Problemorientierte Einführung in die Volkswirtschaftslehre Teil: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen Vorlesungsbegleiter WS 2005/2006 © Prof. Dr. Jürgen Pätzold Universität Hohenheim Es wird gebeten, diesen Vorlesungsbegleiter zur Vorlesung mitzubringen! 2 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen Gliederung 1. EINFÜHRUNG 5 1.1 Abgrenzung und Gliederung des Volkswirtschaftlichen Rechnungswesens 5 1.2 Aufgaben des Volkswirtschaftlichen Rechnungswesens 6 1.3 Einzel- und gesamtwirtschaftliches Rechnungswesen 6 1.4 Darstellungsmethoden 7 2 KREISLAUFDARSTELLUNGEN DES WIRTSCHAFTS-PROZESSES 7 2.1 Die Kreislaufidee von FRANCOIS QUESNAY 7 2.2 Das Kreislaufbild von KARL MARX 8 2.3 2.3.1 2.3.2 Die Grundstruktur des „westlichen“ Kreislaufbildes 8 Überblick 8 Kreislaufbild einer geschlossenen Volkswirtschaft ohne Staat, ohne Auslandsbeziehungen und ohne Vermögensbildung 9 Kreislaufbild einer geschlossenen Volkswirtschaft ohne Staat, ohne Auslandsbeziehungen, mit Vermögensbildung 10 Entstehung, Verwendung, Verteilung und Aufteilung des Inlandsprodukts 11 Kreislaufbild einer offenen Volkswirtschaft ohne Staat, mit Auslandsbeziehungen und mit Vermögensbildung 13 Kreislaufbild einer offenen Volkswirtschaft mit Staat, mit Auslandsbeziehungen und mit Vermögensbildung 13 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 3 ÖKONOMISCHE AKTIVITÄTEN IN KONTENDARSTELLUNG 14 3.1 Darstellung des Wirtschaftskreislaufs in Kontenform 14 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 Einzel- und gesamtwirtschaftliche Produktionskonten Das Produktionskonto eines Unternehmens Das Produktionskonto des Sektors öffentliche Haushalte (Staat) Das Produktionskonto des Sektors private Haushalte Das gesamtwirtschaftliche Produktionskonto 14 14 15 16 16 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 Einzel- und gesamtwirtschaftliche Einkommenskonten Einkommenskonto des Sektors Haushalte Einkommenskonto des Sektors Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit Einkommenskonto des Sektors Staat Gesamtwirtschaftliches Einkommenskonto 16 16 17 17 17 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 Einzel- und gesamtwirtschaftliche Vermögensänderungskonten Vermögensänderungskonto des Sektors Unternehmen Vermögensänderungskonto des Sektors Haushalte Vermögensänderungskonto Sektor Staat Gesamtwirtschaftliches Vermögensänderungskonto 17 17 18 18 18 3.5 Auslandskonto 19 3.6 3.6.1 3.6.2 Inlands- versus Sozialprodukt ( ≡ Nationaleinkommen) Vom BIPM zum NIPF Nationaleinkommen – neue Begrifflichkeiten 19 19 22 4 DIE VGR IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND 22 4.1 Übersicht: Entstehung, Verwendung, Aufteilung und Verteilung des BIP bzw. VE 22 4.2 4.2.1 4.2.2 Die Entstehungsrechnung Aufgaben und Zielsetzungen Volkswirtschaftlicher Strukturwandel 24 24 24 4.3 4.3.1 4.3.2 Die Verwendungsrechnung Aufgaben und Ziele Investitionen 25 25 26 3 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 4.3.3 Die Staatsquote 26 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 Verteilung des Inlands- und Sozialprodukts Primäre und sekundäre Verteilung Die funktionelle Verteilung Personelle Verteilung 27 27 28 28 4.5 Aufteilung des Inlands- bzw. Sozialprodukts 29 4.6 Herleitung der vollständigen ex-post-Vermögensänderungsidentität 29 5 EINZELPROBLEME DER VGR 31 5.1 Ermittlungsmethoden und -probleme 31 5.2 Doppelzählungen 31 5.3 Abgrenzung zwischen Konsum und Investition 31 5.4 5.4.1 5.4.2 Zeitliche Vergleichbarkeit – Ausschaltung von Preisänderungen Deflationierung des BIP – der Preisindex des BIP Verbraucherpreisindizes 32 32 32 6 VERWENDUNGSZWECKE DES INLANDSPRODUKTS 34 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.1.5 Das Inlandsprodukt als Konjunktur- und Wachstumsindikator Tatsächliche Produktion und gesamtwirtschaftliche Nachfrage Das Produktionspotenzial Auslastungsgrad des Produktionspotenzials Konjunkturschwankungen und konjunkturelle Zielverletzungen Entwicklung der Phillips-Kurve in Deutschland und Stagflation 34 34 34 35 35 36 6.2 6.2.1 6.2.2 Arbeitsmarktindikatoren Umschreibung der Vollbeschäftigungszielsetzung Beschäftigungsindikatoren und Arbeitslosenquoten 38 38 39 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 Produktivitäten Arbeitsproduktivität Potenzielle Effekte einer Steigerung der Arbeitsproduktivität Die Kapitalproduktivität Totale Produktivitäten 40 40 41 43 43 6.4 6.4.1 6.4.2 Das Inlandsprodukt als Wohlfahrtsindikator Kritik am BIP als Wohlfahrtsindikator Alternative Konzeptionen 43 43 44 6.5 Das Inlandsprodukt als Ressourcenprodukt – das Problem der Schattenwirtschaft 45 7 DIE ZAHLUNGSBILANZ 46 7.1 Begriff der Zahlungsbilanz 46 7.2 Grundstruktur der Zahlungsbilanz 47 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5 Teilbilanzen der Zahlungsbilanz Die Handelsbilanz Dienstleistungsbilanz und Bilanz der Faktorleistungen Laufende Übertragungen und einmalige Vermögensübertragungen mit dem Ausland Kapitalbilanz Devisenbilanz der Zentralbank 48 48 48 49 50 50 7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3 Das Ziel „außenwirtschaftliches Gleichgewicht“ Umschreibung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts. Konkretisierung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts an Hand der Zahlungsbilanz Außenhandelspreise und Terms of Trade 51 51 52 54 4 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 8 DIE INPUT-OUTPUT-RECHNUNG 55 8.1 Die Input-Output-Tabelle als Erweiterung des nationalen Produktionskontos 55 8.2 Typen von Input-Output-Tabellen 56 8.3 Auswertung von Input-Output-Tabellen mittels IO-Koeffizienten 56 9 DIE GESAMTWIRTSCHAFTLICHE FINANZIERUNGSRECHNUNG 58 9.1 Finanzierungsrechnung als Erweiterung des Vermögensänderungskontos 58 9.2 Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank 58 9.3 9.3.1 Weitere monetäre Rechnungssysteme Zentralbankgeldmenge und Geldmengenaggregate 59 59 10 LITERATURHINWEISE 61 11 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS 62 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 1. 5 Einführung 1.1 Abgrenzung und Gliederung des Volkswirtschaftlichen Rechnungswesens Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) hat zum Ziel, das Wirtschaftsgeschehen einer Volkswirtschaft für eine abgelaufene Periode zu erfassen. Diese Informationen sind sowohl für die wirtschaftspolitischen Entscheidungen als auch für die Weiterentwicklung des gesamtwirtschaftlichen (makroökonomischen) Theoriegebäudes unverzichtbar. Die VGR muss so aufgebaut sein, dass sie die Träger der Wirtschaftspolitik über den Stand und die Veränderung der für die Wirtschaftspolitik entscheidenden gesamtwirtschaftlichen Schlüsselgrößen (Investitionstätigkeit, Konsum, Export etc.) möglichst zeitig informiert. Diese Informationen bilden auch wichtige Orientierungsgrundlagen für die Lohnpolitik der Tarifparteien sowie für die Investitions-, Produktions- und Beschäftigungsentscheidungen von Unternehmen.(magisches Viereck) Kennziffern der VGR sind nicht nur für die nationale Wirtschaftspolitik von elementarer Bedeutung, sondern auch auf internationaler Ebene. Erforderlich ist deshalb ein einheitliches Rechenverfahren, das die Vergleichbarkeit zwischen den Ländern gewährleistet. Mit dem Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen von 1995 (ESVG 95), das sich seit 1999 in der Umsetzungsphase befindet, wird dieser Bedingung Rechnung getragen. Das ESVG 1995 ist für alle EU-Mitgliedsländer verbindlich. Es wurde in enger Abstimmung mit dem System of NATIONAL Accounts (SNA) der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1993 erarbeitet und stellt eine weitgehende methodische Überarbeitung des früheren Rechenwerkes dar. Das Hauptziel des ESVG 1995 besteht darin, die Vergleichbarkeit der gesamtwirtschaftlichen Daten innerhalb der EU zu verbessern und wichtige statistische Informationen für die wirtschaftspolitischen Akteure rascher als bisher zur Verfügung zu stellen. Eine wichtige Funktion kommt der VGR auch bei der Weiterentwicklung der makroökonomischen Theorie zu. Die VGR liefert auch die Datenbasis, um Hypothesen über gesamtwirtschaftliche Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge zu prüfen. Nur auf diese Weise gelangt die Wirtschaftspolitik erst zu einer brauchbaren, d. h. wirklichkeitsnahen, theoretischen Grundlage. Nur eine Theorie, die sich bei der empirischen Kontrolle bewährt hat, kann den Entscheidungsträgern Handlungsgrundlagen zur Bewältigung konkreter wirtschaftspolitischer Probleme (Inflation, Arbeitslosigkeit etc.) liefern. Den theoretischen Hintergrund der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung bildet die Kreislaufanalyse, welche die Güterund Geldbewegungen (= reale und monetäre Ströme) zwischen den Wirtschaftseinheiten einer Volkswirtschaft abbildet. Die empirisch-statistische Auffüllung dieser Beziehungen zwischen den inländischen Sektoren (private Haushalte, öffentliche Haushalte, Unternehmen) und zwischen diesen und dem Ausland erfolgt dann in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, die schließlich das Ergebnis dieser Wirtschaftsprozesse festhält. Das Volkswirtschaftliche Rechnungswesen (VR) ist ein System von Definitionen gesamtwirtschaftlicher Größen. Es umfasst alle Verfahren zu ihrer empirischen Ermittlung. Die mengen- und wertmäßige Ermittlung erfolgt im nachhinein also für eine abgelaufene Periode – ex-post-Rechnung. Die auf ex-post-Größen basierenden Beziehungen sind für abgeschlossene Beobachtungszeiträume immer gültig; sie werden deshalb auch als Identitäten bezeichnet. Aus der Gleichheit von tatsächlichen Größen lässt sich allerdings nicht erkennen, ob diese Größen mit den von den Wirtschaftssubjekten geplanten Größen, den sog. ex-ante-Größen, übereinstimmen. Die Analyse dieser Größen ist Gegenstand der makroökonomischen Theorie. Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 6 Teilsysteme des Volkswirtschaftlichen Rechnungswesens: Bei den Ergänzungsrechnungen handelt es sich um Erweiterungen und Ausdifferenzierungen der VGR. Mit Ausnahme der Vermögensrechnung, in der Bestände (stocks) ermittelt werden, handelt es sich bei den übrigen Rechnungen des Volkswirtschaftlichen Rechnungswesens um Stromrechnungen (flows). Stromgrößen beziehen sich immer auf einen bestimmten Zeitraum, so wird z. B. das Inlandsprodukt in € pro Jahr erfasst. Bestandsrechnungen beziehen sich dagegen auf einen Stichtag, so wird das Volksvermögen z. B. in € zum 31.12. eines Jahres ausgewiesen. Auch die Zahlungsbilanz ist keine Bestandsrechnung, sondern eine Erfolgsrechnung gegenüber dem Ausland. 1.2 Aufgaben des Volkswirtschaftlichen Rechnungswesens Systematik und Art der Definitionen werden von den Zwecken bestimmt, die für die Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik erfüllen sollen. Hierzu zählen: • Empirische Grundlagen für wirtschaftspolitische Entscheidungen liefern, • Bereitstellung quantitativer Entscheidungsgrundlagen für die übrigen Wirtschaftssubjekte, • Empirisches Material für die Erfolgskontrolle der Wirtschaftspolitik Das Volkswirtschaftliche Rechnungswesen ist theorieorientiert, d. h. die üblichen Definitionensysteme entspringen einer bestimmten theoretischen Sichtweise der unmittelbar nur bedingt wahrnehmbaren ökonomischen Realität. Die westlichen Volkswirtschaftlichen Rechnungssysteme basieren letztlich auf den Kreislaufvorstellungen gemäß den Konventionen der Theorie von J. MAYNARD KEYNES. Die „östlichen“ Definitionensysteme, z. B. im Bereich der ehemaligen UdSSR, basierten dagegen im Wesentlichen auf der Kreislaufsystematik gemäß der Theorie von KARL MARX. 1.3 Einzel- und gesamtwirtschaftliches Rechnungswesen In der VGR werden die ökonomischen Aktivitäten von Wirtschaftssubjekten erfasst. Unter ökonomischer Aktivität versteht man dabei Tätigkeiten, die direkt oder indirekt auf eine Bedürfnisbefriedigung mit Hilfe von Waren und Dienstleistungen abzielen. Als Träger ökonomischer Aktivitäten können drei Gruppen von Wirtschaftssubjekten unterschieden werden: • • • Unternehmen öffentliche Haushalte private Haushalte Die einzelnen Wirtschaftssubjekte stehen durch Transaktionen miteinander in Verbindung. Unter Transaktionen versteht man die Übertragung eines Objektes (Gegenstand der Transaktion) von einem Wirtschaftssubjekt auf ein anderes. Gegenstand von Transaktionen können Waren und Dienstleistungen (Güter), Faktorleistungen und Forderungen sein. Unter Faktorleistungen werden die Leistungen der Produktionsfaktoren verstanden, also die der menschlichen Arbeit, des Bodens und des Kapitals. Alle Transaktionen, die während einer Periode getätigt werden, lassen sich mit Hilfe von vier Aktivitätskonten abbilden: Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen • • • • 7 Produktionskonto, Einkommenskonto, Vermögensänderungskonto und Finanzierungskonto Alle Transaktionen werden dabei nach dem System der „doppelten Buchführung“ jeweils mit Buchung und Gegenbuchung erfasst. Das Volkswirtschaftliche Rechnungswesen ermittelt makroökonomische und mesoökonomische Größen. Sie ergeben sich als Aggregation mikroökonomischer Größen. Aggregation verbessert die Überschaubarkeit ökonomischer Sachverhalte, führt aber gleichzeitig zu Informationsverlusten. Man unterscheidet: • Institutionelle Aggregation: gleichartige Wirtschaftssubjekte werden zusammengefasst (z. B. Unternehmen, Staat, private Haushalte). • Funktionelle Aggregation: hier werden gleichartige ökonomische Aktivitäten zusammengefasst („konsolidiert“), z. B. - - Produktion von Waren und Dienstleistungen, Einkommenserzielung, –verteilung, –umverteilung und – verwendung, Vermögensänderung des Sach-, Rein- und Geldvermögens, Finanzierung durch Forderungen durch Forderungen und Verbindlichkeiten, Auslandsbeziehungen. 1.4 Darstellungsmethoden Das Volkswirtschaftliche Rechnungswesen bedient sich unterschiedlicher Darstellungsmethoden. • • • • 2 Blockschaltbilder („Kreisläufe“) Kontendarstellung Gleichungen Matrixdarstellung Kreislaufdarstellungen des Wirtschaftsprozesses 2.1 Die Kreislaufidee von FRANCOIS QUESNAY Die Kreislaufbetrachtung volkswirtschaftlicher Zusammenhänge geht auf den Physiokraten FRANCOIS QUESNAY (1694 – 1774 „tableau économique, 1758) zurück. QUESNAY war Arzt und wandte sich mit 60 Jahren der Nationalökonomie zu. Mit seinem Hauptwerk „Tableau économique“ begründete er die Kreislauftheorie und die sog. Physiokratische Schule der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen. Die Physiokraten betonen die grundlegende Bedeutung der Natur und insbesondere des Bodens als Quelle des Wohlstandes („Naturrechtstheorie). Nur die Natur ist produktiv. Sie kann Güter schaffen, deren Gebrauchswert größer ist als die Produktionskosten. Nur durch Bodenbesitz und Bodenbearbeitung sei eine Mehrung des Reichtums der Nation möglich. Das Recht auf Eigentum ist konstituierender Bestandteil der physiokratischen Lehre. Es ist durch den Staat zu sichern. Die politische Ordnung (ordre positif) hatte so weit als möglich der natürlichen Ord- Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 8 nung zu entsprechen. An die Stelle des Schöpfers tritt der feudalistische Herrscher (QUESNAY war Leibarzt von König Ludwig XIV). Entsprechend waren die Eckpole des Tableau économique angelegt: Die Bauern, die den von den Grundbesetzer gepachteten Boden bewirtschaften, bezeichnete QUESNAY als classe productive. Die Grundbesitzer als classe propriétaire. Handwerker und Kaufleute erwirtschaften gemäß der Theorie von QUESNAY keinen Mehrwert (produit net); sie bezeichnet er als classe stérile. QUESNAY verfolgte das Ziel, die Entstehung des Inlandsprodukts in der damaligen Agrargesellschaft mittels fiktiver Zahlen zu erfassen. Da die von den Bauern erwirtschaftete Wertschöpfung den Grundbesitzern zufließt, sind nach Quesnay nur diese mit einer Einheitsteuer (impôt unique) zur Finanzierung der Aufwendungen des Staates heranzuziehen. Die wissenschaftliche Leistung von QUESNAY besteht aus heutiger Sicht vor allem darin, den Kreislaufgedanken in die Wirtschaftswissenschaften eingeführt und volkswirtschaftliche Prozesse als ein in sich geschlossenes System dargestellt zu haben. Die Art der Kreislaufdarstellung, die Polbildung, hängt allerdings in zentraler Weise von der zu Grunde liegenden Theorie ab. Die Kreislaufidee wurde erst ein Jahrhundert später von KARL MARX wieder aufgegriffen. 2.2 Das Kreislaufbild von KARL MARX KARL MARX (1818 – 1883) hat die Kreislaufidee wieder aufgegriffen. Ziel der Darstellung ist es zu zeigen, dass vor dem veränderten ökonomischen und gesellschaftlichen Hintergrund der Faktor Arbeit („Proletarier“) eine Mehrwert erzeugt, der den „Kapitalisten“ zufließt. Im Zentrum steht bei MARX das Verteilungsproblem. MARX nimmt folgende Kreislaufklassifikation vor: Zwei Klassen („Pole“) Proletarier, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben und Kapitalisten, die vom Besitzeinkommen leben. Zwei Sektoren Produktionsmittelabteilung (Abteilung I) und Konsumgüterabteilung (Abteilung II) Zwei Produktionsfaktoren Variables Kapital („Arbeit“) als originärer Produktionsfaktor und Konstantes Kapital („Sachkapital“) als derivativer, aus dem Faktor Arbeit „geronnener“ Produktionsfaktor Verändert ist gegenüber QUESNAY nicht nur das Verständnis hinsichtlich der dominierenden Produktivkräfte in einer Gesellschaft (Arbeit gegenüber Boden), neu ist bei MARX vor allem die Einbindung der Vermögensbildung in die Kreislaufdarstellung. Marx gelingt es damit Investitionen und Ersparnisbildung als Grundlagen einer wachsenden Wirtschaftsgesellschaft in den volkswirtschaftlichen Kreislauf einzubeziehen. Die Kreislaufidee wurde später vor allem von JOHN MAYNARD KEYNES (1883 – 1946) und CARL FÖHL (1901 – 1973) weiterentwickelt. Pionierarbeit auf dem gebiet der Weiterentwicklung der westlichen Kreislaufsysteme hat vor allem JOHN RICHARD STONE geleistet. Stone erhielt für seine Leistungen 1984 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. 2.3 Die Grundstruktur des „westlichen“ Kreislaufbildes 2.3.1 Überblick Die westlichen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen wurden durch die Theorie von J. MAYNARD KEYNES entscheidend beeinflusst. Ziel der Theorie von Keynes war es vor allem die Ursachen in der Arbeitslosigkeit der Weltwirtschaftskrise von 1929/32 zu erklären. Als entscheidende Determinante fungiert die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage. Sparen wird als nicht für Konsumzwecke verausgabtes Ein- Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 9 kommen interpretiert (Nachfrageausfall); der Teil des Volkseinkommens, der nicht dem Konsum zugeflossen ist, ist ex definitione „gespart“ worden. Die keynessche Theorie ist vor allem an der Entstehung und an den Schwankungen des Sozialprodukts interessiert. Das Inlandsprodukt wird als „Marktnachfrageprodukt“ interpretiert. Diese am Markt nachgefragte Produktion (Marktprodukt) dient in erster Linie als Indikator für die (kurzfristige) Entwicklung der (nachgefragten) Güterproduktion in einer Volkswirtschaft (siehe auch 6.2). Die Verwendungskomponenten des Inlandsprodukts sind (sog. letzte Verwendung): • • • Konsum, Investition und Export. Diese Verwendungsaggregate werden als Nachfrageaggregate interpretiert. Im Vordergrund steht die Zusammenfassung der Wirtschaftssubjekte zu möglichst homogenen Käufersektoren. Der Ausbau der VGR seit dem Zweiten Weltkrieg stand vornehmlich im Zeichen dieser „marktnachfrageorientierten“ Fragestellung. Für die Beantwortung der Frage, welche Produktion in einer bestimmten Periode am Markt nachgefragt und im Inland erzeugt worden ist, ist das Inlandsprodukt relativ gut geeignet. Weniger geeignet ist das traditionelle Maß, wenn damit das Ergebnis des gesamtwirtschaftlichen Ressourceneinsatzes (Ressourcenprodukt) erfasst werden soll. Unberücksichtigt beleibt nämlich insbesondere der sich nicht über Märkte vollziehende Einsatz von Umweltressourcen sowie das außermarktliche Produktionsergebnis in der Schattenwirtschaft. Probleme ergeben sich auch, wenn das traditionelle Inlandsprodukt als Indikator für die Wohlfahrt (Wohlfahrtsprodukt) in einer Gesellschaft herangezogen werden soll. Auf diese Grenzen der traditionellen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechung wird an späterer Stelle zurückzukommen sein. Das Deutsche System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wurde bereits 1960 in seiner noch heute gültigen Grundkonzeption vorgestellt. Im Weltmaßstab gehörte es zu den differenziertesten und aussagekräftigsten Systemen. Zur Verbesserung der internationalen Vergleichbarkeit erfolgte eine erste größere Revision des deutschen Systems in Anpassung an das 1968 veröffentlichte System of National Accounts (SNA 68) der Vereinten Nationen, dessen europäische Version 1970 als Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG 70) erschien. Es wurde 1995 überarbeitet und als ESVG 95 veröffentlicht und den Mitgliedstaaten verbindlich vorgeschrieben. Auf dieser Basis erfolgte 1999 in Deutschland eine grundlegende Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Gegenüber dem bisherigen System ergeben sich dadurch z. T. weitreichende konzeptionelle und begriffliche Änderungen. 2.3.2 Kreislaufbild einer geschlossenen Volkswirtschaft ohne Staat, ohne Auslandsbeziehungen und ohne Vermögensbildung Annahmen: Zwei Pole: „Private Haushalte“ als konsumierende Einheiten (Einkommenserzielung und Einkommensverwendung) und „Unternehmen“ als produzierende Einheiten (Gütererzeugung). Faktorleistungen / Faktoreinkommen (Y) sind: Arbeitsleistungen = Arbeitseinkommen + Unternehmerleistungen = Unternehmenseinkommen + Kapitalleistungen = Vermögenseinkommen (Zinsen, Mieten, Pachten ...) Die privaten Haushalte verausgaben das gesamte Faktoreinkommen (Volkseinkommen) für Konsumzwecke, es findet also keine Ersparnis (=“Nichtkonsum“) statt. Da die gesamte Produktion Y aus Konsumgütern besteht, findet folglich auch keine Sachvermögensbildung (Investition) statt, denn investiert werden kann nur derjenige Teil des Inlandsprodukts, der nicht dem Konsum zugeflossen ist (Investition ist also reale Ersparnis). Es handelt sich im vorliegenden Fall um eine stationäre Wirtschaft. 10 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen Darstellung in Kontenform: Produktionskonto des Sektors Unternehmen Aufwendungen Einkommenskonto des Sektors Haushalte Erträge L Y Eink. Verwendung C G Eink. Erzielung L C Y G Polgleichungen: Pol H U Eingänge Y C Polgleichungen Ausgänge = C = Y Für jeden Pol gilt: Wertsumme der Eingänge = Wertsumme der Ausgänge 2.3.3 Kreislaufbild einer geschlossenen Volkswirtschaft ohne Staat, ohne Auslandsbeziehungen, mit Vermögensbildung Wird nicht die gesamte Produktion Y dem Konsum zugeführt, ist also C < Y, so findet eine reale Ersparnisbildung statt. Der Teil des Inlandsprodukts, der nicht konsumiert worden ist (also S), ist ex definitione (netto) investiert worden (In), sonst wäre das Inlandsprodukt nicht in der Größe Y entstanden. Die monetäre Vermögensbildung (S) und die reale Kreislaufbild einer geschlossenen Volkswirtschaft mit Vermögensbildung (In) werden über den Pol Vermögensbildung Vermögensänderung verbucht. Der Kreislauf wird auf diese Weise geschlossen. Abschreibungen (D) auf bestehende Anlagen C können als Quasiersparnis des Sektors UnterPol U Pol H nehmen interpretiert werden. Y=L+G Es gilt: In = Ib - D In = Ib - IErsatz bzw. I n = S Pol V Darstellung in Kontenform: Produktionskonto des Sektors Unternehmen Aufwendungen Einkommenskonto des Sektors Haushalte Erträge Eink.Verwendung L Yn C G In Y C n S (Inlandsprodukt) Vermögensänderungskonto Ib In S IErsatz =D D Eink.Erzielung L G Yn (Inlandseinkommen) Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 11 Polgleichungen: Polgleichungen Pol Eingänge Yn C + Ib C + Ib – D C + In S S H U V Ausgänge C+S Yn + D Yn Yn b I –D In = = = = = = In einer geschlossenen Volkswirtschaft gilt immer: In = S Sachvermögensbildung = Geldvermögensbildung Hierbei handelt es sich um eine immer erfüllte Identität. Sie ergibt sich logisch aus den alternativen Definitionen des Inlandsprodukts (Y) Y=C+S Y = C + In -------------In = S Ex post immer erfüllte Identität ! Die Ex-post-Übereinstimmung von In und S sagt nichts über gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht aus. Sie gibt lediglich an, dass der Teil des Inlandsprodukts, der nicht konsumiert worden ist (der also monetär gespart worden ist), investiert worden sein muss. Hierbei handelt es sich nicht zwingend um geplante Anlageinvestitionen sondern auch um ungeplante Lageraufstockungen, die als Lagerinvestitionen bei den Investitionen erfasst sind. Der Teil des Inlandsprodukts, der real gespart wird also nicht konsumiert worden ist, ist in jedem Fall netto Investiert worden – entweder geplant oder ungeplant. Die ex-postÜbereinstimmung von In und S kann jedoch auch über ungeplanten Mehr- oder Minderkonsum (ungeplante Ersparnis) erfolgen. Es gilt folglich: Ingepl + Inungepl = Sgepl + Sungepl Nur wenn die Wirtschaftssubjekte keine Überraschungen erleben, wenn also keine ungeplanten Größen auftreten, herrscht gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht. In der Realität ist es allerdings schwierig zwischen geplanten und ungeplanten Größen zu unterscheiden. Solche Fragen lassen sich nur beantworten, wenn zusätzliche Indizien (ungewöhnlich Lagerbestandsveränderungen, Änderung der Auftragsbestände, Preisniveauänderungen usf.) herangezogen werden. 