Dynamik starrer Körper Bewegungen starrer Körper können in Translation und Rotation zerlegt werden. Die Rotation stellt einen inneren Freiheitsgrad des Körpers dar, der bei Punktmassen nicht existiert. Der Schwerpunkt ist ein ausgezeichneter Punkt des Körpers, für dessen Bewegung bestimmte Zusammenhänge der Punktmechanik gelten. Versuch: Bewegung auf Luftkissentisch 152 Rotation um eine fest eingespannte Achse Zur Beschreibung einer Rotation definieren wir dϕ , so dass: dr = dϕ × r Achse Die Richtung von dϕ ist die Richtung der Achse mit rechtshändigem Drehsinn. dϕ r dϕ dr Der Betrag von dϕ ist der Winkel um den gedreht wurde. Einheit von ϕ : rad (eigentlich keine Einheit) Eine volle Umdrehung hat den Betrag 2π. 153 Kreuzprodukt (Vektorprodukt) In kartesischen Koordinaten: a ×b a y bz − a z by a × b = a z bx − a x bz a b − a b y x x y b α a Richtung von a × b steht senkrecht auf a und b Betrag: a × b = a ⋅ b ⋅ sin α 154 Kreuzprodukt bei Drehungen dr Beispiel 2 Beispiel 1 Achse z y dϕ r y Achse z dr dϕ r x x Die schraffierte Ebene liegt in beiden Bildern in der xz-Ebene. dr steht jeweils senkrecht auf der schraffierten Ebene und zeigt in y-Richtung. Ebenso wie dr bei der linearen Verschiebung, erzeugt dϕ bei einer Drehung um die Achse eine Verschiebung des Punktes r um dr 155 Winkelgeschwindigkeit dϕ ω= dt ω hat die Richtung der Drehachse ebenso wie dϕ Der Betrag gibt die „Drehgeschwindigkeit“ an. Einheit: rad/s (oder besser 1/s) Bei konstantem 2π ω= T ω gilt: T: Zeit für eine Umdrehung Wenn die Achse durch den Ursprung des Koordinatensystems geht, ist die momentane Geschwindigkeit eines Punktes: dr dϕ v= = ×r =ω ×r dt dt 156 Energie eines rotierenden Körpers Die kinetische Energie des Körpers berechnet sich als Summe seiner einzelnen Massepunkte Ekin 1 2 = ∑ mi vi 2 i Die Geschwindigkeit schreiben wir als Geschwindigkeit des Schwerpunktes plus Rotation um den Schwerpunkt ( ri : Ort bzgl. Schwerpunkt) Ekin 2 = ∑ mi (vS + ω × ri ) 1 2 i 2 2 = ∑ mi ( vS + 2vS ⋅ ω × ri + ω × ri ) 1 2 i 2 = M vS + ∑ mi (2vS ⋅ ω × ri + ω × ri ) 1 2 2 1 2 i 156b Achse Für den letzten Term gilt: ω × r = ω r sin a = ω R ω α Es folgt: Ekin R = r sin α m r 1 = M vS + ∑ mi vS ⋅ ω × ri + 2 ∑ miω 2 Ri2 2 1 2 i i Weil r auf den Schwerpunkt bezogen ist, gilt: × = × r m r m ω ω ∑ i i ∑ i i =0 i damit folgt i Ekin = M vS + 12 ∑ miω 2 Ri2 2 1 2 i Die Bewegungsenergie des Körpers ist daher die Summe aus der kinetischen Energie einer entsprechenden Punktmasse im Schwerpunkt und der Rotationsenergie. ERot = 1 2 2 2 m ω ∑ i Ri i 157 Trägheitsmoment Die Rotationsenergie kann geschrieben werden als ERot 1 2 2 = ∑ mi Ri ω 2 i Wobei der Ausdruck in Klammern nur von der Geometrie des Körpers abhängt. Wir definieren daher das Trägheitsmoment J = ∑ mi Ri 2 i und schreiben die Rotationsenergie als ERot = 12 Jω 2 Die gesamte Bewegungsenergie des Körpers ist dann gegeben als Ekin = M vS + 12 Jω 2 1 2 2 157b Massenelemente, die weiter von der Achse entfernt sind, tragen mehr Energie als achsnahe Massepunkte, da ihre Geschwindigkeit größer ist. Versuch: 1 2 J = ∑ mi Ri J 1ω1 = m g h 2 1 2 J 2 ω2 = m g h 2 2 i m m 158 Integrale Schreibweise: beim Grenzübergang dm → 0 wird aus der Summe ein Volumenintegral: J = ∫ ρ R 2 dV R: Abstand von der Achse V Hierbei ist ρ die Dichte = Masse / Volumen ρ= m V dV Beispiel: Zylinder R J = ∫ ρ R 2 2π R h dR V dV = 2π ρ h Rmax ∫ R 3 dR 0 4 2 = 12 π ρ h Rmax = 12 MRmax Gesamtmasse: 2 M = ρ π Rmax h 159 Beispiele für Trägheitsmomente: Zylinder, Scheibe Hohlzylinder J = 12 M R 2 J = M ( Ra + Ri ) 1 2 2 Kugel 2 J = 25 M R 2 Stab - Achse am Ende Stab - Achse in der Mitte Hantel J = 13 M L2 J = 121 M L2 J = 14 M L2 M: Gesamtmasse, R: Radius, L: Länge 160 Steinerscher Satz: Ist das Trägheitsmoment bezüglich einer Achse durch den Schwerpunkt bekannt, ergibt sich für eine andere dazu parallele Achse: J = ∑ mi Ri 2 andere Achse i ' 2 = ∑ mi a + Ri i ' = ∑ mi (a + 2 a ⋅ Ri + Ri'2 ) 2 a Ri ' Ri Achse durch Schwerpunkt i ' = ∑ mi R + 2a ∑ mi Ri + a 2 ∑ mi i i i =0 '2 i Das Trägheitsmoment bezüglich der neuen Achse: J = J S + M a2 a : Abstand der Achse vom Schwerpunkt 161 Drehimpuls und Drehmoment: Für eine Punktmasse multiplizieren Newtons Aktionsprinzip von links über das Kreuzprodukt mit dem Vektor r mr × a = r × F Dann ist dies die zeitliche Ableitung der Gleichung mr × v = r × p denn mr × v + mr × v = r × p + r × p ⇒ r × mv + mr × v = r × p + r × p ⇒ mr × v = r × p ⇒ mr × a = r × F 162 Wir nennen den Term aus der zweiten Gleichung Drehimpuls und definieren: L=r×p Den Term aus der ersten Gleichung nennen wir Drehmoment und definieren M = r ×F Achse M Es folgt unmittelbar dL M= dt r F 163 Wir übertragen die Definitionen nun auf einen ausgedehnten starren Körper. Wenn die Bewegung der Massenelemente als gemeinsame Rotation um eine feste Achse ω erfolgt . Daher gilt vi = ω × ri und somit 2 L = ∑ mi ri × vi = ∑ mi ri × (ω × ri ) = ∑ mi ri ω − (ri ⋅ ω ) ⋅ ri i i i Für einen Körper, der symmetrisch um die Rotationsachse ist, folgt L = Jω Hier ohne Beweis. Für unsymmetrische Körper ergibt sich der Trägheitstensor (siehe hinten). Das Drehmoment auf einen Körper ist gegeben durch M = ∑ ri × Fi i Die Kräfte müssen nicht notwendigerweise auf jedes Massenelement wirken Es können Volumen oder Oberflächenkräfte sein. 164 Aus dL M= dt folgt dω d J ω M =J + dt dt Bei fester Achsrichtung in einem starren, rotationssymmetrischen Körper ist das Trägheitsmoment nicht zeitabhängig. M = Jω Die Gleichung ist analog zu Newtons Aktionsprinzip Translation Rotation F = mv M = J ω 165 Drehimpulserhaltung Der Drehimpuls wird für jedes abgeschlossene System von Massepunkten erhalten dL = ∑ ri × Fi dt i Wenn es nur innere Kräfte zwischen den Teilchen i und j gibt, dann gilt dL = ∑ ri × Fij dt i ≠ j Wegen des Newtonschen Reaktionsprinzips heben sich die Terme paarweise auf und es gilt dL =0 dt Somit beleibt der Gesamtdrehimpuls des Systems erhalten. 166 Körper dessen Form sich ändert Wenn J kleiner wird, muss ω größer werden. dL dω d J =J + ω =0 dt dt dt ⇒ J v ωv = J n ωn ⇒ ωn = Jv ωv Jn Energiebetrachtung: Ev = 12 J v ω v ⇒ En = J n ω n 1 2 ⇒ En = , En = 12 J n ω n 2 2 Jv = J n ω v Jn 2 2 1 2 Jv Ev Jn Verrichtete Arbeit bei der Armbewegung: R2 R2 R1 R1 W = ∫ F dR = − ∫ mω 2 R dR 167 Gleichgewicht: Wenn die Summe aller Drehmomente in Achsrichtung gleich null ist, tritt keine Drehbeschleunigung auf. Körper bleibt im Gleichgewicht. ∑ M i = ∑ ri × Fi = 0 i i Hebel: r1 × F1 = − r2 × F2 r1 F1 = r2 F2 r1 F3 F2 r2 F1 r1 r2 F2 F1 Übersetzung: F1 F2 168 Versuch: Drehmomente durch Gewichtskraft Gleichgewicht, wenn M = 0. Gleichgewicht immer dann, wenn Schwerpunkt über/unter Achse liegt. Stabiles Gleichgewicht: Schwerpunkt unter Achse Bei Auslenkung Drehmoment in Richtung zur Gleichgewichtslage. Labiles Gleichgewicht: Schwerpunkt über Achse Bei Auslenkung Drehmoment weg von der Gleichgewichtslage. 