Nicht-opioide Analgetika – Wirkungen und Gefahren

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Diplomarbeit
Nicht-opioide Analgetika –
Wirkungen und Gefahren
eingereicht von
Peter Hofer
zur Erlangung des akademischen Grades
Doktor der gesamten Heilkunde
(Dr. med. univ.)
an der
Medizinischen Universität Graz
ausgeführt am
Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie
unter der Anleitung von
Univ.-Prof .i.R. Mag. pharm. Dr. phil. Eckhard BEUBLER
und
ao. Univ.-Prof. Dr. med. univ. Josef DONNERER
Graz, Januar 2017
i
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet habe und die
den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich
gemacht habe.
Graz, am 12.Januar 2017
Peter Hofer eh.
ii
Vorwort
Um dem/der LeserIn ein Grundverständnis über das Thema zu geben und ihm zu
ermöglichen Wirkungen und Gefahren nicht-opioider Analgetika verstehen zu
können, werden zuerst Themen wie die Prävalenz von Schmerzen aber auch das
WHO-Stufenschema der Schmerztherapie sowie die pathophysiologischen
Grundlagen abgehandelt.
Da es den Rahmen dieser Diplomarbeit sprengen würde alle in der Literatur
beschriebenen Wirkungen und Nebenwirkungen zu behandeln, habe ich
beschlossen eine Auswahl zu treffen. Das Hauptaugenmerk habe ich daher für die
Beschreibung von Nebenwirkungen auf das kardiovaskuläre System, das
gastrointestinale System sowie das renale System gelegt. Außerdem wird in
meiner Arbeit das Interaktionspotential zwischen Acetylsalicylsäure und Ibuprofen
erläutert und die Gefahr der Kombination von NSAR und Antikoagulantien unter
die Lupe genommen.
iii
Danksagungen
Ich möchte mich bei Herrn Univ. Prof. i.R. Mag. pharm. Dr. phil. Eckhard Beubler
für die Möglichkeit der Erstellung dieser Diplomarbeit, die Bereitstellung dieses
Themas und die freundliche und stets unproblematische Betreuung bedanken.
Außerdem danke ich Herrn Univ. Prof. Dr. med. univ. Josef Donnerer für seine
Begutachtung als Zweitbetreuer der Arbeit.
Da der Abschluss dieser Arbeit auch den erfolgreichen Abschluss meines
Medizinstudiums bedeutet, gebührt an dieser Stelle ein ganz besonderer Dank
meinen Eltern. Sie haben es mir durch ihre großzügige finanzielle Unterstützung,
und auch durch ihre Hilfe und Rückhalt in allen anderen Lebensbereichen,
ermöglicht mich stets auf meinen Studienerfolg konzentrieren zu können und so
unproblematisch das Studium abzuschließen. Vielen herzlichen Dank!
iv
Zusammenfassung
Titel
Nicht-opioide Analgetika – Wirkungen und Gefahren
Hintergrund
Schmerz ist in der Medizin ein so zentrales Thema, dass man tagtäglich damit
konfrontiert wird. Nicht-opioide Analgetika bilden die erste Stufe des WHOSchemas der Schmerztherapie
und
sind
neben
ihrer Rolle
im
ersten
Therapieversuch bei Schmerzpatienten auch wegen ihrer antiphlogistischen und
antipyretischen
Wirkungskomponente
von
Interesse.
Um
vernünftige
Therapieentscheidungen zu treffen ist es unabdingbar den Wirkmechanismus zu
verstehen und gefährliche Nebenwirkungen zu kennen.
Methoden
Diese Arbeit versteht sich als Literaturrecherche, in welcher aktuelle und frühere
Literatur analysiert wird. Die Quellen sind Publikationen aus der medizinischen
Datenbank „PubMed“, Studien aus Fachzeitschriften und diverse Lehrbücher.
Schlussfolgerung
Mit dem Wissen über Wirkungen und Nebenwirkungen ist es wichtig von PatientIn
zu PatientIn abzuwägen welche Therapie notwendig und sinnvoll ist. Je nach
Vorerkrankungen, Anamnese und individuellem Risiko einer Patientenperson
sollte von den zur Verfügung stehenden Substanzen die geeignetste gewählt
werden. Beispielsweise wäre in Bezug auf das kardiovaskuläre Risiko aus der
Gruppe der nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) Naproxen zu bevorzugen.
Schlüsselwörter
Analgetika, nicht-opioide Analgetika, nichtsteroidale Antirheumatika, NSAR,
Cyclooxygenase, COX
v
Abstract
Title
Non-opioid analgetics – Effects and risks
Background
Pain is a vital topic in medical science since it concerns you everyday. Non-opioid
analgetics form the fundament of the WHO’s pain ladder. Their use in the first
therapeutic attempt in pain patients, as well as their antiphlogistic and antipyretic
effects are only two aspects which you have to put into consideration when dealing
with this topic. In order to make adequate therapeutic decisions it is indispensable
to have an understanding of the mechanism of action as well as being aware of
dangerous side effects.
Methods
This thesis regards itself as literature research, in which prior and contemporary
literature will be analyzed. The sources are publications from the medical
database „PubMed“, studies out of professional journals and various educational
books.
Conclusion
With the knowledge of effects and side-effects it is of high importance to
distinguish between various methods of medical treatment according to the
patient. Previous illness, anamnesis and individual risk of each patient should be
points of consideration when choosing the most appropriate of the available
substances. For example regarding cardiovascular risk of all NSAIDs Naproxen
would be the substance of choice.
Keywords
analgetics, non-opioid analgetics, nonsteroidal anti-inflammatory drugs, NSAIDs,
cyclooxygenase, COX
vi
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ............................................................................................................................. iii
Danksagungen.................................................................................................................. iv
Zusammenfassung ............................................................................................................ v
Abstract ............................................................................................................................ vi
1. Schmerz und seine Prävalenz ...................................................................................... 1
2. Das WHO-Stufenschema zur Schmerztherapie ............................................................ 4
2.1 Aufbau ..................................................................................................................... 4
2.2 Aktualität ................................................................................................................. 6
3. Klassifizierung der nicht-opioiden Analgetika ................................................................ 8
3.1 Einteilung nach der Struktur und Wirkungsqualität .................................................. 8
3.2 Einteilung der NSAR nach COX-Selektivität ............................................................ 9
4. Prostanoide und das Schlüsselenzym Cyclooxygenase ...............................................13
5. Wirkung nicht-opioider Analgetika ................................................................................17
5.1 Analgetische Wirkung .............................................................................................17
5.2 Antipyretische Wirkung ...........................................................................................18
5.3 Antiphlogistische Wirkung ......................................................................................19
6. Nebenwirkungen und Gefahren nicht-opioider Analgetika ............................................20
6.1 Gastrointestinale Nebenwirkungen .........................................................................21
6.1.1 Mechanismus ...................................................................................................22
6.1.2 Risiko und Prävention ......................................................................................23
6.2 Kardiovaskuläre Nebenwirkungen ..........................................................................29
6.2.1 Mechanismus ...................................................................................................29
6.2.2 Risiko und Prävention ......................................................................................31
6.3 Renale Nebenwirkungen ........................................................................................37
6.3.1 Mechanismus ...................................................................................................37
6.3.2 Risiko und Prävention ......................................................................................38
6.4 Interaktionen nicht-opioider Analgetika mit anderen Pharmaka ..............................40
6.4.1 Acetylsalicylsäure und Ibuprofen......................................................................40
6.4.2 NSAR und Antikoagulantien .............................................................................41
7. Material und Methoden ................................................................................................44
8. Diskussion ...................................................................................................................45
Glossar und Abkürzungen ...............................................................................................46
Literaturverzeichnis ..........................................................................................................47
Abbildungsverzeichnis .....................................................................................................53
vii
1. Schmerz und seine Prävalenz
Wenn man Schmerzen therapiert, sollte man über die verschiedenen Arten des
Schmerzes Bescheid wissen. Eine Möglichkeit Schmerzen einzuteilen, kann nach
ihrer Dauer sein. Als akuten Schmerz bezeichnet man einen kürzer als drei
Monate andauernden Schmerz, als chronischen Schmerz den länger als diesen
Zeitraum anhaltenden. Um die Wichtigkeit der Schmerztherapie begreifen zu
können, ist es kein Fehler sich ein paar Daten zur Häufigkeit unterschiedlicher
Schmerzen vor Augen zu führen.
Vor allem bei chronischen SchmerzpatientInnen sollte nicht darauf vergessen
werden, dass die Ursache des Schmerzes durchaus eine Tumorerkrankung sein
könnte. In einer Studie zur Prävalenz chronischer Schmerzen in Deutschland
ergab sich ein Anteil von 5% aller chronischen Schmerzen, die auf einen malignen
Tumor zurückzuführen sind. Die Prävalenz für chronische Schmerzen im
Allgemeinen liegt nach dieser Studie bei knapp 30%. Von den Personen mit
nichtbeeinträchtigendem, nichttumorbedingtem Schmerz war in etwa jede vierte
Person mit der Therapie nicht zufrieden. Erwähnt werden sollte, dass die Studie
2508 Personen umfasste, die zu ihren Schmerzen nach festgelegtem Schema
befragt wurden. Die Stichprobe wurde so gewählt, dass sie bezüglich Alters- und
Geschlechtsverteilung die deutsche Bevölkerung gut widerspiegelt. (1)
Die Häufigkeit akuter Schmerzen wurde in einer 2006 veröffentlichten Studie
untersucht, als die Prävalenz von muskuloskelettalen Schmerzen in der
österreichischen Bevölkerung aufgrund von eigenen Angaben der befragten
Personen erhoben wurde. 500 Personen ab 15 Jahren, welche die österreichische
Bevölkerung repräsentieren sollten, wurden in persönlichen Interviews zu Hause
befragt. Es gaben 36,4% der Befragten – das entspricht 182 von 500 Personen –
an,
in
den
letzten
drei
Wochen
vor
der
Befragung
Schmerzen
am
Bewegungsapparat gehabt zu haben. Es zeigte sich, dass ab einem gewissen
Alter – nämlich ab 55 Jahren – mehr Personen an akuten Schmerzen litten als in
derselben Altersgruppe schmerzfrei waren. Abbildung 1 zeigt die Auftragung der
absoluten Werte nach Altersgruppen aus der zitierten Arbeit von Friedrich et al.
1
Bezüglich der Schmerzlokalisation brachte diese Studie das Ergebnis, dass die
meisten Personen – nämlich 28,7% – drei zugleich schmerzhafte Lokalisationen
angaben. An zweiter Stelle standen die 25,4%, die nur eine Lokalisation als
schmerzhaft bezeichneten und an dritter Stelle jene 22,5%, die an zwei Regionen
Schmerzen empfanden. Die möglichen Schmerzregionen werden in Abbildung 2
gezeigt, wo auch ersichtlich ist, dass die drei Regionen der Wirbelsäule – Nacken,
Rücken und Kreuz – gemeinsam mit über 50% die häufigsten Lokalisationen für
Schmerzen darstellen. (2)
Abbildung 1: Schmerzhäufigkeit nach Altersgruppen, aufgetragen in absoluten
Werten (2)
2
Abbildung 2: Schmerzlokalisationen und ihre Häufigkeit (2)
3
2. Das WHO-Stufenschema zur Schmerztherapie
2.1 Aufbau
Im Jahr 1982 fand eine Konsultation der World Health Organization (WHO) in
Mailand statt, bei der von ExpertInnen in der Behandlung von Krebsschmerzen
festgestellt wurde, dass Schmerzfreiheit für einen Großteil der KrebspatientInnen
das anzustrebende Ziel sei. Die bei diesem Zusammentreffen beschlossenen
Richtlinien waren später auch Grundlage für das 1986 erschienene Buch „Cancer
pain relief“. Darin wird erstmals das bis heute angewandte Stufenschema der
Schmerzmedizin genannt. Zuerst soll eine Schmerztherapie mit nicht-opioiden
Substanzen
wie
Acetylsalicylsäure
(ASS),
Paracetamol
oder
anderen
nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) begonnen werden. Besteht der Schmerz
weiterhin, soll mit Codein oder einem anderen schwachen Opioid therapiert
werden. Erst bei besonders schweren Schmerzen ist ein starkes Opioid wie
Morphin zur Therapie angezeigt. Jede/r Ärztin/Arzt sollte der drei Medikamente
Aspirin, Codein und Morphin kundig sein. Diese drei sind notfalls durch
Substanzen derselben Stufe austauschbar. Eine Kombination von Opioiden mit
Nicht-Opioiden ist, wie in Abbildung 3 erkennbar, möglich. Erstgenannte wirken
zentral an den Opioidrezeptoren, nicht-opioide Analgetika hingegen sind über eine
Hemmung der Cyclooxygenase und folglich auch der Prostaglandinbildung
wirksam. (3)
Abbildung 3: Das WHO-Stufenschema der Schmerztherapie (4)
4
In
diesem
Therapieschema
spielen
neben
den
eigentlichen
Schmerzmedikamenten adjuvante Substanzen eine Rolle. Das sind Medikamente,
die nicht zu den eigentlichen Analgetika gezählt werden, aber in der Situation
des/der jeweiligen Patienten/Patientin notwendig sein können. Ein Grund für die
Gabe von Adjuvantien ist die Beeinflussung von Symptomen, die mit dem
Schmerz des/der Patienten/Patientin – im diesem Fall speziell des/der
Krebspatienten/-patientin – assoziiert sind. Ein anderer Grund wäre eine von
vielen speziellen Formen des Schmerzes wie Phantomschmerz, Migräne und
andere. Nach der Meinung der WHO im Jahr 1986 können Antikonvulsiva,
psychotrope Substanzen oder Glucocorticoide notwendig werden. (3) Mittlerweile
sind weitere Substanzen bekannt, die als Adjuvantien Verwendung finden. Es
können beispielsweise zentrale Muskelrelaxantien wie Diazepam oder Baclofen
gegen
Schmerzen
durch
Muskelverspannungen
gegeben
werden.
