Ländliche Entwicklung und Agrarwirtschaft Themeninfo Nahrungsmittelkonsum: Bedeutung für Ernährungssicherheit und Umwelt Hintergrund Die Nachfrage nach Lebensmitteln ist in der Vergangenheit stark gestiegen und wird auch weiterhin wachsen. Steigende Einkommen führten dazu, dass der tägliche Pro-Kopf-Verbrauch an Nahrungsmitteln seit 1961 um ein Viertel angestiegen ist und bis 2050 voraussichtlich um weitere zwölf Prozent zunehmen wird. Die geringste Zunahme gab es in Ozeanien mit fünf und Europa mit knapp elf Prozent. Den größten Anstieg verzeichnete Asien, wo der Konsum um 42,5 Prozent zunahm, gefolgt von Nord- und Mittelamerika mit einem Plus von 27 Prozent. Zusätzlich beschleunigt wird diese Entwicklung durch eine Verlagerung der Konsumgewohnheiten weg von pflanzlichen hin zu tierischen Produkten. So ist der tägliche Pro-Kopf-Verbrauch tierischer Produkte seit 1961 um 40 Prozent gestiegen, der pflanzlicher Produkte um 20. Dies hat dazu geführt, dass der weltweite Nahrungskalorienkonsum seit 1961 um 150 Prozent gestiegen ist und bis 2050 im Vergleich zu heute um weitere 60 Prozent ansteigen wird. Die weltweiten Konsum- und Produktionsmuster führen zu einer Übernutzung der Umwelt und der natürlichen Ressourcen. Die Verknappung von Wasser, Energie, Lebensmitteln oder nutzbaren Flächen sowie viele Umweltprobleme, insbesondere der Klimawandel, sind direkte Folgen nicht nachhaltigen Verbrauchs. Bereits heute ist die ökologische Tragfähigkeit der Erde schätzungsweise um mehr als ein Viertel überschritten. Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern sind besonders betroffen, obwohl ihr ökologischer Fußabdruck nur einen Bruchteil desjenigen der Bewohner von Industrieländern ausmacht. Daher ist es umso wichtiger, nachhaltige Konsumund Produktionsmuster zu entwickeln, um die negativen Umweltbelastung zu reduzieren. Eine einheitliche, allseits anerkannte Definition des Begriffs „nachhaltiger Konsum“ fehlt allerdings bis heute. Auf jeden Fall hilfreich ist das Verständnis von nachhaltigem Konsum als der Ver- beziehungsweise Gebrauch von Gütern und Dienstleistungen, der die Bedürfnisse der jetzigen und zukünftigen Konsumenten erfüllt, Umwelt und Ressourcen schont und sowohl sozialverträglich als auch ökonomisch tragfähig ist. Heute jedoch sind die landwirtschaftlichen Produktionsweisen und auch die Ernährungsgewohnheiten vor allem in den Industrieländern aus ökologischen Gründen und aufgrund des hohen Ressourcenbedarfs nicht nachhaltig. Sie sind auch nicht weltweit übertragbar. Die Herstellung von Lebensmitteln ist in weiten Teilen sehr ineffizient und umweltbelastend. Gründe sind der hohe Ressourcenbedarf, Verluste in der Produktion und der gesamten Lieferkette und der hohe Fleischanteil. Dies bedeutet zum Beispiel, dass eine in intensiver Produktion hergestellte Kalorie Rindfleisch zirka zehn Kalorien Getreide verbraucht. Die Kalorien, die unter heutigen Produktionsbedingungen bei der Umwandlung von pflanzlichen in tierische Lebensmittel verloren gehen, könnten theoretisch 3,5 Milliarden Menschen ernähren. Darüber hinaus wird geschätzt, dass etwa 18 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen – ausgedrückt in CO2Äquivalenten – auf das Konto der intensiven Fleischproduktion gehen. Durch eine Senkung des Fleischkonsums könnten große Anbauflächen und Getreidemengen für die menschliche Ernährung statt für die Tiermast genutzt werden. Berücksichtigt man Produktion, Handel, Weiterverarbeitung und Verbraucheraktivitäten, etwa Lebensmitteleinkauf, Kühlen oder Kochen, dann ist zum Beispiel in Deutschland die menschliche Ernährung für rund ein Fünftel der gesamten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Außerdem verursacht die derzeitigen Produktionsweisen hohe Wasser- und Bodenbelastungen. Dabei spielt unter anderem die Menge der eingesetzten mineralischen Dünger und chemischen Pestizide eine wichtige Rolle. Als besonders umwelt- und klimaschonend gilt die ökologische Landwirtschaft, doch auch dies wird von einigen Experten kontrovers diskutiert. Erhebliche Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit hat die