Trauma und Persönlichkeitsstörungen Wolfgang Wöller Rhein-Klinik Bad Honnef 1 Rhein-Klinik Bad Honnef Überblick Teil A: Grundlagen 1. Wissenschaftshistorische Hintergründe einer polarisierten Diskussion 2. Traumafolgestörungen 3. Persönlichkeitsstörungen 4. Klinische Problembereiche bei Persönlichkeitsstörungen 5. Plausible Modelle zum Verständnis klinischer Phänomene bei Persönlichkeitsstörungen 6. Psychodynamische Therapiekonzepte bei Persönlichkeitsstörungen 2 Rhein-Klinik Bad Honnef Überblick Teil B: Ressourcenbasierte psychodynamische Therapie (RPT) traumabedingter Persönlichkeitsstörungen 7. Zielgruppen 8. Ressourcen- und traumaorientierte Diagnostik 9. Phasenorientiertes Therapiekonzept 3 Ev. 1 Wissenschaftshistorische Hintergründe einer polarisierten Diskussion 4 Rhein-Klinik Bad Honnef Historisch-gesellschaftlicher Umgang mit psychischen Traumatisierungen Kindesmisshandlung als weit verbreitetes Phänomen in allen Kulturen und Epochen der Menschheitsgeschichte (Ariès 1972) Bis Mitte des 20. Jahrhunderts nahezu weitweite Tabuisierung besonders der sexuellen Kindesmisshandlung (Ära der Verleugnung, Armstrong 1978). Inzest „extreme Seltenheit“ (Weinberg 1955). Zunehmende gesellschaftliche Anerkennung seit den 1960er Jahren „Battered child syndrom (Kempe et al. 1972) Hinweise auf die Verbreitung sexuellen Missbrauch durch die internationale Frauenbewegung (Herman 1969) Rhnef Ursprung der Psychoanalyse als Wissenschaft von psychischen Traumatisierungen S. Freud: „Zur Ätiologie der Hysterie“ (1896): Hysterische Symptome als Folge frühkindlicher sexueller „Verführung“ Spätere Rücknahme der Verführungstheorie als allgemeine Theorie de Neurosen jedoch keine grundsätzliche Leugnung des pathogenen Einflusses frühkindlicher „Verführungen“ 6 Rhein-Klinik Bad Honnef Ursprung der Psychoanalyse als Wissenschaft von psychischen Traumatisierungen „Jenseits des Lustprinzips“ (Freud 1920): ökonomisches Modell des (ungenügenden) Reizschutzes im Moment der Überraschung Durchbrechung des Reizschutzes durch traumatische Erregungen/plötzlichen Schreck Wiederholungen dieser Erlebnisse, die ehemals im psychischen System Unlust erregt hatten, z.B. in der Form von Träumen oder Handlungen „Wiederholungszwang“ als den Versuch des Ich, die durch eine traumatische Einwirkung entstandenen Reizmengen nachträglich zu bewältigen (Freud 1920). Ferenczi Ferenczi (1933) „Sprachverwirrung zwischen dem Erwachsenen und dem Kind“: Introjektion: Verinnerlichung der Objektbeziehung, um das Beziehungsgefüge zur Elternfigur zu erhalten Versöhnungsversprechen durch die Introjektion der Imago des “bösen Kindes” der missbräuchliche Elternteil wird zum Selbstanteil: negative Überzeugungen von der eigenen Person als Niederschlag realer Objekterfahrungen Identifizierung Identifizierung mit aggressiven Täteraspekten Täteridentifizierte Persönlichkeitsanteile Khan: Konzept der kumulativen Traumatisierung Khan (1983): Trauma zusammengesetzt aus einer Reihe von an sich nicht im engeren Sinne traumatischen Einzelerfahrungen, die sich in einer Beziehung entwickeln Unzureichender Reizschutz gegen überwältigende und schädliche äußere Einflüsse im Laufe der Entwicklung des Kindes vom Säuglings- bis zum Jugendalter kumulative Überforderung des noch unreifen Ichs und seiner Abwehrfunktionen Trauma als Untergang des guten Objekts Kein angemessener Reizschutz durch die frühen Objekte Trauma als Untergang des guten Objekts (Ehlert-Balzer 1996). Verlust der verinnerlichten guten Objekte, der inneren Repräsentanzen einer schützenden und tröstenden primären Bezugsperson gestörtes Urvertrauen, Gefühl des Verlassenseins (Hoppe 1962, Cohen 1985). Objektbeziehungstheoretisch betrachtet, bricht in der traumatischen Situation die kommunikative Dyade zwischen dem Selbst und seinen guten inneren Objekten auseinander 10 Rhein-Klinik Bad Honnef Pierre Janet Reale Traumatisierungen als wichtigster auslösender Faktor für hysterische Symptome Dissoziation als „Desintegration und Fragmentierung des Bewusstseins“ („idées fixes“) Dissoziation als Mangel an integrativer Kapazität Pierre Janet _________________ S. Freud ___________________ Psychische Traumatisierung als Ursache der Hysterie Unbewusster Konflikt als Ursache der Hysterie Dissoziation als Hauptabwehr Verdrängung als Hauptabwehr 12 Rhein-Klinik Bad Honnef Entwicklung des Traumabegriffs in der Psychoanalyse Verbannung des Traumabegriffs aus dem „Mainstream“ der Psychoanalyse vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen Leugnung vonTraumatisierungen Konzentration auf Abwehr- und Strukturtheorie als Kerncharakteristika der Psychoanalyse Übertragung und Gegenübertragung als identitätsstiftende Paradigmen („Was ist analytisch?“) marginale Bedeutung psychischer Traumatisierungen in der psychoanalyt. Ausbildung bis in die 1980er Jahre Leugnung des Beitrags psychischer Traumatisierungen zur Entstehung schwerer Persönlichkeitsstörungen durch namhafte Vertreter (Kernberg 1972) 13 Rhein-Klinik Bad Honnef Forschung zur Psychotraumatologie und Entwicklung eigenständiger Traumatherapien Kardiner (1941): „Der Kern der traumatischen Neurose ist eine Physioneurose.“ Erforschung schwerer Stress-Phänomene „Stress-Response-Syndrome“ (Horowitz 1986) Entwicklung von „Traumatherapien“ außerhalb der psychoanalytischen Tradition mit eigenständiger Identität seit den 1970er Jahren, insbes. in den USA (Herman 1969, Courtois 1972) Veränderte Informationsverarbeitung bei psychischen Traumatisierungen Traumatischer Stress bewirkt einen Zusammenbruch der Funktionen des Hippokampus und damit eine Störung der Transformation der Erinnerungseindrücke in ein integriertes semantisches Gedächtnis der narrative Gestaltung von Erinnerungen und ihrer Einordnung in den biographischen Zusammenhang Modell der Dysregulation der hippokampalen Erinnerungsspeicherung (Trauma-Modell) Funktionsminderung des Hippokampus • gestörte Einordnung von Erinnerungen als Narrativ in biographischen Zusammenhang ↓ • Ungefilterte Aktivität der Amygdala • unangemessene Meldung von Gefahrensignalen • Intrusionen, übergeneralisierte Angstreaktionen • Traumatische Gedächtnisstörungen Postraumatisches Pendeln Intrusion Betäubung/Vermeidung Gedankliche und gefühlsmäßig Annäherung an das Trauma wechselt ab mit Vermeidung aller traumabezogenen Reize Hirnphysiologische und neuroendokrine Befunde bei traumatisierten Patienten Blockade der Informationsverarbeitung: implizite (amygdaloide) statt expliziter (hippocampaler) Erinnerung Überflutung von Neurohormonen (Adrenalin, Cortisol, Endorphine) Die Sprachzentren sind unterdrückt (BroccaRegion) Physiologische Verankerung der Traumafolgen schränkt sprachliche Beeinflussung ein 18 Rhein-Klinik Bad Honnef Entwicklung psychodynamischer Traumatherapien