Mathematik für Physiker I, WS 2016/2017 Freitag 11.11 $Id: reell.tex,v 1.41 2016/11/07 11:22:18 hk Exp $ $Id: funktion.tex,v 1.23 2016/11/11 13:47:32 hk Exp $ §1 Die reellen Zahlen 1.5 Potenzen mit rationalen Exponenten In der letzten Sitzung hatten wir die Beweismethode der vollständigen Induktion eingeführt und wollen als ein weiteres Beispiel eines Induktionsbeweises nun die sogenannte allgemeine binomische Formel begründen. Lemma 1.7 (Allgemeine binomische Formel) Für alle x, y ∈ R, n ∈ N gilt n (x + y) = n X n k=0 k xk y n−k . Beweis: Seien x, y ∈ R gegeben. Wir beweisen die binomische Formel durch Induktion nach n. Wegen 0 0 0 0 (x + y) = 1 = xy 0 gilt die binomische Formel für n = 0 und der Induktionsanfang ist nachgewiesen. Nun sei ein n ∈ N mit n X n k n−k n (x + y) = x y k k=0 gegeben. Multiplizieren wir diese Gleichung mit x + y, so folgt weiter n+1 (x + y) n X n n X n 6-1 n+1−k k n X n x y = x y + xn−k y k+1 k k k k=0 k=0 k=0 n n+1 X X n n = xn+1−k y k + xn+1−k y k k k − 1 k=1 k=0 n X n n n+1 =x + + xn+1−k y k + y n+1 k k−1 k=1 n n+1 X X n + 1 n+1−k k n + 1 n+1−k k n+1 n+1 =x + x y +y = x y , k k k=1 k=0 = (x + y) · k n−k Mathematik für Physiker I, WS 2016/2017 Freitag 11.11 und wir haben den Induktionsschritt durchgeführt. Per vollständiger Induktion ist das Lemma damit bewiesen. Beispielsweise sind damit n n X X n n n k n = (1 + 1) = 2 und (−1) = (1 − 1)n = 0, k k k=0 k=0 letzteres für n ≥ 1. Konkret haben wir für einige kleine Werte des Exponenten n die Gleichungen (x + y)2 (x + y)3 (x + y)4 (x + y)5 (x + y)6 = = = = = x2 + 2xy + y 2 , x3 + 3x2 y + 3xy 2 + y 3 , x4 + 4x3 y + 6x2 y 2 + 4xy 3 + y 4 , x5 + 5x4 y + 10x3 y 2 + 10x2 y 3 + 5xy 4 + y 5 , x6 + 6x5 y + 15x4 y 2 + 20x3 y 3 + 15x2 y 4 + 6xy 5 + y 6 . Wir wollen noch eine erste Anwendung der binomischen Formel vorführen und den Beweis der Bernoullischen Ungleichung im Hauptfall x ≥ 0 vereinfachen. Sind n ∈ N und x ∈ R mit x ≥ 0, so ist auch xk ≥ 0 für jedes k ∈ N und damit folgt sofort n n X X n k n k n x ≥ 1 + nx. x = 1 + nx + (1 + x) = k k k=2 k=0 Andere Abschätzungen für Potenzen von 1 + x kann man jetzt ganz analog durch weitere Anwendungen der binomischen Formel erhalten. Sind beispielsweise n ∈ N und 1 ≤ k ≤ n gegeben, so folgt für jedes x ∈ R mit x ≥ 0 auch n X n l n k n (1 + x) = x ≥1+ x . l k l=0 Hier haben wir einfach alle Terme bis auf zwei in der binomischen Formel weggelassen, was den Ausdruck wegen x ≥ 0 kleiner macht. Damit haben wir die Potenzen mit natürlichzahligen Exponenten behandelt, und als nächsten Schritt definieren wir die Potenzen mit negativen, ganzzahligen Exponenten. Diese kann man aber nur noch für eine von Null verschiedene Basis einführen. Bereits im Axiom (M4) haben wir für 0 6= x ∈ R die Schreibweise x−1 eingeführt, und nach unserer Bruchdefinition ist 1 x−1 = 1 · x−1 = . x Für n ∈ N mit n ≥ 1 und 0 6= x ∈ R setzen wir allgemein n 1 1 −n , x := n = x x 6-2 Mathematik für Physiker I, WS 2016/2017 Freitag 11.11 für n = 1 ist dies wegen x1 = x weiterhin das multiplikative Inverse von x. Auch für diesen allgemeineren Potenzbegriff gelten dann die Potenzrechenregeln n x xn n n n (xy) = x y , = n , xn · xm = xn+m und (xn )m = xnm y y für alle x, y ∈ R\{0}, n, m ∈ Z. All diese Formeln kann man auf die