Das
Antiarrhythmikum Lidocain kann bei zentralen Schmerzen oder chronischen
neuropathischen
Schmerzen
als
zweite
Wahl
herangezogen
werden.
Lokalanästhetika beugen bei interventionellen Techniken dem Schmerz vor.
Calcitonin kann bei Osteoporose, Knochenmetastasen oder Phantomschmerz
hilfreich sein, jedoch reagiert auf diese Therapieoption nur ein Teil der Patienten.
Bisphosponate reduzieren einen erhöhten Calciumspiegel und führen zur
Schmerzreduktion. Cannabinoide können hauptsächlich bei Schmerzen im
Rahmen der multiplen Sklerose oder neuropathischen Schmerzen indiziert sein.
Klassisch ist auch bei Migräneattacken die Verschreibung von Triptanen, das sind
Serotonin-Agonisten, die zu einer Vasokonstriktion führen. Darüber hinaus gibt es
noch viele weitere Substanzen, die als Adjuvantien in der Schmerztherapie
angewendet werden. (5)
In der zweiten Ausgabe von „Cancer pain relief“ im Jahr 1996 werden die
wichtigsten Behandlungsprinzipien, die teilweise bereits 1986 beschrieben
wurden, zu fünf Punkten formuliert:
„By mouth“ – Eine orale Therapie ist nach Möglichkeit anzustreben.
„By the clock“ – Die Gabe der Analgetika soll immer im selben Zeitintervall
erfolgen, so dass die neue Dosis gegeben wird, bevor die vorherige Dosis ihre
5
Wirkung verliert. Für manche PatientInnen ist das Mitführen einer Notfalldosis
möglich, um auf Durchbruchschmerzen reagieren zu können.
„By the ladder“ – Das Stufenschema soll eingehalten werden. Kombinationen von
Substanzen derselben Gruppe sind verboten.
„For the individual“ – Die Therapie und die Dosis sollen an den/die
Patienten/Patientin und seine Schmerzen angepasst werden.
„Attention to detail“ – Der/die PatientIn und seine Familie sollen mit dem
Therapieplan
umgehen
können.
Wichtig
ist,
den
Tagesablauf
des/der
Patienten/Patientin zu berücksichtigen, um die Einnahmezeitpunkte vernünftig
festzulegen. (4)
2.2 Aktualität
Jahre nach der Veröffentlichung des „Cancer pain relief“ begann Zweifel an der
Effektivität des Stufenschemas aufzukommen. In einer 2006 veröffentlichten Arbeit
von Azevedo São Leão Ferreira und KollegInnen werden in Form eines Reviews
sechs retrospektive und elf prospektive Studien zur Behandlung von Schmerzen
bei KrebspatientInnen anhand des WHO-Stufenplans untersucht. Die Studie
evaluiert den Anteil der PatientInnen mit ausreichender Schmerztherapie und
erfasst auch beobachtete Nebenwirkungen sowie die verwendeten Substanzen. In
den
analysierten
Studien
werden
allerdings
weder
die
Zeitpunkte
der
Schmerzfreiheit gezählt, noch eine Erhöhung der schmerzfreien Schlafstunden
erwähnt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es aufgrund der zahlreichen
Unterschiede der Studien nicht möglich ist, die Effektivität des Stufenplans zu
bestimmen. (6)
Dadurch dass laut Schema die Therapie immer auf der ersten Stufe mit nichtopioiden Substanzen beginnt, darf nur bei Therapieinsuffizienz ein Wechsel zur
nächsten Stufe erfolgen. Es gibt immer wieder Vorschläge und Empfehlungen
diverser AutorInnen eine Anpassung dieser WHO-Richtlinie vorzunehmen und
eine
Adaptation
an
andere
–
akute,
chronische,
nichtkrebsbedingte
–
Schmerzformen zu erreichen. (7)
6
Aufgrund der besseren Erkenntnisse zur Pathophysiologie des Schmerzes und
der diversen Schmerzarten, wäre es sinnvoll, jene Substanz auszuwählen, die mit
ihrem Wirkungsmechanismus pathophysiologisch am richtigen Punkt angreift.
Eine Verbesserung des Stufenplans würde also die neuen Therapiemöglichkeiten
– und auch die größere Auswahl an analgetisch wirksamen Substanzen – besser
widerspiegeln. Raffa und Pergolizzi schlagen in ihrer Publikation im Jahr 2014
eine Schmerz-Pyramide vor, um mit mehr Flexibilität und Individualisierung ein
besseres Schmerzmanagement zu bewerkstelligen. Darin soll ein Wechseln
zwischen Substanzen derselben Stufe, beispielsweise von einem nichtsteroidalen
Antirheumatikum auf ein anderes oder auch zwischen verschiedenen Opioiden,
erlaubt sein. Auch der Rückschritt von einer höheren Stufe auf eine niedrigere soll
erlaubt sein. Adjuvante Behandlungen und nicht-medikamentöse Interventionen
werden ebenfalls verankert. Obwohl es für Spezialfälle evidenzbasierte Leitlinien
gibt, würde die Pyramide wegen der vielen Richtungsmöglichkeiten zwischen den
Stufen
und
Substanzen
eine
gute
und
individuelle
Therapieanpassung
ermöglichen. Individuelle Unterschiede in der Pharmakokinetik und daraus
resultierende Probleme wären besser behandelbar. (8)
Vargas-Schaffer geht in ihrer Übersichtsarbeit zur Gültigkeit des Stufenplans auf
einen Vier-Stufen-Plan ein, der als vierte Stufe invasive und interventionelle
Möglichkeiten wie Nervenblockaden nennt. Die Bewegung auf den Stufen soll
nach oben und unten zulässig sein. Die Möglichkeit des transdermal wirkenden
Pflasters, das es 1986 noch nicht gab, wird ebenfalls erwähnt. (7)
7
3. Klassifizierung der nicht-opioiden Analgetika
3.1 Einteilung nach der Struktur und Wirkungsqualität
Abhängig von der Struktur des jeweiligen pharmakologischen Wirkstoffes und der
Wirkungsqualitäten ist eine Einteilung in Gruppen sinnvoll. Unterschieden wird, ob
es sich um ein saures oder nicht saures Analgetikum handelt und ob zusätzlich
zur analgetischen eine antipyretische oder antiphlogistische Wirkung vorhanden
ist. Anschließend folgt die resultierende Einteilung:
-
Nicht saure, antipyretische Analgetika
o Paracetamol

Der Name der Substanz leitet sich, wie auch der in
Nordamerika
übliche
Name
Acetaminophen,
von
ihrer
chemischen Bezeichnung Paraacetylaminophenol ab.
o Metamizol

Die Substanz wird in Nordamerika als Dipyrone bezeichnet.
o Phenazon

-
In Nordamerika ist der Wirkstoffname Antipyrine üblich.
Nicht-Opioid-Analgetika ohne antipyretische und antiphlogistische Wirkung
o Flupirtin
-
Saure, antiphlogistisch und antipyretisch wirkende Analgetika
o Acetylsalicylsäure
o Arylessigsäuren

Diclofenac

Indomethacin
o Arylpropionsäuren

Ibuprofen

Dexibuprofen

Ketoprofen

Naproxen
o Anthranilsäuren

Mefenaminsäure
o Heterozyklische Ketoenolsäuren
8

-
Meloxicam (9)
Selektive COX-2 Hemmer
o Definitionsgemäß
müssten
Inhibitoren
zur
Gruppe
zugeordnet
werden.
Sie
die
der
sind
selektiven
Cyclooxygenase-2-
nichtsteroidalen
keine
Antirheumatika
Steroide
und
wirken
antiphlogistisch. Sie werden nicht aufgrund der Struktur, sondern
aufgrund der gemeinsamen Eigenschaft der selektiven COX-2Hemmung und der klinisch irrelevanten COX-1-Hemmung, als
Coxibe bezeichnet. (5)
Bei dieser Einteilung ist zu beachten, dass alle genannten Gruppen gemeinsam
die Gruppe der nicht-opioiden Analgetika bilden. Dieser Begriff ist kein Synonym
für nichsteroidale Antirheumatika – abgekürzt NSAR. Letztgenannte umfassen die
sauren, antiphlogistisch-antipyretisch wirksamen Analgetika und die selektiven
COX-2-Hemmer. Im Gegensatz zu anderen nicht-opioiden Schmerzmitteln wirken
diese Substanzen entzündungshemmend. Entzündetes Gewebe ist saurer als das
restliche Gewebe, wodurch sich die sauren Substanzen besser anreichern und
dort gut entzündungshemmed wirken. (10)
3.2 Einteilung der NSAR nach COX-Selektivität
Die Untergruppe der nichtsteroidalen Antirheumatika lässt sich nicht nur nach der
chemischen Struktur einteilen, sondern nach der Selektivität für die Hemmung der
Isoenzyme 1 und 2 der Cyclooxygenase, was für den klinischen Alltag sinnvoller
erscheint.
Byron Cryer und Mark Feldman untersuchten in ihrer 1998 veröffentlichten Studie
die COX-Selektivität gängiger NSAR und anderer Substanzen wie Paracetamol
oder
dem
Kortikosteroid
Dexamethason.
Die
Blutproben
und
auch
Magenschleimhautproben von 16 nichtrauchenden, gesunden Freiwilligen im Alter
von 23 bis 46 Jahren wurden mit sechs definierten Konzentrationen der 25 zu
untersuchenden Substanzen in Reagenzgläsern zusammengebracht. So war es
möglich, für jede Substanz den IC50-Wert zu bestimmen. Dieser Wert
charakterisiert jene Konzentration der Substanz, welche 50% der COX-1, der
9
COX-2 bzw. der COX-Aktivität in der Magenschleimhaut hemmt. Demnach ist
Diclofenac der potenteste Inhibitor der COX-2 im Blut. Ketoprofen weist hingegen
für die COX-1 den niedrigsten IC50 auf und ist folglich deren potentester Inhibitor
im Blut. Abbildung 4 zeigt die Tabelle der Arbeit von Cryer und Feldman mit den
jeweiligen IC50-Werten.
Stellt man die IC50-Werte der Inhibition der COX1 in Relation zu den Werten der
COX-2-Inhibition, so ergibt sich ein Verhältnis, das die relative Selektivität
widerspiegelt. Eine Ratio von unter 1 bedeutet eine relative Selektivität für COX-2,
über 1 für COX-1. Werte um eine Ratio von etwa 1, würden bedeuten, dass die
Substanz relativ unselektiv ist. Diclofenac mit einer Ratio von 0,05 ist
beispielsweise etwa 20-mal stärker selektiv für eine Hemmung der COX-2 als der
COX-1. Abbildung 5 zeigt die entsprechende Tabelle der Arbeit.
