KOGNITIVE DYSFUNKTION BEI DEPRESSION - bei CME

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KOGNITIVE DYSFUNKTION
BEI DEPRESSION
Prof. Dr. med. Friedel M. Reischies
Friedrich von Bodelschwingh-Klinik für Psychiatrie
und Psychotherapie, Berlin
VNR: 2760909005810570018 | Gültigkeit: 29.06.2015 – 29.06.2016
Einleitung
Depressionen gehören weltweit zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und werden nach Einschätzungen
der WHO im Jahre 2030 zu den drei führenden volkswirtschaftlichen Krankheitsbelastungen zählen [1]. Angesichts der Lebenszeitprävalenz von bis zu 15 % und den mit ihr verbundenen erheblichen Einschränkungen
stellt die Depression eines der drängendsten öffentlichen Gesundheitsprobleme unserer Zeit dar [2]. Die Depression ist nach den International Classification of Diseases (ICD-10) durch Schlüsselsymptome wie gedrückte
Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit, erhöhte Ermüdbarkeit und Antriebsmangel gekennzeichnet [3].
Die heutige Antidepressiva-Therapie zielt in erster Linie auf die Behandlung dieser Hauptsymptome ab, wobei
jedoch depressions-assoziierte funktionale Symptome mindestens zu ebenso starker Beeinträchtigung der
Lebensqualität führen können [4]. Kognitive Dysfunktionen beeinträchtigen im besonderen Maße das Arbeitsund Sozialleben. Studien zeigen zudem, dass kognitive Einschränkungen ein schlechtes Therapieansprechen
prognostizieren und zu höheren Rückfallquoten führen [5, 6]. Die Symptome und Auswirkungen kognitiver
Defizite und deren Erkennung im klinischen Alltag sind Gegenstand dieser Fortbildung.
Epidemiologie und Symptome der
kognitiven Dysfunktion
Kognitive Dysfunktion im Sinne eines verminderten
Denk- oder Konzentrationsvermögens, gehört laut ICD10 und dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental
Disorders (DSM5) zu den operationalen Kriterien der
depressiven Störung [3, 7]. Über die Prävalenz von kognitiven Dysfunktionen gibt es unterschiedliche Angaben,
so reichen die Zahlen der Testleistungsdefizite von unter
20 % bis zu 70 % [8]. Ursächlich für die hohe Variabilität
sind die angewendeten unterschiedlichen neurologischen Testverfahren, Unsicherheiten bezüglich der Grenzwerte, heterogene Patientenpopulationen mit unterschiedlichen Depressionsformen und/oder psychiatrische Komorbiditäten.
Am stärksten betroffen von den kognitiven Beeinträchtigungen, sind die Domänen Aufmerksamkeit,
Gedächtnis, exekutive Funktion und psychomotorische
Geschwindigkeit (Tabelle 1).
Tabelle 1: Kognitive Domänen, die bei einer Depression
betroffen sein können (modifiziert nach 7)
Aufmerksamkeit
Die Fähigkeit, sich auf ein oder mehrere
Objekte oder Gedankengänge zu konzentrieren
Gedächtnis
Visuelles und verbales episodisches Gedächtnis
Exekutive Funktion
Kognitive Inhibitionsprozesse
Geistige Flexibilität
Planen und Problemlösungen
Psychomotorische Geschwindigkeit
Reaktionszeit
Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit
1
Subjektive Beschwerden
Bis zu 90 % der Patienten mit einer depressiven Episode
oder einer bipolaren Depression äußern, dass sie unter
Störungen des Gedächtnisses oder der Konzentration
leiden [9]. Es kommt jedoch auch vor, dass Personen mit
Depression ihre Konzentrationsstörungen verheimlichen.
Sie leiden unter der Angst, für krank gehalten zu werden
oder besitzen ein ausgeprägtes Verpflichtungsgefühl
dem Arbeitgeber oder der Familie gegenüber (siehe
Typus Melancholicus nach Tellenbach). Diese Patienten
hätten ein schlechtes Gewissen, wenn man ihnen zu
Hilfe käme.
Für eine differenzierte Erfassung der Störung kognitiver Leistungen bei einer Depression müssen übertriebene Klagen bei generalisierenden Insuffizienzgefühlen
identifiziert werden. Diese behindern die Beurteilung
der Störungen kognitiver Leistungen. Ein Patient mit
Insuffizienzgefühlen äußert beispielsweise „Ich kann
gar nichts mehr“, obwohl er im Alltag jedoch wenig
Einschränkungen zeigt. Vom Patienten empfundene
Einschränkungen weisen oft eine emotionale Komponente auf, die zu einer Verzerrung der Informationsverarbeitung führen kann. Es wird heute zunehmend
von zwei Arten von Kognition gesprochen: der „cold
cognition“ und der „hot cognition“. Die Informationsverarbeitung, die für Berechnungen und Planungen
sowie die üblichen Intelligenzleistungen notwendig ist
(„cold cognition“), wird von einer affektiven – „heißen“
– Informationsverarbeitung („hot cognition“) unterschieden (Abbildung 1) [10] .
