Welche Rolle spielt der religiöse Glaube für das gesellschaftliche Leben? Das Verhältnis von Recht, Religion und Staat – Interreligiöses Symposium des ZIS zur Bedeutung der Religionen von Claudia Huber und Roman Seidel „Kann das Recht als gesellschaftliche Institution Integrationsinstanz einer Pluralität von Religionen sein?“ - diese Frage sowie das „Verhältnis von Christentum und Islam zur säkularen (Rechts-) Kultur“ standen im Mittelpunkt des vom Zentrum für Interreligiöse Studien veranstalteten Symposiums. Die Veranstaltung wurde in Kooperation mit dem Graduiertenkolleg „Anthropologische Grundlagen und Entwicklungen im Christentum und Islam“ der Universität Bamberg und dem „Centre for Intercultural Ethics“ in Tilburg in den Niederlanden organisiert. "Muslims and modernity" Den Auftakt der Tagung machte Herman Beck (Tilburg) mit dem Vortrag „Muslims and modernity“ – ausgehend von den öffentlichen Reaktionen auf die Ermordung des Filmemachers Theo van Gogh, nach der nicht nur in den Niederlanden das Postulat der Unvereinbarkeit von Islam und Moderne vermehrt propagiert wurde. Hinsichtlich des Islamverständnisses teilte Beck die von Experten der muslimischen Welt allgemein anerkannte, in der westlichen Welt aber nach wie vor verdrängten Erkenntnis, dass der Islam kein monolithischer Block sei, sondern sich je nach historischen und gesellschaftlichen Umfeld in einer Vielzahl von Erscheinungsformen zeige – ein Phänomen, dass zu Zeiten der Globalisierung noch viel deutlicher zu Tage trete. Das Konzept der Moderne wiederum sei im Kontext der Religion stets mit der Freiheit der kritischen Hinterfragung des Glaubens verbunden. Der "Kopftuchstreit" in bayerischen Klassenzimmern als zentrales Thema des Interreligiösen Symposiums (Bild: Wikipedia) Die Teilnehmer im Gespräch (Bild: Huber) Der EU-Verfassungsentwurf und die islamische Rechtstheorie – Ist ein Vergleich möglich? Prof. Dr. Osman Tastan (Ankara) ging in seinem Vortrag auf die Vergleichbarkeit von Grundrechten in dem europäischen Verfassungsentwurf und in der islamischen Rechtstheorie ein. Der Ansatz gestalte sich insofern schwierig, als die europäischen Länder nach dem zweiten Weltkrieg eine ganz andere geschichtliche Entwicklung durchlaufen haben als die Türkei und die Rechtstraditionen sehr unterschielich sind. Dennoch lassen sich auch Ähnlichkeiten bei den Grundrechten feststellen. Tastan drückte seine Hoffnung aus, dass die vorhandenen Kooperationsmöglichkeiten konstruktiv genutzt werden, „for further harmony and social peace with an enhanced degree of human rights and liberties in a changing world“. Menschenwürde im Christentum und im Islam – Wie wird sie begründet? Der zweite Tag des Symposiums startete mit dem Expertenseminar über die philosophischen und theologischen Argumentationsweisen, die in Christentum und Islam zur Begründung der Menschenwürde vorgebracht werden. Prof. Dr. Donald Loose aus Tilburg erläuterte im Anschluss an Kant die Bedeutung des Rechts als Institution der Vermittlung zwischen Gerechtigkeit und gutem Leben. A-priorische Grundlage des Rechts ist die Menschenwürde: sie normiert das Recht, kann aber nie dessen unmittelbarer Gegenstand sein. Insofern können konkrete rechtliche Auseinandersetzung – sei es die Kopftuchdebatte – auch nie allein im Rekurs auf die Menschenwürde geklärt werden. Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins erläuterte anhand eines modernen Grundlagentextes zur theologischen Anthropologie die Haltung der katholischen Kirche hinsichtlich des Konzepts der Menschenwürde. Gemäß dieses Textes sei „der herausragende Grund für Menschenwürde die Berufung des Menschen zur Gemeinschaft mit Gott“. Zugleich bot das Textbeispiel (aus der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils) ein Beispiel für das ambivalente Verhältnis der kirchlichen Lehre zum modernen Freiheitsdenken. Der Frage, wie im Vergleich zum Christentum die Menschenwürde im Islam begründet wird, ging Prof. Dr. Rotraud Wielandt nach. Das Konzept des Korans, das eine Brücke zum christlichen Konzept der