Die Arbeit zeigte außerdem eine signifikante Korrelation zwischen den IC 50Werten der COX-1 und jenen der Magenschleimhaut, was die Annahme
untermauert, dass in der Magenschleimhaut vorwiegend COX-1 gebildet wird. (11)
Die Selektivität betreffend fällt auf, dass sich die Daten von Cryer und Feldman
von den Daten vorheriger ähnlicher Studien, wie zum Beispiel jener von Mitchell et
al., unterscheiden. Mitchell et al. hatten mit ihrer 1993 publizierten Studie eine
166-fache Selektivität von Aspirin für die COX-1 beobachtet und für Diclofenac
keine Selektivität – die Ratio betrug 0,7 – nachweisen können. (12) Der
Unterschied der beiden Studien liegt wahrscheinlich am verwendeten Material.
Mitchell et al. verwendeten Endothelzellen von Rindern und Makrophagen von
Mäusen, wohingegen Cryer und Feldman menschliches Blut benützten. Ein
möglicher Grund für die differierenden Ergebnisse könnte in einem Unterschied
des COX-Proteins zwischen den verschiedenen Spezies liegen. (11)
10
Abbildung 4: Tabelle der IC50-Werte der von Cryer und Feldman untersuchten
Substanzen (11)
11
Abbildung 5: Tabelle von Cryer und Feldman, welche die Selektivität der
untersuchten NSAR widerspiegelt (11)
12
4. Prostanoide und das Schlüsselenzym Cyclooxygenase
Die Eikosatetraensäure, bekannter unter dem Namen Arachidonsäure, ist eine
vierfach ungesättigte, aus 20 Kohlenstoffatomen bestehende Fettsäure. Die
zytosolische Phospholipase A2 ist notwendig, um aus Membran-Phospholipiden
die Arachidonsäure freizusetzen. Erhöhte Konzentration von Ca 2+-Ionen – zum
Beispiel noxisch bedingt – bewirkt eine Aktivitätserhöhung der Phospholipase A 2.
Mit Hilfe der Cyclooxygenase, einem im gesamten menschlichen Körper
vorkommenden Enzym, wird Arachidonsäure zu bestimmten Gewebehormonen
metabolisiert. Es entstehen Prostaglandine und Prostazyklin, Thromboxane und
Leukotriene, welche alle für physiologische und pathophysiologische Prozesse
von entscheidender Bedeutung sind. Diese Arachidonsäure-Metabolite werden in
den Ursprungszellen erst bei Bedarf gebildet und aus der Zelle abgegeben, wobei
ihre Biosynthese grundsätzlich abhängig von der Arachidonsäure-Verfügbarkeit
durch die Aktivität der Phospholipase A2 ist. (13, 14)
Das Schlüsselenzym, die Cyclooxygenase, verfügt neben der CyclooxygenaseFunktion auch über die separate Eigenschaft als Peroxidase zu arbeiten. Aufgrund
dieser Bifunktionalität ist es dem Enzym möglich, aus Arachidonsäure die Bildung
von Prostaglandin G2 und daraus Prostaglandin H2 zu katalysieren, wobei
letzteres anschließend, von der Enzymausstattung jeder spezifischen Zelle
abhängig, weiterverarbeitet wird. Auf diese Weise wird beispielsweise in den
Zellen des Gefäßendothels vorwiegend Prostazyklin, in den Thrombozyten
Thromboxan A2 gebildet. Prostaglandin D2 und F2α sowie Prostaglandin E2 werden
in beinahe allen Zellen synthetisiert. (14, 15) Für Prostaglandin E 2, welches das für
proinflammatorische Prozesse bedeutendste Prostaglandin signifiziert, sind drei
verschiedene Synthasen bekannt. (16)
Prostaglandine sind wichtig für die normale Nierenfunktion, sie regulieren den
arteriellen Gefäßtonus und schützen die Zellen der Magenschleimhaut vor
schädigendem Magensaft. Prostazyklin erweitert Blutgefäße und hemmt die
Aggregation von Thrombozyten. Thromboxan A2 beeinflusst die Blutgerinnung,
indem es zu einer Gefäßkonstriktion führt, eine Interaktion der Bluttplättchen mit
der Gefäßwand fördert und zu Aggregation führt. Die Wirkung an der Gefäßwand
betreffend, antagonisieren sich Thromboxan A2 und Prostazyklin. (5, 14)
13
Abbildung 6: Synthese der Arachidonsäurederivate (14)
14
In der Mediatorfunktion für Schmerz, Entzündung und Fieber spielen neben dem
wichtigen Prostaglandin E2, welches seine Wirkungen über vier Rezeptoren
entfaltet, alle weiteren Arachidonsäure-Metabolite ebenso eine Rolle, indem sie
die Gefäßpermeabilität erhöhen oder beispielweise über Chemotaxis andere
Entzündungsmediatoren wie Kinine, Serotonin oder Histamin verstärken. Über
eine
Hemmung
der
Prostaglandinsynthese
Cyclooxygenase
ergibt
zu
und
reduzieren
sich
dem
die
Möglichkeit,
die
Entzündungsgeschehen,
Schmerzen oder Fieber gegenzusteuern. Nebenwirkungen können entstehen, weil
die physiologische Funktion der Prostaglandine, wie etwa der Schutz der
Magenschleimhaut, ebenfalls gehemmt wird. (5, 14)
Seit den 90er-Jahren gelten zwei Isoformen des Enzyms Cyclooxygenase als
identifiziert. Die Cyclooxygenase 1 wird konstitutiv nahezu im gesamten Körper
exprimiert und ist an der Regulation der physiologischen Aufgaben, wie der
Thromboxan A2-Synthese in Plättchen oder der Prostaglandin E 2-Synthese in der
Mukosa
des
Magens,
maßgeblich
beteiligt,
spielt
aber
auch
für
das
Entzündungsgeschehen eine Rolle. Bei der Cyclooxygenase 2 wird für bestimmte
Gewebe ebenfalls eine konstitutive Expression beschrieben. Darüber hinaus ist
diese Isoform durch Entzündungen, Traumata, Ischämie oder mechanische
Beanspruchung stark induzierbar. Proinflammatorische Zytokine führen im
Rahmen der Entzündung zur Bildung von Prostaglandinen. Prostazyklin wird im
Gefäßendothel,
Prostaglandin
E2
sowie
Thromboxan
A2
in
aktivierten
Makrophagen synthetisiert. Die erhöhte induzierte Produktion von Prostaglandinen
und somit die Entzündung lassen die Cyclooxygenase 2 als interessanten
Angriffspunkt für eine selektive Hemmung erscheinen. (5, 13, 14) Die 1999
eingeführten
selektiven
magenverträglicher
als
Hemmer
die
der
Cyclooxygenase
unselektiven
2
galten
als
Cyclooxygenase-Hemmer.
Die
Cyclooxygenase 2 dürfte einen Teil der konstitutiven Prostaglandin E 2- und
Prostazyklin-Produktion
vermitteln
und
spielt
im
Heilungsprozess
eines
Magenulkus eine beträchtliche Rolle, was man daran sieht, dass bei Gabe von
selektiven COX-2-Hemmern ein bestehendes Ulkus nicht abheilen kann. (17, 18)
2004 musste der COX-2-Hemmer Rofecoxib vom Hersteller Merck weltweit vom
Markt genommen werden, da sich in Studien ein erhöhtes Myokardinfarktrisiko
herausstellte. (5, 17)
15
Im Jahr 2002 wurde von Chandrasekharan et al. eine dritte Isoform, die
Cyclooxygenase 3, beschrieben, die für die Wirkungsweise von Paracetamol, die
bis dato nicht genau erklärt werden konnte, verantwortlich sein soll. Die neue
Isoform wird von dem selben Gen wie die Cyclooxygenase 1 kodiert und ist im
Zentralnervensystem, speziell im zerebralen Kortex, auffindbar. (19) Kis et al.
bezeichnen dieses Enzym, welches nur eine Splice-Variante der Cyclooxygenase
1 darstellt, als COX-1b. Die Expression im Menschen sei zu gering, um eine
klinische Relevanz für eine selektive Interaktion von Paracetamol mit dieser
Cyclooxygenase-Isoform annehmen zu können. (20)
16
5. Wirkung nicht-opioider Analgetika
Der genaue Wirkmechanismus ist nicht für alle Wirkstoffe bekannt. Die
Wirkmechanismen der nicht-opioiden Analgetika unterscheiden sich vor allem
nach
Gruppenzuteilung
einer
Substanz.
Die
sauren,
antiphlogistisch-
antipyretischen Analgetika – kurz NSAR genannt – und die COX-2-selektiven
Coxibe wirken über eine Inhibition des Enzyms Cyclooxygenase. Unterschieden
wird dabei, wie selektiv COX-1 beziehungsweise COX-2 gehemmt wird. Messbar
ist die Selektivität anhand des Quotienten der IC50-Werte von COX-1 und COX-2.
(siehe Kapitel 3.2) (5, 14)
Mit Ausnahme der Acetylsalicylsäure – welche irreversibel hemmt – sind alle
nichtsteroidalen
Antirheumatika
reversible
kompetitive
Inhibitoren
der
Cyclooxygenase-Isoenzyme 1 und 2. (14)
Grundsätzlich
wird
zwischen
den
drei
Wirkungsqualitäten
analgetisch,
antiphlogistisch und antipyretisch unterschieden, im Folgenden werden diese
genauer erläutert.
5.1 Analgetische Wirkung
Durch die Hemmung der Cyclooxygenase wird in der Folge auch die Biosynthese
von Prostaglandinen gehemmt. Prostaglandine sensibilisieren natürlicherweise die
Nozizeptoren über den EP4-Rezeptor im peripheren Gewebe und erleichtern die
afferente spinale Reizweiterleitung von Schmerzen über den EP2-Rezeptor. Die
Signaltransduktion erfolgt bei beiden genannten Rezeptoren G-Protein-gekoppelt.
Neben dem wichtigsten Schmerzmediator von allen Prostaglandinen, dem PGE2,
ist auch PGE1 in der Lage die beiden genannten Rezeptoren zu aktivieren, welche
über den Schmerz hinaus zahlreiche andere Wirkungen vermitteln. Im Fall einer
COX-Hemmung und dem konsequenten Fehlen von Prostaglandinen, ist dieser
natürliche Mechanismus unterbrochen und die Schmerzentstehung im peripheren
Gewebe sowie die Schmerzweiterleitung im Rückenmark blockiert. (14)
Mit dem Wissen der Grundlagen ist es verständlich, dass COX-Inhibitoren in erster
Linie nozizeptiven und inflammatorischen Schmerz reduzieren können. Bei
17
neuropathischem Schmerz oder zentraler Sensibilisierung sind Substanzen aus
den Gruppen der Antidepressiva oder Antikonvulsiva erfolgversprechender. (21)
Der Wirkmechanismus der COX-Hemmung trifft nicht uneingeschränkt auf alle
nicht-opioiden
Analgetika
zu.
Paracetamol
ist
kein
nichtsteroidales
Antirheumatikum im eigentlichen Sinn. Es ist nicht sauer und gehört wie auch
Metamizol zu den antipyretischen Analgetika mit – wenn überhaupt – minimaler
antiphlogistischer Wirkungskomponente. (22) Die Substanz hat eine ähnliche
Wirkung wie COX-2-Inhibitoren, allerdings weniger stark analgetisch. Auch die
gastrointestinale Toleranz würde für eine COX-2-Hemmung sprechen. (23) Dass
die
Substanz
sich
in
bestimmten
Gewebetypen
anreichert,
wie
im
Zentralnervensystem, wo es seinen Hauptwirkungsort haben dürfte, wurde 1972
von Flower und Vane beschrieben. Sie beobachteten, dass die COX im Gehirn
eines Hundes stärker gehemmt wurde als in der Milz. (24) Ouellet und Percival
konnten für Paracetamol nur eine sehr schwache Inhibition gereinigter COX-1 und
COX-2 nachweisen. Sie bezeichnen Paracetamol als gutes Reduktionsmittel für
beide Cyclooxygenasen, die jeweils funktionell in eine Cyclooxygenase- und eine
Peroxidaseeinheit zu unterteilen sind, welche sich in demselben Protein befinden
und zusammenarbeiten. (22)Paracetamol dient als Elekronendonor und ersetzt
somit den intramolekularen Elektronentransfer eines Tyrosinrestes, der eigentlich
diese Aufgabe vollbringen soll. Die Cyclooxygenasereaktion wird dadurch
unterbrochen und die Prostaglandinbildung verhindert. (22, 23) Die Entdeckung
einer COX-3 galt als mögliche Erklärung für die Wirkungsweise von Paracetamol.
