Die rumänische Volkswirtschaft: Herausforderungen und politische

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Liviu Voinea:
„Die rumänische Volkswirtschaft: Herausforderungen
und politische Optionen“
Working Paper für die Studie
„Die Zukunft des Europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells“
Die rumänische Volkswirtschaft: Herausforderungen und politische
Optionen
von Liviu Voinea1
I. Der makroökonomische Kontext
Rumänien hat in den letzten fünf bis sechs Jahren große Fortschritte gemacht und einen Wandel
von einem faktorgesteuerten Markt (basierend auf natürlichen Ressourcen und billigen Arbeitskräften) zu einem kapitalgesteuerten Markt vollzogen. Die hohe Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes, der steigende Anteil an Anlageinvestitionen sowie große Zuflüsse ausländischer Direktinvestitionen deuten auf eine aufholende Wirtschaft.
Tabelle 1: Rumänien – Makroökonomische Schlüsselindikatoren
2004
2005
2006
2007
2008f
Reales BIP Wachstum (%)
8,4
4,1
7,7
6,0
5,2
Inflationsrate – Dezember/Dezember,
9,3
8,7
4,9
6,7
5,5
Leistungsbilanzdefizit (% des BIP)
-8,5
-8,7
-10,3
-14,1
-14,5
Handelsbilanz (% des BIP)
-8,9
-9,9
-12,5
-15,9
-16,5
Konsolid. Haushaltsdefizit (% des BIP)
-1,2
-1,7
-1,9
-2,6
-3,2
Staatsschulden (% des BIP)
22,4
18,9
20,3
21,7
23,1
(%)
f
– Prognosen des Autors
Quelle: NSI Autor
1
Liviu Voinea ist Professor an der Academy of Economic Studies in Bukarest.
2
Schaubild 1: Rumänien - Inflationsrate und Wechselkurs 2005 bis 1.Quartal 2008
4,00
12
3,90
10
3,80
3,70
8
3,60
3,50
6
RON/Euro (left scale)
Inflation y/o/y (right scale)
3,40
4
3,30
3,20
2
3,10
0
jan.05
feb.05
mar.05
apr.05
mai.05
iun.05
iul.05
aug.05
sep.05
oct.05
nov.05
dec.05
jan.06
feb.06
mar.06
apr.06
mai.06
iun.06
iul.06
aug.06
sep.06
oct.06
nov.06
dec.06
jan07
feb.07
mar.07
apr.07
mai.07
iun.07
iul.07
aug.07
sep.07
oct.07
nov.07
dec.07
jan.08
feb.08
3,00
Quelle: NBR, NIS, GEA
Die Entwicklung schreitet jedoch sehr ungleichmäßig voran, wobei viele Schwachstellen auftreten
und es zu einer realen Konvergenz noch ein weiter Weg ist. Das Wirtschaftswachstum wird angetrieben durch den Verbrauch privater Haushalte. Dieser basiert auf steigenden Löhnen (welche die
Produktivitätszunahme übertreffen) und einem Kredit-Boom. Die im Jahre 2005 eingeführte Flat
Tax goss zusätzlich Öl ins Feuer und stimuliert in einer ohnehin überhitzten Wirtschaft den Konsum noch weiter.
Dies sorgt im Gegenzug für eine höhere Importnachfrage. Das Leistungsbilanzdefizit hat sich indessen von 5 Prozent des BIP im Jahr 2002 auf 14,2 Prozent des BIP im Jahr 2007 vergrößert. Diese
Rate hätte bei 20 Prozent des BIP gelegen, wenn es nicht in großem Ausmaß Überweisungen rumänischer Arbeitnehmer im Ausland gegeben hätte. Das Leistungsbilanzdefizit wird derzeit verstärkt durch die Verschuldung privater Haushalte getragen, die sich in den letzten Jahren verdreifacht hat. Mehr als 40 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen sind konzerninterne Anleihen, die zu einer noch höheren Verschuldung führen. Die meisten ausländischen Direktinvestitionen der letzten Jahre waren im Einzelhandel, bei den Immobilien sowie im Bankwesen zu verzeichnen. Das sind Sektoren, die den Konsum ankurbeln. Die Sparrate betrug im Jahr 2007 nur 13 Prozent
des BIP (im Vergleich zu 2005 mit 15 Prozent weiterhin abnehmend), was die Hälfte des EUDurchschnitts ausmacht.
Die makroökonomische Politik ist ein einziges Chaos. Die Nationalbank versucht, mit einer restriktiven Geldpolitik die Inflation zu beeinflussen, während die Regierung sehr freizügig mit dem
Haushaltsdefizit umgeht. Es besteht eine außerordentliche Widersprüchlichkeit zwischen einer
3
liberalen Finanzpolitik und einer sehr linkslastigen Ausgabenpolitik. Die staatliche Rente wurde
erheblich erhöht, wobei gleichzeitig die Einzahlungen in die Rentenkasse erheblich abnehmen werden, da viele Arbeitnehmer in das vorgeschriebene neue private Rentensystem umsteigen. Nach der
Einführung der Flat Tax, hat sich die Verschuldung des öffentlichen Haushalts verdoppelt, wobei
die erwarteten Erträge nie eingefahren werden konnten. Im Jahr 2007 beispielsweise basierte der
Haushalt auf Einnahmen in Höhe von 36,5 Prozent des BIP; tatsächlich beliefen sich die Einnahmen
nur auf knapp 32 Prozent des BIP. Die Prognose von 39,3 Prozent des BIP erscheint sehr unrealistisch; angesichts heftiger Ausgaben, geschätzt auf 42 Prozent des BIP, ist es sehr wahrscheinlich,
dass die Drei-Prozent-Grenze für die öffentliche Verschuldung überschritten wird. Aufgrund häufiger Revisionen des Haushalts (fünfmal im Jahr 2006 und dreimal 2007) kommen Bedenken auf,
dass langfristige wachstumsfördernde Ausgaben durch kurzfristige konsumfördernde Ausgaben
ersetzt werden. Da Rumänien bisher noch keine mehrjährige Haushaltsplanung eingeführt hat, ist
es möglich, die Aufstellung des Haushalts mehrmals jährlich zu erneuern.
