® Unternehmensgruppe Dr. Marx Schriften zur Rehabilitation 4 Eßstörungen Symposium der MEDIAN Klinik Berggießhübel vom 28. März 1998 2 3 „Schloß Friedrichsthal“ - Stationäre Behandlungseinrichtung für psychosomatische und psychische Erkrankungen unter besonderer Berücksichtigung schwerer Formen von Eßstörungen 5 Magersucht, Bulimie und Eßsucht und ihre Behandlung im Schloß Friedrichsthal Dr. R. Höll 7 Beiträge des Symposiums vom 28. März 1998: Die Autoren Impressum Herausgeber: Unternehmensgruppe Dr. Marx Klinik-Beratungs-KG KBG-Verwaltungs-GmbH & Co. Carmerstraße 6 10623 Berlin Telefon 030/311 01-0 Redaktion: U. Reichhold Betrachtungen über Gesundheit, Krankheit und Kranke Auszug aus dem Festvortrag von Prof. Dr. E. Lungershausen Ambulante Therapie bei Anorexia und Bulimia nervosa I. v. Witzleben Ess-Störungen aus der Sicht des niedergelassenen Arztes Dr. H. H. Ehrat/Schweiz 21 23 33 53 Stationäre Behandlungskonzepte bei Eßstörungen Dr. F. Bleichner 63 Typographie: druckvorlagenservice mayer, Berlin Die Rehabilitationskliniken der Unternehmensgruppe Dr. Marx 75 Druck: Kästner Druck, Berlin Literaturhinweis: In dieser Reihe bisher erschienen 79 Gestaltung: weberstedt gmbh, visuelle kommunikation, Berlin Heft 4, November 1998 ISSN 1432-945X Die Vervielfältigung und Verbreitung dieser Druckschrift – auch von Teilen oder Abbildungen – bedürfen der schriftlichen Genehmigung des Herausgebers. 4 5 „Schloß Friedrichsthal“ – Stationäre Behandlungseinrichtung für ­psychosomatische und psychische Erkran­ kungen unter besonderer Berücksichtigung schwerer Formen von Eßstörungen maximal 32 Patienten behandelt werden, wobei jeweils ein Therapeut für 6–8 Patienten zur Verfügung steht. Mit einer wissenschaftlichen Tagung zum Thema Eßstörungen wurde am Samstag, den 28. März 1998, das historische „Schloß Friedrichsthal“ in Berggießhübel als stationäre Behandlungsstätte für Patienten mit Eßstörungen eröffnet. „Schloß Friedrichsthal“ ist eine Lehrund Modelleinrichtung der MEDIAN Klinik Berggießhübel, Rehabilitationsklinik für Orthopädie und Psychosomatik, und in dieser Form in Deutschland zur Zeit einzigartig. Träger ist die MEDIAN Kliniken GmbH und Co. KG, eine Gesellschaft der Unternehmensgruppe Dr. Marx. Das Schloß bietet den Rahmen für eine therapeutische Gemeinschaft, in der Die Kosten für die Behandlung in dieser Rehabilitationseinrichtung tragen die Krankenkassen, die Beihilfe, private Kostenträger, zunehmend auch die Patienten selbst. 6 7 Magersucht, Bulimie und Eßsucht und ihre Behandlung im Schloß Friedrichsthal R. Höll Das malerisch gelegene Gebäude feiert in diesem Jahr sein 50jähriges Jubiläum als Heilstätte des traditionellen Kneippkurbades Berggießhübel. Es wurde für rund 10 Mill. Mark liebevoll restauriert und modernisiert und bietet Patienten und Gästen mit einer Kombination aus Alt und Neu ein wundervolles Ambiente. In den letzten Jahrzehnten beobachten Mediziner und Psychologen einen zunehmenden Anstieg von Eßstörungen. Besonders erschreckend ist die Zunahme bei der Anorexia nervosa (PubertätsMagersucht, Magersucht) und der Bulimie (süchtiges Eß-Brech-Verhalten, „Ochsenhunger“). Die dritte ausgeprägte Störung ist das süchtige Eßverhalten, daß zu immer höherem Körpergewicht führt. Schloß Friedrichsthal Eine Einrichtung der MEDIAN Klinik Berggießhübel Gersdorfer Straße 5 D-01819 Kurort Berggießhübel Tel. 035023/65 874, 65 871 Dieser Artikel versucht, Ihnen auf folgende Fragen Antwort zu geben: Was verbirgt sich hinter diesen Krankheiten? Woher kommen sie? Was kann man dagegen tun? Beginnen wir zunächst mit der Magersucht. Chefarzt: Dr. med. Rüdiger Höll Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Facharzt für psychotherapeutische Medizin Telefon 035023/65 760 Telefax 035023/65 777 Etwa 95 % der Magersüchtigen sind Frauen. Wenn wir früher angenommen hatten, daß diese Krankheit in der Regel um die Pubertät herum begonnen hatte und in höherem Lebensjahr seltener war, hat es sich in der Zwischenzeit heraus- kristallisiert, daß es auch im höheren Erwachsenenalter einen Häufigkeitsgipfel gibt. Die Anorexia nervosa ist eine seelische Störung mit erheblichen körperlichen Folgen. Magersucht – wie Bulimie– kommt in Zivilisationen mit Überfluß an Grundnahrungsmitteln häufiger vor. Des weiteren prägt unser gesellschaftliches Schönheitsideal unser Empfinden („Barbie“). Um schlanker zu werden wird gehungert, gefastet. Es werden Kalorien gezählt. Die Gedanken kreisen häufig nur noch um das Essen, gelegentlich treten „Freßanfälle“ auf. Die Essenportionen werden verkleinert, einzelne Mahlzeiten ausgelassen, beim Essen werden „Schwarz-Weiß-Listen“ gebildet (Mahlzeiten, die gegessen werden dürfen, bzw. die innerlich ganz verboten sind). Häufig wird sportliches Training, das in seiner Intensität schon bald ­ex­treme Ausmaße annimmt, dazugenommen. Dies soll unbewußt zusätzlich dafür sorgen, daß sich das Gewicht reduziert. Häufig werden von den Betroffenen in diesem Stadium Ausflüchte kundgetan: „Ich habe schon gegessen“, „ich habe gekocht und dabei viel genascht“ usw. Selbst die Magersucht im fortge- 8 schrittenen Stadium wird häufig noch verleugnet. Es ist eine heimliche Krankheit. Die Betroffenen wollen nicht wahrhaben, daß sie abgemagert sind. Sie er­leben durch eine Körperschemastörung ihren Körper auch anders als Gesunde. Es tritt nie eine Zufriedenheit ein mit dem erreichten Gewicht, es ist eine Jagd, eine Spirale ohne Ende. Die Betroffenen können sehr gut andere Menschen einschätzen, sie sich selbst jedoch nicht. Obwohl Magersüchtige Eß-Expertinnen sind, schätzen manche Patientinnen ihren Tageskalorienbedarf, den sie brauchen um zuzunehmen, auf 200 Kcal. So gesellt sich bei den intelligenten Patientinnen zum rationalen Denken das magische Denken hinzu. Alle Magersüchtigen haben panische Angst vor dem Zunehmen. Vor Therapien wird aus diesem Grund auch zurückgescheut. Für die Eßgesunden ist die „private Hölle“ der Erkrankten kaum vorstellbar. Für etwas Normales und Alltägliches wie Essen und Trinken ist die Kontrolle nicht mehr verfügbar, ein naiver, genußvoller Umgang erst einmal verloren. Worauf sollten Eltern, Freunde, Partner achten? Seltsames Verhalten im Umgang mit Es­­ sen, Ausflüchte, Isolation, weite Kleider können Beispiele von Alarmzeichen sein. R. Höll Unsere Erfahrungen zeigen, daß es wichtig ist, Beobachtungen anzusprechen und einen ehrlichen Umgang zu suchen. Bei Verdacht sollte in jedem Fall eine Beratung erfolgen. Bulimie – das süchtige Eß-BrechVerhalten Für die Entstehung dieser Erkrankung spielen Diäten, Schönsein, Schlanksein, Fitsein eine große Rolle. Bemühen sich Magersüchtige, das quälende Hungergefühl und ihren Körper zu beherrschen und schaffen dies auch, treten die EßBrech-Süchtigen in einen Kreislauf zwischen unbeherrschbarem Drang zum übermäßigen Essen („Freßattacken“) und Fasten. Die Angst vor dem Dickwerden zwingt die Betroffenen schnell dazu, die aufgenommene Nahrung so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Der einfachste Weg scheint hier für viele der Weg über das Erbrechen zu sein. Wird am Anfang häufig der Finger zu Hilfe genommen, erfolgt das Erbrechen später „wie von selbst“. Zum Teil wird insbesondere auch das Entspannungs- und fast euphorische Gefühl nach dem gelungenen Brechakt immer wieder „gesucht“. Die Freiwilligkeit geht schnell verloren. Das Erbrechen ist entwicklungsgeschichtlich ein sehr wichtiger Vorgang: Verdorbenes, Giftiges und „Unverdauli- Magersucht, Bulimie und Eßsucht ches“ können wir schnell wieder loswerden. Für „erfolgreiches Erbrechen“ gibt es im Körper Selbstbelohnungssysteme, die die Sucht verstärken. Woran kann man Bulimie erkennen? Häufig anfallsartiger Heißhunger. Große Mengen Nahrungsmittel werden z. T. wahllos verschlungen. Absoluter Kontrollverlust kann möglich sein bei der Nahrungsaufnahme. Nicht der Hunger, sondern die Sucht nach Nahrung wird zum Auslöser. Widersprüchliches Eßverhalten ist zu beobachten. Häufig finden sich auch Schuldgefühle, Verleugnung und Angst. Anders als bei der Magersucht besteht bei der Bulimie häufig ein starker innerer Leidensdruck. Die Betroffenen wissen häufig, daß sie eine schwere Eßstörung haben, jedoch den fatalen Teufelskreis zwischen „Freßanfall“ und Erbrechen nicht selbständig sprengen können. Zum anderen können auch finanzielle Probleme durch die enormen Ausgaben für Lebensmittel eintreten. Die dritte Gruppe stellen die Menschen dar, die süchtig nach dem Essen geworden sind, ohne zu brechen. Die einen rechnen diese Form zum Teil der Bulimie zu. Andere Mediziner und Psychologen sehen das süchtige Eßverhalten häufig im Rahmen einer zugrundeliegenden Depression. Manchmal ist die Nahrung, die „Freßattacke“ 9 der Ersatz für mangelnde Zuwendung. Es kann sich hier das Vollbild einer Suchterkrankung ergeben mit den entsprechenden gesundheitlichen seelischen und körperlichen Folgen: Herz- und Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselund Gelenkserkrankungen, erhöhter Blutdruck und Blutzucker usw. Was sollte getan werden, wenn der Verdacht einer Eßstörung besteht? 1. Mit dem Betroffenen ein offenes Gespräch führen. Auffälligkeiten ansprechen. Die Erkrankungen sind „heimliche Suchterkrankungen“, sie werden verleugnet. Hier kann es eine Hilfe sein, wenn vom Umfeld (Familie, Partner, Freunde) Rückmeldungen kommen. 2. Ein Beratungs- bzw. diagnostisches Gespräch. Aufsuchen einer Beratungsstelle, die Erfahrung hat mit Eßstörungen und mit Möglichkeiten der Therapievermittlung. 3. Kontaktaufnahme zu einer Selbst­ hilfegruppe. Es ist sicherlich der leichteste Einstieg. Die Betroffenen haben die Möglichkeit, mit Menschen zu sprechen, die viel Erfahrung haben mit dem gleichen Problem. Es werden 10 auch therapeutische Empfehlungen über die Selbsthilfegruppen vermittelt und realisiert. Geeignet für die Kontaktaufnahme sind z. B. die Dachverbände der folgenden Selbsthilfeorganisationen (kleine und subjektive Auswahl): ANAD e.V., Kiss e.V., Cinderella e.V. 4. Konsultation des niedergelassenen Arztes bzw. Facharztes: Hier sollten ergänzende Untersuchungen veranlaßt werden. Die therapeutischen Weichen sollten gestellt werden. 5. Aufsuchen der Krankenkasse zur Beratung und ggf. der Therapieeinleitung. Wir wissen aus der Prognose-Forschung, je früher Eßstörungen behandelt werden, um so bessere Ergebnisse (Erfolgswahrscheinlichkeiten für eine Heilung) werden erzielt. Je ernsthafter die Erst- (und evtl. Zweit-) Therapie ist, um so besser ist das Ergebnis. Bei der Durchführung von ambulanten Therapien bei niedergelassenen ärztlichen Psychotherapeuten bzw. niedergelassenen Psychologen sollte man sich vergewissern, daß Erfahrungen bei der Behandlung von Eßstörungen vorliegen. Je nach Notwendigkeit erfolgt eine stationäre Behandlung. R. Höll Im folgenden möchten wir Ihnen hier eine Lehr- und Modelleinrichtung zur Behandlung von Eßstörungen vorstellen. Das Schwergewicht wird auf die Be­handlung von Anorexie, Bulimie und süchtigem Eßverhalten gelegt. Die Therapiedauer beträgt im Durchschnitt 12 Wochen (wird individuell vereinbart und kann ggf. auch als Intervall-Therapie durchgeführt werden). Das Therapieprinzip folgt dem humanistischen Entwicklungsideal unter Zuhilfenahme von analytischen, verhaltenstherapeutischen und körperpsychotherapeutischen Ansätzen. Damit es nicht zu theoretisch wird, schildern wir einfach einmal den Tagesablauf für eine Patientin mit Magersucht oder Bulimie oder süchtigem Eßverhalten: Von 7.00–8.00 Uhr ist von Montag bis Freitag die gemeinsame Meditation oder Entspannung am Tagesbeginn. Zum einen suchen wir hier Entspannung, Ausgleich, innere Ruhe zum anderen in der bewegungsintensiven Form einen gefühlvolleren Zugang zu unserem Körper. Die Mahlzeiten sind Bestandteil der Therapie. Um 8.00, 12.00 Uhr und 18.00 Uhr werden die Hauptmahlzeiten ge­meinsam mit der diensthabenden Schwester oder dem diensthabenden Magersucht, Bulimie und Eßsucht Therapeuten eingenommen. Diese sind allerdings mehr teilnehmende Beobachter, als kontrollierende. Weiter beginnt für unsere MusterPatientin um 9.30 Uhr Kunsttherapie. Sie ist ein wichtiger Bestandteil der Ge­samttherapie und ist mit 2 x 2 Stunden in der Woche vertreten. Von 13.00–15.00 Uhr findet Gruppentherapie als Gesprächsrunde statt. Daneben gibt es eine Körperwahrnehmungsgruppe (Sport- und Körpertherapie) mit 3 x 1 Stunde pro Woche. Von 15.OO–16.00 Uhr schließt sich an diesem Tag die Visite an. Ab 16.00 Uhr hat diese Patientin Rückenschule. Um 18.00 Uhr endet der Therapietag mit dem gemeinsamen Abendessen. Von 6.00–22.00 Uhr ist die Haustür offen. Zusätzlich gehen die Patienten (wenn nicht orthopädische oder allergische Gründe dagegensprechen) 1 x in der Woche 2 Stunden zum Reiten. Im Winter (Dezember bis Anfang März) findet alternativ Schwimmen in der Halle statt. Zu den Gruppenaktivitäten kommen Einzelgespräche hinzu. Der Samstag ist Therapietag. Neben den Mahlzeiten ist morgens die Möglichkeit gegeben, am Yoga teilzunehmen. Durch die o. g. Therapiezeiten ist ein recht dichter Tagesplan (und auch ein anstrengender) gegeben. Es bleibt aber 11 auch genügend Raum noch zum Führen der therapeutischen Tagebücher, zum Nachdenken, zum Entspannen und zum Umsetzen. Aus Gründen der Realitätskontrolle führen wir Therapien häufiger auch als Intervall-Therapien durch. Diese sind realitätsnäher als die früher häufig gebräuchlichen Langzeittherapien. Steckbrief der kleinen Lehr- und Modelleinrichtung: – ­Abteilung II der MEDIAN Klinik Berggießhübel, Fachklinik für Eßstörungen. – ­32 Behandlungsplätze. – ­In der Regel werden Jugendliche, junge Erwachsene (auch Männer!) beim Vorliegen einer Eßstörung oder bei der Verdachtsdiagnose „Eß­störung“ bei uns aufgenommen. – ­Jüngere Patienten werden im Einzelfall nach einem Vorgespräch und in Absprache mit den Erziehungsberechtigten aufgenommen. – ­Hier ist klar darauf hinzuweisen, daß es sich um eine offene Einrichtung handelt. – ­Humanistisches Entwicklungsmodell. – ­Phasenmodell (anstelle eines Stufenplanes). Belohnung statt Bestrafung. – ­Positiver Ansatz zum Gewicht. – ­Individuelle Therapieverläufe, individuelle Betreuung: 12 R. Höll – ­Jeder Bezugstherapeut/jede Be­zugs­ therapeutin betreut 6–8 Patienten. – ­Externe Team-Supervision durch Prof. Dr. P. Joraschky, TU Dresden. – ­Wissenschaftliche Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl Psychosomatik, Herrn Prof. Dr. Joraschky, mit der BfA, mit Herrn Prof. Margraf, Lehrstuhl für Klinische Psychologie Dresden/Basel und mit Frau Prof. Ungerer-Röhricht, Institut für Sportwissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. MEDIAN Klinik Berggießhübel, Tel. 035023/65 874 oder 65 871. Auskunft: Frau de Coster Magersucht, Bulimie und Eßsucht Vorsicht bei: – Starkem Untergewicht! - Starken Gewichtsschwankungen. - Stärkerer Traurigkeit (Depressivität). Literatur: JONAS: „Signale der Urzeit“ MARGRAF: Lehrbuch der Verhaltens­ therapie, Bd. 1 + 2 - Resignation. Holen Sie sich in diesen Fällen rasch Informationen ein. Häufige Irrtümer Bedeutende Faktoren in der Entstehung: „Ich breche ja gar nicht, deshalb kann ich keine Bulimie haben.“ - Soziokulturell vorgegebenes Schlankheitsideal Es gibt Verlaufsformen ohne Erbrechen. Des weiteren gibt es die Sport-Bulimie. Hier werden die Kalorien über exzessiven Sport vernichtet. Der Sport, der sonst eine sehr positive Quelle, eine lustvolle Be(s)tätigung ist, wird hier zum Mittel, zum Sucht-Zweck und unfrei. - Bedingungen in der Familie „Ich breche, also habe ich gar keine Magersucht.“ - Biologische Faktoren Es gibt bei der Magersucht 2 Verläufe: – nur Askese (also hungern) oder – bulimische Verlaufsform (also mit Erbrechen). - Psychologische Faktoren „Ich habe freiwillig begonnen und kann jederzeit wieder aufhören.“ Dies ist ein Trugschluß. „Ich schäme mich so, deshalb kann ich mit keinem reden.“ „Ich kenne welche, die wiegen noch viel weniger. Die sind krank, nicht ich.