entsprechenden Aussagen für Potenzen mit natürlichen Exponenten zurückführen. In der Vorlesung hatten wir darauf verzichtet dies vorzuführen, hier wollen wir es aber ruhig einmal tun. Seien also x, y ∈ R\{0} gegeben. Wir beginnen mit (xy)n = xn y n und für n ∈ N wissen wir dies bereits. Für jedes n ∈ N mit n ≥ 1 ist weiter (xy)−n = 1 1 1 1 = n n = n · n = x−n y −n , n (xy) x y x y wobei wir hier und im folgenden die in Aufgabe (3) nachgewiesenen Bruchrechenregeln verwenden. Die Formel für Potenzen von Brüchen haben wir im Fall natürlicher Exponenten bereits eingesehen und für negative Exponenten, ist für jedes n ∈ N mit n ≥ 1 zunächst n 1 −1 −n −1 −1 n n n −1 −1 (y ) = = (y ) = y = (y ) = (y −n )−1 y −1 und somit auch −n x−n x = (xy −1 )−n = x−n (y −1 )−n = x−n (y −n )−1 = −n . y y Nun wollen wir die Formel (xn )m = xnm für alle n, m ∈ Z einsehen, welche wir im Fall n, m ∈ N bereits kennen. Die Formel gilt auch stets wenn n = 0 oder m = 0 ist, denn für jedes n ∈ N mit n ≥ 1 ist 1 = 1 = x0·(−n) und (x−n )0 = 1 = x(−n)·0 . 1n Bei den verbleibenden drei Fällen haben wir für alle n, m ∈ N mit n, m ≥ 1 auch n m nm 1 1 −n m x = = = x−nm = x(−n)·m , x x 1 1 = nm = x−nm = xn·(−m) , (xn )−m = n m (x ) x n −m −nm nm −m 1 1 x−n = = (x−1 )−1 = xnm = x(−n)·(−m) , = x x (x0 )−n = 1−n = und damit ist (xn )m = xnm für überhaupt alle n, m ∈ Z gezeigt. Damit kommen wir zur letzten der vier Formeln, also xn · xm = xn+m , die wir für n, m ∈ N bereits kennen. Für n, m ∈ N mit n, m ≥ 1 haben wir auch n m n+m 1 1 1 −n −m x ·x = = = x−(n+m) = x(−n)+(−m) . x x x 6-3 Mathematik für Physiker I, WS 2016/2017 Freitag 11.11 Für die beiden gemischten Fälle reicht es xn x−m = xn−m für alle n, m ∈ N mit m ≥ 1 zu zeigen. Im Fall m ≤ n sind n − m ∈ N und xn x−m = xn−m xm (x−1 )m = xn−m (x · x−1 )m = xn−m · 1m = xn−m während wir im Fall m > n stets m − n ∈ N und xn x−m = xn (x−1 )m = xn (x−1 )n (x−1 )m−n = (x · x−1 )n x−(m−n) = 1n · xn−m = xn−m haben. Damit haben wir die Potenzrechenregeln auch im Fall ganzzahliger Exponenten nachgewiesen. Eine vernünftige Formel für Potenzen von Summen bei negativen Exponenten gibt es leider nicht. Ordnungsbeziehungen drehen sich bei negativen Exponenten um, für x, y ∈ R mit x, y > 0 haben wir zunächst x < y ⇐⇒ 1 1 < y x und für jedes n ∈ N mit n ≥ 1 folgt weiter n n 1 1 1 1 < ⇐⇒ < , y x y x also haben wir insgesamt ∀(x, y ∈ R, x, y > 0)∀(n ∈ Z, n < 0) : x < y ⇐⇒ y n < xn . Die Anordnungseigenschaften bezüglich des Exponenten gelten dagegen auch für ganzzahlige Exponenten unverändert weiter, d.h. wir haben und ∀(x ∈ R, x > 1)∀(n, m ∈ Z) : xn < xm ⇐⇒ n < m ∀(x ∈ R, 0 < x < 1)∀(n, m ∈ Z) : xn < xm ⇐⇒ n > m. Um dies zu zeigen seien n, m ∈ Z gegeben. Weiter sei x > 1 eine reelle Zahl. Im Fall n, m ∈ N wissen wir bereits das xn < xm gleichwertig zu n < m ist und im Fall n, m < 0 haben wir 0 < x−1 < 1 und damit ebenfalls xn < xm ⇐⇒ (x−1 )−n < (x−1 )−m ⇐⇒ −n > −m ⇐⇒ n < m. In den beiden gemischten Fällen gilt unsere Behauptung ebenfalls, für n < 0 ≤ m haben wir xn = (x−1 )−n < 1 ≤ xm während für m < 0 ≤ n ebenso xn ≥ 1 > (x−1 )−m = xm gilt. Ist schließlich x eine reelle Zahl mit 0 < x < 1 so haben wir x−1 > 1 und somit xn < xm ⇐⇒ (x−1 )−n < (x−1 )−m ⇐⇒ −n < −m ⇐⇒ n > m. Die nächste Ausdehnung des