Diese Probleme konnten während des ersten Jahres der EU-Mitgliedschaft nicht gelöst werden.
Wenn man die Geldmittel der Heranführungsstrategie abzieht, dann gehört Rumänien im Jahr 2007
zu den Netto-Einzahlern in den EU-Haushalt. Noch besorgniserregender erscheint, dass Rumänien
jenen Orientierungssinn verloren hat, der vor der Mitgliedschaft maßgeblich zu den Reformen beitrug. Die lokale Beteiligung an den Reformen ist sehr begrenzt, und eine klare post accession stra-
tegy für die Zeit nach dem Beitritt ist noch immer nicht vorhanden.2
Trotz eines steilen Abfalls im Jahr 2006 und in der ersten Hälfte 2007 stieg die Inflationsrate im
Februar 2008 auf das Jahr umgerechnet wieder auf 8 Prozent. Die andauernde Inflation ist auf unbewältigte strukturelle Missverhältnisse zurückzuführen:
• Obwohl das Land eine der größten Anbauflächen der EU hat, ist es Nettoimporteur von
Nahrungsmitteln.
• Die Energieintensität beträgt das Sechsfache des EU-Durchschnitts, wobei die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten steigt.
• Die Förderung des Wettbewerbs funktioniert nur begrenzt, was zu höheren Preisen für
die meisten Güter und Dienstleistungen führt.
2 Liviu Voinea, Personal view: Sense of direction still lacking after EU accession, in: Financial Times vom
6.03.08.
4
• Des Weiteren übertrifft die jährliche Wachstumsrate der Nettolöhne die Inflationsrate bei
weitem (2007 um 20 Prozentpunkte), was sich schwer untermauern lässt, selbst wenn man
die Produktivitätssteigerung mit einkalkuliert.
Die wieder ansteigende Inflation ist somit eine andauernde Gefährdung für die rumänische Wirtschaft. Vor dem Beitritt in die Euro-Zone ist die Inflation das größte zu bewältigende Problem;
bisher erfüllt Rumänien drei der fünf Maastrichter Kriterien und hat sich das Jahr 2014 als Zielzeitpunkt für den Beitritt in die Euro-Zone gesetzt. Die größte Herausforderung stellt die Widersprüchlichkeit zwischen den hohen inflationären Auswirkungen der steigenden öffentlichen Ausgaben
und der Notwendigkeit des Abbaus der Inflation dar.
Als freie Marktwirtschaft kann auch Rumänien nicht der aktuellen internationalen Finanzkrise entfliehen. Diese war der Auslöser für eine Entwertung der Währung um 24 Prozent zwischen Juli 2007
und Januar 2008 war. Auf der positiven Seite führte dies jedoch dazu, dass sich der RONWechselkurs an ökonomische Leitwerte annäherte. Die Abwertung könnte zum Ausgleich der Zahlungsbilanz führen – eine Option, die beispielsweise für Bulgarien nicht in Frage kommt –, obwohl
die schwache gesamtwirtschaftliche Nachfrage in der Euro-Zone den Umfang einer Korrektur einschränken dürfte. Andererseits könnten die steigenden Kreditkosten und die negativen Auswirkungen der Währungsentwertung auf die Löhne, den Konsum der privaten Haushalte einschränken
und das Wirtschaftswachstum abbremsen.
II. Die Wettbewerbsdynamik
Eine wichtige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes ist die Anziehungskraft für
ausländische Direktinvestitionen – besonders im Falle einer postkommunistischen Wirtschaft in
der es ohnehin an Kapital mangelt.
Rumänien wurde mit den besseren Aussichten auf eine EU-Mitgliedschaft ein zunehmend anziehendes Ziel für ausländische Direktinvestitionen (FDI), was sich später bestätigen sollte. Während
der Bestand an ausländischen Direktinvestitionen zwischen 1990 und 1996 insgesamt eine Milliarde
Euro betrug, stieg der jährliche Durchschnitt an ausländischen Direktinvestitionen zwischen 1997
und 2002 auf eine Milliarde Euro und nahm dann ab 2003 weiter deutlich zu.3 Der hohe Wert für
3
Die Gründe hierfür sind zum Teil statistischer Art, da erst ab 2003 reinvestierte Gewinne in die Berechnung der ausländischen Direktinvestitionen einbezogen wurden.
5
2006 lässt sich durch eine extensive Privatisierung der Rumänischen Handelsbank erklären (etwa
30 Prozent des jährlichen FDI-Zuflusses).
Schaubild 2: Rumänien – Jährliche FDI-Zuflüsse in Milliarden Euro
10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
1997-2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008f
Quelle: NBR, Autor
Die ausländische Eigentümerschaft beläuft sich auf circa 90 Prozent der Vermögenswerte im Bankensystem, 100 Prozent der mobilen Telekommunikationsdienstleistungen, sowie mehr als 80
Prozent des Umsatzes der Fertigungsindustrie. Studien4 haben eine positive Wechselwirkung zwischen ausländischer Eigentümerschaft und Produktivitätszuwachs nachgewiesen.
Trotz der steigenden Anziehungskraft für ausländische Direktinvestitionen, kam es bis jetzt noch
nicht zu einer eindeutigen Stärkung der rumänischen Wettbewerbsfähigkeit. Das Handelsbilanzdefizit - letztlich der ultimative Indikator für Wettbewerbsfähigkeit - ist seit 2000 jährlich angewachsen. Der Export von High-Tech-Produkten und Dienstleistungen macht noch immer nur einen
Bruchteil der rumänischen Exporte aus (4 Prozent im Jahr 2006 verglichen mit 3 Prozent im Jahr
1995). Ausländische Privatschulden, die sich meist kurzfristig und für ausländische Direktinvestitionen bilden, haben sich in drei Jahren mehr als verdreifacht (2005-2007), und machen nun fast die
Hälfte der gesamten Auslandsverschuldung aus.
