Gesammelte Kritiken: ERNST im ORPHTHEATER, inszeniert von Uwe Schmieder Berliner Zeitung: Endlich Grützwurst für alle! Die Freiluft-Sozialkomödie "Ernst" im Orphtheater Ernst ist, wie er heißt, weil ihm das Leben übel mitspielt. Also eigentlich nicht das Leben, sondern die Leute. Also eigentlich nicht die Leute, sondern das System. Das heißt: Gewinn machen. Der fiese Wirt ist ein solches System-Exemplar. Er stellt Ernst nicht ein, weil eine hübsche Kellnerin einträglicher ist. Desgleichen der fiese Arzt, der ihm, obwohl Ernst nur Blut spenden will gegen ein Essen, gleich eine ganze Niere abschwatzt. Und der fiese Priester, der ihm mit Weltuntergangsfantasien Glauben abkaufen will und zusätzlich Kollekte fordert. Zu allem Übel fehlt Ernst, jenem Franz Biberkopf im Woyzeck-Stil, auch noch ein Bein. Kurz gesagt: Die Lage ist nicht nur ernst, sondern aussichtslos. Der Berliner Autor Igor Kroitzsch hat es sich zur künstlerischen Aufgabe gemacht, so genannte "Gegentexte" zu schreiben. "Ernst" ist ein lockeres Lehrstück aus den Neunzigerjahren über die sinnlose Sinnsuche seines Titelhelden. In der grotesken Szenencollage mit Volkstheatercharakteren schnellen knappe Dialoge aus sarkastischen Sprüchen und markanten Kernsätzen wie Fallbeile durch die Luft. Für die Uraufführung dieser rohen Stationen-Skizze haben sich der Regisseur Uwe Schmieder und das Orphtheater gar nicht erst mit auf die Sinnsuche gemacht, sondern aus dem dürren Ernst eine deftige Hanswurst-Mahlzeit gebrutzelt. So, als dürfte man mit "Ernst" alles machen, nur nicht Ernst. Wer es also grobschlächtig und gut durchgebraten mag, der wird sich an den breitgeschlagenen Karikaturen dieses "Politischen Open Air" satt sehen und müde kichern können. Im anderen Fall könnte man sich in dem bröckelnden Hinterhof in der Ackerstraße auch vorkommen, wie in einer Suppenküche der Heilsarmee, in die sich eine Lieferung Grützwurst verirrt hat. Froh über die Beute wird das Ende der Bescheidenheit proklamiert und eine fette Suppe draus gekocht. Kein Gedanke aber daran, was mit den Suppenschluckern nach der fetten Fete werden soll. Ernst steht bleich, versteinert und im schmutzigen Mantel auf seinem Beinstumpf inmitten der Zuschauer. Der Wirt mit Totenkopf-Shirt lehnt feist an der Wand und liest in der Sensationspresse über einen Selbstmord aus Geldnot. Im Hintergrund sitzt Ernsts Frau mit dem Neugeborenen im Arm und wartet aufs Geld. Man könnte die Zeitungsmeldung als Echo aus der Realität auf Ernsts fiktive Krise verstehen. Viel wirkungsvoller als das, schneidet in dem Moment ein Schlager durch die Luft, den eine Dame im goldenen Abendkleid anträllert. Auf den Schlag bricht die Spiel-Ebene auf, und die blöde Sehnsuchtsliebesschnulze schillert wie ein bitterwitziger Kommentar zur Lage der Nation: "Es fährt ein Zug nach nirgendwo/ Und niemand stellt von grün auf rot das Licht". Mit diesen geschickt grotesken Song-Verschaltungen zwischen den Ernst-Szenen gelingen Schmieder subtile Momente. Dennoch gewinnt am Ende immer die Burleske. Die Frage "Hat der Kosmos einen Sinn?" wird sofort zerblödelt. Ernst soll nun mal draußen bleiben. Doris Meierhenrich Ernst 3.-7., 9.-11. August, 20.30 Uhr im Orphtheater, Ackerstr. 