Potenzbegriffs erfolgt auf rationale Exponenten, d.h. wir wollen Potenzen xa für reelles x ∈ R mit x > 0 und rationales a ∈ Q definieren. Dies 6-4 Mathematik für Physiker I, WS 2016/2017 Freitag 11.11 erfolgt durch Rückgriff auf reelle Wurzeln, aber leider sagen unsere Axiome für die reellen Zahlen nicht direkt das es solche Wurzeln überhaupt gibt. Wie schon bemerkt legen die angegebenen Axiome die reellen Zahlen vollständig fest, wir sollten die Existenz von Wurzeln also beweisen können. Um den Beweis übersichtlich zu halten, wollen wir zunächst einige kleine Vorüberlegungen anstellen. Sind x, y ∈ R mit x < y, so folgt x= x+x x+y y+y < < = y, 2 2 2 also ist z := (x + y)/2 eine reelle Zahl zwischen x und y, d.h. x < z < y. Weiter behaupten wir das es für je zwei reelle Zahlen x, y ∈ R mit 0 ≤ x < y stets eine reelle Zahl z ∈ R mit z > 1 und xz < y gibt. Für x = 0 ist dies etwa mit z := 2 erfüllt und für x > 0 haben wir y/x > 1, also existiert z ∈ R mit 1 < z < y/x und durch Multiplikation mit x > 0 folgt xz < y. Nun seien n ∈ N mit n ≥ 1 und x, y ∈ R mit x > 0 und xn < y gegeben. Wir behaupten das es dann auch ein z ∈ R mit z > x und z n < y gibt. Zunächst gibt es nämlich eine reelle Zahl u > 1 mit xn u < y. Dann ist u − 1 > 0 also ist u−1 := min ,1 2n − 1 eine reelle Zahl mit 0 < ≤ 1 und 1 + (2n − 1) ≤ u. Wir erhalten die reelle Zahl z := x(1 + ) > x. Wegen ≤ 1 gilt k ≤ für jedes k ∈ N mit k ≥ 1, also liefert die binomische Formel Lemma 7 n n X X n n k n = 1 + (2n − 1) ≤ u ≤1+ (1 + ) = k k k=1 k=0 und somit ist auch z n = xn (1 + )n ≤ xn u < y. Eine analoge Aussage läßt sich auch in die andere Richtung beweisen, sind n ∈ N mit n ≥ 1 und x, y ∈ R mit x > 0 und xn > y > 0, so existiert eine weitere reelle Zahl z ∈ R mit 0 < z < x und z n > y. In der Tat, betrachten wir die positiven Zahlen 1/x, 1/y > 0 mit (1/x)n = 1/xn < 1/y, so gibt es nach der eben bewiesenen Aussage ein z 0 ∈ R mit z 0 > 1/x und z 0 n < 1/y. Damit ist auch z := 1 1 < x mit z > 0 und z n = 0 n > y. 0 z z Nach diesen Vorbereitungen kommen wir zum Beweis der Existenz von Wurzeln reeller Zahlen. Lemma 1.8 (Existenz von Wurzeln) Sei n ∈ N mit n ≥ 1. Dann existiert für jede reelle Zahl a ∈ R mit a ≥ 0 genau eine reelle Zahl s ∈ R mit s ≥ 0 und sn = a. 6-5 Mathematik für Physiker I, WS 2016/2017 Freitag 11.11 Beweis: Da für x, y ∈ R mit 0 ≤ x < y stets xn < y n also insbesondere xn 6= y n gilt, ist die Eindeutigkeit der Wurzel s klar. Es ist also nur noch die Existenz zu beweisen. Wir betrachten zunächst den Fall a ≥ 1 und setzen M := {x ∈ R|x > 0 und xn ≤ a} ⊆ R. Wegen 1 ∈ M ist dann M 6= ∅. Weiter ist a eine obere Schranke von M , denn ist x ∈ M so gilt im Fall x ≤ 1 sofort x ≤ 1 ≤ a und im Fall x > 1 haben wir ebenfalls x ≤ xn ≤ a. Damit ist die Menge M auch nach oben beschränkt und das Vollständigkeitsaxiom (V) liefert die Existenz von s := sup M = sup{x ∈ R|x > 0 ∧ xn ≤ a}. Wegen 1 ∈ M ist s ≥ 1, also insbesondere s > 0. Wir behaupten das sn = a ist und hierzu zeigen wir das weder sn < a noch sn > a gelten kann. Angenommen es wäre sn < a. Wie eingangs gezeigt gibt es dann ein t ∈ R mit t > s und tn < a, d.h. es ist t ∈ M und somit t ≤ s, ein Widerspruch. Wäre sn > a, so gibt es wieder nach unserer Vorbemerkung eine reelle Zahl t ∈ R mit 0 < t < s und tn > a. Nach Lemma 3.