2.3.4 Entstehung, Verwendung, Verteilung und Aufteilung des Inlandsprodukts Aus dem dreipoligen Kreislauf ergeben sich folgende „Messstellen“ des Inlandsprodukts: 1. 1.1 Entstehung des Inlandsprodukts Güterentstehung Die Produktion entsteht im obigen Modell ausschließlich im „produzierenden Sektor“ (Sektor „Unternehmen“). Die Summe der Produktionsbeiträge aller Unternehmen bzw. Wirtschaftszweige ergibt, sofern man gegenseitige Vorleistungsverflechtungen ausschaltet, die gesamtwirtschaftliche (Brutto-)Wertschöpfung (Bruttoinlandsprodukt) Yb = YU1 + YU2 + .... + YUn Yb = Σ YUi (i = 1 bis n) Beiträge der Wirtschaftszweige zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung (zum BIP) 12 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 1.2 Einkommensentstehung Bei der Produktion von Waren und Dienstleistungen Entstehen (Faktor-)Kosten und somit (Faktor-)Einkommen. Die Summe aller Einkommen der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital ist das Volkseinkommen (= „Netto-Nationaleinkommen“). Gemäß den funktionalen Einkommenskategorien „Arbeitseinkommen“ (L) und „Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen“ (G) folgt für das Volkseinkommen: Yn = L + G Es handelt sich hierbei um das Nettosozialprodukt zu Faktorkosten (neue Terminologie: NettoNationaleinkommen zu Faktorkosten) 2. Verwendung des Inlandsprodukts Die Verwendung fragt nach den produzierten Güterkategorien. Im voranstehenden Modell besteht das Inlandsprodukt entweder aus Konsumgütern (C) oder aus Investitionsgütern (I): Yn = C + In Güterkategorien: Konsum oder Investition bzw. Yb = C + Ib = C + In + D 3. mit: Ib = In + D Aufteilung des Volkseinkommens Bei der Aufteilungsrechnung wird gefragt, in welcher Weise das Einkommen verwendet worden ist. Der Begriff der Verwendung ist allerdings schon belegt, daher die Bezeichnung Aufteilung. Das Volkseinkommen (Nettosozialprodukt zu Faktorkosten bzw. Netto-Nationaleinkommen) kann entweder für Käufe von Konsumgütern (C) oder für Ersparniszwecke (S) verwendet worden sein. Yn = C + S Einkommen wird entweder für Konsumzwecke verausgabt oder gespart. bzw. Yb = C + S + D 4. Verteilung des Volkseinkommens („Netto-Nationaleinkommens“) Bei der Verteilungsrechnung wird entweder gefragt, welchen Produktionsfaktoren die beim Produktionsprozess entstandenen Einkommen zugeflossen sind (funktionelle Einkommensverteilung): Verteilung des Volkseinkommens auf Produktionsfaktoren (nicht auf Individuen). Y=L+G L: G: Arbeitnehmereinkommen Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen Oder es wird gefragt, wie das Einkommen auf Wirtschaftssubjekte (private Haushalte) verteilt worden ist (personelle Einkommensverteilung) Y = YH1 + YH2 + YH3 + .... + YHn Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 2.3.5 13 Kreislaufbild einer offenen Volkswirtschaft ohne Staat, mit Auslandsbeziehungen und mit Vermögensbildung Polgleichungen: Kreislaufbild einer offenen Volkswirtschaft C Pol U Pol Pol H H Y=L+G Im Ex In U S A V Pol A Ex-Im Polgleichungen Eingänge Ausgänge Yn = C+S C + Ib + Ex = Yn + D + Im C + Ib – D + Ex – Im = Yn n C + I + Ex – Im = Yn Im + (Ex – Im) = Ex S = In + (Ex – Im) Pol V Hier: Ex > Im Für eine offene Volkswirtschaft gilt offensichtlich die modifizierte ex-post-Vermögensänderungsidentität: In + (Ex – Im) = S Ex post immer erfüllte Identität! Interpretation: • Ein positiver Außenbeitrag (Ex > Im) bedeutet, dass bei gegebener Ersparnis im Inland eine geringere Investitionstätigkeit stattgefunden haben − muss oder dass bei gegebener Investitionstätigkeit zugunsten des Auslandes eine erhöhte Ersparnis (= Kon− sumverzicht) vorgelegen haben muss. In beiden Fällen „lebt das Inland unter seine Verhältnisse“, d. h. die inländische Produktion (C + I + Ex) ist größer als die inländische Absorption ( C + I + Im). • Ein negativer Außenbeitrag (Ex < Im) bedeutet, dass umgekehrt das Land „über seinen Verhältnissen lebt“, die Inländische Absorption (C + I + Im) ist größer als die inländische Produktion (C + I + Ex). 2.3.6 Kreislaufbild einer offenen Volkswirtschaft mit Staat, mit Auslandsbeziehungen und mit Vermögensbildung Der Einbau des Staates in einen Kreislauf ist nicht zweifelsfrei möglich, da der Staat sowohl „konsumierende Einheit“ als auch „Produzent“ von öffentlichen Gütern (in erster Linie öffentliche Dienstleistungen) ist, die die Privaten „verbrauchen“. Für die Verwendung des Inlandsprodukts folgt: Yb = CprivH + IbprivU + CSt + IbSt + Ex – Im (BIP) bzw. Yn = CprivH + InprivU + CSt + InSt + Ex – Im (NIP) Für die Aufteilung des Inlandsprodukts folgt: Yn = CprivH + CSt + SH+ SU+ SSt (NIP) bzw. Yn = C + S (NIP) Für die ex-post-Vermögensänderungsidentität gilt: In + Ex – Im = S 14 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen bzw. InU + ISt + Ex – Im = SH + SU + SSt bzw. In + Ex - Im = S bzw. In + LBSaldo = S 3 3.1 Vollständige Ex-post-Identität. (Ex – Im = LBSaldo, sofern SaldoÜbertragungen = 0) Ökonomische Aktivitäten in Kontendarstellung Darstellung des Wirtschaftskreislaufs in Kontenform Vereinfachte Darstellung des Kontensystems der VGR GesamtwirtUnternehmen Haushalte schaftl. Konten Produktion D C Tind-Z Ib NIPF (Ex-Im) Einkommenserzielung C S ÜSaldo Vermögensbildung Auslandsbeziehungen 3.2 3.2.1 Staat NSPF Tind-Zu Ib D S Ex-Im ÜSaldo ExW ExD ExF ÜvomA ImW ImD ImF ÜanA LBSaldo Einzel- und gesamtwirtschaftliche Produktionskonten Das Produktionskonto eines Unternehmens Inputseite: Neben dem Verbrauch von Vorleistungen, also dem Einsatz von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen, die von anderen Unternehmen bezogen werden, fallen als Kosten des Produktionsprozesses Abschreibungen als Gegenleistung für den Werteverzehr an dauerhaften Produktionsmitteln sowie Faktorentgelte für die Inanspruchnahme von Faktorleistungen (Faktoreinkommen) an. Dies sind Löhne und Gehälter, Zinsen, Mieten und Pachten sowie, wenn die Erlöse die Kosten übersteigen, der Gewinn. Dieser wiederum wird aufgeteilt in verteilten (z. B. Dividende) und unverteilten bzw. einbehaltenen Gewinn. Outputseite: Bei den Erlösen dominieren in der Regel die Verkäufe; ihnen liegen Markttransaktionen zugrunde. Bei Lagerveränderungen aus eigener Produktion sowie den selbsterstellten Anlagen werden Transaktionen fingiert; die Bewertung erfolgt zu Herstellungskosten. Ermittlung der Wertschöpfung: Erläuterungsbedürftig ist hier die Position indirekte Steuern minus Subventionen (Tind – Z). Indirekte Steuern ( = Produktions- und Importabgaben an den Staat) sind für die Unternehmen zwar nur durchlaufende Posten; da sie aber in den Verkaufserlösen enthalten sind, müssen sie auf der Sollseite angesetzt werden. Subventionen stellen Kostenentlastungen dar, die in Form 15 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen von Preisermäßigungen in die Verkaufserlöse eingegangen sind; sie werden mit den indirekten Steuern saldiert. Dieser Saldo wird seit der ESVG 95 als „Nettoproduktionsabgaben“ bezeichnet. Durch Subtraktion der Abschreibungen und des Saldos aus indirekten Steuern minus Subventionen kommt man zur Wertschöpfung (Wn). Die Wertschöpfung wiederum ist identisch mit dem Entgelt für Faktorleistungen und stellt den Wert dar, den das Unternehmen tatsächlich „neu“ in einer Periode geschaffen hat. S Produktionskonto eines Unternehmens 1.10 1.11 1.12 Die BWS entspricht (etwa) dem Beitrag zum BIP. Käufe von Vorleistungen von anderen Unter nehmen (V) aus dem Ausland (Im) 1.20 Abschreibungen (DU) 1.30 Indir. Steuern ./. Subventionen 1 (Tind – Z) Bruttowertschöpf- 1.40 Nettowertung (Wb) schöpfung H 1.50 Verkäufe von Vorleistungen 1.50 an andere Unternehmen 1.52 an den Staat 1.60 Verkäufe an Private Haushalte (C U→H) 1.70 Verkäufe von Investitionsgütern (Ib) 1.71 an andere Untern. 1.72 an den Staat 1.73 selbsterst. Anlagen 1.74 Lagerbestandsveränderungen BruttoProduktionswert (BPWU) BPW enthält auch die Vorleistungen. (LU + GU) (Zinsen, Mieten, Pachten, ausgeschütteter Gewinn, unver- 1.80 Verkäufe an das Ausland (Ex) teilter Gewinn) 3.2.2 Das Produktionskonto des Sektors öffentliche Haushalte (Staat) Ein öffentlicher Haushalt zeichnet sich Produktionskonto des Sektors Staat primär dadurch aus, dass er DienstleisS H tungen für die Allgemeinheit erbringt, 2.10 Käufe von Vordie er in der Regel unentgeltlich zur Verfügung stellt. Die Finanzierung erleistungen folgt weitgehend über Zwangs1.11 von inländischen 2.40 Eigenverbrauch des abgaben. Darüber hinaus vollzieht sich Unternehmen Staates über die öffentlichen Haushalte der 1.12 aus dem Ausland = der Allgemeinheit überwiegende Teil der Einkommens2.20 Abschreibungen Bruttunentgeltlich bereitumverteilung in der Volkswirtschaft. (DSt) Produktigestellte Leistungen, Zu den öffentlichen Haushalten zählen Brutto2.30 Nettowertschöpfung onswert (CSt) die Gebietskörperschaften und die So- wertschöp(WStn) zialversicherungen. Alle öffentlichen fung (Wb) 2.31 Löhne und Gehälter Haushalte bilden den Sektor Staat. 2.32 Mieten und Pachten Die Habenseite des Produktionskon2.33 Zinsen tos eines öffentlichen Haushalts ist dadurch gekennzeichnet, dass keine Verkäufe an andere Wirtschaftssubjekte ausgewiesen werden, sondern dass die Produktion öffentlicher Güter unentgeltlich bereitgestellt wird. Daher spricht man von Konsumausgaben des Staates. Damit soll der Schwierigkeit Rechnung getragen werden, dass öffentliche Güter nicht gegen Entgelt transferiert werden. Zum einen sind die Empfänger der Leistung häufig nicht bekannt. Öffentliche Güter wie z. B. Landesverteidigung, Polizeidienste und Bildung werden der Allgemeinheit ohne direktes Entgelt zur Verfügung gestellt. Einzelne sollen oder können von der Nutzung solcher Güter nicht ausgeschlossen werden. Zum anderen kommt die Schwierigkeit der Bewertung der staatlichen Leistungen hinzu. Da keine Marktpreise existieren, wird die Bewertung zu Herstellungskosten vorgenommen. Aus dieser Vorgehensweise ergeben sich für das Produktionskonto eines öffentlichen Haushalts zwei Besonderheiten: Neue Bezeichnung seit ESVG 95: „Gütersteuern abzüglich Gütersubventionen“. Die indirekten Steuern werden auch als „Produktions- und Importabgaben“ bezeichnet. 1 16 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen • Es können keine Lagerbestandsveränderungen entstehen, da die vom Staat produzierten Dienstleistungen – wie Dienstleistungen schlechthin – nicht lagerfähig sind, sondern vielmehr bei ihrer Entstehung verbraucht werden. • Durch die Bewertung zu Herstellungskosten kann das Produktionskonto keinen Gewinn ausweisen. Als weiterer Unterschied zum Produktionskonto eines Unternehmens kommt hinzu, dass ein öffentlicher Haushalt keine Steuern an andere öffentliche Haushalte abführt und auch keine Subventionen erhält. 3.2.3 Das Produktionskonto des Sektors private Haushalte Bruttowertschöpfung 3.2.4 Produktionskonto eines privaten Haushalts S H 3.10 Löhne und Gehäl- 3.20 Verkäufe von BruttoProduktionswert Das gesamtwirtschaftliche Produktionskonto Das gesamtwirtschaftliche Produktionskonto ergibt sich als Ergebnis der Aggregation und Konsolidierung der einzelwirtschaftlichen Konten. Offensichtlich ist, dass sich die an den Staat verkauften Vorleistungen aufheben, da sie auf der einen Seite „Kosten“, auf der anderen Seite „Erlöse“ des gesamtwirtschaftlichen Produktionsprozesses darstellen. In einem nächsten Schritt werden – einer gebräuchlichen Vorgehensweise folgend – die Importe auf der Habenseite erfasst und von den Exporten subtrahiert. Dies hat den Vorteil, dass dann aus dem gesamtwirtschaftlichen Produktionskonto unmittelbar das Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen (BIPM) entnommen werden kann. Das bei der Produktion im Inland entstandene Einkommen (≅ Volkseinkommen). 3.3 Dienstleistungen an andere Haushalte (CH→H) ter von Haushalt an andere Hauhalte (LH→H) Die Produktionsaktivität des Sektors Haushalte ist begrenzt. Hierunter fallen vor allem Dienstleistungen, die von privaten Haushalten und Organisationen ohne Erwerbscharakter für andere Haushalte erstellt werden. Auf der Sollseite kommen die Aufwendungen für die Löhne und Gehälter in Ansatz. Nettoinlandsprodukt zu Faktorkosten NIPF Gesamtwirtschaftliches Produktionskonto (Inlandskonzept) S H Verkäufe von KonAbschreibungen (D) sumgütern an private Haushalte (CH) Indirekte Steuern miEigenverbrauch des nus Subventionen1) Staates (CSt) (T ind – Z) Bruttoinvestitionen (Ib) L − der Unternehmen (IbU) Inlands− des Staates (IbSt) einkommen Ausfuhr minus Einfuhr (ohne ErwerbsG und Vermögenseinkünfte) (Ex – Im) BIPM Einzel- und gesamtwirtschaftliche Einkommenskonten 3.3.1 Einkommenskonto des Sektors Haushalte Private Haushalte treten am Markt als Anbieter von Faktorleistungen (Arbeit, Boden, Kapital) sowie als Nachfrager nach Konsumgütern auf. Einkommenskonto des Sektors private Haushalte S H Direkte Steuern (TdirH) Faktoreinkommen der Ausgaben für Konsumgüprivaten Haushalte2) (YU an ter (CH) H+YH an H+ YSt an H = YH an Übertragungen an das H) Ausland (ÜanAH) Transfereinkommen (TrH) Ersparnis (SH) Übertragungen vom Ausland (ÜvomAH) Aus folgenden Quellen können Haushalte Einkommen beziehen, aus: • unselbständiger Tätigkeit Faktorein(„Arbeitnehmerentgelt“) kommen • selbständiger Tätigkeit (verteilter Gewinn, Mieteinnahmen), • Vermögen (Zinsen, Dividenden) • aus Transfers (z. B. Rente, Sozialhilfe) Umverteilungseinkommen Seit ESVG 95 als „Gütersteuern abzügl. Gütersubventionen“ bezeichnet.. Die indirekten Steuern werden auch als „Produktions- und Importabgaben“ bezeichnet. 2) Inklusive Faktoreinkommen mit dem Ausland (ExF – ImF) 1) 17 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen Zieht man von dem gesamten Einkommen die direkten Steuern (Einkommens- und Vermögenssteuern) und die Sozialabgaben (Beiträge zur Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Unfallversicherung einschließlich Arbeitgeberanteile) ab, so ergibt sich das verfügbare Einkommen. Dieses können die Haushalte entweder konsumieren, Übertragungen an das Ausland leisten (z.B. Heimatüberweisungen der „Gastarbeiter“) oder sparen. Bei Vernachlässigung der Übertragungen mit dem Ausland gilt also: Alles, was nicht konEinkommenskonto sumiert wird, stellt also Sparen dar. des Sektors Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit S 3.3.2 Einkommenskonto des Sektors UnternehDirekte Steuern (TdirU) men mit eigener Rechtspersönlichkeit Auf der Habenseite steht als einzige Einkommensquelle nur der Ersparnis der UnterPosten unverteilter Gewinn. Nach Abzug der direkten Steuern nehmen (SU) (Einkommens- und Vermögenssteuern) bleibt als Saldo das Sparen (= verfügbares Einkommen). 3.3.3 Einkommen bezieht ein öffentlicher Haushalt durch direkte und indirekte Steuern, Sozialbeiträge sowie durch Faktoreinkommen, z. B. Erträge aus Unternehmensbeteiligungen. Das Einkommen verwendet er für Transferzahlungen an die privaten Haushalte (Sozialleistungen), an Unternehmen (Subventionen) und an das Ausland (z. B. Entwicklungshilfe). Nach Abzug dieser Position ergibt sich das verfügbare Einkommen des öffentlichen Haushalts, das er ähnlich dem privaten Haushalt nur für den Konsum verwenden oder sparen kann. Nicht ausgeschüttete Gewinne (Guv) Einkommenskonto des Sektors Staat S Einkommenskonto des Sektors Staat H Subventionen an Unternehmen (Z) Transferzahlungen an private Haushalte (Tr) Konsum des Staates (CSt) H Indirekte Steuern (Tind) a) von Unternehmen b) von privaten Haushalten Direkte Steuern (Tdir) Sozialbeiträge (TSV) 3.3.4 Gesamtwirtschaftliches Einkommenskonto Empfangene FaktorFasst man die sektoralen Einkommenskonten zusameinkommen (ausgemen, erhält man das gesamtwirtschaftliche Einkomschüttete Gewinne abmenskonto. züglich Zinszahlungen Ersparnis des Staates auf die Staatsschuld, (SSt) Gesamtwirtschaftliches GSt) Einkommenskonto Konsolidierung der Umverteilung: S H Die direkten Steuern, die Sozialbeiträge der Haushalte an den Nettosozialprodukt zu Faktorkosten = NSPM Volkseinkommen ≡ = NSPF ≡ NNEF NNEM Übertragungen an das = L + G (NettoKonsum C = CH + CSt Ausland – Übertra= LH + GH + GSt + GU gungen aus dem Ausland Indirekte Steuern ÜSaldo = ÜanA – ÜvomA Ersparnis S = SH + SU + SSt 3.4 abzüglich Subventionen (Tind-Z) nationaleinkommen zu Marktpreisen) Staat (einschließlich der Arbeitgeberbeiträge) und die Transferzahlungen des Staates an inländische Haushalte fallen durch die Konsolidierung weg, da sie gesamtwirtschaftlich sowohl Einkommensbezug als auch Einkommensverwendung darstellen. Damit wird auch deutlich, dass diese Ströme lediglich eine Einkommensumverteilung bewirken. Saldiert man noch die Transferzahlungen zwischen In- und Ausland, so hat das gesamtwirtschaftliche Einkommenskonto (nach Konsolidierung) folgendes Aussehen: Auf dem gesamtwirtschaftlichen Einkommenskonto wird erfasst, was von den Inländern an Einkommen bezogen und wie dieses verwendet (genauer: aufgeteilt) wurde. Das gesamtwirtschaftlich verfügbare Einkommen ergibt sich aus der Summe von Konsum und Sparen. Einzel- und gesamtwirtschaftliche Vermögensänderungskonten 3.4.1 Vermögensänderungskonto des Sektors Unternehmen Hier steht auf der Sollseite der Erwerb von Sachvermögen, auf der Habenseite die Finanzierung des Sachvermögenserwerbes. Finanzierung des Sachvermögens Prinzipiell können die Unternehmen den Sachvermögenserwerb durch Sparen, Abschreibungen oder durch Kreditaufnahme finanzieren. Abschreibungen können insofern als Finanzierungsquelle angesehen werden, als sie in den Verkaufspreisen einkalkuliert sind und so den Unternehmen wieder zufließen. Eine echte Finanzierung ist aber nur dann möglich, wenn die Abschreibungen auch wirklich verdient worden sind. 18 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen Der Sachvermögenserwerb teilt sich in Bruttoanlageinvestitionen und Lagerbestandsveränderungen (Vorratsänderungen) auf. Seit dem ESVG 1995 umfasst der S Begriff der Anlageinvestitionen neben Sachanlagen (Bauten, Ausrüstungen, Nutztiere und Nutzpflanzen) nun auch Ausgaben für (produzierte) immaterielle Anlagegüter, wie z. B. Urheberrechte oder erworbene bzw. selbsterstellte Computersoftware. Bei den Lagerbestandsveränderungen wird nach Veränderungen aus eigener und fremder Produktion unterschieden. Die IbU Summe aus Bruttoanlageinvestitionen und Lagerveränderungen ergibt die Bruttoinvestitionen. Zieht man davon die Abschreibungen ab, so verbleiben die Nettoinvestitionen. Reichen Sparen und Abschreibungen zur Finanzierung nicht aus, kommt es zu einem Finanzierungsdefizit (= Kreditaufnahme), das sich spiegelbildlich auf dem Finanzierungskonto niederschlägt. Vermögensänderungskonto des Sektors Unternehmen Bruttoanlageinvestitionen a) Käufe von Sachanlagen und immateriellen Anlagegütern b) Selbsterstellte Anlagen und immaterielle Anlagegüter Lagerbestandsveränderungen c) bei selbsterstellten Anlagen d) auf fremdbezogene Anlagen Abschreibungen (DU) Ersparnis der Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit (SU) Finanzierungsdefizit 3.4.2 Vermögensänderungskonto des Sektors Haushalte Da die privaten Haushalte gemäß Konvention nicht Vermögensänderungskonto produzieren, können sie auch nicht investieren. Deshalb des Sektors Haushalte stellt auch der Erwerb von dauerhaften Konsumgütern, S H Ersparnis (SH)2 wie z. B. Kühlschränken oder Kraftfahrzeugen, immer Saldo: FinanzierungsKonsum der laufenden Periode dar, obwohl die Güter überschuss längerfristig nutzbar sind, also Investitionscharakter haben. Fließt einem Haushalt mehr Einkommen zu, als er für Konsumzwecke verausgabt, entsteht ein Finanzierungsüberschuss gegenüber anderen Wirtschaftssubjekten, was per Saldo eine Zunahme der Forderungen auf dem Finanzierungskonto zur Folge hat. 3.4.3 Vermögensänderungskonto Sektor Staat Vermögensänderungskonto Das Vermögensänderungskonto ist identisch mit dem eines Unterdes Sektors Staat nehmens, mit der Ausnahme, dass beim Staat keine Lagerinvestitionen getätigt werde. Auch fällt auf, dass der öffentliche Haushalt S H selbst keine Anlagen erstellen kann, d. h., seine BruttoanlageinvestiAbschreibungen (DSt) tionen sind allesamt fremdbezogen, weil Staatsunternehmen bei BruttoanlageinvestitioErsparnis (SSt) den Unternehmen und nicht bei den öffentlichen Haushalten er- nen (IbSt) Finanzierungsdefizit fasst werden. Die Finanzierung des Sachvermögenserwerbes bringt keine Neuerungen, weswegen – wie auch beim Finanzierungskonto – auf eine eingehendere Darstellung verzichtet werden kann. 3.4.4 Gesamtwirtschaftliches Vermögensänderungskonto Durch Aggregatikon der sektoralen Vermögensänderungskonten ergibt sich das gesamtwirtschaftliche Vermögensänderungskonto. Im Soll stehen die gesamtwirtschaftlichen Bruttoinvestitionen, die sich in Anlage- und Lagerinvestitionen aufteile. Im Haben wird die Finanzierung dieser Investitionen aufgezeigt. Zieht man von den Bruttoinvestitionen die Abschreibungen ab, ergeben sich die Nettoinvestitionen. Übersteigt das inländische Sparen die Nettoinvestitionen, dann resultiert daraus ein Finanzierungsüberschuss gegenüber dem Ausland und umgekehrt. Die Nettoinvestition gibt an, um wie viel sich der Kapitalstock in einer Volkswirtschaft in der betrachteten Zeitperiode verändert hat. Nur Nettoinvestitionen führen zu einer Veränderung des Kapitalbestandes, da Investitionen in Höhe der Abschreibungen lediglich die in der Periode verbrauchten Anlagegüter ersetzen. 