Laut Kis et al. sei aber die Expression dieser Isoform im Menschen zu gering, um
die Paracetamol-Wirkung zu erklären. (20) Von Autoren wie beispielsweise
Graham et al. wird außerdem über eine Wirkung über das serotonerge oder das
cannabinoide System diskutiert. (23)
5.2 Antipyretische Wirkung
Im Rahmen einer Infektion, einer Entzündung oder eines Gewebeschadens wird
die Bildung von Interleukin-6 angeregt, welches über das Blut zum Hypothalamus
ins ZNS gelangt. Dort führt es zur Expression von COX-2. Das Enzym führt dort
zur Bildung von PGE2, welches über seine Wirkung an G-Protein-gekoppelten
18
EP3-Rezeptoren den Sollwert der Körpertemperatur im Hypothalamus erhöht.
Über eine Inhibition der Cyclooxygenase kann dieser Mechanismus unterbrochen
werden. Der Sollwert wird zurückgestellt und die Körpertemperatur sinkt. (14)
5.3 Antiphlogistische Wirkung
Im Gegensatz zu den ersten beiden Wirkungsqualitäten, welche alle Nicht-Opioide
– mit Ausnahme des nur analgetisch wirksamen Flupirtin – aufweisen, gilt die
antiphlogistische Wirkung nur für die sauren, nichtsteroidalen Antirheumatika und
die selektiven COX-2-Hemmer. Das bedeutet Paracetamol und Metamizol sind
nicht entzündungshemmend wirksam. (5, 14)
Die antiinflammatorische Wirkung der COX-Inhibitoren ist begrenzt. Bei lokalen
und systemischen Entzündungen ist zwar eine Symptomlinderung möglich, jedoch
kommt es zu keiner Unterbrechung des Entzündungsprozesses und zu keiner
Verzögerung der Progression. Die Dosierung für eine antiphlogistische Wirkung ist
jeweils höher als die analgetische Dosis. (14)
Wenn auch eine umfassende Erklärung für die antiphlogistische Wirkung aussteht,
so gibt es zumindest einen Erklärungsansatz. Die erhöhte Anreicherung der
sauren Pharmaka im sauren entzündlichen Gewebe und die folglich erreichte
hohe Konzentration macht es möglich, die aufgrund der Entzündung induzierte
COX-2 ausreichend zu hemmen. Offen bleibt allerdings die Frage, wie die
antiphlogistische Wirkung bei selektiven COX-2-Hemmern funktioniert, welche
nicht sauer, sondern schwach basisch sind. (14)
Für die nicht ausreichende Therapie vor allem systemischer Entzündungen gibt es
zum einen die Erklärung, dass die Wirkung von Prostaglandinen begrenzt ist, da
es neben ihnen noch viele weitere Entzündungsmediatoren gibt. Vor allem Rötung
und Schwellung durch Vasodilatation und gesteigerte Gefäßpermeabilität liegen
im
Zuständigkeitsbereich
der
Prostaglandine
und
sind
medikamentös
kontrollierbar. Zum anderen besteht eine weitere Erklärung darin, dass durch die
Hemmung
der
Prostaglandin-Synthese
über
die
COX-Hemmung
mehr
Arachidonsäure für Leukotrienbildung verfügbar ist. Die vermehrt gebildeten
Leukotriene wirken proinflammatorisch. (14)
19
6. Nebenwirkungen und Gefahren nicht-opioider Analgetika
Ein im Jahr 1999 im New England Journal of Medicine veröffentlichtes Review von
Wolfe et al., greift die Toxizität der nichtsteroidalen antiinflammatorischen
Analgetika auf. Besonders gastrointestinale Beschwerden sind häufig, wobei es
schwierig ist, die Prävalenz zu bestimmen, da die verwendeten Substanzen und
Dosierungen variieren und die Einnahmedauer ebenso unterschiedlich ist. Ebenso
sind
die
unspezifischen
Definitionen
für
gastrointestinale
Beschwerden
problematisch. Generell kann jedoch davon ausgegangen werden, dass
zumindest 10-20% der PatientInnen unter Einnahme eines nichtsteroidalen
Antirheumatikums an dyspeptischen Beschwerden leiden, wobei die Prävalenz
zwischen fünf und 50 Prozent liegen dürfte. In einem sechsmonatigen
Behandlungszeitraum kann erwartet werden, dass bei 5-15% der PatientInnen mit
rheumatoider Arthritis die Therapie aufgrund dyspeptischer Beschwerden nicht
fortgeführt werden kann. Bei 13 von 1000 PatientInnen würden innerhalb eines
Behandlungsjahres
sogar
ernsthafte
Komplikationen
auftreten,
wobei
die
Hospitalisierungsrate aufgrund solcher Ereignisse nach Informationskampagnen
rückläufig wurde. Schätzungen zufolge gab es in den USA jährlich 16500
Todesfälle bei PatientInnen mit rheumatoider Arthritis oder Osteoarthritis, welche
mit nichtsteroidalen Antirheumatika behandelt wurden. Das entspricht gleich vielen
Menschenleben, wie die Krankheit AIDS in den USA zu dieser Zeit jährlich
forderte. (25)
Nach der Einführung der selektiven COX-2-Inhibitoren und dem freiwilligen
Rückzug der Substanz Rofecoxib der Firma Merck aufgrund des erhöhten
kardiovaskulären Risikos vom Markt, wurde auch dieses Gefahrenpotential
verstärkt diskutiert. (17) Der Grundgedanke der COX-2-Hemmer war das
gastrointestinale Risiko zu reduzieren, was auch gelang. Die VIGOR-Studie zeigte
eine 50-prozentige Reduktion von ernsthaften gastrointestinalen Zuständen,
jedoch auch eine fünffache Erhöhung von thromboembolischen kardiovaskulären
Ereignissen – in erster Linie akute Myokardinfarkte. Den Patienten wurde 50mg
Rofecoxib bzw. 1000mg Naproxen in der Kontrollgruppe verabreicht. Der
freiwillige Rückzug des Medikaments von Merck erfolgte erst, als in einer zweiten
20
Studie, der APPROVe-Studie, der zweifache Anstieg des kardiovaskulären Risikos
für 25mg Rofecoxib pro Tag im Vergleich mit einem Placebo gezeigt wurde. (26)
Da Cyclooxygenase-Inhibitoren aufgrund ihrer Wirkung bedeutende Medikamente
in der Behandlung von rheumatoider Arthritis, Osteoarthritis, posttraumatischen
Schmerzen, Dysmenorrhoe oder primären Kopfschmerzen sind, ist es wichtig, das
Risiko der möglichen Nebenwirkungen einschätzen zu können. Wichtige Fragen
sind beispielsweise, welche Substanzen in Bezug auf gewisse Gefahren sicherer
sind als andere oder ob wie man das Nebenwirkungsrisiko verringern kann. (27)
Anhand einer Kategorisierung in die betroffenen Organsysteme ist es einfach die
Nebenwirkungen
zu
überblicken.
Im
Folgenden
werden
ausgewählte
Organsysteme bezüglich der Nebenwirkungen betrachtet.
6.1 Gastrointestinale Nebenwirkungen
Aufgrund unspezifischer Definitionen, gibt es zahlreiche Krankheitsbegriffe, die
unter den gastrointestinalen Nebenwirkungen von nichtsteroidalen Antirheumatika
einzuordnen sind. (25) In folgender Abbildung werden mögliche durch NSAR
induzierte gastrointestinale Pathologien genannt.
Abbildung 7: Spektrum NSAR-induzierter gastrointestinaler Mukosaschäden (28)
21
6.1.1 Mechanismus
Für das Verständnis der Mukosaschädigung sind die pathophysiologischen
Grundlagen um die Funktion der Prostanoide nötig.
Prostanoide, welche vom bifunktionellen Enzym Cyclooxygenase gebildet werden,
wirken unter physiologischen Bedingungen zytoprotektiv auf die Mukosa im
Gastrointestinaltrakt. Bewiesen wurde diese Zytoprotektivität durch topische
Applikation von Säuren oder Ethanol und gleichzeitige Gabe verschiedener
Prostaglandine. (13) Die Funktion der Prostanoide ist also, im Gegensatz zu dem
Entzündungsgeschehen oder der Schmerzentstehung, in diesem Fall erwünscht
und sollte medikamentös möglichst nicht gehemmt werden, um die Zytoprotektion
aufrechtzuerhalten und Nebenwirkungen zu vermeiden. Die konstitutiv exprimierte,
nicht-induzierbare COX-1 gilt als hauptverantwortlich für die Bildung der
notwendigen Prostanoide. (25) Prostaglandin E2 (PGE2) und Prostazyklin (PGI2)
spielen die Hauptrolle, wobei sich die zellschützende Wirkung aus verschiedenen
Mechanismen zusammensetzt. Beide genannten reduzieren über die Wirkung am
EP3-Rezeptor beziehungsweise am IP-Rezeptor die Magensäuresekretion der
Parietalzellen. Intravenöse Gabe der beiden Prostanoide führt zur Vasodilatation
in der Magenmukosa und somit zu einer verstärkten Durchblutung, was sich gut
auf den Erhalt der funktionellen Integrität auswirkt. PGE 2 wird im Magen vom
Epithel und glatten Muskelzellen gebildet. Es zeigte sich, dass die intragastrale
Gabe von PGE2 beim Menschen die Freisetzung zähen Schleims induziert,
welcher eine schützende Funktion gegen die Magensäure haben dürfte. (13)
Obwohl das Bestreben in die Richtung geht, durch COX-2-selektive Inhibitoren
das gastrointestinale Risiko zu senken, muss gesagt werden, dass der exakte
Mechanismus dieser Nebenwirkungen komplexer sein könnte, als angenommen
wird. (25) Erstaunlich ist zum Beispiel die in einer Studie von Langenbach et al.
entdeckte Tatsache, dass Tiere ohne COX-1-Gen keine spontane Ulkusbildung
zeigten. Das könnte darauf hindeuten, dass beide Cyclooxygenasen von
Bedeutung sind. (29) In einer anderen Studie von Morteau et al. wurden Ratten
entweder mit selektiven COX-1- oder COX-2-Hemmern behandelt. Es zeigte sich
in keiner der beiden Gruppen eine Ulkusbildung. Weitere Ratten wurde mit beiden
Substanzen behandelt, woraufhin alle Ratten dieser Gruppe Ulzera entwickelten.
(30) Peskar beschreibt eine Up-Regulation von COX-2 bei einem chronischen
22
Ulkus und als Folge die Unmöglichkeit der Ulkusheilung unter COX-2-HemmerTherapie. (18)
6.1.2 Risiko und Prävention
Das Risiko für die Entwicklung gastrointestinaler Nebenwirkungen im Lauf der
Therapie mit NSAR ist nicht nur abhängig von der verwendeten Substanz und
ihrer Dosierung, sondern auch von weiteren Risikofaktoren wie dem Alter, Ulzera
in
der
Vergangenheit
sowie
auch
der
Kortikosteroiden und Antikoagulantien. (25)
gleichzeitigen
Einnahme
von
Shorr et al. untersuchten in einer
Studie, die im Jahr 1993 veröffentlich wurde, die gleichzeitige Verwendung von
oralen Antikoagulantien mit NSAR bei alten PatientInnen. Die eingeschlossenen
PatientInnen waren älter als 65 Jahre und wurden über einen Zeitraum von zwei
Jahren beobachtet. Es wurden verschiedene orale Antikoagulantien wie Warfarin
oder Phenprocoumon sowie auch diverse NSAR wie Ibuprofen, Sulindac oder
Naproxen von den PatientInnen eingenommen. Es zeigte sich, dass PatientInnen,
die NSAR und Antikoagulantien zur Therapie erhielten, eine zirka dreimal höhere
Hospitalisierungsrate aufgrund von Komplikationen wegen Ulzera aufgewiesen
hatten als jene, welche nur NSAR einnahmen. (31) Helicobacter pylori wurde als
Risikofaktor für die Entwicklung gastrointestinaler Ulzera mehrfach untersucht.
Eine Studie von Chan et al., in welcher Helicobacter pylori mit einer Bismuth
beinhaltenden Kombinationstherapie eradiziert wurde, brachte das Ergebnis
hervor, dass die Ulkusentstehung bei den PatientInnen nach Eradikationstherapie
viermal seltener war als bei jenen PatientInnen ohne Eradikation. (32) Es sei zu
bedenken, dass Bismuth sich in der Magenschleimhaut anreichert und die
Prostaglandinsynthese
stimuliert.
