Neues Graduiertenkolleg erforscht Überlebensstrategien von

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Neues Graduiertenkolleg erforscht Überlebensstrategien
von Bakterien
Die Universität Tübingen richtet ein neues DFG-finanziertes Graduiertenkolleg ein, bei dem
Doktoranden aus zwölf Arbeitsgruppen die Überlebensstrategien von Bakterien erforschen. Die
Ergebnisse sollen der Entwicklung neuer antimikrobieller Wirkstoffe zugute kommen. Sie
haben außerdem einen hohen Nutzwert für die Epidemiologie und die Ökologie.
Die Mikrobiologie/Infektionsbiologie ist einer von fünf Forschungsschwerpunkten der
Universität Tübingen. Die Expertisen in diesem Bereich fließen auch in das Graduiertenkolleg
(GK) „Molekulare Mechanismen bakterieller Überlebensstrategien“ ein. Es wurde in diesem
Jahr von der DFG bewilligt und soll im April 2012 starten. Beteiligt sind zwölf Forschergruppen,
die das Thema mit ihrer biologischen, geologischen, klinischen und organochemischen
Kompetenz bearbeiten. Mit insgesamt 2,1 Millionen Euro werden in den nächsten viereinhalb
Jahren 13 Doktoranden-Stipendien, Sachmittel und Ausbildungsdienstleistungen finanziert.
Nach der dann anstehenden Evaluierung können die Organisatoren auf eine Verlängerung um
weitere viereinhalb Jahre hoffen.
„Bakterien kommen praktisch überall vor, und zwar, weil sie sich gut anpassen können. Wir
wollen uns nun verstärkt der Frage widmen, wie diese Anpassungsleistungen im Detail
funktionieren“, erklärt GK-Sprecher Prof. Dr. Karl Forchhammer vom Interfakultären Institut für
Mikrobiologie und Infektionsmedizin (IMIT) an der Universität Tübingen. Er betont, dass das
Thema ganz bewusst allgemein gehalten wurde, um Spielraum für die Vertiefung neuer
interessanter Aspekte zu haben. Da die Erforschung bakterieller Überlebensstrategien noch in
den Anfängen steckt, gäbe es noch viel zu entdecken.
Bei Stickstoffmangel-Chlorosen der Cyanobakterien geht die Photosysnthese-Aktivität bis auf ein Promille des
Normwertes zurück - das reicht den Bakterien zum Überleben. © Prof. Forchhammer, Universität Tübingen
„Wo Bakterien leben und was sie zum Wachstum brauchen, ist recht gut untersucht. Wachstum
ist aber in der Natur nicht der Normalfall, sondern ein Ausnahmezustand. Bisher hat man sich
in der Forschung jedoch hauptsächlich für diesen Ausnahmezustand interessiert“, so
Forchhammer. In einem prominenten Fall hat sich diese Vernachlässigung bereits negativ
bemerkbar gemacht, nämlich bei den EHEC-Infektionen im Frühjahr 2011. „Auch den
Wissenschaftlern war nicht durchgängig präsent, dass Escherichia coli in einer Pflanzensprosse
überleben können. Bisher hatte man sich um solche Überdauerungsformen einfach nicht so
sehr gekümmert. Der ‚Default-Modus’ eines Bakteriums ist jedoch der Nährstoffmangel, er
führt zu einem wachstumslimitierten Zustand, in dem die Bakterien auch in ungewöhnlichen
Habitaten überleben können“, erklärt Forchhammer.
Bakterielle Hauptbeschäftigung: durchhalten und überleben
Der Grund für die Entwicklung ausgefeilter Überlebensstrategien ist das exponentielle
Wachstum der Bakterien. Es führt zu einer rasanten Zunahme der Zellmasse und geht mit
einem raschen Verbrauch der Nährstoff-Ressourcen einher. „Bakterielles Wachstum wird in der
Natur immer begrenzt, der permanente Hungerzustand wird nur gelegentlich unterbrochen.
Selbst Bakterien im menschlichen Darm hungern die meiste Zeit des Tages über“, ergänzt
Forchhammer. Die hunger- und stressbedingten Überlebensstrategien sind zwar komplex und
vielfältig, jedoch „die fundamentalen Überlebensfähigkeiten müssen schon früh in der
Evolution festgelegt worden sein. Daher erwarten wir weitreichende Gemeinsamkeiten
zwischen unterschiedlichen Bakteriengruppen“, so Forchhammer weiter.