Bei der „hot cognition“ handelt es sich vorwiegend um
phylogenetisch alte Informationsverarbeitungswege,
die Situationen darauf überprüfen, ob etwas Emotionsrelevantes vorliegt, beispielsweise etwas Lebensgefährliches, was Angst auslöst. LeDoux bezeichnete diese
Informationsvermittlung als „quick and dirty“. Als Beispiel
führte er eine Situation an, in der ein Spaziergänger
etwas vor ihm im Laub bemerkt, das sich schnell bewegt
und raschelt. Diese Situation löst Angst aus und gehört
vermutlich zu einem alten Reflex, sich vor Schlangen
in Sicherheit zu bringen. Die Warnung erfolgt schnell,
allerdings geschehen auch Fehler in der Situationsbewertung („quick and dirty“) [11]. Man geht davon
aus, dass diese Informationsverarbeitung nicht bewusst
abläuft. Einer dieser Informationsverarbeitungswege
spielt in der Depression eine große Rolle – er bezieht
sich auf die Vorhersage des Belohnungswertes, die
2
Abbildung 1: „Cold“ und „hot cognition“. Die kalte
(„cold“) Kognition ist für Denkaufgaben und Intelligenzleistungen verantwortlich und die affektive („hot“)
Informationsverarbeitung, überprüft alle Situationen auf
emotionsrelevanten Sachverhalt (nur 4 der subkortikalen
Zentren für die basalen Emotionen sind eingezeichnet).
Es besteht eine Wechselwirkung zwischen den beiden
Informationsverarbeitungswegen.
Umwelt
Input
cold
cognition
kognitive Bearbeitung
Angst
Ärger
hot
cognition
Interesse
Freude
offenbar in allen Entscheidungs-Situationen abläuft. Es
wird angenommen, dass eine derartige Erfolgsabschätzung auch bei mentalen Prozessen stattfindet. Während
einer Depression kommt die Belohnungserwartung
zum Erliegen. Der Patient erwartet nichts Positives
von seinen Handlungen, aber auch nicht von seinen
Denkanstrengungen. Während ein gesunder Mensch
beispielsweise darüber nachdenkt, was vorzubereiten ist, wenn er am Abend Gäste empfängt, gibt ein
depressiver Patient diese Denkanstrengung bald auf.
Wenn er etwas bedacht hat, wird er am Ende, bei der
Bewertung der Denkanstrengung konstatieren, dass
es eigentlich doch nichts gebracht hat, darüber nachzudenken – und er wird weitere Denkanstrengungen
vermindern. Depression führt zu einer „Unter“-Nutzung
der Intelligenz (im Gegensatz zur Manie, bei der eher
eine „Über“-Nutzung der Intelligenz des Patienten zu
beobachten ist). Fazit ist, dass in der schweren Depression der Eigenantrieb zum Erliegen kommt, da eine
selbst initiierte mentale Aktivität – das Denken oder
auch die Handlungsplanung – nicht zustande kommt.
Dies steht im Gegensatz zum Fremdantrieb, wenn
dem Kranken eine Leistung unter genauer Anweisung
besser gelingt (s. u.) [12].
Objektives Leistungsvermögen
Viele depressive Patienten sind nicht mehr in der Lage,
die einfachsten Dinge zu erledigen und die Störung
kognitiver Leistungen hat einen großen Anteil daran.
In manchen Fällen gilt es, eine Unterscheidung zwischen einer kompensierten und einer dekompensierten Störung kognitiver Leistungen vorzunehmen:
Einerseits gibt es Personen mit Depression, die sich am
Arbeitsplatz Tag für Tag „durchschleppen“ – beispielsweise bei einer großen Angst, den Job zu verlieren.
Den Kollegen und Vorgesetzten fällt zwar auf, dass
der Mitarbeiter nicht mehr so frisch und fehlerfrei wie
früher arbeitet, aber sie führen dies nicht auf eine
Depression zurück. Die Familie kann jedoch berichten,
dass die Person – anders als früher – nach der Arbeit
das Bett aufsucht und sich nach der Anstrengung des
Tages ausruhen muss.