Lebensmittelverschwendung. Studien aus verschiedenen Industrieländern kommen zu dem Schluss, dass bis zu 50 Prozent der produzierten Lebensmittel entlang der Handelskette und durch die Konsumenten weggeworfen werden. In Deutschland beispielsweise wird Schätzungen zufolge bis zu einem Viertel der gesamten Lebensmittelproduktion entsorgt, allein bei Obst und Gemüse sind es vier bis 15 Prozent der Nettoinlandserzeugung. Jährlich fallen hierzulande zwischen 5,8 und 7,5 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle aus Haushalten an. Das sind knapp 82 Kilo pro Kopf und Jahr. Etwa drei Viertel davon kommen in den Müll. Der Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel an den gesamten Konsumausgaben nimmt seit Jahren in den Industrieländern ab. So gaben beispielsweise 2010 die privaten Haushalte in Deutschland nur noch elf Prozent für Nahrungsmittel aus. In Entwicklungsländern sind es zwischen 50 und 80 Prozent. Der Grund für den langfristigen Rückgang des Anteils der Nahrungsmittelausgaben liegt in den Einkommenssteigerungen und in dem unterdurchschnittlichen Anstieg der Nahrungsmittelpreise. Bereits im Jahre 1992 wurde auf dem Erdgipfel in Rio als Teil der sogenannten Agenda 21 ein Konzept für nachhaltigere Konsummuster verabschiedet. Artikel 4 der Agenda ruft die internationale Staatengemeinschaft dazu auf, Politiken und Strategien zu entwickeln, mit deren Hilfe nicht nachhaltige Konsumgewohnheiten verändert werden können. Obwohl sich das Konzept nicht explizit auf den Konsum von Nahrungsmitteln bezieht, stellt es doch eine klare Verbindung her zwischen dem hohen Verbrauch in einigen wenigen Ländern und der Tatsache, dass die Grundbedürfnisse eines großen Teils der Menschheit, zum Beispiel in Bezug auf Nahrung, unbefriedigt bleiben. Ziel muss daher sein, so die Agenda, Konsumgewohnheiten und Produktionsweisen zu fördern, die zu einer Verringerung der Umweltbelastung führen und so die Grundbedürfnisse aller decken können. Unsere Standpunkte Der Nahrungsmittelkonsum ist in die jeweilige Kultur eingebettet und eng verknüpft mit Lebensstil, Qualitätsansprüchen, unterschiedlichen Ernährungskompetenzen, gesundheitlichen Überlegungen, Einkommen und Alltagsabläufen. Die ökologischen und sozialen Auswirkungen von Lebensmittelproduktion und konsum sind sehr heterogen und schwer kontrollierbar und eignen sich daher nicht für universelle Lösungsmuster. Vor diesem Hintergrund vertritt die GIZ die folgenden Standpunkte: 1. Kein nachhaltiger Konsum ohne nachhaltige Ressourcennutzung Um nachhaltigere Konsummuster zu erreichen, ist ein geringerer Ressourcen- und Energieverbrauch bei gleichzeitiger Selbstbegrenzung notwendig. Für die Landwirtschaft bedeutet dies, dass Produktion, Verteilung und Weiterverarbeitung effizienter werden müssen. Das größte Potenzial liegt hier bei der Lagerung und Zubereitung von Nahrungsmitteln. Die notwendige Steigerung der Produktivität muss vom Ressourcen- und Energieverbrauch entkoppelt werden, wie dies im Konzept der Green Economy gefordert wird. So werden die Ressourcen nicht verbraucht, sondern nachhaltig genutzt. Zur Reduzierung des Fleischkonsums kann beispielsweise ein Veggie-Day angestrebt werden. Zum einen würde das der angestrebten Selbstbegrenzung Rechnung tragen, zum anderen zusätzlich zu einer gesünderen Lebensform beitragen. 2. Politik, Wirtschaft und Verbraucher müssen am gleichen Strang ziehen Will man einen nachhaltigen Konsum erreichen, muss an verschiedenen Stellschrauben angesetzt werden. Hilfreich sind beispielsweise finanzielle Anreize für die Förderung nachhaltigerer Konsummuster. Außerdem muss das Bewusstsein der Konsumenten in Industrieländern, aber auch in Schwellen- und Entwicklungsländern geschärft werden. Sie müssen die Zusammenhänge zwischen dem hohen Konsum von Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs und der Tatsache erkennen können, dass etwa ein Siebtel der Weltbevölkerung hungert. Die politischen Entscheidungsträger müssen bei einer Zusammenarbeit mit der Wirtschaft auf eine nachhaltigere Produktion von Lebensmitteln hinwirken. Das bedeutet zum Beispiel die Unterstützung von Zertifizierungen nach Umwelt- und Sozialstandards sowie die wirksame Vermarktung von zertifizierten Produkten. 