Rückkehr der Traumabewegung in die psychodynamische Therapie mit akzentuierter Abgrenzung gegen „klassische“ psychoanalytische Therapie (Reddemann u. Sachsse 1990) Akzentuierte Gegenabgrenzung der „klassischen“ psychoanalytischen Position (Ehlert-Balzer 1996) 19 Rhein-Klinik Bad Honnef Argumentation aus traumatherapeutischer und klassisch-psychodynamischer Perspektive Gefahren einer klassisch-psychodynamischen Perspektive aus traumatherapeutischer Sicht Vernachlässigung des Einflusses der äußeren Realität Schuldzuweisung an Opfer Gefahren einer traumatherapeutischen Perspektive aus klassisch-psychodynamischer Sicht Vernachlässigung intrapsychischer Faktoren Förderung einer Opferidentität und Verminderung der Selbstverantwortlichkeit 20 Rhein-Klinik Bad Honnef „Psychoanalytische“ und „traumatherapeutische“ Position Psychoanalytische Position Traumatherapeutische Position (Über-)betonung der inneren Realität (Abwehr, Phantasien) und Relativierung (Vernachlässigung) der äußeren Realität Normale Erinnerungsverarbeitung auch schwerer Traumen (Über-)betonung der äußeren Realität und Relativierung (Vernachlässigung) der inneren Realität Spezifische traumatische Erinnerungsverarbeitung (PTSD) Verbalisierende Behandlungstechnik Durcharbeitung traumatisierender Beziehungsmuster in der Übertragung Spezifische traumatherapeutische Behandlungstechnik Keine Durcharbeitung traumatisierender Beziehungsmuster in der Übertragung 21 Ev. 2 Traumafolgestörungen 22 Rhein-Klinik Bad Honnef Dilemma der Definition eines psychischen Traumas Objektive Definitionen – klinisch wenig hilfreich kurz- oder langanhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem tiefgreifende psychische Belastung auslösen würde“ (ICD-10, WHO 1994) Subjektive Definitionen – Gefahr der Inflationierung des Traumabegriffs Überwältigung des Ich Zusammenbruch von Abwehr- und Bewältigungsmechanismen Zustände extremer Ohnmacht und Hilflosigkeit Trauma-Definition „vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen der Hilflosigkeit und schutzlosen Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbstund Weltverständnis bewirkt.“ (Fischer u. Riedesser 1998, S. 79) Klassifikation psychischer Traumatisierungen einmalig, überraschend (Typ-I-Trauma) kumulativ (Typ-II-Trauma) apersonal Unfälle Naturkatastrophen Krieg personal Vergewaltigung Kindesmissbrauch familiäre Gewalt Folter Geiselhaft KZ-Haft Krieg Systematik der traumaassoziierten Störungsbilder Traumaassoziierte Störungsbilder Akute Belastungsreaktion Posttraumatische Störungsbilder Einfache PTSD Komplexe PTSD Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) - Symptomatik Intrusionen „Flashbacks“, Alpträume Vermeidungsverhalten Vermeidung aller traumabezogenen Reize emotionaler Taubheitszustand erschwerter Zugang zu Gefühlen anhaltende physiologische Übererregung sympathikotone vergetative Reaktionen (RR, Puls) „Komplexe posttraumatische Belastungsstörung“ (DESNOS = Disorders of Extreme Stress Not Otherwise Specified, Herman 1969) 1. Störungen der Emotionsregulierung schwere Persönlichkeitsstörungen, insbes. Borderline-Persönlichkeitsstörung therapierefraktäre Depressionen 2. Dissoziative Störungen 3. Somatoforme Störungen 4. Chronische Persönlichkeitsveränderungen 5. Veränderungen des Selbst- und Weltverständnisses Traumafolgestörungen Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) Komplexe Traumafolgestörungen mit variabler Kombination verschiedener psychischer/psychosomatischer Störungsbilder depressive Symptome dissoziative Symptome PTBS Somatisierungsstörungen Essstörungen Substanzabhängigkeit Persönlichkeitsstörungen (Herman 1992, Brown u. Finkelhor 1986, Felitti et al. 2002). 29 Ev. 3 Persönlichkeitsstörungen Was sind Persönlichkeitsstörungen? Diagnostisches Konstrukt zur Beschreibung von anhaltenden Auffälligkeiten im Erleben, Denken und Verhalten nachhaltige Störung des zwischenmenschlichen Zusammenlebens Risiko für die psychische Gesundheit Leidensdruck für die Person oder ihre Umwelt gestörte soziale Funktions- und Leistungsfähigkeit in Kindheit oder Jugend erworben nicht durch eine körperliche Ursache bedingt Was sind Persönlichkeitsstörungen? Konstrukt zur Beschreibung dysfunktionaler interpersoneller Beziehungsmuster Aspekte von Dysfunktionalität in Bezug auf die Lebensbewältigung Selbstschädigung Fremdschädigung Interpersoneller Aspekt Typologie von Persönlichkeitsstörungen nach ICD-10 Emotional instabile (Borderline-) PS (F60.31) [Narzisstische PS (F60.8)] Histrionische PS (F 60.4) Abhängige (asthenische) PS (F 60.7) Dissoziale PS (F60.2) Paranoide PS (F60.0) Schizoide PS (F60.1) Anankastische (zwanghafte) PS (F 60.5) Ängstliche (vermeidende) PS (F 60.6) Problematik der Diagnosekategorie „Persönlichkeitsstörungen“ Starke Überlappung der Unterkategorien Suggestion kategorialer Krankheitseinheiten – dimensionale Modelle wären sinnvoller Problematik der Etikettierung und Festschreibung Begriff der Persönlichkeitsstörung: Historische Entwicklung Psychopathie Hypothese konstitutioneller Anlage Charakterstörung, Charakterneurose Hypothese frühkindlich erworbener Eigenschaften Persönlichkeitsstörung nach ICD-10: rein deskriptiver Begriff Versorgungsrelevanz und Bedeutung des Begriffs der Persönlichkeitsstörung Hohe Prävalenz von Persönlichkeitsstörungen 10% der Allgemeinbevölkerung über 50% der psychotherapeutisch behandelten Bevölkerung Bedeutung für die Therapieplanung Modifikation der Therapieansätze bei gleichzeitig vorhandener Persönlichkeitsstörung Emotional instabile (Borderline)Persönlichkeitsstörung Durchgängiges Muster: Emotionale Instabilität rasche und unvorhersagbare Wechsel der Stimmungslage ohne erkennbaren Grund überschwemmt von Zuständen der Ohnmacht, Angst, Wut, Leere ausgeprägte Angst vor dem Verlassenwerden Störung der Emotionsregulierung rasch wechselnde globale und undifferenzierte Affektzustände und quälende Spannungszustände interpersonell reaktiv ausgelöst können bis zu Stunden andauern Oszillieren von Depression, Wut, Angst, Leere und Depression (Koenigsberg et al. 2002, Lieb et al. 2004, Stiglmayr 2011, Wolff et al. 2007). Hyperreagibilität Borderline-Patienten sind hyperreagibel und wachsam überempfindlich gegenüber negativen Stimuli (Sieswerda et al. 2007). schon nach schwachen Reizen schnelle und intensive Erregungsmuster (Jacob et al. 2009). bemerken oft kleinste mimische Veränderung im Gesicht Soziale Wahrnehmung Die soziale Wahrnehmung ist durch ein verstärktes Bedrohungserleben charakterisiert. Borderline-Patienten nehmen neutrale Gesichter tendenziell als bedrohlich und nicht wohlwollend wahr (Donegan et al. 2003, Lynch et al. 2006, Scott et al. 2011, Koenigsberg et al. 2009). Aggressive Reaktionen Borderline-Patienten zeigten bei experimentell