“ „Mich versteht sowieso keiner.“ 13 R. Höll R. Höll - Lernerfahrungen - Individuelle Faktoren Nach J. Margraf 14 R. Höll Magersucht, Bulimie und Eßsucht 15 Therapieablauf Abt. Psychosomatik II Wochenplan (z. B. Gruppe I) Uhrzeit Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag 7.00–8.00 Entspannung od. Meditation Entspannung od. Meditation Entspannung od. Meditation Entspannung od. Meditation Entspannung od. Meditation 8.00–9.00 Frühstück Frühstück Frühstück Frühstück Frühstück Frühstück ab 9.00 9.30 –11.30 9.00 –12.00 9.30–11.30 9.30 –11.30 10.30 –11.30 Gruppen- Reiten psycho- (Erlebnis- therapie und Körper- mind. 100 Min. wahrnehmung) 12.00–13.00 Mittagessen Mittagessen Kundalini- Yoga Mittagessen Plenum Mittagessen Mittagessen Mittagessen Mittagessen 14.00 –15.00 Abendessen Abendessen 13.00–15.00 15.00–16.00 Visite (Stationsarzt) Visite (ChA/OA) Kunsttherapie Kunsttherapie Sport- und (Vorträge) Bewegungs- therapie 60 Min. Sport- und Bewegungstherapie 60 Min. Abendessen Abendessen 06.30 Uhr Wecken (Eigenverantwortung) 22.00 Uhr Zimmer aufsuchen 22.30 Uhr Nachtruhe Abendessen Frühstück Gruppen- psycho- therapie mind. 100 Min. 13.00 –15.00 ab 16.00 18.00–19.00 Sonntag Gruppen- psycho- therapie mind. 100 Min. ab 13.00 Samstag Abendessen Sport- und Bewegungstherapie 60 Min. Abendessen Ergänzungen: Küchendienst, incl. Brötchen holen 1 Stunde Gartenarbeit (außer Winter) 2 x Einzelgespräche/Woche (25–30 Min.) 16 R. Höll Therapie- und Hausordnung 1. Betreuung: • Schwestern: • Arzt- bzw. Psychologe: • Internistin: • Diätassistentin: Rund um die Uhr Von 6.30–21.30 Uhr danach Therapeut vom Dienst nach individuellem Bedarf und Vereinbarung Untersuchung am 2. Tag nach der Aufnahme und nach Verordnung Nach Vereinbarung 2. Feste Therapiezeiten (lt. Wochenplan): • Gruppenpsychotherapie: 4 x wöchentlich: davon 3 x 100 Minuten gesprächspsychotherapeutisch / verhaltenstherapeutisch / analytisch/körpertherapeutisch, davon 1 Vormittag in der Woche Reiten im benachbarten Ort • Einzelpsychotherapie: Nach Vereinbarung und Bedarf, durchschnittlich 2 x wöchentlich • Kunst - und Gestaltungstherapie: 2 x wöchentlich 100 Minuten • Sporttherapie: 3 x wöchentlich 60 Minuten • morgendliche Meditation oder Entspannung: Montag–Freitag 7.00–8.00 Uhr • Yoga: 1 x wöchentlich 60 Minuten, Samstag 10.30 Uhr • Visiten: Stationsarztvisite: Dienstag 15.00–16.00 Uhr Chefarztvisite: Donnerstag 15.00–16.30 Uhr • Plenum: Treffen aller Patienten und Mitarbeiter zum Ansprechen aktueller Probleme und/oder Wünsche, Mittwoch 12.30–13.00 Uhr • Wiegen und Blutdruckmessen: 2 x wöchentlich bzw. individuell täglich Mahlzeiten: Die Essenszeiten richten sich nach folgendem Plan: Frühstück 18.00 Uhr Mittagessen 12.00 Uhr Abendessen 18.00 Uhr Magersucht, Bulimie und Eßsucht Die Patienten sitzen noch 30 Minuten zusammen, nachdem der letzte Patient amTisch Platz genommen hat. 3. Wichtige Punkte im Zusammenleben 1. Bei eßgestörten Patienten wird das Wiegen, der Essens- und Gewichtsplan individuell festgelegt bzw. ergänzt. Mit allen Patienten wird zu Beginn der Behandlung bzw. im Vorgespräch ein individueller Behandlungplan festgelegt. Bei Patienten mit Anorexie bzw. Bulimie mit kritischem Gewicht kommt ein Phasenprogramm zum Einsatz. Was bedeutet das nun im einzelnen: Gemeinsam wird zu Therapiebeginn bei Patienten, die an Gewicht zunehmen sollten, eine zu erreichende Gewichtszunahme pro Woche vereinbart. Bei Nichterreichen oder bei Gewichtsabnahme kommt der/die Betreffende in eine andere Therapie­ phase, in ein sogenanntes Fremdkontrollprogramm. Das heißt, daß das therapeutische Personal unterstützend wirksam wird bei dem Einnehmen der Mahlzeiten, daß kalorienverbrauchende Aktivitäten wie Sport, freies Bewegen im Gelände, Teilnahme an Freizeitaktivitäten außerhalb des Hauses, Schwimmen, Sauna und vieles mehr eingeschränkt bzw. unmöglich werden oder das Zimmer nur noch zum Essen und zur Therapie verlassen werden darf. Die einzelnen Staffelungen dienen als Schutz und werden jeweils individuell und gewichtsabhängig festgelegt. Bei entsprechender Gewichtszunahme werden natürlich alle Einschränkungen Schritt für Schritt gelockert, bis es wieder möglich ist, den Patienten die Selbstverantwortung für ihr Gewicht zurückzugeben. Dies ist u.a. ein Ziel im Mittelpunkt unserer Behandlung und soll mit Hilfe von Psychotherapie unter­schiedlicher Ausrichtung (körperorientiert, verhaltenstherapeutisch, analytisch, gesprächsttherapeutisch) sowie dem täglichen Auseinandersetzen im gemeinsamen Leben hier allmählich erreicht werden. In Absprache mit den Therapeuten werden regelmäßig Essenstagebücher geführt, die entweder mit unserer Diätassistentin und/oder den Therapeuten ausgewertet werden. 2. Die vorzeitige Entlassung aus unserer Klinik kann erfolgen, wenn die Therapieordnung mißachtet wird, oder auch auf Veranlassung des jeweiligen Patienten, falls es sein Gesundheitszustand erlaubt. 17 18 R. Höll 3. Das Zusammenleben der Patienten mit den Therapeuten vollzieht sich in Form der therapeutischen Gemeinschaft, dessen Grundlagen Dialog, Offenheit und Ehrlichkeit sind. Falls etwas noch nicht gesagt werden kann, besteht die Möglichkeit, sich schriftlich in unserem „Kummerbriefkasten“ bemerkbar zu machen. 4. Die Patienten wählen regelmäßig einen Patientensprecher. Dieser vertritt die ­Patienten und stellt besonders im Mittwoch-Plenum die Verbindung zum therapeutischen Team her. 5. Täglich übernehmen zwei Patienten die Aufgabe des Küchendienstes, der die Vorbereitung des Essens organisiert, Frühstück und Abendbrot zubereitet, das Essen für den nächsten Tag plant und an die Schwester weiterleitet. Zum Frühstück werden Brötchen aus dem Haupthaus geholt. 6. Falls die Patienten das Klinikgelände verlassen, schreiben sie dies in das An- und Abmeldebuch ein. Die Patienten werden auch gebeten, die Besuche zu melden. Besucher verlassen ­spätestens 20.00 Uhr das Haus. Familien- und Partnergespräche können durch die Patienten beantragt werden oder durch den Therapeuten vorgeschlagen werden. Nach Möglichlichkeit sollte mindestens ein Familiengespräch (diagnostisch) stattfinden. 7. Um 22.00 Uhr wird das Haus geschlossen, um 22.30 Uhr beginnt die Bettruhe. 8. In den Klinikräumen und in den Zimmern ist das Rauchen und das Trinken von Alkohol untersagt. Das Aufbewahren von Lebensmitteln und dessen Verzehr ist in den Patientenzimmern untersagt. Außerdem ist der Kauf von Medikamenten (z.B. Abführmittel) nicht gestattet. 9. Fernseher, Handys, eigene Personenwaagen sind in den Patientenzimmern nicht gestattet. Wir haben einen eigenen Fernsehraum, das Nutzen von eigenen Radios und Kassettenrecordern ist in Zimmerlautstärke gestattet. Weitere Hinweise (z. B. Sozialdienst, Freizeitgestaltung etc.) entnehmen Sie bitte dem Patientenwegweiser. Magersucht, Bulimie und Eßsucht 4. Allgemeines Im Mittelpunkt der Behandlung steht die flexible, adäquate und individuelle Steuerung nicht nur des eigenen Gewichtes, sondern auch das mehr oder weniger Zulassen von Gefühlen, der zwischenmenschlichen Nähe. Genauso wichtig ist der Mut zu eigener Abgrenzung und Selbstbehauptung. Das Zulassen von körperlichen Empfindungen, von Hunger oder von Triebregungen ist ebenso wichtig wie die eigenverantwortliche Mitteilung und Steuerung von ­Themen, Träumen oder zwischenmenschlichen Situationen, die in der Einzel- und Gruppentherapie besprochen werden sollten. Wenn unsere Patienten offen und ehrlich sowohl zu ihren Mitpatienten als auch zu ihrem Therapeuten werden, helfen sie dadurch nicht nur sich selbst, sondern auch den anderen. Der Behandlungserfolg ist die Folge dieses Mutes, der Arbeit an sich selbst. 19 20 21 Die Autoren Bleichner, F., Dr. med. Ärztlicher Direktor Psychosomatische Klinik, Salzburger Leite, 97616 Bad Neustadt Ehrat, H. H., Dr. med. Arzt für Allgemeine Medizin FMH Wildenstr. 5, CH-8212 Neuhausen am Rheinfall, Schweiz Höll, R., Dr. med. Chefarzt der Psychosomatischen Abteilung MEDIAN Klinik Berggießhübel, Gersdorfer Straße 5, 01819 Berggießhübel Lungershausen, E., Prof. Dr. Ehemaliger Direktor der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Zum Aussichtsturm 9, 91080 Marloffstein Maaser, R., Dr. phil. Leiter interne Schulung und Therapiecontrolling Psychosomatische Klinik, Salzburger Leite, 97616 Bad Neustadt v. Witzleben, I. Institutsleiterin Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie Hohe Straße 53, 01187 Dresden Walinda, S., Dr. med. Oberärztin Psychosomatische Klinik, Salzburger Leite, 97616 Bad Neustadt 22 23 Betrachtungen über Gesundheit, Krankheit und Kranke* E. Lungershausen Das Thema dieses Vortrags „Über Krankheit und Kranke“ schien mir sinnvoll, nachdem ich mir meinen eigenen medizinischen Studiengang noch einmal in die Erinnerung zurückgerufen habe. Mir ist immer wieder aufgefallen, daß Studierende der Medizin vieles hören über die einzelnen Erkrankungen und wie sie zu erkennen, wie sie von einander zu unterscheiden seien, welche diagnostischen und differentialdiagnostischen Erwägungen anzustellen wären und wie schließlich die Therapie solcherart festgestellter Krankheiten beschaffen sein sollte. Wenig aber, oder vielleicht gar nichts, hört man jedoch im Laufe des Medizinstudiums von der Krankheit selbst und von der Gesundheit, von dem kranken Menschen und seiner ihm durch die Krankheit auferlegten Rolle, die wiederum indirekt auch die Rolle und das Verhalten seines Arztes bestimmt. Von diesen Zusammenhängen möchte ich heute zu Ihnen sprechen. * Überarbeitete Fassung des Festvortrags anläßlich der Promotionsfeier der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürn­berg, Erlangen 1995. Nachdruck aus: E. Lungershausen „Betrachtungen“, Palm & Enke, Erlangen 1997 Die Differentialdiagnose, wie Sie es in Ihrem Studium der Medizin gelernt haben, zeigt Ihnen, wie man einzelne Krankheitsbilder von einander trennen kann, um so den richtigen Weg zur Diagnose zu finden. Daß dieser Weg korrekt ist und unverzichtbar, braucht hier nicht betont zu werden und kein weiteres Wort ist hierzu nötig. Aber man könnte auch einmal den Versuch unternehmen sich zu überlegen, was eigentlich einzelne Krankheiten und einzelne Kranke miteinander verbindet und ob es so etwas gibt, wie ein Syndrom des Krankseins überhaupt. Ein solches Unterfangen aber macht den Versuch notwendig, zunächst einmal Gesundheit und ihren großen Widerpart, die Krankheit, näher zu bestimmen. Dies ist zunächst gar nicht so leicht. Ein großes medizinisches Lehrbuch, das jüngst erschienen ist, enthält trotz über 1500 Seiten Text in seinem Stichwortverzeichnis weder den Begriff „Gesundheit“ noch den der „Krankheit“. Und ebenso ergeht es einem mit vielen Lexika der Medizin und ihrer Nachbargebiete. Offenbar wird das Wissen um Gesundheit und Krankheit als so allge- 24 mein vorausgesetzt, daß es einer besonderen Bestimmung nicht bedürfe. Ist dem aber auch wirklich so? Folgen wir zunächst einer Definition der Weltgesundheitsorganisation, so wäre Gesundheit „der Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens – und nicht allein Freiheit von Krankheit und Gebrechen“ 1), eine Definition, die zu manchem Wi­derspruch geführt hat (z. B. durch V. BECKER2)). Man könnte statt dessen vielleicht auch sagen, Gesundheit sei die wirksame Anpassung des menschlichen Körpers und seiner Psyche an die Umwelt. Und ebenso wurde definiert, Gesundheit sei das reibungslose Funktionieren jenes Regelsystems, das den menschlichen Körper und seine Psyche bestimmt. Man vermag sich vielleicht auch dahingehend zu verständigen, daß Ge­­ 1) WHO „The First Ten Years of the World Health Organisation, WHO, Geneva 1958 2) BECKER, V. „Der heutige Krankheitsbegriff“ in Becker, V. und Schipperges, H. (Eds.): „Krankheitsbegriff, Krankheitsforschung, Kranheitswesen“, Springer, Bln., Hdlb., New York 1995 3) s. d. ROTHSCHUH, K.E. „Was ist Krankheit“, Wiss. Buchgesellsch., Darmstadt 1975, SCHIPPERGES, H. „Krankheit in historischer Dimension“ in Becker, V. und Schipperges, H. (Eds.): „Krankheitsbegriff, Krankheitsforschung, Krankheitswesen“, Springer, Bln., Hdlb., New York 1995 WEIZSÄCKER, C. F. v. „Die Einheit der Natur“, Hanser, München 1971 MILLER BROWN, W. „On Defining Disease“, Journ. of Medicine and Philosophy 10, 311 (1985) E. Lungershausen sundheit nichts anderes sei als die Autonomie des Individuums gegenüber Beschränkungen und Belastungen des täglichen Lebens. Wollte man sich an solchen Definitionen orientieren, so wäre Krankheit nichts anderes als eben eine Störung jener Harmonie, jener Anpassung oder jenes Regelsystems, sie wäre dann eine nicht sich selbst begrenzende Störung von Regelgrößen, Organfunktionen oder Organstrukturen. Aber alle derartige Definitionen, neben denen es natürlich auch noch viele andere gibt3), scheinen zu vordergründig und könnten auch, beim Unkundigen jedenfalls, zu falschen Schlüssen verleiten. Fände man nämlich mit all jenen vielen diagnostischen Instrumenten, die uns die moderne Medizin zur Verfügung stellt, keine solche Störung, so wäre der Rückschluß der, daß offenbar keine Krankheit vorliege, der Betreffende also gesund sei. Könnte man also keine organischen Befunde erheben und wird dennoch vom Patienten über Krankheit geklagt, so müsse diese eben psychogener oder, wie man höflicher sagt, funktioneller Natur sein, gewissermaßen ein Sieg unserer Diagnostik über den sich krank fühlenden Menschen. Aber dieser Sieg ist nur ein scheinbarer, denn er beweist nur das Eine, daß Betrachtungen über Gesundheit, Krankheit und Kranke wir nämlich als Ärzte bisher den falschen Zugang zum Krankheitsbild des Patienten gesucht haben, denn der Mensch ist eben sehr viel mehr, als diagnostische Techniken, seien es auch die sensibelsten oder kompliziertesten, von ihm darstellen können. Aus diesem Grunde bleiben auch die vorgenannten Definitionen von Gesundheit und Krankheit unbefriedigend, nicht weil sie falsch wären, sondern weil sie nicht hinreichend scheinen. In diesem Sinne besitzt man nicht Gesundheit oder hat Krankheit, sondern ein Mensch fühlt sich wohl oder fühlt sich krank. Und damit betreten wir eine andere Verstehensebene als jene, wie sie uns die Diagnostik erlaubt, ohne daß die entscheidende Wichtigkeit dieser Diagnostik hier in Zweifel gezogen werden soll. Gesundheit und Krankheit erscheinen bei einem solchen Ansatz zunächst als erlebtes Leben, als bestimmte elementare Befindlichkeiten des Menschen im Sinne von Wohlbefinden und Mißbefinden. Aber wir nähern uns unseren Patienten, so wie ich meine, in einer anderen Weise und in einer sehr viel verständnisvolleren, wenn wir uns inne sind, daß das Entscheidende nicht das Krank-Sein ist, sondern das Sich-krank-fühlen. Ein Kranker, sei seine Krankheit tatsächlich vorhanden, nur vermutet oder gar nur gewähnt, ist immer ein Mensch in Not und darauf zielt auch jener Krankheitsbegriff, den Viktor von WEIZSÄCKER4) einmal angesprochen hat als er sagte: „Ich nenne den krank, in dem ich als Arzt die Not und die Bitte um Hilfe erkenne“. Und ein anderer Satz des gleichen Autors, der auch von v. GEBSATTEL5) aufgenommen wurde, lautet: „Wirklich im eigentlichen Sinn sind nicht die Krankheiten, sondern ist nur der kranke Mensch”. 4) WEIZSÄCKER, V.v. „Arzt und Kranker“, Köhler & Amelang, Leipzig 1941 5) GEBSATTEL, V.E.v. „Imago hominis“, O. Müller, Salzburg 1968 6) JASPERS, K. „Der Arzt im technischen Zeitalter“, Piper, München, Zürich 1986 Diese Feststellung scheint uns allerdings überspitzt, weil zu einseitig, und diese Art des Denkens hat im Übrigen den ebenso überspitzten Widerspruch von K. JASPERS6) erfahren, der in diesem Versuchen wir uns aber von einem anderen, anthropologischen Ansatz solchen Fragen zu nähern, indem wir zunächst den leidenden Menschen in seinem Wesen, in seinem geschichtlichen Entwurf von sich selbst, in seiner Sinnhaftigkeit und in seinem Schicksal in den Mittelpunkt des Fragens stellen, so ergibt sich vielleicht ein tieferes Verständnis. 