WS 05/06 mod 301 3. Logik 3.1 Aussagenlogik Kalkül zum logischen Schließen. Grundlagen: Aristoteles 384 - 322 v. Chr. Aussagen: Sätze, die prinzipiell als wahr oder falsch angesehen werden können. z. B.: „Es regnet.“, „Die Straße ist nass.“ aber „Dieser Satz ist falsch.“ ist in sich widersprüchlich, ist keine Aussage. Junktoren verknüpfen Aussagen: „Es regnet nicht, oder die Straße ist nass.“ Aussagenlogische Formeln als Sätze einer formalen Sprache: z. B. regen → straßeNass ↔ ¬ regen ∨ straßeNass Belegung der Aussagen mit Wahrheitswerten: © 2005 bei Prof. Dr. Uwe Kastens überarbeitet 2005 Prof. dr. Wilfried Hauenschild Interpretation der Formel liefert Wahrheitswert: f w w w w w w Formales Schließen im Gegensatz zur empirischen Beurteilung, z. B. ob „die Straße nass ist.“ Aus „Wenn es regnet, ist die Straße nass.“ und „Es regnet.“ folgt „Die Straße ist nass.“ Aussagen in der Spezifikation, in der Modellierung von Aufgaben WS 05/06 mod 302 Vorschau auf Begriffe • Aussagenlogische Formeln definiert durch Signatur der boolschen Algebra • Belegung von Variablen mit Wahrheitswerten • Interpretation aussagenlogischer Formeln • Gesetze der boolschen Algebra zur Umformung von Formeln • erfüllbare und allgemeingültige Formeln © 2005 bei Prof. Dr. Uwe Kastens • logischer Schluss: Folgerung aus einigen Annahmen WS 05/06 mod 303 Beispiel: Aussagenlogik in der Spezifikation Unfall durch fehlerhafte Spezifikation: Airbus A320, Warschau (1993). Der zuständige Rechner blockiert bei der Landung die Aktivierung von Schubumkehr und Störklappen, wodurch das Flugzeug über das Landebahnende hinausschießt. Es herrschen starker Wind von schräg hinten und Aquaplaning auf der Landebahn. Beabsichtigte Spezifikation der Störklappenfreigabe: Tatsächliche Spezifikation der Störklappenfreigabe: Störklappen freigeben Die Störklappen dürfen benutzt werden • im Reise- und Sinkflug © 2005 bei Prof. Dr. Uwe Kastens (Bremswirkung) • nach der Landung (Vernichtung des Auftriebes und Bremswirkung) Sie dürfen nicht benutzt werden oder Stellung der Landeklappen < 35° Räder schneller als 133 km/h (72 kt) und und Höhe < 3m • im Endanflug (gefährlicher Auftriebsverlust) Gewicht auf linkem Fahrwerk > x Gewicht auf rechtem Fahrwerk >x WS 05/06 mod 304 Aussagenlogische Formeln Aussagenlogische Formeln sind korrekte Terme mit Variablen zur Signatur der boolschen Algebra in der Regel ohne die Konstanten true und false: false: true: -> Bool -> Bool falsch wahr ∧: Bool x Bool ∨: Bool x Bool -> Bool -> Bool Konjunktion Disjunktion ¬: -> Bool Negation Bool Abgekürzte Schreibweise: →: Bool x Bool -> Bool Implikation A → B für ¬ A ∨ B ↔: Bool x Bool -> Bool Äquivalenz A ↔ B für (A → B) ∧ (A → B) © 2005 bei Prof. Dr. Uwe Kastens überarbeitet 2004 Prof. Dr. W. Hauenschild Operatoren (Junktoren) in fallender Präzedenz: ¬ ∧ ∨ → ↔ (Klammern sind aber erlaubt) Variable sind atomare Aussagen oder einfach Atome, die übrigen Formeln sind zusammengesetzt. Für Atome schreiben wir meist große lateinische Buchstaben: A, B, ... für allgemeine Formeln kleine griechische Buchstaben: α, β, γ, ... . Die Definition der Struktur der Formeln heißt Syntax der Aussagenlogik. WS 05/06 mod 305 Interpretation aussagenlogischer Formeln Eine passende Belegung ordnet allen