In der Dekompensation, die in vielen Fällen schwerer
Depression auftritt, kann sich der Patient nicht mehr
anstrengen. Es gelingt ihm nicht mehr, das Leistungsdefizit durch vermehrte Anstrengungen auszugleichen,
so wie das bis dahin noch möglich war. Er gibt auf.
Eine Entwicklung hin zur Dekompensation lässt sich
vielfach anamnestisch und aus den Berichten der
Familie erfragen. Hiervon zu unterscheiden ist eine
Regression, die zu einem primären Aufgeben führt,
und in der Regel andere Ursachen hat.
Entscheidend für die Sicherstellung der Diagnose ist
eine Fremdanamnese. Auf einer Depressionsstation
sind die Pflegekräfte trainiert, das Alltagsverhalten
eines depressiven Patienten zu beurteilen. Die Beobachtung der Störung der Leistungen des täglichen
Lebens gelingt den Angehörigen. Sie erleben den
Patienten bei Aktivitäten wie Hobbys, im Haushalt, beim
Kochen etc. Es ist zu klären, welche Alltagsaktivitäten
der Patient noch erledigen kann. Bei guter Beobachtung kann auch gezeigt werden, dass ein Patient
auf Grund von Störungen kognitiver Leistungen im
Alltag versagt – beispielsweise wirkt er unkonzentriert,
verlangsamt, kann komplexere Handlungssequenz
nicht mehr erledigen etc. Vielfach wirken mehrere
Faktoren zusammen.
Aus der klinischen Erfahrung können pragmatisch vier
Schweregrade der Depression unterteilt werden; rein
subjektive Depression, erhaltene Leistungsfähigkeit,
gestörte Alltagsleistung und Stupor. Diese klinische
Schweregradeinteilung beruht in vielerlei Hinsicht
auf der Störung kognitiver Leistungen – wenn auch in
einer Interaktion mit nicht-kognitiven Faktoren.
1. Patienten berichten über deprimierte Stimmung
und verlorengegangen Schwung. Personen,
die mit den Patienten zu tun haben, bemerken
jedoch keine Veränderung (insbesondere keine
Störung kognitiver Leistungen). Die Depressivität bleibt rein subjektiv.
2. In dem Verhalten des Patienten ist die Depression zu erkennen. Hier kommt es zur Beobachtung von beispielsweise Verlangsamung,
Verminderung des Antriebs, „Abwesenheit“
bei Grübeleien und kontinuierlich negativer
Affektivität. Vielfach ist auch ein sozialer Rückzug
zu konstatieren. Der Patient kann jedoch alle
Aktivitäten des Alltags noch erledigen.
3. Der Patient ist in den Alltagsaktivitäten deutlich
beeinträchtigt und kann beispielsweise auf
einer Depressionsstation nicht an der Ergotherapie teilnehmen. Angehörige bemerken,
dass die Aktivitäten des täglichen Lebens, die
sonst mühelos durchgeführt wurden, nicht mehr
gelingen. So kann ein Patient z. B. nicht mehr
einkaufen, kochen oder sein Bett machen.
4. Der Patient leidet unter einem depressiven
Stupor. Er spricht kaum noch oder gar nicht
mehr.
Bei der Beobachtung des Patienten fällt zunächst
vor allem eine Verlangsamung auf. Ein Patient mit
einer schweren kognitiven Störung im Rahmen einer
Depression ist nicht mehr in der Lage, komplexere
Handlungen auszuführen.
3
Kognitive Störungen in den
Krankheitsphasen der Depression
Rückfall in die Depression durch
persistierende kognitive Störungen
Ziel einer Depressionsbehandlung ist vor allem, die
depressiven Symptome zu verringern bzw. letztendlich
vollständig zu beseitigen. Eine Remission wird jedoch
nur bei etwa einem Drittel der Patienten mit dem ersten Behandlungsversuch erreicht [13]. Vor allem die
kognitiven Beeinträchtigungen werden von Patienten
als häufige Residualsymptome beschrieben. So waren
in einer Longitudinalstudie über 3 Jahre, 44 % der
Patienten auch zwischen den depressiven Episoden
von kognitiven Einschränkungen betroffen [9]. Daten
der STAR*D-Studie zeigten, dass 70 % der Patienten,
die auf eine antidepressive Therapie zwar ansprachen
(definiert als 50 %ige Besserung des Baselinewertes),
aber keine Remission erreichen konnten, weiter anhaltende kognitive Beeinträchtigungen aufwiesen [14].