induzierten Frustrationen beim Spielen ein dreifach höheres Aggressionsniveau als gesunde Probanden (Dougherty et al. 1999). Genauere Analysen der Sequenzen der Emotionen ergaben, dass Zuständen des Ärgers und der Wut am häufigsten Zustände der Angst vorausgingen (Reisch et al. 2008). Störung der Emotionsregulierung: Überflutung durch traumatische Affekte im Alltagsleben Verlassensein Verzweiflung Leere Scham Ohnmacht Schuldgefühle Wut Abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung (F 60.7) Durchgängiges Muster: Abhängig-anklammerndes Verhalten Neigung zu Gefügigkeit und Unterordnung unter eine Bezugsperson Delegation aller Lebensentscheidungen an andere Menschen Psychodynamik: Beziehungserfahrung des Verlassenwerdens anhaltende Angst vor Wiederholung dieser Beziehungserfahrung Histrionische Persönlichkeitsstörung (F 60.4 ) Durchgängiges Muster: übertriebener Ausdruck von Gefühlen, Neigung zu Theatralik und Dramatisierung gesteigertes Verlangens nach Aufmerksamkeit und Bewunderung oft unangemessen sexuell verführerisch Neigung zu manipulativen Verhaltensweisen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse Psychodynamik: Beziehungserfahrung des NichtWahrgenommenwerdens/ Angst davor Dissoziale Persönlichkeitsstörung (F60.2) Durchgängiges Muster: Verantwortungslosigkeit und Missachtung sozialer Regeln und Normen Neigung zu Kriminalität Neigung zu aggressivem und gewalttätigem Verhalten oft oberflächlich charmant, aber falsch und unaufrichtig Empathie-Mangel Psychodynamik: Beziehungserfahrung schwerer Gewalterfahrungen und/oder emotionale Vernachlässigung in der Kindheit Abwehr von wirklicher Liebe und Bindung Täteridentifikation als Überlebensstrategie Anankastische (zwanghafte) Persönlichkeitsstörung (F 60.5) Durchgängiges Muster: Genauigkeit, Gewissenhaftigkeit bis zur Pedanterie übertriebene Ordnungsliebe und Rigidität Perfektionismus neigen zu starkem Zweifel und verstärkter Vorsicht haben eine Vorliebe für Details, Regeln, Listen, Ordnung, Organisation oder Schemata Psychodynamik: Angst vor Chaos, Unordnung, Desintegration Ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung (F 60.6) Durchgängiges Muster: Vermeidung aus Angst und Minderwertigkeitsgefühlen Vorstellung, sozial minderwertig, unattraktiv oder anderen unterlegen zu sein übertriebene Erwartung, von anderen kritisiert oder zurückgewiesen zu werden Vermeidung sozialer oder beruflicher Aktivitäten Psychodynamik: Angst vor Kritik, Missbilligung oder Zurückweisung Paranoide Persönlichkeitsstörung (F60.0) Durchgängiges Muster: ungerechtfertigtes Misstrauen gegenüber anderen Menschen Neigung, anderen Menschen bösartige Motive zu unterstellen neutrale oder freundliche Handlungen anderer werden als feindlich missdeutet Psychodynamik: Angst vor eigenen destruktiven Impulsen, die projiziert werden Schizoide Persönlichkeitsstörung (F60.1) Durchgängiges Muster: Neigung zur sozialen Isolierung und zum Einzelgängertum kühl und emotional distanziert unnahbar mit geringer Fähigkeit zu warmen, zärtlichen Gefühlen zeigen sich oft gleichgültig gegenüber sozialen Regeln, aber auch gegenüber Lob und Kritik von Seiten anderer Psychodynamik Beziehungserfahrung von Verletzung und Demütigung anhaltende Angst vor Wiederholung dieser Beziehungserfahrung Folien der Vorlesung: www.rhein-klinik.de Weitere Informationen: wolfgang-woeller.de Narzisstische Persönlichkeitsstörung Durchgängiges Muster: Verlangen nach übermäßiger Bestätigung und Bewunderung Kleinheits- und Nichtigkeitsgefühle Kompensatorische Verhaltensmuster grandioses Gefühl eigener Wichtigkeit ansprüchliches Verhalten: Nur das Beste ist gut genug entwertend, überheblich, arrogant ausbeuterisch, ausschließlich an der eigenen Bedürfnisbefriedigung orientiert Psychodynamik: Schwere Störung des Selbstwertgefühls Abgrenzung: Persönlichkeitsstruktur Psa.-neurosenpsychologischer Begriff zur Beschreibung der Persönlichkeit auf der Basis der vorherrschenden Abwehrstruktur Z.B. zwanghafte, hysterische, depressive etc. Persönlichkeitsstruktur kein Krankheits- oder Störungsbegriff keine Dysfunktionalität keine interpersonelle Auswirkungen Abgrenzung: Persönlichkeitsveränderung Verwendung 1: wie Persönlichkeitsstörung, jedoch im Erwachsenenalter erworben Z.B. Persönlichkeitsveränderungen bei Holocaust-Opfern Verwendung 2: intrapsychische Veränderungen mit hohem Leidensdruck erhaltene Funktionalität keine oder kaum interpersonelle Auswirkungen Z.B. Selbstentwertung und Täteridealisierung bei Traumatisierten Traumatische Belastung bei Borderline-Persönlichkeitsstörung Physische, sexuelle oder emotionale Misshandlung bei bis zu 75 % der Patienten mit BPS alle Formen der Kindesmisshandlung (Herman et al. 1989, Yen 2003, Zanarini et al. 2002) insbes. emotionale Misshandlung (Allen 2009, Kaehler u. Freyd 2009, Lobbestael et al. 2010, Widom et al. 2009) Komplexe Interaktion mit genetischen Faktoren Zwillingsstudien (Bornovalova et al. 2009, Distel et al. 2008) Gen-Umwelt-Interaktionen (z.B. Ni et al. 2006) Traumatische Belastung bei anderen Persönlichkeitsstörungen Dissoziale PS (Gao et al. 2010, Nederlof et al. 2010) Paranoide PS (Lobbestael et al. 2010) Schizoide PS (Yen et al. 2003, Lobbestael et al. 2010) Ängstlich-vermeidende PS: körperl. und emot. Missbrauch (Rettew et al. 2003), sex. Missbrauch (Lobbestael et al. 2010) Vernachlässigung (Battle et al. 2004) Einfluss von Bindungs- und Beziehungstraumatisierungen Ungünstiges familiäres Umfeld, elterliche Psychopathologie und Misshandlung/Missbrauch prädizieren unabhängig voneinander das spätere Auftreten einer BPS (Bradley et al. 2005). Desorganisiertes Bindungsmuster, Misshandlung, mütterliche Feindseligkeit, unzureichende Vaterpräsenz und familiärer Stress prädizieren spätere BPS (Carlson et al. 2009, Sroufe et al. 2005). Kindesmisshandlung, ungünstige elterliche Erziehungs-stile und Trennung von den Eltern prädizieren unabhängig voneinander das Auftreten einer PS (Bandelow et al. 2005). Genese von Persönlichkeitsstörungen Komplexe Interaktion von genetischen Einflüssen und lebengeschichtlichten Belastungsfaktoren Zwillings- und Adoptionsstudien belegen Erblichkeit von Persönlichkeitszügen, die eine Persönlichkeitsstörung beschreiben (Torgersen et al. 2008; bei BPD Bornovalova et al. 2009, Distel et al. 2008, New et al. 2008, Maier u. Hawellek 2011) Bedeutung von Gen-Polymorphismen Assoziation des Serotonin-Transporter-Gens mit kurzem Allel und Auftreten einer Borderline-PS (Ni et al. 2006; New et al 2008). Traumatisierungsmuster bei schweren Persönlichkeitsstörungen Bindungs- und Beziehungstraumatisierungen Misshandlungs- und Missbrauchstraumen der Kindheit Traumatisierungen im Erwachsenenalter (Retraumatisierungsneigung!) Alltagsbelastungen mit traumawertigem