2 Einschließlich Saldo der Übertagungen mit dem Ausland. H Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen Gesamtwirtschaftliches Vermögensänderungskonto S Bruttoanlageinvestitionen Ib =IbU + IbSt Saldo: Finanzierungssaldo gegenüber dem Auslands = Saldo der Kapitalbilanz i.w.S. = Saldo der Leistungsbilanz, LBSaldo = ExL – ImL hier: ExL > ImL Abschreibungen D = DU + DSt Ersparnis S = SH + SU + SSt H 19 Finanzierungssaldo gegenüber dem Ausland Da der Gesamtwert der Forderungen von Inländern gegenüber Inländern dem Gesamtwert der Verbindlichkeiten von Inländern gegenüber Inländern entsprechen muss, bleibt auf dem gesamtwirtschaftlichen Finanzierungskonto als Finanzierungssaldo nur noch die Veränderung der Nettoposition gegenüber dem Ausland übrig. Weist das Inland einen Finanzierungsüberschuss gegenüber dem Ausland auf, so erhöht sich die Nettoposition, weil die Forderungen an das Ausland gestiegen sind. Der Saldo entspricht dem Saldo im Auslandskonto. Es gilt die bekannte Identität: 3.5 In + LBSaldo = S Auslandskonto Auf der Sollseite stehen die Exporte von Waren und Dienstleistungen. Die Gegenbuchung erfolgt als Verkäufe an das Ausland und wird auf dem Produktionskonto erfasst. Daneben werden hier Faktoreinkommen, die vom Ausland ans Inland fließen (Erwerbs- und Vermögenseinkommen), berücksichtigt. Beispielsweise fallen hierunter die Zinserträge, die Gebietsansässigen aus dem Ausland zufließen. Die Gegenbuchung erfolgt auf dem Einkommenskonto des Haushaltssektors. Auf der Habenseite stehen zunächst die Importe von Waren und Dienstleistungen und die Faktoreinkommen, die das Ausland vom Inland bezieht. Die Gegenbuchung erfolgt jeweils auf der Sollseite des Produktionskontos. Unter Übertragungen ans Ausland ist vor allem die staatliche Entwicklungshilfe oder Heimatüberweisungen ausländischer Arbeitnehmer zu verstehen; die Gegenbuchung erfolgt hier auf dem Einkommenskonto des Staates bzw. der privaten Haushalte. Leistungsexporte* (ExL) 3.6 3.6.1 Inlands- versus Sozialprodukt ( ≡ Nationaleinkommen) Vom BIPM zum NIPF Bei der Berechnung der gesamtwirtschaftlichen Aktivität lassen sich zwei Ansätze unterscheiden. Zum einen das Inlandskonzept, das der Frage nachgeht, was in den räumlichen Grenzen eines Staates von In- und Ausländern erwirtschaftet wurde; zum anderen das Inländerkonzept, mit dessen Hilfe erfasst werden soll, was von den Inländern im In- und Ausland erwirtschaftet wurde. Ob jemand als Inländer zählt, ist dabei nicht von dessen Staatsangehörigkeit, sondern von dessen ständigem Wohnsitz abhängig. Dem Inlandskonzept folgen die verschiedenen Kategorien des Inlandsprodukts, dem Inländerkonzept hingegen die des Nationaleinkommens. Bei internationalen Vergleichen hat sich mittlerweile das Inlandskonzept durchgesetzt. Bruttoinlandsprodukt Das Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen (BIPM) umfasst die im Inland erbrachte Wirtschaftsleistung; es ist dem gesamtwirtschaftlichen Produkti- Leistungsimporte* (ImL) Änderung der NettoauslandsAuslandskonto (Leistungsbilanz) position Warenexporte Warenimporte Sind die Soll- und Habenseite be(ExW) (ImW) tragsmäßig nicht identisch, so ergibt sich eine Veränderung der Dienstleistungsimporte Nettoposition der Inländer gegenüber den Ausländern ( = Differenz (ImD) Dienstleistungsexporte zwischen Forderungen und Ver(ExD) Importierte Faktorleistungen bindlichkeiten). Dies ist unmittel(ImF = Lan A + G an A) bar einleuchtend, wenn man beispielsweise annimmt, dass sowohl Exportierte Faktorleistungen Übertragungen an das Ausland die ans Ausland gezahlten Faktor(ÜanA) Ausland einkommen als auch die ans Aus(ExF = Lvom A + Gvom A) land gezahlten Transfers die entSaldo: Nettoposition gegenüber Übertragungen aus dem sprechenden Zahlungen des Auslands an das Inland übersteigen. dem Ausland = Saldo der LeisAusland (ÜvomA) Der Teil der Exporte, der nicht tungsbilanz, (LBSaldo) durch Importe und Faktorleistun- *) einschließlich Übertragungen mit dem Ausland gen des Auslands „bezahlt“ bzw. der dem Ausland nicht geschenkt wurde (Transfers), kann dann nur noch zu einem Zuwachs an Forderungen gegenüber dem Ausland geführt haben, d. h., die Nettoposition (also der Saldo aus Forderungen und Verbindlichkeiten) hat sich entsprechend erhöht. Die Nettoposition entspricht in der Zahlungsbilanz (s.u.) dem Saldo der Leistungsbilanz. Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 20 onskonto zu entnehmen. Knüpft man an der Habenseite an, ergibt sich das Bruttoinlandsprodukt aus folgenden Positionen: BIPM = Cpr + CSt + IbrU + IbrSt + ExWD – ImWD Als Summe der Sollseite des Produktionskontos geschrieben ergibt sich: BIPM = L + G + (Tind – Z) + D (Hinweis: L + G jeweils ohne Faktoreinkommen mit dem Ausland. Also genaugenommen: LInland + GInland ) bzw. BIPM = NIPF + (Tind – Z) + D Der Zusatz „Marktpreise“ sagt aus, dass das Inlandsprodukt zu denjenigen Preisen ermittelt worden ist, die sich am Markt ergeben. Ausnahmen gelten insbesondere für die Staatlichen Leistungen (C St), selbsterstellte Anlagen und Lagerbestandsveränderungen. Sie werden jeweils mit ihren Herstellungskosten angesetzt. Für das Nettoinlandsprodukt zu Marktpreisen gilt: NIPM = Cpr + CSt + IbrU + IbrSt – DU – DSt + ExWD – ImWD bzw. NIPM = Cpr + CSt + InU + InSt + ExWD – ImWD bzw. NIPM = C + In + ExWD – ImWD Hinweis: ExWD steht immer dann, wenn es sich um ein Inlandprodukt handelt; also ohne Faktorleistungen mit dem Ausland. Entsprechend ImWD Die Marktpreise sind durch indirekte Steuern und Subventionen verfälscht. Nach Abzug dieses Postens ergibt sich das Nettoinlandsprodukt zu Faktorkosten: NIPF = Cpr + CSt + IbrU + IbrSt – DU – DSt + ExWD – ImWD – (Tind – Z) bzw. NIPF = Cpr + CSt + InU + InSt + (ExWD – ImWD) – (Tind – Z) bzw. NIPF = C + In + ExWD – ImWD - (Tind – Z) Das NIPF ist gleichbedeutend mit der inländischen Wertschöpfung und stellt den Wert der im Inland durch die Produktion von Waren und Dienstleistungen entstandenen Faktoreinkommen dar. Für das BIPF gilt: BIPF = NIPF + D Das Nettoinlandsprodukt zu Faktorkosten gibt den Wert aller im Inland bei der Produktion von Waren und Dienstleistungen entstandenen Faktorkosten (L + G) an. Die Summe dieser Faktoreinkommen ist das Nettoinlandsprodukt zu Faktorkosten. Es entspricht – bis auf einen weiter unten dargestellten Korrekturposten (!) – dem Volkseinkommen. 21 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen Vom Inlands- zum Sozialprodukt (≡ Nationaleinkommen) Inlands- versus Sozialprodukt (Nationaleinkommen) Inlandskonzept (Inlandsprodukt) – BIPM = Cpr + Ibpr + Ast + ExWD – ImWD D = – NIPM (Tind – Z) Saldo der Erwerbs- und Vermögenseinkommen zwischen In3 land und Ausland (≡ Saldo der Primäreinkommen mit der übrigen Welt) IASaldo = (LvomA – LanA) + (GvomA – GanA) + IASaldo NIPF = + IASaldo + IASaldo Summe der im Inland entstandenen Erwerbsund Vermögenseinkommen Das Sozialproduktskonzept (neue Terminologie: Nationaleinkommen) ist ein Inländerkonzept. Ermittelt wird der von Inländern erstellte Wert der Produktion, bzw. die von Inländern erzielten Einkommen. Die Summe aller Einkommen der Inländer bezeichnet man als Volkseinkommen bzw. Nettosozialprodukt zu Faktorkosten (neue Terminologie: Nettonationaleinkommen zu Faktorkosten). Nettosozialprodukt zu Faktorkosten = Volksein kommen (NSPF ≡ NNEF ≡ VE) = ≡ – = ≡ ≡ – = ≡ BSPM = Cpr + Ibpr + Ast + ExWDF – ImWDF BNEM (Bruttonationaleinkommen) D NSPM NNEM (Nettonationaleinkommen) PE („Primäreinkommen“) (Tind – Z) NSPF NNEF (Nettonationaleinkommen zu Faktorkosten) ≡ VE (Volkseinkommen = Summe der den Inländern zugeflossenen Erwerbs- und Vermögenseinkommen + IA NIPF = LInland + GInland Inländerkonzept (Sozialprodukt / Nationaleinkommen) Saldo NSPF = [LInland + (Lvom A – LanA)] + [Ginland + (Gvom A – Gan A)] NSPF = LInländer + GInländer NSPF= L + G ≡ NNEF ≡ VE Modifiziertes gesamtwirtschaftliches Produktionskonto (Inländerkonzept) Verkäufe von Konsumgütern an Abschreibungen (D) private Haushalte (CH) Indirekte Steuern minus Subventionen Eigenverbrauch des Staates (CSt) (Tind – Z) Bruttoinvestitionen - der Unternehmen (IU) Inlandseinkommen (Nettoinlands- des Staates (ISt) produkt zu Faktorkosten) NIPF = (L + G)Inlandskonzept Ausfuhr minus Einfuhr (einschließlich Erwerbs- und Vermögenseinkünfte) Saldo der Erwerbs- und Vermö(ExWDF – ImWDF) genseinkommen zwischen Inländern und der übrigen Welt (IASaldo) BSPM ≡ BNEM Der Außenbeitrag gemäß Inländerkonzept setzt sich dann wir folgt zusammen: (ExWDF – ImWDF) = (ExW + ExD + ExF) – (ImW + ImD + ImF) = (ExG + ExF) – (ImG + ImF) ExG : Güterexporte (Waren + Dienstleistungen) = ExWD ImG : Güterimporte (Waren + Dienstleistungen) = ImWD Der Index „F“ bezeichnet die exportierten und importierten Faktorleistungen. Inhaltlich geht es in erster Linie um Arbeitsentgelte mit dem Ausland („Grenzgänger“), Kapitaleinkommen mit dem Ausland (Zinserträge aus dem Ausland abzüglich Zinszahlungen an das Ausland), Entgelte für exportiertes bzw. importiertes know how (Patente und Lizenzen). Ihnen entsprechen die Einkommen der Inländer. Folglich gilt: 3 Einschließlich Saldo aus empfangenen Subventionen und geleisteten Produktions- und Importabgaben. Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 22 (Ex – Im)WDF = ( ExWD + Lvom A + Gvom A) - ( ImWD + Lan A + Gan A) In der Bundesrepublik Deutschland war in der Vergangenheit meist das BSP größer als das BIP. Seit 1997 ist der Saldo der Erwerbs- und Vermögenseinkommen zwischen Inland und Ausland allerdings negativ (2000: –29,2 Mrd. DM). 3.6.2 Nationaleinkommen – neue Begrifflichkeiten Wie bereits mehrfach erwähnt, tritt an die Stelle des Begriffs „Sozialprodukt“ seit der ESVG 95 der Begriff „Nationaleinkommen“. Das Nationaleinkommen ist also ein Inländerkonzept. Das Bruttonationaleinkommen (BNEM) entspricht dem bisherigen Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen. Um das Bruttonationaleinkommen zu ermitteln, muss zum Bruttoinlandsprodukt der Saldo der Primäreinkommen zwischen Inländern und der übrigen Welt – also der Saldo der Erwerbs- und Vermögenseinkommen mit dem Ausland – addiert werden.4 Anknüpfungspunkt ist das gesamtwirtschaftliche Einkommenskonto. Während nämlich das gesamtwirtschaftliche Produktionskonto die Produktion im Inland abbildet, erfasst das gesamtwirtschaftliche Einkommenskonto das Einkommen, das den Inländern zugeflossen ist. BSPM = BIPM + IASaldo BSPM ≡ BNEM Durch Subtraktion der Abschreibungen ergibt sich das Nettonationaleinkommen zu Marktpreisen (NNEM), welches auch als Primäreinkommen bezeichnet wird. NNEM = BNEM – D NNEM ≡ NSPM NNEM – (Tind – Z) = NNEF NNEF ≡ NSPF ≡ VE Das Nationaleinkommen bzw. das Inlandsprodukt sind nominale Größen, d. h., sie ergeben sich, indem die in einer Periode produzierten Güter und Dienstleistungen mit den jeweiligen, aktuellen Preisen bewertet werden. Preisveränderungen, die auf allgemeinen Preiserhöhungen (Inflation) beruhen, gehen also in die Berechnung ein. Stellt man aber auf die Veränderung der Wirtschaftskraft eines Landes im Laufe der Zeit ab, müssen inflationäre Aufblähungen durch einen Preisindex herausgerechnet werden. Diese Thema wird weiter unten behandelt. 4 Die VGR in der Bundesrepublik Deutschland 4.1 Übersicht: Entstehung, Verwendung, Aufteilung und Verteilung des BIP bzw. VE Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung in der Bundesrepublik Deutschland basiert auf dem System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Vereinten Nationen (System of National Accounts) und dem Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen. Beide Systeme verfolgen das Ziel, eine internationale Vereinheitlichung der VGR herbeizuführen. Das vom Statistischen Bundesamt verwendete Kontensystem geht dabei über das weiter oben vorgestellte Grundschema hinaus. Eine Erweiterung erfolgt zum einen im Hinblick auf eine stärkere Differenzierung der inländischen Sektoren und zum anderen im Die aus dem Ausland erhaltenen Faktoreinkommen (LvomA + GvomA) und die von der Europäischen Union empfangenen Subventionen (ZEU) sind hinzuzurechnen und die ans Ausland geleisteten Faktoreinkommen (LanA + GanA) und die an die Europäische Union geleisteten Produktions- und Importabgaben – also die Zolleinnahmen aus dem Handel mit Drittländern, die Einnahmen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik und die Mehrwertsteuereigenmittel sind abzuziehen. Dem Grunde nach handelt es sich also um den bisherigen Saldo der Erwerbs- und Vermögenseinkommen Primäreinkommen) mit dem Ausland (IASaldo) 4 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 23 Hinblick auf seine Aufteilung des Einkommenskontos, da im Bereich der Einkommensentstehung und –verteilung ein größerer Informationsbedarf besteht. „Reales BIP“ „Nominales BIP“ oder „BIP zu laufenden Preisen“ Quelle: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht 24 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 4.2 Die Entstehungsrechnung 4.2.1 Aufgaben und Zielsetzungen Die Entstehungsrechung dient vor allem der Wachstums- und Strukturanalyse. In ihr werden die Beiträge der Wirtschaftszweige zur gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung bzw. zum BIP ausgewiesen. Ausgangspunkt sind die Produktionswerte der Wirtschaftszweige. Nach Abzug der Vorleistungen und der Importe erhält man die sektoralen Nettoproduktionswerte. Sie werden als Bruttowertschöpfung der Wirtschaftszweige bezeichnet. Es gilt: Wb = Σ Wbi (i = 1 bis n) Für drei Wirtschaftssektoren gilt: Wb = Wb1 + Wb2 + Wb3 Diese Größe würde eigentlich dem BIPM entsprechen. Da jedoch die Einfuhrabgaben (TIm) nur global und nicht sektoral zugerechnet werden sind diese (einschließlich der nicht abzugsfähigen Umsatzsteuer) global der Wb hinzuzurechnen um das BIPM zu erhalten. Wb ≅ BIPM Bei der Entstehungsrechung handelt es sich jeweils um Inlandsgrößen, d.h. um die Produktionsleistung, die innerhalb der Grenzen eines Landes erzeugt worden ist. Das NIPM ergibt sich nach Abzug der Abschreibungen NIPM = BIPM – D Für das NIPF folgt NIPF = NIPM – (Tind – Z) Drei-SektorenEinteilung Wirtschaftszweige Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei Produzierendes Gewerbe (ohne Baugewerbe) Baugewerbe Handel, Gastgewerbe und Verkehr Kredit- und Versicherungsgewerbe, Vermietung und Unternehmensdienstleister Sonstige private Dienstleistungen Öffentliche Dienstleistungen 1) Primärer Sektor Sekundärer Sektor Tertiärer Sektor Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung 1) in vH 1,2 30,9 67,9 1999. Bruttowertschöpfung in Preisen von 1995. Quelle Statistisches Bundesamt 4.2.2 Volkswirtschaftlicher Strukturwandel Die Entstehungsrechnung kann der Analyse des Strukturwandels dienen. Typische Beziehungszahlen sind: BPWi ⋅ 100 BPW Bruttoproduktionswert des Sektors 1,2,3.. in v.H. des gesamtwirtschaftlichen Bruttoproduktionswertes. 25 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen Diese Quote gibt an, welcher Teil der im Inland produktions- und absatzwirksamen Gesamtnachfrage auf den betreffenden Wirtschaftszweig entfallen ist. Da der BPW neben der Endnachfrage auch die an andere Unternehmen und an den Staat gelieferten Vorleistungen enthält, hängt die Entwicklung dieses Anteils nicht nur von der Entwicklung der Endnachfrage, sondern auch von der Vorleistungsnachfrage ab. W bi ⋅100 Wb Bruttowertschöpfung des Sektors 1,2,3.. in v.H. der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung. Diese Quote gibt an, welchen Beitrag der Wirtschaftszweig zur gesamtwirtschaftlichen Produktion (gemessen an der Bruttowertschöpfung) erbracht hat. Dies entspricht (mit den oben gemachten Einschränkungen) seinem Beitrag zum BIP M. Da bei der Produktion Einkommen entstehen, gibt diese Quote auch an, welchen Beitrag der Wirtschaftszweig zum insgesamt im Inland entstandenen Einkommen (einschließlich der für die Erhaltung des Kapitalstocks notwendigen Mittel = Abschreibungen) geleistet hat. Bei Unterscheidung der oben erwähnten Makrosektoren (primärer, sekundärer und tertiärer Sektor) ergibt sich das im Zeitablauf für eine Volkswirtschaft typische Bild des Strukturwandels. Die Drei-SektorenBetrachtung geht auf J. FOURASTIÉ, A. G. B. FISHER und C. CLARK zurück. Ob und inwieweit es sich hierbei um eine Normalstrukturentwicklung handelt ist umstritten. In etwa parallel zur Veränderung der Produktionsstruktur hat sich auch der sektorale Anteil der Erwerbstätigen entwickelt. Ei ⋅100 E Anteil der im Sektor 1,2 oder 3.. beschäftigten Erwerbstätigen in v.H. der gesamten Erwerbstätigen. Im Zuge des sektoralen Strukturwandels kann es bei nicht hinreichender Mobilität der Arbeitskräfte (regional, beruflich, qualifikationsmäßig usf.) zur struktureller Arbeitslosigkeit kommen. 4.3 Die Verwendungsrechnung 4.3.1 Aufgaben und Ziele Die Verwendung dient vor allem der Nachfrage- und Konjunkturanalyse. Man unterscheidet: BPW = V1 + V2 + V3 + ... + Vn + Intermediäre Verwendung CH + IbU + CSt + IbSt + ExWD Letzte Verwendung Letzte inländische Verwendung Die Nachfrage nach Vorleistungen (intermediäre Verwendung) stellt eine Zwischennachfrage dar. Die Vorleistungen umfassen den Wert jener Waren und Dienste, die inländische Wirtschaftseinheiten bezogen und im Berichtszeitraum im Zuge der Produktion wieder verbraucht haben. Nach Abzug der inländischen Vorleistungen und der Importe (Vorleistungen aus dem Ausland) erhält man das BIPM. BIPM = BPW – (VInl + Im) Da die Importe nicht isoliert als importierte Vorleistungen zugerechnet werden können und von den Bruttoproduktionswerten in Abzug gebracht werden können, werden Sie immer (en bloc) mit den Exporten saldiert. BIPM = CH + CSt + IbU + IbSt + (ExWD – Im WD) Für das NIPM gilt: NIPM = CH + CSt + IbU + IbSt + (Ex WD – Im WD) – D Für das NIPF gilt: Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 26 NIPF = CH + CSt + IbU + IbSt + (Ex WD – Im WD) – D – (Tind – Z) Es handelt sich bei diesem NIPF, wie bereits erwähnt, um die Summe sämtlicher bei der inländischen Produktion von Waren und Diensten entstandenen Faktoreinkommen. Das NSPF enthält zudem die für Faktorleistungen im Ausland erhaltenen Faktoreinkommen und die an Faktorzahlungen an das Ausland (Saldo der Erwerbs- und Vermögenseinkommen mit dem Ausland, IASaldo). NSPF = NIPF + IASaldo Aus der dargestellten Verwendungsgleichung des BIPM lassen sich die entsprechenden Anteile der Verwendungskomponenten ermitteln, nämlich • • • • • • der Anteil des privaten Verbrauchs am BIPM der Anteil der Konsumausgaben des Staates am BIPM der Anteil der (privaten und/oder staatlichen) Investitionen am BIPM der Anteil der Exporte am BIPM der Anteil der Importe am BIPM der Anteil des Außenbeitrages am BIPM ≈ 59 % ≈ 19 % ≈ 20 % ≈ 35 % ≈ 33 % ≈ 2% Anteile in laufenden Preisen (Rundungsdifferenzen) 4.3.2 Investitionen Private und staatliche Investitionen Bruttoinvestitionen (Ib) Nettoinvestitionen (In) Abschreibungen (D) Lagerinvestitionen Nettoanlageinvestitionen Abschreibungen Bruttoanlageinvestitionen* Ausrüstungsinvestitionen (brutto) Bauinvestitionen (brutto) *) Seit der Konzeptänderung gemäß ESVG 95 sind folgende immateriellen Vermögenswerte erfasst: Suchbohrungen, erworbene sowie selbsterstellte Software und große Datenbanken, Aufwendungen für Urheberrechte Materielle und immaterielle Investitionen Produktionsfaktor Investitionsaktivität Sachkapitalerweiterungsinvestition (ohne technischen Fortschritt) In VGR StatisSachkapital Sachkapitalverbesserungsinvestition (Rationalisierungsinvestition) tik als Ib erfasst Humankapital Humankapitalinvestitionen (Bildungs- und Ausbildungsinvestitionen) Natürliches Ressourceninvestitionen (z. B. Investitionen zur Verringerung des Nur zum Teil Ressourcenkapital spezifischen Ressourceneinsatzes)* als Investition in der VGR Wissenskapital Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen* Organisations- Investitionen in das Organisationskapital (organisatorische Verbes- Statistik erfasst serungen)* kapital *) Seit der Konzeptänderung gemäß ESVG 95 sind folgende immateriellen Vermögenswerte erfasst: Suchbohrungen, erworbene sowie selbsterstellte Software und große Datenbanken, Aufwendungen für Urheberrechte 4.3.3 Die Staatsquote Der Anteil des Staates spielt in der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Diskussion eine zentrale Rolle. An Hand der Staatsquote wird vielfach der Grad der Einfluss des Staates auf die wirtschaftliche Aktivität diagnostiziert. Für die Gesamtausgaben des Staates gilt: GSt = CSt + IbSt + Tr + Z GSt = ASt + Tr + Z Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 27 Bei den Transferzahlungen (Tr) und den Subventionen (Z) handelt es sich lediglich um eine Umverteilung von Einkommen, sie sind bereits im BIP enthalten. Ex – Im BIPM CH IbU IbSt CSt ASt Tr GSt Z Es lassen sich folgende „Staatsquoten“ bilden: • Der Anteil des Staates insgesamt am BIPM g1 = GSt C St + I b St + Tr + Z 100 ⋅ = ⋅ 100 BIP M BIP M Hierbei handelt es sich um die „übliche Staatsquote“. Gleichwohl ist diese Quote am wenigsten aussagefähig. Es handelt sich um keine echte Quote, sondern um eine Beziehungszahl. Infolge der Umverteilungsaktivitäten (Tr und Z) ist diese Anteilsziffer künstlich aufgebläht. Korrekterweise müsste auch der Nenner um die Faktoren Tr und Z erweitert werden um zu einer echten Anteilsziffer zu gelangen: • Erweiterte Staatsquote: g2 = • GSt CSt + I b St + Tr + Z 100 ⋅ = ⋅ 100 BIPM + Tr + Z BIPM + Tr + Z Der Anteil der Ausgaben des Staates für Waren und Dienstleistungen am BIPM ASt C St + I b St g3 = 100 ⋅ = ⋅ 100 BIP M BIP M • Diese Quote gibt an, wie der Staat das BIP M in Anspruch genommen hat („beanspruchte Staatsquote“). Anteil des Staates am Produktionspotenzial g4 = ASt C + I St ⋅ 100 = St pot ,M ⋅ 100 pot , M BIP BIP b Die Staatsquote in vH des Produktionspotenzials gibt an, wie viel Prozent der volkswirtschaftlichen Produktionskapazitäten (Produktionspotenzial) durch den Staat in Anspruch genommen worden sind. Das Produktionspotenzial gibt an, welche Produktion mit den zur Verfügung stehenden Produktionsfaktoren maximal produziert werden könnte. Es ist also ein Maß für die gesamtwirtschaftliche Produktionskapazität (siehe hierzu unten). Die Staatsquote in vH des Produktionspotenzials gibt also an, wie viel Prozent der volkswirtschaftlichen Produktionskapazitäten durch den Staat in Anspruch genommen worden sind. Je größer diese Inanspruchnahme ist, umso geringer ist der Spielraum für die privatwirtschaftliche Aktivität. Der Staat drängt – unabhängig von der Art der Finanzierung der Staatsausgaben – private Ansprüche an die volkswirtschaftliche Produktionskapazität zurück. Fiskalisch erfolgt diese Zurückdrängung (crowding out) entweder über Abgaben (steuerliches crowding out), oder über die Verdrängungsprozesse infolge der Kreditfinanzierung der Staatsausgaben (insbesondere zinsbedingtes crowding out der Staatsverschuldung). 4.4 4.4.1 Verteilung des Inlands- und Sozialprodukts Primäre und sekundäre Verteilung Die Verteilungsrechung dient der Analyse der Einkommensverteilung. Bei der Produktion von Gütern entstehen Faktorkosten (Arbeits- und Kapitalkosten) und damit Faktoreinkommen (Arbeitseinkommen, Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen). Die Summe sämtlicher Faktoreinkommen der Inländer ist das Volkseinkommen (bisherige Terminologie: Nettosozialprodukt zu Faktorkosten, NSPF = Volkseinkommen VE; neue Terminologie: Nettonationaleinkommen zu Faktorkosten = NNEF). NNEF ≡ NSPF ≡ VE VE = L + G Üblich ist nach wie vor der Begriff „Volkseinkommen“. Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 28 Die Verteilung der dem Haushaltssektor zufließenden Faktoreinkommen (L + G) – Löhne (einschließlich des Arbeitgeberanteils an Sozialversicherungsbeiträgen), Gewinne, Zinsen, Pachten, Nettomieten usw. – auf die Haushalte bezeichnet man als primäre Einkommensverteilung. Diese Primärverteilung wird durch vielfältige Umverteilungsaktivitäten des Staates verändert. Zu erwähnen sind insbesondere ein progressives Steuersystem und Transferzahlungen an private Haushalte. Ergebnis dieser Umverteilung ist die sekundäre Einkommensverteilung. 4.4.2 Die funktionelle Verteilung 4.4.2.1 Lohnquote und Gewinnquote Die (Brutto-)Lohnquote (und ihr Komplement, die Gewinnquote) sind ein häufig verwendete Maß für die Entwicklung der funktionellen Einkommensverteilung. Die funktionelle Einkommensverteilung charakterisiert die Verteilung des Einkommens auf die Produktionsfaktoren. VE = L + G LQt = Lt L ⋅ 100 ≡ t ⋅ 100 VEt VEt Bereinigte Lohnquote des Jahres t (auf der Basis der Arbeitnehmerquote (ANQ) des Jahres t0 ): LQt ber = LQt ⋅ ANQto ANQt Die Relation L/VE stellt die tatsächliche Lohnquote dar. Sie misst den Anteil der Bruttoarbeitnehmerentgelte (L) am Volkseinkommen (VE). Die tatsächliche Lohnquote ist in Deutschland seit 1960 von 60 % um knapp 10 Prozentpunkte auf etwa 70 % gestiegen. Der Anstieg der tatsächlichen Lohnquote suggeriert, dass sich die funktionelle Verteilung deutlich zu Gunsten der Arbeitnehmer verändert hat. Tatsächlich hat jedoch in Deutschland der Anteil der Arbeitsnehmer an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen deutlich zugenommen, und zwar von 77 % auf 89 %. Die Ursache liegt zum Teil im Ausscheiden vieler kleiner und mittlerer Unternehmen und dem Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe sowie der zunehmenden Bedeutung von Kapitalgesellschaften (Vorstandsmitglieder einer Kapitalgesellschaft sind „Arbeitnehmer“). Ermittelt man eine Lohnquote bei rechnerisch konstant gehaltenem Arbeitnehmeranteil (z. B. auf der Basis des Jahres 1960), so erhält man die bereinigte Lohnquote. Diese Bereinigte Lohnquote ist in Deutschland seit den 60er Jahren faktisch unverändert (etwa 60 %). Auch diese Quote berücksichtigt nicht die Verteilung des Volkseinkommens auf Individuen bzw. Haushalte. Insbesondere der Tatbestand, dass Arbeitnehmer nicht nur Lohneinkommen aus unselbständiger Tätigkeit, sondern (zunehmend) auch Einkommen aus Vermögen beziehen (sog. Querverteilung) wird in der Lohnquote nicht erfasst. Besonders problematisch ist zudem die Größe „G“ (Unternehmens- und Vermögenseinkommen). Sie lässt sich vielfach nicht direkt, sondern nur als Residualgröße gemäß dem nachstehenden Schema ermitteln: 4.4.2.2 Die Arbeitseinkommensquote Der Nachteil der Lohnquote, nicht den Anteil der dem Produktionsfaktor Arbeit zuzurechnenden Einkommen zu erfassen, hat den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung veranlasst, die Daten der Verteilungsrechnung genauer zu separieren. Er hat das Konzept einer Arbeitseinkommensquote (AQ) entwickelt. Unter dieser Quote versteht der Rat das Verhältnis sämtlichen Arbeitseinkommen zum Volkseinkommen. Zu den Arbeitseinkommen zählt der Rat die Bruttoeinkommen der Arbeitnehmer und die kalkulatorischen Arbeitseinkommen der selbständig Erwerbstätigen (einschließlich der mithelfenden Familienangehörigen). At At AQt = ⋅ 100 ≡ ⋅ 100 F NNE F NSPt Diese Arbeitseinkommensquote beträgt etwa 80 % des Volkseinkommens. Die komplementäre Kapitaleinkommensquote (ohne „Unternehmerlohn“) beträgt somit etwa 20 % des Volkseinkommens. 