Patienten mit einer Depression erleben oft erhebliche
Beeinträchtigungen im sozialen Bereich, bei der Arbeit und im Haushalt [3]. Eine wichtige Rolle spielen
dabei Konzentrationsstörungen, Probleme mit dem
Kurzzeitgedächtnis und Schwierigkeiten bei der Planung und Entscheidungsfindung. Diese vom Patienten
wahrgenommenen, aber nicht immer unmittelbar mit
der Depression in Verbindung gebrachten Beeinträchtigungen, führen meist zu schlechten Leistungen am
Arbeitsplatz [25]. Da diese Symptome unabhängig
von der Krankheitsphase der Depression fortbestehen
können, sind sie ein wichtiger Faktor und Prädiktor für
ein Rezidiv der Depression. Die Wiederaufnahme der
Arbeit nach Remission, kann bei fortbestehender kognitiver Dysfunktion zu Misserfolgen im Arbeitsalltag
führen. Die daraus resultierende Selbstkritik kann mit
einer deprimierten Stimmung und einem Verlust des
Selbstwertgefühls einhergehen, wodurch letztendlich
ein Rückfall ausgelöst werden kann (Abbildung 2).
Kognitive Dysfunktionen können jedoch auch nach einer
Remission der depressiven Stimmungslage fortbestehen.
So konnten Reppermund et al. [15] in einer Studie mit
depressiven Patienten nach stationärer Therapie kognitive Beeinträchtigungen bei 15–40 % der remittierten
Patienten pro getesteter Domäne feststellen. Weitere Studien nach antidepressiver Behandlung kamen
ebenfalls zu dem Ergebnis, dass trotz Besserung der
Psychopathologie (v. a. der Stimmung) nur marginale
Besserungen der kognitiven Funktionen erreicht werden konnten [5, 16, 17]. Meta-Analysen zu euthymen
Phasen in der Remission zeigten, dass kognitive Beeinträchtigungen unabhängig von der Psychopathologie,
über die Remission hinaus persistieren können [18, 19].
Aufgrund der Regelhaftigkeit von kognitiven Beeinträchtigungen, stellt sich die Frage, welche möglichen
klinischen Variablen der Depression mit ihnen assoziiert
sind. Ein hohes Lebensalter scheint ein Risikofaktor für
kognitive Dysfunktionen darzustellen [20]. So zeigen
Patienten bei einem späten Beginn der Symptomatik
in der Remission stärkere Beeinträchtigungen, als
Patienten mit einem frühen Erkrankungsbeginn [19].
Als mögliche weitere Variablen kommen zudem Symptomschwere [21], Anzahl und Länge früherer Episoden
der Depression [22], psychiatrische Komorbiditäten
[23] und unterschiedliche Depressionsformen [24] in
Frage. Derzeit gibt es keine Anzeichen, dass das Geschlecht eine Rolle bei der Entwicklung von kognitiven
Dysfunktionen spielt [18].
4
Abbildung 2: Rückfall in eine Depression durch persistierende kognitive Störung.
Wiederaufnahme
des
Arbeitsalltags
Therapie
Erschöpfung und
Konzentrationsschwäche
Depressive Episode
Misserfolg und
Selbstkritik
Deprimierte Stimmung, Verlust des
Selbstwertgefühls
Um dieser häufigen Behandlungskomplikation zu entkommen, ist es wichtig, Zeichen der kognitiven Dysfunktion frühzeitig zu erkennen, diese im Zusammenhang
mit den affektiven Symptomen der Depression zu
behandeln und sie auch in den weiteren Phasen der
Depression zu beobachten, um dem Patienten auf lange
Sicht hin einen guten Neustart in Alltag und Beruf zu
ermöglichen.
Klinische Diagnostik
Wie kann die Störung kognitiver Leistungen bei einem
depressiven Patienten festgestellt werden? Die Frage
scheint zunächst einfach beantwortbar zu sein, es
müssen jedoch einige nicht-kognitive Aspekte der Depression berücksichtigt werden, die mit der Kognition
interagieren. Zunächst muss darauf hingewiesen werden,
dass die Störung kognitiver Leistungen praktisch nie
rein isoliert nachweisbar ist. Selbst bei einem exakten
psychometrischen Test spielt u. a. die Motivation eine
wichtige Rolle und dies kann bei der Testung von
Patienten mit Depression zu verfälschten Ergebnissen führen. Ein anschauliches Beispiel der vielfachen
Wechselwirkungen ist in Abbildung 3 gegeben – zwei
Funktionskreise sind herausgehoben.
Abbildung 3: Zwei Teufelskreise bei der Störung kognitiver Leistungen in der Depression. Angst und Hemmung
bewirken Fehler im Alltag und diese wiederum verstärken
die Angst vor dem weiteren Versagen. Dazu kommt das
Grübeln über Fehler und über das Erleben der „Leere“
im Kopf, beispielsweise beim Versuch etwas zu erinnern.