Menschenwürde schlage, sei das der „Gottes-Stellvertreterschaft des Menschen“. Bestimmte Merkmale, u.a. die Fähigkeit zur Sprache, würden als Grund dafür erachtet, dass dem Träger dieser Eigenschaften Menschenwürde zugesprochen wird. Die Durchführung der Sharia stelle für gemäßigte Islamisten keine Voraussetzung für die Zuerkennung von Menschenwürde dar. Der „Kopftuchstreit“ in bayerischen Klassenzimmern Mit einem „Streit, der die Gemüter im Volk bewegt“ setzte sich Prof. Dr. Ute Sacksofsky, Juristin aus Frankfurt am Main, auseinander: Die Debatte um ein mögliches Kopftuchverbot für Lehrerinnen. Sie habe „noch nie so viele und so emotionale Zuschriften erhalten wie zu diesem Thema“, berichtete Sacksofsky. Gerne würde angeführt, dass wenn schon das Kruzifix aus den bayerischen Klassenzimmern „verbannt“ wird, das Gleiche doch wohl auch für das Kopftuch einer Lehrerin als Glaubenssymbol gelten müsse. Sacksofsky sieht diese Vergleichbarkeit allerdings nicht gegeben: Ein im Schulalltag allgegenwärtiges Kruzifix suggeriere, dass die symbolisierte Religion verbreitet und als normal anzusehen sei. Dagegen werde der Anblick einer kopftuchtragenden Lehrerin wohl kaum von den Kindern als religiöser Standard in Deutschland interpretiert. Auch mit dem Argument, das Kopftuch habe vorrangig eine politische Aussagekraft, setzte Sacksofsky sich kritisch auseinander, wobei sie darauf hinwies, dass man rein rechtlich zunächst immer „die am wenigsten gefährliche Deutung“ eines Symbols zugrunde legen müsse, von Grenzfällen abgesehen. Davon unabhängig „grenzt es schon ans Absurde“, dass man islamische Lehrer in der Debatte um mögliche fundamentalistische Strömungen überhaupt nicht beachte, sondern ausschließlich Frauen aus dem Schuldienst ausschließen wolle. Eine Symposiumsteilnehmerin regte in der anschließenden Diskussion an, dass im Schulunterricht mehr über den Islam aufgeklärt werden sollte. Dies könne die Basis für eine kooperative Lösung solcher und ähnlicher Debatten schaffen, indem Angst vor der bis dahin unbekannten Kultur abgebaut wird. Der EU-Verfassungsentwurf und das „Ringen um den Gottesbezug“ Die Auseinandersetzung um die Rolle der Religion im säkularen Gemeinwesen bildetet auch den Hintergrund des Vortrags von Bischof em. Dr. Josef Homeyer zum Ringen um den Gottesbezug im Entwurf zu einem Europäischen Verfassungsvertrag: Der Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union erläuterte die Entwicklungsschritte und Kommunikationsbarrieren der Erarbeitung des Entwurf zum EUVerfassungsvertrag, an deren Ende die Präambel ohne den Bezug auf einen christlichen Gott formuliert worden war. Die Debatte sei allerdings noch nicht beendet. Homeyer fordert den Gottesbezug im EUVerfassungsentwurf, denn dieser könne als „Bürgschaft gegen den Totalitarismus“, zugleich als identitätsstiftender Aufruf der Vergangenheit und als Anrufung einer anderen, unter dem Vorzeichen einer universellen Solidarität zu gestaltenden Zukunft angesehen werden. Prof. Dr. Jean-Paul Willaime von der EPHE-Sorbonne bezeichnete in seinem Diskussionsimpuls den EUVerfassungstext als Ergebnis eines Kompromisses. Er betonte, dass das französische Konzept der Laizité sich nicht gegen Religion richte, sondern jeder Weltanschauung Platz in der Gesellschaft einräume. Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm aus Bamberg plädierte für den polnischen Vorschlag für den EU-Verfassungstext, in dem zusätzlich „universelle Werte aus anderen Kulturen“ genannt werden. Dadurch werde eine verabsolutierende Form des Gottesbezuges vermieden. Zum Abschluss des Symposiums sprach Prof. Heimbach-Steins allen Teilnehmern ihren Dank aus. Sie freute sich, dass die erarbeiteten Aspekte eine Grundlage für die Bearbeitung zentraler Fragen zur Rolle der Religionen im europäischen Prozess bieten. In Tilburg wird Anfang September die Tagung mit dem Rahmenthema „Die Rolle der Religion in Recht und politischer Ordnung heute“ fortgesetzt. Quelle: Uni Bamberg News Nr. 554 vom 19.07.05 http://www.uni-bamberg.de/cgi-bin/cgiwrap/ba4sl1/news.php?id=554