Eine mögliche Erklärung dafür sind die in Rumänien operierenden großen Konzerne, die im Vergleich zur rumänischen Wirtschaft nahezu als alleinige Profiteure dastehen. Sie zahlen kaum Ertragssteuern (entweder fallweise bei Steueranreizen oder aufgrund von Transferpreisen) und sehr
geringe Löhne an die Fabrikarbeiter. Die Wettbewerbsprobleme in Rumänien sind beträchtlich,
speziell im Fall der Post-Privatisierung, die große Auswirkungen auf die Konsumenten hat, welche
4 Liviu Voinea, As Good As It Gets? FDI Dynamics and Impact in Romania, in: Foreign Direct Investment
Policies in South-East Europe, Greenwich 2006.
6
nun höhere Preise zahlen müssen. Der Privatisierungsprozess war sehr kontrovers; anekdotische
Belege zeigen, dass von 8.000 Staatsunternehmen mehr als 3.600 privatisiert wurden, wobei mehr
als die Hälfte der Vorgänge vor Gericht musste, da eine der Parteien den korrekten Verlauf des Prozesses in Frage stellte. Die häufigste Form der Privatisierung waren direkte Verhandlungen, wobei
der Käufer sich grundsätzlich von marktwirtschaftlichen Anreizen leiten ließ. Die umstrittenste
Privatisierung, war die des staatlichen Öl- und Gasproduzenten Petrom im Jahr 2004; der von OMV
für die Mehrheitsanteile bezahlte Preis entsprach dem Jahresumsatz von Petrom (nach der Privatisierung), wobei der rumänische Staat den Zugang zu den Rohstoffen verlor.
In vielen Fällen lagen die Kosten der Privatisierung niedriger als der Grundstückswert des privatisierten Unternehmens. Die Praxis der Einsetzung eines Ausschusses für jede Privatisierung machte
aus dem ganzen Prozess ein Chaos. Viele der Privatisierungen konnte man eigentlich noch nicht
einmal wirklich als solche bezeichnen, da oft lediglich ein Staatsunternehmen in ein anderes verwandelt wurde: OTE (Telekommunikation), Gas de France (Energieversorger), OMV und viele weitere
ausländische Käufer sind tatsächlich Staatsbetriebe.
Zugleich aber sollte man der Ehrlichkeit halber anerkennen, dass einige große Privatisierungen
erfolgreich waren, vor allem Renault-Dacia oder Sidex-Mittal Steel (2001). Doch auch bei den großen Fällen wurde staatliche Unterstützung geleistet, wobei die starke Dynamik dieser Unternehmen sich positiv auswirkte und sie die führenden Exporteure des Landes wurden. Der Grund dafür
waren die multinationalen Konzerne, welche die erworbenen Betriebe in ihr globales Produktionsund Absatznetzwerk mit einbanden.
Multinationale Unternehmen wie Nokia oder Ford haben jüngst ihre Produktionsanlagen vor Ort in
Betrieb genommen. Gerüchte verbreiten sich, dass weitere Unternehmen, besonders aus der Automobilindustrie, in Rumänien Ähnliches starten wollen. Das Land ist mittlerweile zu einem Knotenpunkt für Automobilhersteller und Zulieferer von Automobilteilen geworden. Rumänien hatte
jedoch auch eine traditionelle Industrie, welche es aufrecht erhalten konnte, nämlich die des
Schiffbaus und die der Flugzeugkomponenten.
Jedoch kamen oder kommen viele der ausländischen Unternehmen nur aufgrund der niedrigen
Arbeitskosten. Dies aber ist meines Erachtens ein Vorteil, der verklingen wird (siehe dazu als Beleg
den Anstieg der Arbeitskosten in den vergangenen Jahren im folgenden Kapitel III.). Ein neuerlicher
Streik bei Renault-Dacia hat dieses Problem verstärkt. Rumänien wird mittelfristig kein Gegenstück
zu China als Billiglohnland innerhalb der EU bleiben. Die rumänische Wettbewerbsfähigkeit befindet sich im Wandel, da die Wirtschaft als ganzes sich von einem Faktormarkt zu einem Kapitalmarkt wandelt; die EU-Mitgliedschaft könnte in dieser Situation als Sicherheitsnetz wirken. Zwar
7
mag die Arbeit außerhalb der EU billiger sein, doch dies ist oftmals verbunden mit institutionellen
und politischen Risiken sowie organisiertem Verbrechen – genau dies will man in Rumänien mithilfe des EU-Sicherheitsnetzes ausschließen). Letztlich sollte sich Rumänien in Richtung einer innovationsgetriebenen Wirtschaft bewegen, was jedoch ein langwieriger Prozess ist, da noch immer
signifikante strukturelle Missverhältnisse bestehen. An dieser Stelle wäre es äußerst sinnvoll, auch
einmal einen Blick auf das nationale Innovationssystem zu werfen.
Investitionen in Bildung und Forschung wären ein Faktor, der Rumänien dazu verhelfen könnte,
zum EU-Durchschnitt aufzuschließen. Einerseits können Investitionen in Bildung und Forschung zu
einem höheren Wert der rumänischen Produkte und Dienstleistungen führen, und demzufolge das
Handelsdefizit verringern. Andererseits kann der Zugang zu Bildung und Wissen das Spar- und
Investitionsverhalten stimulieren sowie die Mobilität der rumänischen Arbeitnehmer steigern.
Folglich hat Rumänien die Ausgaben für Forschung und Entwicklung von 0,2 Prozent des BIP Anfang dieses Jahrzehnts auf 0,7 Prozent im Jahr 2007 erhöht: Von Seiten aller politischer Parteien
wurde einem Pakt zugestimmt, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (entsprechend der
Lissabonner Ziele) auf 1,0 Prozent zu erhöhen; ebenso soll im Jahr 2008 das öffentliche Budget für
Bildung 6 Prozent des BIP ausmachen.