Störung
kognitiver Leistung
Grübelkreise:
Katastrophisieren:
Ich schaffe das alles nicht mehr
Das Auslassen kann durch die psychomotorische und
kognitive Hemmung bewirkt werden. Fehler wiederum
verstärken die Angst vor den bevorstehenden Aufgaben. Zum anderen führt u. a. das Erleben von Fehlern
zum Grübeln. Zum Grübeln führt auch das Erleben
subjektiver kognitiver Störungen, beispielsweise dass
der Abruf aus dem Gedächtnis nicht mehr so rasch
funktioniert wie früher. Weiterhin drängen sich auch
negative „automatische Gedanken“ auf und verursachen Grübelkreise.
Testdiagnostik
Seit vielen Jahrzehnten sind neuropsychologische
Testuntersuchungen von Patienten mit Depression
veröffentlicht worden (Tabelle 2, Seite 6).
Es hat sich dabei immer wieder herausgestellt, dass
Patienten mit einer depressiven Episode signifikant
schlechter abschneiden als gesunde Kontrollpersonen,
vor allem bei Gedächtnisleistungen, Konzentration und
DSST: Zahlen von 1-9 sind je einem Symbol zugeordnet. Diese
Zuordnung wird von dem Patienten gelernt. Unter dem Zuordnungsschlüssel befindet sich eine Reihe von Feldern, die die Zahlen 1 – 9 in
zufälliger Reihenfolge darstellen. Unter diese Zahlen muss der Patient
nun in einer vorgegebenen Zeit (z. B. 90 oder 120 Sekunden) das
jeweils zugehörige Symbol eintragen. Die Bewertung erfolgt nach
der Genauigkeit und der Geschwindigkeit der Zuordnung.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
=
X
%
+
#
>
*
^
@
7
9
6
7
8
8
9
5
4
2
* @ ^ ^ @ # >
Fehler
Affektiv:
Bedrückt,
Angst vor der
Zukunft
Konzentration vermindert,
abgelenkt
Erleben:
Mein Kopf ist leer
Ich funktioniere
nicht richtig
Mir fällt nichts ein
Ich kann mir nicht
mehr selber helfen
Zum einen bewirken Affekte wie Angst eine Fokussierung
der Aufmerksamkeit auf Angstobjekte, die meist eine
Ablenkung von der konkreten Aufgabe mit sich bringen.
Es kommt zu Fehlern; einerseits zu falschen Aktionen
aber auch dem Auslassen notwendiger Handlungen.
RAVLT: Dem Probanden wird eine aus 15 Wörtern bestehende Liste
vorgelesen, die anschließend reproduziert werden muss. Dieser
Vorgang wird bis zu fünfmal wiederholt. Anschließend wird dem
Patienten eine zweite Liste mit 15 weiteren Wörtern präsentiert und
er wird gebeten so viele Wörter wie möglich zu wiederholen. Es findet
nur ein Durchgang statt. Unverzüglich nach diesem Durchgang wird
der Patient gebeten die Wörter der ersten Liste wiederzugeben. Der
Wiedererkennungs-Score ist die Gesamtzahl der korrekt erinnerten
Substantive. Nach einem festgelegten Zeitintervall (in dem üblicherweise andere kognitive Tests durchgeführt werden) werden noch einmal
die Wörter der ersten Liste abgefragt. Dieser Score der verzögerten
Wiedergabe gibt die Zahl der nach einem gewissen Zeitraum noch
erinnerten Substantive wieder.
5
Tabelle 2: Mögliche Verfahren zur neuropsychologischen
Untersuchung von Patienten mit Depression.