25 26 Zu­sammenhang schrieb: „Dieses Raunen von großartigen, durch einen verkehrten Reflex von Wahrheit falsch erleuchteten Dingen bringt nur substanzlosen Schaum hervor“. Richtiger ist wohl, daß es beide Wirklichkeiten gibt, jene der Krankheiten und jene des kranken Menschen. Und unsere Aufgabe als Ärzte ist es, diese beiden Wirklichkeiten zu kennen, zu erkennen und in unserem Handeln zu beachten. Und gerade dabei scheint es wichtig, wenn immer die Situation es gestattet, die Frage nach dem Befinden gleichrangig neben die Suche nach den Befunden zu stellen. Ich habe anstelle von Gesundheit und Krankheit die Begriffe Wohlbefinden und Mißbefinden zu setzen versucht. Die Rede ist also von Befindlichkeit, worunter ein grundlegendes Sich-befinden verstanden wird, die zentrale, nicht in Gefühlen oder Stimmungen differenzierte Gestimmtheit, durch die sich der Mensch in seinem Verhalten getragen und bestimmt erlebt, die aber von ihm nicht beherrschbar ist. Es ist in diesem 7) HEIDEGGER, M. „Vorträge und Aufsätze“, 5. Aufl., Neske, Pfullingen 1985 8) PLÜGGE; H. „Wohlbehagen und Mißbefinden Beiträge zu einer medizinischen Anthropologie“ Niemeyer, Tübingen 1962 9) SARTRE; J.P. „L´etre et le néant, Gallimard, Paris 1941 E. Lungershausen Sinne ein Grundgeschehen, ein, wie HEID­EGGER7) es genannt hat, „fundamentales Existential” des menschlichen Da­seins. Und nach dieser Setzung vermögen wir weiter zu fragen nach der Art, in der sich Wohlbefinden oder Mißbefinden für uns kundtut. Mein Wohlbefinden, und hier folge ich Gedanken von Herbert PLÜGGE8), zeichnet sich dadurch aus, daß ich von meinem Leibe nichts spüre. Je vollkommener mein Körper und meine Psyche arbeitet, um so weniger spüre ich von ihnen. Das Wohlbefinden gibt mich frei, insofern als mein Körper schweigt. Es macht mich frei um in Kommunikation mit meiner Umgebung zu treten und je freier ich bin, desto eindeutiger ist mein Wohlbefinden. Das Wohlbefinden ist ein, wie SARTRE9) es genannt hat, ein „schweigendes Selbstverständliches”, das aber sich auch in diesem Schweigen mir mitteilt, mitteilt nämlich als die beständig aufrufbare Feststellung, daß ich da bin, leibhaftig bin und daß ich frei bin. Wohlbefinden ist „die auf ,Freiheit’ hin angelegte Verfassung des Bewußtseins”. (PLÜGGE). Ändert sich aber dieser Zustand hin zum Mißbefinden, so treten im Gegensatz zum vormaligen Gefühl des Freiseins jetzt Grenzen auf. Ich fühle mich anders, Betrachtungen über Gesundheit, Krankheit und Kranke eingeengt, mißlaunig, gereizt, matt. Ich spüre meinen Körper insgesamt oder an einzelnen Stellen oder Organen, der bisher schweigende Leib, der mir Wohlbefinden signalisierte, wird nun als ­Körper empfunden, macht besorgt und ängstigt. Ich vermag nicht mehr, oder ich vermag jedenfalls nicht mehr so wie sonst. Anstelle der früheren unbesorgten Freiheit tritt die Unfreiheit dessen, der unter seinem körperlichen und psychischen Befinden zu leiden beginnt. Eine solche Befindlichkeit, die in unseren Krankenblättern mit Begriffen wie „Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Schwächegefühl, Reizbarkeit“ sicher nur unzureichend beschrieben wird, ist natürlich noch nicht die Krankheit selbst, es kann ja auch nur ein schlechter Tag sein, man kann überarbeitet sein, hat sich vielleicht zu viel zugemutet, ist zu sehr gestreßt, wie man heute sagen würde. Dieses Befinden mag vorübergehen, aber es kann auch der Beginn der Krankheit sein. Und wenn es Krankheit werden sollte, so wird diese Grundbefindlichkeit in immer stärkeren und zunehmenden Maße die Krankheit hindurch vorhanden sein. Krankheit, aus welchem Grunde sie auch immer verursacht ist, stellt also in 10) HEINE, H. in ELSTER; E. (Ed.) „Heines Werke“, Bd. 3, Meyer, Leipzig 1890 diesem Sinne eine Störung der Befindlichkeit von pathologischem Ausmaß dar. Sie erinnert den Menschen an seine Leiblichkeit, an die Tatsache, daß er Leib ist und dadurch verwundbar, störbar und vor allen Dingen endlich. Krankheit wird in diesem Sinne nicht nur erlebt, sondern auch „erleibt”. So mag wohl auch Heinrich HEINE10) seine eigene Krankheit empfunden haben, wenn er schrieb „nur der kranke Mensch ist ein Mensch, seine Glieder haben eine Leidensgeschichte, sie sind durchgeistet". Die Krankheit, vor allen Dingen wenn sie sich chronifiziert, führt zu einem Zu­stand des Leidens, ist damit nicht nur auf den sinnlichen Bereich bezogen, sondern wird auch Ausdruck psychischer Not. Das Leid des Kranken zeigt damit auch eine psychische Verwundung als Folge der Beeinträchtigung seiner Befindlichkeit. Die Krankheit zeigt Grenzen auf im Hinblick auf die Möglichkeit des Ertragens und ist ein Eingriff für jeden von uns in das, was er in Bezug auf sich selbst ist. Der kranke, leidbetroffene Mensch ist nicht mehr „er selbst“, sondern mit ihm geschieht etwas, er wird zum Opfer der Störung seiner Befindlichkeit, die, wenn sie in ihrem Ausmaß übermächtig wird, ihn schließlich völlig zu beherrschen vermag, so daß er in höchster Ausformung einer solchen Not nur noch als ein Preisgegebener zu exis- 27 28 tieren vermag, als ein Opfer im Sinne dessen, daß er nur noch das ist, was Anderes aus ihm gemacht hat, und der nicht mehr in der Lage ist, sich getreu seiner Geschichtlichkeit in die Zukunft hin zu entwerfen und sich so zu verhalten, wie es seiner Idee von sich selbst entspricht. Er ist unfrei geworden. Das Erscheinungsbild der Krankheit ist sowohl in der Form, wie es der Betroffene selbst erfährt und fühlt, als auch in der Art, wie er es anderen mitzuteilen, mitfühlen zu lassen vermag, in vielfältiger Weise zusammengesetzt aus der gegebenen Störung seiner Befindlichkeit, aber auch aus dem mannigfaltigsten Reaktionen und Interaktionen, die sowohl intrapsychisch, insofern es der Kranke selbst erlebt und verarbeitet, als interpersonal, insofern sie andere Personen mitbetreffen, erfolgen. Dieses ineinander Verschränktsein soll am Beispiel verdeutlicht werden: Die Krankheit macht mich zum Leidenden und schafft mir Sorge. Indem ich mich über diesen meinen Zustand anderen Mitfühlenden mitteile, vermag ich diese ebenfalls zu Sorgenden zu machen. Solche Sorge, das Mitgefühl und MitLeiden anderer wiederum vermag je nach der Art, wie es geschieht oder wie es von mir empfangen wird, hilfreich und tröstend zu sein, es kann aber auch, fühle ich mich durch mein Leid benach- E. Lungershausen teiligt, vielleicht gar erniedrigt, das Mitleid der Anderen für mich als die Nachsicht derer erscheinen, die durch meine Krankheit, durch meine Schwäche, stärker und übermächtiger geworden sind im Vergleich zu mir. Der eigentliche, durch Krankheit verursachte Leidenszustand ist also eingefügt in ein dichtes Gewebe verschiedenster Reaktionen, die ihn teils verstärken, teils abzuschwächen, aber auf jeden Fall zu verändern vermögen. Natürlich hat jeder von uns in seinem Leben lernen müssen, mit Krankheit und Leid umzugehen und innerhalb gewisser Grenzen zu ertragen. Diese Grenzen sind zweifelsohne individuell sehr verschieden, aber wohl in jedem Leben werden solche Grenzen auch überschritten und so durchstoßen, daß Hilfe benötigt und gesucht wird. Das gilt gleichermaßen für akute wie für chronische Erkrankungen. Allerdings ist die Akuterkrankung zumeist eine vorübergehende, die gewöhnlich nur kurzfristig der Abhilfe bedarf, obwohl auch sie, wird sie als akute Bedrohung empfunden, den davon Betroffenen darauf hinweisen muß, daß der bisher als selbstverständlich gelebte Leib in Wirklichkeit ein verwundbarer Körper ist, der auch im Stich lassen kann. Er zeigt damit die Begrenztheit auf, die Körperlichkeit a priori in sich einschließt. Der Kranke, insbesondere in der schweren Krankheit, ist, so war es gerade gesagt worden, Betrachtungen über Gesundheit, Krankheit und Kranke nicht mehr er selbst, aber er steht sich in der Krankheit selbst gegenüber. So kann auch die plötzliche Erkrankung, sei sie auch von flüchtiger Natur und aus gefahrloser Ursache, den davon Betroffenen durch das jähe Innewerden der eigenen Endlichkeit zu Verunsicherung, Ängsten, Sorgen und unter Umständen zu tiefgreifenden Veränderungen seiner bisherigen Seinsweise veranlassen. Vor allem aber werden wir solche Veränderungen von Seinsweisen dann finden, wenn es sich um chronische Erkrankungen und damit um andauerndes Leid handelt. Chronische Erkrankungen füh­ren fast immer auch zu psychischen Leidenszuständen, die nicht selten als depressive Verstimmung mit dem Charakter der Schwermut, des traurigen Bedrücktseins bis hin zur Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung erscheinen können, oder aber als dysphorische Reizbarkeit oder Aggressivität das So-sein dieser Erkrankung bestimmen. Und in letzterem Fall werden wir auf den unzufriedenen Patienten treffen, der gereizt ist und mißtrauisch, der seit langem Hilfe sucht und nicht gefunden hat, der unzufrieden ist, weil er unglücklich ist, der ein Höchstmaß an ärztlicher und 11) JASPERS, K, „Der Arzt im technischen Zeitalter“, Piper, München, Zürich 1986 12) LUNGERSHAUSEN, E, „Leiden und Fordern“, Dtsch. Ärztebl. 65, 1059 (1968) therapeutischer Zuwendung fordert, sie jedoch, weil als unzureichend empfunden, in ihrer Bedeutung und Wertigkeit nicht einschätzen kann Dies gilt besonders für jene Kranke, die ihre Erkrankung nicht einzuordnen vermögen in ihren Daseinsentwurf und sie lediglich nur erkennen können als eine sinnlose Beeinträchtigung in ihrem Dasein, in ihrer Lebensqualität. Für diese Kranken erscheint dann die Krankheit selbst als zeitweiliger oder dauernder Abbruch und Nichtung von Möglichkeiten, die Beeinträchtigung ihrer Befindlichkeit ist eine sinnblinde und sinnlose Benachteiligung gegenüber dem Gesunden. Es sind vielfach auch jene Kranke, die den Arzt hassen, „weil das Arztsein mit dem Kranksein zusammenhängt oder weil er sich vor ihm nicht zu verbergen weiß, weil er sich seiner Ohnmacht bewußt wird: Dieser Kranke bleibt in der paradoxen Lage, den Arzt zu suchen, weil er ihn nicht entbehren kann, und ihn zu hassen, weil er ihn los sein möchte“ (K. JASPERS11)). In solchen Fällen formuliert sich auch die sprachliche Mitteilung des Kranken über sein Befinden anders und es ist vielleicht ein Ausdruck unserer Zeit, daß sich in unserem Sprachgebrauch anstelle des Begriffs der Klagen des Kranken das Wort der Beschwerde gestellt ha12). Ein anderer, Glücklicherer, vermag seine Krankheit, sei es aus Erfahrung oder aus Überzeugung, als Bestandteil 29 30 seines Lebens zu erkennen, als einen Zustand, der zumindest als Möglichkeit Teil des ihm eigenen Daseinsentwurfes ist und den er mit Sinn zu versehen und deshalb leichter zu ertragen vermag. Es wurde hier versucht, wenn auch in einer sehr kursorischen Form, über Krankheit und Kranke zu sprechen, über ihre Befindlichkeit und über verschiedenartige Reaktionen und Interaktionen, die die Krankheit begleiten, unter Umständen sogar prägen und ihren Verlauf bestimmen können. Das Wissen um solche Zusammenhänge, das nicht nur aus Büchern, Vorlesungen oder einem Vortrag wie diesem erlernbar ist, sondern das vielmehr im Laufe des therapeutischen Berufslebens immer mehr und immer neu wieder erfahren werden muß, scheint mir wichtig, wichtig deshalb auch, weil es den Umgang, und vielleicht wichtiger noch, die Haltung des Arztes in seiner Beziehung zu dem Kranken durch ein vertieftes Verständnis der Situation, in der sich der Leidende befindet, zu bestimmen und zu verbessern vermag. Hier geht es nicht darum, bestimmte Verhaltensschablonen als Bewältigungsstrategien im Umgang mit der Erkrankung anzuraten, denn lediglich von außen kommende Pläne zur Krankheitsbewältigung, die dem Leidenden angeboten werden wie eine Arzt Schutzklei- E. Lungershausen dung, werden nicht hinreichen können. Wichtiger erscheint das gegenseitige Verstehen von Kranken und Arzt innerhalb der durch die Krankheit gegebenen Situation. Schließlich ist nur das Verstehbare auch ein Ertragbares. Die Behandlung hat alles einzubeziehen, nicht nur die Ursache der Erkrankung und des Leidens, sondern in einem tieferen Sinn auch das bisherige und künftige Schicksal des Kranken. Sie muß kundig sein im Wissen um jenes, was der kranke und leidende Patient fühlt, erlebt und durchmacht. Eine solche Therapie bedarf nicht nur medizinischer Kenntnisse und Techniken, sondern darüber hinaus auch des Kundigseins, sie muß getragen werden nicht nur vom Wissen, sondern auch von Weisheit. Der Arzt benötigt nicht nur Einfühlungsvermögen, die Fähigkeit zum Mitfühlen mit dem Kranken und ein im weiten Wortsinn psychotherapeutisches Verständnis für den Kranken, sondern über alledem eine ärztliche Grundhaltung, die sich nicht in einem billigen Mitleid erschöpft, sondern vielmehr in einem verstehenden Mit-Durchleiden der Leidensgeschichte des Kranken und der Versuch auch diesem Leiden gemeinsam mit dem Kranken eigenen Sinn zu verleihen. Und in ganz besonderer Weise, ich vermag dies hier nur zu erwähnen, gilt dies für den hochbetagten, am Sinn sei- Betrachtungen über Gesundheit, Krankheit und Kranke nes Weiterlebens und Weiterleidens verzweifelnden Kranken. In diesem Sinne kann, worauf schon Michael BALINT13) hingewiesen hat der Arzt selbst durch seine Haltung, die Art seines Verständnisses und seines Um­ganges mit dem Kranken bereits Heilmittel sein. Krankheiten sind nicht selten häufig, kehren immer wieder in ihren verschiedenen Formen, Symptomen und Befunden, aber jeder Kranke ist in seinem persönlichen Schicksal einmalig, immer wieder ein neues für den Arzt, und immer wieder eine neue Anforderung nicht nur an sein ärztliches Können, sondern auch an ihn als Person, ein Anruf nicht nur an den Arzt, sondern ebenso an den Menschen, man könnte auch sagen, ein Anruf an den Nächsten. Ein solcher Anruf kann nicht selten auch un­geäußert bleiben, vor allem dann, wenn im Laufe des diagnostischen Prozesses oder aber im Betrieb einer großen Klinik der Kranke zwar vielen Ärzten begegnet und schließlich nicht mehr weiß, wer von ihnen eigentlich sein Arzt ist. Aber diese Beziehung zwischen dem Arzt und seinem Kranken ist von Glauben und Hoffnung bestimmt, sie sollte nicht enttäuscht werden. Zwar ist es so, daß der Arzt in seiner medizinischen Funktion gegenüber dem 13) BALINT, M. “The Doctor, his Patient and the ­Illness”, Pitman Medical Publishing, London 1964 Patienten der Überlegene ist, er weiß gewöhnlich um die Art der Erkrankung, um die Formen ihrer Erkennung und die Art der möglichen Therapie. Er wird aus seinem überlegenen Wissen heraus den Kranken beraten müssen oder, beim Schwerstkranken, für ihn zu entscheiden haben. Aber darüber hinaus wird er immer mit seinem Kranken eine mitmenschliche Beziehung einzugehen haben, die von partnerschaftlicher Art ist, die getragen ist von beiderseitigem Verstehen, gegenseitiger Anerkennung und Achtung. Es ist sicherlich der schwerste, aber, wie ich glaube, auch der schönste Teil der ärztlichen Kunst. Literatur: BALINT, M. “The Doctor, his Patient and the Illness”, Pitman Medical ­Pub­­­li­sh­ing, London 1964 BECKER, V. „Der heutige Krankheitsbegriff“ in Becker, V. und Schipperges, H. (Eds.) „Krankheitsbegriff, Krankheitsforschung, Krankheitswesen“, Springer, Bln., Hdlb., New York 1995 GEBSATTEL, V. E. v., „Imago hominis“, O. Müller, Salzburg 1968 HEIDEGGER, M., „Vorträge und Aufsätze“, 5. Aufl., Neske, Pfullingen 1985 HEINE, H. in ELSTER, E., „Heines 31 32 Werke“ Bd. 3 (Reisebilder), Meyer, Leipzig 1890 JASPERS, K. „Der Arzt im technischen Zeitalter“, Piper, München, Zürich 1986 LUNGERSHAUSEN, E. „Leiden und Fordern“, Dtsch. Ärztebl. 