Das
würde
auch
den
Unterschied
zu
Ergebnissen anderer Studien erklären, in denen das Bakterium mit anderen
Medikamenten bekämpft wurde. (25)
Präventiv gibt es zwei Möglichkeiten des Vorgehens: Einerseits wäre eine
Begleittherapie mit dem Ziel die Magenschleimhaut zu schützen möglich, wobei
andererseits angestrebt werden sollte, die schädigenden Medikamente durch
andere zu ersetzen. (25)
23
Eine Alternative die magenschädigenden NSAR zu ersetzen wäre Paracetamol.
Towheed et al. verglichen in ihrem Review 15 Studien miteinander, um
Unterschiede zwischen Paracetamol und NSAR bei Osteoarthritis-PatientInnen
beurteilen zu können. Bezüglich der gastrointestinalen Sicherheit hat sich gezeigt,
dass
sich
13%
der
Paracetamol-PatientInnen
mit
gastrointestinalen
Nebenwirkungen präsentierten, während es bei den NSAR-PatientInnen 19%
waren. Es soll allerdings erwähnt werden, dass die durchschnittliche Studiendauer
mit sechs Wochen relativ kurz war. (33) Neben Paracetamol war vor allem die
Entwicklung hochselektiver COX-2-Hemmer zunächst äußerst vielversprechend.
Im Rahmen der VIGOR-Studiengruppe wurde das gastrointestinale Outcome des
Präparates Vioxx – der Handelsname für Rofecoxib der Firma Merck – untersucht.
Bombardier et al. verglichen dabei den hochselektiven COX-2-Hemmer Rofecoxib
mit Naproxen. Bei den über 8000 eingeschlossenen PatientInnen handelte es sich
um über 50-Jährige – in bestimmten Fällen auch nur über 40-Jährige –, welche an
rheumatoider Arthritis litten. Personen der einen Gruppe wurden mit je 50mg
Rofecoxib pro Tag behandelt, die der Kontrollgruppe erhielten zweimal am Tag
500mg Naproxen. Die Effizienz beider Substanzen gegen rheumatoide Arthritis
war in etwa gleich. Bei einer mittleren Beobachtungsdauer von 9 Monaten zeigte
sich jedoch, dass die mit Rofecoxib behandelten PatientInnen nur halb so viele
gastrointestinale Beschwerden entwickelten. Gezählt wurden gastroduodenale
Perforationen oder Obstruktionen, Blutungen im oberen Gastrointestinaltrakt sowie
symptomatische gastroduodenale Ulzera. Diese Reduktion des gastrointestinalen
Risikos passierte bekanntlich auf Kosten eines erhöhten kardiovaskulären Risikos:
fünfmal häufiger kam es in der Rofecoxib-Gruppe zu Myokardinfarkten als in der
Naproxen-Gruppe. (34) 2004, nach einer weiteren bestätigenden Studie, wurde
das Präparat von Merck freiwillig vom Markt genommen. (26)
Die zusätzliche Gabe diverser Substanzen zum Schutz des Magens stellt eine
weitere Alternative in der Verringerung der Nebenwirkungswahrscheinlichkeit im
Verdauungstrakt
dar.
Wolfe
nimmt
in
seinem
Review
zu
möglichen
Medikamentengruppen Stellung. (25)
Der H2-Rezeptor-Antagonist Ranitidin wurde in zwei großen Placebo-kontrollierten,
prospektiven Studien auf seinen protektiven Effekt bei Arthritis-PatientInnen,
welche mit NSAR behandelt wurden, untersucht. Zweimal pro Tag wurden 150mg
24
Ranitidin gegeben, wodurch zwar das Auftreten von Duodenalulzera auf 0% und
1,5% im Vergleich zu 8% in der Placebo-Gruppe gesenkt werden konnte. Diese
Dosis war allerdings nicht in der Lage das Auftreten von Magenulzera zu senken.
(25) Taha et al. untersuchten in ihrer Studie den H2-Rezeptor-Antagonist
Famotidin auf seine Ulkus-Reduktion. Dabei wurde die Dosis von 40mg zweimal
täglich mit selbiger Substanz zu 20mg zweimal täglich sowie Placebo verglichen.
Die Studie dauerte 24 Wochen und wurde doppelblind durchgeführt. Zwei Ärzte
führten die endoskopischen Kontrolluntersuchungen durch. Das Ergebnis war,
dass das Risiko für Magen- und Duodenalulzera besonders durch die hohe Dosis
von Famotidin gesenkt werden konnte. Auch dyspeptische Symptome konnten
reduziert werden. (35) Dadurch dass der Nutzen nur moderat war und die Kosten
für solch hohe Dosen H2-Rezeptor-Antagonisten durchaus beträchtlich wären,
bezeichnet Wolfe die Verwendung dieser Medikamente zur Prävention NSARassoziierter Ulzera als nicht empfehlenswert. (25)
Protonenpumpeninhibitoren wurden auf eine Reduktion der gastrointestinalen
Nebenwirkungen mehrfach untersucht. In einem Cochrane Review von Rostom et
al. wurden sechs randomisierte kontrollierte Studien verglichen und für die
insgesamt über 1200 PatientInnen das Ergebnis gefunden, dass durch die Gabe
von Protonenpumpeninhibitoren eine signifikante Reduktion des Risikos für
NSAR-assoziierte Ulzera im Vergleich zu Placebo stattfindet. Für das Auftreten
von endoskopisch sichtbaren duodenalen Ulzera wurde eine fünffache – für das
Auftreten von Magenulzera eine 2,5-fache Reduktion des Risikos beobachtet. Die
Resultate für Primär- und Sekundärprophylaxe waren dabei ähnlich. Vier der
sechs Studien, welche dyspeptische Symptome als einen Endpunkt definiert
hatten, konnten auch eine Reduktion dieser zeigen. In diesem Review wird auch
eine Studie erwähnt, in welcher 20mg Omeprazol pro Tag mit 150mg Ranitidin pro
Tag verglichen wurden. Es zeigte sich für diese Standarddosen ein deutlicher
Vorteil des Protonenpumpeninhibitors Omeprazol. (36)
Eine Prostaglandin-Gabe ist ebenfalls eine Option der Co-Medikation, um bei
NSAR-Gabe die Nebenwirkungen im oberen Verdauungstrakt zu reduzieren. Im
Cochrane Review von Rostom et al. werden elf Studien angeführt, welche über
einen Zeitraum von mindestens drei Monaten die Inzidenz endoskopisch
sichtbarer Ulzera zwischen Misoprostol und Placebo verglichen. Duodenale Ulzera
25
wurden um 74% reduziert, Magenulzera um 58%. In den jeweiligen Studien
wurden Dosierungen zwischen 400µg und 800µg verabreicht. 800µg verringerten
das Risiko eines endoskopisch sichtbaren Magenulkus am stärksten. Das Risiko
wurde im Vergleich zu Placebo um über 80% gesenkt. Geringere Dosierungen
waren weniger wirksam. Für die Risikoreduktion der duodenalen Ulzera zeigten
sich für die verschiedenen Dosierungen keine statistischen Unterschiede. Das
Risiko wurde um fast 80% reduziert. Studien, welche das Risiko für eine unter drei
Monate dauernde Co-Therapie untersuchten, brachten ähnliche Ergebnisse
hervor. Ebenfalls um knapp über 80% wurde das Risiko für Magenulzera gesenkt
und um 70% für duodenale Ulzera. Als Kontrolle diente wie bei den länger
dauernden Studien ein Placebo. Die Ulkus-Komplikationen wurden in diesen
Studien allerdings nicht untersucht. (36) Es gibt jedoch eine1995 publizierte Studie
von Silverstein et al., welche eine Risiko-Reduktion ernsthafter gastrointestinaler
Ereignisse um 40% unter 800µg Misoprostol pro Tag angibt. Die Dauer dieser
Studie betrug 6 Monate und über 8800 PatientInnen waren eingeschlossen. (37)
Misoprostol hat kein unwesentliches Risiko für Nebenwirkungen, sodass in dieser
Studie von Silverstein et al. sogar 20% der Personen aus der Misoprostol-Gruppe
ausgetreten waren, wohingegen das bei nur 15% der Personen der PlaceboGruppe der Fall war. (37) Nebenwirkungen von Misoprostol können Übelkeit,
Durchfall
oder
Bauchschmerzen
sein.
Die
Nebenwirkungen
scheinen
dosisabhängig zu sein, da nur bei der Dosis von 800µg pro Tag ein statistisch
signifikanter Anstieg des Risikos für einen Drop-Out aufgrund von Durchfall oder
Bauchschmerzen beobachtet werden konnte. Das Risiko, Durchfall zu bekommen,
wäre bei 800µg Misoprostol im Vergleich zu Placebo verdreifacht (relatives Risiko
3,16), für 400µg Misoprostol nicht einmal verdoppelt (relatives Risiko 1,76). (36)
Abschließend ist zu sagen, dass Misoprostol in der hohen Dosis von 800µg zwar
gut präventiv wirksam ist, aber auch viele Nebenwirkungen mit sich bringt. H 2Rezeptor-Antagonisten sind teuer und der Effekt zu gering, außer man verdoppelt
die Dosis. Protonenpumpeninhibitoren sind gut wirksam und aufgrund des
günstigen Nebenwirkungsprofils vor Mistoprostol zu stellen. (36) Alter und
Begleitmedikation
sind
wesentliche
Risikofaktoren.
Glukokortikoide
und
Antikoagulantien können beispielsweise das Auftreten von Ulzera bzw. die
Blutungswahrscheinlichkeit erhöhen. Es sollte bei der Wahl der Therapie das
26
kardiovaskuläre Risiko miteinbezogen werden, insbesondere der Umstand, ob
eine Thrombozytenaggregationshemmung nötig ist, da dies COX-2-Hemmer und
NSAR ausschließen kann beziehungsweise Naproxen zu bevorzugen wäre. (38)
27
Abbildung 8: zusammengefasste Empfehlungen der NSAR-Ulkus-Prävention (38)
28
6.2 Kardiovaskuläre Nebenwirkungen
Abhängig von der eingesetzten Substanz aus der Klasse der NSAR kann das
Risiko eines Myokardinfarkts oder Schlaganfalls geringfügig bis deutlich erhöht
sein. Auch das Gegenteil eines Infarkts oder Insults, nämlich eine erhöhte
Blutungsneigung, kann bei Verabreichung von COX-Hemmern beobachtet
werden. Hier ist Acetylsalicylsäure das einzige dieser Medikamente, das zur
Thrombozytenaggregationshemmung
und
somit
zur
Thromboseprophylaxe
verwendet wird. (14, 39) Auch ein Anstieg des arteriellen Blutdrucks sowie ein
erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Herzinsuffizienz werden mit NSAR in
Verbindung gebracht. (14, 40) Für ein Verständnis dieser Nebenwirkungen ist die
Kenntnis über das Zusammenspiel der beteiligten Prostanoide nötig.
6.2.1 Mechanismus
Im pathophysiologischen Mechanismus, der die Grundlage für das Verständnis
der kardiovaskulären Nebenwirkungen darstellt, nehmen die Thrombozyten und
die Gefäße und die Möglichkeiten diese zu beeinflussen die zentralen Rollen ein.
Thromboxan (TXA2) und Prostazyklin (PGI2) sind die wichtigen Prostanoide für die
Regulierung des Gefäßtonus und die Thrombozytenaggregation. (5, 14)
Von vaskulären Zellen werden neben PGI2, PGE2 oder PGF2α noch viele weitere
Prostanoide sezerniert, wobei das von Endothelzellen gebildete PGI 2 das
wichtigste darstellt. Über verschiedene Rezeptoren kann die Gefäßwand auf eine
Vielzahl verschiedener Prostanoide reagieren. An IP-Rezeptoren der glatten
Gefäßwandmuskulatur entfaltet beispielsweise das genannte PGI2 seine Wirkung
und hemmt die Kontraktion, was eine Dilatation zur Folge hat. Durch dasselbe
Prostanoid
werden
bei
Thrombozyten
über
den
IP-Rezeptor
die
Thrombozytenaggregation und folglich die Thromboseentstehung inhibiert. PGE 2
ist hauptverantwortlich für die starke Vasodilatation und die Hautrötung im
Rahmen einer akuten Entzündung. Der EP2-Rezeptor, über den diese dilatierende
Wirkung vermittelt wird, dürfte auch eine Rolle beim salzsensitiven Bluthochdruck
spielen. In einem Versuch zeigte sich, dass Mäuse ohne das EP2-Gen bei
29
salzreicher Ernährung einen Bluthochdruck entwickelten. Als Kontrollgruppe
dienten nicht-genbehandelte Mäuse.