Aufmerksamkeit
Alertness
Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP)
Selektive
Aufmerksamkeit
Go-Nogo
D2
Trail Making Test (TMT)
Zahlenverbindungstest (ZVT)
Aufmerksamkeitsteilung
Geteilte Aufmerksamkeit
Digital Symbol Substitution Test (DSST)
Daueraufmerksamkeit und Vigilanz
Vigilanz
Konzentrationsverlaufstest
Exekutivfunkionen
Kurzzeit- und
Arbeitsgedächtnis
Zahlennachsprechen (HAWIE-R, WMS-R)
Räumlicher Suppressions-ArbeitsgedächtnisTest (RSAT)
Verbaler Suppressions-Arbeitsgedächtnis-Test
(VSAT)
Wortflüssigkeit und
Flexibilität
Leistungsprüfsystem, Subtest 6 (LPS-6)
Regensburger Wortflüssigkeitstest
Fünf-Punkte-Test
Reaktionswechsel
TMT-B
Reaktionsinhibition
Go-Nogo
Stroop-Test
Planung,
Problemlösung,
schlussfolgerndes
Denken,
Konzeptbildung
Turm von Hanoi
LPS-3
LPS-4
Bilderordnen (HAWIE-R)
Analogien (IST 70)
Zahlenreihen (IST 70)
Modifizierter Wisconsin Card Sorting Test
(mWCST)
Gemeinsamkeiten Finden (HAWIE-R)
Gemeinsamkeiten (IST 70)
Behavioural Assessment of the Dysexecutive
Syndrome (BADS)
Gedächtnis
Neugedächtnis
Altgedächtnis
Califormia Verbal Learning Test (CVLT)
Rey Visual Design Learning Test (RVDLT)
Rey Auditory Verbal Learning Test (RAVLT)
Diagnosticum für Cerebralschäden (DCS)
Wechsler Memory Scale Revised (WMS-R)
Autobiografisches Gedächtnis Interview (AGI)
Kieler Gedächtnistest
Visuo-räumliche Funktionen
Visuo-räumliche
Funktionen
6
Mosaiktest (HAWIE-R)
Uhrentest
Complex-Figure-Test
Wortflüssigkeit sowie in Tests zu exekutiven Funktionen,
welche Handlungsplanung und Handlungsflexibilität
messen [26]. Zwei etablierte Tests sind der DSST (Digital
Symbol Substitution Test) und der RAVLT (Rey Auditory
Verbal Learning Test). Der DSST untersucht exekutive
Funktionen, Aufmerksamkeit und psychomotorische
Geschwindigkeit, während der RAVLT verbales Lernen und Gedächtnisleistungen untersucht. Für eine
Beschreibung der beiden Tests siehe Kasten, Seite 5.
Die Auswahl des geeignetsten Testverfahrens ist individuell auf die Situation des Patienten abzustimmen.
Sie hängt u. a. vom Beschwerdebild des Patienten ab.
So ist ein Patient mit einem Stupor z. B. nicht testfähig.
Aber auch bei Patienten mit ausgeprägter Hemmung
ist die Frage der Testfähigkeit vielfach nicht einfach
zu beantworten. Dazu kommt weiterhin, dass mitunter
auch Aggravation beobachtet wird, was in den häufiger
werdenden Begutachtungen wegen der Frage einer
Frühverrentung, eine nicht zu unterschätzend Komplikation darstellt. Neben dem Beschwerdebild richtet
sich die Testauswahl zudem nach der Verfügbarkeit von
Normwerten sowie vor allem einer guten praktischen
Durchführbarkeit.
Die durch neuropsychologische Tests objektiv messbaren Einschränkungen korrelieren, wie bereits erwähnt,
meist nicht direkt mit den subjektiven Klagen von den
Patienten über Konzentrationsschwierigkeiten und Vergesslichkeit. So sind Personen mit leichter kognitiver
Störung im Vorfeld einer Demenz ohne Depression in
aller Regel weit weniger im Alltag gestört, als Patienten
mit einer mittelschweren Depression – wenngleich beide
Patienten ein vergleichbares Testergebnis aufweisen.
Daher stellt sich die Frage wie die in den Tests erhobene kognitive Leistung der Patienten am besten
eingeschätzt werden kann.
Fragebögen: Es gibt inzwischen eine Reihe von Fragebögen, welche den Patienten auffordern, Angaben zur
kognitiven Leistung zu machen. Diese Fragebögen
haben den Nachteil, dass Patienten die an generalisierenden Insuffizienzgefühlen leiden, falsch beurteilt
werden.
Fremdanamnese und die Beobachtung durch Pflegekräfte in der Klinik bzw. Praxispersonal sind wertvoll. Die
differenzierte Beschreibung der Verhaltensbeobachtung der Patienten ist eine wichtige Informationsquelle
für einen konsistenten Befund der Störung kognitiver
Leistungen in der Depression (s. o.).
Psychopathologisches Interview: Das psychopathologische Interview sollte spezielle Fragen zur Testleistung beinhalten. Eine sensible Befragung des
Patienten zu den verschiedenen neuropsychologische Dimensionen kognitiver Leistungen ist vermutlich die beste Quelle für die Befundung der Störung
kognitiver Leistungen in einer Depression. Dies
gilt besonders, wenn nach Anamnese und Fremdanamnese die Entwicklung und Lebenssituation des
Patienten bekannt sind. Es kann immer kritisch nachgefragt werden, und auch die Plausibilität der Angaben
im klinischen Kontext geprüft werden. In Tabelle 3 sind
Fragen vorgestellt, die zu den verschiedenen Bereichen
der kognitiven Leistungen gestellt werden können.
