Magersucht nach der Pubertät – Chronifizierungsprozess und

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Magersucht nach der
Pubertät –
Chronifizierungsprozess
und Komplikationen
Prof. Dr. Hans-Christian Deter, Abteilung
Psychosomatik und Psychotherapie,
Charité Campus Benjamin Franklin, Berlin
Leben hat Gewicht
BMG Fachtagung Essstörungen, Berlin 13.2.2009
Magersucht nach der Pubertät –
Chronifizierungsprozesse und Komplikationen
1.
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3.
4.
Das Krankheitsbild
Diagnostisches Vorgehen
Verläufe und Chronifizierungsprozesse
Therapeutische Aspekte
- Compliance
- Risikoverhalten
- Therapiedosis
- Kooperation der Therapeuten
5. ANTOP - Eine neue kontrollierte und randomisierte
ambulante Behandlungsstudie bei PatientInnen mit
Magersucht
1.Das Krankheitsbild Anorexia nervosa
Definition:
•
•
•
Untergewicht
Furcht vor Gewichtszunahme
Störung der Körperwahrnehmung, unangemessener
Einfluss von Figur und Gewicht auf das Selbstkonzept
Krankheitsverleugnung
Amenorrhoe
Restriktiver Typus, binge eating/purging Typus.
Weibliche, männliche Anorexie
Pubertätsmagersucht, ältere Patienten(>18 J.)
2. Diagnostisches Vorgehen
Sorgfältige psychologisch/psychiatrische
und internistische Diagnostik
Stationäre Patientinnen mit Essstörungen in der Abteilung für
Psychosomatik und Psychotherapie Charité CBF Berlin
(N = 114)
28%
Anorexie (N= 32)
Bulimie (N = 29)
Adipositas (N= 53)
47%
25%
Psychische Nebendiagnosen (A.n.)
Persönlichkeitsstörungen
10%
Zwangsstörungen
5%
Andere neurotische
Störungen
10%
Störungen durch Tabak
10%
Störungen durch
Substanzen
5%
Affektive Störungen
30%
Anpassungsstörung
20%
Somatoforme Störungen
5%
Bipolar
5%
3. Verläufe und
Chronifizierungsprozesse
- Verläufe:
Deter et al 2005, European Psychiatry
Deter et al 2005, European Psychiatry
Signifikante Prognosefaktoren für
einen Verlauf von 21 Jahren
(Zipfel et al , Lancet 2000)
Lange Krankheitsdauer
Untergewicht
Bulimischer Typ
Psychische Symptome
Soziale Symptome
- Chronifizierungsprozesse
Viele Patientinnen können kein gesundes Gewicht
erreichen, sind chronisch depressiv, zwanghaft und
sozial zurückgezogen.
In diesen Fällen sind individuell angepasste
Therapieplanung und Patientenbetreuung nötig. Das
kann bedeuten, dass andere Spezialisten hinzugezogen
werden müssen, erneute Krankenhauseinweisungen
notwendig werden oder sozialtherapeutische
Maßnahmen ergriffen werden müssen.
Die Ziele sind dann zwangsläufig bescheidener:
angestrebt wird ein „sicheres Gewicht“, nicht ein
„gesundes Gewicht“.