(a) existiert ein x ∈ M mit x > t und damit ergibt sich der Widerspruch a < tn < xn ≤ a. Damit muss sn = a gelten und die Existenz einer n-ten Wurzel ist im Fall a ≥ 1 bewiesen. Für a = 0 ist die Existenz einer n-ten Wurzel klar, wir müssen also nur noch den Fall 0 < a < 1 behandeln. Dann ist 1/a > 1 und wie bereits gezeigt existiert ein s ∈ R mit s ≥ 0 und sn = 1/a. Wegen 1/a 6= 0 ist auch s 6= 0 und damit ist 1/s > 0 mit (1/s)n = a. √ n Die Zahl s des Lemmas wird dann natürlich als die n-te Wurzel a := s von a √ n definiert, d.h. a ist diejenige, nicht negative, reelle Zahl deren n-te Potenz gleich a ist. Aus den Potenzrechenregeln folgen sofort die Rechenregeln für Wurzeln, d.h. sind x, y ∈ R mit x, y ≥ 0 und n, m ∈ N mit n, m ≥ 1, so haben wir √ r q n √ √ √ √ x x √ n m nm n n x = x und im Fall y > 0 auch n = √ . x · y = x · n y, n y y Auch auf den Beweis dieser Regeln haben wir in der Vorlesung verzichtet, und er soll √ √ n n hier vorgeführt werden. Für die erste Regel beachte das x · y ≥ 0 mit √ n x· n √ n √ √ n y = n x · n yn = x · y √ √ √ ist, also n xy = n x n y nach Definition der Wurzel. Für die zweite Regel gehen wir p√ analog vor, es ist n m x ≥ 0 mit q q nm n m √ m n √ n √ m m x = x = m x = x, 6-6 Mathematik für Physiker I, WS 2016/2017 Freitag 11.11 p√ √ und dies bedeutet n m√x = nm x. Für die dritte Eigenschaft nehme y > 0 an und √ erhalte die reelle Zahl n x/ n y ≥ 0 mit √ n √ n n n x x x = , = √ √ n n y n y y p √ √ also ist auch in diesem Fall n x/y = n x/ n y. Weiter kann man nun auch überlegen wie sich die Kleiner-Relation mit der Wurzelbildung verträgt. Sind x, y ∈ R mit x, y ≥ 0 und n ∈ N mit n ≥ 1, so haben wir √ n √ √ √ n x < n y ⇐⇒ n x < ( n y)n ⇐⇒ x < y. Auch das Verhalten der Wurzel bezüglich n läßt sich entsprechend untersuchen. Seien hierzu wieder n, m ∈ N mit n, m ≥ 1 und x ∈ R mit x ≥ 0 gegeben. Beachten wir dann √ m √ √ ( n x)nm = ( n x)n = xm und analog ( m x)nm = xn so ergibt sich zunächst √ n √ x < m x ⇐⇒ xm < xn √ √ also ist im Fall x > 1√genau dann n x < m x wenn n > m ist während im Fall 0 < x < 1 √ genau dann n x < m x gilt wenn n < m ist. Nachdem die Existenz von Wurzeln gesichert ist, können nun Potenzen mit positiver Basis und rationalen Exponenten definiert werden. Sind hierzu x ∈ R mit x > 0 und a ∈ Q gegeben, so schreiben wir a = p/q mit p, q ∈ Z, q ≥ 1 und definieren p √ p xa = x q := q x > 0. Diese Zahl hängt tatsächlich nur von a und nicht von den speziell gewählten p und q ab, denn sind auch t, s ∈ Z mit s ≥ 1 und a= also haben wir p qs √ pqs √ q x = qx = t p = , so ist auch qt = sp, s q q ps √ q x = xps = xqt = s qt t qs √ √ sqt √ s s x = sx = x , √ p √ t und somit ist auch ( q x) = ( s x) . Damit ist xa tatsächlich sinnvoll definiert. Im ganzzahligen Fall a ∈ Z stimmen die so definierten Potenzen mit den früher definierten Potenzen mit ganzzahligen√Exponenten überein, wir können nämlich a = a/1 schreiben √ a a 2/3 2 1 3 und haben damit xa/1 = ( x) = x . Beispielsweise sind x = ( x) für jedes x > 0, √ √ 4 3/2 3 3 5/4 5 5 und konkret 16 = ( 16) = 4 = 64 oder 16 = ( 16) = 2 =√32. Weiter ist wieder für eine allgemeine rationale Zahl a = p/q wie√oben stets 1a = ( q 1)p = 1p = 1, √ und für jedes n ∈ N mit n ≥ 1 ist