Fazit
Störungen der kognitiven Leistungsfähigkeit spielen
bei der Depression eine wichtige Rolle. So klagt die
Mehrheit der Patienten während einer depressiven
Episode über diese Symptome. Aber auch nach der
Remission der depressiven Stimmungslage bestehen
kognitive Dysfunktionen häufig fort. Die klinische Bedeutung zeigt sich darin, dass Patienten oft erhebliche
Beeinträchtigungen im sozialen Bereich, bei der Arbeit
und im Haushalt erfahren und nicht selten Rückfälle
in depressive Episoden erleiden. Deshalb scheint
es wichtig, die oben vorgestellten orientierenden,
klinisch ausgerichteten Fragen regelmäßig in das ärztliche Gespräch einzubauen, um Hinweise auf (fort-)
bestehende kognitive Defizite nicht zu übersehen. Zur
Messung kognitiver Störungen stehen darüber hinaus
verschiedene Tests zur Verfügung. Die Auswahl richtet
sich nach dem individuellen Beschwerdebild sowie der
praktischen Durchführbarkeit in der Praxis. Es muss
jedoch darauf geachtet werden, dass die objektiv
gemessenen Einschränkungen nicht immer mit den
subjektiven Klagen der Patienten übereinstimmen. Ein
vollständiges psychopathologisches Interview sollte
zusammen mit den Testverfahren erfolgen, um die
Testbefunde abzusichern.
Tabelle 3: Beispielfragen die in einem psychopathologischen Interview zu den verschiedenen Bereichen der
kognitiven Leistungen gestellt werden können.
Kognitive Domäne
Aufmerksamkeit
Gedächtnis
Exekutive Funktion
Psychomotorische
Geschwindigkeit
Fragen
?
Schweifen Ihre Gedanken häufiger ab?
?
Wie gelingt das Lesen? Müssen Sie eine Seite mehrfach lesen?
?
Können Sie Gesprächen nicht mehr folgen?
?
Haben Sie manchmal das Gefühl, der Kopf ist leer, wenn Sie sich an etwas erinnern wollen?
?
Sind Ihnen im Gespräch wichtige Einzelheiten oder Namen nicht eingefallen?
?
Sind Sie häufiger in einen anderen Raum gegangen und wussten nicht mehr, was Sie dort wollten?
?
Haben Sie in letzter Zeit häufiger Schwierigkeiten, Ihre Arbeit zu organisieren, bzw. etwas „auf die Reihe zu
bekommen“?
?
Haben Sie das Gefühl, Ihre Alltagsaufgaben nicht mehr zu schaffen?
?
Waren Sie länger unentschlossen und haben eine Entscheidung immer wieder aufgeschoben?
?
Haben Sie oder Ihre Mitmenschen bemerkt, dass Sie langsamer als früher sind?
?
War es häufiger so, dass alles langsam und mühsam ablief, was Ihnen früher leicht von der Hand ging?
?
Ist Ihr Denken langsamer, fällt Ihnen ein Gedanke nicht mehr so schnell ein, wie früher?
7
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Impressum
Autoren:
Prof. Dr. med. Friedel M. Reischies,
Friedrich von Bodelschwingh Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Berlin
Redaktion:
Dr. Anne Domonell
KW medipoint, Köln
Layout:
Susanna Mokroß.
KW medipoint, Köln
Veranstalter:
CME medipoint, München
Mit freundlicher Unterstützung der Lundbeck GmbH, Hamburg.
Der Sponsor nimmt keinen Einfluss auf die zertifizierte Fortbildung.
8
Lernkontrollfragen
1. Welche Aussage zur Depression ist richtig?
a) Nach Einschätzung der WHO wird sich die Anzahl von Depression in den nächsten Jahren stark reduzieren.
b) Die Lebenszeitprävalenz für eine Depression beträgt 30 %.
c) Ein Schlüsselsymptom der Depression ist erhöhte Vigilanz.
d) Die Antidepressiva-Therapie zielt in erster Linie auf die Behandlung kognitiver Symptome ab.
e) Depressionsassoziierte funktionelle Symptome führen zu einer ebenso starken Beeinträchtigung der
Lebensqualität wie die Schlüsselsymptome (gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit etc.).
2. Welche Aussage zu kognitiven Dysfunktionen im Rahmen der Depression ist falsch?
a) Kognitive Dysfunktionen beeinträchtigen im besonderen Maße das Arbeits- und Sozialleben.
b) Kognitive Dysfunktionen haben keine Auswirkung auf das Therapieansprechen.
c) Kognitive Dysfunktionen führen zu höheren Rückfallquoten.
d) Kognitive Dysfunktionen gehören zu den operationalen Kriterien der depressiven Störung.
e) Am stärksten betroffen von den kognitiven Beeinträchtigungen sind die Domänen Aufmerksamkeit,
Gedächtnis, exekutive Funktion und psychomotorische Geschwindigkeit.