In Thrombozyten wird nur COX-1 exprimiert. Das führt unter physiologischen
Bedingungen größtenteils zur Bildung von TXA2. Dieses spezielle ArachidonsäureProdukt wirkt gegenteilig zum PGI2 aggregationsfördernd und vasokonstriktiv. Die
Aggregation wird über den TP-Rezeptor der Blutplättchen vermittelt. Als Beweis
dient ein Versuch an Mäusen mit entferntem TP-Gen, in welchem eine verlängerte
Blutungszeit beobachtet werden konnte. Bei Mäusen ohne COX-1 konnte in vitro
trotz genügend Arachidonsäureangebot eine Beeinträchtigung der Aggregation
gefunden werden. TXA2 führt, neben diesem Effekt an Thrombozyten, ebenfalls
über Stimulation des TP-Rezeptors zu einer Kontraktion der glatten Muskulatur
der Gefäße sowie der Atemwege.
In Endothel- und glatten Gefäßmuskelzellen wird wie in Thrombozyten COX-1
exprimiert – COX-2 kann aber durch Scher-Stress des normalen Blutflusses
induziert werden. Eine Studie, bei welcher den Probanden COX-2-Hemmer
verabreicht wurden, brachte hervor, dass die physiologische PGI2-Produktion nicht
nur von der COX-1 abhängig sein kann, sondern COX-2 eine beträchtliche Rolle
spielen müsste. Immunhistochemisch ist in normalen Blutgefäßen COX-2
vernachlässigbar gering nachweisbar, COX-1 hingegen vergleichsweise in großen
Mengen. In kleinsten angiogenetisch aktiven Gefäßen oder in atherosklerotisch
geschädigten Gefäßen ist auch COX-2 in größeren Mengen nachweisbar.
Die normale Produktion von PGI2 ist wichtig für das physiologische Gleichgewicht.
Der Effekt von TXA2 muss durch Vasodilatation und Antiaggregation kompensiert
werden, um thrombotische beziehungsweise gefäßokklusive Erkrankungen zu
vermeiden. Dadurch ist prinzipiell der Wirkmechanismus von Acetylsalicylsäure
bereits erklärt. Es hemmt beide Cyclooxygenasen, wobei die COX-1 der Plättchen
– wegen des fehlenden Nukleus und der konsekutiven Unfähigkeit das Enzym
nachzubilden – ein ganzes Thrombozyten-Leben lang blockiert werden. Die
Hemmung in den vaskulären Zellen ist nur vorübergehend. Daher wird das
vasodilatative antithrombotische PGI2 nach Stunden bereits wieder gebildet,
während das vasokonstriktorische aggregationsfördernde TXA 2 erst mit der
Bildung neuer Thrombozyten wieder gebildet werden kann. (13)
30
Wegen dieser Abhängigkeit von der Lebensdauer der Thrombozyten ist für einen
Zeitraum von knapp über einer Woche das Blutungsrisiko erhöht und sind
Operationen kontraindiziert. (14)
6.2.2 Risiko und Prävention
Das erhöhte kardiovaskuläre Risiko, aufgrund dessen Rofecoxib von der Firma
Merck 2004 vom Markt genommen werden musste (26), betrifft nicht nur selektive
COX-2-Hemmer, sondern ist auch für andere NSAR nachzuweisen. (41)
In den meisten Studien wird als Endpunkt das Risiko eines Myokardinfarkts oder
Schlaganfalls untersucht – von einem Hypertonus ist schließlich kein Leben direkt
abhängig. Insofern ist dieser aber relevant, dass er als Risikofaktor für die
Herzinsuffizienz oder den Infarkt gilt.
Snowden und Nelson verglichen in ihrem Review (42) zwei Metaanalysen und 10
randomisierte kontrollierte klinische Studien auf die Effekte von NSAR auf den
Blutdruck. Bei PatientInnen mit normalem Blutdruck ist der Effekt von NSAR
geringer als bei HypertonikerInnen. Ein Anstieg des arteriellen Mitteldrucks von
1,12mmHg konnte gezeigt werden. Dieser Wert wurde als Durchschnittswert für
111 PatientInnen und nur für die Substanzen Indomethacin, Sulindac und
Acetylsalicylsäure errechnet. PatientInnen mit einem medikamentös behandelten
Bluthochdruck zeigten variable Veränderungen des Blutdrucks, wobei ein Anstieg
um bis zu 14,3mmHg systolisch und 2,3mmHg diastolisch bei Gabe von
nichtselektiven NSAR zu beobachten war. Für diese Werte wurden eine
randomisierte kontrollierte Studie und zwei Metaanalysen betrachtet, die jeweils
eine relativ junge und gesunde Patientenpopulation aufweisen konnten. Es gab
keine Hinweise auf grobe Organerkrankungen wie Leberzirrhose oder chronische
Nierenerkrankungen.
verwendeten
Jedoch
Substanzen
variierten
und
ihre
die
Dosis
Dauer
sowie
der
Behandlung,
auch
die
Art
die
der
Blutdruckmessung. Das dürfte den Unterschied der gemessenen Ergebnisse
erklären. Auch selektive COX-2-Hemmer wurden auf ihren blutdrucksteigernden
Effekt bei therapierten Hypertonie-PatientInnen untersucht. Eine Vielzahl dieser
PatientInnen wurde wegen Osteoarthritis oder rheumatoider Arthritis dauerhaft mit
31
Celecoxib (Maximaldosis 200mg pro Tag) oder Rofecoxib (Maximaldosis 25mg
pro Tag) behandelt. Die Höhe des Blutdruckanstiegs war in erster Linie
substanzabhängig. Rofecoxib erhöhte den Blutdruck in allen Studien signifikant.
Im Vergleich dazu steigerte Celecoxib den Blutdruck deutlich schwächer, aber
immerhin stärker als Placebo. Es konnte in keiner Studie, die Celecoxib
untersuchte,
eine
statistische
Signifikanz
für
eine
Blutdrucksteigerung
nachgewiesen werden. Für beide COX-2-Inhibitoren gemeinsam beobachtete man
eine systolische Blutdrucksteigerung von bis zu 6,5mmHg und eine diastolische
von bis zu 3,5mmHg, dies dürfte wohl Rofecoxib zuzuschreiben sein. (42)
Die
Aufhebung
der
blutdrucksenkenden
Wirkung
bei
gegen
Hypertonie
therapierten PatientInnen zeigte eine Studie von Whelton et al. (43), in welche
1092 PatientInnen eingeschlossen wurden. Es wurden die Auswirkungen auf den
systolischen Blutdruck durch Celecoxib und Rofecoxib untersucht. Rofecoxib
steigerte den Blutdruck im Gegensatz zu Celecoxib deutlich bei PatientInnen,
welche β-Blocker oder ACE-Hemmer einnahmen. Auf die Therapie mit
Calciumkanalblockern haben selektive COX-2-Hemmer keinen erwähnenswerten
Einfluss. (41)
Abbildung 9: Effekte von Rofecoxib und Celecoxib auf den systolischen Blutdruck
bei
Patienten
unter
Einnahme
von
β-Blockern,
ACE-Hemmern
oder
Calciumkanalblockern (41)
32
Für 50- bis 60-jährige PatientInnen ohne Dauermedikation wurde in einer kleinen
einwöchigen klinischen Studie von Hinz et al. das interessante Ergebnis gefunden,
dass Diclofenac die COX-2 offenbar stärker hemmt – nämlich zu 99% – als
Celecoxib und Rofecoxib. Auch der Blutdruckanstieg war in der Diclofenac-Gruppe
etwas höher. Für Rofecoxib konnte kein wesentlicher Blutdruckanstieg von Tag
eins bis Tag acht nachgewiesen werden. Zu bedenken ist allerdings, dass
insgesamt nur 24 Personen an dieser Studie teilnahmen. (44)
Neben Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes oder Nierenversagen, die als
Risikofaktor für die Entwicklung einer Herzinsuffizienz bekannt sind, spielt auch
die NSAR-Therapie als Risikofaktor eine Rolle. García Rodríguez und HernándezDíaz führten im Jahr 1996 eine Studie in Großbritannien durch, um diese
Problematik genauer zu untersuchen. Ein angepasstes relatives Risiko von 1,6
besteht für PatientInnen, welche NSAR einnehmen im Vergleich zu PatientInnen
der Kontrollgruppe. Wenn zusätzlich zur NSAR-Einnahme Hypertonus, Diabetes
oder Nierenversagen vorliegt, erhöht sich das relative Risiko auf 1,9. Das bedeutet
beinahe eine Verdoppelung des Risikos, eine Herzinsuffizienz zu bekommen. Die
in diese Studie eingeschlossenen PatientInnen waren alle zwischen 40 und 84
Jahre alt und wurden ab 1. Januar 1996 für ein Jahr beobachtet. Endpunkt war
entweder eine aufgetretene Herzinsuffizienz, Krebs oder der 31. Dezember 1996.
Ursprünglich waren fast 700.000 Personen eingeschlossen, Ausschlussgründe
waren übrigens bekannte Herzinsuffizienz, Krebs oder Schwangerschaft. Für die
Datenverarbeitung konnten 857 Fälle von Herzinsuffizienz verwendet werden.
5000 Kontrollen wurden aus den ursprünglich erfassten Personen ausgewählt,
welche in Bezug auf Alter und Geschlecht ähnlich der Fallgruppe waren. 15% der
PatientInnen der Fallgruppe waren NSAR-PatientInnen, während es in der
Kontrollgruppe nur 9% gab. Diese Zahlen beziehen sich auf den mit
Studienbeginn gegenwärtigen Gebrauch von NSAR. Einbezogen wurden alle,
welche die letztverschriebenen NSAR zu diesem Zeitpunkt einnahmen oder im
letzten Monat die NSAR-Therapie beendet hatten. Weitere Parameter bezüglich
der NSAR-Therapie wurden erhoben. Zum Beispiel zeigte sich, dass von den 15%
gegenwärtigen NSAR-PatientInnen aus der Fallgruppe die meisten offenbar
langzeittherapiert waren. Fast die Hälfte von diesen nahm bereits seit über einem
33
Jahr NSAR ein. Ziemlich genau ein Viertel dieser PatientInnen war erst seit
weniger als 30 Tagen mit der gegenwärtigen NSAR-Therapie eingestellt. (40)
Der kardiovaskulär bedingte Tod stellt eine äußerst beunruhigende Nebenwirkung
von unselektiven NSAR und selektiven COX-2-Hemmer dar, die vermieden
werden sollte. Olsen et al. publizierten im Jahr 2013 eine in Dänemark
durchgeführte Kohortenstudie, bei welcher über 30-Jährige, die zwischen 1997
und
2009
aufgrund
aufgenommen
eines
wurden,
erstmaligen
bezüglich
ihres
Myokardinfarkts
nachfolgenden
im
Krankenhaus
NSAR-Gebrauches
retrospektiv untersucht wurden. Wesentlich für die Durchführung der Studie war
das Faktum, dass in Dänemark die Patientenaufzeichnungen sehr streng erledigt
werden, so dass sich über jede/n EinwohnerIn sogar die ausgehändigten
Medikamente jederzeit nachprüfen lassen. Die tägliche Dosis wird dabei zwar
nicht aufgezeichnet, jedoch lässt sich diese einigermaßen genau nachrechnen,
wenn man die Verschreibungszeiträume und die Menge der Medikamente
heranzieht. PatientInnen wurden bis zum erstmaligen Auftreten eines definierten
Ereignisses (kardiovaskulärer Tod, plötzlicher Herztod oder nichttödlicher
Myokardinfarkt, tödlicher oder nichttödlicher Schlaganfall) beobachtet. Tod
aufgrund anderer Ursache oder Auswanderung sowie das Ende der Beobachtung
am 31. Dezember 2009 waren weitere Endpunkte in der Beobachtung. Um falsche
Schlussfolgerungen zu vermeiden, wurden nur jene PatientInnen in die Kohorte
aufgenommen,
welche
30
Tage
nach
Entlassung
wegen
des
ersten
Myokardinfarkts – dieser weist bekanntlich eine hohe Mortalität auf – noch am
Leben waren. Nachdem zirka ein Viertel der ursprünglichen MyokardinfarktPatientInnen den ersten Monat nach Entlassung nicht überlebt hatte, blieben
97698 PatientInnen der Studie erhalten. 44% von ihnen waren zumindest einmal
während der Follow-Up-Periode mit NSAR therapiert worden. Analysiert wurden
die Substanzen Rofecoxib, Celecoxib, Diclofenac, Ibuprofen und Naproxen. Für
die statistische Analyse wurde die Einnahmezeit der NSAR beachtet. So wurden
NSAR nur dann als Ursache für ein Ereignis gewertet, wenn eine zeitliche
Kausalität gegeben war. (45)
Bei der Beurteilung der Ergebnisse ist zu beachten, dass der Endpunkt „plötzlicher
Herztod oder nichttödlicher Myokardinfarkt“ genauso wie der SchlaganfallEndpunkt nicht zwingend Todesfälle zu bedeuten hat. Insgesamt zeigte sich für
34
den Gebrauch von NSAR ein erhöhtes Risiko für alle drei Endpunkte. Besonders
erhöhtes Risiko zeigte sich aber für den kardiovaskulären Tod (Hazard-Ratio 1,42)
und für den gemeinsamen Endpunkt des plötzlichen Herztodes und nichttödlichen
Myokardinfarkts (Hazard-Ratio 1,37). Als am gefährlichsten stellten sich Rofecoxib
und Diclofenac heraus. Erstgenannte Substanz steigerte das Risiko für einen
kardiovaskulären Tod im Vergleich zu keinem Schmerzmittelgebrauch um 66%
(Hazard-Ratio 1,66). Die Hazard-Ratio für den plötzlichen Herztod wurde mit 1,65
angegeben. Für Ibuprofen und Diclofenac wurde eine stärkere Dosis-Abhängigkeit
für das Risiko der Endpunkte gefunden. Insgesamt birgt Diclofenac beinahe eine
Verdoppelung des Risikos für einen kardiovaskulären Tod (Hazard-Ratio 1,96)
und eine Erhöhung von 66% (Hazard Ratio 1,66) für einen plötzlichen Herztod.