Die Überlebensfähigkeiten lassen sich einteilen in Entgiftungsmechanismen, den
Reparaturstoffwechsel, die Bildung von Schutzsubstanzen und antibiotische Wirkungen. Sie alle
führen zu einem Erhaltungsstoffwechsel, um den sich die Projekte des Graduiertenkollegs
drehen. Bei den Schutzsubstanzen liegt der Schwerpunkt der Tübinger Forschung auf
intrazellulären Schutzproteinen und Hüll-Substanzen. Bei den antibiotischen Wirkungen
werden vor allem antibiotisch wirksame Sekundärmetabolite erforscht, die zum Beispiel aktiv
ausgeschleust werden, um den Bakterien einen Vorteil zu verschaffen. Ein zentraler Aspekt ist
bei allen Untersuchungen der Zeitpunkt des Umschaltens von Wachstum auf Erhaltung, denn
dabei greifen wesentliche Regulationsmechanismen.
Bei metabolischer Ruhigstellung bildet Staphylococcus kleine Kolonien. In diesem Zustand sind die Zellen getarnt,
geben sich nicht dem Immunsystem zu erkennen und sind widerstandsfähig gegen medikamentöse Behandlung. ©
Prof. Götz, Universität Tübingen
Weiter Blick, breites Themenspektrum
Was die Bakteriengruppen angeht, sind die Projekte grob in zwei Untergruppen aufgeteilt:
Projekte, die sich mit human- und tierpathogenen Bakterien befassen, und solche, bei denen es
um umweltrelevante Bakterien geht. Forchhammer selbst erforscht Cyanobakterien . Im
Rahmen des Graduiertenkollegs steuert er ein Projekt bei, bei dem es um die Umstellung des
photosynthetischen Stoffwechsels bei Stickstoffmangel geht. „Bei Nährstoffmangel finden wir
nur noch ein Promille Restaktivität der Photosynthese. Diesen ‚Photosynthese-Stand-By’ von
Cyanobakterien wollen wir näher untersuchen“, sagt Forchhammer.
Weitere Projekte befassen sich mit bakteriellen Überlebensstrategien in Biofilmen oder, um ein
Beispiel aus der Geomikrobiologie zu nennen, mit der Schutzwirkung von Eisenmineralhüllen
bei eisenoxidierenden Bakterien. Eine andere Gruppe befasst sich mit den
Anpassungsstrategien, mit deren Hilfe Staphylokokken auf menschlicher Haut überleben,
obwohl hier antimikrobielle Fettsäuren vorkommen. In einem weiteren Projekt werden die
Gene erforscht, die E. coli das Überleben im Darm ermöglichen, und Gene, die sie vor dem
Abtöten bei Entzündung schützen. Auch die Chemie der pflanzenpathogenen Actinomyceten
gehört zu den Forschungsthemen des Graduiertenkollegs.
Eisenoxidierende Bakterien bilden als Überlebensstrategie eine Schutzhülle aus Eisen(III)-Mineralien. © Prof. Kappler,
Universität Tübingen
Gute Promotionskandidaten gesucht
Laut Forchhammer kommt das Graduiertenkolleg genau zum richtigen Zeitpunkt. „In den
letzten zehn, 15 Jahren gab es geradezu eine Revolution in der Analytik, die es uns heute
möglich macht, Bakterien auf Einzelzellniveau zu untersuchen. Die Themen lagen geradezu in
der Luft, denn wir wissen inzwischen, dass es ein breites Spektrum an Zellverhalten gibt, das es
zu erforschen gilt.“ Nachwuchswissenschaftler, die sich für eines der Themen im
Graduiertenkolleg interessieren, können sich gerne noch in Tübingen melden. Ende diesen
Jahres werden die Stellen und damit verbundenen Stipendien international ausgeschrieben.
„Ein sorgfältiges Recruitment ist uns sehr wichtig, denn der Erfolg des Kollegs hängt
entscheidend davon ab, dass man gute Leute bekommt“, so Forchhammer, der sich mit seinen
Kollegen auf qualifizierte Bewerbungen freut.
Fachbeitrag
19.12.2011
leh (07.12.2011)
BioRegio STERN
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Universität Tübingen
Prof. Dr. Karl Forchhammer
Lehrstuhl für Mikrobiologie/
Organismische Interaktionen
Auf der Morgenstelle 28
72076 Tübingen
Tel.: 07071/ 29 - 72 096
E-Mail: karl.forchhammer(at)uni-tuebingen.de
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