Aktuell - BIOspektrum

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15.04.2011
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W I S S E N SCH AFT · AKTU E LL
ÿ Wie Bakterien sich schnell an neue Wirte anpassen
ÿ miRNA und Crohn’sche Erkrankung – synonymer Polymorphismus verändert Bindestelle für miR-196
ÿ Neue Herzkraft durch direkte Myosin-Aktivierung?
Mikroorganismus in den Schlagzeilen
ó Die neuen Hochdurchsatz-Sequenzierungstechniken haben ungeahnte Möglichkeiten eröffnet, die Evolution von Bakterien auch
auf Genomebene zu analysieren. Schon länger
waren komplexe Sekretionssysteme Gram-negativer Bakterien als Studienobjekte der
schnellen Evolution bakterieller Anpassungsmechanismen innerhalb einer bakteriellen
Spezies und zwischen Spezies einer Art (nach
horizontalem Gentransfer) unter die Lupe genommen worden. Viele bakterielle Pathogene
nutzen komplexe Proteinsekretionsapparate
wie die Typ-IV-Sekretionssysteme mitsamt ihren sezernierten Effektorproteinen zur Manipulation des Wirtes.
Christoph Dehio und seine Arbeitsgruppe
verglichen jetzt die Genome von fünf neu sequenzierten Bartonella-Spezies aus verschiedenen Säugerwirten mit fünf bereits verfügbaren Genomsequenzen. Dadurch konnte erstmals detailliert die Evolution der Kerngenome
dieser eng mit ihrem Wirt assoziierten intra-
zellulär lebenden Bakterien im Vergleich zur
Evolution ihrer Typ-IV-Sekretionssysteme analysiert werden (Engel P et al., PloS Genet (2011)
DOI:10.1371/journal.pgen.1001296). Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass der zweimal unabhängig im Genus erfolgte horizontale Erwerb von Sekretionssystemen zu zwei parallel verlaufenden adaptiven Radiationen beitrug. Adaptive Radiation ist aus dem Tierreich
bekannt, etwa bei den Darwin-Finken, die sich
durch die Veränderung ihrer Schnabelform an
vorher unbesetzte ökologische Nischen anpassen konnten. So ähnlich könnte die quasi
explosionsartige Anpassung der Bartonellen
an Säugetier-Erythrozyten abgelaufen sein, verbunden mit der sehr schnellen Herausbildung
neuer Bakterienspezies.
Y Durch Arthropoden übertragene Bakterien
wie die Bartonellen haben den Vorteil, sehr
schnell verschiedene Wirte kennenzulernen und
sich damit neue Nischen zu erschließen, sobald
entsprechende Schlüsseleigenschaften erwor-
(Bild: C. Dehio)
Wie Bakterien sich schnell an neue Wirte anpassen
ben wurden. Die vorliegende Arbeit trägt damit
erheblich zu unserem Verständnis der bakteriellen Evolution und der Entwicklung neuer
emerging Pathogene bei. Es bleiben weitere
Fragen zu beantworten, wie zum Beispiel die
nach der Geschwindigkeit der Evolution von
Bartonellen-Spezies ohne und mit adaptiver
Radiation, da es bisher keine Kalibrierung für
deren Evolutionszeiten gibt, oder die Frage, ob
auch andere obligat wirtsassoziierte Bakterienspezies solche adaptiven Radiationen
durchlaufen haben.
Christine Josenhans, Hannover ó
Gen in den Schlagzeilen
miRNA und Crohn’sche Erkrankung – synonymer
Polymorphismus verändert Bindestelle für miR 196
ó Die Crohn’sche Erkrankung ist eine nichtansteckende chronische Entzündung des
Darms, die häufiger in Nordeuropa als in Südeuropa anzutreffen ist; die Prävalenz beträgt
entsprechend 1 : 700 bis 1 : 4.000. Unter genetischen Gesichtspunkten ist es eine komplexe Erkrankung, zu deren Entstehung Varianten an vielen verschiedenen Genorten beitragen (OMIM 266600). Eine Gruppe französischer Labors hat eine davon untersucht, und
zwar im IRGM-Gen (immunity-related GTPase
family M). Patrick Brest und seine Kollegen haben einen synonymen SNP im IRGN-Gen betrachtet (c.313C→T), dem bisher keine Bedeutung beigemessen wurde, da er weder die
Aminosäuresequenz beeinflusst (Leu→Leu)
noch das Spleißen verändert (Nat Genet (2011)
43:242–245). Aus epidemiologischen Untersuchungen ist aber bekannt, dass das T-Allel
mit erhöhtem Erkrankungsrisiko assoziiert ist.