4.4.3 Personelle Verteilung Die personelle Einkommensverteilung charakterisiert die Verteilung der Einkommen auf Personen oder Haushalte. Sie knüpft an die Verteilung des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte an. Es handelt sich um ein Maß der Sekundärverteilung. 29 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen ExWDF – ImWDF CH Tind – Z L BSPM CSt InU InSt M M NSP ≡ NNE VE = NSPF ≡ NNEF GH Guv GSt (L + GvH + Tr + ÜvomAusl) - TdirH Ev CH SH ÜanA Aufteilung des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte DU DSt Das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte (nach Steuern) ist wie folgt definiert: EvH = NSPF – Guv – GSt + Tr - TdirH Dabei kennzeichnen Guv die nicht ausgeschütteten Gewinne der Kapitalgesellschaften, GSt den Gewinn des Staates (an den Staat ausgeschüttete Gewinne öffentlicher Unternehmen) und TdirH die direkten Steuern der privaten Haushalte. 4.5 Aufteilung des Inlands- bzw. Sozialprodukts Die Aufteilungsrechnung dient u.a. der Analyse des Sparverhaltens (Geldvermögensbildung). Für die Aufteilung des NSPM gilt: NSPM ≡ NNEM = CH + CSt + SH + SU + SSt + (Üan A – Üvom A) NSPM = CH + CSt + SH + SU + SSt + ÜSaldo NSPM ≡ NNEM = C + S + ÜSaldo Das NSPM kann folglich entweder für Konsum, oder für Ersparnis bzw. für Übertagungen an das Ausland (saldiert mit den Übertragungen vom Ausland) aufgeteilt worden sein. Für das BSPM gilt entsprechend: BSPM = C + S + ÜSaldo + D Für das NSPF bzw. NNEF gilt: NSPF ≡ NNEF 4.6 = C + S + ÜSaldo - (Tind – Z) Herleitung der vollständigen ex-post-Vermögensänderungsidentität Verwendungsgleichung: NSPM ≡ NNEM = CH + Ib – D + CSt + ExWDF – Im WDF Aufteilungsgleichung: NSPM ≡ NNEM = CH + CSt + SH + SU + SSt + Üan A – Üvom A Mithin folgt: CH + Ib – D + CSt + ExWDF – Im WDF = CH + CSt + SH + SU + SSt + Üan A – Üvom A In + Ex – Im = SH + SU + SSt + Üan A – Üvom A In + Ex - Im = S + ÜASaldo In + LBSaldo = S Das ist die bereits bekannte Ex-post-Identität. 30 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen In + (ExW + ExD + ExF + Üvom A) – (ImW + ImD + ImF + Üan A ) = S Hierbei bedeuten: Symbole Kennzeichnung ExW ImW bzw. ExD bzw. ImD ExF bzw. ImF Üan A bzw. Üvom A Teilbilanz der Zahlungsbilanz Exportierte / importierte Waren Exportierte / importierte Dienstleistungen Exportierte / importierte Faktorleistungen Handelsbilanz Dienstleistungsbilanz Saldo der Erwerbs- und Vermögenseinkommen (Saldo der Primäreinkommen mit dem Ausland) (IASaldo) Laufende Übertragungen an / aus dem Aus- Bilanz der laufenden Überland tragungen = Leistungsbilanz (LBSaldo) ExL – ImL (= ExWDFÜ - ImWDFÜ) Es lässt sich folglich schreiben: In + LBSaldo = S bzw. In + ExL – ImL = S Interpretation einer Situation mit Leistungsbilanzüberschuss5: Die Bundesrepublik Deutschland erwirtschaftete bis zu Beginn der 90er Jahre hohe Leistungsbilanzüberschüsse gegenüber dem Ausland (2004: + 84 Mrd. €). Ein derartiger Überschuss bedeutet offensichtlich, dass • • • • die inländischen Wirtschaftssubjekte gegenüber den ausländischen Wirtschaftssubjekten eine Netto-Gläubigerposition i. H. v. 84 Mrd. € erwirtschaftet hatten, bzw. die Netto-Forderungsposition der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der übrigen Welt sich um 84 Mrd. € erhöht hatte, bzw. die Wirtschaftssubjekte Deutschlands deutlich mehr Güter produziert hatten als im Inland absorbiert (konsumiert oder investiert) worden sind, bzw. die Bundesrepublik Deutschland per Saldo einen Kapitalexport i.H.v. 84 Mrd. € zu verzeichnen hatte. Nach der deutschen Vereinigung verzeichnet die Bundesrepublik Deutschland Leistungsbilanzdefizite gegenüber dem Rest der Welt (1991: - 40 Mrd. €). Ein derartiges Defizit bedeutet offensichtlich, dass • • • das Inland gegenüber dem Ausland seine bisherige Netto-Forderungsposition um 40 Mrd. € verringert hat bzw. eine NettoSchuldnerposition eingegangen ist, bzw. die Wirtschaftssubjekte Deutschlands deutlich weniger Güter produziert hatten als im Inland absorbiert (konsumiert oder investiert) worden sind (das Inland lebt offensichtlich seit der deutschen Vereinigung „über seine Verhältnisse“), bzw. die Bundesrepublik Deutschland per Saldo einen Kapitalimport i.H.v. 40 Mrd. € zu verzeichnen hatte. Ein Leistungsbilanzüberschuss ist also keineswegs von vornherein eine ökonomisch sinnvolle Situation. Mit ihm ist zwar c.p. eine höher Beschäftigung im Inland verbunden, der „Gegenwert“ der Mehrproduktion fließt allerdings dem Ausland zu. Zumindest länger anhaltende strukturelle Leistungsbilanzüberschüsse sind problematisch. Sie verursachen im Zweifel Inflation im Inland (importierte Inflation). Der (zunehmenden) Gläubigerposition des Inlandes entspricht zudem eine (zunehmende) Schuldnerposition des Auslandes. Strukturelle Leistungsbilanzdefizite erfordern umgekehrt zunehmende Kapitalimporte (Verschuldung des Inlands gegenüber dem Ausland). Auf Dauer sind strukturelle Defizite nicht finanzierbar. 5 Siehe auch die Erläuterung zum 4-poligen Kreislauf. Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 5 31 Einzelprobleme der VGR 5.1 Ermittlungsmethoden und -probleme Die Ermittlung der VGR-Daten erfolgt i.d.R. auf der Basis von Sekundärstatistiken, da Primärstatistiken nur begrenzt zur Verfügung stehen. Die Fehlergrenzen der Daten dürften bei ± 5 % liegen. Das BIP zu Marktpreisen wird keineswegs durchgängig zu Marktpreisen ermittelt. Zwar ist die Verkaufswertmethode beim Sektor Unternehmen weitgehend vollständig möglich (Ausnahmen sind selbsterstellte Anlagen, Eigenverbrauch der Unternehmer, Bestandsänderungen an Halb- und Fertigwaren; hier erfolgt die Ermittlung zu Herstellungskosten). Bei den Sektoren Staat und private Haushalte erfolgt jedoch lediglich die Anwendung der Kostenmethode. Faktisch ist damit eine Unterbewertung der Produktionsbeiträge dieser Sektoren verbunden. 5.2 Doppelzählungen Endprodukte (Endnachfrage) sind solche Güter, die – im Unterschied zu Vorleistungen – nicht wieder innerhalb des Berichtszeitraumes im Produktionsprozess eingesetzt werden. Das Inlandsprodukt sollte nur solche Waren und Dienstleistungen enthalten, die entweder unmittelbar der gegenwärtigen oder aber (indem sie die wirtschaftliche Produktionskapazität erhöhen) mittelbar der künftigen Bedürfnisbefriedigung dienen (Bruttoendproduktion). Die Abgrenzung zwischen Vorleistungen und Endprodukten ist jedoch nicht zweifelsfrei möglich. Im BIP werden teils Leistungen als Endprodukte ausgewiesen, obwohl es sich hierbei wirtschaftlich um Vorleistungen handelt. Insoweit enthält das BIP Doppelzählungen. Beispiele sind: Staatliche Käufe von Gütern und Faktorleistungen werden generell als Endnachfragekomponenten aufgefasst. Öffentliche Güter sind jedoch ihrerseits teils Vorleistungen im Produktionsprozess. KUZNETS hat vorgeschlagen, den privaten Unternehmen denjenigen Teil der Staatsausgaben, der der Höhe der indirekten Steuern entspricht, als Vorleistungen in Rechnung zu stellen. Bei diesem tax payment approach wird unterstellt, dass die von den Unternehmen genutzten Staatsleitungen in etwa dem Betrag der indirekten Steuern entsprechen. Allerdings handelt es sich weder bei den indirekten noch bei den direkten Steuern um spezifische Entgelte für vom Staat in Anspruch genommene Leistungen (Nonaffektationsprinzip). Im Prinzip müsste jede Staatsausgabe auf ihren Charakter als Endprodukt oder Vorleistung geprüft werden – eine faktisch kaum zu leistende Aufgabe. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 3 – 4 % der Staatsausgaben als Vorleistungen anzusehen sind und vom BIP in Abzug zu bringen wären. Auch Haushaltsausgaben haben zum Teil Vorleistungscharakter. Privater Verbrauch ist nämlich zum Teil notwendige Voraussetzung für die Teilnahme am Produktionsprozess. Beispiele sind die Fahrt zur Arbeitsstätte und die Ausbildungskosten. Andrerseits sind Unternehmensausgaben, die als Vorleistungen behandelt werden, von der Sache her teils Endprodukte. Dies gilt für betriebliche Sport-, Erholungs- und Sozialeinrichtungen, für ärztliche Untersuchungen, berufliche Aus- und Weiterbildung u.a.m. 5.3 Abgrenzung zwischen Konsum und Investition Auch die Abgrenzung zwischen Konsum und Investitionen in der VGR ist nicht immer unumstritten. Als Investitionen sollten diejenigen Aktivitäten gelten, die die volkswirtschaftliche Produktionskapazität steigern (sog. Kapazitätseffekt der Investitionstätigkeit). In der VGR werden allerdings nur die materiellen reproduzierbaren (Anlage-)Investitionen erfasst. Immaterielle Investitionen (Bildung und Ausbildung, F&E-Investitionen, Investitionen in die Erhaltung der Gesundheit, Investitionen zur Erhaltung der natürlichen Umwelt usf.) werden regelmäßig nicht als investiv im Sinne der VGR ausgewiesen.6 Damit wird einer verkürzten Sicht der Investitionstätigkeit Vorschub geleistet. 6 Ausnahmen gelten seit der ESGV ´95 insbesondere für Suchbohrungen, Software und Urheberrechte. Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 5.4 32 Zeitliche Vergleichbarkeit – Ausschaltung von Preisänderungen 5.4.1 Deflationierung des BIP – der Preisindex des BIP Um Inlands- und Sozialproduktaggregate in zeitlicher Hinsicht vergleichbar zu machen Preisniveauänderungen ausgeschaltet werden. Bruttoinlandsprodukte (oder vergleichbare VGR-Aggregate), die auf der Annahme konstanter Preise eines Basisjahres ermittelt werden, bezeichnet man als reales BIP. Hierzu wird das (nominelle) BIP mit dem Preisindex des BIP deflationiert. Es gilt: M BIPt M , real BIPt = ⋅ 100 PBIP PBIP repräsentiert den Preisindex des Bruttoinlandsprodukts. Für die Veränderungsraten (w) gilt: wBIPreal = wBIP - wPBIP Wenn von „Wirtschaftswachstum“ gesprochen wird, so ist regelmäßig das reale BIP-Wachstum gemeint. Einführung der Vorjahrespreisbasis seit 2005 Bisher wurde die Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) in konstanten Preisen eines Basisjahrs (z.B. 2000) nachgewiesen (Festpreisbasis). Das Basisjahr wurde in der Regel etwa alle fünf Jahre geändert, um zwischenzeitlichen Verschiebungen der Preisrelationen Rechnung zu tragen. Ab der Revision 2005 wird die kurzfristige reale Entwicklung in Preisen des Vorjahres (Vorjahrespreisbasis) dargestellt. Der Sachverhalt wird auch als „Verkettung“ bezeichnet (Ausweis als preisbereinigtes BIP „verkettet“). Der Preisindex des BIP darf allerdings nicht mit dem allgemein üblichen Preisindex der Lebenshaltung aller privaten Haushalte verwechselt werden. Der „Warenkorb des Preisindex der privaten Haushalte ergibt sich aus den Verbrauchsgewohnheiten der Privaten Haushalte. Der „Warenkorb“ des Preisindex des BIP ist der gesamte Gütervolumen des BIP. Beim Preisindex des BIP handelt es sich zudem um einen Paasche Index (variable Mengenstruktur) beim Preisindex der privaten Haushalte handelt es dagegen um einen Laspeyres-Index (festes Mengengerüst). 5.4.2 5.4.2.1 Verbraucherpreisindizes Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte Der Preisindex für die Lebenshaltung ist ein wichtiger Bestandteil des preisstatistischen Berichtssystems für die Bundesrepublik Deutschland. Dieses System umfasst u.a. zusätzlich den Index der Erzeugerpreise gewerblicher Produkte, Preisindizes für Bauwerke, den Index der Erzeugerpreise landund forstwirtschaftlicher Produkte, den Index der Großhandelsverkaufspreise, den Index der Einzelhandelspreise und den Index der Ausfuhrpreise. Der Preisindex für die Lebenshaltung misst die durchschnittliche Preisveränderung aller Waren und Dienstleistungen, die von privaten Haushalten für Konsumzwecke gekauft bzw. verbraucht werden. Mit dem Preisindex für die Lebenshaltung wird somit die Veränderung der Verbraucherpreise umfassend abgebildet (Verbraucherpreisindex). Er wird oft zur Messung der allgemeinen Geldwertentwick- Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 33 lung verwendet. Der Preisindex für die Lebenshaltung bezieht sich in der weitesten Abgrenzung auf alle privaten Haushalte der Bundesrepublik Deutschland. § Preisveränderungen werden gemäß ihrer Verbrauchsbedeutung berücksichtigt Die Preisveränderungen der einzelnen Konsumgüter werden gemäß der Verbrauchsbedeutung, die diesen Waren und Dienstleistungen im Budget der privaten Haushalte zukommt, im Preisindex berücksichtigt. Hierzu wird eine Verbrauchsstruktur auf der Grundlage der Ausgaben der privaten Haushalte für die Käufe von Waren und Dienstleistungen bestimmt. Die Ausgaben der privaten Haushalte für Waren und Dienstleistungen werden auf Stichprobenbasis in regelmäßigen Haushaltsbefragungen ermittelt. § Der Preisindex für die Lebenshaltung misst nur reine Preisänderungen Der Preisindex für die Lebenshaltung soll, wie die übrigen Preisindizes der amtlichen Preisstatistik, nur reine Preisveränderungen messen. Dies wird dadurch erreicht, dass die Kosten für ein im Zeitablauf quantitativ und qualitativ unverändertes Bündel von Konsumgütern ermittelt und verglichen werden. D.h., bei den Berechnungen werden eine unveränderte Verbrauchsstruktur (Gewichte) sowie konstante Güterqualitäten unterstellt. Die der Indexrechnung zugrunde gelegte Verbrauchsstruktur wird in der Regel alle fünf Jahre, nämlich in den auf 0 und 5 endenden Jahren, aktualisiert. § Monatlich werden in 190 Berichtsgemeinden ... Zur Monatsmitte werden Preise in 190 Berichtsgemeinden im ganzen Bundesgebiet erhoben. Die Berichtsgemeinden sind regional über die gesamte Bundesrepublik Deutschland verteilt (118 Gemeinden im Westen, 72 Gemeinden im Osten). Großstädte werden ebenso abgedeckt wie mittlere und kleine Gemeinden (bis zu einer Einwohnerzahl von mindestens 5.000). § ... für etwa 750 verschiedene Waren und Dienstleistungen ... Im Preisindex für die Lebenshaltung werden die Preisveränderungen von etwa 750 genau beschriebenen Waren und Dienstleistungen zusammengefasst. Die Waren und Dienstleistungen werden mit dem Ziel ausgewählt, den Verbrauch der privaten Haushalte hinreichend genau zu repräsentieren. § ... ca. 350.000 Einzelpreise erhoben ... Insgesamt werden etwa 350.000 Preisreihen für das gesamte Bundesgebiet ermittelt. Zusätzlich veröffentlicht das Statistische Bundesamt seit 1997 für Deutschland einen innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union harmonisierten Verbraucherpreisindex (sog. HVPI). Darüber hinaus stellen auch einige Statistische Landesämter Verbraucherpreisindizes bereit, die auf das jeweilige Bundesland bezogen sind. 5.4.2.2 Zur Aussagekraft des Preisindex der Lebenshaltung § Veränderung der Verbrauchsgewohnheiten Veränderungen in der Struktur der Verbrauchsausgaben erzwingen von Zeit zu Zeit Umstellung auf neue Basis: 1962, 1970, 1976, 1980, 1985, 1991, 1995 und zur Zeit. 2000. § Unschärfen bei der Ausschaltung von Qualitätsänderungen ("Qualitätsfehler") Preisänderungen, die aus Qualitätsänderungen resultieren, dürfen idealer Weise bei der Preismessung nicht berücksichtigt werden. Obwohl die amtliche deutsche Verbraucherpreisstatistik große Anstrengungen zur Ausschaltung von Qualitätsänderungen unternimmt, gelingt es dennoch nicht, alle Qualitätsveränderungen herauszurechnen. Die Deutsche Bundesbank schätzt diesen Messfehler auf etwa ¾ Prozentpunkte. Um Qualitätsveränderungen besser zu erfassen führt das Statistische Bundesamt sukzessive das sog. hedonische Verfahren in die Preisstatistik ein. Dabei wird ein Gut (z.B. ein PC) in Teilkomponenten zerlegt und Ausstattungsänderungen (z.B. ein leistungsfähiger Prozessor) bei der Indexberechung berücksichtigt. § Lücken bei der Einbeziehung neuer Güter Neue Güter weisen zu Beginn ihres Lebenszyklus in der Regel eine typische Preisentwicklung auf. Aufgrund steigender Nachfrage können sie zu sinkenden Stückkosten produziert werden, mit der Folge, dass ihre Preise nach der Markteinführung kräftig sinken. Neue Güter werden aber meist erst nach mehreren Jahren in den Preisindex für die Lebenshaltung aufgenommen, frühestens bei der nächsten Aktualisierung des Warenkorbes. Die anfänglichen Preissenkungen bei neuen Gütern bleiben also bei der Messung der Teuerung unberücksichtigt. Bei neuen Gütern weist der Preisindex für die Lebenshaltung eine weitere Messlücke auf. Neue Güter können sich nur dann am Markt durchsetzen, wenn sie dem Verbraucher zusätzlich Nutzen stiften. Dieser Nutzengewinn sollte idealer Weise bei der Messung der Veränderung der Lebenshaltungskosten berücksichtigt werden. Der Preisindex für die Lebenshaltung tut dies jedoch nicht, da neue Güter durch Verkettung – also indexneutral – in die Indexberechnung "eingeschleust" werden. Die amtliche Statistik geht zunehmend dazu über, neue Produkte zügiger in den Warenkorb aufzunehmen. § Nichtberücksichtigung der Gütersubstitution ("Gütersubstitutionsfehler") Wenn die Preise für einige Konsumgüter stärker steigen als für andere, wird ein nutzenmaximierender Haushalt versuchen, die Kaufkraftverluste möglichst gering zu halten, indem er seinen Verbrauch von Gütern mit überdurchschnittlichen Preissteigerungen zu Gütern mit unterdurchschnittlichen Preissteigerungen umschichtet. Der Preisindex für die Lebenshaltung erfasst solche Substitutionsvorgänge nicht, er misst – entsprechend dem Messkonzept eines Laspeyres-Preisindex – die Veränderung der Kosten eines konstanten Konsumgüterbündels. Gemessen an einem idealen Lebenshaltungskostenindex übertreibt ein Laspeyres-Preisindex daher die tatsächliche Teuerung, weil er den relativ preiswerter gewordenen Gütern noch das alte, zu niedrige (Mengen-)Gewicht beimisst und nicht das aktuelle, höhere Gewicht. 34 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen § Nichtberücksichtigung des Verkaufsstellenwechsels ("Verkaufsstellensubstitutionsfehler") Durch neue Vertriebsformen des Einzelhandels, z.B. Discounter, Handel vom Lager oder Handel im Internet, kann es zu spürbaren Verschiebungen der Marktanteile zu Gunsten der neuen Vertriebsformen kommen, wenn diese ihre Waren bzw. Dienstleistungen zu einem günstigeren Preis-/Leistungsverhältnis anbieten als die traditionellen Vertriebsformen. Die Ersparnisse bei den Lebenshaltungskosten, welche die Haushalte durch eine Umschichtung ihrer Nachfrage von den traditionellen zu neuen, billigeren Vertriebsformen erzielen können, werden im Preisindex für die Lebenshaltung nicht erfasst. ("ALDI oder LIDLEffekt"). Obwohl inzwischen mit dem hedonistischen Verfahren auch Qualitätsveränderungen besser erfasst werden können, kann man insgesamt mit Blick auf die weiteren Erfassungsprobleme eine Inflationsrate von etwa 0,5 bis 1 Prozent als „Preisniveaustabilität“ interpretieren. 6 Verwendungszwecke des Inlandsprodukts Die herrschende VGR-Statistik ist ein Kompromiss aus verschiedenen Zwecksetzungen, nämlich der • Ermittlung des Marktnachfrageprodukts • Ermittlung des Ressourcenprodukts • Ermittlung des Wohlfahrtsprodukts Das vorherrschende Konzept der VGR dient vor allem der Ermittlung des Marktnachfrageprodukts. 6.1 Das Inlandsprodukt als Konjunktur- und Wachstumsindikator 6.1.1 Tatsächliche Produktion und gesamtwirtschaftliche Nachfrage Sieht man vom Eigenverbrauch der Landwirte und vom Mietwert der selbstgenutzten Wohnungen ab, so ist das BIP ein relativ guter Indikator zur Machtnachfrageanalyse. Die Entwicklung des BIPM, real unterliegt im Zeitablauf Schwankungen. Nachfrageschwankungen führen zu unstetiger Entwicklung des BIP (Wachstumsschwankungen). Für die Wachstumsanalyse ist es allerdings sinnvoll, zwischen dem tatsächlich erzeugten realen BIP und dem erzeugbaren bzw. potentiellen BIP zu unterschieden. Letzteres wird als Produktionspotenzial bezeichnet. 6.1.2 6.1.2.1 Das Produktionspotenzial t Die volkswirtschaftliche Produktionskapazität Textauszug Sachverständigenrat JG 2004/05 Unter dem gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzial ist jene Wirtschaftsleistung zu verstehen, die bei gegebener Technologie mit den vorhandenen Produktionsfaktoren (insbesondere Arbeit und Kapital) erbracht werden könnte, wenn die Produktionsfaktoren mit normaler Intensität genutzt werden würden. Das volkswirtschaftliche Produktionspotenzial (BIPM,pot) ist also mit anderen Worten das innerhalb einer Periode mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen maximal erzeugbare BIP M. Diese potenzielle Prot duktion (volkswirtschaftliche Kapazität) hängt also ab von der Ausstattung der Volkswirtschaft mit Poduktionsfaktoren: BIPM,pott = f ( A, K, R, T, O)t A: K: R: T, O: Arbeitskräftepotenzial Ausstattung mit Sachkapital Ausstattung mit natürlichen Ressourcen Technisches und organisatorisches Wissen Das Wachstum (w) der volkswirtschaftlichen Produktionskapazität hängt ab von der quantitativen und qualitativen Entwicklung der Faktorbestände. Nettoinvestitionen haben also einen Kapazitätserweiterungseffekt. 35 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen = f ( wA , ist abhängig von ... Volkswirtschaftliches Kapazitätswachstum (Wachstum des Produktionspotenzials) wBIP M, pot Human− kapitalinvestitionen (Bildung − und Ausbildung) wK , Sachkapitalerweiterungsinvestitionen (ohne technischen Fortschritt) Sachkapitalverbesserungsinvestitionen (Rationalisierungsinvestitionen) wR , wT , Ressourceninvestitionen (z. B. Investitionen zur Verringerung des spezifischen Energieverbrauchs) Forschungsund Entwicklungsinvestitionen wO ) Investitionen in das Organisationskapital (organisatorische Verbesserungen) Kapazitätseffekt der Investitionstätigkeit Potenzialschätzungen werden insbesondere seitens des deutschen Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („fünf Weise“) und seitens der Deutschen Bundesbank durchgeführt. Ihnen liegen unterschiedliche methodische Ansätze zu Grunde. 