Körperliche Komplikationen
Chronischer Anorexieverlauf
Osteoporose, Knochenbrüche,
Deckplatteneinbrüche, Verkürzung der Wirbelsäule
Nierenschäden, Niereninsuffizienz, Dialyse
Infekte; Sepsis
Elektrolytentgleisungen (K+),
Herzrhythmusstörungen
Zahnschäden
Tod: 16% (!) aller Patienten nach 21 Jahren, die in
der Medizinische Univ.Klinik Heidelberg behandelt
worden waren
Seelische Komplikationen
Chronische Magersucht
Chronische Bulimie
Angststörung/Depression
Somatoforme Störungen
Persönlichkeitsstörungen
Sucht
Schizophrene Psychose
Komplexe Verläufe der Anorexia
nervosa bei somatischer Komorbidität
Magersucht und
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen
Diabetes
Dialyse
Funktionelle Darmstörungen
Leberzirrhose
Endo-/Myocarditis
4. Therapeutische Aspekte
Wichtige Maßnahmen
1. Herstellen einer vertrauensvollen Beziehung
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bei gleichzeitiger Aufzeigung eigener
Hilfsmöglichkeiten
Vermittlung einer psychosomatischpsychotherapeutischen Beratung
Bei jüngeren Patientinnen Einbeziehung der
Familie
Vermittlung einer Selbsthilfegruppe
Rasche Klinikeinweisung (Psychosomatik)
bei medizinischen Komplikationent oder bei
spärlichen ambulanten Versorgungsmöglichkeiten
Die Psychotherapie der Anorexia
nervosa
Kurzzeitperspektive:
Stationäre somatische Therapie
Stationäre Psychotherapie
Ambulante Psychotherapie
Längerfristige Perspektive:
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
Familientherapie
Körpertherapie
Verhaltenstherapie
Weitere Behandlungsverfahren: Psychopharmaka, Hormone,
Beratungsstellen, Selbsthilfe-Einrichtungen, therapeutische WG etc.
Basis für jede Art der Psychotherapie
Änderung des Essverhaltens
Essprotokolle über mindestens eine Woche
Zeitliche Zuordnung von Phasen mit Hungern,
Essanfällen und Erbrechen
Umstellung der Mahlzeiten (täglich 3-5)
Diätetische Unterweisung durch Ernährungsberater
Ambulante Behandlungsziele
1.
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8.
Gewichtszunahme
Essverhalten verändern
Behandlung medizinischer Komplikationen
Bearbeitung dysfunktionaler Gedanken, Gefühle und
Annahmen
Bearbeitung von gestörter Affekt- und
Verhaltensregulation
Verbesserung damit verbundener psychologischer
Schwierigkeiten
Wo immer nötig und angemessen, Herstellung familiärer
Unterstützung
Rückfallprophylaxe
(viele Autoren gehen davon aus, dass Rückfälle weniger
auftreten, wenn die Patienten bis zur Erreichung eines
gesunden Gewichtes hospitalisiert bleiben)
Stationäre Behandlung I
1. Festsetzung eines gesunden Zielgewichtes und der von
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6.
der Patientin erwarteten kontrollierten
Gewichtszunahme (z.B. 500 – 1500 g/Woche). Dabei
sollte das Team der Patientin Mut machen und der
Patientin versichern, dass sie ihr Gewicht über ihre
Nahrungsaufnahme steuern kann. Voraussetzung ist
eine vertrauensvolle Beziehung.
Elemente von positiver und negativer Verstärkung
sollten eingebaut werden, so wie: Bettruhe,
Ausgangsbeschränkung, keine Sporterlaubnis.
Langfristig: selbstbestimmte Essensauswahl. Initial:
Hilfe durch Diätassistentin; dabei zunächst zwischen
1000 und 1600 kcal/Tag mit langsamer Steigerung
Keine routinemäßige Medikamentenverordnung!
Festlegung der Entlassungskriterien:
Medizinisch stabil, ausreichende Gewichtszunahme,
wirksame Kontrolle des eigenen Verhaltens.
Sicherstellung der Nachbehandlung
Stationäre Behandlung II
6. Langzeitziele: Angehen der Störungen
zwischenmenschlicher Beziehungen, soziale
Integration, frühzeitige Kontaktaufnahme zu
einem ambulanten Therapeuten
7. Einbindung der Familie,insbesondere bei
jüngeren Patienten. Bei Patientinnen in einer
Beziehung evtl. Paartherapie.
8. Für mindestens ein Jahr weiterführende
Psychotherapie.
Zur Effektivität der Behandlung:
Es gibt wenig kontrollierte randomisierte Studien zur
Anorexia nervosa Behandlung. Nur bei Bulimia
nervosa ist die Datenlage ausreichend
evidenzbasiert.