x1/n = ( n x)1 = n x. Auch für diese allgemeineren Potenzen ergeben sich jetzt wieder die Potenzrechenregeln a x xa a a a (xy) = x y , = a , (xa )b = xab und xa xb = xa+b y y 6-7 Mathematik für Physiker I, WS 2016/2017 Freitag 11.11 für alle x, y ∈ R, a, b ∈ Q mit x, y > 0. Auf den Nachweis dieser Formeln wurde in der Vorlesung wieder verzichtet, so dass wir dies hier nachholen wollen. Zunächst benötigen wir eine weitere Wurzelformel, wir√behaupten das für alle x ∈ R mit x > 0 und alle √ n m n, m ∈ Z mit n ≥ 1 stets x = ( n x)m gilt. Hierzu rechnen wir n √ m √ √ ( n x)m = ( n x)nm = ( n x)n = xm √ √ und dies bedeutet n xm = ( n x)m , wie behauptet. Damit kommen wir zu den genannten Potenzregeln. Seien also x, y ∈ R mit x, y > 0 gegeben. Weiter sei a ∈ Q und schreibe a = p/q mit p, q ∈ Z, q ≥ 1. Dann ist √ √ √ √ √ (xy)a = ( q xy)p = ( q x q y)p = ( q x)p ( q y)p = xa y a und analog p a r p √ √ q q ( xa x x x)p x = q = √ = = . √ q y y y ( q y)p ya Für die anderen beiden Formeln sei auch b ∈ Q geschrieben als b = t/s mit t, s ∈ Z, s ≥ 1. Dann ist a b (x ) = ( √ s xa )t = q s ( √ q t x)p q s = √ q t xp = √ t √ t qs xp = ( qs x)p pt √ = ( qs x)pt = x qs = xab und die dritte unserer Formeln ist bewiesen. Für die verbleibende Formel beachten wir a + b = (ps + qt)/(qs) mit ps + qt ∈ Z, qs ∈ N\{0} und erhalten x a+b =( √ qs ps+qt x) =( √ qs ps x) ( √ qs qt x) = q s √ q x s p q q √ s q t x √ √ = ( q x)p ( s x)t = xa xb . Auch die Regeln für Ungleichungen gelten für die Potenzen mit rationalen Exponenten. Seien hierzu x, y ∈ R mit x, y ≥ 0 gegeben. Weiter sei a ∈ Q eine rationale Zahl und schreibe a = p/q mit p, q ∈ Z, q ≥ 1. Ist dann a > 0 so haben wir auch p ≥ 1 und folglich √ √ p √ √ x < y ⇐⇒ q x < q y ⇐⇒ q x < ( q y)p ⇐⇒ xa < y a . Ist der Exponent a < 0 negativ, so ist dagegen p < 0 und wir haben √ √ p √ √ x < y ⇐⇒ q x < q y ⇐⇒ q x > ( q y)p ⇐⇒ xa > y a . Für die Anordnung bezüglich des Exponenten seien a, b ∈ Q gegeben und schreibe diese mit gemeinsamen Nenner als a = p/r, b = q/r mit p, q, r ∈ Z, r ≥ 1. Ist dann √ x > 1 so haben wir auch r x > 1 und somit wird √ √ a < b ⇐⇒ p < q ⇐⇒ ( r x)p < ( r x)q ⇐⇒ xa < xb , 6-8 Mathematik für Physiker I, WS 2016/2017 während für 0 < x < 1 auch 0 < √ r Freitag 11.11 x < 1 gilt, also wird in diesem Fall a < b ⇐⇒ xa > xb . Damit haben wir den Potenzbegriff mit rationalen Exponenten vollständig etabliert, und im letzten Abschnitt dieses Kapitels kommen wir zum allgemeinen Potenzbegriff bei dem auch reelle Exponenten auftreten können. 1.6 Allgemeine reelle Potenzen Die letzte Erweiterung des Potenzbegriffs erfolgt jetzt auf Potenzen xa mit beliebigen reellen Exponenten a ∈ R und positiver Basis x > 0. Definition 1.9 (Potenzen mit reellen Exponenten) Sei a ∈ R. Für jedes x ∈ R mit x ≥ 1 definieren wir dann xa := sup{xq |q ∈ Q, q ≤ a} und für x ∈ R mit 0 < x < 1 sei xa := inf{xq |q ∈ Q, q ≤ a}. Im Fall rationaler Exponenten stimmen die so definierten Potenzen mit dem Potenzbegriff des vorigen Abschnitts überein, denn sind x ∈ R und a ∈ Q so folgt mit den Monotonieeigenschaften der Potenz bezüglich des Exponenten im Fall x ≥ 1 xa = max{xq |q ∈ Q, q ≤ a} = sup{xq |q ∈ Q ≤ a} und im Fall 0 < x < 1 ist ebenso xa = min{xq |q ∈ Q, q ≤ a} = inf{xq |q ∈ Q ≤ a}. Der Nachweis der