Allerdings genügen öffentliche Ausgaben allein nicht, um eine adäquate Förderung von Forschung,
Entwicklung und Innovation zu gewährleisten. Mindestens genauso wichtig ist die Frage, wofür
das Geld ausgegeben wird. Wie die Autoren mehrerer anderer Studien5 vertrete ich die Auffassung,
dass es bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Rumänien maßgeblich an Effektivität
und Effizienz mangelt:
• Erstens schafft man es nicht, mithilfe der öffentlichen Ausgaben private Ausgaben anzukurbeln; ein Diffusionseffekt bleibt leider aus. Somit stagnieren die privaten Ausgaben für
Forschung und Entwicklung bei etwa 0,2 Prozent des BIP, während die öffentlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung um das Fünffache gestiegen sind. Dies zeigt, dass die
Bereitstellung von öffentlichen Mitteln eine Aufwendung privater Mittel nicht stimuliert.
• Zweitens wird mehr Geld für Grundlagenforschung ausgegeben als für angewandte Forschung. Die Forschung in der Industrie ist auf die anteilige öffentliche Beteiligung an Forschung und Entwicklung reduziert worden. Diese Situation ist für eine Kooperation zwischen Hochschulen und Industrie nicht besonders förderlich.
5 Liviu Voinea et al, Performance in the context of the Lisbon Agenda: success stories, institutional design,
European Institute of Romania, Impact Study III-4., 2006.
8
• Drittens ist das nationale Innovationssystem sehr ineffizient gestaltet. An dieser Stelle
lassen sich diverse Probleme erkennen: Die ungewisse Rolle und dürftige Effizienz der nationalen Forschungseinrichtungen; die schwache Verknüpfung von Industrie und Hochschulen; Überschneidungen bei den Aufgaben und Kompetenzen, der in das nationale Innovationssystem einbezogenen Behörden und Ministerien; das Fehlen von staatlich mitfinanzierten Venturekapitalfonds für innovative kleine und mittelständische Unternehmen;
der Mangel an ex-post Evaluierungen der finanzierten Programme sowie das Fehlen von
Wirkungsanalysen.
Ein weiterer Aspekt einer langfristigen Wettbewerbsfähigkeit der rumänischen Wirtschaft betrifft
die Integration und Anwendung der EU-Strukturgelder. Für die Strukturmittel gibt es operationelle
Programme zugunsten von Wettbewerbsfähigkeit, Infrastruktur und Verkehr, Umwelt, Arbeitskräften und regionaler Entwicklung. Die EU wird bis 2013 circa 19 Milliarden Euro in diese Bereiche stecken. Dies mag zwar als sehr viel für die rumänische Wirtschaft erscheinen, ist jedoch ein wesentlich kleinerer Betrag als jener, der für Ungarn oder die Tschechische Republik ausgegeben wurde
(beides Länder mit einer viel niedrigeren Bevölkerungszahl). In diesem Kontext hat die Revision der
Finanzplanung für 2014 bis 2020 höchste Priorität. Besonders Rumänien wäre von einem Einschnitt
der Agrarsubventionen betroffen, da ein Drittel aller europäischen Landwirte in Rumänien leben.
III. Der Arbeitsmarkt
Trotz des hohen Wirtschaftswachstums der vergangenen Jahre steht die Beschäftigungsquote in
Rumänien quasi still (64,6 Prozent bei den Männern, 53 Prozent bei den Frauen, 58 Prozent im
Durchschnitt). Das erscheint im Hinblick auf die Lissabonner Ziele, den Durchschnitt der EU 27 oder
auch die erfolgreichsten der neuen Mitgliedstaaten wie beispielsweise Polen, die Slowakei und die
Tschechische Republik eher bescheiden. Die Gründe dafür sind die schleppenden Reformen im öffentlichen Sektor, die noch immer hohen Sozialabgaben, die Rigidität der Arbeitsschutzgesetzgebung, und vor allem die umfangreiche Abwanderung.
Indikatoren deuten darauf, dass einige Arbeitnehmergruppen unter einer besonders niedrigen Erwerbsquote leiden. Hierzu gehören (außerhalb der Landwirtschaft) vor allem ältere, jüngere und
weibliche Arbeitnehmer. Deren Beschäftigungsquoten liegen signifikant unter den Vorgaben der
Lissabonner Ziele. Die Beschäftigungsquote der Frauen beispielsweise, belief sich 2007 auf 53 Prozent und lag somit fast 10 Prozent unter der Quote der Männer (64 Prozent). Die Arbeitslosenrate
der älteren Arbeiter schwankt bei etwa 40 Prozent, weit unter den Lissabonner Zielen.
9
Man sollte bei der Auswertung der Arbeitslosenrate der Frauen und älteren Arbeiter jedoch sehr
vorsichtig sein. Erstens sind die beiden Raten seit Beginn des Wandels stark gesunken, bevor sie
sich bei den aktuellen Werten stabilisiert haben. Rumänien hatte anders als die meisten EUMitgliedstaaten bei den Frauen eine sehr hohe Erwerbsquote. Der Rückgang der Beschäftigung war
zum größten Teil unfreiwillig, und ging einher mit dem Rückgang von Produktion und Beschäftigungsmöglichkeiten nach dem Ende des Sozialismus, mit der gleichzeitigen massiven Verschlechterung des Lebensstandards sowie dem Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit. Demzufolge gibt es
einen Anteil an arbeitslosen Frauen, der bei besseren Arbeitsmarktbedingungen wieder in den Arbeitsmarkt zurückkehren kann. Für die Arbeitsmarktentwicklung bedeuten Frauen, die aus dem
Berufsleben ausscheidende Männer ersetzen, eine „stille Reserve” (added worker effect). Gleichzeitig ist der Anteil der Frauen und der älteren Arbeiter in der Landwirtschaft sogar größer als jener der
Männer. Der Zusammenhang zwischen einem Rückgang der landwirtschaftlichen Beschäftigungsquote und dem gleichzeitigen Rückgang der Beschäftigungsquote von Frauen und älteren Arbeitern kann somit kein Zufall sein. Dies suggeriert, dass die Arbeitslosenzahlen dieser beiden Arbeitnehmerkategorien noch viel größere Missverhältnisse bergen, als man bei erster Betrachtung annehmen könnte.