subjektivem Belastungsgrad als Folge der persönlichkeits-spezifischen Vulnerabilität Komorbidität der BorderlinePersönlichkeitsstörung mit ... PTBS: 39,2 bis 51 % (McGlashan et al., 2000, Golier et al. 2003, Grant et al. 2008, Yen et al. 2002) dissoziativen Störungen: 53 % (Zittel et al. 2005) bis 72,5 % (Sar et al. 2006) 59 Ev. 4 Problembereiche bei traumabedingten Persönlichkeitsstörungen Kasuistik: 28jährige Patientin Die eher jünger aussehende Patientin erscheint mit 20minütiger Verspätung zur Sitzung und beklagt sich als erstes, dass die Praxis nicht genügend Parkplätze zur Verfügung stellt. Dass keine Parkplätze vorhanden seien, hätte man ihr vorher sagen sollen. Sie frage sich ohnehin, ob das hier was bringe. Die Praxiseinrichtung wirke irgendwie „kalt“. Nachdem sie Platz genommen hat, „überschüttet“ die Patientin die Therapeutin mit einer Vielzahl von Klagen: Diffuse Angstzustände und depressive Verstimmungen, verzweifelt, Gefühle der Leere, dann wieder Zustände der Wut und des Hasses, Selbsthass Gefühl quälender Angespanntheit, immer wieder Gefühl, ohnmächtig und schutzlos ausgeliefert zu sein Schnittverletzung am Unterarm schafft Erleichterung Fressanfälle mit selbstinduziertem Erbrechen Erleichterung bei unerträglichen Affektzuständen Zeitweise Konsum von Drogen und größeren Mengen an Alkohol Scham- und Schuldgefühle, hält sich für minderwertig, schmutzig und abgrundtief schlecht. Auslösesituation: Hat ihre Arbeitsstelle zum wiederholten Male wegen unkontrollierter Emotionsausbrüche verloren Zahlreiche interpersonelle Konflikte Beziehungsumfeld: In chaotischen partnerschaftlichen Beziehungen lebend Kann Alleinsein nicht ertragen, aber hält es in Beziehungen ebenfalls nicht aus Bindet sich immer wieder an Partner, die sie bedrohen und gewaltsam behandeln Hatte schon Kontakt zu deutlich älteren Männern Vorgeschichte In ihrer Kindheit Opfer sexueller Übergriffe ihres Stiefvaters chaotisches familiäres Umfeld überforderte und unreife Mutter war nicht in der Lage, sich auf ihre kindlichen Bedürfnisse einzustellen Pat. musste früh für ihre Eltern sorgen häufig Erfahrung von Ablehnung und Zurückweisung zahlreiche abrupte Trennungen und Verluste emotionale Unterstützung und Wärme am ehesten noch bei dem sexuell übergriffigen Stiefvater Problembereiche bei Persönlichkeitsstörungen Persönlichkeitsstörungen als Störungen der interpersonellen Kommunikation Vielzahl interpersoneller Konflikte und Verwicklungen Neigung zu Instabilität/hohe Komorbidität Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung Neigung zu dysfunktionalem, manipulativem oder (auto)destruktivem Verhalten („Agieren“) Problembereiche bei Persönlichkeitsstörungen Maladaptive Verhaltensmuster erfassen die therapeutische Beziehung („schwierige Patienten“) Problematische Beziehungsgestaltung mit rascher und heftiger Übertragungsentwicklung Feindselig-entwertende-vorwurfsvolle Beziehungsgestaltung: Gefahr des Beziehungsoder Therapieabbruchs Abhängig-idealisierende Beziehungsgestaltung: Gefahr der malignen Abhängigkeitsentwicklung Problembereiche bei Persönlichkeitsstörungen auf der Ebene defizitärer Ich-Funktionen Störung der Emotionsregulierung Störungen der Fähigkeit zur Mentalisierung, Impulskontrolle, Selbst-Objekt-Differenzierung, Objektkonstanz, kognitive Defizite Unzureichende Integration der Persönlichkeit (Identitätsstörung, Identitätsdiffusion, Ego-StateDisorder) maladaptive Verhaltens- und Beziehungsmuster Traumatische Affekte Verlassensein Verzweiflung Leere Scham Ohnmacht Schuldgefühle Wut Selbstschädigende Verhaltensweisen zur Kompensation der gestörten Emotionsregulierung Fressattacken und selbstindiziertes Erbrechen Risikoverhalten (schnelles Autofahren) Substanzmissbrauch (Alkohol, Drogen) Selbstverletzendes Verhalten Selbstbezogene schädigende Verhaltensmuster als Ausdruck komplexer traumabedingter Funktionsdefizite Gefahren nicht antizipieren (können) nicht für sich sorgen können (können) sich nicht abgrenzen (können) sich nicht schützen (können) hilflos sein, nicht handeln (können) erneuter Opferstatus (Reviktimisierungsneigung) Interpersonelle schädigende Verhaltensweisen zur Kompensation der gestörten Emotionsregulierung zum Schutz vor Kränkungen, Verletzungen und Ohnmachterleben entwerten Aufmerksamkeit oder Zuwendung erzwingen unter Druck setzen, erpressen sich zurückziehen drohen, beschuldigen, entwerten sich unangemessen verführerisch verhalten Maladaptive Interaktionsmuster Interaktionspartner fühlen sich kontrolliert oder manipuliert, übervorteilt und unfair behandelt fühlen. Verhalten meist nicht absichtlich manipulativ, sondern motiviert durch verzweifelte Versuche, schmerzhafte Emotionen zu bewältigen und verdeckte Befriedigung von Bedürfnisse zu erreichen Kontrolle ausüben, um Verfügbarkeit des regulierenden Objektes zu sichern andere in Sorge versetzen, gefahrlos Verbundenheit herzustellen 72 Ev. 5 Plausible Modelle zur Erklärung klinischer Phänomene bei traumabedingten Persönlichkeitsstörungen Plausible und brauchbare Modelle zur Erklärung klinischer Phänomene bei schweren Persönlichkeitsstörungen Neurobiologische Modelle Bindungstheoretische Modelle Psychodynamische Modelle Modell der Strukturellen Dissozation der Persönlichkeit Neurobiologische Befunde bei BorderlinePersönlichkeitsstörung präfrontale Dysfunktion beim Anhören persönlicher Scripts von Verlassenheit und Misshandlung (Schmahl et al., 2003, 2004, Silbersweig et al. 2007) Neutrale Gesichter werden als bedrohlich erlebt (Donegan et al., 2003) Verstärktes Bedrohungserleben Neurobiologische Befunde bei BorderlinePersönlichkeitsstörung Dysfunktionales kortikolimbische Netzwerk gesteigerte Amygdala-Aktivierung bei Darbietung emotional aufgeladener Bilder (Herpertz et al., 2001) oder Gesichtern (Donegan et al., 2003) Volumenminderungen im Bereich des präfrontalen Kortex und des Hippokampus (Irle et al. 2005;Tebartz van Elst et al. 2003) sowie des vorderen zingulären Kortex (Minzenberg et al. 2008) verminderte Aktivität des orbitofrontalen Kortex (OFC) und des vorderen zingulären Kortex (New et al. 2002, Silbersweig et al. 2007) Neurobiologie bei chronischer PTBS Neurobiologie der Borderline-Störung Überaktivität und erhöhte Reaktionsbereitschaft der Amygdala (Shin et al. 2006) gesteigerte AmygdalaAktivierung bei Darbietung emotional aufgeladener Bilder (Donegan et al., 2003) vermindertes Hippokampus-Volumen (Karl et al. Volumenminderungen im Bereich des präfrontalen Kortex und des Hippokampus (Irle et al. 2005;Tebartz van Elst et al. 2003) sowie des vorderen zingulären Kortex 2006) verminderte Volumina und Aktivität des präfrontalen Kortex (PFC) einschl. des (Minzenberg et al. 2008) vorderen zingulären Kortex (ACC) (Rauch et al. 2003, Woodward verminderte