Potenzrechenregeln ist anhand der obigen Definition allerdings etwas mühsam, daher wurde dies in der Vorlesung auch nicht durchgeführt. In §11.4 wird sich ein bequemer zu handhabender Zugang zu den Potenzfunktionen eröffnen, und wir verschieben diese Überlegungen daher auf §11. §2 Funktionen In diesem Kapitel wollen wir uns mit dem allgemeinen Funktionsbegriff beschäftigen. Im sechszehnten Jahrhundert hat Vieta die Buchstabenrechnung“ weitgehend ” in der heute verwendeten Form entwickelt, nur die Potenzschreibweise stammt erst 6-9 Mathematik für Physiker I, WS 2016/2017 Freitag 11.11 aus dem achtzehnten Jahrhundert. In diesem Rahmen entstand dann auch die erste Form des Funktionsbegriffs, damals waren Funktionen algebraische Formeln in denen das Funktionsargument als freie Variable auftritt, im wesentlichen das was man heute Polynome nennt. Dieser erste Begriff wurde dann nach und nach erweitert, die algebraischen Formeln wurden durch allgemeine geschlossene analytische Ausdrücke“ ” ersetzt und was diese sind wurde auch immer wieder erweitert wenn eine neue Funk” tion in die Analysis eingeführt“ wurde, außerdem wurde auch erlaubt das die Funktion in mehreren analytischen Ausdrücken definiert auf sich überlappenden Teilen“ defi” niert wird. Dieser Entwicklungszweig stieß dann Ende des neunzehnten Jahrhunderts an seine Grenzen, die Theorie der Fourierreihen und der allgemeinen trigonometrischen Reihen erforderte eine völlige Neuformulierung des Funktionsbegriffs. Seitdem wird der Funktionsbegriff auf den Mengenbegriff zurückgeführt indem Funktionen als gewisse Mengen definiert werden. Tatsächlich entstand auch der Mengenbegriff selbst aus Cantors Untersuchungen über trigonometrische Reihen. Als Vorbereitung erinnern wir zunächst an die aus der Schule vertraute Definition“ einer Funktion. Dort y ” hatte man zwei Variablen x, y wobei der Wert einer der y (x,y)=(x,f(x)) beiden Variablen von der anderen abhing. Normalerweise verwendet man y als diese abhängige Variable und bezeichnet y als eine Funktion von x, symbolisch oft gex schrieben als y = f (x). Dabei muss jedem Wert von x x genau ein Wert von y entsprechen, in anderen Worten hängt y über eine eindeutige Zuordnungsvorschrift“ von x ab. Typischerweise war ” diese Zuordnungsvorschrift dabei einfach eine Formel in der x als freie Variable vorkommt. Graphisch konnte man sich die Funktion dann durch ihren Funktionsgraphen veranschaulichen, d.h. man trägt auf der horizontalen Achse die x-Werte ab und auf der vertikalen das zugehörige y = f (x). Die Menge all der Punkte auf diesem Graphen liefert dann eine Teilmenge graph(f ) = {(x, f (x))|x ∈ dom(f )} beziehungsweise graph(f ) = {(x, y)|x ∈ dom(f ), y = f (x)} der Ebene, wobei dom(f ) die Menge all derjenigen Werte von x ist für die y = f (x) definiert ist, der sogenannte Definitionsbereich der Funktion. Beachte das wir den Punkt P der Ebene mit x-Koordinate a und y-Koordinate b einfach als P = (a, b) schreiben, in der Schule populäre Schreibweisen wie P (a|b) werden in der Mathematik nicht verwendet. Durch den Graphen einer Funktion f ist die Funktion vollständig festgelegt, um den Funktionswert y = f (x) zu ermitteln bilden wir die vertikale Gerade durch (x, 0) und diese schneidet den Graphen im