6.1.3 Auslastungsgrad des Produktionspotenzials Konjunkturschwankungen werden vom Sachverständigenrat als Schwankungen im Auslastungsgrad des Produktionspotenzials definiert. Der Auslastungsgrad des Produktionspotenzials (a) ist wie folgt definiert: BIPM ⋅100 a= M , pot BIP Damit repräsentiert der gesamtwirtschaftliche Auslastungsgrad Kapazitätsauslastungsschwankungen. Er gibt die Inanspruchnahme der Produktionsfaktoren in der betreffenden Periode an. Wird das Produktionspotenzial als Resultat des Einsatzes sämtlicher Produktionsfaktoren geschätzt, so handelt es sich beim Auslastungsgrad um den gemeinsamen „Inanspruchnahmegrad“ dieser Produktionsfaktoren, insbesondere um den gemeinsamen Auslastungs- bzw. Beschäftigungsgrad der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital. Ein Auslastungsgrad von 96,75 Prozent stellt nach Auffassung des Sachverständigenrates eine „Normalauslastungssituation“ dar. 6.1.4 Konjunkturschwankungen und konjunkturelle Zielverletzungen Die Folge von Konjunkturschwankungen sind konjunkturelle Zielverletzungen also konjunkturelle Unterauslastung in der Rezession (speziell konjunkturelle Arbeitslosigkeit) bei gleichzeitig (normalerweise) geringer Inflation bzw. konjunkturelle Inflation (Nachfrageinflation) im Boom, bei gleichzeitig geringer Konjunktureller Unterbeschäftigung (bzw. geringer Unterauslastung des Sachkapitalstocks). Dieser Zusammenhang zwischen konjunkturellen Zielverletzungen ist in der nebenstehenden Grafik dargestellt. Der dargestellte Zusammenhang zwischen Konjunkturschwankungen, konjunktureller Arbeitslosigkeit bzw, konjunktureller Inflation (Nachfrageinflation) ist in dieser idealtypischen Weise nur bedingt in der Realität zu beobachten. Die tatsächlich beobachtete Arbeitslosigkeit und die tatsächlich beobachtete Inflation setzt sich aus einer konjunkturellen und einer nicht-konjunkturellen Komponente zusammen. Die nichtkonjunk-turelle Komponente der Arbeitslosigkeit wird vielfach mit dem Sammelbegriff strukturelle Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Hierunter versteht man Arbeitslosigkeit infolge von Strukturveränderungen in der Wirtschaft (strukturelle Arbeitslosigkeit i.e.S.), Arbeitslosigkeit als Folge eines anhaltend zu geringen Wirtschaftswachstums (Stagnationsarbeitslosigkeit), Arbeitslosigkeit als Folge ei- Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 36 nes zunehmenden Erwerbspersonenpotenzials (demographische Arbeitslosigkeit), Arbeitslosigkeit infolge zunehmender rationalisierungsbedingter Freisetzungseffekte (technologische Arbeitslosigkeit) u.a.m. Die nicht-konjunkturelle Inflation wird – in Abgrenzung zur Nachfrageinflation – i. d.R. als Angebotsinflation bezeichnet. Hierunter versteht man Inflationsprozesse, die durch Kostendruck verursacht sind (u.a. Lohnkosteninflation) und/oder auf erhöhte Gewinnansprüche marktbeherrschender Unternehmen oder Kartelle zurückzuführen sind (Gewinndruckinflation). Angebotsinflation ist letztlich Folge von Verteilungskämpfen; sie ist ein Machtphänomen, nicht jedoch eine zyklische („konjunkturelle“) Erscheinung. Aufgabe der Konjunkturpolitik ist es, eine optimale Kombination zwischen konjunktureller Inflation und konjunktureller Arbeitslosigkeit zu realisieren. Da jedem Auslastungsgrad eine bestimmte Kombination von (konjunktureller) Inflation und (konjunktureller) Arbeitslosigkeit entspricht, lässt sich die Aufgabe der Konjunkturpolitik auf wie folgt definieren: Aufgabe der Konjunkturpolitik ist es die Wirtschaft auf einem optimalen Auslastungsgrad zu stabilisieren. Nach Auffassung des Sachverständigenrates ist ein Auslastungsgrad von 96,75 % ein guter Kompromiss zwischen den Zielen konjunktureller Inflation und konjunktureller Unterbeschäftigung. Das Aufgabenfeld der Konjunkturpolitik ist – wie der Name sagt – auf die konjunkturellen Zielverletzungen gerichtet. Es geht um die Wahl einer optimalen Kombination von konjunktureller Arbeitslosigkeit und konjunktureller Inflation auf einer gegebenen Phillips-Kurve. Aufgabe der Konjunkturpolitik ist es nicht, die Ursachen der nicht-konjunkturellen Inflation (Angebotsinflation) und der nicht-konjunkturellen Arbeitslosigkeit (strukturelle Arbeitslosigkeit i.w.S.) zu bekämpfen. Diese Ursachen entscheiden über die Lage der Phillips-Kurve im Koordinatensystem: je größer die strukturelle Teil der Unterbeschäftigung ist, um so weiter rechts liegt die Phillips-Kurve; je größer die Angebotsinflation, um so mehr ist die Phillips-Kurve nach oben verschoben. Nehmen strukturelle Arbeitslosigkeit und Angebotsinflation gleichzeitig zu, so ergibt sich eine Nord-OstVerlagerung der Phillips-Kurve. Dies wird als Stagflation bezeichnet. Mittels der Konjunkturpolitik ist nicht möglich, die Lage der Phillips-Kurve zu beeinflussen. Strukturelle Arbeitslosigkeit und Angebotsinflation können nur bekämpft werden, indem an ihren Ursachen angesetzt werden. Dies ist das Aufgabenfeld der übrigen Bereiche der Wirtschaftspolitik. Mit Bezug auf die Bekämpfung der nicht-konjunkturellen Unterbeschäftigung sind Beispiele die Strukturpolitik (zur Bekämpfung strukturelle Arbeitslosigkeit i.e.S.) und die Wachstumspolitik (zur Bekämpfung der wachstumsdefizitären Arbeitslosigkeit), Diskutiert wird aber auch über Arbeitszeitverkürzung, um die bei nicht ausreichendem Wachstum verbleibenden Arbeitsplätze gerechter zu verteilen und über die Bremsung des technischen Fortschritts mit blich auf rationalisierungsbedingte Freisetzungen. Mit Blick auf die Bekämpfung der Angebotsinflation besteht das Ziel in der Eindämmung inflationstreibender Verteilungsauseinandersetzungen und in der Begrenzung machtbedingter Preiserhöhungen. Auf damit zusammenhängende Probleme kann hier nicht näher eingegangen werden (siehe hierzu Jürgen Pätzold, Stabilisierungspolitik, Bern, Stuttgart 1998) 6.1.5 Entwicklung der Phillips-Kurve in Deutschland und Stagflation Betrachtet man die Entwicklung der Ziele Inflation und Arbeitslosigkeit in Deutschland, so ergibt sich auf den ersten Blick kein eindeutiger Zusammenhang. Es lassen sich allerdings 4 Phasen unterschieden: (1) Bewegung auf der Phillips-Kurve in den 60er Jahren (2) Verschiebung der Phillips-Kurve nach oben Anfang der 79er Jahre (3) Rechtsverlagerung der PhillipsKurve seit Mitte der 70er Jahre (4) (moderate) Rückverlagerung der Phillips-Kurve seit Mitte der 90er Jahre. Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 6.1.5.1 37 Exkurs: Synopse stabilisierungspolitischer Konzeptionen Synopse stabilisierungspolitischer Konzeptionen Postkeynesianische Konzeption "Nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik" Neoklassische Konzeption "Angebotsorientierte Wirtschaftspolitik" Instabilitätshypothese Marktwirtschaftliche Systeme sind infolge von Wettbewerbsbeschränkungen inhärent instabil ("Marktpessimisten"). Es besteht insbesondere die Gefahr eines "Gleichgewichts bei Unterbeschäftigung"). Die Wirtschaftspolitik ist allerdings fähig mittels geeigneter Interventionen das Marktsystem zu stabilisieren und Fehlentwicklungen entgegenzusteuern ("Politikoptimisten"). Stabilitätshypothese Marktwirtschaftliche Systeme sind inhärent stabil. Wenn in der Realität dennoch Instabilitäten zu beobachten sind, so sind diese Folge eines unzureichend funktionierenden Wettbewerbs und/oder Folge von Interventionen des Staates in das Marktsystem. Aufgabe der Politik ist es die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass der Wettbewerb funktioniert ("Kausaltherapie durch Ordnungspolitik"). Der Staat soll sich im übrigen jeglicher Interventionen in das Marktsystem zu enthalten ("Konstanz der Wirtschaftspolitik"). Nachfrageorientierung Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ist die entscheidende Determinante von Produktion und Beschäftigung: Angebotsorientierung Das Angebot ist die entscheidende Determinante der wirtschaftlichen Entwicklung. Bei der Produktion von Gütern entstehen Einkommen und damit kaufkräftige Nachfrage ("SAY'sches Theorem"). Sättigung tritt nur auf einzelnen Märkten, nicht aber gesamtwirtschaftlich auf ("Ablehnung der Sättigungshypothese"). Wagemutige Pionierunternehmer sind Träger des Fortschrittsprozesses ("SCHUMPETER-Pioniere"), sie erschließen neue Märkte und setzen Prozessinnovationen durch. Für das Auftreten der Pioniere müssen allerdings die Rahmenbedingungen stimmen ("freie Marktzugänge", "leistungsfreundliches Steuersystem" u.a.m.) YN = CH + IU + GSt + Ex - Im Mittels geld- und fiskalpolitischer Maßnahmen soll die gesamtwirtschaftliche Nachfrage antizyklisch gesteuert werden ("Globalsteuerung"). Vorrang des Beschäftigungsziels Dominierendes Ziel der Wirtschaftspolitik ist die Sicherung der Vollbeschäftigung. Der Staat gibt damit faktisch eine Art "Vollbeschäftigungsversprechen" ab. Die Sicherung der Preisniveaustabilität hat im Zweifel hinter der Beschäftigungssicherung zurückzutreten ("Relativierung der Geldwertstabilität"). Mit einer (mäßig) inflatorischen Wirtschaftspolitik kann die Arbeitslosigkeit gesenkt werden ("PHILLIPSKurven- Hypothese"). Antizyklische Fiskalpolitik Vorrang des Geldwertstabilitätsziels Dominierendes Ziel der Wirtschaftspolitik ist die Sicherung der Preisniveaustabilität, und zwar auch dann, wenn damit kurzfristig Beschäftigungseinbußen verbunden wären. Preisniveaustabilität ist Voraussetzung für das optimale Funktionieren des Preismechanismus und damit Voraussetzung für ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum und einen hohen Beschäftigungstand (Ablehnung der "PHILLIPS-Kurven-Zielkonflikts"). Die zentrale Verantwortung übernimmt die antizyklische Fiskalpolitik. Über sie kann die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wirksam gesteuert werden ("Fiskalisten"). Zur Bekämpfung der Unterbeschäftigung sind Budgetdefizite in Kauf zu nehmen. Von staatlichen Konjunkturprogrammen gehen zudem hohe Multiplikatoreffekte aus ("Multiplikatoroptimismus"). Finanzpolitik als Allokationspolitik Aufgabe der Finanzpolitik ist die angemessene Versorgung der Gesellschaft mit öffentlichen Gütern "Allokationsfunktion"). Im Zweifel wird für einen möglichst geringen Staatsanteil plädiert. Bestehende strukturelle Budgetdefizite sind durch zu konsolidieren. Die öffentlichen Haushalte sind zudem zu verstetigen, d. h. am Wachstum des Produktionspotenzials auszurichten ("konjunkturneutraler Haushalt"). Zudem ist das Steuersystem gemäß dem "LAFFER-Theorem" zu reformieren und leistungsfreundlicher zu gestalten. Antizyklische Geldpolitik Die Geldpolitik soll die Fiskalpolitik unterstützen ("monetaryfiscal policy"). In der Rezession wird eine "Politik des billigen Geldes" gefordert; damit werden nicht nur die Bedingungen für die Finanzierung der privaten Investitionen verbessert, sondern auch die Finanzierung der staatlichen Budgetdefizite erleichtert. Stabilitätorientierte Geldpolitik Eine zentrale Rolle übernimmt die Geldpolitik. Sie soll die Stabilität des Preisniveaus sichern. Hierzu ist die Geldmengenentwicklung am Wachstum des Produktionspotenzials auszurichten ("potenzialorientierte" oder "monetaristische Geldpolitik"). Einkommenspolitische Flankensicherung Im postkeynesianischen Konzept wird die Lohnpolitik weitgehend von ihrer beschäftigungspolitischen Verantwortung entlastet. Um die Gefahr exzessiver Verteilungsauseinandersetzungen, mit negativen Folgen für Beschäftigung und Preisniveaustabilität, zu begrenzen, wird für eine "einkommenspolitische Flankensicherung" plädiert, und zwar entweder in Form einer "Konzertierten Aktion" (§ 3 StWG) oder in Form mehr oder weniger direkter Eingriffe des Staates in die Tarif- und die Preissetzungsautonomie ("Lohn- und Preiskontrollen"). Vollbeschäftigungskonforme Lohnpolitik Der Lohnpolitik wird im neoklassischen Konzept (wieder) die beschäftigungspolitische Verantwortung zugewiesen. Von ihr werden Lohnabschlüsse gefordert, die zu Vollbeschäftigung passen ("produktivitätsorientierte" oder "kostenniveauneutrale Lohnpolitik"). Aufgabe des Staates ist es nicht, mit Beschäftigungsprogrammen Fehler der Lohnpolitik zu neutralisieren. Einkommenspolitische Eingriffe in die Tarifautonomie oder in unternehmerische Preisbildungsautonomie werden abgelehnt. Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 38 Offensive Marktpolitik Neoklassiker fordern "mehr Markt". Bestehende Wettbewerbsbeschränkungen und staatliche Regulierungen sind so weit als möglich zu beseitigen ("Deregulierungspolitik"). Staatliche Unternehmen sind weitestgehend zu privatisieren ("Privatisierungspolitik"). Auch die Intensivierung des internationalen Wettbewerbs ist Bestandteil einer offensiven Marktpolitik ("Freihandel"). Zudem ist das soziale Sicherungssystem leistungsfreundlicher auszugestalten. Quelle: Pätzold, J.: Stabilisierungspolitik, 6. Aufl., 1998 6.2 Arbeitsmarktindikatoren 6.2.1 Umschreibung der Vollbeschäftigungszielsetzung Gemäß § 1 Stabilitäts- und Wachstumsgesetz (StWG) vom 8. Juni 1967 ist es u.a. Aufgabe der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung für einen „hohen Beschäftigungsstand“ Sorge zu tragen. Eine Situation der permanenten „Vollbeschäftigung“ wir damit offensichtlich nicht gefordert. Das Ziel eines hohen Beschäftigungsstandes kann weit oder eng definiert werden: • Weite Definition der Beschäftigungszielsetzung • Enge, nur den Faktor Arbeit umfassende Definition der Beschäftigungszielsetzung. Mit Blick auf den Faktor Arbeit lässt sich „ Vollbeschäftigung“ bzw. „Arbeitslosigkeit“ wie folgt definieren: Aus volkswirtschaftliche Sicht ist folgende Umschreibung einer Vollbeschäftigungssituation sachgerecht: Vollbeschäftigung herrscht, wenn alle Produktionsfaktoren (insbesondere Arbeit und Kapital) vollbeschäftigt bzw. voll ausgelastet sind. Letztlich stell der oben beschriebene Auslastungsgrad des Produktionspotenzials den Versuch dar, einen derartigen weiten Vollbeschäftigungsbegriff empirisch zu fassen. Das gilt zumindest dann, wenn das Produktionspotenzial in Abhängigkeit von sämtlichen relevanten Produktionsfaktoren (insbesondere Arbeit und Kapital) geschätzt wird, wie dies beim Bundesbankkonzept, nicht aber bei der Konzeption des Sachverständigenrates – der einen Einfaktorenansatz wählt – der Fall ist. Methodisch ist das Auslastungskonzept jedoch nicht unumstritten. Vollbeschäftigung des Faktors Arbeit herrscht, wenn alle (inländischen) Arbeitswilligen (sog. Erwerbspersonenpotenzial) auch tatsächlich einer Erwerbstätigkeit nachgehen können. Arbeitslos sind aus dieser Sicht folglich diejenigen Personen, die dem Arbeitsmarkt als Arbeitswillige (Arbeitskräfteangebot) zur Verfügung stehen (unbeschadet der Frage, ob sie als arbeitslose „registriert“ sind oder als „verdeckte Arbeitslose“) in der Arbeitsmarktstatistik nicht offen in Erscheinung treten), die jedoch infolge fehlender Arbeitsplätze, bzw. zu geringer Arbeitskräftenachfrage, keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können. Eine weitere Differenzierung erhält man dann, wenn zusätzlich gefordert wird, dass die effektiv geleistete Arbeitszeit der „gewünschten“ Arbeitszeit entsprechen soll und wenn darüber hinaus die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit den persönlichen Voraussetzungen der betreffenden Person entsprechen soll. Während die Arbeitszeitkomponente noch einer Quantifizierung zugänglich ist gilt dies für die qualitative Komponente einer „unterwertigen Beschäftigung“ kaum. Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 6.2.2 39 Beschäftigungsindikatoren und Arbeitslosenquoten Wohnbevölkerung und Erwerbstätigkeit Wohnbevölkerung (Inlandskonzept) Erwerbsfähige und –willige Nichterwerbsfähige Erwerbspersonen (EP) Nichterwerbspersonen (Alle statistisch erfassten Personen, die ein Erwerbstätigkeit ausüben oder ausüben wollen und statistisch erfasst sind) (Personen, die keinerlei auf Erwerb ausgerichtete Tätigkeit ausüben oder suchen) Erwerbstätige (E) (Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, eine Gewerbe, eine Landwirtschaft betreiben oder einen freien Beruf ausüben) Arbeitslose (AL) Registrierte Arbeitslose beim Arbeitsamt gemeldet (ALreg) Erwerbspersonenpotenzial (EPpot) Verdeckte Arbeitslose sog. Stille Reserve; nicht beim Arbeitsamt gemeldet (ALSR) (Alle Personen, die eine auf Erwerb ausgerichtete Tätigkeit ausüben wollen = Arbeitskräfteangebot) Die Auslastung bzw. die Unterauslastung des Faktors Arbeit kann als Beschäftigungsgrad oder als Arbeitslosenquote gemessen werden. Es lassen sich folgende Quoten bilden: • Der Auslastungs- oder Beschäftigungsgrad des Erwerbspersonenpotenzials und die Arbeitslosenquote nach dem Potenzialkonzept hierbei werden die effektiv Erwerbstätigen (E) auf das Erwerbspersonenpotenzial (EPpot ) bezogen: b= E 100 EP pot Da sich das Erwerbspersonenpotenzial (EPpot) aus Erwerbstätigen und Arbeitslosen zusammensetzt EPpot = E + AL folgt für die Arbeitslosen AL = EPpot – E Die Arbeitslosenquote gemäß Erwerbspersonenpot potenzial-Konzept (ALQ ) ist wie folgt definiert: ALQ pot Diese umfassendste Arbeitslosenquote liegt in Deutschland - je nach Schätzung der stillen Reserve - bei etwa 14 %. EP pot − E AL = 100 = 100 = 100 - b pot EP pot EP Das gravierendste Problem stellt hierbei die Schätzung des Erwerbspersonenpotenzial dar. Eine theoretische Obergrenze für das Erwerbspersonenpotenzial ist die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (z.B. 15 bis 65 Jahrgänge). Es ist jedoch unmittelbar einsichtig, dass dieses totale Erwerbspersonenpotenzial eine wenig realistische Größe ist, um das Arbeitskräfteangebot zutreffend zu schätzen. Es enthält Personengruppen (Schüler, Studenten, Hausfrauen, Frühinvaliden und Frührentner), die zum gegebenen Zeitpunkt nicht erwerbswillig bzw. -fähig sind. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bei der Bundesanstalt für Arbeit (IAB) geht bei seinen Schätzungen des Erwerbspersonenpotenzials vom sog. konjunkturellen Erwerbspersonenpotenzial aus. Ziel des IAB ist es, die Zahl derjenigen Erwerbswilligen zu schätzen, die bei guter Konjunkturlage mutmaßlich dem Arbeitsmarkt als Arbeitswillige zur Verfügung stehen würden. Dabei orientiert sich das IAB an der Trendentwicklung der (alters- und geschlechtsspezifischen) Erwerbsquoten vorangegangener Hochkonjunkturjahre. Änderungen, die sich als Folge administrativer Entscheidungen ergeben (z.B. Verlängerung/Verkürzung der Schulzeit, Herabsetzung der Altersgrenze usf.) werden ebenfalls in die Schätzung des Erwerbspersonenpotenzials aufgenommen. Bei Prognoserechnungen werden üblicherweise verschiedene Annahmen bezüglich der Entwicklung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und bezüglich des Nettowanderungssaldos gemacht und auf dieser Basis die mögliche Ober- und Untergrenze des Erwerbspersonenpotenzials abgeschätzt. Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 40 Subtrahiert man vom Erwerbspersonenpotenzial die Zahl der effektiv Erwerbstätigen, so erhält man als Differenz die geschätzten gesamten Arbeitslosen: AL = EPpot – E Erwerbstätige (abhängig Beschäftigte + Selbständige) Erwerbspersonenpotenzial (Schätzung) Geschätzte Zahl der gesamten Arbeitslosen Diese geschätzten Arbeitslosen setzen sich aus den statistisch erfassten („registrierten“) Arbeitslosen (Areg) und den „verdeckten“ Arbeitslosen (sog. Stille Reserve) (ALSR) zusammen: AL = ALreg + ALSR • Die „registrierte Arbeitslosenquote“ der amtlichen Statistik Die amtliche Arbeitsmarktstatistik stellt üblicherweise auf die registrierte Arbeitslosenquote (ALQreg) ab. Diese Quote ist wie folgt definiert: ALreg ALreg ALQ = 100 = 100 EP E + ALreg reg Die offizielle („registrierte“) Arbeitslosenquote liegt mit etwa 10 % deutlich unter der umfassend definierten ALQ. Die Koppelung der amtlichen Arbeitsmarktstatistik an die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen ist nicht unproblematisch. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen hängt entscheidend vom Einschaltgrad der Arbeitsämter in die Arbeitssuche ab. Dieser Einschaltgrad ist um so geringer, je geringer die Ansprüche auf Arbeitslosenunterstützung bzw. –hilfe sind. Können keine Ansprüche (mehr) geltend gemacht werden, so melden sich möglicherweise Arbeitssuchende nicht bei den Arbeitsämtern. Doch auch diejenigen Personen, die sich in Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen befinden, Sprachkurse (Deutsch für Übersiedler) besuchen werden nicht als arbeitslos registriert und gehen damit nicht in die Arbeitslosenquote ein, obwohl sie zweifelsohne dem Arbeitsmarkt als Arbeitswillige zur Verfügung stehen würden. Umgekehrt werden aber auch Personengruppen als arbeitslos registriert, obwohl möglicherweise keine echte Arbeitsbereitschaft besteht. Es handelt sich hierbei insbesondere um solche Fälle, in denen mit der Meldung aktuelle oder potenzielle Unterstützungsansprüche (z.B. Rentenanwartschaften) geltend gemacht werden. Aufgrund des wechselnden Meldungsverhaltens sind selbst in einem Land Arbeitslosenquoten im Zeitablauf nur bedingt vergleichbar. Internationale Vergleiche von Arbeitslosenquoten sind wegen der unterschiedlichen Unterstützungsregelungen und dem unterschiedlichen Meldungsverhalten auch dann nur bedingt aussagekräftig, wenn sie auf gleichen methodischen Konzepten (z.B. europäische Standardmethode) beruhen. Vergleich mit USA und Japan verbieten sich wegen der unterschiedlichen methodischen Vorgehensweisen (USA: Ermittlung der Arbeitslosen auf der Grundlage von Befragungsstichproben). 6.3 Produktivitäten Zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit der im inländischen Produktionsprozess eingesetzten Produktionsfaktoren können (empirische) Kennzahlen herangezogen werden. Hierbei werden vielfach Produktivitäten verwendet. Allgemein stellt die Produktivität das Verhältnis von Output zu Input dar. Am häufigsten werden faktorbezogenen Produktivitäten verwendet. Hierbei wird der Output (z.B. BIP) auf jeweils nur einen Produktionsfaktor bezogen, da die Berechnung globaler Produktivitäten (hierbei wird der Output auf sämtliche Inputfaktoren bezogen) mit methodischen Problemen verbunden ist. 6.3.1 Arbeitsproduktivität Bei der Arbeitsproduktivität wird der Output auf den Arbeitseinsatz als Inputfaktor bezogen. Nachstehenden Definitionen finden Anwendung: 41 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen (1) πA = BIP M E Arbeitsproduktivität je Erwerbstätiger (2) πA = BIP M BIP M = E×h AV Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigenstunde AV Arbeitsvolumen E Erwerbstätige h Jahresdurchschnittliche Arbeitszeit Faktorbezogene Produktivitäten sagen nichts über die Ursachen von Produktivitätssteigerungen aus. Insbesondere kann aus einer Steigerung der Arbeitsproduktivität nicht der Schluss gezogen werden, die Verbesserung der Output-Input-Relation sei ursächlich auf den Faktor Arbeit zurückzuführen. BIP je Erwerbstätigen und je Erwerbstätigenstunde (EURO) Die Arbeitsproduktivität je Erwerbstätiger ist ein vielGegenstand der Nachweisung 1999 2000 2001 2002 fach verwendetes Produktivitätsmaß. Hierbei werden jedoch Veränderungen der Arbeitszeit (Verkürzung der Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen Wochenarbeitszeit oder Verlängerung des Urlaubs) nicht Bruttoinlandsprodukt in Preisen von 1995 50 300 50 800 51 000 51 500 berücksichtigt. Die Arbeitsproduktivität je Erwerbstäti- Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen 51 800 52 400 53 300 54 600 genstunde ist insofern ein adäquateres ProduktivitätsArbeitsproduktivität je Erwerbstätigenstunde maß. Allerdings liegen Angaben die geleistete Arbeitszeit Bruttoinlandsprodukt in Preisen von 1995 34 35 35 36 häufig nur für einzelne Wirtschaftszweige vor. Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen 35 36 37 38 Die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität setzt sich aus der (mit den Sektoranteilen gewichteten) Summe der sektoralen Produktivitäten zusammen. Eine Veränderung der Arbeitsproduktivität ergibt sich folglich bereits aus dem sog. Struktureffekt. Hierunter versteht man den Sachverhalt, dass im Zuge des Strukturwandels die Arbeitskräfte von den weniger produktiven zu den produktiven Wirtschaftszweigen wandern – und umgekehrt. Die empirisch feststellbare Verlangsamung der Produktivitätswachstumsraten kann auf diesen Struktureffekt zurückgeführt werden, weg von der Industrie mit hohen Produktivitätsfortschritten und hin zu den Dienstleistungen mit geringeren Zuwachsraten der Arbeitspro- Quelle: Prognose gemäß Bundesverkehrswegeplanung 2015 duktivität. 6.3.2 Potenzielle Effekte einer Steigerung der Arbeitsproduktivität Ausgehend von der Definition der Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigenstunde (πAV) lassen sich folgende möglichen Effekte einer Steigerung der Arbeitsproduktivität unterschieden: (1) Achtung – nicht verwechseln: - Produktionssteigerung (z.B. BIP-Steigerung) - Produktivitätssteigerung (z.B. Arbeitsproduktivität = BIP je Erwerbstätigen). Der Wachstums- bzw. Wohlstandssteigerungseffekt Mit einem unveränderten (stundenmäßigen) Arbeitseinsatz (Ekonst und hkonst) kann eine höhere Produktion erzeigt werden. BIP M ↑ πA ↑ = E⋅h bzw. wπA = wBIP (wE und wh = konst.) w = Wachstumsrate Produktivitätssteigerungen erhöhen folglich die volkswirtschaftliche Produktionskapazität. Bei unverändertem Arbeitskräfteeinsatz ist ein Wachstum des Produktionspotenzials nur infolge einer Erhöhung der Arbeitsproduktivität möglich. Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen (2) 42 Produktivitätssteigerungen haben also einen Wohlstandssteigerungseffekt. Ob diese Kapazität auch tatsächlich ausgelastet wird steht auf einem anderen Blatt. Die historisch zu beobachtende Steigerung der Produktion geht jedenfalls zum größten Teil auf Produktivitätssteigerungen zurück. Der Freizeiteffekt Eine gegebene Produktion (BIPkonst) kann bei unveränderter Zahl Erwerbstätiger (Ekosnt) innerhalb einer verringerten jahresdurchschnittlichen Arbeitszeit (verringerte Wochenarbeitszeit oder verlängerter Urlaub) erzeugt werden. πA ↑ = BIP M E⋅h↓ bzw. wπA = - wh (wE und wBIP = konst.) Die im historischen Zeitablauf festzustellende Verringerung der geleisteten jahresdurchschnittlichen Arbeitszeit ist erst durch Produktivitätssteigerungen möglich geworden. (3) Der Arbeitskräftefreisetzungseffekt Eine gegebene Produktion (BIPkonst) kann in einer unveränderten jahresdurchschnittlichen Arbeitszeit (hkonst) mit einer geringern Zahl Erwerbstätiger erzeugt werden. BIP M πA ↑ = E ↓⋅h bzw. wπA = - wE (wBIP und wh = konst.) Dieser Effekt spielt beschäftigungspolitisch eine zentrale Rolle. Er kommt offensichtlich dann zum tragen, wenn es nicht gelingt, die potentiellen Freisetzungseffekte infolge der Produktivitätssteigerung dadurch zu kompensieren, dass die Produktion steigt. Ist also – unter sonst gleichen Umständen – das Wachstum der Produktion (BIP) geringer als das Wachstum der Arbeitsproduktivität (πA), so sind effektive Arbeitskräftefreisetzungen die logische Folge. Grafisch lassen sich die Sachverhalte (1) bis (3) an Hand einer Verschiebung der Produktionsfunktion darstellen: Determinanten der Beschäftigungsentwicklung Damit lassen sich auch die Determinanten der Beschäftigungsentwicklung herleiten. Es gilt: BIP M π AV = E ⋅h in Wachstumsraten (w) folgt: wπAV = wBIP – wE – wh bzw. wE = wBIP – wπAV – wh Die Entwicklung der Erwerbstätigkeit hängt folglich ab – vom Produktionswachstum wBIP − von der Zuwachsrate der Arbeitsproduktivität wπAV wh − von der Entwicklung der Arbeitszeit Allerdings ist Vorsicht geboten, wenn aus dieser immer erfüllten Identitätsgleichung wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen gezogen werden. So ist nicht zu erwarten, dass eine Verkürzung der Arbeitszeit um x Prozent mit einer Zunahme der Erwerbstätigkeit um ebenfalls x Prozent einhergeht. Der Beschäftigungseffekt einer Umverteilung der Arbeit wird in der Realität in Folge unerwünschter Anpassungsreaktionen regelmäßig geringer ausfallen (z.B. als steigen als Reaktion einer Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich die Lohnstückkosten und dadurch ausgelöst die Beschäftigung; oder es findet als Fol- Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 43 ge der Verkürzung der Arbeitszeit eine Arbeitsverdichtung oder Rationalisierungsinvestitionen statt mit der Folge, dass ebenfalls die Erwerbstätigkeit negativ betroffen ist). Die Frage nach der Höhe des Saldoeffektes auf die Beschäftigung lässt sich auch im Nachhinein nur schwer beurteilen. Auch eine Förderung des Wirtschaftlichen Wachstums um x Prozent wird kaum mit einer gleich hohen Zunahme der Beschäftigung einhergehen. Das Wachstum wird nämlich vielfach aus einer Erhöhung der Arbeitsproduktivität gespeist. Die positiven Beschäftigungswirkungen infolge der Steigerung der Produktion werden also – zumindest teilweise – durch ArbeitskräfteFreisetzungseffekte infolge der Steigerung der Arbeitsproduktivität neutralisiert. 6.3.3 Die Kapitalproduktivität Bezieht man den Output (BIPM) auf den Input an Sachkapital (K), so erhält man die durchschnittliche Kapitalproduktivität: πK = BIP M K (durchschnittliche Kapitalproduktivität) Die empirische Erfassung des Kapitalstocks wirft allerdings erhebliche Probleme auf. Daher besteht in der Statistik eine Vorliebe für die Arbeitsproduktivität. 6.3.4 Totale Produktivitäten Bei totalen Produktivitäten wird der Output auf die Gesamtheit aller Inputfaktoren bezogen. Die Probleme vervielfachen sich bei diesem Maß allerdings. 6.4 Das Inlandsprodukt als Wohlfahrtsindikator 6.4.1 Kritik am BIP als Wohlfahrtsindikator Aufgabe der VGR ist die Ermittlung der Wertschöpfung in einer Volkswirtschaft sowie deren Verwendung und Verteilung. Seit einiger Zeit wächst aber die Kritik, dass die VGR dieser Aufgabe nur bedingt gerecht wird. Dabei richtet sich die Kritik auf zwei unterschiedliche Schwerpunkte: Zum einen werden inhaltliche Mängel bei der Erfassung betont; zum anderen wird kritisiert, dass die VGR nur ein „Zahlenhaufen“ sei und die eigentlich wichtigen sozialen Indikatoren zur Bewertung der Lage einer Gesellschaft völlig außer acht blieben. • Nichterfassung wohlstandsrelevanter Aktivitäten Das traditionelle VGR-Maß erfasst bestimmte wohlstandsrelevante Vorgänge nicht. Dies gilt für die Ergebnisse schattenwirtschaftlicher Aktivitäten. Die Schattenwirtschaft umfasst alle außerhalb der offiziellen Wirtschaft getätigten Wertschöpfungsprozesse. Zwei Bereiche lassen sich unterscheiden: 1. Untergrundwirtschaft und 2. Selbstversorgungswirtschaft. Folgende Faktoren sind im Inlandsprodukt unter Wohlfahrtsgesichtspunkten nicht bzw. nicht zutreffend berücksichtigt: • Falscherfassung wohlstandsrelevanter Aktivitäten Kritik setzt auch daran an, dass die VGR bestimmte wohlstandsrelevante Tatbestände unzureichend oder falsch erfasst. Im Kern geht es hier einerseits um Bewertungsfragen insbesondere bei staatlichen Leistungen und um die Behandlung des Produktionsfaktors Umwelt andererseits. • Bewertungsprobleme bei staatlichen Leistungen • Umweltproblematik Per Konvention werden in der VGR die staatlich erbrachten Leistungen mit ihren Herstellungskosten bewertet. Diese Inputbewertung wird jedoch als unbefriedigend empfunden. So müssen etwa hohe Ausgaben für das Bildungswesen nicht notwendigerweise für „gute“ Bildungsmöglichkeiten stehen, was angesichts mangelnden Wettbewerbs im staatlichen Bereich auch unmittelbar einleuchtet. Die Kritik an der unbefriedigenden Bewertung staatlicher Leistungen betrifft damit aber nur ein Symptom. Befriedigend lösen lässt sich dieses Problem letztlich nur dadurch, dass bisher staatliche Bereiche zügig und konsequent privatisiert, d. h. dem Wettbewerb und der Outputbewertung durch den Markt ausgesetzt werden. Von weitaus größerer Bedeutung ist allerdings die Kritik, die an der statistischen Behandlung des Produktionsfaktors Umwelt ansetzt. Die traditionelle VGR misst dem Produktionsfaktor Umwelt kaum Bedeutung bei. So kommt es auch, dass etwa Maßnahmen, die dem Schutz der Umwelt dienen, statistisch grundsätzlich zu einer Erhöhung der Wertschöpfung führen. Da ein Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 44 Großteil dieser Ausgaben aber aufgewendet wird, um bereits entstandene Schäden zu beseitigen, somit lediglich dem Substanzerhalt dienen, handelt es sich hierbei nicht um Wertschöpfung, sondern um Werterhaltung. • Doppelzählungen Doppelzählungen, insbesondere bei denjenigen staatlichen Leitungen, die eigentlich Vorleistungen für die private Produktionstätigkeit sind (social framework). Auch bestimme Ausgaben von privaten Haushalten sind nicht Endnachfrage, sondern Vorleistungen für die Teilnahme am Produktionsprozess (z.B. Fahrten zur Arbeitsstätte). Insoweit liegen auch hier Doppelzählungen vor. 6.4.2 Alternative Konzeptionen 6.4.2.1 Eindimensionale Wohlfahrtsmaße • Der Vorschlag von THOMAS JUSTER Ein Vorschlag, wie die VGR erweitert werden sollte, um eine umfassende Beurteilung des Wohlstandes einer Gesellschaft zu liefern, stammt von THOMAS JUSTER (1973). Danach ist die Inlandsproduktrechnung zunächst um eine Vermögensrechnung zu ergänzen. In ihr sollten die Vermögensgegenstände einer Gesellschaft nach den Eigentumsverhältnissen (Unternehmensvermögen, Haushaltsvermögen, Staatsvermögen) sowie nach Vermögensarten gegliedert werden. Die Gliederung nach Vermögenstypen nach JUSTER 1. 2. 3. 4. 5. Das reproduzierbare materielle Vermögen, zu dem vor allem Bauten, Ausrüstungen, dauerhafte Konsumgüter, und Infrastruktureinrichtungen gehören. Das reproduzierbare immaterielle Vermögen, zu dem das nicht an Personen gebundene Wissen einer Gesellschaft gehört. Dieses wird insbesondere durch die Ausgaben der Unternehmen und des Staates für Forschung und Entwicklung geschaffen. Das Humankapital, das die Fähigkeiten und Erfahrungen einzelner Personen umfasst. Das natürliche Vermögen, das aus den natürlichen Ressourcen einer Gesellschaft in Form von Flora, Fauna und Bodenschätzen besteht. Das sozialpolitische Vermögen, das nach Vorstellung von JUSTER eine Bestandsgröße für persönliche und nationale Sicherheit sowie politische Freiheiten darstellen sollte. JUSTER schlägt vor, das Inlandsprodukt um die Veränderung der Vermögensgrößen zu korrigieren, um so ein wohlstandsorientiertes Inlandsprodukt zu ermitteln. Problematisch an dem Vorschlag von JUSTER ist, dass der materielle und immaterielle Wohlstand in einer Gesellschaft in einer einzigen Größe erfasst werden soll. Mit derartigen eindimensionalen Konzepten sind vielfältige Ermittlungs- und Bewertungsprobleme verbunden. Auch das Problem des intertemporalen Nutzenvergleichs ist nicht gelöst. • Der Vorschlag von NORDHAUS UND TOBIN Measure of economic welfare • • BIPM - • • + Abschreibungen Vorleistungen des Staates (Teil des Staatsverbrauchs) Soziale Kosten (insbes. Umweltverschmutzung, Lärmbelastung) Wert der Nichtmarktaktivitäten (insbes. Eigenproduktion der privaten Haushalte) • • Immaterielle Werte (insbes. Freizeit) Leistungen dauerhafter Konsumgüter = „Measure of economic welfare“ (MEW) WILLIAM TOBIN und JAMES NORDHAUS (1973) haben ebenfalls einen Vorschlag unterbreitet, um mittels eines eindimensionalen Maßstabs die Wohlfahrt einer Gesellschaft zu ermitteln. Ausgebend vom traditionellen Inlandsprodukt als Maß für die Produktionstätigkeit einer Gesellschaft, werden bestimmte Korrekturen vorgenommen, um zu einem Maß zu kommen, das sie als „measure of economic welfare“ (MEW) bezeichnen. Mit dieser Vorgehensweise sollen die wesentlichsten Schwächen des Inlandsprodukts beseitigt werden. Vom BIPM werden zunächst die Abschreibungen in Abzug gebracht. Weiterhin werden diejenigen Staatausgaben, die als Vorleistungen für den Produktionsprozess anzusehen sind abgezogen. Ebenfalls vom BIPM abgezogen werden die Umweltbelastungen (einschließlich Lärmbelastungen). Schließlich bringen Tobin und Nordhaus diejenigen Investitionen in 45 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen Abzug, die zur Aufrechterhaltung eines langfristig gleichgewichtigen Wachstums erforderlich sind, und zwar weil in diesem Umfang keine Konsummöglichkeiten aus der Güterproduktion entstehen würden. Diese Investitionen werden als Wachstumserfordernis bezeichnet. Zum BIPM werden Werte für nicht marktliche Aktivitäten (insbesondere Eigenproduktion der privaten Haushalte), für den Umfang der Freizeit sowie die Leistungen dauerhafter Konsumgüter. Der Saldo dieser Operationen wird als Maß für den langfristig möglichen Wohlstand angesehen. Darüber hinaus schlagen Tobin und Nordhaus die Berechnung eines aktuellen Wohlstandsmaßes vor, indem zusätzlich zu den oben angeführten Korrekturen derjenige Betrag abgezogen wird, um den die tatsächlichen Nettoinvestitionen die Wachstumserfordernisse übersteigen. Sind die tatsächlichen Nettoinvestitionen größer als die für ein langfristig gleichgewichtiges Wachstum erforderlichen Investitionen, so bedeutet dies, dass das aktuelle Wohlstandsmaß geringer ist als das langfristig erforderliche. Die Gesellschaft verzichtet damit auf Gegenwartskonsum zugunsten von Konsummöglichkeiten in der Zukunft. Ein negativer Wert bedeutet, dass der Gegenwartskonsum zu Lasten des zukünftigen Konsums geht. Auch dieses Alternativkonzept zum BIP ist – ähnlich wie der Ansatz von Juster – mit erheblichen Erfassungs- und Bewertungsproblemen verbunden. Die der Umweltschäden „zu Marktpreisen“, die Bewertung der Freizeit, die Bestimmung des Anteils der Vorleistungen am Staatsverbrauch erfordern mehr oder weniger voluntative Setzungen, die ein Einfallstor für politische Einflussnahmen darstellen. 6.4.2.2 Mehrdimensionale Wohlfahrtsmaße Ein völlig anderer Weg zur Erfassung der Wohlfahrt eines Landes wird mit der Sozialen Indikatoren Forschung beschritten. Sie lehnt es ab, die Wohlfahrt mittels einer einziges Größe zu erfassen. Das BIP, bzw. davon abgeleitete Größen sind allenfalls ein Bestandteil eines komplexen Indikatorensystems zur Beschreibung der gesellschaftlichen Wohlfahrt. Insbesondere die OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) hat ein System Sozialer Indikatoren entwickelt (1982). Um eine internationale Vergleichbarkeit zu erreichen wurde ein für alle Mitgliedsländer verbindliches Indikatorensystem erarbeitet. Das Indikatorensystem der OECD unterscheidet folgende Schwerpunktbereiche der „Qualität des Lebens“: Innerhalb dieser Schwerpunktbereiche werden dann Einzelindikato- 1. Gesundheit ren gebildet, die die Lebensbereiche möglichst zutreffend abbilden 2. Entwicklung der Persönlichkeit durch Bildung sollen. Beispiele sind Ärzte je 1000 Einwohner, Schüler-Lehrer- 3. Arbeit und Qualität des Arbeitslebens Relation, Zahl der Studenten je 1000 Einwohner, Unfalltote je 1000 4. Zeiteinteilung und Freizeit Einwohner, Anzahl der Urlaubstage pro Jahr usf. 5. Physische Umwelt Die Konstruktion eines Indikatorensystems ist mit einer Vielzahl von 6. Persönliche Sicherheit und Rechtspflege Problemen verbunden. Zunächst ist der Begriff „Wohlfahrt“ nicht 7. Gesellschaftliche Chancen und Beteiligung konkret definiert. Ebenso schwierig ist die Konstruktion geeigneter Einzelindikatoren. Ein generelles Problem besteht darin, dass die Einzelindikatoren eines Landes sich unterschiedlich entwickeln. Sollen internationale Vergleich zur Lebensqualität durchgeführt werden, so stellt sich die Frage der Gewichtung der Indikatoren. Die Aggregation zu einem eindimensionalen Wohlstandsindikator (bzw. zu aggregierten Indikatoren für die oben genannten acht Schwerpunktbereiche) würde es erforderlich machen, die Einzelindikatoren zu Gewichten. Es dürfte faktisch unmöglich sein, unumstrittene Gewichtungen zu finden. Diese Schwierigkeiten sind auch ein Grund dafür, dass der Sozialen Indikatorenforschung inzwischen nur noch eine untergeordnete Bedeutung zukommt. 6.5 Das Inlandsprodukt als Ressourcenprodukt – das Problem der Schattenwirtschaft Das in der VGR ausgewiesene Inlandsprodukt entspricht nicht der tatsächlichen erbrachten gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung. Insbesondere die Produktion in der Schattenwirtschaft ist nicht erfasst. Der durchschnittliche Anteil der Schattenwirtschaft am BIP liegt nach Schätzung der EU-Kommission zwischen 7 % und 16 %. FRIEDRICH SCHNEIDER hat für Deutschland auf der Basis des sog. Bargeldansatzes für 1999 einen Umfang der Schattenwirtschaft in Höhe von 16 % ermittelt – das sind immerhin 320 Mrd. €. Schattenwirtschaft = wirtschaftliche Aktivitäten, die durch die VGR nicht erfasst sind Selbsversorgungswirtschaft = legale ktivitäten, illegal ausgeübt z.B. Nachbarschaftshilfe, Do-it-yourself, Hausarbeit Untergrundwirtschaft = legale und illegale Aktivitäten, illegal ausgeübt illegale Aktivitäten, illegal ausgeübt Legale Aktivitäten, illegal ausgeübt z.B. Drogenhandel, z.B. Formen der illegalen Man unterscheidet „legale Aktivitäten“ der illegales Glückspiel, Diebstahl Beschäftigung Schattenwirtschaft und „illegale Aktivitä(Schwarzarbeit i.w.S.) ten“. Zu den legalen Aktivitäten zählen insbesondere Nachbarschaftshilfe, Do-it-yourself und Hausarbeiten. Zu den illegalen Aktivitäten zählen die Tätigkeiten in der sog. „Untergrundwirtschaft“, z.B. Schwarzarbeit (Legalen Aktivitäten, illegal ausgeübt) und Drogenhandel, Diebstahl, illegales Glückspiel usf. (illegale Aktivitäten, illegal ausgeübt). Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 7 7.1 Die Zahlungsbilanz 46 Die Zahlungs“bilanz“ ist keine Bilanz, sondern eine „Erfolgsrechnung“ mit dem Ausland. Begriff der Zahlungsbilanz Die Zahlungsbilanz ist die systematische Aufstellung der wirtschaftlichen Transaktionen zwischen Inländern und Ausländern in einer bestimmten Periode. Es handelt sich nicht um Bestandsgrößen, sondern um Stromgrößen („Bewegungsbilanz“). Alle Transaktionen werden nach dem Prinzip der doppelten Buchhaltung erfasst. Die Zahlungsbilanz ist also „unter dem Strich“ immer ausgeglichen. Der Begriff „Zahlungsbilanzausgleich“ ist insofern irreführend. Für die Abgrenzung von Inländern und Ausländern gilt das Wohnsitzprinzip. Bei Unternehmen der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Aktivität. Das Auslandskonto der VGR enthält die Veränderung der Nettoauslandsposition aus dem Leistungsverkehr des Inlandes mit dem Ausland. Der Saldo des Auslandskontos entspricht der Leistungsbilanz als aggregierte Teilbilanz der Zahlungsbilanz. Diesem Saldo entspricht ein betragsmäßig gleicher Saldo der Kapitalbilanz (im weiten Sinne). Denn eine positive Nettoauslandsposition ist identisch mit der Zunahme der Forderungen des Inlandes gegenüber dem Ausland; entsprechendes gilt für eine negative Nettoauslandsposition (Zunahme der Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland bzw. Abnahme der Forderungen). Dieser Saldo wird in den übrigen Teilbilanzen der Zahlungsbilanz erfasst. Die Zahlungsbilanz für Deutschland wird von der Deutschen Bundesbank erstellt. Seit Anfang 1999 wird von der Europäischen Zentralbank (zusätzlich) eine gemeinsame Zahlungsbilanz für den Euro-Währungsraum veröffentlicht. Die hierzu notwendigen Daten werden von den Institutionen geliefert, die für die nationalen Zahlungsbilanzstatistiken zuständig sind. Da für Zwecke der Finanz-, Wirtschafts-, und Strukturpolitik, die in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten verbleiben, weiterhin auf nationaler Ebene Informationen über die außenwirtschaftlichen Transaktionen mit anderen Ländern erforderlich sind, werden nationale Zahlungsbilanzen weiterhin benötigt. Grundlage für die Erstellung der Zahlungsbilanz sind die vom Internationalen Währungsfonds formulierten Prinzipien zur Zahlungsbilanzerstellung aus dem Jahr 1993. Um veränderten wirtschaftlichen Bedingungen und erhöhten analytischen Anforderungen Rechnung zu tragen, fand dabei eine Reihe von Neuerungen Eingang in die Zahlungsbilanzstatistik. In der einfachsten Version besteht die Zahlungsbilanz aus zwei Teilbilanzen, der Leistungsbilanz und der Kapitalbilanz im weiten Sinne. Exporte führen zu einer Zunahme der Forderungen gegenüber dem Ausland, Importe zu einer Zunahme der Verbindlichkeiten (bzw. zu einer Abnahme der Forderungen) gegenüber dem Ausland. Einem Leitungsbilanzüberschuss entspricht damit immer ein betragsgleiches Defizit in der Kapitalbilanz i.w.S., denn unter dem Strich ist die Zahlungsbilanz immer ausgeglichen. In der Praxis der Zahlungsbilanzstatistik wird die Veränderung der Forderungen und Verbindlichkeiten der Zentralbank jedoch institutionell aus der Kapitalverkehrsbilanz ausgegliedert und in einer Devisenbilanz der Zentralbank verbucht (genauer: Bilanz der Veränderung der Nettoauslandsposition der Zentralbank). Die Kapitalverkehrsbilanz enthält damit nur die Veränderung der Forderungen und Verbindlichkeiten der Wirtschaftssektoren außerhalb der Zentralbank (insbesondere des privaten Sektors, der Geschäftsbanken und des Sektors Staat). Damit erhält man die nachstehende Grundstruktur der Zahlungsbilanz. Verbuchungskriterien: Als Creditposten (linke Seite) werden alle Vorgänge behandelt, die für Inländer zu Zahlungseingängen führen; als Debitposten (rechte Seite) alle Vorgänge, die zu Zahlungsausgängen führen. Die Zahlungsbilanz wird sowohl in Kontenform als auch in tabellarischer Form dargestellt. Bei der tabellarischen Darstellung ist zu beachten, dass die Veränderung er Währungsreserven der Zentralbank aus Gründen der Allgemeinverständlichkeit mit dem entgegengesetzten Vorzeichen (gemessen an der Kontendarstellung) ausgewiesen wird (eine Zunahme der Währungsreserven wäre ansonsten mit einem Minus-, eine Abnahmen mit einem Pluszeichen aufzuführen. Verbuchungspraxis: Bei Exporten bzw. Importen erfolgt die Gegenbuchung in der Kapitalbilanz (Exporte gegen Zunahme der Forderungen; Importe gegen Abnahme der Forderungen, bzw. Zunahme der Verbindlichkeiten). Bei unentgeltlichen Exporten erfolgt die Gegenbuchung in der Übertragungsbilanz. Bei geleisteten laufenden Übertragungen erfolgt die Gegenbuchung in der Kapitalbilanz (Zunahme der Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland). Kreditvorgänge werden ausschließlich in der Kapitalbilanz verbucht. Die sog. „Devisenbilanz“ der Zentralbank (Veränderung der Nettoauslandsaktiva der Zentralbank) ist – wie erwähnt – eine institutionell ausgegliederte Kapitalbilanz. Nicht jeder Buchungsvorgang wird doppelt gebucht. Werden Exporte erst später bezahlt, so erfolgt die Gegenbuchung zu diesem Zeitpunkt. Bei einem zeitlichen Auseinanderklaffen der Transaktionen wäre folglich die Zahlungsbilanz nicht mehr automatisch ausgeglichen. Der formale Ausglich erfolgt über die Einführung eine „Restpostenbilanz“ (Saldo statistisch nicht aufgliederbarer Transaktionen). Veränderungen der Zahlungsgewohnheiten, die z.T. auch durch erwartete Wechselkursänderungen bedingt sein können, schlagen sich in diesem Restposten nieder. Der Restposten kann z.T. erhebliche Größenordnungen annehmen und sein Vorzeichen rasch wechseln (1992 –53 Mrd. DM, 1993 +23 Mrd. DM). 47 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 7.2 Grundstruktur der Zahlungsbilanz Grundstruktur der Zahlungsbilanz Leistungsbilanz Zahlungseingang durch ... Exportierte Leistungen (ExL) Zahlungsausgang durch ... Importierte Leistungen (ImL) Saldo der Leistungsbilanz (LBSaldo) Kapitalbilanz (im weiten Sinne) Kapitalverkehrsbilanz i.e.S. Änderung der Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland (Zunahme: + Abnahme: –) Änderung der Forderungen gegenüber dem Ausland (Zunahme: + Abnahme: –) Saldo Kapitalbilanz Devisenbilanz der Zentralbank Änderung der Verbindlichkeiten der Zentralbank gegenüber dem Ausland (Zunahme: + Abnahme: –) Saldo Devisenbilanz Änderung der Forderungen der Zentralbank gegenüber dem Ausland (Zunahme: + Abnahme: –) Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 7.3 48 Teilbilanzen der Zahlungsbilanz 7.3.1 Die Handelsbilanz Handelsbilanz Warenexporte ExW Warenimporte ImW Saldo der Handelsbilanz (Überschuss) Am Beispiel der Handelsbilanz soll das Verbuchungsprinzip nochmals verdeutlicht werden: Eine Ausfuhr im Wert von 500 US-Dollar bei einem Wechselkurs von 2 DM / US-Dollar führt zur Buchung eines Warenexportes in Höhe von 1000 DM auf der Credit –Seite der Handelsbilanz. Die Gegenbuchung hängt davon ab, in welcher Form der gegenwert geleistet wird. Erhält der Exporteur die Gegenleitung in Form eines Wechsels, so erfolgt eine Gegenbuchung auf der Debet-Seite der Kapitalbilanz, da die Forderung an Ausländer um 1000 DM zugenommen hat. Eine entsprechende Buchung erfolgt, wenn dem Exporteur ein Scheck in Höhe von 500 US-Dollar zur Verfügung gestellt wird. Verkauft der Exporteur den Scheck (über seine Hausbank) an die Zentralbank, so erfolgt eine Eintragung auf der Debet-Seite der Kapitalbilanz und eine Gegenbuchung auf der Debet-Seite der Devisenbilanz der Zentralbank (Zunahme der Währungsreserven). Vereinbart dagegen der Exporteur um Gegenzug zur Ausfuhr den Bezug von Waren im gleichen Wert aus dem Ausland, so erfolgt die Gegenbuchung auf der Debet-Seite der Handelbilanz. Werden die Waren dem Ausland geschenkt, so erfolgt die Gegenbuchung auf der Debet-Seite der Bilanz der Übertagungsbilanz. 