Einen bedeutenden Anteil an der gestiegenen Beschäftigung in Europa haben die gelockerten Arbeitsmarktregulierungen der neunziger Jahre, also die Förderung von Teilzeitarbeit und befristeter
Beschäftigung. Das Beschäftigungswachstum in der EU lässt sich in zwei Kategorien einteilen. Im
Falle Rumäniens haben die 2003 im Arbeitsgesetzbuch vorgenommenen Neuerungen zur Teilzeitbeschäftigung scheinbar zu positiven Ergebnissen geführt. Gegenwärtig liegt die Teilzeitbeschäftigung bei rund 10 Prozent; das ist eine der höchsten Raten in Mittel- und Osteuropa nach Litauen
und Polen, die aber immer noch weit unter dem Durchschnitt der EU 27 und der leistungsstärksten
europäischen Länder liegt. Besonders erfreulich ist die Tatsache, dass der Anteil von 15- bis 25Jährigen unter den Teilzeitbeschäftigten mit 15 Prozent der Gesamtbeschäftigungsrate für diese
Kategorie eindeutig höher ausfällt als bei anderen Gruppen, denn diese Gruppe weist im Übrigen
eine besonders geringe Erwerbsquote und besonders hohe Arbeitslosigkeit auf.
Ein zunehmend offensichtliches Phänomen in Rumänien wie auch in den anderen neuen Beitrittsstaaten ist das gleichzeitige Auftreten eines Mangels an Arbeitskräften und Fähigkeiten in einigen
Bereichen und ein Überangebot von Arbeitskräften in anderen Bereichen der Wirtschaft.6 Während
die Erwerbsquote im europäischen Vergleich niedrig ist und zudem nur sehr langsam steigt, nahm
die Nachfrage nach Arbeit in den vergangenen Jahren erheblich zu. Dies führte in einigen Segmen6 Liviu Voinea, 5th GEA Report on Romania and the Lisbon agenda, Group of applied economics (GEA), Bucharest November 2007. Abrufbar unter: www.gea.org.ro/documente/en/lisabona/lisabona2007.pdf
10
ten des Arbeitsmarktes zu einem erheblichen Fachkräftemangel und verschlimmerte ökonomische
Missverhältnisse, indem Gehälter über die Produktivitätsgewinne hinaus anstiegen, was wiederum
die Wettbewerbsfähigkeit einschränkte und den Inflationsdruck erhöhte. Es gibt zwar keinen systematischen Nachweis über den Ausmaß des Arbeitskräftemangels, doch Studien aus bestimmten
Bereichen des Arbeitsmarktes und vereinzelte Daten deuten darauf hin, dass eine beträchtliche
Nachfrage sowohl nach Fachkräften als auch nach ungelernten Arbeitskräften besteht. Dieser
Missstand betrifft die Bauwirtschaft, die verarbeitende Industrie, die Kommunikationsbranche
sowie Dienstleistungsbetriebe vom Einzelhandel bis hin zu den öffentlichen Dienstleistungen auch
aus dem Gesundheits- und Bildungssektor. Diese Situation ist deshalb durchaus paradox, weil Rumänien trotz der großen Migrationsströme eigentlich nicht unter einem Fachkräftemangel leiden
dürfte. Schließlich liegt die Erwerbsquote insbesondere junger Leute sehr niedrig. Auch die Arbeitslosigkeit auf dem Land ist sehr hoch. Es bleibt also die Frage, warum die Arbeitskraftpotenziale der
ländlichen Regionen (rund 45 Prozent der Bevölkerung) sowie der Arbeitslosen aus kleinen städtischen und monoindustriellen Zentren (mit Arbeitslosigkeitsquoten teilweise im zweistelligen Bereich) bislang nicht genutzt werden konnten. Hierfür sind verschiedene Erklärungen denkbar:
• Zum einen ist ein substanzielles Missverhältnis von frei verfügbaren ausgebildeten Arbeitskräften, die in Folge von Unternehmensumstrukturierungen arbeitslos geworden
sind, und den Veränderungen im Bedarf an Arbeitskräften zu erkennen. Einfach ausgedrückt: Die großen Scharen an Arbeitern, die ihren Arbeitsplatz während der Transformation in den schwindenden Industriebereichen verloren haben, wurden nicht von den wachsenden Segmenten des Arbeitsmarktes aufgenommen, sondern – meist längerfristig – in
die Arbeitslosigkeit oder in die Landwirtschaft abgeschoben. Dieser Verlust an Arbeitsplätzen, vorrangig in den Schwerindustrien, fiel in Rumänien besonders schwer ins Gewicht, da
dieses Segment in Rumänien im Verhältnis zur Größe der Erwerbsbevölkerung unter allen
ehemaligen Ostblockstaaten am größten war.
• Ein zweiter Ansatz zieht die Bedeutung von Bildung für die Erklärung des Arbeitskräftebedarfs am Arbeitsmarkt hinzu. Umfragen unter Erwerbsfähigen weisen darauf hin, dass
es unter Absolventen aller Abschlussarten einen nicht zu vernachlässigenden Übergang direkt in die Arbeitslosigkeit gibt. Es ist demzufolge anzunehmen, dass es bestimmte Lehrpläne versäumen, den Studenten das richtige Maß an allgemeinen und speziellen Fähigkeiten zu vermitteln, damit sie sich für zukünftige Arbeitgeber eignen. Zudem scheint die
sehr geringe Zahl an Studenten in der tertiären Ausbildung aus ländlichen Gebieten darauf
hinzuweisen, dass bestimmte Hindernisse den Bildungszugang erschweren, was sich letztlich auch im Arbeitsmarkt widerspiegelt.