169 Stabiles Gleichgewicht r1 r2 r F1 r1 F2 F M = r1 × F1 + r2 × F2 = r ×F =0 r r2 F M = r ×F ≠0 r1 r2 r F M = r ×F ≠0 170 Drehimpulserhaltung und Impulserhaltung eines einzelnen Körpers Impuls des Körpers wird erhalten: p = m v = const. Drehimpuls des Körpers wird erhalten: L = m r × v = const. v m α R r Achse L = m r v sin α = m R v v Drehimpuls des Körpers wird erhalten: L = m r × v = const. Impuls des Körpers wird nicht erhalten, r Achse da eine radiale Zwangskraft wirkt. 171 Impuls und Drehimpuls Der Drehimpuls eines abgeschlossenen Systems wird immer bezüglich jeder Achse erhalten. Wirken auf einen einzelnen Körper nur Radialkräfte, dann ändern diese seien Drehimpuls nicht. Der Drehimpuls des einzelnen Körpers bleibt erhalten. (Radialkräfte nimmt die Achse auf.) Beim Impulserhaltungssatz werden alle Kräfte auf einen Körper berücksichtigt. Der Impuls eines Körpers wird nur erhalten, wenn er kräftefrei ist. Der Drehimpuls eine einzelnen Körpers kann bezüglich einer bestimmten Achse erhalten sein, bezüglich einer anderen aber nicht (Radialkräfte sind jetzt keine Radialkräfte mehr). Der Impuls hat eine andere Richtung als der Drehimpuls 171b Rotation um freie Achsen Achse nicht gelagert oder in einem Punkt gelagert (Kreisel) Das Drehmoment bewirkt eine Änderung der Richtung von ω Das Trägheitsmoment Achse M ω eines Körpers hängt von der Richtung der Achse ab. r F Also ändert sich auch das Trägheitsmoment. Die Richtungsabhängigkeit des Trägheitsmomentes wird mit einem Tensor (Matrix) beschrieben. 171c Trägheitstensor Im allgemeinen Fall ist der Drehimpuls nicht parallel zur Drehachse. Man kann zeigen: Achse ~ L=Jω J xx ~ J = J yx J zx J xy J yy J zy L2 J xz J yz J zz m2 ω m1 L1 L = ∑ mi ri × vi i Lx = J xxω x + J xyω y + J xzω z Ly = J yxω x + J yyω y + J yzω z Lz = J zxω x + J zyω y + J zzω z 172 Trägheitsellipsoid Trägt man 1 J für jede mögliche Achse durch den Schwerpunkt auf, erhält man einen Ellipsoid. „Football“ (polate Form) oblate Form Der Ellipsoid hat drei Hauptachsen (die senkrecht zueinander stehen). Die Trägheitsmomente in diesen Richtungen nennt man „Hauptträgheitsmomente“. 173 Mit einem kartesischen Koordinatensystem entlang der Hauptachsen ist der Trägheitstensor diagonal: Ja ~ J= 0 0 0 Jb 0 0 0 J c Ja, Jb und Jc sind die Hauptträgheitsmomente. oblater Trägheitsellipsoid polater Trägheitsellipsoid (größtes J bzgl. senkrechter Achse) (kleinstes J bzgl. senkrechter Achse) 174 Freie Achsen Achse Die eingezeichnete Drehachse kann nur durch Kräfte auf die Achse beibehalten werden, denn dL ≠0 dt m1 ω L Nach Freigabe der Achse erfolgt die Drehung um die Richtung von L dL =0 dt Kräfte wirken nur noch entlang der Stange (innere Radialkräfte). m2 kräftefreie Achse L m1 ω Auf die Achse wirkt kein Drehmoment. Solche Achsen bezeichnet man als „freie Achsen“ m2 175 Freie Achsen Achsen in Richtung der Hauptachsen des Trägheitsellipsoids sind freie Achsen. Der Vektor ω hat nur eine Komponente, z.B. ω = (0,0, ω c ) damit folgt La J a L = 0 b Lc 0 0 Jb 0 0 0 0 ⋅ 0 J c ω c also L = (0,0, J cω c ) und damit ω || L . Also ist die Achse kräftefrei. 176 Stabilität freier Achsen Rotationen um die Achse mit dem größten und mit dem kleinsten Trägheitsmoment sind stabil. Rotation um die Achse mit dem mittleren Trägheitsmoment ist nicht stabil. (kleine Störungen führen zum torkeln). Versuch: 177