Variablen, die in einer Menge von Formeln F vorkommen, jeweils einen Wahrheitswert w oder f für wahr oder falsch zu. Die Belegung kann als Substitution angegeben werden, z.B. σ = [ A/w, B/f]. Eine Interpretation ℑσ einer aussagenlogischen Formel α bildet α auf einen Wahrheitswert ab: • Für Variable ist die Interpretation ℑσ durch die Belegung σ definiert. • Man kann die Konstanten als Abkürzung auffassen: false für A ∧ ¬A, sowie true für A ∨ ¬A. • Für zusammengesetzte Formeln wird sie durch folgende Wahrheitstafeln erweitert: ℑ(false) = f © 2005 bei Prof. Dr. Uwe Kastens überarbeitet 2005 Prof. Dr. Wilfried Hauenschild ℑ(true) = w ℑ(α) w f ℑ(¬α) f w ℑ(α) ℑ(β) w w f f w f w f ℑ(α ∧ β) ℑ(α ∨ β) w f f f w w w f ℑ(α → β) ℑ(α ↔ β) w f w w Eine Interpretation ℑσ mit einer Belegung σ für eine Formel α bestimmt einen Wahrheitswert der Formel α: ℑσ(α) Wenn ℑσ(α) = w gilt, heißt ℑσ auch ein Modell der Formel α. w f f w WS 05/06 mod 306 Vorsicht beim Formalisieren umgangssprachlicher Aussagen Vorsicht bei Implikationen; mit Belegungen prüfen, was gemeint ist: 1. Wenn es regnet, benutze ich den Schirm. regnet → Schirm 2. Ich benutze den Schirm, wenn es regnet. regnet → Schirm 3. Ich benutze den Schirm, nur wenn es regnet. Schirm → regnet Wann kann „Oder“ durch das nicht-ausschließende ∨ ausgedrückt werden: mark ∨ zwei50er 4. Hast Du ein Markstück oder zwei Fünfziger? 5. Morgen fahre ich mit dem Zug oder mit dem Auto nach Berlin. 6. x ist kleiner y oder x ist gleich y. 7. Der Händler gibt Rabatt oder ein kostenloses Autoradio. zug ∨ auto? x<y ∨ x=y? rabatt ∨ radio? © 2005 bei Prof. Dr. Uwe Kastens überarbeitet 2005 Prof. Dr. Wilfried Hauenschild 8. Aussagen sind häufig kontext-abhängig: 9. Weil ich die SWE-Klausur nicht bestanden habe, nehme ich am zweiten Termin teil. ¬ swe-k ∧ swe-k2 10. Weil ich die Modellierungs-Klausur bestanden habe, nehme ich am zweiten Termin nicht teil. mod-k ∧ ¬ mod-k2 Klammern sind meist nur aus dem Kontext erkennbar: 11. Sie wollten nicht verlieren oder unentschieden spielen. ¬ (verlieren ∨ unentschieden) WS 05/06 mod 307 Erfüllbarkeit von Formeln Eine Formel α heißt erfüllbar, wenn es eine Interpretation ℑσ mit einer Belegung σ gibt, so dass gilt ℑσ (α) = w, sonst ist sie widerspruchsvoll, z. B. A ∧ B ist erfüllbar; A ∧ ¬A ist widerspruchsvoll. Eine Formel α heißt allgemeingültig oder Tautologie, wenn für alle ihre Interpretationen ℑσ (α) = w gilt. sonst ist sie falsifizierbar, z. B. A ∨ ¬ A. © 2005 bei Prof. Dr. Uwe Kastens überarbeitet 2004 Prof. Dr. W. Hauenschild Eine Formel α ist genau dann allgemeingültig, wenn ¬ α widerspruchsvoll ist. allgemeingültig α erfüllbar und nicht allgemeingültig falsifizierbar und nicht widerspruchsvoll widerspruchsvoll ¬α WS 05/06 mod 308 Gesetze der booleschen Algebra Zwei Formeln α, β sind logisch äquivalent, in Zeichen α ≡ β, wenn sie für alle Interpretationen ℑ dasselbe Ergebnis haben: ℑ(α) = ℑ(β) © 2005 bei Prof. Dr. Uwe Kastens Für alle aussagenlogischen Fomeln α, β, γ gelten folgende logische Äquivalenzen: (α ∧ β) ∧ γ ≡ α ∧ (β ∧γ) (α ∨ β) ∨ γ ≡ α ∨ (β ∨ γ) Assoziativität α∧β≡β∧α α∨β≡β∨α Kommutativität α∧α≡α α∨α≡α Idempotenz α ∨ ( β ∧ γ) ≡ (α ∨ β) ∧ (α ∨ γ) α ∧ (β ∨ γ) ≡ (α ∧ β) ∨ (α ∧ γ) Distributivität α ∨ (α ∧ β) ≡ α α ∧ (α ∨ β) ≡ α Absorption α ∧ false ≡ false α ∧ true ≡ α α ∨ false ≡ α α ∨ true ≡ true Neutrale Elemente α ∧ ¬ α ≡ false α ∨ ¬ α ≡ true Komplement ¬¬α≡α ¬ (α ∧ β) ≡ ¬ α ∨ ¬ β Involution ¬ (α ∨ β) ≡ ¬ α ∧ ¬ β De Morgan WS 05/06 mod 309 Umformen mit Gesetzen der booleschen Algebra © 2005 bei Prof. Dr. Uwe Kastens Beispiel: (A ∨ ¬ (B ∧ A)) ∧ (C ∨ (D ∨ C)) ≡ De Morgan (A ∨ (¬ B ∨ ¬ A)) ∧ (C ∨ (D ∨ C)) ≡ Kommutativität (A ∨ (¬ A ∨ ¬ B)) ∧ (C ∨ (D ∨ C)) ≡ Assoziativität ((A ∨ ¬ A) ∨ ¬ B) ∧ (C ∨ (D ∨ C)) ≡ Komplement (true ∨ ¬ B) ∧ (C ∨ (D ∨ C)) ≡ Kommutativität (¬ B ∨true) ∧ (C ∨ (D ∨ C)) ≡ Neutrale Elemente true ∧ (C ∨ (D ∨ C)) ≡ Kommutativität (C ∨ (D ∨ C)) ∧ true ≡ Neutrale Elemente (C ∨ (D ∨ C)) ≡ Kommutativität (C ∨ (C ∨ D)) ≡ Assoziativität ((C ∨ C) ∨ D) ≡ Idempotenz C∨D WS 05/06 mod 310 Logischer Schluss Sei A eine Menge von Formeln und α eine Formel. Wenn für alle Interpretationen ℑ, die alle Formeln in A erfüllen, auch ℑ (α) gilt, dann sagen wir „α folgt (semantisch) aus A“ und schreiben: A |= α. A |= α heißt auch logischer Schluss, A Annahme oder Antezedent, α Folgerung oder Konsequenz. Die Korrektheit eines logischen Schlusses A |= α mit A = {α1, ..., αn} kann man prüfen: a. durch Prüfen aller Interpretationen, die alle Formeln in A erfüllen b. durch Widerspruchsbeweis: α1 ∧ ... ∧ αn ∧ ¬ α ist nicht erfüllbar. © 2005 bei Prof. Dr. Uwe Kastens überarbeitet 2004 Prof. Dr. W. Hauenschild Beweise werden aus logischen Schlüssen aufgebaut. Beispiel: α: Wenn alle Menschen gleich sind, gibt es keine Privilegien. β: Es gibt Privilegien. γ: Nicht alle Menschen sind gleich. nachweisen: {α, β } |= γ ist ein korrekter logischer Schluss. WS 05/06 mod 311 Normalformen Wir betrachten hier aussagenlogische Formeln o.E.d.A. ohne die Zeichen → und ↔. Ein Literal ist ein Ausdruck der Form A bzw. ¬A mit einem Atom A. Eine Klausel ist ein Ausdruck der Form α = ( L1 ∨ ... ∨ Ln) mit Literalen Li . Ein Monom ist ein Ausdruck der Form α = ( L1 ∧ ... ∧ Ln) mit Literalen Li . Negationsnormalform (NNF): Eine Formel α ist in NNF genau dann, wenn Negationszeichen nur in Literalen auftauchen. Konjunktive Normalform (KNF): Für Klauseln α1, ... , αn ist die Formel α = (α1 ∧ ... ∧ αn ) in KNF. Disjunktive Normalform (DNF): © 2005 Prof. Dr. W. Hauenschild Für Monome α1, ... , αn ist die Formel α = (α1 ∨ ... ∨ αn ) in DNF. Satz: Zu jeder aussagenlogischen Formel gibt es logisch äquivalente Formeln in NNF, KNF und DNF WS 05/06 mod 312 Hinweise zur Notation in der Aussagenlogik Die syntaktische Ebene: ¬, ∧, ∨, →, ↔ erzeugen in Verbindung mit AL-Formeln neue AL-Formeln Die semantische Ebene: erfüllbar, allgemeingültig, falsifizierbar, widerspruchsvoll, folgt logisch ( |= ), logisch äquivalent ( ≡ ) erzeugen in Verbindung mit AL-Formeln Aussagen auf der semantischen Ebene Die allgemeine Sprachebene der Beweise und Definitionen: nicht, und, oder, folgt, genau dann wenn (gdw), für alle, es gibt erzeugen in Verbindung mit Aussagen neue Aussagen (häufig auf der semantischen © 2005 bei Prof. Dr. W. Hauenschild Ebene) Beispiele: Für alle α gilt: α erfüllbar gdw es gibt Interpretation ℑ mit ℑ(α) = w Für alle α und β gilt: ( α ≡ β ) gdw ( α ↔ β ) allgemeingültig Man benutzt die Symbole der syntaktischen Ebene als Abkürzung in der allgemeinen Ebene.