Punkt (x, y). Wie bereits bemerkt ist die Zuordnungsvorschrift oftmals einfach eine Formel in x, beispielsweise y = x2 +1 oder y = sin x. In der Schule wurde dann leider der Unterschied zwischen der definierenden Formel und der Funktion verwischt, eine Funktion ist schon 6-10 Mathematik für Physiker I, WS 2016/2017 Freitag 11.11 seit über dreihundert Jahren keine Formel mehr, Formeln können nur umgekehrt zur Definition von Funktionen verwendet werden. Tatsächlich reichen derartige Funktionen nicht aus, man braucht zumindest noch solche Funktionen die in mehreren Stücken definiert sind, etwa H(x) f(x) x=1 ( x=1/2 2x, 0 ≤ x ≤ 12 , y = f (x) = 2 − 2x, 21 ≤ x ≤ 1 x x=0 ( 0, x < 0, y = H(x) = . 1, x ≥ 0 Die Funktion H(x) ist die sogenannte Heaviside-Funktion die erstaunlich häufig, beispielsweise bei der Behandlung von Einschaltvorgängen, auftritt. In Anwendungssituationen tauchen dann noch weitere Funktionsarten auf, beispielsweise Funktionen die nicht durch irgendeine Formel gegeben sind sondern von einigen Meßergebnissen gebildet werden. Derartige Funktionen sind dann zunächst nur in endlich vielen Punkten definiert, es können ja nur endlich viele Messungen wirklich durchgeführt werden, und will man die Funktion auch in anderen Punkten auswerten so geschieht dies durch eine für die konkrete Situation geeignete Form von Interpolation. Wieder andere Funktionen sind durch das Ein/Ausgabeverhalten irgendwelcher realer Apperaturen definiert, und manche entstehen sogar indem einfach ihr Graph hingemalt wird. Wie sie sehen, deckt dieser reale Funktionsbegriff“ eine Vielfalt verschiedenartiger ” Situationen ab. Der nun einzuführende mathematische Funktionsbegriff soll all diese verschiedenen Funktionstypen umfassen und zugleich eine exakte mathematische Definition sein. Dies wird möglich indem der eigentliche Zuordnungsvorgang völlig ignoriert wird. Man betrachtet nur noch den fertigen Funktionsgraph und verwendet diesen zur Definition einer Funktion. Wenn Sie so wollen nimmt man die Idee das Funktionen durch Hinmalen des Graphen definiert werden können ernst. Es tritt zuvor nur noch eine kleine zusätzliche Schwierigkeit auf. Bisher haben wir nur Funktionen betrachtet die reelle Argumente und reelle Werte haben und der Graph war dann eine Menge von Punkten der Ebene. Mit reellwertigen Funktionen einer reellen Variable kommt man aber nicht aus, beispielsweise ordnet ein elektrisches Feld ja jedem Punkt des betrachteten Raumgebiets einen Vektor zu, die beschreibende Funktion hat also dreidimensionale Punkte als Argumente und dreidimensionale Vektoren als Werte. Auch so etwas soll mit unserem Funktionsbegriff erfasst werden, wir wollen sogar erlauben das die Argumente x aus einer völlig beliebigen Menge M kommen und die Werte y = f (x) aus einer ebenfalls völlig beliebigen Menge N sind. Als Ersatz für die Ebene nehmen wir das wie folgt definierte Produkt der Mengen M und N . Definition 2.1 (Cartesisches Produkt von Mengen) Seien M und N zwei Mengen. Das cartesische Produkt von M und N ist dann die 6-11 Mathematik für Physiker I, WS 2016/2017 Freitag 11.11 Menge M × N := {(x, y)|x ∈ M, y ∈ N }. Manchmal spricht man auch kürzer einfach vom Produkt der beiden Mengen M und N . Wir denken uns anschaulich M × N als eine Ebene“ deren horizontale x-Koordinaten ” aus der Menge M kommen und deren vertikale y-Koordinaten aus der Menge N kommen. Wir wollen einige Beispiele cartesischer Produkte behandeln: 1. Das Produkt R2 := R × R ist die Menge aller Paare (x, y) reeller Zahlen x, y ∈ R, also die Ebene. 