65, 1059 (1968) LUNGERSHAUSEN; E. „Probleme der Diagnostik bei affektiven Psychosen“ in LUNGERSHAUSEN, E., KASCHKA, W. P. u. WITKOWSKI, R. J. (Eds.) „Affektive Psychosen“ Schattauer, Stuttg., New York 1990 MILLER BROWN, W. „On Defining Disease“, Journ. of Medicine and Philosophy“, 10, 311 (1985) PLÜGGE, H. „Wohlbehagen und Mißbefinden – Beiträge zu einer medizinischen Anthropologie“, Niemeyer 1962 ROTHSCHUH, K. E. „Was ist Krankheit“, Wiss. Buchges., Darmstadt 1975 SARTRE, J.P. „L’etre et le néant“, Gallimard, Paris 1941 SCHIPPERGES; H. „Krankheit in historischer Dimension“ in Becker, V. und Schipperges, H. (Eds.) „Krankheitsbegriff, Krankheitsforschung, Krankheitswesen“, Springer, Bln., Hdlb., New York 1995 WEIZSÄCKER, C. F. v. „Die Einheit der Natur“, Hanser, München 1971 WEIZSÄCKER, V. v. „Arzt und Kranker“, Köhler & Amelang, Leipzig 1941 WHO „The first ten years of World Health Organisation“, WHO, Geneva 1958 E. Lungershausen Anschrift d. Verf.: Prof. Dr. E. Lungershausen, Psychiatrische Klinik und Poliklinik der Universität Erlangen-Nürnberg, Schwabachanlage 6-10, D-91054 Erlangen 33 Ambulante psychologische Therapie der Anorexia und Bulimia nervosa I. v. Witzleben Gliederung 1. Anorexia & Bulimia nervosa: 1.1. Diagnostik und Klassifikation 1.2. Symptomatik 1.3. Ätiologie 2. Ambulante Psychologische Therapie der Anorexia & Bulimia nervosa 2.1.Ziele und Schwerpunkte der ­Verhaltenstherapie von Anorexia und Bulimia nervosa 2.1.1. Stabilisierung des Gewichts und Normali­ sierung des Eßverhaltens 2.1.2. Verbesserung der Körperwahrnehmung und -akzeptanz 2.1.3. Psychische Belastungen, die zu Eßanfällen führen; Bearbeitung zugrunde­ liegender Konflikte 2.1.4. Andere Stimuli, die zu Eßanfällen führen 2.2. Zeitlicher Ablauf der ambulanten Psychotherapie an der ­Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie der Technischen Universität Dresden Eßstörungen - Einleitung Eßstörungen sind gekennzeichnet durch schwere Störungen des Eßverhaltens. Im folgenden soll es um zwei spezifische Diagnosen gehen: die Anorexia nervosa und Bulimia nervosa. Anorexia nervosa wird charakterisiert durch die Weigerung, ein Minimum des normalen Körpergewichts zu halten. Bulimia nervosa ist durch wiederholte Episoden von Freßanfällen gekennzeichnet, die von unangemessenen, einer Gewichtszunahme gegensteuernden Maß­nahmen gefolgt werden wie selbstinduziertem Erbrechen, Mißbrauch von Laxantien, Diuretika oder anderen Medikamenten, Fasten oder exzessiver körperlicher Betätigung. Eine Störung der Wahrnehmung von Figur und Gewicht ist ein wesentliches Merkmal sowohl der Anorexia nervosa als auch der Bulimia Nervosa. Prävalenzstudien unter Frauen in der späten Adoleszenz und im jungen Er­wachsenenalter ergaben, daß etwa 0,5–1,0% von ihnen alle Kriterien der Anorexia Nervosa erfüllen. Personen, die beinahe die Kriterien für diese Störung erfüllen, werden weit häufiger angetroffen. Mehr als 80% der Fälle von An­orexia Nervosa betreffen Frauen. 34 Das Durchschnittsalter bei Beginn der Anorexia Nervosa liegt bei 17 Jahren. Der Verlauf und die Folgen der Erkrankung können sehr unterschiedlich sein. Therapiestudien zeigten, daß 4 Jahre nach Therapie: 30% vollständig gebessert, 35% etwas gebessert, 25% chronisch krank und ca. 10% der in Kliniken eingewiesenen Betroffenen verstorben sind. Die häufigsten Todesursachen sind Verhungern, Suizid oder Elektrolyt­ ungleichgewicht. Die Prävalenz von Bulimia Nervosa bei Frauen in der Adoleszenz und im jungen Erwachsenenalter beträgt etwa 1–3%. Bei Männern scheint die Prävalenz der Störung etwa bei einem Zehntel dieses Wertes zu liegen. Bulimia Nervosa beginnt meist in der späten Adoleszenz oder im frühen Erwachsenenalter. Der Verlauf kann chronisch oder intermittierend sein. Das Langzeitergebnis von Bulimia Nervosa ist unbekannt. Die mittlere Krankheitsdauer bis zum ersten Behandlungsversuch liegt bei 5 Jahren. In ca. Der Hälfte der Fälle geht der Bulimia eine Anorexie voraus. Anorektische und bulimische Patientinnen stammen meist aus der Mittelund Oberschicht und sind häufig überdurchschnittlich intelligent. Wesentlich häufiger als das vollstän- I. v. Witzleben Ambulante psychologische Therapie der Anorexia und Bulimia nervosa dige Syndrom einer Eßstörung kommen in der Bevölkerung einzelne Symptome gestörten Eßverhaltens vor. Die Diskrepanz zwischen dem derzeit herrschenden Schlankheitsideal und ei­genem Körpergewicht bringt viele Frauen dazu, neben Schlankheitsdiäten auch gesundheitsschädliche Maßnahmen zur Gewichtskontrolle zu benutzen: • 42% der westdeutschen und 35% der ostdeutschen Frauen haben mind. 1 x in ihrem Leben eine Diät durchgeführt • 2,6% der erwachsenen weiblichen Gesamtbevölkerung in Deutschland induzieren regelmäßig Erbrechen • 5 % aller Frauen benutzen Abführmittel zur Gewichtsregulation,Appetitzüg ler und Diuretika • bei 8% der Frauen tritt mind. 1 x pro Woche eine Eßepisode auf, die subjektiv als Eßanfall erlebt wird • 85% der Bulimikerinnen gaben an, ihren ersten EA im Verlauf einer Re­duktionsdiät erlebt zu haben 1.1. Diagnostik und Klassifikation Die z. Z. aktuellen Diagnosekriterien de­finieren die AN und BN über Merkmale, die sich in erster Linie auf das Eßverhalten und auf damit in engem Zusammenhang stehende Verhaltensweisen der Gewichtsregulation beziehen. Diagnosekriterien der Anorexia nervosa Die Diagnose einer BN darf nach DSM-IV bei gleichzeitig bestehendem Untergewicht nicht mehr gestellt werden. 35 36 I. v. Witzleben Ambulante psychologische Therapie der Anorexia und Bulimia nervosa Das DSM-IV unterscheidet bei der BN einen Subtyp • mit regelmäßigem Laxantienabusus oder selbstinduziertem Erbrechen (purging type) von einem Subtyp • ohne diese Verhaltensweisen (nonpurging type). Das Auftreten von selbstinduziertem Erbrechen ist daher für die Diagnose einer BN nicht obligat. Als neue nosologische Einheit wird im DSM-IV die sog. „Binge-Eating-Disorder“ eingeführt; diagnostische Kriterien sind hierfür noch nicht abschließend definiert, es werden jedoch Forschungskriterien zur Verfügung gestellt. Als Binge-Eating-Disorder (BED) sollen diejenigen Syndrome klassifiziert werden, bei denen zwar einerseits regelmäßig Verhaltensweisen mit Heißhungerattacken auftreten, bei denen andererseits die Kriterien der AN oder BN nicht erfüllt sind. Der wesentliche Unterschied zur BN besteht darin, daß bei BED keine regelmäßigen kompensatorischen Verhaltensweisen wie selbstinduziertes Erbrechen oder Laxantienabusus infolge der Heißhungeranfälle auftreten. Etwa 20–50% der Übergewichtigen erfüllen die Kriterien für BED. Diagnosekriterien der Bulimia nervosa 1.2. Symptomatik Die Symptome der psychogenen Eßstörungen umfassen körperliche wie psychische Veränderungen. Ein deutliches Untergewicht gilt oft als somatisches Leitsymptom der Anorexia nervosa. Das Streben nach übermäßiger Schlankheit findet sich jedoch ebenso bei der BN, aber nicht in dem lebensbedrohlichen Ausmaß wie bei der AN. Die somatischen Symptome treten meist sekundär als Folge der unausgewogenen Ernährung oder des Untergewichtes auf. (siehe Tab. 1) Anfangs stehen H-K-Störungen mit niedrigem Blutdruck und Puls, Durchblutungsstörungen mit Kältegefühlen in Händen und Füßen, Hormonstörungen mit unregelmäßiger oder fehlender Menstruation und Beschwerden im Magen-Darm-Bereich im Vordergrund. Im weiteren Verlauf stellen sich dann zunehmend ausgedehnte Mineral- und Vitaminmangelsyndrome und Elektrolytstörungen ein. Heute ist bekannt, daß auch schon ein vergleichsweise geringfügiger Ge­wichtsverlust von wenigen Kilogramm zu metabolischen und endokrinologischen Störungen führen kann. Prinzipiell beziehen sich alle in Tab. 1 genannten Komplikationen und Folgeschäden sowohl auf die Anorexia als auch auf die BN. 37 38 I. v. Witzleben Tabelle 1: Körperliche Symptome bei Anorexia und Bulimia nervosa • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • Kreislaufregulationsstörungen mit Schwindel Herzrhythmusstörungen langsamer Puls niedriger Blutdruck niedrige Körpertemperatur Durchblutungsstörungen mit kalten Händen und Füßen, im Extremfall bis hin zu Erfrierungen an den Füßen Blutarmut Störungen des Säre-Basen-Haushaltes Elektrolytstörungen Gicht Nierenfunktionsstörungen(bis hin zur chronischen Niereninsuffizienz) Wassereinlagerungen im Gewebe Geschwüre im Magen oder Zwölffingerdarm Magenfunktionsstörungen und Völlegefühl Verdauungsstörungen Sodbrennen Hormonstörungen Menstruationsstörungen bis hin zur Amenorrhoe Nervenschädigungen Knochenstroffwechselstörungen Zahnschäden Haarausfall Trockene Haut Verformungen der Nägel Verbreiterungen der Endglieder (Trommelschlegelfinger oder -zehen) Lanugobehaarung (Flaumhaar) Mineral- und Vitaminmangelzustände Vergrößerte Speicheldrüsen Untergewicht (im Extremfall bis zum Verhungern) Hirnatrophien Von den psychischen Symptomen fällt der Umwelt zunächst oft das veränderte Eßverhalten und ein besonderer Um­gang mit Nahrungsmitteln auf. Die Pa­tientinnen befolgen besondere Diät­ vorschriften, bei denen der Aspekt der Kalorienreduktion dominiert. Häufig re­sul­tiert daraus eine unausgewogene Ernährung mit einem vergleichsweise hohem Eiweißanteil bei geringem Fettund Kohlehydratanteil. Viele Patientinnen unterscheiden „erlaubte Nahrungsmittel“ wie beispielsweise Quark und Joghurt von „verbotenen Lebensmitteln“ wie etwa Schokolade oder fetten Fleischprodukten. Ambulante psychologische Therapie der Anorexia und Bulimia nervosa Tabelle 2: Psychopathologische Symptome bei Anorexia und Bulimia nervosa • E inhalten einer speziellen Diät zur Gewichtsreduktion (häufig mit „erlaubten“ und „verbotenen“ Lebensmitteln) • Ein besonderes Interesse oder ein auffälliger Umgang mit Nahrungsmitteln • Besondere Verhaltensweisen zur Gewichtsregulation (z.B. Erbrechen, körperliche Hyperaktivität, Abu sus von Laxantien, Diuretika, Appetitzüglern, Schilddrüsenhormonpräparaten) • Body-Image-Störungen • Angst vor einer Gewichtszunahme • Wahrnehmungsstörungen in Bezug auf Appetit-, Hunger- und Sättigungsgefühle • Defizite der Psychosozialen Kompetenz • Sexuelle Probleme • Insuffiziensgefühle, Angst- und Schamaffekte • Depressionen • Ausgeprägte Leistungsorientierung (häufig mit asketischen Idealen) Bei anfallsartig auftretenden Heiß­ hungerattacken können die Betroffenen große Mengen Lebensmittel scheinbar wie wahllos essen und dabei bestehende Diätregeln überschreiten. In solchen Heißhungeranfällen werden gelegentlich Nahrungsmengen mit mehreren tausend Kilokalorien aufgenommen. Im Anschluß treten Völlegefühle auf und die Patientinnen erleben meist starke Schamgefühle und Depressionen. Als Reaktion versuchen die meisten, das Essen entweder direkt durch selbstinduziertes Erbrechen oder indirekt durch den Gebrauch von Abführmitteln wieder auszuscheiden. Einige Patientinnen nehmen außerdem Diuretika oder Appetitzügler ein, um ihr Gewicht zu halten. Dieses auffällige Eßverhalten schränkt die Ausgewogenheit und Regelmäßigkeit der Nahrungsaufnahme zunehmend ein, und im Laufe der Zeit verliert sich die Möglichkeit, Gefühle von Appetit, Hunger und Sättigung differenziert wahrzunehmen. Gleichzeitig verändert sich das Erleben des eigenen Körpers. Davon betroffen ist zunächst die ­kognitive Wahrnehmung der Körpergrenzen; die Maße der eigenen Figur (z.B. Brust-, Hüft- und Bauchumfang) werden unverhältnismäßig überschätzt. Aber auch die emotionale Qualität, in der der eigene Körper erlebt wird, verändert sich ins Negative; die Patientinnen erleben sich häufig als „zu dick, schwabbelig, unförmig, häßlich und nicht akzeptabel“. 39 40 Diese beiden Aspekte werden im Zusammenhang mit den psychogenen Eßstörungen zusammengefaßt meist als Body-Image-Störung bezeichnet. Ein weiteres Kennzeichen und für die Therapie von zentraler Bedeutung ist besonders bei der AN die Selbstwertproblematik der Patientinnen. Sie findet häufig ihren Ausdruck in einer ausgeprägten Selbstunsicherheit, äußert sich in dem Gefühl, „eigentlich nichts wert“ zu sein und schränkt die psychosozialen und psychosexuellen Möglichkeiten und Kompetenzen ein. Die Unsicherheit der Patientinnen bezieht sich nicht nur auf die eigene Rolle im gesellschaftlichen und familiären Umfeld, sondern betrifft insgesamt die Frage nach dem „Wert“ oder der „Bedeutung“ der eigenen Person. Als sensibler Bereich zwischen­ menschlicher Beziehungen ist die Se­xualität besonders betroffen. Anorektische Patientinnen haben in den meisten Fällen keine intimen sexuellen Kontakte. Sofern solche Kontakte noch bestehen, was insgesamt bei bulimischen Frauen häufiger der Fall ist, ist die sexuelle Erlebnisfähigkeit oft eingeschränkt. Viele Patientinnen zeigen eine starke Leistungsorientierung, die mit asketischen Idealen kombiniert sein kann. Bemühungen um sehr gute Erfolge in Schule und Beruf können ebenso wie I. v. Witzleben sportliche Aktivitäten die Funktion erhalten, das instabile oder fragmentierte Selbstwertgefühl zu stabilisieren. Exzessives Joggen oder andere Formen körperlicher Hyperaktivität stärken sogar auf zweifache Weise das Selbstwertgefühl; sie verschaffen das Erfolgserlebnis, ein sportliches Ziel erreicht zu haben, und begünstigen infolge des gesteigerten Energieverbrauchs die Gewichtsabnahme. Ambulante psychologische Therapie der Anorexia und Bulimia nervosa um die daraus resultierenden sekundären Symptome (IV). Für sich alleine genommen kann keiner dieser Faktoren und Symptome als spezifisch für die AN oder BN gelten. Bis heute ist unklar, wann genau und warum eine Patientin in einer entsprechend ty­­ pischen Lebenssituation das Syndrom einer psychogenen Eßstörung entwickelt. 1.3. Ätiologie An der Entstehung bzw. Aufrechterhaltung der AN und BN sind vermutlich psychische, biologische und auch gesellschaftliche Faktoren beteiligt. Dieses Ätiologiemodell bildet die theoretische Grundlage der verschiedenen Elemente einer kognitiven Verhaltenstherapie. Das Schema setzt sich aus 4 Spalten zusammen, die – von links nach rechts verlaufend – gewissermaßen eine zeit­ liche Abfolge und gleichzeitig eine möglicherweise auch kausale Kette der Ätiologie beschreiben. Es handelt sich um die prädisponierenden Faktoren (I), um die typischen psychischen Problembereiche (II), um die spezifische Symptombildung (III) sowie I. Als ein zentraler prädisponierender Faktor für die Entstehung einer AN und BN wird die Orientierung an einem extremen Schlankheitsideal aufgefaßt. Als Gründe, warum die betreffenden Frauen ein extremes Schlankheitsideal anstreben, wird vermutet, daß sie – z.B. im Zusammenhang mit einem erniedrigten Selbstgefühl – vulnerabler gegenüber gesellschaftlichen Einflüssen wie einem soziokulturell vermitteltem Schlankheitsideal sind. Darüberhinaus kann Modellernen für den Erwerb eines extremen Schlankheits- 41 42 ideals von Bedeutung sein; so ergeben sich Hinweise darauf, daß das Verhalten der Mütter von eßgestörten Patientinnen auch eine wichtige Rolle bei der Ausbildung eines gezügelten Eßstils zur Erreichung von Gewichtsreduktionen spielt. Viele Betroffene berichten davon, daß ihre Eßstörung erstmals nach einer längeren Fastenzeit oder Phase des Diäthaltens auftrat. 85% der Bulimikerinnen ga­ben an, ihren ersten Eßanfall im Verlauf einer Reduktionsdiät erlebt zu haben. Inzwischen gilt es als gesichert, daß das Diäthalten nicht nur in korrelativem Zusammenhang mit den Eßanfällen steht, sondern daß es die Eßanfälle auch mitbedingt. In der Regel werden bei den Diäten wichtige Nährstoffe ausgespart, insbesondere KH und Fette, mit der Folge, daß der Körper intensiv nach den entbehrten Nährstoffen verlangt und die Gedanken entsprechend um das Essen kreisen. Betrachtet man gesellschaftliche Aspekte als mögliche Einflußfaktoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung der AN und BN, so ist v. a. das Paradoxon zwischen übergroßem Nahrungsangebot und dem Schlankheitsideal von Bedeutung. So besteht in den westlichen Industriegesellschaften ein vielfältiges, über die Grenzen des Appetits hinaus verlockendes Angebot an Nahrung. I. v. Witzleben Zudem hat variationsreiches und reichliches Essen bei geselligen Anlässen einen hohen Stellenwert. Gleichzeitig aber wird ein extzremes Schlankheitsideal vermittelt, das einen dünnen, flachen Körper favorisiert. Insbesondere auf den Frauen lastet ein starker normativer Druck, diesem Schlankheitsideal zu entsprechen. Sie lernen schon als junge Mädchen weit mehr als die Jungen, daß positive Bewertung und Zuwendung stark von ihrem Aussehen abhängig sind, und ihr Selbstwertgefühl weist einen deutlichen Zusammenhang mit der bewertung ihrer Figur auf. Viele sorgen sich schon als Kinder um Gewicht und Aussehen und versuchen, die Nahrungsaufnahme einzuschränken. Das Problem verschärft sich in der Pubertät, wenn sich der Fettanteil des Körpers bei den Mädchen genetisch bedingt vervielfacht; der Anteil derer, die zu Diäten Zuflucht suchen, steigt dementsprechend an. Familiäre Faktoren: spezifische Interaktionsmuster: – Fam.