3. Nachernteschutz hilft Armut zu mindern Wird die nachhaltige Intensivierung der Produktionssysteme gefördert, dann trägt dies zu mehr Ernährungssicherheit bei. Auch ein verbesserter Nachernteschutz wirkt in diese Richtung. Überhaupt sind Maßnahmen des Nachernteschutzes unmittelbar einkommenswirksam und tragen dazu bei, die Armut im ländlichen Raum zu mindern. Unsere Handlungsempfehlungen Die Förderung eines nachhaltigen Nahrungsmittelkonsums erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit. Sie setzt auf mehreren Ebenen an: bei den politischen Rahmenbedingungen, bei den Konsumenten und bei den Produzenten. Nach Ansicht der GIZ sind dies die wichtigsten Handlungsempfehlungen: 1. Rechtliche Rahmenbedingungen zur Konsumentenorientierung schaffen Die entlang der LebensmittelWertschöpfungskette entstehenden externen Kosten sollten durch staatliche Maßnahmen internalisiert werden. Dies ist zum Beispiel möglich, indem Produkte, die unter hoher Umweltbelastung hergestellt werden, stärker besteuert werden als die, die umweltverträglich produziert werden. Anreize für Produzenten und Unternehmen, Lebensmittel nachhaltiger herzustellen, können gesetzt werden, indem zum Beispiel die Treibhausgas-Bilanz eines Lebensmittels verpflichtend auf die Verpackung gedruckt wird. Die landwirtschaftliche Produktion muss dergestalt gefördert werden, dass sie ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltiger wird. Sozial- und Umweltstandards sind wichtige Verbraucherinformationen, denn die Konsumenten können auf dieser Grundlage bewusste Entscheidungen treffen. Damit fördern Standards nachhaltige Konsummuster. Es ist zudem notwendig, Informationen zum Ausmaß und zu den Ursachen der Lebensmittelabfälle zu erheben und in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Dementsprechend sollten Maßnahmen identifiziert und politisch gefördert werden, damit nicht nur Haushalte, sondern auch Supermärkte und Kantinen ihre Lebensmittelabfälle reduzieren. 2. Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit verstärken Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit können zu einer größeren Bewusstseinsbildung in Sachen nachhaltiger Konsum bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern beitragen. Neben den klassischen Medien sind auch soziale Netzwerke und Schulen wichtige Informationsträger. Über die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit kann die ganze Vielfalt der Themen vermittelt werden. Beispielsweise nachhaltige Anbauweisen oder Sozialund Umweltstandards und deren Wirkungsweisen und Bedeutung für die Kaufentscheidungen. Andere Themen sind die Klimabilanz von Lebensmitteln, der Kauf regionaler und saisonaler Nahrungsmittel, Fleischkonsum und sein Zusammenhang mit der Welternährung, Lebensmittelabfälle und Abfallvermeidung. Die Aufnahme von Lebensmittelkunde und gesunder Ernährung in den Stundenplan der Schulen ist eine weitere Möglichkeit, das Thema im Bewusstsein vor allem der jungen Verbraucher zu verankern. 3. Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft und Produzenten unterstützen Die internationale Zusammenarbeit kann die Produzenten bei der Optimierung des Nacherntemanagements unterstützen. Dazu gehören auch Verbesserungen bei der Ernte, der Lagerung und beim Transport. Ein weiteres Aufgabengebiet ist die Optimierung der Logistik in der Lebensmittelindustrie und im Lebensmittelhandel. Hier sollten insbesondere die Lagerung und der Transport im Mittelpunkt stehen. Wesentlich ist auch die Unterstützung und Förderung von Produzenten während des Zertifizierungsprozesses. Sie müssen leistungsfähiger werden, damit sie den Anforderungen der Sozial- und Umweltstandards gerecht werden können. Kontakt Berthold Hansmann E [email protected] T +49 6196 79-1463 I www.giz.de Impressum Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH Abteilung Ländliche Entwicklung und Agrarwirtschaft Dag-Hammarskjöld-Weg 1-5 65760 Eschborn T +49 61 96 79-0 F +49 61 96 79-11 15 E [email protected] I www.giz.de Februar 2013