Zusammenfassung Während der Entwicklung gewinnen neuronale Dendriten an Länge, an Komplexität ihrer Verzweigungen und synaptischen Kontakten. Es hat sich gezeigt, dass nahezu alle Aspekte des Dendritenwachstums durch neuronale Aktivität gesteuert werden können. Statt wie bisher in vielen anderen Studien geschehen, haben wir die neuronale Aktivität nicht pharmakologisch moduliert, sondern bestimmte Glutamatrezeptoruntereinheiten überexprimiert oder durch Überexpression eines TARPs versucht, vermehrt endogene AMPA-Rezeptoren in die Zellmembran einzubringen. Unsere Studien entdeckten in organtypischen Schnittkulturen des frühen visuellen Cortex postnataler Ratten die weitestgehend unbekannte Rolle bestimmter Glutamatrezeptoruntereinheiten, sowie ihrer Spleiß- und Editierungsvarianten für das Dendritenwachstum. Unsere Hypothese besagte, dass diese Rezeptoren in die Zellmembran eingebaut und durch endogenes Glutamat aktiviert werden können, was schließlich zu struktureller Differenzierung führt. Eine endogene glutamaterge neurale Aktivität ist die Voraussetzung, damit diese Effekte eintreten können. Ähnlich in vivo, zeigten unsere Schnittkulturen nach fünf bis zehn Tagen in vitro erregende GABAerge Antworten und eine dauerhafte glutamaterge Erregung. Kalziumströme traten sowohl in Neuronen als auch in Gliazellen auf. Darüber hinaus traten zwischen fünf und zehn Tagen Kalziumwellen in unseren Schnittkulturen auf. Wir charakterisierten elf Glutamatrezeptor- und Kainatrezeptoruntereinheiten und bestätigten die zentrale Hypothese, dass die Untereinheiten, welche Kalziumtransienten möglich machen und jene, welche die Desensitisierungszeit der Kanäle verlängern, effizient das Dendritenwachstum beeinflussen. Zum Beispiel konnten wir zeigen, dass die GluR(2)R-flip-Untereinheit die Dendritenlänge von Pyramidenzellen erhöhte, im Gegensatz zur GluR(2)R-flop-Untereinheit. Zusätzlich war die GluR(2)R-flip-Variante effizienter als die GluR(2)R-flop-Variante bei der Induktion von Dendritenschäden. Darüber hinaus zeigten mit GluR(2)R-flip, aber nicht mit GluR(2)R-flop transfizierte Neurone verstärkte Kalziumsignale. Obwohl nicht kalziumpermeabel, reichten die biophysikalischen Eigenschaften, welche mit der GluR(2)R-flip-Variante gewonnen wurden aus, um das Dendritenwachstum zu steigern, da die flip- Variante eine stärkere 120 Depolarisierung und daher einen erhöhten Kalziumeinstrom bewirkt. GluR2-Untereinheiten waren nicht fähig, das Dendritenwachstum von Interneuronen zu fördern, welchen natürlicherweise GluR2 fehlt. Allerdings ließen sich AMPA-induzierte Dendritenschädigungen sehr schnell in mit GluR2 transfizierten Interneuronen erzeugen, was die funktionelle Überexpression belegt.. Im Gegensatz dazu konnten wir hier zeigen, dass die GluR1(Q)-flip-Untereinheit das Dendritenwachstum der inhibitorischen Interneuronen verstärkte, welche auch natürlicherweise GluR1 stark exprimierten. Die Pyramidenneurone, welche natürlicherweise wenig GluR1 exprimierten, waren hiervon nicht betroffen. Auch in diesem Fall wurde der dendritogene Effekt durch die flip-Variante vermittelt und nicht durch die Kalziumpermeabilität. Somit wurde die Existenz spezifischer Regulationen des Dendritenwachstums durch bestimmte GluR- Untereinheiten und in spezifischen Zellklassen gezeigt. Individuelle GluR-Untereinheiten hatten zudem einen starken Effekt auf das Dendritenwachstum in den supragranulären Schichten II/III (z.B. GluR3(Q)-flip), während die Neuronen der tieferen Schichten keine Veränderungen zeigten. Diese Erkenntnisse gehen einher mit Berichten über größere Anzahlen aktiver Synapsen und erregbarer apikaler Dendriten in den äußeren kortikalen Schichten. Die Kainatrezeptoren GluR6(Q) und GluR6(R) waren sehr effektive Induktoren von Dendritenschädigungen in den transfizierten Kulturen. Unerwarteterweise rief die editierte Form von GluR6, GluR6R, ein massives Dendritenwachstum neokortikaler Pyramidenneurone hervor. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte eine Kainatrezeptor-vermittelte Verstärkung der Netzwerkaktivität sein. Gamma-8 war das einzige TARP, welches das Dendritenwachstum der neokortikalen Pyramidenneurone erhöhte, so dass eine TARP-spezifische Regulation des Dendritenwachstums zu vermuten ist. Wir bestätigten die Lokalisierung der überexprimierten TARPs in der Plasmamembran durch immunhistochemische Methoden. Eine Agonisten-induzierte Dendritenschädigung zeigte eine erhöhte Dichte funktioneller AMPA-Rezeptoren in gamma-4 und gamma-8-transfizierten Neuronen. Das letztere Ergebnis war konform mit dem dendritogenen Effekt von gamma-8, welcher zum ersten Mal zeigte, dass TARPs eine Rolle in der Dendritogenese neokortikaler Neuronen spielen. 121 Zusammenfassend hat diese Studie die dendritogenen Effekte diverser Glutamatrezeptoruntereinheiten offen gelegt, welche zwischen den postnatalen Tagen fünf bis zehn im visuellen Kortex der Ratte abhängig sind vom Neuronentyp und vom ontogenetischen Alter des Neurons bzw. seiner Lage in bestimmten Schichten. In Bestätigung unseren Erwartungen schien der wichtigste Anstoß zum Dendritenwachstum die Depolarisierung durch flip-Varianten oder die Induktion von Netzwerkaktivität zu sein und eher weniger die Kalziumpermeabilität der Rezeptorkanäle. 122