Aktivität des orbitofrontalen Kortex (OFC) et al. 2006). und des vorderen zingulären Kortex (New et al. 2002) Modell der erfahrungsabhängigen Hirnentwicklung Das Wachstum des präfrontalen Cortex (als Zentrum der Emotionsregulierung) ist in hohem Maße abhängig von der Qualität des mütterlichen Attunement und der Bindungserfahrung Modell der erfahrungsabhängigen Hirnentwicklung Unangemessene elterliche Reaktionen auf kindliche Affektzustände negative emotionale Zustände des Kindes bleiben über längere Zeit unreguliert „chaotische“ biochemische Veränderungen im kindlichen Gehirn: dauerhaft erhöhte Cortisonspiegel, exzessive Freisetzung von Adrenalin und Noradrenalin und anderer toxischer Substanzen vermindertes neuronales Wachstum im Bereich der präfrontalen Strukturen Rückgang von Synapsen und Beschleunigen des normalen Prozesses des programmierten Zelltodes (Zhang et al. 1997, McLaughlin et al. 1998). ↓ Verminderte Funktionsfähigkeit der emotionsregulierenden Struktur des präfrontalen Cortex Modell der verminderten Top-Down-Modulation basaler emotionaler Systeme, insbes. der Amygdala erhöhte Bereitschaft zur Wahrnehmung von Bedrohungssignalen 1 – Orbitofrontaler Cortex 2 – Region des vorderen Cingulum 3 – Amygdala Modell der verminderten Top-DownModulation basaler emotionaler Strukturen Präfrontales Defizit verminderte Top-DownModulation der Amygdala ↓ Störung der Fähigkeit zur Emotionsregulierung Störungen der Fähigkeit zur Mentalisierung ↓ ↓ Verstärktes Bedrohungserleben ↓ Maladaptives Handeln auf der Basis dieses Bedrohungserlebens Lebenslange Möglichkeit der Modifikation und Neuorganisationen neuronaler Verbindungen in Abhängigkeit vom Gebrauch (Huether et al. 1999) Vielfach wiederholte Aktivierung neuronaler Netzwerke bis zur Etablierung neuer Muster Üben und Durcharbeiten neuer Muster Persönlichkeitsstörungen als Bindungsstörungen Borderline-PS unsicher-ambivalente Bindungsstile (Buchheim 2011; Fonagy et al. 1996; Levy et al. 2006, 2011; Timmerman u. Emmelkamp 2006) unsicher-desorganisierte Bindungsmuster („unresolved“) (Agrawal et al., 2004, Fonagy et al., 1996, 2000; Patrick et al. 1994) Übrige Persönlichkeitsstörungen dissoziale PS: überwiegend unsicher-distanzierte Bindungsstile (Timmerman u. Emmelkamp 2006). Clusters C-PS: überwiegend unsicher-ambivalente Bindungsmuster (Rosenstein & Horowitz 1996, West u. Sheldon 1988). Desorganisierte Bindungen entstehen, wenn die Bindungsfigur gleichzeitig die Quelle von Trost und Angst ist (Main u. Hesse 1990). Bindungsdesorganisation ist das Ergebnis einer gleich-zeitigen Aktivierung des Bindungs- und des Bedrohungs-systems gegenüber der gleichen Bezugsperson (Lyons-Ruth u. Jacobvitz 2008). Annäherungs-Vermeidungskonflikt, der die Informationsverarbeitung und Problemlösung stört Hemmung der Mentalisierungsfunktion durch die Aktivierung des Bedrohungs-Abwehr (fight-flightSystem) Alternative Möglichkeiten der Regulation des Sicherheitsgefühl bei unzuverlässigem Bindungssystem durch Dominanz in sozialen Rangordnungssystemen, wenn Untergeordnete Signale der Unterwerfung senden (Keltner et al. 2003, Scott 1990) durch verführerisches Verhalten Psychodynamischobjektbeziehungstheoretische Modelle (Winnicott, Jacobson, Balint, Ferenczi, Kernberg, Bion) Introjektion destruktiver Objektziehungsmuster verändern die Repräsentanzenwelt Destruktive Introjekte werden zur inneren Druckentlastung re-externalisiert Identifikation mit destruktiven frühen Objekten führt zur Präsenz täteridentifizierter Persönlichkeitsanteile Unreife Abwehrmechanismen verzerren die Wahrnehmung der äußeren Welt Inkompatibilität der inneren Strukturen führt zur Identitätsdiffusion Psychodynamisches Strukturmodell Persönlichkeitsstrukturelle Defizite (IchFunktionen) Störung der Emotionsregulierung Störungen der Impulskontrolle Störungen der Aufmerksamkeitslenkung Störungen der Selbst-Objekt-Differenzierung Störungen der Objektkonstanz Störungen der Mentalisierungsfunktion Störungen der Ich-Integration Strukturachse der OPD-2 Modell der Strukturellen Dissoziation der Persönlichkeit (van der Hart, Nijenhuis & Steele 2008) Selbstzustände als dissoziierte Anteile der Persönlichkeit, die sehr komplex sein und aus unterschiedlichen Lebensperiode stammende mentale Zustände enthalten können „Anscheinend normale Persönlichkeit“ (ANP): Funktionalität im täglichen Leben ANP-Anteile können die Tendenz repräsentieren, Gefühle oder Körpersensationen zu vermeiden, die an das Trauma erinnern (van der Hart et al. 2006). „Emotionale Persönlichkeit“ (EP): mit den traumatischen Erfahrungen verbundene Persönlichkeitsanteile Erklärungspotenzial neurobiologischer Modelle Neurobiologische Modelle der erfahrungsabhängigen Hirnentwicklung der Top-Down-Modulation basaler emotionaler Strukturen der adaptiven Informationsverarbeitung können plausibel erklären: regulatorische Defizite im Bereich der Emotionsregulierung und anderer Ich-Funktionen umfassendes Bedrohungserleben und die daraus resultierenden maladaptiven Verhaltensmuster traumatische Informationsverarbeitung (z.B. intrusive Phänomene) Erklärungspotenzial bindungstheoretischer Modelle Das bindungstheoretische Modell des desorganisierten Bindungsmusters mit gleichzeitiger Aktivierung von Bindungssystem und Abwehrsystemen kann plausibel erklären: exzessive Bindungssuche und Bindungsängste idealisierende/dämonisierende Übertragungsmuster (Retter- bzw. Täterübertragungen) emotionale State-Wechsel in Abhängigkeit von aktualisierter Übertragung/Störung der Ich-Integration daraus resultierende maladaptive Verhaltensmuster Erklärungspotenzial psychodynamischobjektbeziehungstheoretischer Modelle Veränderte Repräsentanzenwelt durch Introjektion/Identifikation Reexternalisierung der destruktiven Introjekte Präsenz täteridentifizierter Persönlichkeitsanteile ... können plausibel erklären: negative Selbstbilder (Schuld-, Scham-, Minderwertigkeitsgefühle) Reviktimisierungstendenz interaktionelle Phänomene (z.B. projektive Identifizierung) maladaptive Verhaltensweisen auf der Basis der ich-funktionellen Defizite und der veränderten Repräsentanzenwelt Erklärungspotenzial des Modells der Strukturellen Dissoziation der Persönlichkeit ... können plausibel erklären: wechselnde Selbst- und Objektbilder und die daraus resultierenden maladaptiven Verhaltensweisen auf der Basis emotionaler Persönlichkeitsanteile 93 Ev. 6 Psychodynamische Therapieansätze bei Persönlichkeitsstörungen Psychodynamische Therapieansätze bei Persönlichkeitsstörungen Übertragungsfokussierende Psychotherapie (TFP) für Borderline-Patienten (Kernberg 1993; Clarkin et al. 2001) Psychoanalytisch-interaktionelle Psychotherapie (Heigl-Evers u. Ott 1994) Strukturbezogene Psychotherapie (Rudolf 2004) Mentalisierungsbasierte