Ergebnisprotokoll Arbeitskreis Dienstleistungen Projekt 2012/13: Zukunftsfähige Organisation und Finanzierung gesellschaftlich notwendiger Dienstleistungen Expertengespräch III: Soziale Innovationen als Prozess der Gestaltung Berlin, 27. Februar 2013 Ziel des Projektes 2012/2013 des Arbeitskreises Dienstleistungen ist es, Kriterien für ein systematisches Gestaltungsprogramm gesellschaftlich notwendiger Dienstleistungen mit dienstleistungspolitischen Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Mit Blick auf die Frage nach den Innovationsbeiträgen der gesellschaftlich notwendigen Dienstleistungsfelder widmete sich das dritte Expertengespräch den sozialen Innovationen als Prozess der Gestaltung. Thematisiert wurden hierbei insbesondere der Zusammenhang zwischen sozialen und technologischen Innovationen und ihr Einfluss auf die gesellschaftliche Leistungsfähigkeit. Das Expertengespräch wurde im ersten Teil fundiert durch einen Impulsvortrag von Prof. Dr. Josef Hochgerner, Zentrum für Soziale Innovationen (ZSI) zu der Frage, ob und wie soziale Innovationen im Bereich gesellschaftlich notwendiger Dienstleistungen zu Treibern technologischer Innovationen werden. Kommentierungen erfolgten durch PD Dr. Dieter Rehfeld, Institut Arbeit und Technik (IAT), PD Dr. Anne-Katrin Neyer, Fraunhofer MOEZ, Dr. Nadine Müller, ver.di und Klaus Barthel, MdB, Mitglied im Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Technologie. Im zweiten Teil des Expertengesprächs wurde am Beispiel des Dienstleistungsfeldes Handel erörtert, inwiefern technologische Innovationen soziale Innovationen hervorrufen. Der Impulsbeitrag von Christiane Auffermann, Fraunhofer IML wurde kommentiert durch Prof. Dr. Manfred Moldaschl, TU Chemnitz, Dr. Dorothea Voss, Hans-Böckler-Stiftung, Margret Mönig-Raane, ver.di und René Röspel, MdB, Mitglied im Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Wenngleich bislang keine allgemeingültige Definition von sozialen Innovationen vorliegt, lassen sich diese analytisch als „neue Praktiken zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen, die von betroffenen Personen, Gruppen und Organisationen angenommen und genutzt werden“, bezeichnen (ZSI 2012). Hierbei sind soziale Innovationen an das Vorherrschen einer spezifischen Innovationskultur gebunden, sind Teil des sozialen Wandels und entstehen somit stets im gesellschaftlichen Kontext. Der Rückblick auf die Ursprünge der Innovationsforschung zeigt, dass soziale Innovationen per se nichts Neues darstellen. So hat bereits Schumpeter in seiner „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ (1912) nicht nur technische, sondern auch organisationsbezogene Formen von Innovationen benannt, die sich durchaus auf den Dienstleistungsbereich übertragen lassen. Die Etablierung von sozialen Innovationen als eigenständigem Begriff hat sich beginnend in den 1970er Jahren vor dem Hintergrund des Endes des „goldenen Zeitalters des Kapitalismus“, aber vor allem in den letzten Jahren durchgesetzt. Ursächlich hierfür ist die Erkenntnis, dass mit dem vorherrschenden auf die industriell-technologischen Innovationen fokussierten Innovationsverständnis sich die aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme nicht mehr adäquat lösen lassen. Dies lässt sich am Bei1 spiel der Elektromobilität verdeutlichen, bei der sich die Grenzen der Umsetzung technischer Innovationen zeigen, wenn sich nicht auch das Mobilitätsverhalten der Gesellschaft verändert. Gleichzeitig zeigt sich an diesem Beispiel, dass soziale und technologische Innovationen einen rekursiven Prozess darstellen, so dass es anstelle einer zweigeteilten Betrachtung vielmehr eines integrierten Innovationsverständnisses bedarf, welches sich auch in den entsprechenden Förderprogrammen widerspiegeln