7.3.2 Dienstleistungsbilanz und Bilanz der Faktorleistungen Die Dienstleistungsbilanz enthält im Einzelnen: Dienstleistungsbilanz • Reiseverkehr DienstleistungsDienstleistungs• Transportleistungen (bei Bundesbank ohne die in cif-Wert ent- exporte importe (ImD) haltenen Ausgaben für Frachtkosten) W (Ex ) • Finanzdienstleistungen Saldo der Dienstleis• Patente und Lizenzen • Regierungsleistungen (einschließlich Einnahmen von ausländi- tungsbilanz (Defizit) • schen militärischen Dienststellen für Warenlieferungen und Dienstleistungen) Übrige Dienstleistungen (insbesondere Entgelte für selbständige Tätigkeit wie Ingenieur- und sonstige technische Dienstleistungen, Forschung und Entwicklung, kaufmännische Dienstleistungen, Bauleistungen, Montagen und Ausbesserungen) Bilanz der Faktorleistungen Export von FaktorImport von Faktorleistungen ExF leistungen ImF Saldo der Erwerbsund Vermögenseinkommen (Defizit) Gesondert ausgewiesen werden seit einigen Jahren der Saldo der Erwerbseinkommen aus unselbständiger Arbeit und die Vermögenseinkommen zwischen Inländern und Ausländern („Kapitalerträge“) (IASaldo = ExF – ImF). Dieser Saldo ist bereits bekannt. Er stellt nichts anderes dar als die Differenz zwischen Inlands- und Sozialproduktgrößen. Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 49 7.3.3 Laufende Übertragungen und einmalige Bilanz der Vermögensübertragungen mit dem Ausland laufenden Übertragungen Die Bilanz der laufenden Übertragungen enthält bei den privaten Übertragungen insbesondere die HeimatLaufende private Üüberweisungen der „Gastarbeiter“ und die sonstigen Laufende private Übertragungen aus dem bertragungen an das laufenden Übertagungen. Die öffentlichen ÜbervomA Ausland (ÜprivanA) tragungen setzen sich insbesondere aus laufenden Be- Ausland (Üpriv ) trägen der öffentlichen Hand an Haushalte von interna- Laufende öffentliche tionalen Organisationen und Leistungen im Rahmen des Übertragungen aus Ausland EU-Haushalts (ohne Vermögensübertragungen) zu- demvomA (Ü ) St sammen. Der Saldo st in der Bundesrepublik DeutschLaufende öffentliche land üblicherweise defizitär. Bei den laufenden Übertra- Saldo der laufenden Übertragungen (DefiÜbertragungen an das gungen handelt es sich Leistungen ohne GegenleistunAusland (ÜStanA) gen, bei denen eine gewisse Regelmäßigkeit angenom- zit) men wird. Getrennt von den laufenden Übertagungen werden die einmaligen Vermögensübertagungen ausgewiesen. Beispiele sind Schuldenerlasse, Schenkungen, Erbschaften und tendenziell einmalige Unterstützungsleistungen. Dieser Teil der Übertragungsbilanz ist nicht Bilanz der mehr Bestandteil der Leistungsbilanz. einmaligen Vermögensübertragungen Die Trennung in laufende Übertragungen und (einEmpfangene private Geleistete private malige) Vermögensübertragungen wurde mit der ESVG VermögensübertraVermögensübertra`95 vorgenommen. Während früher die Leistungsbilanz gungen aus dem Aus- gungen an das Ausalle unentgeltlichen Übertragungen enthielt, wird nunland land mehr zwischen laufenden Übertragungen (z. B. ZahlunEmpfangene öffentli- Geleistete öffentliche gen an den Haushalt der Europäischen Union, Heimatche Vermögensüber- Vermögensübertraüberweisungen der in Deutschland lebenden ausländitragungen an das Aus- gungen an das Ausschen Arbeitnehmer, Renten, Pensionen und Unterstütland land zungszahlungen, Entwicklungshilfe) und VermögensSaldo der Vermögensübertragungen (z. B. Erbschaften, Schulderlasse) unterübertragungen schieden. Nur noch die erste Kategorie wird jetzt der Leistungsbilanz zugeordnet. Die Ausgliederung der Vermögensübertragungen wird damit begründet, dass in der Leistungsbilanz nur Transaktionen berücksichtigt werden sollen, die einen Einfluss auf Einkommen und Verbrauch der Wirtschaftssubjekte haben. Vermögensübertragungen verändern dagegen direkt das Vermögen der beteiligten Länder, während sie auf Einkommen und Verbrauch nur indirekt wirken. Die Notwendigkeit einer Rubrik für laufende Übertragungen bzw. für Vermögensübertragungen ist unmittelbar einsichtig, da bei Transfers sonst keine Möglichkeit zur Gegenbuchung bestünde. Beispiel: Angenommen, im Zuge der Entwicklungshilfe erfolgt eine unentgeltliche Lieferung von Transportfahrzeugen. Im Rahmen der Zahlungsbilanz wird dies zunächst als Ausfuhr von Waren erfasst. Wäre diese Ausfuhr gegen Entgelt durchgeführt worden, so hätte die Gegenbuchung in der Kapitalbilanz erfolgen müssen, und zwar als Kapitalexport (Zunahme der Forderungen gegenüber dem Ausland). Im Falle der unentgeltlichen Lieferung steht der Ausfuhr jedoch kein entsprechender Zuwachs an Forderungen gegenüber. Um diese Gegenbuchung vornehmen zu können, ist vielmehr außerhalb der Kapitalbilanz eine eigene Rubrik notwendig. Der Zunahme der Ausfuhren steht also eine Zunahme der geleisteten laufenden Übertragungen gegenüber. Anders liegt der Fall, wenn die Bundesregierung Zahlungen an den EU-Haushalt leistet. Diese Transaktion stellt eine geleistete laufende Übertragung dar, die ihre Gegenbuchung als Kapitalimport findet. Veränderungen der Nettoauslandsposition Der Leistungsbilanzsaldo entspricht dem Saldo aus gesamtwirtschaftlicher Ersparnis und Nettoinvestitionen. Unter Einbeziehung des Saldos der Vermögensübertragungen gelangt man zum Finanzierungssaldo. Ist der Saldo aus Leistungsbilanz und Vermögensübertragungen positiv, so hat dies per Saldo eine Zunahme der Forderungen, also eine Erhöhung der Nettoposition gegenüber dem Ausland zur Folge. Im umgekehrten Fall hingegen hat in der Berichtsperiode die Zunahme der Verbindlichkeiten überwogen, was zu einem Rückgang der Nettoposition gegenüber dem Ausland führt. Der Finanzierungssaldo ist somit 50 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen identisch mit der transaktionsbedingten Veränderung der Nettoposition gegenüber dem Ausland oder – anders formuliert – des Netto-Auslandsvermögens. 7.3.4 Kapitalbilanz Handels-, Dienstleistungs- und Übertagungsbilanz (ohne Vermögensübertragungen) zusammen bilden die Leistungsbilanz. Dem Saldo der Leistungsbilanz muss schon aus Gründen der doppelten Buchhaltung eine betragsgleicher entgegengerichteter Saldo der Kapitalbilanz (im weiten Sinne) entsprechen. Die mit (positiven oder negativen) Salden in der Leistungsbilanz verbundene Zunahme oder Abnahme der Forderungen des Inlands gegenüber dem Ausland schlägt sich in der Kapitalbilanz (einschließlich der Devisenbilanz und der Vermögensübertragungen nieder) Der internationale Kapitalverkehr wird in der Kapitalbilanz erfasst. Erfasst sind insbesondere Direktinvestitionen (Beteiligungen, reinvestierte Gewinne, KreditKapitalverkehrsbilanz verkehr deutscher/ausländischer Direktinvestoren Nettokapitalanlagen Nettokapitalanlagen u.a.m.), Wertpapieranlagen (Dividendenwerte, Investmentzertifikate, festverzinsliche Wertpapiere, Geld- von Ausländern im In- von Inländern im Ausland marktpapiere), Kredite an Kreditinstitute, Unternehmen land • • Direktinvestitionen Direktinvestitionen und Privatpersonen, den Staat und an Zentralbanken • • Wertpapieranlagen Wertpapieranlagen sowie sonstige Kapitalanlagen. • Kredite Beim Kapitalverkehr (Kapitalbilanz) wurde im Zuge der • sonstige Kapitalanlagen Revision der IWF-Empfehlungen die herkömmliche Un- (Zunahme: + terscheidung in lang- und kurzfristige Transaktionen Abnahme: –) weitgehend aufgegeben. Die Gliederung des Kapitalverkehrs erfolgt – wie dargestellt – nach funktionalen Krite- Saldo aller statistisch rien in Direktinvestitionen, Wertpapieranlagen und Fi- erfassten Kapitalbenanzderivate sowie Kreditverkehr. wegungen • Finanzderivate • Kredite • sonstige Kapitalanlagen (Zunahme: + Abnahme: –) Im Rahmen des Kapitalverkehrs werden zwei Arten von Transaktionen erfasst: (1.) durch Veränderungen in der Leistungsbilanz (bzw. in der Bilanz der Vermögensübertragungen) induzierte Transaktionen und (2.) autonome Kapitalbewegungen, also reine Finanztransaktionen. Während erstere zu einer Veränderung der Höhe der Nettoposition gegenüber dem Ausland führen, können autonome Kapitalbewegungen, da sie reine Finanztransaktionen darstellen und somit auch ihre Gegenbuchung in der Kapitalbilanz erfolgt, die Höhe der Nettoposition nicht verändern. Angenommen, ein deutsches Unternehmen entschließt sich, im Ausland eine Beteiligung zu erwerben, so hat dies für sich genommen eine Zunahme der Forderungen gegenüber dem Ausland zur Folge, stellt also einen Kapitalexport dar. Auf der anderen Seite muss dieses Unternehmen aber auch eine Gegenleistung erbringen. Diese kann beispielsweise darin bestehen, dass es zur Bezahlung des Kaufpreises Bankguthaben im Ausland abbaut. Damit jedoch nehmen die Forderungen an das Ausland ab, was einen Kapitalimport darstellt. Reine Kapitaltransaktionen (Finanztransaktionen) können also nicht zu einer Veränderung der Nettoposition führen, da beide Seiten der Kapitalbilanz gleichzeitig angesprochen werden. 7.3.5 Devisenbilanz der Zentralbank Die Devisenbilanz enthält die Veränderung der Währungsreserven der Zentralbank. Zugänge an Währungsreserven erscheinen als Debet-, Abgänge als Creditposten. In der Devisenbilanz bzw. in der Rubrik „Veränderungen der Währungsreserven“ werden nur transaktionsbedingte Veränderungen, nicht hingegen bewertungsbedingte Veränderungen der Währungsreserven der Notenbank erfasst. Eine Buchung in der Devisenbilanz tritt immer nur dann auf, wenn die jeweilige Transaktion die Auslandsposition der Zentralbank berührt. Die Devisenbestände der Zentralbank verändern sich nur (für eine genauere Differenzierung siehe unten), wenn die Zentralbank am Devisenmarkt interveniert. Kauft die Zentralbank (die Bundesbank oder die Europäische Zentralbank) USDollar gegen DM bzw. Euro, so erhöhen sich die Devisenreserven der Bundesbank bzw. der EZB. Die Dollar-Käufe erfolgen gegen heimische Währung (DM bzw. Euro). Die Folge ist, dass die heimische Geldmenge zunimmt. Die heimische Zentralbank ist normalerweise nicht mehr verpflichtet am Devisenmarkt zu intervenieren. Interventionszwang herrschte im Internationalen Währungssystem von Bretton Woods (1944 – 1973) mit festen Wechselkursen gegenüber dem US-Dollar und im Europäischen Währungssystem. Bei festen Wechselkursen kann die Zentralbank insbesondere bei hohen Leistungsbilanzüberschüssen in die Lage kommen, dass sie die im Exportgeschäft durch Inländer verdienten US-Dollar aus dem Markt nehmen muss, sofern der Dollar-Kurs infolge des Angebotsüberhangs ohne die Interventionen der Zentralbank unter den unteren Interventionspunkt sinken würde. 51 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen Eine derartige Situation lag in der Bundesrepublik Deutschland in den sechziger bis Ende der achtziger Jahre regelmäßig vor. Die Folge war eine Zunahme der Devisenreserven der Zentralbank und eine Zunahme der heimischen Geldmenge. In einem internationalen Währungssystem mit flexiblen Wechselkursen besteht dagegen keine Veränderung der Aus- Veränderung der For- Verpflichtung für die Zentralbank am Devisenmarkt zu intervenielandsverbindlichkeiten derungen der Zentral- ren – die Kurse bilden sich in diesem Fall gemäß Angebot und Nachfrage am Devisenmarkt. Im System voll flexibler Wechselkurse der Zentralbank bank verändert sich folglich die heimische Geldmenge auch dann nicht, (Zunahme: + (Zunahme: + wenn über eine längere Periode hinweg ein Land Leistungsbilanzüberschüsse gegenüber dem Ausland erwirtschaftet. Die tendenzielAbnahme: –) Abnahme: –) le Aufwertung der heimische Währung gegenüber dem US-Dollar (oder einer anderen Währung) führt in diesem Fall dazu, dass die Saldo: Veränderung anfänglichen Leistungsbilanzüberschüsse sich infolge rückläufiger der Währungsreserven Exporte und zunehmender Importe automatisch verringern. Bei voll der Zentralbank flexiblen Wechselkursen (keinerlei Interventionen der Zentralbank am Devisenmark) bleibt die Devisenbilanz folglich unverändert. Devisenbilanz der Zentralbank (Veränderung der Auslandsposition der Zentralbank) Zu den Währungsreserven der Zentralbank (Bestände) zählen: 1 Gold und Goldforderungen 2 Devisen und Sorten (Devisenreserven) 3 Reservenposition im Internationalen Währungsfonds und Sonderziehungsrechte 4 Forderungen an die EZB (netto) 5 Kredite und sonstige Forderungen an das Ausland (außerhalb des Eurosystems), z.B. Kredite an die Weltbank 6 7.4 Auslandsverbindlichkeiten Währungsreserven Nettoauslandsposition der Zentralbank (Zeile 1 bis 5 abzüglich Zeile 6) Das Ziel „außenwirtschaftliches Gleichgewicht“ 7.4.1 Umschreibung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts. Das Ziel des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts ist seit 1967 in § 1 Stabilitäts- und Wachstumsgesetz verankert. Der Begriff ist dort allerdings nicht näher definiert. Allgemein lässt sich außenwirtschaftliches Gleichgewicht als eine Situation umschreiben, in der von den wirtschaftlichen Transaktionen des Inlands mit dem Ausland keine negativen Wirkungen auf die binnenwirtschaftliche Entwicklung ausgehen und umgekehrt die heimischen Probleme nicht zu Lasten des Auslandes gelöst werden (sog. beggar my neighbour policy). Anders umschrieben ist außenwirtschaftliches Gleichgewicht eine Situation, die durch das Fehlen von • • • Importierter / exportierter Inflation Importierter / exportierter Arbeitslosigkeit Importierter / exportierter Wachstumsschwäche gekennzeichnet ist. Das Außenwirtschaftsziel ist folglich ein Vorziel für die Erreichung des binnenwirtschaftlichen Gleichgewichts. 52 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 7.4.2 Konkretisierung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts an Hand der Zahlungsbilanz Zahlungsbilanz (am Beispiel eines Leistungsbilanzüberschusses) Leistungsbilanz Zahlungseingang Zahlungsausgang W ImW ExD ImD F ImF Üan A Ex Ex Üvom A Saldo LB (LBSaldo) Überschuss der Leistungsbilanz Kapitalbilanz (im weiten Sinne) Kapitalverkehrsbilanz i.e.S. KapIm Marktseitige Verwendung des Leistungsbilanzüberschusses (= Zunahme der Nettoforderungen des privaten Sektors gegenüber dem Ausland) KapEx Saldo Kapitalbilanz (Nettokapitalexport) Devisenbilanz der Zentralbank Änderung der Zentralbankverbindlichkeiten gegenüber dem Ausland Änderung der Zentralbankforderungen gegenüber dem Ausland (Zunahme: + Abnahme: –) Zentralbankseitige Verwendung des Leistungsbilanzüberschusses (= Zunahme der Währungsreserven der Zentralbank) Saldo Devisenbilanz („Überschuss“) Hinweis: Die Bilanz der Vermögensübertragungen und die Restpostenbilanz wurden vernachlässigt (Zunahme: + Abnahme: –) 53 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen Zahlungsbilanz (am Beispiel eines Leistungsbilanzdefizits) Leistungsbilanz Zahlungseingang ExW Zahlungsausgang ImW ImD ExD Defizit der Leistungsbilanz ExF Üvom A Saldo LB (LBSaldo) ImF Üan A Kapitalbilanz (im weiten Sinne) Kapitalverkehrsbilanz i.e.S. KapEx KapIm Saldo Kapitalbilanz (Nettokapitalimport) Marktmäßige Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits (= Abnahme der Nettoforderungen / Zunahme der Verbindlichkeiten des privaten Sektors gegenüber dem Ausland) Devisenbilanz der Zentralbank Änderung der Zentral- Änderung der Zentralbankverbindlichkeiten bankforderungen gegegenüber dem Ausgenüber dem Ausland (Zunahme: + land (Zunahme: + Abnahme: –) Abnahme: –) Saldo Devisenbilanz („Defizit“) Zentralbankseitige Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits (= Abnahme der Währungsreserven der Zentralbank) Hinweis: Die Bilanz der Vermögensübertragungen und die Restpostenbilanz wurden vernachlässigt Eine unumstrittene Definition des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts gibt es nicht. Üblicherweise wird das Ziel jedoch als Ausgleich der Leistungsbilanz definiert. Weder länger anhaltende (strukturelle) Leistungsbilanzüberschüsse noch strukturelle Leistungsbilanzdefizite sind erwünscht. Sie gefährden im Zweifel das binnenwirtschaftliche Gleichgewicht. Strukturelle Leistungsbilanzüberschüsse müssen • entweder mit entsprechenden Nettokapitalexporte einhergehen (Zunahme der Forderungen gegenüber dem Ausland), • oder sie sind mit einer Zunahme der Währungsreserven der heimischen Zentralbank verbunden. Zumindest im letzten Fall wirkt das Leistungsbilanzdefizit automatisch inflatorisch, denn infolge der Interventionen (die Zentralbank kauft - bildlich gesprochen – den Exporteuren die zu viel verdienten Devi- Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 54 sen ab, um zu verhindern, dass die heimische Währung „über Gebühr“ aufgewertet wird) steigt die heimische Geldmenge und damit – tendenziell – das Preisniveau. Hohe Leistungsbilanzüberschüsse bewirken aber auch einen nachfrageseitigen Inflationssog. Infolge der Exportüberschüsse steigt die Nachfrage nach Waren und Diensten im Inland. In einer unterbeschäftigten Wirtschaft ist dies durchaus erwünscht, es steigt die Auslastung der heimischen Produktionsanlagen und die Beschäftigung. Je mehr sich die Wirtschaft der Vollbeschäftigt nähert, umso mehr zieht die Nachfrage die Preise nach oben. Strukturelle Leistungsbilanzdefizite sind auf Dauer nicht finanzierbar und wirken tendenziell wachstums- und beschäftigungshemmend. Sie müssen • • entweder durch entsprechende Nettokapitalimporte finanziert worden sein (Zunahme der Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland). Der daraus erwachsende Zinsendienst belastet dann allerdings wiederum die Dienstleistungs- und damit die Leistungsbilanz. Oder durch eine entsprechende Verringerung der Währungsreserven der heimischen Zentralbank finanziert worden sein (in diesem Fall stößt allerdings letztlich die Zentralbank an eine Finanzierungsgrenze). Unabhängig davon, wie das Leistungsbilanzdefizit finanziert worden ist, wirkt es tendenziell wachstums- und beschäftigungsfeindlich. Ein Überschuss der Importe gegenüber den Exporten bedeutet ja, dass mehr Güter im Ausland als im Inland produziert werden. Dies bedeutet, dass das Inland dem Ausland mehr Arbeit gibt, als es selbst durch die ausländische Nachfrage nach heimischen Gütern im Inland Beschäftigung geschaffen wird. Per Saldo wirkt sich der Importüberschuss also wachstums- und beschäftigungsschädlich aus. Finanziert das Inland sein Leistungsbilanzdefizit über Nettokapitalimporte Zunahmen der Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland), so setzt dies letztlich voraus, dass das Inland den ausländischen Kapitalanlegern attraktive Zinsen bietet. In dem Defizitland wird das Zinsniveau damit tendenziell höher sein als bei einer ausgeglichenen Leistungsbilanz. Auch das hohe Zinsniveau wirkt wachstums- und beschäftigungsfeindlich. 7.4.3 Außenhandelspreise und Terms of Trade Für die Analyse der Außenhandelsströme und deren Determinanten ist es wichtig, die Preisentwicklung für die exportierten und importierten Waren zu erfassen. Eine wichtige Messzahl bilden die Terms of Trade, die als Verhältnis der Indizes der (in gleichen Währungseinheiten – z.B. € - ermittelten) Preise von Exportgütern zu Importgütern definiert sind. Sie geben an, wie viel Importeinheiten für eine Einheit Exportgüter gekauft werden können. Sie werden daher auch als reales Austauschverhältnis bezeichnet. € P Terms of Trade = tot = Ex € PIm Eine Verbesserung der Terms of Trade bedeutet dann offensichtlich, dass für eine Einheit Exporte mehr Einheiten Importe im Ausland eingekauft werden können. Oder anders formuliert: Für eine Einheit Importe müssen zur Finanzierung dieser Importe weniger heimische Güter an das Ausland abgegeben werden. In beiden Fällen erhöht sich das im Inland verteilbare Bruttoinlandsprodukt. Für die Lohnpolitik bedeutet dies im übrigen, dass sich im Ausmaß der Verbesserung der Terms of Trade auch der lohnpolitische Verteilungsspielraum (über das Produktivitätswachstum hinaus) erhöht. wl = wπ A + wtot Umgekehrt verringert sich auch bei einer Verschlechterung der Terms of Trade der im Inland verbleibende Verteilungsspielraum. Denn die Verteuerung der Importe (z.B. Ölimporte) bedeutet, dass für eine Einheit importierte Güter (Barrel Öl) dem Ausland entsprechend mehr Einheiten Exportgüter zur Verfügung gestellt werden müssen, um die Importe zu finanzieren. Dies verringert den im Inland verbleibenden Verteilungsspielraum. Eine derartige Situation lag vor allem in den Ölkrisen 1973/74 (sog. 1. Ölkrise) und 1979/80 (sog. 2. Ölkrise) vor. Auch in den Folgejahren verschlechterten sich infolge der drastischen Abwertung des EURO (1999/2000) bzw. infolge einer knappheitsbedingten Verteuerung des Rohöls (2005) die Terms auf Trade deutlich. 55 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 8 Die Input-Output-Rechnung 8.1 Die Input-Output-Tabelle als Erweiterung des nationalen Produktionskontos Die Input-Output-Tabelle (IO-Tabelle) ist eine erweiterte Darstellung des nationalen Produktionskontos in Matrixdarstellung. Das Produktionskonto wird hierzu um die Vorleitungsverflechtungen erweitert. Es erfolgt damit eine systematische Darstellung der Liefer- und Bezugsströme zwischen den Wirtschaftszweigen einer VolkswirtDarstellung eines erweiterten Produktionskontos des Sektors 2 schaft. Mit der IO-Tabelle ist eine Vorleistungskäufe Vorleistungsverkäufe Darstellung der intersektoralen und − von Sektor 1 V12 − an Sektor 1 V21 der intrasektoralen Verflechtungen − von sich selbst V22 − an sich selbst V22 − − von Sektor 3 an Sektor 3 zwischen den Wirtschaftszweigen V32 V23 − ... − ... möglich. ... ... − − von Sektor n an Sektor n Vn2 V2n Prominentester Vertreter ist W. W. LEONTIEF. Leontief erstellte bereits 1936 eine industrielle Kauf von importierten Vor- Im2 Verkäufe von KonsumgüVerflechtungsmatrix für die USA. Die IOleistungen tern C2 Tabelle wird daher vielfach auch als LeontiefD2 Verkauf von Investitions- Ib2 Matrix bezeichnet. Es handelt sich – wie das ge- Abschreibungen samte Volkswirtschaftliche Rechnungswesen – gütern ind um ein ex-post-Rechenschema, das zur DarstelIndir. Steuern – Subventio- (T Verkauf von Exportgü- Ex2 lung der (historischen) Produktionsverflechtung -Z)2 tern bzw. der Marktverflechtung dienen kann. Die nen IO-Tabelle ist lediglich ein deskriptives Instru- Wertschöpfung ment, im Unterschied zur IO-Analyse in der eine L2 modellmäßige Auswertung des Datenmaterials − Löhne G2 der IO-Tabelle erfolgt und mit der z. . die struk- − Gewinne turellen Auswirkungen einer vorgegebenen VerP änderung einer Endnachfragekomponente (z.B. Bruttoproduktionswert Sek- PW Bruttoproduktionswert Sektor 2 W2 der Staatsnachfrage) simuliert werden können. tor 2 2 IO-Tabellen sind allerdings auch ohne modelltheoretische Auswertungen ein wichtiges Analyseinstrument, um strukturelle Besonderheiten eines Landes aufzuzeigen. Die IO-Tabelle kann folglich als Sammlung aller „aufgeklappten“ hinsichtlich der Vorleistungen unkonsolidierten Produktionskonten interpretiert werden. Ordnet man die Inputseite als Spalte und die Outputseite als Zeile, so ergibt sich nachstehende Grundstruktur einer IO-Tabelle. Struktur der Input-Output-Tabelle V12 + V21 + V22 + V32 + . +. Vn2 + D2 + (Tind-Z)2 + L2 + G2 = PW2 + V23 + ... + V2n + C2 + Ib2 + Ex2 = PW2 56 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen Matrixschema einer Input-Output-Tabelle Verkäufe Output → Vorleistungsmatrix Matrix Primäraufwand Käufe Input ↓ erhaltener Vorleistungs-Input Sektor 1 Sektor 2 Sektor 3 (1) (2) (3) Gesamte Verwendung von Gütern Endnachfrage (letzte Verwendung) (4) (5) (6) (7) Σ (1) bis (7) G 1 Ex PW1 Sektor 1 (1) V11 V12 V13 Cpr 1 CSt 1 Sektor 2 (2) V21 V22 V23 Cpr 2 CSt 2 Ib2 ExG2 PW2 Cpr 3 b 3 G 3 PW3 Sektor 3 Primäre Inputs Gesamtes Aufkommen Σ (1) bis (8) von Gütern (3) V31 V32 V33 (4) (5) (Tind-Z)1 (Tind-Z)2 (Tind-Z)3 (8) D1 Im1 L1 G1 D2 Im2 L2 G2 D3 Im3 L3 G3 (9) PW1 PW2 PW3 (6) (7) I b 1 CSt 3 I Ex Endnachfragematrix Eine Zeilensumme ergibt die jeweilige sektorale Güterverwendung. Die Spaltensumme ergibt das gesamte Güteraufkommen.7 8.2 Typen von Input-Output-Tabellen IO-Tabellen lassen sich nach folgenden Kriterien unterscheiden: • Nach dem Umfang des Gebietes (regionale, nationale und internationale Tabellen). • Nach der Anzahl der Wirtschaftszweige in „kleine“ (bis zu etwa 20 Sektoren), „mittlere“ (etwa 20 bis 50 Sektoren) und „große“ (mehr als 50 Sektoren) Tabellen. Die von Statistischen Bundesamt veröffentlichte IO-Tabelle umfasst 58 Produktionsbereiche (Spalten) und 58 Gütergruppen (Zeilen), wobei jeweils zusammengehörige Produktionsbereiche und Gütergruppen gleich abgegrenzt sind. . • Nach dem Prinzip der Sektorenbildung in institutionelle und funktionale Tabellen. Eine völlig konsistente IO-Tabelle müsste folgenden Kriterien genügen: • Jeder Sektor erzeugt und liefert nur ein einziges Gut • In jedem Sektor wird nur eine Produktionstechnologie angewandt • Jedes Erzeugnis wird nur in einem Sektor hergestellt. In der Praxis ist es nicht möglich, diesen Voraussetzungen voll Rechnung zu tragen. Die Zuordnung zu den Sektoren wird daher entweder nach dem Funktionalprinzip oder nach dem institutionellen Prinzip vorgenommen: • Das Funktionalprinzip ist an der Homogenität der Güter orientiert. Es zielt auf die Wiedergabe der Produktionsverflechtung („was wird produziert?