169, T.: 441 00 09 TAGESSPIEGEL: Ernst und die Hunde „Frohgemut nimm, was die Stunde schenkt, und – weg mit dem Ernste“, sagte Horaz. So lakonisch könnte die Zusammenfassung des Stückes Ernst von Igor Kroitzsch lauten: Ein einbeiniger Mann steht auf einem Tisch und blickt in die Ferne – es ist der personifizierte Ernst des Lebens. Ernst hat Frau und Kind, aber keine Arbeit. Also begibt er sich auf Jobsuche, die zu einer grotesken Odyssee mutiert. Vom Unternehmer misshandelt, von einer Hure verführt und von Organjägern ausgenommen, geht dieser Ernst – indem er einen alten Knochen klaut – buchstäblich vor die Hunde. Platter könnte der Plot nicht sein. Nicht schon wieder Sozialdrama, könnte man denken, wäre da nicht die skurrile, mitunter surreale Inszenierung von Uwe Schmieder. Die zwei Musiker des Vorprogramms „Ernste Hilfe“, Chanson-Einlagen von „Mit 17 hat man noch Träume“ bis „Es fährt ein Zug nach nirgendwo“, ein sprechender Hund an der Kette eines Sadisten oder die Gestaltung einer finalen Szene als Parodie der zeitgenössischen Oper – die meist originellen Einfälle machen die Mischung aus makabrem Kitsch und negativer Utopie kurzweilig, wenngleich es auch manchmal etwas zu klamaukig wird. Und die gestrige Open-Air- Uraufführung im Orphtheater (Ackerstraße 169/170, bis 1.9. täglich um 20.30Uhr) nimmt sich doch ein wenig zu ernst, wenn sie sich als politisches Theater ankündigt. Tobias Schwartz NEUES DEUTSCHLAND, 02.08.05: »Je t’aime«, dass der Hund aufheult Mit »ERNST« lässt sich über Finsteres spotten in der neuen Inszenierung des Orphtheaters von Almut Schröter Der Priester auf dem Dach ist besser als die Kollekte vor der Nase, wenn man nichts besitzt. Doch Ehrwürden (Matthias Horn) schenkt dem armen Mann nichts. Er lässt die Sammelbüchse an der Angel für ihn herunter. Ach, Ernst. Auch zum Hospital muss man aufsehen. Für sein politisches Open-Air-Theater nutzt Uwe Schmieder mit dem Bühnenbild von Andreas Gratze Dächer, Türen und Fenster im Hof des Orphtheaters. Als Schauspieler derzeit glänzend das subjektiv Böse mit Jago in »being Othello« im Hexenkessel-Hoftheater im Monbijoupark verkörpernd, widmet Schmieder sich im eigenen Hause zusammen mit NNU (Neuer Notwendiger Untergrund) als Regisseur dem gesellschaftlich Finsteren und brachte »ERNST« von Igor Kroitzsch mit 14 Akteuren zur Uraufführung. Sich auf Kroitzsch einzulassen, bedeutet Unbequemlichkeit. Der Dramatiker stellt nichts anheim, er stellt infrage. Die Realität erklärt er zum Kuriosum. Und man stellt fest, sie ist es längst. Dem Publikum misslingt also die ablenkende Flucht ins Theater. Lockeres Amüsement gibt’s woanders. Geht es dem armen, einbeinigen Mann (Matthias Hille) schlecht – seine von Wahrnehmungsstörungen gezeichnete Umwelt will das nicht wissen. Ihm, dem ein Kind verhungert, jammert nicht nur die Kirche, sondern auch ein Spekulant noch was vor. Aus Not seine Niere spendend, wird ihm von den Organvertreibern im Hospital erklärt, dass er froh sein müsste, dass man sie ihm aus dem Körper zerrt. Und wo soll ein Einbeiniger Arbeit finden? Der eine Stelle anbietende Gastwirt nimmt nicht mal eine Kellnerin, wenn sie ihm keine körperlichen Dienstleistungen garantiert. Sarkasmus triumphiert. Die Welt ist kalt und mies. Höchstens künstlerisch könnte man da noch was rausschlagen. Vielleicht eine zeitgenössische Elendsoper? Zum Kaleidoskop der schlechten Nachrichten – der Brutalo-Gastwirt (Dieter Kölsch) weidet sich an finsteren Zeitungsmeldungen – wird Trallala erzeugt. Grotesk wirkende Schlager trägt Ilka Willner herrlich vor – einen halben Ton daneben treffend. Sogar Gastwirtshund Gimpel (Simon