249_313_BIOsp_0311 312 15.04.2011 10:59 Uhr Seite 312 W I S S E N SCH AFT · AKTU E LL ÿ Wie Bakterien sich schnell an neue Wirte anpassen ÿ miRNA und Crohn’sche Erkrankung – synonymer Polymorphismus verändert Bindestelle für miR-196 ÿ Neue Herzkraft durch direkte Myosin-Aktivierung? Mikroorganismus in den Schlagzeilen ó Die neuen Hochdurchsatz-Sequenzierungstechniken haben ungeahnte Möglichkeiten eröffnet, die Evolution von Bakterien auch auf Genomebene zu analysieren. Schon länger waren komplexe Sekretionssysteme Gram-negativer Bakterien als Studienobjekte der schnellen Evolution bakterieller Anpassungsmechanismen innerhalb einer bakteriellen Spezies und zwischen Spezies einer Art (nach horizontalem Gentransfer) unter die Lupe genommen worden. Viele bakterielle Pathogene nutzen komplexe Proteinsekretionsapparate wie die Typ-IV-Sekretionssysteme mitsamt ihren sezernierten Effektorproteinen zur Manipulation des Wirtes. Christoph Dehio und seine Arbeitsgruppe verglichen jetzt die Genome von fünf neu sequenzierten Bartonella-Spezies aus verschiedenen Säugerwirten mit fünf bereits verfügbaren Genomsequenzen. Dadurch konnte erstmals detailliert die Evolution der Kerngenome dieser eng mit ihrem Wirt assoziierten intra- zellulär lebenden Bakterien im Vergleich zur Evolution ihrer Typ-IV-Sekretionssysteme analysiert werden (Engel P et al., PloS Genet (2011) DOI:10.1371/journal.pgen.1001296). Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass der zweimal unabhängig im Genus erfolgte horizontale Erwerb von Sekretionssystemen zu zwei parallel verlaufenden adaptiven Radiationen beitrug. Adaptive Radiation ist aus dem Tierreich bekannt, etwa bei den Darwin-Finken, die sich durch die Veränderung ihrer Schnabelform an vorher unbesetzte ökologische Nischen anpassen konnten. So ähnlich könnte die quasi explosionsartige Anpassung der Bartonellen an Säugetier-Erythrozyten abgelaufen sein, verbunden mit der sehr schnellen Herausbildung neuer Bakterienspezies. Y Durch Arthropoden übertragene Bakterien wie die Bartonellen haben den Vorteil, sehr schnell verschiedene Wirte kennenzulernen und sich damit neue Nischen zu erschließen, sobald entsprechende Schlüsseleigenschaften erwor- (Bild: C. Dehio) Wie Bakterien sich schnell an neue Wirte anpassen ben wurden. Die vorliegende Arbeit trägt damit erheblich zu unserem Verständnis der bakteriellen Evolution und der Entwicklung neuer emerging Pathogene bei. Es bleiben weitere Fragen zu beantworten, wie zum Beispiel die nach der Geschwindigkeit der Evolution von Bartonellen-Spezies ohne und mit adaptiver Radiation, da es bisher keine Kalibrierung für deren Evolutionszeiten gibt, oder die Frage, ob auch andere obligat wirtsassoziierte Bakterienspezies solche adaptiven Radiationen durchlaufen haben. Christine Josenhans, Hannover ó Gen in den Schlagzeilen miRNA und Crohn’sche Erkrankung – synonymer Polymorphismus verändert Bindestelle für miR 196 ó Die Crohn’sche Erkrankung ist eine nichtansteckende chronische Entzündung des Darms, die häufiger in Nordeuropa als in Südeuropa anzutreffen ist; die Prävalenz beträgt entsprechend 1 : 700 bis 1 : 4.000. Unter genetischen Gesichtspunkten ist es eine komplexe Erkrankung, zu deren Entstehung Varianten an vielen verschiedenen Genorten beitragen (OMIM 266600). Eine Gruppe französischer Labors hat eine davon untersucht, und zwar im IRGM-Gen (immunity-related GTPase family M). Patrick Brest und seine Kollegen haben einen synonymen SNP im IRGN-Gen betrachtet (c.313C→T), dem bisher keine Bedeutung beigemessen wurde, da er weder die Aminosäuresequenz beeinflusst (Leu→Leu) noch das Spleißen verändert (Nat Genet (2011) 43:242–245). Aus epidemiologischen Untersuchungen ist aber bekannt, dass das T-Allel mit erhöhtem Erkrankungsrisiko assoziiert ist. Verschiedene