-mitglied meist Symptomträger, um Stabilität des Fam-systems aufrechtzerhalten und offene Konflikte, insbes. zwischen den Eltern zu verhindern – Konflikte werden vermieden oder verleugnet, besteht Tendenz, möglichst schnell eine Pseudo-Harmonie herzustellen Ambulante psychologische Therapie der Anorexia und Bulimia nervosa – Verstrickung (Fam. entwickeln hoch­ gradig engen Zusammenhalt) – Überbehütung (Streben nach Autonomie und eigener Identität wird verhindert und durch überbehütende Fam.norm ersetzt) – Rigidität (Fam. regulieren und def. Aspekte des Zusammenlebens m. H. eines Regelsystems) Befunde fanden sich bei vielen Familien, nicht obligatorische bei allen nicht klar, ob Fam.-muster vor Auftreten der Störung oder sich danach entwickelten Individuelle Faktoren: – alle persönlichen Probleme oder Konflikte können als indiv. Faktoren für Entstehung einer Eßstörung von Bedeutung sein, wenn sie das psychische Gleichgewicht einer Person in relevanter Weisde belasten (Schwierigkeiten in Schule, Arbeitsplatz, Partnerschaft) – belastende psychische Erlebnisse, z.B. aggressive Übergriffe, sex. Mißbrauch (25–50% der Patientinnen aber: nicht spezifisch für die Störung, sondern sind Risikofaktoren) II. Unter dem ungünstigen Einfluß der prädisponierenden Faktoren gelingt es den Patientinnen nicht, ein stabiles Selbstwertgefühl und eine Identität zu entwickeln. Schon vergleichsweise geringe Konflikte können daher subjektiv als Angriff auf die eigenen Autonomie er­lebt werden. Da ihre Fähigkeit, frustrierende und belastende Situationen zu ertragen, häufig nur mangelhaft ausgebildet ist, reagieren diese Frauen auf Streßsitu­ ationen mit der Bildung spezifischer Symptome. III. Wenn die Frauen Maßnahmen zur Gewichtsreduktion einsetzen, wie Schlankheitskuren, Erbrechen, Laxantienabusus, ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß der Körper mangelernährt wird. Die Mangelernährung zieht wiederum eine Reihe von biologischen Folgeerscheinungen nach sich, die ihrerseits zu einem gesteigerten Nahrungsbedürfnis und zu Eßanfällen führen können. Darauf reagieren die Frauen verständlicherweise mit Ängsten vor einer Gewichtszunahme, so daß sie plausiblerweise die Maßnahmen zur Gewichtsreduktion (z.B. Erbrechen) fortsetzen. Dies trägt allerdings zur Stabilisierung der Symptomatik bei. Desweiteren wird vor dem Hintergrund des Forschungsstandes angenommen, daß das Essen in Problem- bzw. psychischen Belastungssituationen eine gelernte Reaktion darstellt. Ferner wird vermutet, daß der Duft, das Aussehen oder der Geschmack von Nahrungsmitteln sowie andere Reize (z.B. die Umgebung, in der häufig gegessen wird) zu 43 44 konditionierten Stimuli für Eßanfälle werden können. Das brüchiger werdende Selbstwertgefühl schränkt die Pflege und den Ausbau sozialer und sexueller Kontakte ein. Kurzfristig werden so zwar Probleme vermieden, die im Kontakt mit anderen Menschen wegen der eigenen Unsicherheit auftreten können, längerfristig begünstigt dieses Verhalten jedoch die Tendenz zur Isolation. Viele Patientinnen zeigen gleichzeitig eine vermehrte Leistungsorientierung; ein gesteigertes Engagement auf sportlichem oder intellektuellem Gebiet kann ebenfalls zur Kompensation psychosozialer Defizite dienen. IV. Als Konsequenz dieser spezifischen Symptombildung entstehen sekundäre Symptome. Ängste und Depressionen bestimmen zunehmend das Erleben der Patientinnen. Besonders nach Heißhungerattacken und Erbrechen können Schuld- und Schamgefühle auftreten. Die Beeinträchtigung der sozialen Kontakte nimmt tendenziell zu. Die Gesundheit der Patientinnen wird aufgrund des pathologischen Eßverhaltens zunehmend beeinträchtigt. I. v. Witzleben Ambulante psychologische Therapie der Anorexia und Bulimia nervosa 2. Ambulante Psychologische Therapie der AN und BN 2.1. Ziele und Schwerpunkte der Verhaltenstherapie von Anorexia und Bulimia nervosa (sieh nebensztehende Tabelle) 2.1.1. Stabilisierung des Gewichts und Normalisierung des Eßverhaltens Behandlungselemente: 1. Infovermittlung a) Verständnis der Eßstörung b) Soziokulturelle Beeinflussungsfaktoren von Eßstörungen c) Zusammenhänge zwischen Diäthalten und Eßstörung d) Bedeutung eines bestimmten Körpergewichts e) Folgeschäden im Zusammenhang mit Eßstörungen 2. Selbstbeobachtung des Eßverhaltens und der vorauslaufenden und nachfolgenden Bedingungen (Problemanalyse) Pat. sollen möglichst genaues Bild ihres Ziele Behandlungselemente 1. Stabilisierung des Gewichts und Normalisierung des Eßverhaltens • Informationsvermittlung • Selbstbeobachtung • Maßnahmen zur Gewichtsstabilisierung • Einhalten vorgeschriebener Mahlzeiten • Stimuluskontrolle • Spezielle Techniken zur Reduktion von Heißhungeranfällen (HA) und Erbrechen • Kognitive Techniken 2. Verbesserung der Körper- • Körperübungen, Körpererfahrung wahrnehmung u. -akzeptanz • Kognitive Techniken 3. Psychische Belastungen, die zu Eßanfällen führen; Bearbeitung der zugrunde- liegenden Konflikte • Selbstbeobachtung • Problemanalyse • „goal-attainment-scaling“ • Kognitive Techniken • Spezifische Techniken, z.B.: • – Soziales Kompetenztraining • – Einbezug von Familien/ • – Familientherapie/Familienberatung • – Einbezug des Partners/ • – Partnertherapie/Paarberatung 45 Gegenmaßnahme(n): Art (z. B. Erbrechen), Zeitaufwand, Anstrengung (0–7), Hilfen (z. B Brechmittel) Wo? Mit wem? Anfang / Hunger/ Nahrungs- Art der Eßanfall Kontroll Angst, zu- Ende Sattheit menge Nahrungsmittel/Getränke Ja/ Nein verlust zunehmen (0–7) (0–7) (0–7) Marburger Ernährungsprotokoll CODE: _______________ I. v. Witzleben DATUM: _______________ WOCHENTAG: ____________________ Hinweise zum Ausfüllen des Erährungsprotokolls auf der Rückseite! 46 Ambulante psychologische Therapie der Anorexia und Bulimia nervosa Eßverhaltens bekommen sowie die individuellen, spezifischen Auslöser für Heißhungerattacken, Nicht-Essen und Diäthalten identifizieren lernen. Auslöser (innere): Gedanken, Gefühle, Erwartungen Auslöser (äußere): Anblick von Nahrungsmitteln ... (siehe Protokollabbildung links) Ziele der Selbstbeobachtung in verschiedenen Phasen der Behandlung: Anfang: • genaue Beschreibung der Eßstörung • Erkennen (innerer und äußerer) Auslösebedingungen für das spezifische Eßverhalten • Aufschluß über Introspektionsfähigkeit und Motivation Verlauf: • Erkennen zugrundeliegender Konflikte • Beobachtung und Bewertung von Veränderungsschritten Endphase: • Identifikation noch bestehender „kritischer“ Situationen • Identifikation von neu auftretenden Auslösebedingungen 3. Veränderung des Eßverhaltens Anleitung zum normalgesunden Eßstil: • regelmäßige Mahlzeiten • ausgewogene Ernährung • Genuß beim Essen normaler Mahlzeiten Therapeut nimmt an ersten Therapietagen alle Mahlzeiten gemeinsam mit Pat. ein Ziel: • Entgegenwirken von Vermeidungsverhalten • Beschleunigung von Änderungsprozessen • direktes Ansprechen von auftretenden Ängsten beim Essen Methode: Therapeut darf sich nicht in Rolle der „Ersatzmutter“ drängen lassen (erhobener Zeigefinger) Therapeut setzt Regeln der systemimmanenten Gesprächsführung ein, um Selbstverantwortung der Patientinnen für Veränderung oder Nicht-Änderung zu betonen 4. Spezielle Techniken zur Reduktion von Heißhungerattacken und Erbrechen vorher: Analyse des bisherigen Umganges mit Heißhunger und Erbrechen (Was hat sich schon bewährt?) – geregeltes, ausgewogenes Eßverhalten = generelle Strategie zum Umgang mit Heißhungeranfällen, Erbrechen und Laxantienabusus – zusätzlich Planung spezifischer Aktivitäten, die Auftreten verringern bzw. verhindern: (Strategien sind v.a. kurzfristig wirksam und können auch unabhängig 47 48 I. v. Witzleben von möglicherweise zugrundeliegenden Konflikten hilfreich sein, wenngleich sie Lösungsansätze für die spezifischen Konflikte nicht ersetzen) • Stimuluskontrolltechniken • Selbstkontroll- oder Selbsthilfemöglichkeiten • Planung von Alternativverhalten 5. Kognitive Techniken Ähnlich wie depressive Patienten haben eßgestörte Patienten häufig • verzerrte Einstellungen, Kognitionen • „Schwarz-Weiß-Denken (dichotomes Denken)“ bezogen auf die eigene Person und auf die Bedeutung von Körper und Gewicht (siehe untenstehende Grafik) Erfassung und Bearbeitung der verzerrten Kognitionen lehnt sich eng an die für Beispiele für typische kognitive Fehler bei eßgestörten Patienten Übergeneralisierung: „Solange ich noch „normal“ gegessen habe, war ich fett. Wenn ich damit wieder anfange, werde ich wieder fett werden.“ Selektive Abstraktion: „Ich habe eine Freundin gefragt, ob sie Lust hat, mit mir ins Kino zu gehen. Sie hat gesagt, sie habe schon etwas anderes vor. Bestimmt mag sie mich nicht und geht lieber mit anderen Leuten weg.“ „Ich bin nur dann etwas Besonderes, wenn ich dünn bin.“ Abergläubisches Denken: „Ich muß die Sachen aus dem Kühlschrank aufessen, damit ich nicht in Gefahr komme, einen weiteren Heißhungeranfall zu bekommen.“ „Wenn ich abends eine normale Mahlzeit zu mir nehme, nehme ich noch schneller zu.“ Personalisierung: „Zwei Personen lachten und tuschelten miteinander, als ich vorbeiging. Wahrscheinlich haben sie gesagt, ich sehe unattraktiv aus. Ich habe ja auch drei Pfund zugenommen.“ „Wenn ich jemanden sehe, der übergewichtig ist, befürchte ich gleich, auch so zu werden.“ Ambulante psychologische Therapie der Anorexia und Bulimia nervosa depressive Patienten ausführlich beschriebenen Techniken zur Identifikation und Korrektur irrationaler Gedanken und Überzeugungen an (s. Beck, s. Hautzinger) 4 Schritte im Umgang mit den Gedanken und Überzeugungen, die die Eß­törung aufrechterhalten (Fairburn, 1985): 1. Identifikation dysfunktionaler Gedanken 2. Überprüfung dieser Gedanken 3. Identifikation zugrundeliegender dysfunktionaler Überzeugungen und Wertvorstellungen 4. Überprüfung dieser Überzeugungen und Wertvorstellungen 2.1.2. Verbesserung der Körperwahrnehmung und -akzeptanz 1. Übungen zur Körpererfahrung Ziel: – Veränderung von Ängsten und negativen Einstellungen gegenüber der Figur – Reduktion der Körperbildstörung – differenziertere Wahrnehmung des Körpers – auch ungeliebte Problemzonen durch Gewöhnung akzeptieren lernen Methode: a) Konfrontationsübungen mit der Figur bzw. der äußeren Erscheinung b) Figurvergleich mit anderen Personen c) Wiegen zu unterschiedlichen Tageszeiten Ziel: Gewöhnung an natürliche Ge­wichtsschwankungen d) Übungen zur Körperwahrnehmung 2. Übungen zum Körperausdruck Methode: Spiegel und Video Ziel: – Durchspielen von Verhaltens- und Ausdrucksweisen (Haltung, gewinnendes Lächeln) – Pat. beurteilt Wirkung ihres Ausdrucksverhaltens bei anderen Personen – Experimentieren mit dem äußeren Erscheinungsbild (Kosmetik, Frisur, Kleidung ...) 3. Einstellungsänderung zur Wertigkeit der Figur Ziel: irrationale Überzeugungen herausfinden und bearbeiten Methode: – kognitive Techniken zu irrationalen Überzeugungen – systemimmanente Gesprächstech­ niken 2.1.3. Psychische Belastungen, die zu Eßanfällen führen Anhand der diagnostischen Befunde kann erkannt werden, warum Patientin in Belastungssituationen Eßanfälle hat. 1. Lenkt sich die Betroffene von 49 50 unangenehmen Gedanken oder Gefühlen ab ? (Gedanken an Mißerfolge, Traurigkeit über den Verlust eines geliebten Menschen, Langeweile-Situationen) Wenn ja, dann werden die Patientinnen durch systematische und langandauernde Konfrontation mit diesen Gedanken und Gefühlen dazu angeleitet, sich diesen zu stellen, ohne zu essen 2. Liegt ein Mangel an angemessenen Problemlösefertigkeiten vor ? Wenn ja, dann werden mit den Patientinnen entsprechende Trainings durchgeführt: • Soziales Kompetenztraining • Selbstsicherheitstraining • Problemlösetraining um sich gegenüber Problemsituationen besser gewappnet zu fühlen. I. v. Witzleben mehrere Male hintereinander durchgeführt, damit eine Habituation an den Geschmack und Geruch stattfinden kann. Durch die distanzierende Betrachtungsweise ergeben sich neue Sichtweisen: „Der Mohrenkopf wirkt auf mich jetzt glitschig, künstlich und wabbelig, gar nicht appetitlich”. Diese Übungen erfolgen auch mit anderen Reizen, die zu Auslösern von Eßanfällen geworden sind (z. B. be­stimmte Umgebung, Anblick eines gefüllten Kühlschranks, Hören bestimmter Musik). 2.1.4. Andere Stimuli, die zu Eßanfällen führen 2.2. Zeitlicher Ablauf der ambulanten Therapie in der Christoph-DornierStiftung für Klinische Psychologie der Technischen Universität Dresden: Manche Pat. berichten, daß sie bereits beim Anblick bestimmter Nahrungsmittel die Kontrolle verlieren und große Mengen davon zu sich nehmen. Um derartigen Heißhungeranfällen entgegenzuwirken, werden die Patientinnen mit genau diesen Nahrungsmitteln konfrontiert. • betrachten • beschreiben • Geruch auf sich wirken lassen • Geschmack beschreiben Die Übung wird lange genug und 1. Erstgespräch 2. Diagnostische Untersuchung (Indikationsstellung) 3. Kognitive Vorbereitung des Patienten auf die Therapie • Herleiten eines individuellen Erklä­ rungsmodells gemeinsam mit Patientin • Grundlage bildet oben beschriebenes Ätiologie-Modell • Ableiten notwendiger Schritte, um aus Teufelskreis wieder herauszukommen Ambulante psychologische Therapie der Anorexia und Bulimia nervosa 4. Zeit zum Überlegen und Entscheiden 5. Therapiebeginn: 5–10 Tage täglich, im Anschluß kontinuierlich 6. 6 Wochen-Nachuntersuchung 7. 1-Jahres-Nachuntersuchung 8. 5-Jahres-Nachuntersuchung Indikation für stationäre Behandlung 1. Medizinische Kriterien: – Kritischer Gewichtsverlust (BMI < 14 stationär) – Schlechter oder akut bedrohter körperlicher Zustand (Elektrolytstörungen) 2. Psychotherapeutische Kriterien: – Vorliegen akuter Suizidalität – Zusätzlich vorhandene Störungen wie Depressivität, Störungen der Impulskontrolle oder PSK-störungen 3. Psychosoziale Kriterien: – Belastungsfaktoren, die an der Aufrechterhaltung der Symptomatik be­teiligt sind und die Pat. derart belasten, daß eine Symptomreduktion bzw. -veränderung nicht möglich erscheint (z.B. familiäre oder partnerschaftliche Interaktionsmuster) 51 52 53 Ess-Störungen aus der Sicht des niedergelassenen Arztes Dr. H. H. Ehrat Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren, für Ihre Einladung, im Rahmen dieser Tagung ein Referat zu halten, danke ich Ihnen sehr herzlich. Ich freue mich um so mehr, als ich weiss, was Herr Kollege Höll für ein Risiko auf sich nimmt, mich für eine solche Fachtagung als Referenten einzuladen. Um meinen Beitrag ins richtige Licht zu rücken, muss man sagen: Ess-Störungen aus der Sicht e i n e s niedergelassenen Arztes. Die Begründung dieser Thema-Änderung ergibt sich aus meinem Referat. Nach fast 30-jähriger Tätigkeit als praktischer Arzt stelle ich fest, dass Ess-Störungen allgemein verstanden in ­meinem Praxisalltag häufig, hingegen Anorexie und Bulimie seltene Krankheitsbilder sind. Allerdings ist mir recht früh aufgefallen, wie einsam und verlassen diese Patienten sind und wie oft unprofessionelle Behandlungsformen an ihnen ausgeübt werden. Im weiteren bin ich immer wieder beeindruckt, wie die Angehörigen dieser Patienten am Krankheitsgeschehen teilnehmen – sowohl als Akteure, wie auch als Mitmenschen, die sich dem komplexen Geschehen rund um diese beiden Krankheitsbilder gegenüber absolut ­passiv und fatalistisch verhalten. Mir sind Behandlungskonzepte be­gegnet, die im grossen und ganzen in die Richtung einer Verhaltensänderung der Patienten zielen. So werden diese mit ganz rigorosen Behandlungsplänen angegangen, die dann in ihrem Ablauf einer strengen Kontrolle z.B. des Ge­wichts oder der Verhaltensanamnese unterliegen. Mein Weg hat mich in eine ganz andere Richtung geführt, von der ich Ihnen hier berichten möchte. Im Zusammenhang mit einer gesprächstherapeutischen Behandlung im Rahmen einer eigenen Erkrankung, hat mich mein Arzt ermuntert, mit ihm zusammen Seminare von D. Jonas zu besuchen. Jonas hat in den Jahren 1980 bis 1985 in Würzburg seine Methode Idiolektik – beschrieben und in Seminarien für Psychologen und Ärzte demonstriert und gelehrt. 