Das Risiko für den kardiovaskulären Tod oder den plötzlichen Herztod oder
nichttödlichen Herzinfarkt war für Ibuprofen und alle anderen kontrollierten
Substanzen zwar erhöht, jedoch nicht in dem Ausmaß, wie es bei Diclofenac und
Rofecoxib der Fall war. (45)
Als zu bevorzugende Substanz wird Naproxen erwähnt, welches das geringste
Risiko darstellte. Es wird in der Studie auch darauf hingewiesen, dass diese
Erkenntis über das vergleichsweise schwache ursachenspezifische Risiko von
Naproxen im Einklag mit ähnlichen Studien steht. (45)
Abbildung 10: Substanzspezifisches Risiko für den kardiovaskulären Tod (45)
35
Abbildung 11: Substanzspezifisches Risiko für den plötzlichen Herztod und den
nichttödlichen Herzinfarkt (45)
In einer ähnlichen Studie (46) wurde ebenfalls in Dänemark das kardiovaskuläre
Risiko von unselektiven NSAR und selektiven Coxiben bei gesunden PatientInnen
untersucht. Diese durften fünf Jahre vor der erstmaligen NSAR-Verschreibung
keine Hospitalisierung aufweisen. Außerdem wurden definierte Medikamente in
einem Zeitraum zwei Jahre vor der erstmaligen NSAR-Verschreibung als weiterer
Ausschlussgrund festgelegt. Diclofenac (Odds-Ratio 1,91) und Rofecoxib (OddsRatio 1,66) zeigten ein erhöhtes Risiko für einen kardiovaskulären Tod. Das Risiko
soll dosisabhängig sein. Ibuprofen zeigte nur ein leicht erhöhtes Risiko für einen
kardiovaskulären Tod. Celecoxib konnte sogar eine Odds-Ratio von unter 1 für
den kardiovaskulären Tod aufweisen, war dafür aber für das Risiko eines
plötzlichen Herztodes oder nichttödlichen Infarktes die gefährlichste unter den
untersuchten Substanzen. Naproxen erwies sich auch in dieser Studie als
kardiovaskulär relativ sicher, da es kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko
bedingen dürfte. Eine Odds-Ratio von 0,84 für den kardiovaskulären Tod sowie
eine Odds-Ratio von < 1 für den gemeinsamen Endpunkt eines plötzlichen
36
Herztodes und nichttödlichen Myokardinfarkts belegen diese relative Sicherheit.
Das Schlaganfall-Risiko war allerdings auch für Naproxen erhöht und erreichte,
wie sonst nur Diclofenac, eine Odds-Ratio von > 1,5. (46)
Aufgrund dieser Daten wäre die zu bevorzugende Substanz, wenn man das Risiko
für schwere kardiovaskuläre Nebenwirkungen minimieren möchte, sowohl für
gesunde als auch für RisikopatientInnen, Naproxen.
6.3 Renale Nebenwirkungen
Die nephrotoxische Wirkung von NSAR sollte keinesfalls unterschätzt werden. Vor
allem
für
bestimmte
RisikopatientInnen
kann
die
Inhibition
der
Prostaglandinsynthese gefährlich werden. Initial kann es zu einer Vasokonstriktion
und einer reversiblen Einschränkungen kommen, unbemerkt oder unbehandelt
führt das aber bis zu akuter Tubulusnekrose und akutem Nierenversagen.
Außerdem können NSAR zu einer interstitiellen Nephritis mit oder ohne
nephrotischem Syndrom führen. Das zu beobachtende akute Nierenversagen
kann dabei durchaus in ein chronisches Nierenversagen übergehen. Bei LangzeitNSAR-PatientInnen ohne klinisches Nierenversagen wurden subklinische Befunde
wie eine reduzierte Kreatinin-Clearance oder eingeschränkte Fähigkeit zur
Urinkonzentration erhoben. Diese Effekte sollen zwar nach Ende einer längeren
NSAR-Therapie reversibel sein, aber Ejaz et al. verweisen auch auf Berichte über
eine bleibende Dysfunktion. (47)
In Studien, welche die renalen Nebenwirkungen untersuchten, wurden selten Fälle
von Nierenversagen beobachtet, aber durchaus Ödeme der unteren Extremitäten
oder Hypertension registriert. (48, 49) Diese eignen sich aufgrund der Häufigkeit
für den Vergleich der verschiedenen Substanzen. (48)
6.3.1 Mechanismus
In der normalen Nierenrinde werden hauptsächlich PGE2 und PGI2 produziert. Das
Mark bildet hauptsächlich PGE2 und zwar in etwa zwanzigmal so viel wie die
Rinde. Über den PGE2-Wert des Urins soll eine verlässliche Aussage über die
37
PGE2-Produktion der Niere möglich sein. Die gefäßerweiternden Eigenschaften
der beiden Prostanoide ließen sich über intrarenale Infusion derselben beweisen,
da dadurch der renale Blutfluss gesteigert werden konnte. In der Regulation der
Nierendurchblutung können die Prostanoide als funktioneller Gegenspieler des
Angiotensin II gesehen werden. Eine weitere Wirkung der Prostanoide ist die
Hemmung der tubulären Natirum-Rückresorption und die konsekutiv gesteigerte
Natriurese. Außerdem wird im geraden Abschnitt des distalen Tubulus der ChloridTransport gehemmt. Die PGE2-Synthese wird hauptsächlich über COX-1
vermittelt. Bei PGI2 dürfte für deren Produktion in der Macula densa die COX-2
eine Rolle spielen, die bei Salzmangel hochreguliert werden dürfte. Das hier
gebildete PGI2 soll direkt stimulierend auf die Renin-Sekretion wirken. Der Erhalt
der Nierenfunktion ist bei Herzinsuffizienz, Leberzirrhose oder chronischer
Niereninsuffizienz – und generell bei allen Erkrankungen, welche eine Aktivierung
des Renin-Angiontensin-Aldosteron-Systems bedingen – wesentlich von den
vasodilatativen Prostanoiden abhängig, deren Produktion durch NSAR gehemmt
wird. (13, 14)
6.3.2 Risiko und Prävention
In der Studie von Curtis el al. (48) wurden die Daten von acht Placebokontrollierten Phase-III-Studien zu Osteoarthritis, rheumatoider Arthritis und
chronischen Schmerzen des unteren Rückens untersucht. Insgesamt ergab sich
ein Datensatz von 4770 PatientInnen. Zum Großteil – nämlich bis zu 80% – waren
die Personen Frauen. Das Ziel war es, die renalen Nebenwirkungen des
selektiven COX-2-Hemmers Etoricoxib mit denen gängiger NSAR zu vergleichen.
Etoricoxib wurde in Dosen zu 60, 90 und 120mg pro Tag untersucht. Bei Ibuprofen
und Naproxen wurden 2400mg beziehungsweise 1000mg pro Tag zur
Schmerztherapie gegeben, außerdem gab es eine Placebo-Gruppe. Untersucht
wurden
Risiken
für
Hypertension,
Beinödeme,
erhöhte
Serum-Kreatinin
Konzentration und Herzinsuffizienz. Bei bis zu 40% der PatientInnen war bereits
ein
Hypertonus
bekannt
und
die
häufigste
Begleitmedikation
war
Hormonersatztherapie. Das Ergebnis war, dass renale Nebenwirkungen selten
auftraten und die Inzidenz für die jeweiligen unerwünschten Effekte unter den
38
Substanzen relativ ähnlich war. Für Bluthochdruck konnte die Placebogruppe eine
Inzidenz von 2,0% aufweisen. Die Etoricoxib-PatientInnen zeigten bei 60mg/d eine
Inzidenz von 4,0%, bei 90mg/d 3,4% und bei 120mg/d 4,7%. Auffallend ist, dass
die mittlere Dosis die niedrigste Inzidenz zeigt. 2,9% betrug die Inzidenz für
Hypertension bei Naproxen und 6,6% bei Ibuprofen. Die Inzidenz für Beinödeme
war generell seltener. 1,9% der Placebo-Gruppe präsentierten sich mit dieser
Nebenwirkung. Die Inzidenzen für die getesteten Substanzen und Dosierungen
war im Wesentlichen ähnlich, nur Etoricoxib in der Dosis von 60mg/d erreichte
3,2%. Für die Serum-Kreatinin Konzentration wurde in keiner Gruppe eine
Inzidenz > 1% gefunden, dasselbe stellte sich für die Herzinsuffizienz heraus. Bei
letzterer waren die Inzidenzen sogar noch näher bei 0% als bei der SerumKreatinin Konzentration – das Maximum war eine Inzidenz von 0,2. (48)
HochrisikopatientInnen für eine akute Nierenschädigung wurden von dieser Studie
ausgeschlossen,
jedoch
waren
durchaus
Personen
mit
moderater
Niereninsuffizienz eingeschlossen. In dieser Studie von Curtis et al. wurden zwar
keine schweren Nebenwirkungen beobachtet, jedoch gibt es Fallberichte zu
Celecoxib oder Rofecoxib, wo akutes Nierenversagen vorgekommen ist. (48)
Wenn man von renalen Nebenwirkungen der NSAR spricht, sollte der Begriff der
Analgetika-Nephropathie nicht fehlen.
De Broe und Elseviers publizierten zu
diesem Thema 1998 einen Artikel in „The New England Journal of Medicine“. (50)
Sie beschreiben die klassische Analgetika-Nephropathie als ein sich chronisch
entwickelnden Prozess der Nierenschädigung, bedingt durch die jahrelange
Verwendung von zumindest zwei antipyretisch analgetischen Substanzen und
üblicherweise auch Koffein, Codein oder beide. Das alles würde im Rahmen einer
sich
entwickelnden
Abhängigkeit
geschehen.