2. Ebenso ist R3 := R × R × R die Menge aller Tripel (x, y, z) reeller Zahlen x, y, z ∈ R, und wir können uns den R3 als den dreidimensionalen Raum denken. Streng genommen ist dies durch die Definition des cartesischen Produkts gar nicht abgedeckt, da wir hier drei statt zwei Faktoren haben, wir denken uns etwas genauer R3 = (R × R) × R. Die Elemente sind dann eigentlich von der Form ((x, y), z) mit x, y, z ∈ R. Zur Vereinfachung der Notation entscheiden wir uns dann dazu die inneren Klammern nicht mitzuschreiben. 3. Noch allgemeiner kann man für jedes n ∈ N mit n ≥ 1 auch den n-dimensionalen Raum Rn = R · · × R} | × ·{z n mal einführen. Der Begriff Dimension“ wird hier in einem sehr prosaischen Sinne ver” wendet, man denkt nicht an irgendwelche zusätzlichen Raumdimensionen sondern einfach an Dinger zu deren Beschreibung man n reelle Zahlen braucht. Das mathematische Wort Dimension“ ist also das was sie in der Physik als die Anzahl ” der Freiheitsgrade bezeichnen. 4. Als ein ganz konkretes Beispiel nehmen wir jetzt die beiden Mengen M = {1, 2} und N = {2, 3}. Für die beiden Komponenten der Punkte im cartesischen Produkt M × N gibt es dann jeweils zwei Möglichkeiten und das Produkt hat damit vier Punkte, nämlich M × N = {(1, 2), (1, 3), (2, 2), (2, 3)}. Wie schon bemerkt wollen wir Funktionen von einer Menge M in eine Menge N als Graphen definieren, also als Teilmengen des cartesischen Produkts M ×N . Nun ist aber nicht jede Teilmenge von M × N als Graph einer Funktion geeignet. Einen jeden Wert x ∈ M soll genau ein Wert y ∈ N zugeordnet werden, d.h. die vertikale ” Gerade“ {(x, y)|y ∈ N } sollte den Graphen in genau einem Punkt treffen, es sollte also nicht die rechts abgebildete Situation vorliegen. Dies führt uns auf die folgende Definition von Funktionen. N x 6-12 M Mathematik für Physiker I, WS 2016/2017 Freitag 11.11 Definition 2.2 (Der allgemeine Funktionsbegriff) Seien M, N zwei Mengen. Eine Funktion oder Abbildung f : M → N ist eine Teilmenge f ⊆ M × N so, dass es für jedes x ∈ M genau ein y ∈ N mit (x, y) ∈ f gibt. Man nennt die Menge M dann den Definitionsbereich der Funktion f und schreibt dom(f ) = M und für jedes x ∈ M wird das eindeutige Element y ∈ N mit (x, y) ∈ f mit dem Symbol y = f (x) bezeichnet. Anstelle der Schreibweise f (x) für den Funktionswert von x ∈ M unter f finden Sie in der Literatur manchmal auch f x, also ohne die Klammern um das Argument, oder die Postfix Schreibweise xf . Die Schreibweise ohne Klammern ist beispielsweise bei einigen der Grundfunktionen, etwa beim Logarithmus ln oder bei den trigonometrischen Funktionen üblich, also etwa ln x statt ln(x). Man sollte dies aber auf einfache Argu” mente“ beschränken, also beispielsweise nicht ln xy da nicht klar ist, ob dies ln(x) · y oder ln(xy) meint. Bei den trigonometrischen Funktionen werden Klammern traditionell sehr großzügig weggelassen, so wird etwa sin 2x in den allermeisten Fällen sin(2x) bedeuten und nicht sin(2) · x. 6-13