54 H. H. Ehrat 1. Was ist das I d i o l e k t i k ? Idiolektik ist die Lehre von der Eigensprache des Menschen. Der Umgang und der Einstieg in die Eigensprache des Menschen hat sich im ärztlichen Gespräch im allgemeinen und im Gespräch mit psychosomatisch Kranken im speziellen als effektiv gezeigt. Jonas hat – von seiner Methode berichtend – immer wieder von einer Ultrakurzpsychotherapie gesprochen – in unserer Zeit eine ganz besonders faszinierende und verlockende Behandlungsform. Zum Verständnis des Begriffes „Eigensprache des Menschen“ hilft die Betrachtung der Phylogenese des menschlichen Gehirns. 1. Palaeocortex = Stammhirn oder Hirnstamm steuert alle Grundbedingungen des Lebens schlechthin: – Atmung – Blutdruck – Temperatur 2. Archaeocortex = Mittelhirn, das limbische System enthaltend l i m b i s c h e s System – hier können Gefühle generiert werden – Lebewesen mit dieser Struktur leben – erstmals in Gemeinschaften – hier ist der Sitz unserer Erfahrungen – Lebewesen mit dieser Struktur sind fähig, – erste sprachliche Äusserungen zu machen. 3. Neocortex = Neuhirn (wesentlicher Anteil: Hirnrinde) Logik – willkürliche Motorik – Sensorik – ognitive Leistungen Ess-Störungen aus der Sicht des niedergelassenen Arztes Die als Eigensprache bezeichneten Anteile unserer Äusserungen werden „eingefärbt“ von limbischen Anteilen, die die Eigenart und die Einzigartigkeit des Sprechenden zum Ausdruck bringen. Beim aufmerksamen Zuhören fallen uns beim Sprechenden neben den Dialektanteilen (die für Sie als Zuhörer bei einem Referat eines CH-Kollegen besonders auffällig sein müssen) und neben einer ganz bestimmten, persönlichen Mimik und Gestik auch ganz bestimmte Begriffe auf – man nennt diese Begriffe Schlüsselwörter. Die Auffälligkeit von Begriffen als Schlüsselwörter hängt sowohl vom Sprechenden als auch vom Zuhörer ab. So werden diese Schlüsselwörter zu Schnittstellen gemeinsamen Erlebens. Durch dieses Phaenomen entsteht zwischen den Gesprächspartnern ein Resonanzphaenomen, Zuhörer und Sprechender schwingen gewissermassen auf der gleichen Ebene – es entsteht ein Gefühl der Solidarität und des Verstandenseins. Jonas hat dieses Resonanzphaenomen als den entscheidenden Faktor jedes Gespräches bezeichnet. Wird bei Schlüsselwörtern nach der individuellen Bedeutung gefragt – etwa mit der Formel: „Kannst Du mir in Deinen eigenen Worten sagen, wie ich mir Deine Oberbauchschmerzen vorstellen muss?“ so hören Sie oft die Ihnen bekannte Antwort: „Ein Stein liegt mir im Magen“. Indem Sie sich nun diesen Stein beschreiben lassen, bringen Sie ihren Gesprächspartner dazu, Bilder und Erfahrungen als Erklärungsnotwendigkeiten mitzubenutzen und dabei automatisch limbische Anteile mitzutransportieren. Patienten die so sprechen, erleben, wie Gefühle Platz gewinnen – oft wird dieser Vortrag körperlich gespürt – Sie sind mit ihrem Interview in die Psychodynamik Ihres Gesprächspartners eingestiegen. Resonanzphänomene lassen sich auch in noch viel einfacheren Begebenheiten nachweisen: Stellen Sie sich z.B. ein Bauerndorf vor, in dem die Menschen abends vor ihren Häusern auf Bänken nebeneinander sitzen und über belanglose Dinge wie Wetter, andere Dorfbewohner oder Lokalpolitik sprechen. Nonverbal werden dabei ganz entscheidende Signale ausgetauscht: • ich habe Dich gern • ich brauche Dich • Du bist ein Mitglied unserer Gemeinschaft usw. ... Bei solchen Gesprächen entsteht ein Ambiente, das qualitativ weit über dem inhaltlich Ausgetauschten steht. Gerade durch die Selbstverständlichkeit der Situation und des allabendlichen Ritus, entsteht eine besondere Form der Vertrautheit und des Verständnisses und 55 56 des Verstehens. Es herrscht eine angenehm und entspannte Atmosphäre. Einen solchen Gesprächsverlauf nennt man locker. Die miteinander kommunizierenden Menschen geben k ö r p e r l i c h entscheidende Gemeinschaftssignale, die sich in ganz bestimmten Gesten, Satzmelodien, Sprechpausen usw. ausdrücken und gleichzeitig von hohem Kommunikationswert sind. „Lockere“ Gespräche beinhalten immer limbische Anteile, die für die Erlebniswelt des einzelnen Menschen von hoher Bedeutung sind. Ich habe hier in diesem Hause anlässlich eines Trainingsseminars eine Situation erlebt, die das vorher Ausgesagte noch etwas besser zur Darstellung bringt. Bei Seminarbeginn stellte ich die Frage, ob irgendein Teilnehmer irgendeine Begebenheit zum Thema machen möchte. Es meldete sich eine Kollegin, die erklärte, sie wolle kein Gespräch führen, sondern sich beklagen. Bei Ihrer Anmeldung zum Seminar hätte man ihr zugesichert, sie werde um 16.00 Uhr bei der Klinikpforte erwartet und es werde für ihre Übernachtungsmöglichkeit gesorgt. Pünktlich um 16.00 Uhr sei sie dann an der Pforte erschienen – kein Mensch sei aber über ihr Kommen orientiert gewesen, verspätet sei dann der Klinikchef erschienen, habe sie nicht besonders H. H. Ehrat freundlich begrüsst und zu ihr gesagt, sie solle mit ihm kommen. Er sei dann vorausgegangen – sie hätte sogar ihr Gepäck selber tragen müssen – und sei von ihm in diesen Seminarraum gewiesen worden. Nun erwarte sie, dass dieser Kollege sich bei ihr in aller Form entschuldige. So ein Verhalten sei sie nicht gewohnt, was wir sicher alle gut verstehen würden. Auf meine Frage, was sie denn gewohnt sei, erzählte sie, sie erfahre in ihrem Leben viel Freundlichkeit und Höflichkeit und immer wieder auch gute Gespräche. Auf die Frage, was denn gute Gespräche für sie seien, gibt sie ein Beispiel: Mein Mann und ich sitzen oft abends im Garten, trinken italienischen Weisswein mit Eisklötzchen und reden über die wichtigen Dinge des vergangenen Tages. Meine nächste Frage: Waren sie auch schon in Italien? Darauf erzählt die Kollegin in farbenreicher Sprache, dass ihre Grossmutter eine Italienerin sei, sie oft dort im Urlaub gewesen sei und diese Erinnerung in ihr viele gute Gefühle wecke und dieser Gedanke an die italienischen Wochen für sie etwas Paradiesisches hätten. Die Schilderung des Ortes, der Gewohnheiten und der dort lebenden Menschen machte der Kollegin sichtlich Freude, was sich neben dem lexikalischen Bericht Ess-Störungen aus der Sicht des niedergelassenen Arztes auch non-para und praeverbal sehr gut beobachten liess. Sie war mit ihrer Schilderung gewissermassen in eine heile Welt eingetreten – in eine Welt voller Ressourcen und voller Gefühle der Gemeinschaftlichkeit. Die anfänglich geforderte Entschuldigung konnte sie nach dieser Schilderung mühelos aufgeben – das traumatisierende Erlebnis hatte seinen Stellenwert verloren. In der dargelegten Gesprächssequenz zeigt es sich, dass es nicht entscheidend ist, problemorientiert zu sprechen, sondern davon auszugehen, dass a l l e Aussagen eines Menschen einen ganz bestimmten Wert haben, von ihm selber ausgehen und Verständnis und Verstehen ermöglichen, ohne das „Problem“ sogenannt gelöst zu haben. Philosophen der Postmoderne weisen immer wieder darauf hin, dass alle Phaenomene – auch Worte – an sich eine Bedeutung haben, unabhängig davon, ob diese von mir in Zusammenhang gebracht werden können oder nicht. Im Gegenteil, es wird der Wert des einzelnen Phaenomens an sich betont. Diese Erkenntnis macht sich die Idiolektik zu Nutze, indem die These gilt: Kein Mensch sagt irgendein Wort zufälligerweise, nicht einmal e i g e n t l i c h . (Gerade dieses Wort e i g e n t l i c h zeigt immer, dass hinter dem Ausgesagten sich noch eine andere „Wahrheit“ versteckt hält.) In praxi heisst dies – und ich verweise noch einmal auf obiges Beispiel – alle Begriffe, die ihr Gesprächspartner verwendet, können als Einstiegswort in ein Gespräch genutzt werden. Meine Damen und Herren, ich kann mir sehr gut vorstellen, wie sie sich fragen, was dies alles mit Ess-Störungen zu tun haben könnte. Sie alle wissen, wie sehr Patienten mit schwerwiegenden EssStörungen von ihren Gefühlen und ihren Werten abgekoppelt sind. Sie wissen wahrscheinlich besser als ich, wie oft diese Abtrennung von Gefühlen, Eigenwerten und Ressourcen durch Behandlungskonzepte, die auf der Formel: Du musst basieren, noch verstärkt werden. Sie haben sicher auch erfahren, wie Therapiefortschritte rasch dahinschmelzen können, weil wir spüren, wie wenig Fundament vorhanden ist. In eigensprachlichen Interviews wird nicht auf ein recipe hin gearbeitet, sondern es wird versucht, durch Aufspüren von Ressourcen, verschüttete AhaErlebnisse zu ermöglichen. Stellen Sie sich vor, Ihre Patienten gehen aus der Gesprächssitzung weg mit dem Wissen und der Erfahrung, was sie alles können und welche Kräfte in ihnen vorhanden sind. Stellen Sie sich vor, was in solchen Menschen vorgehen kann, die erleben, dass andere ihre Lebensweise respektieren und würdigen können. 57 58 H. H. Ehrat Prof. Krapf in Zürich hat folgenden pädagogischen Versuch gemacht, mit dem sich das Gesagte vielleicht gut erläutern lässt. Schüler mit Schwierigkeiten in Mathematik werden in 2 Gruppen aufgeteilt. Mit der einen Gruppe wird im Nachhilfeunterricht und in Trainingsstunden Mathematik „aufpoliert“. Mit der zweiten Gruppe wird nur in jenen Fächern gearbeitet, in denen sie gute Leistungen erbracht haben. Das verblüffende – jetzt nicht mehr verblüffende – Resultat ist, dass die zweite Probandengruppe nach diesem Unterricht auch im Fach Mathematik ganz deutlich erkennbare Fortschritte gemacht hat. Unsere Behandlungswelt ist defizitorientiert – dies sicher mit gutem Grund. Es gibt auch gute Gründe und genügend Hinweise, dass Behandlungskonzepte, die ressourcenorientiert sind, sehr hilfreich und wertvoll sein können. Wo die Passion des Sprechenden liegt, ist unschwer auszumachen. Aus der Kasuistik meiner Praxis gibt es ermutigende Beispiele, die Bedeutung und Wirkung des eigensprachlichen Interviews aufzeigen. durch diese Methodik der „Gesprächsall­ tag“ eine ganz andere Färbung erfährt. Leichtigkeit und Unbekümmertheit, was aus den Gesprächen werden wird, bewirken Erleichterung für uns und wecken Freude und ungebrochenes Interesse an allem, was uns in diesen eigenartigen und einzigartigen Gesprächen begegnet. Patienten berichten, wie solche Gespräche nachwirken, besonders dann, wenn der Hauptkriegsschauplatz der Problematik gar nicht zur Sprache gekommen ist. Gerade unser Verzicht, uns auf diesem gefährlichen Kriegsschauplatz zu bewegen, bringt Entlastung und erfüllt die sokratische Forderung nach der Situation, in der ich mit entleertem Becher warten darf, bis er von meinem Partner (hier Gesprächspartner) nach seiner Massgabe gefüllt werden kann oder auch nicht. Einige Kollegen, die mit mir zusammenarbeiten und Idiolektik anwenden, berichten immer wieder über Erlebnisse, die ihnen Eindruck machen, und wie Zu diesen Punkten einige Bemerkunge : Zur „P h i l o s o p h i e“ der Idiolektik sind zwei Grundsätze zu beachten: 1. Jedes Lebewesen ist einzigartig. Ich möchte zusammenfassend auf die Grundbedingung der Idiolektik zurückkommen: Grundbedingungen des idiolektischen Interviews sind: • die Philosophie der Idiolektik • die bestimmte Technik der Idiolektik • die Haltung des Gesprächsleiter Ess-Störungen aus der Sicht des niedergelassenen Arztes 2. Jedes Lebewesen hat für sein Verhalten Gründe (von Jonas die guten Gründe genannt). Aus der Maxime der Einzigartigkeit der Lebewesen spüren Sie viele ethische Anteile. Mit Absicht spreche ich nicht vom Menschen, sondern von Lebewesen – meine Tochter hat als Veterinärmedizinerin gleiche Grundsätze im Umgang mit den Tieren beachtet und dabei ganz erstaunliche Erfahrungen gemacht. Zum zweiten sind die „guten Gründe“ für das Verhalten der Lebewesen Ausdruck ihrer Erbanlagen, dem Millieu, in dem sie leben, und ihrer Erfahrungen, die in ganz bestimmten, entscheidenden Ab­schnitten des Lebens gemacht wurden. Jonas bezeichnet diese Gründe auch als „innere Weisheit“ und erklärt, dass diese innere Weisheit die Adaptationskraft jedes Lebewesens ist, auf ganz bestimmte Bedingungen ganz individuelle Antworten, Verhaltensmuster und Krankheitsphänomene zu generieren. Werden Erkrankungen unter diesem Aspekt betrachtet, wird ihnen ein anderer Platz zugewiesen. Der Körper der betroffenen Personen spricht seine Sprache im adaptiven Sinne. Jonas beschreibt einige Krankheitsbilder, die in ihrer Erscheinungsform in einer früheren entwicklungsgeschichtlichen Periode nicht als Krankheit, son- dern als Adaptationsphänomen angesehen werden kann. Er nennt solche Phänomene: a r c h a i s c h e R e l i k t e. Zur Erläuterung zwei Beispiele: 1. Herzrasen – Panikattacken 2. colitis ulcerosa ad 1: Unser Herz erhöht seine Frequenz automatisch, wenn Gefahr droht, Flucht vorbereitet werden muss. Interessanterweise tritt dieses Phaenomen auch dann auf, wenn Gefahr und Flucht nur schon imaginär vorhanden sind. Die betroffenen Lebewesen „verstehen“ ihr körperliches Phaenomen nicht. ad 2: Die Seegurke stösst bei Herannahen eines Feindes Teile ihrer Dickdarmschleimhaut ab und wirft diese dem Gegner zum Frass vor; sie gewinnt damit Zeit zu fliehen. Im eigensprachlichen Interview finden sich dann zahlreiche Hinweise, die auf die Entstehung des klinischen Bildes hindeuten. Beim Patienten entsteht während des Sprechens die Möglichkeit, Zusammenhänge zwischen Ursache und Krankheitsbild zu erkennen. Er selber gewinnt Verständnis gegenüber einem Zustandsbild, das bisher nicht verstanden sondern abgelehnt wurde. 59 60 Unter den genannten Bedingungen wechselt auch die Position des Therapeuten. Urteil und Beurteilung machen Würdigung und Respekt gegenüber dem beobachteten Phaenomen oder Krankheitsbild Platz. Es fällt ihm, das heisst uns, plötzlich schwer, eine ganz bestimmte, eingeübte Beurteilung zum tragenden Element zu machen. Im Gegenteil, an Stelle des Wissens über ein Krankkheitsphaenomen treten Fragen und Verstehen. An Stelle eines Ratschlages tritt achtsames Zuhören, Mitgehen und Miterleben. Der behandelnde Arzt realisiert, dass die Wirklichkeit des Patienten bei ihm selber liegt, und sich in keinem Fall mit einem schematischen Denken zur Deckung bringen lässt. „Logische“ Aussagen, wie z.B.: „Du musst keine Angst haben!“ sind nicht mehr möglich, auch dann nicht, wenn statistisch gesehen und auf Grund der Erfahrung kein Anlass zu Angst besteht. Die Wirklichkeit des Patienten ist eben bedrängendes, angsterfülltes Erleben. Entwicklungsgeschichtlich betrachtet, sind Ängste immer Angst vor Verlust des Lebens, und somit sind sie wesentliche Triebfeder, alles daran zu setzen, die gefürchtete Situation zu vermeiden. Sie sind Ausdruck der inneren Weisheit dieses Lebewesens. Unter dieser Betrachtungsweise ver- H. H. Ehrat stehen Sie auch, was für eine hohe Bedeutung Respekt und Würdigung gegenüber einer geäusserten Angst hat. Eine solche Haltung ermöglicht dem Therapeuten, den eigenständigen, dynamischen Prozessen des Patienten Nahe zu sein, und in liebevoller Weise mit ihnen und ihren beklagten Beschwerden umzugehen. In solchem Sinne ärztlich zu handeln wird zur Selbstverständlichkeit und ermöglicht dem Leidenden zu den eigenen Kraftquellen zurückzufinden. Patienten erleben so ein kleines Stück einer „heilen Welt“ und es stellt sich die Frage, ob in ihr nicht die Kraft der Heilungsmöglichkeit verborgen liegt. 