Morphologisch
ist
dieses
Krankheitsbild gekennzeichnet durch eine renale Papillarnekrose und chronisch
interstitielle Nephritis. Die schleichende Entwicklung eines Nierenversagens folgt,
in manchen Fällen wäre auch ein Urothelkarzinom zu beobachten. In den frühen
90er Jahren war diese Pathologie für 3% der PatientInnen in Europa der Grund
ihrer Dialyse. Lange glaubte man, dass die mittlerweile größtenteils vom Markt
genommene Substanz Phenacetin hauptverantwortlich war, doch das konnte in
Rattenversuchen widerlegt werden. Es zeigte sich außerdem, dass Phenacetin im
First-Pass-Metabolismus der Leber zum Großteil zu Paracetamol metabolisiert
39
wird, so dass kaum Phenacetin in der Peripherie und somit auch in der Niere
wirksam werden kann. Paracetamol dürfte allerdings in der Entstehung der
Nephropathie eine Rolle spielen, wobei sich der Effekt durch zusätzliche AspirinEinnahme potenzieren würde. Die Prävalenz und Inzidenz der AnalgetikaNephropathie ist nach dem Verschwinden von Phenacetin in den 1990er Jahren
zurückgegangen und auch die Verfügbarkeit von Kombinationspräparaten war nun
rückläufig. Dass Phenacetin definitiv nicht ursächlich für die AnalgetikaNephropathie sein dürfte, zeigte sich daran, dass in Belgien und Australien in
Kombinationspräparaten diese Substanz zunächst nur durch eine andere ersetzt
wurde und dadurch die Häufigkeit der Pathologie nicht abnahm. Das unterstützt
die Annahme, dass Kombinationen von Analgetika das Risiko stark beeinflussen
dürften. (50)
6.4 Interaktionen nicht-opioider Analgetika mit anderen Pharmaka
Wie bei allen Arzneimitteln kommt es auch bei der gleichzeitigen Einnahme nichtopioider Analgetika und anderer Substanzen immer wieder zu Wechselwirkungen.
Die Problematik zwischen NSAR und Hypertonie-Medikamenten wurde bereits im
Kapitel 6.2 erwähnt. Weitere mögliche Interaktionen sollen kurz erläutert werden.
6.4.1 Acetylsalicylsäure und Ibuprofen
Acetylsalicylsäure wird in einer Niedrigdosierung zur Thrombozytenaggregation
als
sekundärprophylaktische
Myokardinfarkten
verschrieben
Maßnahme
oder
auch
nach
in
der
Schlaganfällen
oder
Nachbehandlung
nach
Koronarinterventionen verwendet. Die Dosis beträgt dafür maximal 100mg pro
Tag. Nach oraler Gabe ist die Konzentration der Substanz im Pfortaderblut
besonders hoch, wovon vor allem die Thrombozyten betroffen sind. Sie
verbrauchen sozusagen die Acetylsalicylsäure, sodass die Gefäßendothelzellen
des systemischen Kreislaufs keine wesentliche Einschränkung in deren PGI 2Synthese erfahren. (14) Wird Niedrigdosis-Acetylsalicylsäure parallel mit Ibuprofen
eingenommen, ist potentiell eine Einschränkung der Aggregationshemmung von
Acetylsalicylsäure möglich. Die Empfehlung der FDA (U.S. Food and Drug
40
Administration) für die Kombination sofortwirksamer Acetylsalicylsäure und
Ibuprofen
lautet,
dass
mit
der
Einnahme
von
Ibuprofen
nach
der
Acetylsalicylsäure-Einnahme zumindest 30 Minuten gewartet werden sollte. Wird
Ibuprofen zuerst eingenommen, müsste man acht Stunden warten. Für die
Verwendung einer retardierten Form von Acetylsalicylsäure gibt es diesbezüglich
keine Empfehlung, da die Datenlage nicht ausreichend ist. Der Mechanismus bei
gleichzeitiger Einnahme wäre, dass Ibuprofen einen Teil der ThrombozytenCyclooxygenase reversibel hemmt, aber bei Freigabe aus dieser reversiblen
Hemmung die Acetylsalicylsäure bereits ausgeschieden wäre und somit keine
Hemmung an den Thrombozyten mehr bewirken könnte. Bei gelegentlicher
Verwendung soll dieser Effekt wahrscheinlich nicht stark ausgeprägt sein, weil die
Wirkung von Acetylsalicylsäure auf die Thrombozytenaggregation von irreversibler
mehrtägiger Dauer ist. Für andere nichtselektive COX-Hemmer soll die
Möglichkeit dieser Interaktion ebenfalls angenommen werden, bis das Gegenteil
bewiesen ist. (51) Diclofenac hat auf die thrombozytenaggregationshemmende
Wirkung der Acetylsalicylsäure bei gleichzeitiger Einnahme keinen Einfluss. Das
könnte entweder an verkürzter Wirkdauer oder an weniger starker Wirkung liegen,
aber auch die räumliche Lage der Bindungsstellen dürfte eine wichtige Rolle
spielen. (52)
6.4.2 NSAR und Antikoagulantien
Cyclooxygenase-Hemmer wie Diclofenac oder Ibuprofen beeinflussen bekanntlich
die
Thrombozytenaggregationsfunktion.
Orale
Antikoagulantien
wie
Phenprocoumon oder Warfarin bewirken eine Hemmung der Vitamin-K-EpoxidReduktase,
wodurch
letztlich
Gerinnungsfaktoren
mit
verminderter
gerinnungsfördernder Aktivität entstehen. Bei NSAR konnte keine Veränderung
der Prothrombinzeit oder INR nachgewiesen werden, wodurch eine direkte
Beeinflussung der Blutgerinnung theoretisch unwahrscheinlich wäre. Jedenfalls
konnte ein deutlich erhöhtes Risiko für gastrointestinale Blutungen für die
gleichzeitige Verwendung der beiden Substanzen beobachtet werden, weshalb bei
diesen PatientInnen Protonenpumpeninhibitoren zum Schutz des Magens
unbedingt Bestandteil der Therapie sein sollten. Eine direkte Wechselwirkung in
41
Bezug auf die Blutgerinnung könnte es eventuell über eine Interaktionen am
CYP2C9 geben. Wird dieses Isoenzym gehemmt, kann Warfarin nur vermindert
metabolisiert werden. Phenprocoumon wird nur zu einem geringen Anteil durch
dieses Enzym metabolisiert. Ein Hemmer wäre beispielsweise Phenylbutazon.
Gängige NSAR wie Ibuprofen, Diclofenac oder Naproxen sind allerdings nur
Substrate dieses Enzyms und wirken nicht hemmed auf dieses. Ebenfalls erwähnt
wird
eine
Interaktion
über
eine
Verdrängung
der
Cumarine
aus
der
Plasmaproteinbindung, welche normalerweise bei Cumarinen hoch ist. (53) Choi
et al. konnten in ihrer Studie eine INR-Erhöhung bei der Ko-Medikation von
Warfarin und NSAR aufzeigen. 39,8% von insgesamt 98 PatientInnen zeigten eine
INR-Erhöhung > 15%. Als Risikofaktoren für eine INR-Erhöhung gaben sie in
erster Linie eine hohe Erhaltungsdosis von > 40mg Warfarin pro Woche an und
weiters eine generelle Ko-Medikation sowie den Gebrauch der Substanz
Meloxicam an. Auch ein niedriger Baseline-INR wurde als Risikofaktor genannt. In
der „Discussion“ dieser Studie erwähnen die Autoren auch, dass es kontrovers zu
sehen ist, ob 15% INR Anstieg klinisch signifikant sind. (54)
Generell sollte bei oral antikoagulierten PatientInnen Phenylbutazon vermieden
werden. Paracetamol soll aufgrund der geringsten Komplikationsrate als das
Analgetikum erster Wahl gesehen werden. Das Blutungsrisiko ist auch für
Paracetamol nicht vollständig auszuschließen und für sehr hohe Dosierungen von
2 bis 4g pro Tag konnten INR-Erhöhungen beobachtet werden. Daher sollen
maximal 500 bis 1500g gegeben werden. Eine generelle Begrenzung der
Anwendungsdauer wäre nach Möglichkeit immer zu suchen. (53)
42
Abbildung 12: Übersicht über weitere mögliche Wechselwirkungen (5)
43
7. Material und Methoden
Bei dieser Diplomarbeit wurde sowohl aktuelle als auch vor mehreren Jahren
publizierte Literatur zu den Themen nicht-opioide Analgetika, NSAR und
Cyclooxygenasen berücksichtigt. Teils lagen Quellen in gedruckter Form, die
meisten allerdings in digitaler Form vor. Die meisten der Publikationen waren in
englischer Sprache gehalten, wenige auf Deutsch. Als Basis für die Recherche
diente in erster Linie die Datenbank „PubMed“. Darüber wurden auch bekannte
und von Lehrenden der Medizinischen Universität Graz empfohlene Lehrbücher
als Quellen herangezogen.
Zu Beginn der Arbeit dauerte es einige Wochen einen guten Überblick über die
Thematik zu bekommen und gleichzeitig die Gedanken über die Gliederung der
Arbeit zu ordnen und zu notieren. Dabei wurde sehr schnell klar, dass es
unmöglich wäre auf alle Nebenwirkungen einzugehen. So lag der Entschluss nahe
die Arbeit auf ausgewählte – und nach ausgiebiger Recherche auch als wichtig
einzustufende – Nebenwirkungen zu konzentrieren.
44
8. Diskussion
Klar ist, dass Schmerzen in der Medizin allgegenwärtig sind. Kein Patient sollte an
Schmerzen leiden müssen in einer Zeit, wo sich bei der Schmerzbehandlung so
viele
Möglichkeiten
bieten.
Trotzdem
aber
gibt
es
im
Bereich
der
pharmakologischen Schmerztherapie nach wie vor zahlreiche Punkte, die nicht
genau verstanden werden können. Man weiß beispielsweise bei Paracetamol bis
heute nicht genau über den Wirkmechanismus bescheid.
Sieht man sich den historischen Verlauf in der Erforschung der COX-Hemmer an,
so sieht man erst, wie lange es gedauert hat bis überhaupt zwischen einer COX-1
und COX-2 unterschieden wurde und Theorien über die Funktionsweise dieser
beiden Isoenzyme aufgestellt wurden. Betrachtet man die COX-Selektivität der
diversen NSAR, so macht das Erklärungsmodell der beiden Isoenzyme in Bezug
auf Wirkung und Nebenwirkungen durchaus Sinn.
Es erscheint aber vor allem für die Nebenwirkungen einfacher, diese rein durch
Wahrscheinlichkeiten zu begreifen und diese Wahrscheinlichkeit in Versuchen zu
„messen“ anstatt sich diese Wahrscheinlichkeiten mit dem COX-Modell erklären
zu versuchen.
Auf jeden Fall wird es spannend sein zu verfolgen was im Lauf der
Weiterentwicklung
an
neuen
Erkenntnissen
zu
diesen
Substanzen
herausgefunden wird. Werden weitere wichtige Isoenzyme beschrieben werden?
Werden sich noch bessere und nebenwirkungsärmere pharmakologische
Therapiemöglichkeiten ergeben?
45
Glossar und Abkürzungen
AIDS
Acquired Immune Deficiency Syndrome
ASS
Acetylsalicylsäure
COX
Cyclooxygenase
CYP2C9
Cytochrom P2C9
FDA
U.S. Food and Drug Administration
IC50
mittlere inhibitorische Konzentration
INR
International Normalized Ratio
NSAID
Non-steroidal Anti-inflammatory Drug
NSAR
nichtsteroidales Antirheumatikum
PG
Prostaglandin
TXA2
Thromboxan
WHO
World Health Organization
46
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Schmerzhäufigkeit nach Altersgruppen, aufgetragen in absoluten
Werten
Abbildung 2: Schmerzlokalisationen und ihre Häufigkeit
Abbildung 3: Das WHO-Stufenschema der Schmerztherapie
Abbildung 4: Tabelle der IC50-Werte der von Cryer und Feldman untersuchten
Substanzen
Abbildung 5: Tabelle von Cryer und Feldman, welche die Selektivität der
untersuchten NSAR widerspiegelt
Abbildung 6: Synthese der Arachidonsäurederivate
Abbildung 7: Spektrum NSAR-induzierter gastrointestinaler Mukosaschäden
Abbildung 8: zusammengefasste Empfehlungen der NSAR-Ulkus-Prävention
Abbildung 9: Effekte von Rofecoxib und Celecoxib auf den systolischen Blutdruck
bei Patienten unter Einnahme von β-Blockern, ACE-Hemmern oder
Calciumkanalblockern
Abbildung 10: Substanzspezifisches Risiko für den kardiovaskulären Tod
Abbildung 11: Substanzspezifisches Risiko für den plötzlichen Herztod und den
nichttödlichen Herzinfarkt
Abbildung 12: Übersicht über weitere mögliche Wechselwirkungen
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