11
• Ein dritter Ansatz erklärt die Missverhältnisse mit der geringen internen Mobilität von
Arbeitskräften. Dies gilt besonders für das Verhältnis zwischen ländlichen Regionen, wo es
einen Überschuss an Arbeitskräften gibt, und städtischen Zentren, wo das Wirtschaftswachstum einen Arbeitskräftebedarf schafft. Der komplexe Wandel, den Rumänien durchgemacht hat, hatte beträchtliche Migrationsströme von den schwindenden städtischen
Großindustrien in die Landwirtschaft und die ländlichen Regionen zur Folge, während der
umgekehrte Migrationsstrom vom Land in die Stadt bislang nur wenig ausgeprägt ist. Dies
ist teilweise mit der hohen Migration ins Ausland zu erklären, da Landflüchtige wirtschaftlich größeren Erfolg in den alten EU-Ländern als in den Städten ihres eigenen Landes finden können. Der existierende Zufluss von Arbeitskräften vom Land in die Stadt ist scheinbar nicht ausreichend, um den Bedarf in den Städten zu decken. Auch kulturelle Faktoren
spielen hier eine Rolle, da Menschen traditionell nicht immer dorthin ziehen, wo Arbeit zu
finden ist; ein typisches Merkmal für einen großen Teil Europas.
Tabelle 3: Freie Stellen in Prozent, Unternehmen mit mehr als 10 Angestellten
3.5
1Q 05
1Q 06
1Q 07
3.0
2.5
2.0
1.5
1.0
0.5
0.0
CZ
EE
HU
LV
LT
PL
SK
SI
BG
RO
Quelle: World Bank, Eurostat
Die Abwanderung vertieft die existierenden und weiter anwachsenden Engpässe auf dem Arbeitsmarkt. Ungefähr 2 Millionen Rumänen arbeiten im Ausland, von wo aus sie im Jahr 2007 über 6
Milliarden Euro an Geldrücküberweisungen (ungefähr 6 Prozent des BIP) nach Rumänien schickten.
Rumänische Arbeiter arbeiten besonders in Ländern mit Arbeitskräftemangel und strengen Arbeitsmarktregulierungen wie Spanien und Italien. Auch kulturelle Nähe zu den anderen romanischen Ländern spielt eine anziehende Rolle für Migranten aus Rumänien. Auch nach dem EUBeitritt Rumäniens ist Auswanderung kein zu vernachlässigender Umstand für den Arbeitsmarkt.
88 Prozent aller jungen Rumänen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren ziehen es einer WeltbankStudie (2007) zufolge in Betracht, im Falle vorteilhafter Verdienstmöglichkeiten ins Ausland zu
12
gehen.7 Allerdings gibt nur ein Fünftel von ihnen an, Rumänien für immer verlassen zu wollen. Da
die Kosten einer alternativen Migration in die städtischen Zentren Rumäniens, wo die meisten
Arbeitsplätze entstehen sollen, relativ hoch sind, ist Abwanderung für die ungelernten Arbeitskräfte immer noch die attraktivere Lösung.
Mit einer Arbeitslosenrate von 7 bis 8 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung ist die rumänische
Arbeitslosigkeit im europäischen Vergleich nicht besonders hoch. Sie liegt damit etwas unter dem
Durchschnitt der EU 27. Mit durchschnittlich 4 Prozent ist die offizielle Arbeitslosigkeit, das heißt
die Zahl der Bezieher von Arbeitslosengeld, noch niedriger. In den Wachstumszentren ist die Rate
sogar noch geringer. Männer sind von Arbeitslosigkeit stärker betroffen als Frauen (ihre Rate ist
zwei Prozentpunkte höher als die der Frauen), was mit dem Niedergang der männlich dominierten
Schwerindustrie in Rumänien zu erklären ist. Die Arbeitslosigkeit unter den Frauen nimmt seit
2004 konstant ab und erreicht 2006 einen Wert um die 6 Prozent der erwerbsfähigen weiblichen
Bevölkerung. Die Gesamtarbeitslosigkeit ist also nicht sehr hoch, dennoch muss hier auf einige
wichtige Besonderheiten hingewiesen werden:
•
Dem Rückgang der Arbeitslosigkeit entspricht kein proportionaler Beschäfti-
gungsanstieg, was darauf hinweist, dass Abwanderung und andere Faktoren beim
Rückgang der Arbeitslosigkeit eine Rolle spielen. Angesichts der fehlenden Arbeitsplätze in Rumänien selbst ziehen viele eine Abwanderung der Arbeitslosigkeit vor.
•
Zugleich könnte auch die große Schattenwirtschaft, die ungefähr 20 Prozent
des BIP umfasst, das Paradoxon der geringen offiziellen Beschäftigungsraten bei
gleichzeitig ebenfalls geringer Arbeitslosigkeit erklären. Die Schattenwirtschaft stellt
anscheinend vor allem Unqualifizierten, die sonst nur geringe Aussichten auf einen
Arbeitsplatz hätten, eine große Anzahl von Beschäftigungsverhältnissen im Niedriglohnsektor zur Verfügung.
•
Das beschränkte Angebot an gut bezahlten Arbeitsplätzen und die Aussicht auf
Langzeitarbeitslosigkeit entmutigt Menschen, aktiv nach einem Arbeitsplatz zu suchen und schiebt sie anstelle dessen aus dem Kreis der Erwerbsfähigen heraus oder in
die Subsistenzlandwirtschaft. Die Zahl dieser Entmutigten scheint außerordentlich
groß zu sein, besonders unter den Jüngeren.
7
World Development Report 2007, Development and the Next Generation, World Bank, 2006.