Psychotherapie für Borderline-Patienten (Bateman u. Fonagy 2004) Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP) für BorderlinePatienten (Kernberg 1993; Clarkin et al. 2001) Ziele: Integration der gespaltene Repräsentanzenwelt Pathogene „nur gute“ und „nur böse Teilselbst- und Teilobjektrepräsentanzen integrierte Selbst- und Objektrepräsentanzen Analyse unreifer Abwehrmechanismen realitätsadäquateren Sicht von sich und ihren wichtigsten Bezugspersonen Verbesserung der Bindungs- und Beziehungsfähigkeit Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP) für Borderline-Patienten (Kernberg 1993; Clarkin et al. 2001) Vorgehen: Konzentration auf die Analyse der Übertragung Philosophie: innere Welt der Objektbeziehungen und unreife Abwehrmechanismen manifestieren sich in besonderem Maße in der Übertragungsbeziehung und sind dort therapeutisch gut beeinflussbar Fokussierung und Klarifizierung der sich in der Übertragung darstellenden dominanten Objektbeziehungsmuster Patienten und Therapeuten in wechselnder Täterund Opferposition Psychoananalytisch-interaktionelle Psychotherapie (Heigl-Evers u. Ott 1994) Ziele Nachreifung der gestörten Ich-Funktionen Differenzierung ihrer Selbst- und Objektrepräsentanzen basal gestörten Teil-Objektbeziehungen ganzheitlichen Objektbeziehungen zu gelangen Einleitung gutartiger Internalisierungsprozesse pathogene Introjekte sollen durch gutartige ersetzt werden Psychoanalytisch-interaktionelle Psychotherapie (Heigl-Evers u. Ott 1994) Therapeutische Haltung: Die Therapeutin steht der Patientin als reale Person „antwortend“ zur Verfügung Übernahme von Hilfs-Ich-Funktionen: Vermittlung und Einübung realer Fähigkeiten der interpersonellen Interaktion „Prinzip Antwort“: „selektiv-authentische“ Mitteilung eigener Gefühlsreaktionen und der vermuteten oder wahrscheinlichen Gefühlsantworten alltäglicher Interaktionspartner Strukturbezogene Psychotherapie (Rudolf 2004) Ziel: nicht das Verstehen der Störung im Hinblick auf ihre Konfliktdynamik und biographische Bedingtheit, sondern der veränderte Umgang des Patienten mit seinen Ich-FunktionsDefiziten. Strukturbezogene Psychotherapie (Rudolf 2004) Vorgehen: Den Patienten anleiten das Verhalten und Erleben als Muster sehen zu lernen das Muster als etwas biografisch Gewachsenes zu akzeptieren, das auch Bewältigungsversuche beinhaltet die heutige Funktionalität/Dysfunktionalität des Verhaltensmusters zu untersuchen das Verhaltensmuster als etwas eigenes akzeptieren und Verantwortung dafür zu übernehmen alternative Möglichkeiten zu erproben. Mentalisierungsbasierte Psychotherapie für Borderline-Patienten (Bateman u. Fonagy 2004) Behandlungsziele Identifikation und adäquater Ausdruck von Affekten Entwicklung stabiler innerer Repräsentanzen Bildung eines kohärenten Selbstgefühls Förderung der Fähigkeit, sichere Bindungen herzustellen. Psychodynamisch-imaginative Psychotherapie (PITT) für komplexe Traumafolgestörungen (Reddemann 2011, Sachsse 2010) Phasenorientierung Imaginative Techniken zur Stabilisierung und Traumabearbeitung Keine ausschließliche Heilung durch Beziehung Nachbeelterung auf der inneren Bühne Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen Psychodynamische Therapieansätze bei Persönlichkeitsstörungen Evidenz auf der Basis von Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP) für BPS RCT Psa.interaktionelle Psychotherapie (Heigl-Evers u. Ott kontrollier- Leichsenring ten Studien (2008) Strukturbezogene Psychotherapie (Rudolf 2004) kontrollier- Rudolf et al. ten Studie (2004) Mentalisierungsbasierte PT für BPS (Bateman u. Fonagy 2004) RCT (Kernberg 1993; Clarkin et al. 2001) 1994) Clarkin et al. (2007) Bateman & Fonagy (2002) Psychodynamische Therapieansätze bei komplexen Traumafolgestörungen Evidenz auf der Basis von PITT (Psychodynamischimaginative Traumatherapie (Reddemann 2011; Sachse 2010) kontrollier- Sachsse et al. ten Studien 2006; Lampe et al. 2008, Kruse et al. 2010) Psychodynamische Konzepte zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen Berücksichtigung der Probleme der Ich-Integration und der Bindungsproblematik (TFP, MBT) Berücksichtigung der Ich-Funktionsstörungen (Psa. Interaktionelle PT, Strukturbezogene PT, MBT) Spezielle Berücksichtigung der Mentalisierungsdefizite (MBT) jedoch keine traumaspezifischen Stabilisierungstechniken keine Berücksichtigung von PTBS/dissoziativer Komorbidität Traumaorientierte Konzepte bei komplexen Tramafolgestörungen PITT (Psychodyn.-imaginative Traumatherapie (Reddemann 2011; Sachsse et al. 2006; Lampe et al. 2008, Kruse et al. 2010) Fokus auf Emotionsregulierungsstörung und Traumabearbeitung Berücksichtigung von PTBS-/dissoziativer Komorbidität Jedoch keine konzeptuelle Berücksichtigung der Mentalisierungs-/Bindungsproblematik und der maladaptiven Verhaltens- und Beziehungsmuster 107 Ev. Ressourcenbasierte Pychodynamische Therapie (RPT) zur Behandlung von Patienten mit traumaassoziierten Persönlichkeitsstörungen 108 Ev. 7Zielgruppen des Konzepts Zielgruppen des Konzepts Primäre Zielgruppe: Persönlichkeitsstörungen mit Komorbidität einer Posttraumatischen Belastungsstörung (i. S. d. ICD-10) und/oder einer dissoziativen Störung in zweiter Linie: Persönlichkeitsstörung ohne komorbide Posttraumatische Belastungsstörung oder dissoziative Störung 110 Ev. 7 Ressourcen- und Traumadiagnostik Ressourcen- und Traumadiagnostik zu Behandlungsbeginn ressourcenreiche Momente des Lebens, Stärken, Fähigkeiten und hilfreiche Beziehungen explorieren Bewältigungsstrategien der Gegenwart und Vergangenheit erfragen keine Exploration traumatischer Ereignisse spontanes Berichten traumatischer Erfahrungen eher begrenzen Ressourcen- und Traumadiagnostik bei tragfähiger therapeutischer Beziehung und ausreichender Emotionskontrolle Erklärungen und Erläuterungen geben mit der Bearbeitung von Alltagsstressoren beginnen bei Kindheitstraumen subjektiven Belastungsgrad der Befragung und der Inhalte abschätzen Patientin bestimmen lassen, ob und was sie erzählt Distanzierungstechniken vermitteln Ressourcen- und Traumadiagnostik erst in der Phase der Traumabearbeitung taktvolles Erfragen von Details 114 Ev. 8 Phasenorientiertes Therapiekonzept Phasenorientiertes Therapiekonzept 1. Sicherheit, Halt und die Stärkung der Bewältigungskompetenz 2. Emotionsregulierung und Selbstfürsorge 3. Mentalisierung und die Entwicklung stabiler Repräsentanzen 4. Schonende Traumabearbeitung 5. Konfliktorientiertes Arbeiten an maladaptiven Verhaltensmustern Phase 1: Sicherheit, Halt und die Stärkung der Bewältigungskompetenz Externe Emotionsregulierung zur Reduktion des erhöhten Bedrohungserlebens: Maximaler Kontrast zur traumatischen Situation Traumatische Situation Therapeutische Situation Bedrohung, Unsicherheit