sollte. Soziale Innovationen lassen sich nicht oder nur unzureichend mit den Kriterien technischer Innovationen messen, sondern es müssen auch neue Merkmale (wie beispielsweise die Nachhaltigkeit) zur Bewertung sozialer Innovationen angelegt werden. Eine besondere Rolle kommt hierbei der Integration und damit Legitimation von wichtigen gesellschaftlichen Gruppen bzw. Betroffenen zuteil. Wenngleich bereits erste Ansätze und Instrumente zur Involvierung von Stakeholdern existieren (zu nennen ist hier beispielsweise das Prinzip des mindful map), bedarf es noch weiterer Methodenentwicklung und der verstärkten Nutzung der vorhandenen Instrumente, um Bürgerinnen und Bürger in die Entwicklung und Entstehung sozialer Innovationen einzubeziehen. Der Begriff der sozialen Innovationen ist durchaus mehrdeutig. Er kann sich auf eine bestimmte, neutrale Perspektive auf das Innovationsgeschehen beziehen, es gibt aber auch unterschiedliche normative Verständnisweisen. Dabei ist immer auch danach zu fragen, wem eine soziale Innovation zugutekommt, denn ihre Auswirkungen sind nicht per se immer „gut“ für alle, vielmehr sind soziale Innovationen oftmals mit Innovationsgewinnern und -verlierern gleichermaßen verbunden. Da sich die gesellschaftlichen und sozialen Vorteile von sozialen Innovationen nicht „objektiv“ festlegen lassen, bedarf es an dieser Stelle der politisch-diskursiven Verständigung über zu priorisierende Bereiche gesellschaftlich notwendiger Dienstleistungen. In diesem Zusammenhang gilt es auch die Entwicklung von Konzepten für mögliche Innovationsverlierer mitzudenken. Die Stärkung der politischen Rolle für soziale Innovationen ist auch insofern von Bedeutung, als dass bereits (private) Akteure mit großem Interesse an Investitionen in Infrastrukturleistungen beispielsweise im Bereich Bildung, Gesundheit oder Mobilität bereitstehen und es diesen Prozess zu begleiten und gestalten gilt, da diese Akteure in der Regel bestimmte eigene Interessen verfolgen, die nicht automatisch mit dem Interesse am Gemeinwohl im Einklang stehen. Zudem müssen verstärkt Experimentierspielräume für soziale Innovationen zur Verfügung stehen bzw. gestellt werden, da soziale Innovationen als abweichende Verhaltensweisen mit dem Ziel der Veränderung zu verstehen sind. Am Beispiel des Dienstleistungsfeldes Handel zeigt sich, dass technische Innovationen bislang noch nicht immer soziale Innovationen nach sich ziehen bzw. die soziale Dimension nicht immer angemessen berücksichtigt wird. So hatten in den vergangenen Jahren der Einzug der Informationstechnologien wie auch neuer Technologietrends unter dem Stichwort Intelligenz (z. B. „Internet der Dinge“) großen Einfluss – sowohl auf die Handelslogistik als auch auf die Entwicklung der Handelsfilialen. Gleichzeitig finden sich nur wenige soziale Innovationen zur bedarfsgerechten Erfüllung der Dienstleistungen im Handel, beispielsweise mit Blick auf die Arbeitsbedingungen oder die Gestaltung der Kundenschnittstelle. In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass die in Deutschland vorherrschende Low-road der Dienstleistungspolitik mit der Verortung im Niedriglohnsektor eine (soziale) Innovationsbremse darstellt. Es ist die Frage zu stellen, wie diese Entwicklung zu überwinden ist und es wie es gelingen kann, dass zukünftig zumindest Teile der Rationalisierungs- und Technologiegewinne der Unternehmen auch für soziale Innovationen und bessere Arbeitsbedingungen genutzt werden. Von zentraler Bedeutung wird es dabei sein, diese Aspekte auch hinreichend in der For2 schungs(förderungs)politik zu verankern. Dies beinhaltet auch insgesamt eine Aufwertung und einen Ausbau der Dienstleistungs- und Arbeitsforschung. Ergebnissicherung durch Sandra Dörpinghaus, Institut Arbeit und Technik (IAT) 3