Gläsner) applaudiert, und er heult mit, wenn »Je t’aime« gewispert wird. Gimpel, dem deutschen Hund, geht’s besser als dem Armen. Jedenfalls fast bis zum Schluss, wenn Ernst Wehrhaftigkeit und Trotz entdeckt. Ereignisreiche, leider in die Zeit passende 90 Minuten, in denen eine Böe auf die Minute passend mitspielte. Etwas Verve könnte das Spiel noch vertragen. Und auch wenn Zuschauer hier nicht verhätschelt werden sollen, ließen sich ihre Plätze günstiger anordnen. Selbstbezogenheit ist zwar Thema des Stücks, aber sicher nicht Schmieders Anliegen. Der wechselte bei der Aufführung oft den Standort, was hoffen lässt. Soweit zum Hof. Bei Regen wird Ernst im Saal verhöhnt: »Sei immer bescheiden, verlang nicht zu viel. Dann kommst du zwar langsam, aber sicher ans Ziel.« 3.-7., 9.-11., 17.-21., 23.-26., 28., 30.8.-1.9., 20.30 Uhr, Orphtheater, Ackerstraße 169, Mitte, Telefon 441 00 09, www.orphtheater.de taz Berlin, 3.8.2005: Man meint es ernst "Ernst" im Orphtheater dekliniert schwarzhumorig und nicht ganz geschmackssicher das Hartz-IV-Elend durch MARIA KRAUSCH Open-Air und Sommer, das klingt nach realitätsferner, leichter Theaterkost. Das Orphtheater macht trotz sommerlichem Draußenspiel lieber "Ernst". Der Name ist Programm, die Tragikkomödie hat bissige Momente zuhauf. Der traurige Titelheld Ernst muss sich mit Figuren herumschlagen,die ungeschlachte Karikaturen eines üblen Systems sind - des Hartz-VI-Kosmos. Ernsts Frau bekommt ein Kind, er hat keine Kohle und noch nicht mal ein zweites Bein. So muss Ernst sich auf den Weg machen, bietet und biedert sich an. Er verzichtet auf den Bankraub nur, weil er nicht schnell genug flüchten kann. Alle Bettelplätze sind auch schon belegt, also verhökert er seine Niere. Als Ernst einem Börsenspekulanten das Geschäft ruiniert, wird er aus Rache vergewaltigt. Schließlich erschlägt Ernst verzweifelt vor Hunger einen Hund. Der Berliner Autor Igor Kroitzsch schrieb das Hörspiel "Ernst" fürs Radio. In seiner Theaterinszenierung verlagert Uwe Schmieder den pessimistischen Ton des Textes ins Groteske. Das Elend der ständig scheiternden Hauptfigur wird persifliert, die Bemühungen eines mittellosen Bettlers überhöht Schmieder zu einem Spießrutenlauf, zur Parabel auf die vergebliche Jobsuche eines Hartz-IVEmpfängers. Das fiktive, aber doch sehr platte Unglück von Ernst bricht Schmieder mit einer hyperbrutalen Realität, die den Boden zu einem doppelten werden lässt: Ein Mann hat sich aus Geldnot in die Luft gesprengt, steht in der Zeitung. Dann stöckelt ein blondperücktes Schlagersternchen aufs Podest und schmachtet über Sehnsucht und Liebe ins Mikro, woraufhin ein Prediger im Takt von Punk rockt, zwei Krankenschwestern sich um den Stich in den Arm des Blutspenders prügeln und ein Gogo-Girl über den Sinn des Kosmos grübelt. Da überrascht es dann auch nicht mehr, dass die Kellnerin an der Realität des Arbeitsmarkts scheitert, muss sie doch eindeutig mehr können als nur kellnern. Die Comic-haften Figuren werden vom Regisseur einmal durch die Trashmühle gedreht - der Ernst der Sache kippt ins Burleske. Seine Inkarnation gleichen Namens durchhumpelt abgehackt seine Stationen, die grob gezeichnet und immer wieder arg derb daherkommen. Am Ende resümiert er: "Wir haben noch Hoffnung. Selbst wenn es noch ein bisschen schlechter wird als letzte Woche." "Ernst", Orphtheater im Schokoladen, Ackerstr. 169/170, 3. bis 7. 8. und 9. bis 11. 8.,20.30 Uhr