Kontrollverlust Verwirrung, Intransparenz Alleingelassensein Sicherheit Kontrolle Aufklärung, Transparenz reale Präsenz Sicherheit Äußere Sicherheit (Täterkontakte?) Soziale Sicherheit Sicherheitsgefühl in der therapeutischen Beziehung Bedingungen der Behandlungssituation (z.B. Sitzanordnung) Antizipation des Unsicherheitsgefühls der Patienten Kontrolle Kontrollbedürfnis der Patienten respektieren Einbezug der Patientin in therapeutische Entscheidungen Wahlmöglicheiten anbieten fortgesetztes Einholen des Einverständnisses der Patientin Zusammenhang zwischen Mentalisierungsfunktion und Emotionsregulierung Die Fähigkeit zur Mentalisierung ist in hohem Maße von der Qualität der Emotionsregulierung abhängig. emotionaler Dysregulation potenziell vieldeutige Verhaltensweisen anderer Menschen werden vorschnell im Sinne einer gegen die eigene Person gerichteten Schädigungsabsicht interpretiert Verstärkung des Bedrohungserleben bei eingeschränkter Mentalisierungsfunktion „Individuals with borderline personality disorder are normal mentalizers except in the context of attachment relationships.“ (Fonagy & Bateman 2007) Fonagy P, Bateman AW (2007). Mentalizing and borderline personality disorder. J Ment Health; 16(1): 83 – 101. Inverse Beziehung zwischen Mentalisierungsfunktion und Aktivierung des Bindungssystems Aktivierung des Bindungssystems hemmt die Mentalisierungsfähigkeit normaler Erwachsener (Bartels u . Zeki 2004, Mikulincer u. Shaver 2007). Sicher gebundene Personen: Mentalisierungsfunktion (präfrontale Aktivität) bleibt auch bei aktiviertem Bindungssystem erhalten Bei unsicher gebundenen wird die Mentalisierungsfunktion um so stärker deaktiviert, je mehr das Bindungssystem aktiviert ist. Borderline: Tendenz zur schnellen Aufnahme enttäuschend verlaufender Beziehungen Therapeutische Konsequenz: Deaktivierung des stark aktivierten Bindungssystem, um die Mentalisierungsfunktion zu stärken (Levy et al. 2011) Therapeutische Haltung Antiregressives Beziehungsangebot mit Stärkung der Eigenverantwortung der Pat. Vermittlung von Bindungssicherheit, jedoch möglichst geringe Aktivierung des Bindungssystems zur Erhaltung der Mentalisierungsfunktion möglichst geringe Aktivierung von Retter- oder Täterübertragungen ggf. aktives Ansprechen der Übertragungsmuster dadurch geringere emotionale Belastung der Therapeuten Unterstützende Techniken zur Reduktion des Bedrohungs- und Spannungserlebens Bilaterale Stimulationstechniken („Butterfly-Hug“) Klopftechniken der energetischen Psychologie Klopfroutinen mit Stimulation definierter Akupunktur-Punkte (Gallo; TFT nach Callahan etc.) Einteilung der Ressourcen nach Smith & Grawe (2003) interpersonale intrapsychische • z.B. wertschätzende Beziehungen • z.B. soziale Kompetenzen motivationale potenziale • Ziele zur • Erreichung von Grund-bedürfnissen • Kompetenzen zur Erreichung von Grundbedürfnissen Definition von Ressourcen nach Nestmann (1996) "Letztlich alles, was von einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation wertgeschätzt wird oder als hilfreich erlebt wird, kann als eine Ressource betrachtet werden.” Als Ressource kann alles genutzt werden, was einen positiven Körperstate hervorruft! Ressourcenaktivierung Aktivierung bisheriger Bewältigungsformen Aktives Herbeiführen von State-Wechseln im Sinne positiver emotionaler Zustände durch positive Aktivitäten Aktivierung positiver Erinnerungsbilder imaginative Techniken Regeln, Vereinbarungen, Verträge zum Schutz der Patientin, der Therapeutin und der Therapie vor destruktiven Persönlichkeitsanteilen Einbezug der Patienten bei der Erarbeitung von Vereinbarungen und Therapieverträgen („Schlupflöcher“) Edukation zu Persönlichkeitsstörungen ängstlich-vermeidende Persönlichkeitszüge als Übergeneralisierung einer ursprünglich sinnvollen Vermeidungshaltung erklären Anklammerungsneigung abhängiger Persönlichkeiten auf kindliche Verlassenheitsängste zurückführen Affektübertreibung und Dramatisierung histrionischer Persönlichkeiten als Versuch erklären, sich in der Not Gehör zu verschaffen paranoide Persönlichkeitszüge als übersteigerte Vorsicht erläutern Spaltungstendenz der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung mit der Notwendigkeit einer klaren Trennung zwischen »guten« und »schlechten« Beziehungsmustern erklären Der „verletzliche Punkt“: Edukation und Reparatur der Beziehung unvermittelt heftige emotionale Reaktion zeigen an, dass der „verletzliche Punkt getroffen wurde unerwartete Angriffe, plötzliches Weglaufen aus der Sitzung „Umkippen“ der Übertragung Aussetzen reifer Ich-Funktionen Edukation edukative Vorbereitung: kein „Gehen auf Eierschalen“ „Reparatur der Beziehung“: empathisches Annehmen des Nicht-Verstehens Nicht-Verstehen als Ausdruck persönlicher Begrenzung Persönlichkeitsspezifisches Stresserleben Alleingelassenwerden Autonomieeinschränkung Identitätsbedrohung Selbstwert- und Schamregulation Typische Gegenübertragungsmanifestationen bei traumatisierten und persönlichkeitsgestörten Patienten Mitgefühl, intensive Wut auf Täter Rettungsimpulse Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit Gefühle des Ungenügens oder der Inkompetenz sexuelle Wünsche und Handlungsimpulse Gefühl der Abneigung und des Abgestoßenseins keinen Glauben schenken und Schuld zuweisen Gefühl, manipuliert und kontrolliert zu werden Impuls, die Patientin meiden zu wollen Schuldgefühle Schamgefühle Quellen der Gegenübertragung Übertragungsangebot der Patienten aktualisiertes Bindungsverhalten der Patienten reale Aspekte der Beziehung zu den Patienten die Tatsache und Qualität der Traumatisierung eigene Übertragungen auf die Patienten Gegenübertragungsreaktionen im Täter-Opfer-Retter-Schema Patientin als Therapeutin als zu Rettende Retterin Opfer Täterin Täterin Opfer Retterin zu Rettende Gegenübertragungsreaktionen im Täter-Opfer-Retter-Schema Eine Therapeutin hat das Gefühl, ihre Patientin sei ein armes, hilfloses Wesen, das ohne ihre Hilfe zugrunde ginge. Sie verlängert die Sitzungen um das Doppelte, ohne dafür honoriert zu werden. Eine Therapeutin, die eine grenzüberschreitende Patientin aktiv begrenzen muss, fühlt sich schuldig, die Patientin dadurch zurückgewiesen und damit retraumatisiert zu haben. Ein Therapeut fühlt sich seiner Patientin ohnmächtig ausgeliefert und hat das Gefühl, dass die Patientin alle seine gut gemeinten Angebote entwertet und die Therapie zerstört. Eine Therapeutin gesteht einer Patientin ihre Gefühle von Unsicherheit und Inkompetenz ein und erreicht damit, dass die Patientin sie tröstet und aufbaut. Gegenübertragung Diagnostische Nutzung der Gegenübertragung Konkordante Gegenübertragung Einfühlung in die unerträglichen Affekte der Pat. Komplementäre Gegenübertragung Einfühlung in die negativen Affekte