2. Technik der Idiolektik Im idiolektischen Gespräch wird – wie eingangs erwähnt – auf Schlüsselwörter des Sprechenden geachtet. Schlüsselwörter sind Begriffe, die für mich als Zuhörer auffallen. Die Tatsache, dass gewisse Begriffe für mich auffällig sind, gibt Hinweise darauf, dass diese Begriffe mich besonders ansprechen, in irgendeiner Weise mit meinem Kontext zusammenklingen. Es hat sich gezeigt, dass die Auswahl der Schlüsselwörter, die den weiteren Gesprächsverlauf mitbestimmen, mit Vorteil nach bestimmten Gesichtspunkten ausgewählt werden sollten. Ess-Störungen aus der Sicht des niedergelassenen Arztes Schlüsselwörter als Gesprächseinstiegsbegriffe sollten wenn möglich folgende Eigenschaften haben: • sie sollen konkret sein • sie sollen sich nicht mit Gefühlen beschäftigen • die sollen vermeintlich unverfänglich sein (so lässt sich leichter der Aufenthalt auf dem Kriegsschauplatz vermeiden) • sie sollen wenn möglich Bewegung ausdrücken • sie sollen möglichst weit ab vom vermuteten Geschehen liegen Mit der Frage, wie muss ich mir dies oder jenes vorstellen, wird versucht, die individuelle Bedeutung des verwendeten Wortes zu erfahren (meine Deutung des Wortes ist nicht gefragt). Bei geübten Gesprächsleitern gelingt es im weiteren oft, die vom Patienten dargestellte Situation in ein Bild zu fassen – man spricht dann von der metaphorischen Gesprächsebene. Dem Patienten werden Situationen, die auf der bildhaften Ebene dargestellt werden, leichter zugänglich, ganz abgesehen davon, dass Menschen mit Bildern leichter umgehen können als mit abstrakten, intellektualisierten Erklärungen. 3. Meine Haltung als Gesprächspartner Der Theologe Drewermann hat nach meiner Meinung das Anliegen unserer Haltung am treffendsten dargestellt, in dem er sagt, dass für Lehrer, Ärzte, Psychologen und Berater zwei Haltungs­ muster entscheidend sind: 1. spricht er vom „sokratischen Optimismus“ und meint damit, dass Wahrheit und Wirklichkeit einer Person in ihr selber liegen und 2. spricht er vom „methodischen Immoralismus“ und meint damit unsere Grundhaltung, die absichtslos, ziellos und kommentarlos sein muss und vergleicht diese Situation mit den Israeliten des alten Testamentes, die sich in den Tempel begeben, in dem sie Asyl finden. Dort dürfen die Menschen sein, wie sie wirklich sind. Meine Damen und Herren : Ess-Störungen aus der Sicht eines niedergelassenen Arztes, so habe ich mein Referat genannt. Sie haben verbal zu dieser Thematik ganz wenig gehört. Ich hoffe, sie haben gespürt, mit welchen Anliegen ich bei meiner Arbeit mit dem Leiden solcher Menschen umzugehen versuche. Sie werden sicher auch verstehen, wenn ich darauf verzichtet habe, aus meiner Kasuistik zu diesem Thema Bei- 61 62 träge zu bringen. Ich hoffe, es sei mir gelungen – ohne diese Beispiele – deutlich zu machen, welche Behandlungsenergie in der dargestellten Methode liegen kann und ich weiss, dass Sie erkennen, welchen Erfahrungen im Umgang mit den angesprochenen Krankheitsbildern ich meine Begeisterung für Idiolektik verdanke. H. H. Ehrat 63 Stationäre Behandlungskonzepte bei Eßstörungen F. Bleichner1 R. Maaser2 S. Walinda3 Einleitung Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Die Zeiten, in denen die stationäre psychosomatische Behandlung die einzige Möglichkeit zur Therapie darstellte, sind endgültig vorbei. Stationäre Therapie darf nicht mehr isoliert betrachtet werden. Sie ist Teil einer Behandlungskette und nur dann indiziert, wenn ambulante Therapie nicht zum gewünschten Erfolg führt. Damit kommt der Zielsetzung für den stationären Therapieabschnitt und den Übergängen ambulant – stationär und stationär – ambulant besondere Bedeutung zu. 1. Stationäre Therapie muß dem Umstand Rechnung tragen, daß durch 1) Dr. med. Franz Bleichner Facharzt für Psychotherapeutische Medizin Facharzt für Innere Medizin - Gastroenterologie Ärztlicher Direktor Psychosomatische Klinik Bad Neustadt 2) Dr. phil. Rudolf Maaser Diplom-Psychologe Leiter interne Schulung und Therapiecontrolling Psychosomatische Klinik Bad Neustadt 3) Dr. med. Sylvia Walinda Fachärztin für Allgemeinmedizin - Psychotherapie Oberärztin Psychosomatische Klinik Bad Neustadt die Herausnahme aus dem familiären Umfeld und den sozialen Bindungen eine künstliche Situation entsteht, die den Patienten zwar aus den die Krankheit unterhaltenden Spannungsfeldern herauslöst, aber gleichzeitig die Illusion vermitteln kann, daß der Ablauf in der Klinik das wirkliche Leben darstellt. Geschieht dies, so ist der Absturz nach der stationären Behandlung vorprogrammiert. 2. Die Therapiedauer muß dem Krankheitsbild angemessen sein, zu lange Therapiezeiten haben schädigenden Charakter, was sich in der Behandlung von Therapiewiederholern immer wieder zeigt. 3. Stationäre Therapie muß realitätsbezogen sein, d. h. sie muß inhaltlich die realen Gegebenheiten der Patienten mit berücksichtigen und in den Ablauf einbeziehen. 4. Die vorund nachstationäre Be­handlung muß in die stationäre Therapieplanung einbezogen sein 5. Therapiekonzepte heilen nicht per se, sondern sind aus dem Krankheitsverständnis und den Gegebenheiten der Klinik entstandene Handlungsanweisungen. 6. Rigide und buchstabengetreue Befolgung von Konzepten ist genauso 64 fehl am Platz wie die ständige Ausnahmesituation im Einzelfall. 7. Konzepte müssen klar, einfach und für alle verbindlich sein und in ihrer Zielrichtung inhaltlich verstanden werden. Eßstörungen werden in fast allen psychosomatischen Kliniken behandelt. Dementsprechend gibt es eine Fülle von unterschiedlichen Behandlungskonzepten, die sich im einzelnen schwer vergleichen lassen. Klinikkonzepte spiegeln die Möglichkeiten und Grenzen der einzelnen Kliniken wider. Bei allen Unterschieden läßt sich bei den tiefenpsychologisch orientiert ar­bei­ tenden Kliniken ein Grundmuster erkennen: • Stationäre tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie • Strukturierende Rahmenvereinbarungen • Realitätsgerechte Hilfestellung zum Abschluß der Therapie, z. B. bei Berufsfindung, Arbeitsuche, Wohnungs­suche, weitere ambulante Therapie. Durch unterschiedliche Aufnahmekriterien wie • Festlegung eines Mindestaufnahmegewichts, • Aufnahmealter, • Motivationsnachweis (schriftlich, ambulante Vorgespräche usw.) wird eine Patientenselektion durchgeführt, ohne deren Kenntnis ein Ver- F. Bleichner, R. Maaser, S. Walinda gleich der einzelnen Konzepte nicht möglich ist. Klinikkonzept zur Behandlung der Anorexia nervosa In der Psychosomatischen Klinik Bad Neustadt werden im Krankenhausbereich jährlich ca. 1600 Patienten behandelt. Ca. 10 % davon leiden an einer Eß­störung. Legt man die Klassifikation nach­ ICD-10 zugrunde, so verteilt sich unser Patientengut aus den Jahren 1996 bis 1997 wie folgt: Ca. 75 % sind dem anorektischen und ca. 25 % dem bulimischen Formenkreis zuzurechnen. (siehe nebenstehende Tabelle) In unserer konzeptuellen Ausrichtung sind wir tiefenpsychologisch orientiert, in diesem Rahmen versuchen wir, uns diese besonderen Vorteile der statio­ nären Therapie nutzbar zu machen. Dies ist zum einen die Möglichkeit, den Patienten im stationären Setting umfassend und intensiv unter verschiedenen Ansätzen behandeln zu können. Des weiteren beinhaltet die stationäre Therapie die Möglichkeit, den Patienten zunächst einmal von seinem häuslichen, zumeist die Pathologie unterstützenden Umfeld zu trennen und damit eine andere Basis als die ambulante Therapie als Ausgangspunkt eröffnen zu können. Stationäre Behandlungskonzepte bei Eßstörungen Klassifikation nach ICD 10 F 50.0 F 50.1 Quetelets-Index < 17,5 Gewichtsverlust Nahrungsrestriktion Erbrechen, Laxantien körp. Aktivität Körperbild Angst, dick zu werden; niedriges Gewichtsideal Die Anorexia nervosa stellt sich für uns als Suchterkrankung dar, die sich vor dem Hintergrund einer psychopathologischen Struktur entwickelt. Die Suchtstruktur besteht aus einem Suchtverhaltenssystem, dessen Ziel und Motive dem bewußten Ich verborgen bleiben, das vom gesunden Teil des Ichs abgespalten automatisch abläuft und sich autoaggressiv schädigend am eigenen Körper abspielt. Die Suchtstruktur entwickelt sich psychopathogenetisch auf allen Ebenen der Entwicklung. Zum einen ­liegen strukturelle Defizite im Bereich der Selbstakzeptanz und Autonomie vor, zum anderen lassen sich auch viele neu- F 50.2 F 50.3 erniedrigt ein oder mehrere Kriterien der typischen A. nervosa fehlen bei an­sonsten typischen Bild endokrine Störung ja 65 Eß- Brech­ attacken, ­Einsatz von ­Diuretika, Laxantien, Appetitzügler, Schilddrüsenhormon usw. ein oder mehrere Kriterien der typischen A. nervosa fehlen bei an­sonsten typischen Bild Angst, dick zu werden; Gewichtsideal unter prämorbiden Gewicht nicht obligatorisch rotische Konflikte im Sinne neurotischer Infantilismen aufweisen. Aufnahmekriterien Wir nehmen die Patientinnen ohne Wartezeit auf; ein Mindestgewicht wird nicht gefordert. Patientinnen, die im engeren Sinne intensivpflichtig sind (respiratorische Insuffizienz mit Beatmungspflicht und/ oder massive Störungen in der Eiweiß­ bilanz) können nicht aufgenommen werden. 66 F. Bleichner, R. Maaser, S. Walinda Patientengut Therapieziel Etwa ein Drittel aller Anorexie-Patientinnen haben ein Aufnahmegewicht unterhalb BMI 14. 50 % haben einen längeren Krankheitsverlauf als 5 Jahre, nur ein Drittel einen Krankheitsverlauf von einem Jahr. 80 % der Patientinnen haben zwei und mehr stationäre Therapien bereits hinter sich gebracht und sind zu 90 % in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung. Auch das Durchschnittsalter von 25 Jahren zeigt an, daß größtenteils chronifizierte Krankheitsverläufe zur stationären Behandlung kommen. (siehe untenstehende Tabelle) • Aufgabe des Suchtverhaltens • Erreichen eines gesunden Gewichts­ niveaus, gekennzeichnet durch das Wiedereinsetzen der Periodenblutung • autonome Lebensführung. Seit über 20 Jahren verfolgen wir ein zweiphasiges Behandlungskonzept. Sie beginnt mit dem Aufnahmegespräch (möglichst mit den Angehörigen): Erste Phase Die erste Phase ist als Suchttherapie konzipiert und hat zum Ziel: • Einengung und Irritation des süchtigen Verhaltenssystems. • Wiederauffütterung und körperliche Stabilisierung. Schweregrad4 und Krankheitsdauer bis 1 J. 2 – 3 J. 4 – 5 J. 6 – 10 J. >10 J. Grad 1 (n=135) 52 33 25 24 1 Grad 2 (n=34) 7 10 6 9 2 Grad 3 (n=12 ) 2 1 2 5 2 gesamt5 61 44 33 38 5 4) Schweregrad 1: BMI zwischen 14 und 17,5 Schweregrad 2: BMI zwischen 12 und 14 Schweregrad 3: BMI kleiner 12 5) davon 5 mit gerichtlich angeordneter Betreuung Stationäre Behandlungskonzepte bei Eßstörungen Zielsetzung • Erklärung des Konzeptes • Motivation • Entlastung des gesamten familiären Systems („Sie als Familie haben bisher alles versucht, um diese schwere Krankheit zu überwinden. Trotz all Ihrer Bemühungen hat dies nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Sie haben jetzt einen wichtigen Schritt getan, indem Sie sich zur stationären Therapie entschlossen haben und damit die Verantwortung ein Stück auch an uns abgeben. Jeder von Ihnen hat jetzt die Möglichkeit, die Sorge für den anderen ein Stück weit sein zu lassen und sich mehr mit sich zu beschäftigen. Diese Auszeit brauchen Sie, um mit neuer Kraft nach Abschluß der stationären Behandlung die dann noch anstehenden Probleme zu lösen.") Rahmenbedingungen • Kontaktunterbrechung zum häuslichen Umfeld: • Hierdurch soll erreicht werden, daß Magersuchtsrituale, die sich in der Familie etabliert haben, nicht mehr ohne weiteres aufrechterhalten werden können. • Hausgebot: Dadurch wird mögliches Suchtverhal- ten außerhalb der Klinik unmöglich gemacht. • Essen und Gewicht sind in dieser Phase kein Thema für Gespräche mit der Patientin. Sie wird täglich so gewogen, daß sie ihr Gewicht nicht erfährt, erhält hochkalorische Vollkost und zusätzlich 4 x am Tag einen Becher = 200 ml Sondennahrung, die sie unter Aufsicht trinkt und anschließend für eine halbe Stunde unter Beobachtung bleibt. Wir gehen hierbei von der Überlegung aus, daß im häuslichen Milieu das Thema Essen und Gewicht bis zur völligen Erschöpfung des familiären Systems diskutiert und besprochen wurde („Kind, Du hat schon wieder ein Pfund abgenommen, Du mußt doch etwas essen, ich koche Dir Deine Lieblingsspeise“ usw.). • Störung von anorektischen Ritualen (Gymnastik, Ablenkung usw.). In dieser Phase sind die Patientinnen nur teilweise in die Stationsgemeinschaft mit Nicht-Anorexie-Patienten eingebunden, der Kontakt beschränkt sich größtenteils auf den Umgang mit anderen Anorexie-Patientinnen innerhalb der Anorexie-Gruppe. Unterbringung je nach Gewichtssituation auf der Intensivstation oder der Allgemeinstation (BMI unter 13 zwingend Aufnahme auf Intensivstation). Das psychotherapeutische Angebot in dieser Phase besteht aus täglichen 67 68 Einzelgesprächen durch den Bezugstherapeuten, die in kritischen Phasen der Behandlung auch mehrfach am Tag erfolgen, einer intensiven Körperwahrnehmungsschulung und einer körper­ bezogen arbeitenden speziellen Magersuchtsgruppe. Neben den BezugstherapeutInnen kommt der Stationsschwester und der Gruppenleiterin der Anorexiegruppe eine zentrale Bedeutung zu. Die Gruppenleiterin der Anorexiegruppe arbeitet mit der Patientin vom ersten bis zum letzten Tag ihres stationären Aufenthaltes intensiv-körperpsychotherapeutisch und ist somit der Garant der Kontinuität der psychotherapeutischen Arbeit in der Klinik. Vorteile der körperbezogenen Therapie bei Magersucht sind: • die Arbeit mit basalen Erlebnisformen der Patientin führt mitten in das Zentrum der Magersucht, d. h., sie ermöglicht ein Unterlaufen der Sucht und ein Vordringen zur narzißtischen Pathologie der gestörten körperlichen Selbstakzeptanz. • Die körperbezogene Methode bietet die Chance eines Aufbaues gesunder Felder des Selbst (Anknüpfung an die gesunden Anteile des Ichs, Aufbau dieser gesunden Anteile). • Durch diese Methode besteht die Chance zum Beziehungsaufbau auf sehr grundlegendem basalen Niveau. F. Bleichner, R. Maaser, S. Walinda Die Stationsschwester erscheint der Patientin in einer Doppelfunktion: Einmal als strenge und konsequente, alle süchtigen Tricks durchschauende Mutterfigur, zum anderen als die das hinter dem magersüchtigen Agieren häufig verborgene Leid der Patientin verstehende und motivierende Instanz. Zweite Phase Die zweite Phase der Therapie ist gekennzeichnet durch eine schrittweise Eingliederung in die Stationsgemeinschaft, intensiver einzel- und gruppentherapeutischer Aufarbeitung zugrundeliegender Konfliktthemen (Angst, Ekel, Scham und beginnende Auseinandersetzung mit dem familiären System im Rahmen von Familiengesprächen). Die Rahmenvereinbarungen werden schrittweise aufgehoben. Rückfälle in magersüchtiges Agieren werden nunmehr nicht mit einer Veränderung der Rahmenbedingungen beantwortet, sondern innerhalb der therapeutischen Beziehung bearbeitet. Gegen Ende der Therapie wird die nach Entlassung bevorstehende Situation Thema der Gespräche: Beruf, Schule, räumliche Trennung vom Elternhaus, ambulante Therapie, Selbsthilfegruppen usw. Die psychotherapeutische Aufgabe in dieser Phase Stationäre Behandlungskonzepte bei Eßstörungen besteht darin, die Selbsteinschätzung der Patientin durch die Realität zu überprüfen und zu bearbeiten. Im geschützten stationären Rahmen entsteht nämlich leicht die Illusion, viel leistungsstärker und selbständiger zu sein, als es tatsächlich der Fall ist. Noch bestehende Schwierigkeiten im Umgang mit der häuslichen Situation lassen sich durch Beurlaubungen für ein bis zwei Tage aufzeigen und dann entsprechend bearbeiten. Nach Abschluß der Therapie bieten wir allen Patientinnen neben der ambulanten Psychotherapie und den Selbsthilfegruppen eine Nachsorgegruppe an, die einmal im Monat stattfindet. Diese Nachsorgegruppe dient der Begleitung nach dem stationären Aufenthalt. Auftretende Schwierigkeiten im Alltag können dort in einer den Patientinnen vertrauten Umgebung besprochen werden, auftretende Krisen und Rückfälle in die Krankheit frühzeitig erkannt und der entsprechenden Therapie zugeführt werden. Wie oben bereits erwähnt behandeln wir zum größten Teil chronifizierte Magersuchten. 