Verschiedene Computerprogramme sagten
voraus, dass dieser Basenaustausch die Bindungsstelle der mikro-RNAs (miRNAs) 196A
und 196B beeinträchtigt. Der Polymorphismus
c.313C→T liegt in der seed-Region der beiden
miRNAs – diese Region ist für die Ausbildung
des Komplexes zwischen der mRNA und der
miRNA wichtig. Die Autoren konnten in verschiedenen biochemischen und zellbiologischen Experimenten die Computervorhersage
bestätigen und zeigen, dass miR196B bevorzugt an das C-Allel bindet. Das führt bei Anwesenheit von miR196B in der Zellkultur mit
HEK-Zellen zu einer verminderten Konzentration des IRGMC -Proteins, wohingegen das
IRGMT-Protein unverändert bleibt.
Y Diese Arbeit ist ein eindrucksvolles Beispiel,
wie der häufige Befund in Bezug auf synonyme
Abb.: Darmschleimhaut.
a) gesund,
b) Morbus
Crohn
SNPs in genomweiten Assoziationsstudien in
funktionelle Unterschiede übersetzt werden
kann. Der entscheidende Schritt ist dabei die
Verwendung guter Software, um die Experimente überhaupt beginnen zu können. Die
Adressen der freien (!) Programme seien deshalb hier angegeben: SnipMir: http://www.
microarray.fr/javadoc/object/microrna/SnipMir.html, RegRNA: http://regrna.mbc.nctu.
edu.tw/ und Patrocles: http://www.patrocles.
org/.
Jochen Graw, Neuherberg ó
BIOspektrum | 03.11 | 17. Jahrgang
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Arzneimittel in den Schlagzeilen
Neue Herzkraft durch direkte
Myosin-Aktivierung?
ó Herzinsuffizienz ist eine häufige Erkrankung, die vor allem bei alten Patienten nach Herzinfarkten oder unbehandelter Hypertonie auftreten kann. Die systolische Form der Herzinsuffizienz ist durch eine Abnahme der Kontraktionskraft und eine reduzierte Pumpleistung des Herzmuskels gekennzeichnet. Der Körper versucht,
die Herzkraft durch Aktivierung neuroendokriner Mechanismen aufrecht zu erhalten – dies beschleunigt aber das Fortschreiten der Erkrankung. Durch Aktivierung kardialer β-Adrenozeptoren z. B. durch
Isoprenalin kann zwar die Kontraktionskraft
gesteigert werden (Abb.), dies führt aber
zu einer deutlichen Zunahme des Sauerstoffverbrauchs, kann Arrhythmien auslösen und erhöht bei längerer Anwendung
das Risiko der Patienten zu versterben. F. I.
Malik und Kollegen aus San Francisco/USA
berichten nun über den Mechanismus eines neuen Wirkprinzips zur Steigerung der
Herzkraft (Abb.) durch Myosin-Aktivierung
(Science (2011) 331:1439–1443).
Die niedermolekulare Substanz Omecamtiv-Mecarbil wurde mittels Hochdurchsatz-Screening als Aktivator des kardialen
Myosins identifiziert. Omecamtiv aktiviert
die S1-Domäne des kardialen Myosins, beeinflusst aber schnelles Skelettmuskel-
BIOspektrum | 03.11 | 17. Jahrgang
oder Glattmuskel-Myosin nicht. Die Autoren zeigen, dass Omecamtiv den Schritt der
aktinabhängigen Phosphatabspaltung aus
dem Myosinkopf beschleunigt und damit
spezifisch in der Phase des Kraftschlags
in den Myosin-Aktin-Zyklus eingreift. Durch
Fotoaffinitätsmarkierung identifizierten sie
die Basis des Myosinkopfs als Bindestelle
für Omecamtiv und postulieren, dass die
Substanz als allosterer Modulator die enzymatischen und mechanischen Eigenschaften der Myosin-ATPase aktiviert. In
Herzmuskelzellen sowie in verschiedenen
Tiermodellen steigert Omecamtiv die
Kontraktionskraft. Allerdings erfolgt dies
nicht wie nach β-adrenerger Stimulation
durch eine Beschleunigung der isovolumetrischen Kontraktion, sondern durch eine
Verlängerung der Kontraktionsdauer. Dazu ist kein Anstieg der zytosolischen Ca2+Konzentration erforderlich und vor allem
steigt der Sauerstoffverbrauch des Herzens
nicht an.
Y Die ersten klinischen Studien der Phasen I und II beim Menschen wurden bereits
abgeschlossen, sodass man nun gespannt
warten darf, ob sich dieses interessante
pharmakologische Prinzip auch bei herzinsuffizienten Patienten bewährt.
Lutz Hein, Freiburg ó
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