13
•
Arbeitslosigkeit betrifft unverhältnismäßig stark die jüngeren Bevölkerungs-
gruppen. Unter den 15- bis 24-Jährigen liegt die Arbeitslosen mit 22 Prozent bei den
Männern und 20 Prozent bei den Frauen besonders hoch. Das sind nach Polen und der
Slowakei die höchsten Raten in Europa; sie liegen weit über dem Durchschnitt der EU
27. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die Höhe der Jugendarbeitslosigkeit unabhängig
vom Bildungsabschluss ist. Das heißt: Ganz gleich welche formelle Bildungslaufbahn
(primäre, sekundäre oder tertiäre Bildung) sie jeweils durchlaufen haben, gibt es für
Absolventen nur geringe Aussichten auf Beschäftigung. Somit spielt Bildung auch
nach den Strukturveränderungen am Arbeitsmarkt und der veränderten Nachfrage
nach Arbeitskräften kaum eine Rolle. Vor allem auf lange Sicht ist dieser Zustand für
die Entwicklung des Humankapitals schädlich und fördert die Abwanderung.
•
Arbeitslosigkeit bedeutet in Rumänien typischerweise Langzeitarbeitslosigkeit,
die Eintritts- und Austrittsraten sind relativ gering. Mehr als die Hälfte der Arbeitslosen sind bereits über ein Jahr arbeitslos. Das übersteigt den Durchschnitt der EU 27. Da
die gegenwärtigen Arbeitslosenzahlen seit Jahren konstant sind, gibt es auch keinen
Hinweis auf eine mögliche Senkung der Quote in naher Zukunft. Besonders betroffen
sind ältere Arbeitskräfte, Unqualifizierte, Arbeitslose mit niedrigen Bildungsabschlüssen und Menschen mit nicht übertragbaren, spezifischen Fähigkeiten. Da die Arbeitsnachfrage in den vergangenen Jahren eindeutig gestiegen ist, deutet die weiterhin bestehende Arbeitslosigkeit auf klare Einschränkungen bei der Deckung des Bedarfes
hin. Die Probleme betreffen demzufolge nicht notwendigerweise die Verfügbarkeit von
Arbeitsstellen, sondern eher die Anreize, diese anzunehmen sowie die für diese Stellen
notwendigen, aber fehlenden Fähigkeiten. Diese Situation ist jedoch nicht einzigartig
in Rumänien, da ähnliche Verhältnisse in vielen anderen EU-Ländern existieren.
14
Schaubild 4: Rumänien - Arbeitslosenrate von Frauen und Männern im Alter von 15 bis 24 Jahren (in
Prozent, LFS)
Quelle: Eurostat
Während die Beschäftigungsquoten noch weit vom EU-Durchschnitt und von den Lissabonner Zielen entfernt sind, gleicht sich die Arbeitsproduktivität dem EU-Durchschnitt an, wobei die Kluft
aber noch groß bleibt. Als Folge von erheblichen Investitionen, Personalabbau, einer Neuverteilung
der Ressourcen in höhere Produktivität sowie besserer Unternehmensführung und aufgehelltem
wirtschaftlichen Klima ist die Produktivität in der Industrie in den Jahren 2006 und 2007 um jährlich 11 Prozent gestiegen.8 Gleichzeitig sind die Reallöhne sogar noch schneller gestiegen, nämlich
im Durchschnitt um etwa 19 bis 20 Prozent pro Jahr. Dieses Missverhältnis zwischen Produktivitätsund Lohnanstieg trägt zur Erosion der äußeren Wettbewerbsfähigkeit bei und lässt die Inflationsrate anwachsen. Infolgedessen sind die realen Arbeitskosten zwischen Januar 2005 und Juni 2007 um
60 Prozent gestiegen. Gleichwohl bleiben die Arbeitskosten weiterhin erheblich unter dem EUDurchschnitt. Die durchschnittlichen Bruttoeinkünfte, gemessen an der Kaufkraftparität, machen
etwa 20 Prozent der Bruttoeinkünfte Spaniens und etwa 48 Prozent der Bruttoeinkünfte Polens
aus.
8 Rumänien nahm 2007 in der „Doing Business“ 2008-Rangliste der Weltbank, die die Bedingungen wirtschaftlicher Betätigung bewertet, den 48. Platz ein. Das bedeutet einen Aufstieg um 30 Plätze seit 2005.
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Schaubild 5: Rumänien - Arbeitskostenindex (2000=100, konstante Preise)
Quelle: GEA
Anzeichen9 deuten darauf hin, dass die allgemeine Produktivitätszunahme zum größten Teil auf
die Verbesserung der Produktivität in ganz bestimmten Sektoren zurückgeht. Da der Anteil des
Dienstleistungssektors - Wachstumsmotor entwickelter Marktwirtschaften - an Leistung und Beschäftigung niedrig bleibt, existieren insoweit weitere Hürden für eine schnellere Reallokation der
Arbeitskräfte über verschiedene Sektoren hinweg, speziell für die Dienstleistungen.
Man kann erkennen, dass die noch immer hohen Lohnsteuern und die Rigidität der Gesetzgebung
zum Arbeitnehmerschutz große Barrieren sind, welche die Erwerbsquote beeinflussen und eine
schnellere Reallokation der Arbeitskräfte verhindern. Die Differenz zwischen Brutto- und Nettolöhnen ist in Rumänien größer als im Durchschnitt der EU-15, die rumänischen Lohnsteuern sind nach
denen in Ungarn die höchsten. Die hohen Sozialabgaben (steuerfinanziertes Rentensystem, Beiträge für die Arbeitslosenkasse, Krankenversicherung etc.) bringen eine Verzerrung hervor, die sich auf
das Angebot und die Nachfrage des Arbeitsmarktes auswirkt und die Transaktionskosten für die
Unternehmen erhöht. Die Behörden erkennen auch, dass die hohen Abgaben die Abwanderung in
die Schattenwirtschaft fördern, die Steuererfassung untergraben und die Finanzverwaltung erschweren. In den vergangenen Jahren hat die Regierung eine Serie von Senkungen der Lohnnebenkosten eingeleitet und plant weitere Kürzungen, um eine Anpassung an die regionalen Standards
9 The Path to Prosperity: Productivity Growth in Eastern Europe and the former Soviet Union, World Bank,
Washington, 2007.
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zu bewirken (bis 6 Prozent zum Ende 2008). Kurzfristig lassen sich große Steuersenkungen jedoch
aufgrund haushaltspolitischer Zwänge nur begrenzt verwirklichen.