“). Hierzu müssen bei Mehrproduktunternehmen die einzelnen Aktivitäten genau der jeweiligen Produktgruppe zugeordnet werden. Eine Schwerpunktbildung ist bei der Anwendung dieses Prinzips unzulässig. Das institutionelle Zuordnungsprinzip dient eher der Darstellung der Marktverflechtung („wer produziert?“). Bei diesem Zuordnungsprinzip werden alle Produktionseinheiten zu Sektoren zusammengefasst, die ein gemeinsames Merkmal aufweisen (z.B. die Verwendung des gleichen Rohstoffes oder die Produktion ähnlicher Güter). Im Zweifel erfolgt die Zuordnung danach, wo der Schwerpunkt der Aktivität liegt (Schwerpunktprinzip). Auswertung von Input-Output-Tabellen mittels IO-Koeffizienten Dies entspricht nicht ganz dem Bruttoproduktionswert, da von der gesamten Güterverwendung noch die Importausgaben abgezogen werden müssen. Dieser Sachverhalt wird hier vernachlässigt. 7 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 57 IO-Tabellen vermitteln ein quantitatives Bild der produktions- und gütermäßigen Verflechtung in einer Volkswirtschaft. Die Tabellen zeigen im einzelnen, • wie sich das Aufkommen an Gütern aus inländischer Produktion und aus der Einfuhr auf Gütergruppen aufteilt; • wie diese Güter verwendet worden sind, wobei zwischen intermediärer (Vorleistungs-) Verwendung und letzter Verendung unterschieden wird; • welche Einkommen im Zuge der Produktion in den einzelnen produzierenden Bereichen entstanden sind. Die in den IO-Tabellen dargestellte direkte Verknüpfung der Angaben über die Güterverwendung mit denen über die Produktion und Einkommensentstehung kann vielfältigen Verwendungszwecken dienen. So eignen sich IO-Tabellen z.B. für die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen der Verbrauchsgüternachfrage, dem Investitionsverhalten, der Auslandsnachfrage und der Vorleistungsnachfrage. Es könnte beispielsweise die Frage beantwortet werden, welche sektoralen Effekte ein staatliches Konjunkturprogramm bewirkt. Andererseits kann auch der Zusammenhang zwischen Produktions- und Einkommensentstehung analysiert werden. Dabei sind nicht nur die direkten, sondern auch die indirekten Wirkungen von Nachfrage- oder Kostenänderungen (z.B. veränderter Importpreise) auf die Produktionsstruktur (Mengenmodell) und das Preisgefüge (Preismodell) darstellbar. Da neuerdings auch die Energieströme detaillierter ausgewiesen werden, ist auch die Beantwortung energiepolitischer Fragestellungen (beispielsweise Fragen nach dem direkten oder indirekten Energieverbrauch bei der Produktion bestimmter Güter bzw. nach den möglichen Auswirkungen von Energiepreissteigerungen auf das Preisgefüge) möglich. Die IO-Tabelle ist für sich genommen nicht sehr aussagekräftig. Um den Grad der interindustriellen Verflechtung der Sektoren oder den Anteil einer Primäraufwandskomponente am Input der Sektoren zu ermitteln sind Strukturkoeffizienten zu bilden. Diese Koeffizienten können unterschieden werden nach der • Lokalisation der Transaktionen in den einzelnen Quadranten: Vorleistungs-, Primäraufwands- und Endnachfragekoeffizienten und • Zeilen oder Spaltenbezogenheit: Inputkoeffizienten (Spalte) oder Outputkoeffizienten (Zeile). Bei den Koeffizienten handelt es sich um dimensionslose Größen. Die Summe sämtlicher Input- oder Output-Koeffizienten ergibt immer den Wert Eins. Die Inputkoeffizienten werden auch als technische Koeffizienten bzw. als vertikale (Spalten-) Koeffizienten bezeichnet. Sie werden berechnet, indem man einen beliebigen Wert der Inputs (Vorleistungsinputs Vij oder primäre Inputs PIij) auf den Wert der zugehörigen Spaltensumme (PWj) bezieht8: aij = Vij PW j (Vorleistungs-Input-Koeffizient) bzw. aij = PI ij PW j (Koeffizient der primären Inputs) Ein Input-Koeffizient misst den Anteil der für die Produktion erforderlichen Aufwandsgröße am Gesamtaufwand. Er repräsentiert damit die Kostenstruktur eines Wirtschaftszweiges. Die Output-Koeffizienten werden auch als Verteilungskoeffizienten oder als horizontale (Zeilen)Koeffizienten bezeichnet. Hierbei wird ein beliebiger Wert des Outputs (Vorleistungslieferungen V ij bzw. Lieferungen für die letzte Verwendung LVi) auf die zugehörige Zeilensumme (BPWi) bezogen: 8 Der erste Index (i) gibt immer die Zeile und der zweite Index (j) gibt immer die Spalte an. ViJ Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen eij = Vij PWi 58 (Vorleistungs-Output-Koeffizient) bzw. eij = LVij PWi (Koeffizient der letzten Verwendung) Output-Koeffizienten spiegeln die Absatzstruktur eines Wirtschaftszweiges (i) wider. Die deskriptive Auswertung mittels Koeffizienten ist notwendigerweise vergangenheitsbezogen. Werden hiermit Fragen beantwortet, die sich auf die Zukunft beziehen, so gelten diese Aussagen nur unter der Annahmen der Strukturkonstanz. Gerade bei der Analyse von knapper werdenden Inputs (Öl) und möglichen Reaktionen auf Preiseffekte ist die Annahme unveränderter struktureller Bedingungen sicherlich kaum realistisch. Es ist ja gerade das Kennzeichen von Marktwirtschaften, dass auf veränderte Daten und Marktsignale die Wirtschaftssubjekte flexibel reagieren und ihre Produktions-, Input- und Outputstrukturen anpassen. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass IO-Koeffizienten nur die Effekte in der „ersten Runde“ erfassen. Die Erhöhung der Nachfrage eines Produktionsbereichs hat aufgrund der Produktionsverflechtungen im allgemeinen eine Erhöhung der Bruttoproduktionswerte aller Produktionsbereiche zur Folge. Deren Auswirkungen müssten ebenfalls berücksichtigt werden. Das Statistische Bundesamt veröffentlicht hierzu sog. inverse Koeffizienten. Der inverse Koeffizient eines Feldes (i,j) gibt an, in welchem Umfang Güter aus inländischer Produktion der i-ten Gütergruppe insgesamt benötigt werden, um eine Werteinheit der Güter aus inländischer Produktion des j-ten Produktionsbereichs für die letzte Verwendung zur Verfügung stellen zu können. Die Anwendungsmöglichkeiten der Input-Output-Rechnung sind zahlreich. Neben Analysen des Wirtschaftsgeschehens unterstützt sie die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts. Die Europäische Union verlangt aktuelle und vergleichbare Input-Output-Tabellen aller Mitgliedstaaten. 9 Die gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung 9.1 Finanzierungsrechnung als Erweiterung des Vermögensänderungskontos Zur Darstellung der ökonomischen Aktivitäten der WirtSektorales schaftseinheiten im finanziellen Bereich werden im RahFinanzierungskonto men der VGR (die bisher nicht näher Betrachteten) FiÄnderung der Forde- Änderung der Vernanzierungskonten geführt. Ein sektorales Finanrung des Sektors bindlichkeiten des zierungskonto enthält die Änderungen der Forderungen Sektors und Verbindlichkeiten dieses Sektors gegenüber anderen Finanzierungssaldo Sektoren bzw. gegenüber dem Ausland. Es hat die vordes Sektors anstehende Struktur. Gesamtwirtschaftlich heben sich die inländischen Forderungen und Verbindlichkeiten gegeneinander auf. Es verbleibt also lediglich der Finanzierungssaldo gegenüber dem Ausland, die sog. Nettoposition des Inlandes gegenüber dem Ausland. Gesamtwirtschaftliches Finanzierungskonto Summe aller ÄndeSumme aller Änderungen der Forderun- rungen der Verbindgen inländischer Sek- lichkeiten inländischer toren Sektors Änderung der NettoAuslandsposition (Saldo der Leistungsbilanz) 9.2 Finanzierungsrechnung der Deutschen Bundesbank Die Deutsche Bundesbank weist seit Jahren in Ihrer Finanzierungsrechnung die Art der Zusammensetzung der Veränderung der Forderungen und Verbindlichkeiten detailliert aus. Es handelt sich hierbei um eine Geldvermögensänderungsrechnung; im Gegensatz zu der ebenfalls von der Bundesbank ausgewiesenen Geldvermögensbestandsrechnung. Erstmals mit dem Monatbericht Juni 2000 passt die Bundesbank ihre Finanzierungsrechnung der neuen Systematik an die Regeln des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESGV ’95) an. Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 59 Die Finanzierungsrechnung zeigt, dass die privaten Haushalte traditionell eine Finanzierungsüberschuss (+132 Mrd. DM) ausweisen. Nichtfinanzielle Sektoren (vor allem Produktionsunternehmen und Staat) sind dagegen Sektoren mit einem traditionellen Finanzierungsdefizit. Die Finanzierungsrechnung kann folgenden Zwecken dienen: • • • • 9.3 Instrument zur Untersuchung der Anlagegewohnheiten der privaten Haushalte, institutionellen Anleger und der übrigen Wirtschaftseinheiten. Beurteilung der Wirkungen geldpolitischer Maßnahmen, da diese den Umfang der Keditbeziehungen und die Gläubiger-Schuldner-Struktur beeinflussen. Information über Eigenfinanzierungsquoten der Wirtschaftszweige. Beurteilung der staatlichen Budgetdefizite. Weitere monetäre Rechnungssysteme 9.3.1 Zentralbankgeldmenge und Geldmengenaggregate Die Zentralbankgeldmenge (ZBG) ist die Basis der gesamtwirtschaftlichen Geldmenge. Sie wird daher auch als Geldbasis bezeichnet. Zentralbankgeld entsteht durch Erwerb von Aktiva der Zentralbank. Sie wird verwendet in Form von Bargeldumlauf oder in Form von Sichteinlagen bei der Zentralbank. Die Entstehungs- und Verwendungskomponenten sind in der nachstehenden Zentralbankbilanz dargestellt. Der Steuerung der Zentralbankgeldmenge kommt für die Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Geldmenge eine zentrale Rolle zu. Seit 1999 hat das System Europäischer Zentralbanken (ESZB) diese Aufgabe übernommen. Geldmengendefinitionen Eine allgemein gültige DefiniZentralbankbilanz tion der Geldmenge ist nicht 1. Außenwirtschaftliche Kompo- 6. Bargeldumlauf (Bargeldbestände) möglich. „Geld ist was Geldnente (Gold, Devisen, sonst. – des Publikums funktionen erfüllt“. Zu den Auslandsforderungen) – des Staates wichtigsten Geldfunktionen 2. Refinanzierungskomponente – der Geschäftsbanken zählen: (Kredite an Geschäftsbanken) • die Funktion als Rechen- 3. Offenmarktkomponente (Wertmaßstab (numéraire), papierbestände) 7. Sichteinlagen bei der Zentralbank • die Zahlungsmittelfunkti- 4. Fiskalische Komponente (Kredite an den Staat) – des Publikums on, – des Staates 5. Sonstige Komponente • die Wertaufbewahrungs– der Geschäftsfunktion. banken Entstehungsseite der ZBG Verwendungsseite der ZBG Es sind enge und weite Geldmengenabgrenzungen üblich. Die Deutsche Bundesbank unterschied in ihrer Zuständigkeitsphase für Geldpolitik eine M1, M2 und M3 (z.T. auch eine „M3 erweitert“). Auch die Europäische Zentralbank arbeitet mit verschiedenen Geldmengenaggregaten. Im Zentrum der geldpolitischen Strategie steht die M3. Die Deutsche Bundesbank hat bei der Sektorenabgrenzung zwischen dem Banken- und dem Nichtbankensektor unterschieden, wobei zum Nichtbankensektor die öffentlichen Haushalte (=Staat) und der private Sektor (=private Haushalte und Nichtbankenunternehmen) gezählt wurden. Diese Unterscheidung ist deshalb von Bedeutung, da es sich bei einer Forderung gegenüber einer Bank um Buchgeld handelt, wenn über diese Forderung mit einem Scheck oder einer Überweisung jederzeit verfügt werden kann, während eine Forderung gegenüber einer Nichtbank kein „Geld“ im engeren Sinne darstellt, da über diese Forderung nicht sofort verfügt werden kann. Dabei wird innerhalb des Bankensektors üblicherweise zwischen Zentralbank und Geschäftsbanken („Kreditinstitute“) unterschieden. Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 60 Beim Europäischen System der Zentralbanken wird zwischen dem Sektor „Monetäre Finanzinstitute (MFIs) und Nicht-Monetäre Finanzinstitute unterschieden. Der Sektor Monetäre Finanzinstitute ist der Geldschöpfungssektor. Er umfasst die Zentralbanken, die Kreditinstitute im Sinne des Gemeinschaftsrechts und alle gebietsansässigen Finanzinstitute, deren wirtschaftliche Tätigkeit darin besteht, Einlagen bzw. Einlagensubstitute von Nicht-Monetären Finanzinstituitionen entgegenzunehmen und auf eigene Rechnung Kredite zu gewähren und/oder in Wertpapiere zu investieren. In Deutschland handelt es sich um die Einbeziehung der Geldmarktfonds und der Bausparkassen. Geldmengenaggregate Die Geldmenge M1 ist eng definiert. Sie erfasst in erster Linie die Zahlungsmittelfunktion des Geldes. Die Geldenge M3 ist weit definiert. dient nicht nur der Zahlungsmittelfunktion sondern auch der Thesaurierungsfunktion des Geldes. Die Geldenge M3 reagiert zudem weniger stark auf (zinsbedingte) PortfolioUmschichtungen zwischen den Geldmengenteilaggregaten als die M2 oder die M1. 9.3.2 Grundzüge der Geldpolitik a) Das potenzialorientierte Konzept der Deutschen Bundesbank (1974 bis 1998) Die M3 diente der Bundesbank lange Zeit als Zwischenzielgröße ihrer Geldmengenpolitik. Seit 1974 verfolgte sie tendenziell eine monetaristische Geldmengenkonzeption. Sie bezeichnete ihr Geldmengenkonzept als „Neue Geldpolitik“. Das für das folgende Jahr angestrebte Wachstum der Geldmenge wurde dabei an folgenden Determinanten ausgerichtet: Die angestrebte Geldmengenwachstumsrate wurde jeweils für das kommende Jahr angekündigt. Die tatsächliche Entwicklung wich allerdings mehr oder weiniger stark von der angestrebten Entwicklung ab. b) Der Mehrfaktorenansatz der Europäischen Zentralbank (seit 1999) Die Europäische Zentralbank verfolgt ein zwei Säulen Konzept, und zwar • die Festlegung eines Geldmengenziels als Zwischenziel (genauer: Referenzwert) und • die direkte Ansteuerung eines Preisniveaustabilitätsziels. Es handelt sich also um eine Kombination aus einer potenzialorientierten Geldmengenstrategie, wie sie seitens der Deutschen Bundesbank verfolgt wurde, und einer Strategie der direkten Inflationssteuerung („inflation targeting"), wie sie u.a. seitens der angelsächsischen Zentralbank verfolgt wird. Der Ansatz wird daher auch als Mehrfaktorenkonzept bezeichnet. Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 61 (1) Referenzwert für die M3-Entwicklung Der erste Eckpfeiler des geldpolitischen Konzepts der Europäischen Zentralbank ist tendenziell potenzialorientiert. Die EZB verzichtet allerdings (bisher) auf angekündigte Geldmengenziele, sondern veröffentlicht lediglich einen "Referenzwert" für die M3-Entwicklung. Der Referenzwert wird methodisch nach dem gleichen Verfahren hergeleitet und quantifiziert, wie das früher die Deutsche Bundesbank bei der Bestimmung des Zielpfades für die monetäre Expansion getan hat. Aber im Unterschied zum Zielpfad für eine potenzialorientierte Geldversorgung hat der Referenzwert der EZB keine kritischen Grenzen für die monetäre Entwicklung, an denen ein geldpolitischer Handlungsbedarf entstehen könnte. Dementsprechend räumt sich die Europäische Zentralbank, anders als früher die Deutsche Bundesbank, prinzipiell einen größeren diskretionären Spielraum ein. Geldmengreferenzwert für das Jahr 2004 Der EZB-Rat hat den bisherigen Referenzwert von 4,5% auch für das Jahr 2004 bestätigt. Dem Beschluss liegt die Annahme zugrunde, dass die zugrunde liegenden Komponenten, nämlich die Definition des Eurosystems von Preisstabilität (HVPI > 2%), Wachstum des realen BIP (2% - 2,5%) und für den trendmäßigen Rückgang der Umlaufgeschwindigkeit der M 3 (0,5% bis 1% pro Jahr) im wesentlichen unverändert geblieben sind. (2) Direkte Inflationssteuerung Der zweite Eckpfeiler der geldpolitischen Strategie der Europäischen Zentralbank wird mit "direkter Inflationssteuerung" umschrieben. Die EZB strebt an, den Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex auf maximal 2 % gegenüber dem Vorjahr zu begrenzen. Zu diesem Zweck werden kontinuierlich alle für relevant gehaltenen Einflussfaktoren analysiert, um rechtzeitig Risiken für die Geldwertstabilität auszumachen. Eine Inflationsprognose hat die Europäische Zentralbank erstmals und sehr allgemein im September 1999 veröffentlicht. 10 Literaturhinweise Brümmerhoff, Dieter: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, aktuelle Auflage, Verlag Oldenbourg. Frenkel, Michael; John, Klaus D.: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. WiSo Kurzlehrbücher, Volkswirtschaft., aktuelle Auflage, Verlag Franz Vahlen. Haslinger, Franz: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, aktuelle Auflage, Verlag Oldenbourg. Dieter Brümmerhoff (Hrsg.): Lexikon der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, aktuelle Auflage, Verlag Oldenbourg. Nissen, Hans-Peter: Das europäische System volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen, aktuelle Auflage, Physica-Verlag 62 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen 11 Abkürzungsverzeichnis Ausland (Pol) Ausgaben des Staates für Waren und Dienstleistungen CSt = Konsum des Staates, Staatsverbrauch ASt IbSt = Bruttoinvestitionen des Staates Arbeit (Produktionsfaktor) Arbeitsvolumen (E ∗ h) Auslastungsgrad des Produktionspotenzials Arbeitslose ALreg = Registrierte (gemeldete) Arbeitslose AL ALSR = Stille Reserve, verdeckte Arbeitslose, nicht registrierte Arbeitslose Arbeitslosenquote ALQreg = registrierte Arbeitslosenquote = registrierte Arbeitslosen in Prozent der Erwerbspersonen ALQreg, abh = registrierte Arbeitslosenquote (in Prozent der abhängig beschäftigten Erwerbspersonen) ALQpot = Arbeitslosenquote nach dem Potenzialkonzept = Arbeitslose (einschließl. stille Reserve) in Prozent des Erwerbspersonenpotenzials Arbeitnehmerquote (Anteil der abhängig Beschäftigten an den gesamten Erwerbspersonen) Arbeitseinkommensquote (Anteil der gesamten Arbeitseinkommen am VE) Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen (Gross domestic product, GDP) Produktionspotenzial = volkswirtschaftliche Produktionskapazität = potentielles BIP M (in Grafiken teils mit A ASt A AV a AL ALQ ANQ AQ BIPM BIPM, pot BIP* gekennzeichnet) BSPM C D EvH E EP EPpot Ex G GSt M Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen come) Konsumgüter, Konsumausgaben CH = Konsumausgaben der privaten Haushalte; (private consumption expenditure) CSt = „Konsum des Staates“ = vom Staat; unentgeltlich bereitgestellte Leistungen, welche die Gesellschaft konsumiert; (consumption expenditure of general government) Abschreibungen (Deprivation) DU = Abschreibungen des Sektors private Unternehmen DSt = Abschreibungen des Staates Verfügbares Einkommen der privaten Haushalte (nach Steuerabzug); (disposable income) Erwerbstätige (abhängig Beschäftigte + Selbständige); (total employment) Erwerbspersonen E = Erwerbstätige (abhängig Beschäftigte + Selbständige) Alreg = registrierte Arbeitslose Erwerbspersonenpotenzial E = Erwerbstätige (abhängig Beschäftigte + Selbständige) Alreg = registrierte Arbeitslose ALSR = Stille Reserve (verdeckte Arbeitslose) Exporte G ExW = Warenexporte Ex D Ex = Dienstleistungsexporte ExF = Faktorleistungsexporte (Entgelte für exportierte Arbeits- und Kapitalleistungen) Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögenseinkommen (Kurzbezeichnung: ”Gewinne”) GH = „Gewinne“ der privaten Haushalte = Einkommen der privaten Haushalte aus Unternehmertätigkeit und Vermögen Guv = „unverteilte Gewinne“ = nicht ausgeschüttete Gewinne von Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit GSt = Kapitaleinkommen des Staates (saldiert mit den Zinszahlungen des Staates) Gesamtausgaben des Staates („Government“) CSt = Konsum des Staates, Staatsverbrauch ASt IbSt = Bruttoinvestitionen des Staates Tr = Transferzahlungen des Staates an private Haushalte ional in- C D EP EPpot G GSt Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen g H h Ib In IASaldo IErsatz Im K KapEx KapIm L LBSaldo LQ LQber M NE NIPM NIPF NSPM NSPF VE O P PE PW π R S T T tot Tr U Ü V M F Z = Subventionen des Staates an Unternehmen Staatsquote Private Haushalte (Pol) Jahresdurchschnittliche Arbeitszeit Investition, Investitionsgüter (brutto); (gross fixed capital formation) Ib IbU = Bruttoinvestitionen des Sektors Unternehmen n =I +D IbSt = Bruttoinvestitionen des Sektors Staat b Nettoinvestitionen = I – D Saldo der Erwerbs- und Vermögenseinkommen zwischen Inländern und Ausländern Saldo der Primäreinkommen mit der übrigen Welt Ersatzinvestitionen Importe G ImW = Warenimporte Im ImD = Dienstleistungsimporte ImF = Faktorleistungsimporte (Aufwendungen für importierte Arbeits- und Kapitalleistungen) Ausstattung mit Sachkapital, Kapital (Produktionsfator) Kapitaexporte Kapitalimporte Einkommen aus unselbständiger Arbeit, Arbeitnehmerentgelt; (Compensation of employees) Leistungsbilanzsaldo LBSaldo = ExL – ImL = [(ExW + ExD + ExF + Üvom A)] – [(ImW + ImD + ImF + Üan A)] Lohnquote = Anteil der Lohneinkommen am Volkseinkommen Bereinigte Lohnquote (bei rechnerisch konstant gehaltenem Arbeitnehmeranteil) Geldmenge M1 = Geldmenge M1 = BG + SE M2 = Geldmenge M2 = M1 + TE<2J M3 = Geldmenge M2 = M2 + GMP + SVS + Repro Nationaleinkommen = Nettonationaleinkommen Nettoinlandsprodukt zu Marktpreisen Nettoinlandsprodukt zu Faktorkosten Nettosozialprodukt zu Marktpreisen tionaleinkommen zu Marktpreisen Nettosozialprodukt zu Faktorkosten Organisatorisches Wissen (Produktionsfaktor) Preise, Preisniveau, Preisindex Primäreinkommen = Nettonationaleinkommen zu Marktpreisen (NNEM) = Nettosozialeinkommen zu Marktpreien (NSPF) (Brutto-)Produktionswert Produktivität πA = Arbeitsproduktivität je Erwerbstätiger πAV = Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigenstunde (AV = A ⋅ h = Arbeitsvolumen) Ausstattung mit natürlichen Ressourcen (Produktionsfaktor) Ersparnis (Saving) SH = Ersparnis der privaten Haushalte S SU = Ersparnis des Sektors Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit SSt = Ersparnis des Sektors Staat Steuern (Taxes) Tind = indirekte Steuern = „Gütersteuern“ = Produktions- und Importabgaben T an den Staat Tdir = direkte Steuern technisches Wissen (Produktionsfaktor) Terms of Trade = reales Austauschverhältnis (Entwicklung der Ausfuhrpreise im Verhältnis zur Entwicklung der Einfuhrpreise) Transfereinkommen der privaten Haushalte, Transferzahlungen an private Haushalte Unternehmen (Pol) Übertragungen, unentgeltliche Leistungen („Schenkungen“) Üan A = Übertragungen an das Ausland = geleistete laufende Übertragungen ÜSaldo vom A Ü = Übertragungen vom Ausland = empfangene laufende Übertragungen Vorleistungen 63 Prof. Dr. Jürgen Pätzold: Volkswirtschaftliches Rechnungswesen V VE W w wBIPM, pot Y Z ⊗b, ⊗br ⊗BBk ⊗ber ⊗EU ⊗F ⊗gepl, ⊗ungepl ⊗H, ⊗privH ⊗Inland ⊗Inländer ⊗l ⊗M ⊗n ⊗pot ⊗pr, ⊗priv ⊗real ⊗St ⊗SV ⊗SVR ⊗U ⊗ungepl ⊗v 64 Vermögensänderung (Pol) Volkseinkommen = Kürzel für NSPF Wertschöpfung → Wb = Bruttowertschöpfung → Wn = Nettowertschöpfung Veränderungsrate, Wachstumsrate Wachstum des Produktionspotenzials, volkswirtschaftliches Kapazitätswachstum Als Kürzel für BIP, BSP, BNE, NNE oder VE verwendet (vor alGesamtwirtschaftliche Produktion, gesamtwirtschaftliches Einkommen (Volksein- lem in der makroökonomischen Theorie). In der Regel werden Unterschiede zwischen diesen Größen vernachlässigt. kommen) Subventionen an Unternehmen brutto Deutsche Bundesbank Bereinigt Europäische Union zu Faktorkosten, Faktorleistungen geplant, ungeplant Private Haushalte gemäß Inlandskonzept gemäß Inländerkonzept Lohnsätze zu Marktpreisen netto Potenzial, potenziell Privat, privater Sektor real = zu konstanten Preisen eines Basisjahres (z.B. 1995) Staat Sozialbeiträge Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („5 Weise“) Unternehmen, Private Unternehmen = ⊗prU = ⊗privU ungeplant verfügbar Hinweis: Es gilt der Stoffinhalt der Vorlesung. Weitergehende Informationen zur VGR und zu aktuellen wirtschaftspolitischen Entwicklungen finden sie auch auf meiner Homepage: www.juergenpaetzold.de Prof. Dr. Jürgen Pätzold