt man fest, dass man immer zwei Gleichungen für den SINUS aller beteiligten Winkel erhält. Diese Gleichungen sind: hc hb ha hc hb ha sin α = = , sin β = = , sin γ = = b c c a a b Wir benutzen nun immer die erste der jeweiligen Gleichungen um einen Ausdruck für die drei Höhen zu bekommen: ha = c · sin β, hb = a · sin γ, hc = b · sin α Setzen wir diese Ausdrücke für die Höhen in die jeweilige zweite Gleichung ein erhalten wir: a · sin γ I) sin α = c b · sin α II) sin β = a c · sin β III) sin γ = b Alle drei Gleichungen etwas umformuliert lassen erkennen, dass sich die SINUS der Winkel wie die gegenüberliegenden Seiten verhalten. Wir erhalten also die recht nützliche Beziehung: 11 Sinussatz: sin α sin β sin γ = = a b c Sind also in einem allgemeinen Dreieck zwei Winkel und eine Seite gegeben, so lassen sich die anderen Seiten ebenfalls ermitteln. Wir geben nun drei weitere nützliche Gleichungen (ohne sie zu beweisen) an, mit denen man aus der Kenntnis von zwei Seiten und einem Winkel die dritte Seite berechnen kann. Man erkennt an den Gleichungen den Satz des Pythagoras, der für rechte Winkel entsteht. C γ b a α A β c Cosinussatz: a2 = b2 + c2 − 2bc · cos α b2 = a2 + c2 − 2ac · cos β c2 = a2 + b2 − 2ab · cos γ 12 B 4 Der Einheitskreis Bisher haben wir die Winkelfunktionen SINUS, COSINUS und TANGENS nur für Winkel kleiner als 90◦ angewendet. Wir wollen nun diese Funktionen für alle Winkel definieren und schauen uns dazu den sogenannten Einheitskreis an. Dazu zeichnen wir zunächst ein Koordinatensystem mit einer x- und einer y-Achse und anschließend einen Kreis mit Radius EINS (egal welche Einheit, es kann sich durchaus auch um einen Meter handeln) und dem Mittelpunkt im Ursprung des Koordinatensystems, also bei den Koordinaten x = 0 und y = 0. Zeichnet man nun einen beliebigen Radius mit einem Winkel α ausgehend von der x-Achse ein und bestimmt durch Projektionslinien die x- und die y-Komponent des Punktes auf dem Einheitskreis, der durch die Radiuslinie erzeugt wird, so ergibt sich ein rechtwinkliges Dreieck, falls der Winkel α kleiner als 90◦ ist. Dieser Fall ist im linken Bild dargestellt. x R= 1 x y y α R= 1 α Der SINUS dieses Winkels ist gegeben durch sin α = y =y 1 entsprechen erhält man für den COSINUS von α cos α = x =x 1 Die Werte der Winkelfunktionen SINUS und COSINUS sind also durch die Länge der y bzw. der x-Komponenten gegeben. Das funktioniert aber auch für Winkel größer als 90◦ , wie man am rechten Bild erkennen kann. Wir haben jetzt zwar kein rechtwinkliges Dreieck mehr in dem der Winkel α enthalten ist, trotzdem sind SINUS und COSINUS einfach durch die entsprechenden Komponenten im Koordinatensystem definiert. 13 Wir lassen jetzt den Winkel α einmal von 0◦ bis 360◦ durchlaufen und zeichnen in Abhängigkeit vom Winkel α die x-Komponente (also den COSINUS) und die y-Komponente (den SINUS) auf. 1 sin(x) cos(x) 0.8 0.6 0.4 0.2 0 −0.2 −0.4 −0.6 −0.8 −1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 SINUS und COSINUS sind Funktionen, die zwischen den Werten +1 und -1 hin- und herschwingen, sie eignen sich also hervorragend zur Darstellung von Vorgängen, die sich periodisch wiederholen. z.B. lässt sich der zeitliche Verlauf einer Wechselspannung, also die Höhe der Spannung U in Abhängigkeit von der Zeit t wie folgt darstellen: U (t) = U0 · sin(ω · t) Die Größe U0 gibt den Maximalwert der Schwingung, wir nennen ihn Amplitude, an. Der Parameter ω, wir nennen ihn Kreisfrequenz, legt fest wie oft die Schwingung in einer bestimmten Zeit stattfindet und ist gegeben durch die Gleichung: ω =2·π·f Die Frequenz f gibt an wie oft eine Periode der Schwingung innerhalb einer Sekunde auftritt. Sie lässt sich leicht aus der Dauer einer Periode T berechnen: f= 1 T Man beachte das der Winkel ab jetzt immer im Bogenmaß angegeben wird, also bei Berechnungen der Taschenrechner im Modus rad zu stehen hat. 14 5 Aufgaben 1. Geben Sie die folgenden Winkel in Dezimalschreibweise an: (a) 78◦ 120 5300 = (b) 0◦ 480 3000 = (c) 236◦ 33, 50 = 2. Wandeln Sie die folgenden Winkel in Grad, Minute und Sekunde um: (a) 23, 3422◦ = (b) 112, 457◦ = 3. Geben Sie die folgenden Winkel im Bogenmaß an: (a) 23◦ = (b) 182◦ = (c) tan α = 1, 232 (d) cos β = 0, 357 4. Der Radius der Erde beträgt am Äquator ca. 6378 km. Berechnen Sie den Abstand eines Längengrades, einer Längenminute und einer Längensekunde in Kilometern. 5. Wie groß ist der Winkel β des Dreiecks im linken Bild? 6. Wie groß ist der Winkel α des Dreiecks im rechten Bild? . a= 6,2 . a= 5 m 8m m α β c= 7,5 m c= 72 mm 7. Ein gleichseitiges Dreieck habe die Seitenlänge a. Berechnen Sie die Höhe in diesem Dreieck. 15 8. Der 8,83 m lange Mast im linken Bild soll durch ein Seil abgespannt werden. Wie groß ist dabei die Seillänge? 9. Wie groß ist der Lochabstand x im rechten Bild? x=? 8,83 m l=? 45° d= 164 mm 62° 10. Beweisen Sie die Formel für den Flächeninhalt eines allgemeinen Dreiecks. 1 A = a · c · sin β 2 11. Berechnen Sie im abgebildeten allgemeinen Dreieck die Länge der Seite c. 12. Wie groß ist die Fläche des Dreiecks? γ = 72° a= 65 m α = 81° c=? 13. Skizzieren Sie (mit korrekter Achsenbeschriftung) die folgenden Funktionen: (a) U (t) = 40 V · sin(2 · π · 50 1s · t) für 0 < t < 40 ms (b) U (t) = 80 V · cos(2 · π · 100 1s · t) für 0 < t < 40 ms 16