3. Wieviel Prozent der Patienten mit einer depressiven Episode oder einer bipolaren Depression klagen über
Gedächtnis- oder Konzentrationsstörungen?
a) Ca. 10 %
b) Ca. 20 %
c) Ca. 50 %
d) Bis zu 70 %
e) Bis zu 90 %
4. Welche Aussage zur Kognition ist falsch?
a) Es werden heutzutage zwei Arten der Kognition unterschieden.
b) Die kalte Kognition ist für Denkaufgaben und Intelligenzleistungen verantwortlich.
c) Als heiße Kognition werden die emotionalen, motivationalen Aspekte des Denkens bezeichnet.
d) Kalte und heiße Kognition sind streng voneinander getrennt und es bestehen keine Wechselwirkungen.
e) Bei der heißen Kognition handelt sich vorwiegend um phylogenetisch alte Informationsverarbeitungswege.
5. Bei ca. wie vielen Patienten wird mit dem ersten Behandlungsversuch eine Remission der Depression
erreicht?
a) 10 %
b) 33 %
c) 45 %
d) 60 %
e) 87 %
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6. Wie viel Prozent von Patienten leiden laut einer Longitudinalstudie auch zwischen den depressiven
­Episoden unter kognitiven Störungen?
a) 10 %
b) 23 %
c) 44 %
d) 60 %
e) 87 %
7. Welche Variable ist vermutlich kein Risikofaktor für kognitive Dysfunktionen im Rahmen der Depression?
a)Alter
b)Geschlecht
c)Symptomschwere
d) Länge früherer Episoden der Depression
e) Psychiatrische Komorbiditäten
8. Was ist kein neuropsychologisches Testverfahren zur Untersuchung von Patienten mit Depression?
a) Trail Making Test (TMT)
b) 6-Minute Walk Test (6MWT)
c) Turm von Hanoi
d) Rey Auditory Verbal Learning Test (RAVLT)
e)Mosaiktest
9. Was untersucht der Digital Symbol Substitution Test (DSST)?
a) Verbales Lernen und Gedächtnisleistung
b) Exekutive Funktionen, Aufmerksamkeit und psychomotorische Geschwindigkeit
c)Wortflüssigkeit
d)Sprachkompetenz
e) Kognitive Flexibilität und Gedächtnisleistung
10. Welche Aussage zu neuropsychologischen Tests ist falsch?
a)Patienten mit einer depressiven Episode schneiden signifikant schlechter ab als gesunde Kontrollpersonen.
b) DSST und RAVLT sind etablierte Test zur Erhebung kognitiver Dysfunktionen.
c) Der RAVLT untersucht kognitive Flexibilität.
d)Die objektiv gemessenen Einschränkungen kognitiver Leistungen korrelieren oft nicht mit den subjektiven
Klagen der Patienten.
e) Patienten mit einem Stupor sind nicht testfähig.
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Auswertung der Lernerfolgskontrolle
Kognitive Dysfunktion bei Depression
VNR: 2760909005810570018
Gültigkeitsdauer: 29.06.2015 – 29.06.2016
Vergabe eines Teilnahme-Zertifikates der Landesärztekammer Bayern:
Ab 7 richtig beantworteten Fragen erhalten Sie 2 Fortbildungspunkte.
Fax-Nr. 0911 – 37 82 01 44
Außendienst-Stempel
Bitte die Angaben zur Person leserlich ausfüllen:
a
b
c
d
e
1
EFN-Nummer eintragen oder Aufkleber aufkleben
2
3
Frau:
Herr:
4
Titel, Vorname, Name
5
Straße, Hausnummer
6
7
PLZ, Ort
Erklärung:
Ich versichere, dass ich die Beantwortung der Fragen selbstständig und ohne
fremde Hilfe durchgeführt habe. Der Zustellung der Teilnahmebescheinigung
durch den Sponsor stimme ich zu.
Ort / Datum
8
9
10
Unterschrift
Zusätzliche Daten (Angabe ist freiwillig):
niedergelassener Arzt
angestellt - Klinik
angestellt - sonstiger Arbeitgeber
Fachgebiet:
Arztstempel
Datenschutz:
Ihre Daten werden ausschließlich für die Auswertung der Antworten verwendet. Es erfolgt keine Speicherung der Ergebnisse
über die für die Bearbeitung der Fortbildungseinheit notwendige Zeit hinaus. Namens- und Adressangaben dienen nur dem
Versand der Teilnahmebescheinigungen.
CME medipoint, Tel: 0911 - 37 82 01 43 / E-Mail: [email protected]
904580 06/2015
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