Während die Schaffung von Arbeitsplätzen per se wichtig ist, bleibt auch die Qualität des Humankapitals ein zentraler Aspekt. In der modernen Ökonomie bedeutet ein höheres Bildungsniveau
einen Mehrwert und erhöht somit unmittelbar die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Wirtschaft.
Indikatoren deuten darauf hin, dass die Qualität der Bildung die Erwerbsquote positiv beeinflusst,
während sich Kenntnismängel negativ auswirken. Um diese Herausforderung anzugehen, wird das
Bildungssystem einer umfassenden Reform unterzogen, was bereits zu sichtbaren Veränderungen
geführt hat, speziell im Bereich der verpflichtenden Bildungsabschnitte. Die Reformmaßnahmen
wurden in der Berufsbildung und in der praktischen Ausbildung eingeführt. Nichtsdestotrotz bleibt
noch viel zu tun, besonders bei der Angleichung der Lehrpläne an die Wissensanforderungen, die
heute an Hochschulabsolventen gestellt werden müssen. Eine Verbesserung der Effektivität der
öffentlichen Ausgaben für Bildung (einschließlich leistungsorientierter Anreize wie beispielsweise
individueller Stipendienfinanzierung) gehört unbedingt auf die politische Agenda. Angesichts der
schnelllebigen sektoralen Arbeitsmärkte und sich verändernden Beschäftigungsprofile sollten Angebote für das lebenslange Lernen stärker der Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt angeglichen werden.
Politikoptionen
Sofern die Steuer- und die Haushaltspolitik reformiert werden, besitzt Rumänien das Potenzial für
ein starkes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Die erforderliche Mehrjahresplanung des
Haushalts wird für eine Verbesserung hinsichtlich der Allokation von Ressourcen sorgen, besonders
für große Infrastrukturprojekte. Das Haushaltsdefizit wurde von der Europäischen Kommission auf
über 3 Prozent prognostiziert und muss gesenkt werden.
Mit Blick auf die staatlichen Einnahmen würde die Rückkehr zu einer progressiven Einkommensteuer, kombiniert mit Steuernachlässen für Bildung und Gesundheit, den Konsum ankurbeln.
Auch die Mehrwertsteuer sollte erhöht werden. Auf der Ausgabenseite sollten die Verwaltungskosten gesenkt werden.
Angesichts des gegenwärtigen Leistungsbilanzdefizits von 14 Prozent des BIP und der erfolglosen
Anpassung der Währung, bleibt als einzige nachhaltige Lösung eine innerstaatliche Anpassung
durch währungspolitische und steuerliche Maßnahmen, die den Verbrauch von Konsumgütern
bremsen.
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Strukturelle Reformen sollten auch in empfindlichen Sektoren wie Energie und Landwirtschaft
durchgeführt werden, während Forschung und Entwicklung mehr gefördert werden müssen. Im
Energiesektor sollte Rumänien eine neue Transportinfrastruktur (die lang erwartete Nabucco Gasleitung) aufbauen und ein neues Abkommen mit Russland treffen (innerhalb der EU zahlt Rumänien derzeit die höchsten Preise für Gasimporte). In der Landwirtschaft sollte sich Rumänien dafür
einsetzen, die Agrarsubventionen für die Kleinbauern aufrecht zu erhalten und sich schrittweise in
Richtung einer Konzentration auf ländliche Entwicklung bewegen (was zusätzliche Dienstleistungen und andere Tätigkeiten als nur Landwirtschaft umfassen muss). Auf dem Gebiet der Forschung
und Entwicklung müssen die Mittel besser verteilt werden, eine ex-post Evaluierung sollte eingeführt werden, und das staatliche Innovationssystem bedarf der Erneuerung.
Ein weiteres großes Problem, dem Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, ist das Missverhältnis
zwischen Arbeitsmarkt und Bildung. Das Bildungssystem sollte jüngere Generationen durch diverse
Anreize und leistungsorientierte Maßnahmen besser auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes
vorbereiten. Darüber hinaus sollten Angebote für lebenslanges Lernen stärker mit den schnelllebigen sektoralen Arbeitsmärkten und Nachfrageprofilen des Arbeitsmarktes in Einklang gebracht
werden.
Arbeitsmarktpolitische Reformen sollten sich darauf konzentrieren, zum einen diejenigen Berufsgruppen wieder auf den Arbeitsmarkt zu bringen, die nicht am Wachstum teilhaben, sowie zum
anderen die Transaktionskosten der Unternehmen zu reduzieren. Hier sind ganz besonders die
Jungen, die Frauen, die älteren Arbeitskräfte sowie Langzeitarbeitslose von der hohen Arbeitslosigkeit und der niedrigen Beschäftigungsquote betroffen. Die hohen Lohnnebenkosten (mit am höchsten in der EU) müssen gesenkt werden, die Arbeitsschutzgesetzgebung (in der EU eine der rigidesten) muss flexibler gestaltet werden, damit die Unternehmen effektiv auf die Gegebenheiten des
Marktes reagieren können. Auch die Öffnung bestimmter Segmente des Arbeitsmarktes für ausländische Arbeitnehmer sollte in Betracht gezogen werden, um die Lücke zwischen dem bestehenden Angebot an Arbeitskräften und der weiter steigenden Nachfrage nach Arbeit zu schließen.
Bezüglich der Förderung von ausländischen Direktinvestitionen sollte Rumänien versuchen, Kontroversen in Sachen staatlicher Beihilfe zu vermeiden; im vergangenen Jahr verlor Rumänien in drei
Fällen Investitionen aufgrund von regelwidriger staatlicher Beihilfe. Stattdessen sollte sich Rumänien darauf konzentrieren, das Investitionsklima zu verbessern. Dazu gehören günstigere steuerpolitische Bedingungen für Forschung und Entwicklung, verbesserte Konditionen im Fall der Reinvestition betrieblicher Erträge sowie die Förderung von öffentlich-privaten Partnerschaften.
Aus dem Englischen von Sepehr Shahin und Karl Lemberg
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