80 % aller Magersuchtspatientinnen haben zwei und mehr stationäre psychosomatische Behandlungen hinter sich gebracht, ohne jeglichen Erfolg, 50 % einen längeren Krankheitsverlauf als fünf Jahre. Dieser Umstand und die Aufnahme von Patientinnen mit extre- mem Untergewicht prägen unser Magersuchtskonzept. Jede nicht erfolgreiche Therapie mit einem Gewichtsabsturz bestätigt das anorektische System und läßt die gesunden Anteile resignieren. Die Patientin glaubt nicht mehr daran, gesund werden zu können. Hinzu kommt, daß sie in jeder Therapie etwas „lernt“, was sie dann in der nächsten Therapie im Dienste ihrer Magersucht einzusetzen weiß. Chronifizierte Magersuchtspatientinnen verstehen es, über scheinbar therapeutisch relevante Themen wie Mutterbeziehung, Scham und Angst stundenlang zu reden, ohne ein Gramm zuzunehmen. Die therapeutische Aufgabe in dieser Phase besteht darin, sich nicht von diesen Themen ablenken zu lassen, sondern konsequent das primäre Ziel, Aufgabe des Suchtverhaltens und Gewichtszunahme, zu verfolgen. Somatische Aspekte Bei Magersuchtspatientinnen mit einem BMI von 14 und weniger findet sich eine Reihe von schweren somatischen Komplikationen, die eine sorgfältige internistische Überwachung und ggf. Intervention erfordern. Glücklicherweise verschwinden die meisten Komplikationen bei Gewichtszunahme, ohne daß sie behandelt werden müssen. Es ist immer wieder erstaunlich, welche extremen Verschiebungen im Elektrolyt- und 69 70 Eiweißhaushalt von den Patientinnen toleriert werden. Kaliumwerte von unter 2 und Gesamteiweiß von unter 4,5 sind keine Seltenheit, ohne daß im EKG Hinweise auf die Hypokaliämie bestehen. Gefährlich ist die Hypalbuminämie, da durch zu starker Flüssigkeitszufuhr es rasch zu lebensbedrohlichen Dekompensationen kommen kann. Gerade wenn die Anorexiepatientin versucht, Ge­­ wichtszunahme durch z. B. Wassertrinken vorzutäuschen, kann so ein Zustand leicht entstehen. Sorgfältige Überwachung der Patientin bei Bilanzierung der Flüssigkeitsmenge ist hier angezeigt. Psychopharmaka werden nicht routinemäßig verabreicht, sind jedoch bei einem Teil der Patientinnen erforderlich, um das Getriebensein und die Ängste zu Beginn der Therapie abzufangen. Zum Einsatz kommen Neuroleptika und Antidepressiva; in ausgesuchten Fällen, z. B. bei schweren Knochenmarksdepressionen, Benzodiazepine. Therapieabbrüche Eine Magersuchtsbehandlung verläuft nicht kontinuierlich, Phasen der Ruhe wechseln immer mit Krisenphasen ab, in denen das Risiko, die Therapie abzubrechen, besonders groß ist. Ca. 8 % der Patientinnen reisen am Aufnahmetag wieder ab, weil sie das Therapieangebot nicht akzeptieren. F. Bleichner, R. Maaser, S. Walinda Die erste Krise in der Behandlung tritt auf, wenn die erste Gewichtszunahme erfolgt. Die eintretenden körperlichen Veränderungen lösen massive anorektische Ängste aus, die die Patientin nur noch durch Flucht beantworten kann. In dieser Phase brechen 19 % die Therapie ab. Auswertungen an unserem Patientengut bei Therapieabbruch haben gezeigt, daß diese Patienten deutlich mehr Gewicht pro Woche zunehmen, nämlich 0,6 kg pro qm-Körperoberfläche, als die Nicht-Therapie-Abbrecher mit 0,35 kg pro qm-Körperoberfläche. Intensive therapeutische Arbeit in Form von Einzelgesprächen, die z. T. mehrfach täglich nötig sind, und die Magersuchtsgruppe mit Motivation durch andere Magersuchtspatientinnen helfen, diese kritische Phase zu überwinden. Besteht die Patientin weiterhin auf ihrem Abreisewunsch, so werden Eltern und Angehörige zu einem Familiengespräch gebeten, in dem noch mal versucht wird, die Motivation zur weiteren Therapie herzustellen. Dies gelingt im Regelfall nur dann, wenn die Eltern sich weigern, die Tochter mit nach Hause zu nehmen. Die nächste Krise ist dann zu erwarten, wenn die Patientin somatisch stabilisiert, aber noch voll in ihrem Magersuchtssystem gefangen ist. Sie hat begriffen, daß sie ihre Magersucht aufgeben muß, wenn sie in der Klinik bleibt und versucht, dies zu verhindern, indem sie abreist. Auch hier gilt es, sie in gedul- Stationäre Behandlungskonzepte bei Eßstörungen diger therapeutischer Arbeit davon zu überzeugen, weiterzumachen. In dieser Phase reisen 21 % ab. Besonderheiten der stationären Therapie Die stationäre Behandlung von Magersuchtspatienten läßt sich nicht mit der ambulanten vergleichen. Dem System der Patientin steht die Klinik als Institution gegenüber mit verschiedenen Therapeuten, Hilfspersonal wie Küche, Rezeption, Reinemachefrauen usw. und vielen Mitpatienten. Das familiäre System der Patientin Die Angehörigen der Patientin haben Angst, daß sie etwas falsch machen und haben Angst, daß, wenn die Patientin gesund wird, sich etwas in der Familie ändern wird, weil dann die Sorge um das kranke Familienmitglied nicht mehr alle anderen Schwierigkeiten überdeckt. Sie müssen sich oft von Freunden, Verwandten und Bekannten anhören, daß die Entscheidung zur stationären Behandlung falsch sei und daß sie ihr Kind im Stich lassen. Diese Spannung bekommt oft der Hausarzt als erster zu spüren, der angegriffen wird, die falsche Diagnose gestellt oder in die falsche Klinik einge- wiesen zu haben. Wir bieten den Angehörigen im Aufnahmegespräch an, sich bei auftretenden Fragen, Unsicherheiten und Zweifeln direkt telefonisch oder persönlich an uns zu wenden, damit wir dies mit ihnen klären können. Auch beziehen wir den Hausarzt über telefonische Kontakte in die Therapie ein. Gelingt es auf diesem Wege, die Familie zu entängstigen und zu aktiver Mitarbeit zu veranlassen, ist ein wichtiger Schritt in der Magersuchtstherapie getan. Kliniksystem Der emotionale Druck, der von einer extrem untergewichtigen Magersucht ausgehen kann, ist sehr hoch. Diesen Druck muß in erster Linie die Bezugstherapeutin oder der Bezugstherapeut aushalten. Ich erinnere mich noch sehr gut an meine Anfänge als internistischer Oberarzt in der Klinik. Ich hatte eine körperliche Untersuchung bei einer Anore-xiepatientin mit 30 kg Körpergewicht durchzuführen. Während der Untersuchung verließ ich zweimal das Untersuchungszimmer, um irgend etwas anderes zu erledigen; ein Verhalten, was ich in meiner gesamten internistischen Laufbahn bei keinem anderen Patienten gezeigt habe. Erst später wurde mir deutlich, was da geschehen war: Ich habe nicht ausgehalten, diesen bis auf 71 72 das Skelett abgemagerten Menschen, der sich selbst schon völlig aufgegeben hat, zu ertragen und mußte fliehen. Magersuchtsbehandlung kann nicht auf den Schultern einzelner ruhen, sondern muß vom gesamten Team getragen werden. Das heißt alle, angefangen von der Putzfrau bis hin zum Bezugstherapeuten und den Bereitschaftsdiensten müssen Kenntnis vom aktuellen Therapiestand haben und wissen, welcher Schritt als nächster erforderlich ist. Ein klares und in sich schlüssiges Konzept ist hierbei hilfreich. Neben den täglichen fallbezogenen Besprechungen haben wir an unserer Klinik eine einmal wöchentlich stattfindende Teambesprechung eingerichtet, in der alle Magersuchtspatientinnen be­sprochen werden. An dieser Teamsitzung nehmen Sporttherapeuten, Diätassistentinnen, Schwestern und Therapeuten teil. In dieser Besprechung wird der jetzige Therapiestand erörtert und die Strategie für die nächste Woche festgelegt. Für die Reinemachefrauen ist eine einmal im Monat stattfindende Besprechung angesetzt, in der auf ihrer Ebene über das Krankheitsbild informiert und bestehende Schwierigkeiten besprochen werden. Dieser Personenkreis kann sich den Forderungen von Magersuchtspa­ tienten, irgend etwas zu besorgen, nur schwer entziehen, dies braucht beson- F. Bleichner, R. Maaser, S. Walinda dere Hilfe. Das gleiche gilt für die Damen der Rezeption. Im stationären Bereich ist die Patientin den Einflüssen von Mitpatienten ausgesetzt. Wohlmeinende Bemerkungen wie: „Du hast aber schon schön zugenommen", Beschaffung von Laxantien, Schmuggeln oder Verstecken von Essen, Hilfe bei der Umgehung der Kontaktunterbrechung nach Hause usw. aktivieren das anorektische System und können die Patientin in eine tiefe Krise stürzen. Die Mitpatienten werden von uns im Rahmen der Stationsrunden über das Krankheitsbild informiert und angehalten, bei auftretenden Schwierigkeiten oder Fragen sich an die Stationsschwester oder die Therapeuten zu wenden. Konzepte und besonders die Rahmenbedingungen sind oft Anlaß für sehr kontrovers geführte Diskussionen. Es gibt sicherlich gute und weniger gute Therapiekonzepte zur Behandlung von Magersucht. Grundsätzlich kann man jedoch sagen, daß ein in sich schlüssiges konsequentes und auf die Möglichkeiten der Klinik abgestimmtes Konzept wirksam ist. Die ungelösten Fragen in der Magersuchtstherapie sind: • Wie schaffe ich es, daß eine Anorexiepatientin frühzeitig zur Behandlung kommt? • Wie vermeide ich ein Rezidiv? Stationäre Behandlungskonzepte bei Eßstörungen Unsere Erfahrung zeigt, daß die Chancen auf Überwindung der Krankheit mit zunehmender Krankheitsdauer und erfolglosen Therapieversuchen drastisch abnimmt. Dauert die Krankheit erst länger als fünf Jahre und sind zwei oder mehr Therapieversuche gescheitert, so besteht kaum noch eine Chance, die Magersucht zu behandeln. Die Patientinnen entziehen sich entweder durch Therapieabbruch oder kontinuierlicher Verweigerung jeglicher Bemühungen. Die Phase, die der Behandlung vorausgeht, ist im Regelfall zu lang. Die Patientinnen befinden sich in gynäkologischen Abteilungen wegen Zyklusanomalien oder in internistischen Abteilungen, um eine organische Ursache der Kachexie abzuklären. Obwohl das Krankheitsbild der Magersucht und der Bulimie schon in der Laienpresse häufig diskutiert wird, wird nach wie vor zu spät und erst nach einer Fülle von komplizierten Untersuchungen daran gedacht. Die psychosomatischen Kliniken befinden sich in dem Dilemma, daß sie keinen Einfluß auf die vorstationäre Phase haben und nur wenig auf die Nachsorge. Ambulante Einrichtungen, die sich kompetent mit Eßstörungen beschäftigen, sind leider noch Mangelware. Wir versuchen, diesem Mißstand zu begegnen, indem wir den Hausarzt telefonisch in die Behandlung mit einbeziehen und eine Nachsorgegruppe anbieten. Ideal wäre für die Behandlung von Eßstörungen eine Vernetzung von Hausarzt, Fachärzten, psychosomatischen Abteilungen an den Akutkrankenhäusern, ambulanten Spezialeinrichtungen und psychosomatischen Kliniken. Zusammenfassung 1. Schwere und schwerste chronifizierte Magersuchtspatientinnen sind in einem speziellen Konzept erfolgreich zu behandeln. Eine gute körperliche Stabilisierung (BMI > 18) wird bei unserem Krankengut in 56 % erreicht. Lediglich 8 % verbleiben in einem gefährlichen Ge­wichtsbereich (BMI < 14). Dieser Prozentsatz entspricht genau der Patientengruppe, die die Behandlung nicht angenommen haben und gleich am Aufnahmetag abreisen. 2. Legt man die Maßstäbe unserer Zielsetzung zugrunde, erreichen jedoch nur 20 % unserer Patientinnen das an­gestrebte Ziel. 3. Die Ergebnisse bei Ersttherapie und kurzer Erkrankungsdauer sind eindeutig besser. Rasche Diagnosenstellung und konsequente Ersttherapie sind daher unerläßlich. 4. Die Nachsorgesituation ist nach wie vor unbefriedigend. Eine Verbesserung in diesem Bereich ist durch eine Vernetzung ambulant – stationär möglich (Planung von Langzeitstrategien). 73 74 75 MEDIAN Rehabilitationskliniken in Deutschland Standort Klinik Indikationen Bad Berka MEDIAN Kliniken I und II Turmweg 2, 99438 Bad Berka Telefon 03 64 58/38-0 Herz-Kreislauf-, Gefäß-, Stoffwechselerkrankungen, Gastroenterologie, Orthopädie Bad Eilsen Brunnenklinik Bückeburger Straße1 31707 Bad Eilsen Telefon 0 57 22/880-0 Orthopädie, Rheumatologie Bad Lausick MEDIAN Klinik Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Parkstraße 4 Orthopädie 04651 Bad Lausick Telefon 03 43 45/61-0 Bad Krozingen Klinik für Medizinische Rehabilitation Im Sinnighofen 4 79189 Bad Krozingen Telefon 0 76 33/93 51 Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Neurologie, Orthopädie, Rheumatologie, Stoffwechselerkrankungen, Gefäßerkrankungen Bad Oeynhausen Klinikum für Rehabilitation Brahmsstraße 8 32545 Bad Oeynhausen Telefon 0 57 31/865-0 Gastroenterologie, Geriatrie, Herz-Kreislauf-, Gefäßerkrankungen, Innere Medizin, Neurologie, Onkologie, Orthopädie, Rheumatologie, Sportmedizin Bad Salzuflen Klinikum für Rehabilitation Alte Vlother Straße 47 32105 Bad Salzuflen Telefon 0 52 22/37-0 Atemwegs-, Herz-KreislaufErkrankungen, Innere Medizin, Geriatrie, Gynäkologie, Neurologie, Orthopädie, Rheumatologie, Psychosomatik, Urologie, Onkologie, Allergologie Bad Sülze Orthopädie, Rheumatologie, Neurologie MEDIAN Klinik Kastanienallee 1 18334 Bad Sülze Telefon 03 82 29/72-0 76 Rehabilitationskliniken Rehabilitationskliniken 77 Standort Klinik Indikationen Standort Klinik Indikationen Bad Tennstedt Berggießhübel Berlin MEDIAN Klinik Badeweg 2 99955 Bad Tennstedt Telefon 03 60 41/35-0 Orthopädie, Neurologie Freiburg i. Br. MEDIAN Klinik An den Heilquellen 79111 Freiburg Telefon 07 61/47 00-0 Geriatrie MEDIAN Klinik Gersdorfer Straße 5 01819 Berggießhübel Telefon 03 50 23/65-0 Orthopädie, Psychosomatik Grünheide MEDIAN Klinik An der REHA-Klinik 1 15537 Grünheide Telefon 0 33 62/739-0 Neurologie, Neurochirurgie Klinik Berlin Kladower Damm 221 14089 Berlin Telefon 0 30/36 503-0 Neurologie, Orthopädie Heiligendamm MEDIAN Klinik Zum Strand 1 18209 Heiligendamm Telefon 03 82 03/44-0 Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Hauterkrankungen, Allergien Berlin-Buch MEDIAN Klinik Zepernicker Straße 1 13125 Berlin Telefon 0 30/94 01 26 30 Geriatrie Hoppegarten MEDIAN Klinik Rennbahnallee 107 15366 Hoppegarten Telefon 0 33 42/353-0 Orthopädie Bernkastel-Kues Reha-Zentrum Kueser Plateau 54463 Bernkastel-Kues Telefon 0 65 31/92-0 Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Neurologie, Orthopädie, Psychosomatik Kalbe MEDIAN Klinik Straße der Jugend 2 39624 Kalbe Telefon 03 90 80/71-0 Orthopädie, Onkologie Braunlage Haus Harz-Wald Karl-Roehrig-Straße 5a 38700 Braunlage Telefon 0 55 20/807-0 Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Orthopädie, Stoffwechselerkrankungen, Gefäßerkrankungen, Innere Medizin Lobenstein MEDIAN Klinik Am Kießling 1 07356 Lobenstein Telefon 03 66 51/74-0 Orthopädie, Psychosomatik Flechtingen MEDIAN Kliniken I und II Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Parkstraße, 39345 Flechtingen Gefäßerkrankungen, Neurologie, Telefon 03 90 54/81-0 Psychosomatik Klinik für Tumorbiologie Breisacher Straße 117 79106 Freiburg Telefon 07 61/206-01 MEDIAN Klinik Ernst-Scheel-Straße 28 23968 Wismar Telefon 0 38 41/646-0 Orthopädie, Onkologie Freiburg i. Br. Wismar Onkologie Lageplan der Kliniken auf der nächsten Seite. 78 Rehabilitationskliniken 79 Literaturhinweis In dieser Reihe sind bereits erschienen: 1 Der chronische Schmerzpatient Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung Symposium der MEDIAN Klinik Berggießhübel vom 25. Januar 1997 2 Schlaganfall vorbeugen - behandeln - rehabilitieren Ein Behandlungsschwerpunkt der MEDIAN Klinik Grünheide Harald Trettin Chemnitz 3 Beiträge zur Dysphagie Diagnostik und Therapie von Schluckstörungen Ein Behandlungsschwerpunkt der MEDIAN Klinik II Flechtingen Sonderheft Wer nicht kämpft, kann nicht gewinnen Erlebnisse, Erfahrungen und Erinnerungen nach einem Schlaganfall Eveline Reinke Bei Interesse wenden Sie sich bitte an: Klinik-Beratungs-KG Klinik-Informationsdienst Carmerstraße 6 10623 Berlin Telefon 030/31 10 12 34 Fax 030/31 10 11 44 80