Fairburn, Kobe, 2005
Nach klinischer Erfahrung und Studienlage
bedürfen besonderer Aufmerksamkeit:
•
Extrem Untergewichtige (Hebebrand et al,
Am. J. Psychiatry 1997)
•
Patienten mit schwerer somatischer Komorbidität
(Herzog et al, Psychol. Medicine1997)
•
Patienten mit schwerer psychischer Komorbidität
(Deter & Herzog, Psychosomatic Medicine 1994)
•
Bulimischer Subtyp (Zipfel et al, Lancet 2000)
•
Patienten ohne (psychosomatischen)
Behandlungsauftrag
Compliance:
Modifikation der Behandlung
von Patienten mit schwerer psychischer
Komorbidität I
Kein Behandlungsvertrag
Probatorische Aufnahme für 2 Wochen
Simultandiagnostik
Abklärung der somatischen
Differentialdiagnostik
Isolierung eines psychodynamischen Fokus der
Symptomentstehung
Klärung, Förderung und Spezifizierung der
Behandlungsmotivation
- Therapiedosis
als Beziehungsangebot: Aufrechterhaltung
der Beziehung zur Patientin
A) Angebote
- Stationäre
- Teilstationäre
- Ambulante
- Über einen Zeitraum von mindestens 2 Jahren
B) Enge Zusammenarbeit mit den Hausärzten
C) Einbeziehung von Selbsthilfegruppen (aber
auch Schule, Pfarrer oder andere
Kontaktpersonen).
- Kooperation der Therapeuten
Aufrechterhalten eines
psychosomatischen regionalisierten
Netzwerkes in Zusammenarbeit mit den
Hausärzten, Beratungsstellen,
spezialisierten Psychotherapeuten und
Kliniken, Selbsthilfeeinrichtungen,
Schulen, Eltern
Weiterbildung von Ärzten, Psychologen,
Sozialpädagogen
Informationsveranstaltungen für
Hausärzte, Fachärzte und
Psychotherapeuten (18. Berliner
Essstörungsforum 2008, Charité CBF)
regelmäßige Qualitätszirkel für die
o.dargestellten Themen
Fall-Supervisionen mit spezialisierten
Ärzten
Ausblick:
Ergänzungen zur bisherigen Versorgung psychisch und
körperlich stark beeinträchtigter Patienten mit geringer
Krankheitseinsicht:
Internistische Stationen mit
psychosomatischen/Essstörungskompetenz
Flächendeckende teilstationär und poliklinische Angebote
(Essstörungsambulanzen (Freiburg, Berlin: Charité CBF,
München: AZE,ANAND)
Angebote von WG‘s für Patienten mit Essstörungen
Geschlossene Stationen für Psychiatrie und Psychosomatik
(München) für Behandlungen von Patienten auf
Gerichtsbeschluss
Kooperation:
Essstörungs
sprechstunde
der Abteilung für
Psychosomatik und
Psychotherapie,
Charité Campus
Benjamin Franklin,
Berlin
ANTOP – FOCAL PSYCHODYNAMIC PSYCHOTHERAPY,
COGNITIVE-BEHAVIORAL THERAPY, AND TREATMENT
AS USUAL IN OUTPATIENTS WITH ANOREXIA
NERVOSA: A RANDOMIZED CONTROLLED TRIAL
Study design and first experiences.
S Zipfel1, B Wild2, G Gross1, W Herzog2
1Department
of Psychosomatic Medicine,
University of Tuebingen, Germany
2Department of Psychosomatic Medicine,
University of Heidelberg, Germany
10 study centres
Centre
Centre-PI
Bochum
Erlangen
Essen
Freiburg
Hamburg
Heidelberg
Munich
Muenster
Tuebingen
Ulm
Prof. Herpertz
Prof. de Zwaan
Prof. Senf
PD Zeeck
Prof. Löwe
Prof. Herzog
Prof. Henningsen
Prof. Heuft
Prof. Zipfel
Prof. v. Wietersheim
Datamanagement:
Datamanagement centre for clinical studies
(KKS) Marburg
Biometry: Heidelberg
KKS-Marburg
FOCAL PSYCHODYNAMIC PSYCHOTHERAPY, COGNITIVE-BEHAVIORAL THERAPY,
AND TREATMENT AS USUAL IN OUTPATIENTS WITH ANOREXIA NERVOSA:
A RANDOMIZED CONTROLLED TRIAL [ANTOP].
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