der Interaktionspartner Projektive Identifizierung: Unbewusste Emotionsregulierung zu Lasten der Interaktionspartner unerträgliche emotionale Zustände werden zur inneren Druckentlastung in Interaktionspartner „deponiert“ Interaktionspartner werden subtil so manipuliert, dass sie sich für die Projektionen eigener unerträglicher Emotionszustände eignen negative Emotionen unterschiedlichster Art in der Gegenübertragung (Ärger, Hilflosigkeit, Lähmung usw.) Gegenübertragungsgefühle Ein Therapeut fühlt sich in der Beziehung zu seinem traumatisierten Patienten ohnmächtig und hilflos. Er beginnt, an seiner Eignung als Psychotherapeut zu zweifeln, hält sich für einen schlechten Therapeuten. Angeregt durch eine Supervision, wird ihm deutlich, dass er solche Gefühle in Kontakt mit seinen anderen Patienten nicht kennt. Im Gegenteil, er kann mit seinem aktiven und zupackenden therapeutischen Stil auf viele Behandlungserfolge zurückblicken. Er fühlt sich deutlich besser, als ihm deutlich wird, dass diese Gefühle vom Patienten in ihn »deponiert« worden sind. Dies ermöglicht ihm eine Distanzierung von den Ohnmachtsgefühlen und verschafft ihm neue Möglichkeiten einer ressourcenorientierten Beziehungsgestaltung Therapeuten-Selbstfürsorge (1) Allgemeine psychohygienische Grundsätze beachten nicht zu viele schwer gestörte Patienten gleichzeitig behandeln ausreichende Pausen etc. Distanz zum Gegenübertragungsaffekt anstreben mit der Möglichkeit deponierter Patientenaffekte rechnen Verständnis eigener emotionaler Dysregulationen in der Gegenübertragung als Resultat projektiv-identifikatorischer Vorgänge des Pat. wirkt entlastend Therapeuten-Selbstfürsorge (2) Patientenbezogene Maßnahmen sich um genaueres Verständnis der Defizite und Regulierungsschwierigkeiten bemühen das Sicherheits- und Kontrollgefühl der Pat. erhöhen Übertragungsängste der Patienten klären liebenswerte Seiten der Patientin entdecken positive Zukunftsvision der Patientin entwickeln Therapeuten-Selbstfürsorge (3) Eigene Emotionsregulierung optimieren imaginative Distanzierungstechniken achtsam-beobachtende-mitfühlende Haltung einnehmen Selbstberuhigungstechniken, z.B. bilaterale Stimulationstechniken („Butterfly-Hug“) oder Klopftechniken der energetischen Psychologie zur Förderung der emotionalen Distanz Selektiv-authentische Mitteilung von Gegenübertragungsgefühlen Empathisch dosierte Mitteilung der eigenen Emotionen kann Vorteile bieten: Authentisch sein kann das Gefühl von Präsenz vermitteln Erleichtert Zugang zur differenzierten Wahrnehmung ihrer Gefühle Erlaubnis, ihrerseits Gefühle zu äußern. Keine Mitteilung eigener Gegenübertragungsgefühle zur Entlastung einer eigenen problematischen Gegenübertragung! Phase 2: Emotionsregulierung und Selbstfürsorge Borderline-Emotionen: Gefühl verzweifelten Alleingelassenseins Gefühl völliger Isolation und totalen Abgeschnitten-seins von der Welt katastrophaler Schmerz, oft verbunden mit dem Gefühl, nicht mehr zu existieren: Wiederkehr des schmerzvollen kindlichen Alleingelassen-seins Auslösung: vorübergehende Trennung oder ein nicht erwartetes Alleinsein, fehlendes Einverständnis wichtiger Bezugspersonen Borderline-Emotionen: Ärger und Wut Häufig bei BPS, nicht immer offen geäußert meist keine Selbstwahrnehmung für das Dominante und Machtvolle des eigenen Verhaltens Auslöser: Gefühl der Vernachlässigung oder des Verlassenwerdens durch nahestehende Person Ärger und Wut als Abwehr einer unerträglicheren Angst, z.B. vor dem Verlassenwerden oder vor dem Verlust der Selbstachtung. Borderline-Emotionen: Gefühle der Leere schmerzhaft empfundenes Gefühl eines Mangels (Klonsky 2008) oft als Betäubtheit oder als Unfähigkeit zu fühlen meist in Verbindung mit Gefühlen der Einsamkeit und Isolierung, aber der Entfremdung und Hoffnungslosigkeit oft im Vorfeld von Suizidimpulsen (Schnyder et al. 1999). verzweifelte Versuche, die Leere zu füllen Borderline-Emotionen: Erleben inneren Schmerzes Erfahrung von intensivem innerem Schmerz (Zanarini & Frankenburg, 2007, Zittel et al. 2005). assoziiert mit extremer Trauer, ängstlichem Ersticken, Gefühlen der Fragmentierung und Identitätslosigkeit, des Kontrollverlusts, der Destruktivität/Selbstdestruktivität und des Opferseins Vergleich mit einer Verbrennung dritten Grades : „keine emotionale Haut, Schmerz bei leichtester Berührung“ (Linehan 1993) Selbstwahrnehmung fördern Kein unmittelbares Handeln, sondern durch Selbstexploration des gegenwärtigen Erlebens erkennen, dass das aktuelle Erleben nicht die Gegenwart widerspiegelt, sondern einem früheren Zustand zuzuordnen ist „Sortieren“ des Affekts: Anteile der Gegenwart vs. Anteile der Vergangenheit Ich-Funktionsdefizite Eingeschränkte Fähigkeit zu ... Impulskontrolle Kognitive Funktionen, u.a. Mentalisierung Objektkonstanz Erzeugung kohärenter Narrative Lösung interpersoneller Konflikte Inanspruchnahme von Hilfe Abgrenzung von schädigenden Interaktionen Artikulation eigener Bedürfnisse Motivation zu konstanter Arbeit Allgemeines zu Ich-Funktionsdefiziten Kompetenzen wurden in einem beziehungstraumatischen Umfeld nicht ausreichend erlernt Kompetenzen sind andauernd oder vorübergehend situations- und kontextabhängig nicht verfügbar als Folge eines allgemein verminderten Kompetenzgefühls als Folge einer Blockade durch verinnerlichte Verbote Aufbau spezifischer Ich-Funktionen mit Hilfe ressourcenaktivierender Techniken Wie hoch ist die subjektive Belastung durch den aktuellen Stressor? (SUD 1-10). Welche Fähigkeit/Kompetenz brauchen Sie zur Bewältigung des aktuellen Stressors? Wann in Ihrem Leben stand Ihnen diese Kompetenz einmal zur Verfügung? Erinnern Sie diese Situation möglichst lebendig. Spüren Sie auch das zugehörige positive Körpergefühl. Verankerung der Ressourcenerinnerung und des positiven Körpergefühls mittels Stimulationstechniken Wie hoch ist die subjektive Stressbelastung jetzt? Förderung der Affektwahrnehmung und Affektdifferenzierung Differenzierung von Vergangenheits- und Gegenwartsanteilen undifferenzierter Affektzustände Imaginatives „Wegpacken“ der Vergangenheitsanteile Emotionsregulierung: Pendeltechnik Ausgiebige Aktivierung von Ressourcen-States Positives Erinnerungsbild oder Imagination Positives Körpergefühl im Wechsel mit ultrakurzer Aktivierung des negativ-emotionalen Trauma-States Ggf. in Verbindung mit Distanzierungstechniken (Fine u. Berkowitz 2001; Levine 1998; Reddemann et al. 2011, Knipe 2011) Emotionsregulierung: Pendeltechnik Verankerung der Ressourcen-States mit bilateraler Stimulation: 5-6 langsame Augenbewegungen/Tappings Langsame Steigerung der Expositionszeit negativer States Fine u. Berkowitz 2001; Levine 1998; Reddemann et al. 2011; Knipe 2011: CIPOS (Constant Installation of of Present Orientation and Safety)