Computerprogramme sagten voraus, dass dieser Basenaustausch die Bindungsstelle der mikro-RNAs (miRNAs) 196A und 196B beeinträchtigt. Der Polymorphismus c.313C→T liegt in der seed-Region der beiden miRNAs – diese Region ist für die Ausbildung des Komplexes zwischen der mRNA und der miRNA wichtig. Die Autoren konnten in verschiedenen biochemischen und zellbiologischen Experimenten die Computervorhersage bestätigen und zeigen, dass miR196B bevorzugt an das C-Allel bindet. Das führt bei Anwesenheit von miR196B in der Zellkultur mit HEK-Zellen zu einer verminderten Konzentration des IRGMC -Proteins, wohingegen das IRGMT-Protein unverändert bleibt. Y Diese Arbeit ist ein eindrucksvolles Beispiel, wie der häufige Befund in Bezug auf synonyme Abb.: Darmschleimhaut. a) gesund, b) Morbus Crohn SNPs in genomweiten Assoziationsstudien in funktionelle Unterschiede übersetzt werden kann. Der entscheidende Schritt ist dabei die Verwendung guter Software, um die Experimente überhaupt beginnen zu können. Die Adressen der freien (!) Programme seien deshalb hier angegeben: SnipMir: http://www. microarray.fr/javadoc/object/microrna/SnipMir.html, RegRNA: http://regrna.mbc.nctu. edu.tw/ und Patrocles: http://www.patrocles. org/. Jochen Graw, Neuherberg ó BIOspektrum | 03.11 | 17. Jahrgang 249_313_BIOsp_0311 15.04.2011 10:59 Uhr Seite 313 Arzneimittel in den Schlagzeilen Neue Herzkraft durch direkte Myosin-Aktivierung? ó Herzinsuffizienz ist eine häufige Erkrankung, die vor allem bei alten Patienten nach Herzinfarkten oder unbehandelter Hypertonie auftreten kann. Die systolische Form der Herzinsuffizienz ist durch eine Abnahme der Kontraktionskraft und eine reduzierte Pumpleistung des Herzmuskels gekennzeichnet. Der Körper versucht, die Herzkraft durch Aktivierung neuroendokriner Mechanismen aufrecht zu erhalten – dies beschleunigt aber das Fortschreiten der Erkrankung. Durch Aktivierung kardialer β-Adrenozeptoren z. B. durch Isoprenalin kann zwar die Kontraktionskraft gesteigert werden (Abb.), dies führt aber zu einer deutlichen Zunahme des Sauerstoffverbrauchs, kann Arrhythmien auslösen und erhöht bei längerer Anwendung das Risiko der Patienten zu versterben. F. I. Malik und Kollegen aus San Francisco/USA berichten nun über den Mechanismus eines neuen Wirkprinzips zur Steigerung der Herzkraft (Abb.) durch Myosin-Aktivierung (Science (2011) 331:1439–1443). Die niedermolekulare Substanz Omecamtiv-Mecarbil wurde mittels Hochdurchsatz-Screening als Aktivator des kardialen Myosins identifiziert. Omecamtiv aktiviert die S1-Domäne des kardialen Myosins, beeinflusst aber schnelles Skelettmuskel- BIOspektrum | 03.11 | 17. Jahrgang oder Glattmuskel-Myosin nicht. Die Autoren zeigen, dass Omecamtiv den Schritt der aktinabhängigen Phosphatabspaltung aus dem Myosinkopf beschleunigt und damit spezifisch in der Phase des Kraftschlags in den Myosin-Aktin-Zyklus eingreift. Durch Fotoaffinitätsmarkierung identifizierten sie die Basis des Myosinkopfs als Bindestelle für Omecamtiv und postulieren, dass die Substanz als allosterer Modulator die enzymatischen und mechanischen Eigenschaften der Myosin-ATPase aktiviert. In Herzmuskelzellen sowie in verschiedenen Tiermodellen steigert Omecamtiv die Kontraktionskraft. Allerdings erfolgt dies nicht wie nach β-adrenerger Stimulation durch eine Beschleunigung der isovolumetrischen Kontraktion, sondern durch eine Verlängerung der Kontraktionsdauer. Dazu ist kein Anstieg der zytosolischen Ca2+Konzentration erforderlich und vor allem steigt der Sauerstoffverbrauch des Herzens nicht an. Y Die ersten klinischen Studien der Phasen I und II beim Menschen wurden bereits abgeschlossen, sodass man nun gespannt warten darf, ob sich dieses interessante pharmakologische Prinzip auch bei herzinsuffizienten Patienten bewährt. Lutz Hein, Freiburg ó