M E D I Z I N DISKUSSION zu dem Beitrag Myasthenia gravis und myasthene Syndrome von Priv.-Doz. Dr. med. Jörn Peter Sieb Dipl.-Biol. Simone Kraner Wolfgang Köhler Dr. med. Berthold Schalke Dr. med. Ortrud K. Steinlein in Heft 51–51/2000 Antioxidanzien ergänzen Die histologisch beziehungsweise molekulargenetisch verschiedenen Formen der Myasthenia gravis mit gestörter Signalübertragung von Nerv zu Muskel können auch als eine von der urbanisierten zivilisierten Lebensweise, mit reichlich Xenobiotika- und Schwermetalleintrag, verursachte Krankheit aufgefasst werden. Oxidationschäden der Zell- und mitbetroffenen Vesikelmembranen können durch Antioxidanzien (Vitamin E, Vitamin C und selenhaltige Glutathionperoxidase) repariert werden oder durch das zinkhaltige Enzym Phospholipase A2, das wie das ebenfalls zinkhaltige DNA-Repair-Enzym, die geschädigten Teile einfach herausschneidet. Nach Gleichmann und Griem können Metallionen – zum Beispiel Goldionen in der Rheumatherapie – körpereigene Eiweiße durch Vernetzung, das heißt auch anders oder unvollständig gefaltet, zum Beispiel auf antigenpräsentierenden Zellen produzieren, sodass sie vom Immunsystem für körperfremd gehalten und bekämpft werden (T-Zellen nehmen eindringende Erreger einer Infektionskrankheit auf, zerschneiden sie mithilfe von Fermenten und präsentieren sie an ihrer Oberfläche, wo Makrophagen sie beseitigen). T-Zellen werden aktiviert durch das zinkabhängige Enzym Tyrosinkinase. Darüber hinaus werden mit der Vesikelausschüttung Zinkionen zur enzymatischen Spaltung des Transmitters und Vorbereitung seiner WiederaufDeutsches Ärzteblatt½ Jg. 98½ Heft 24½ 15. Juni 2001 nahme in die präsynaptische Zelle, abgegeben. Da durch Physostigmin, Plasmapherese, Azathioprin und Glucocorticoide die Wirkung der Autoimmunantikörper gemindert werden kann, sollte man versuchen, auch über die Ernährung durch Zufuhr von reichlich ungesättigten Fettsäuren, wie sie Nachtkerzen-, Borretsch- und Färberdistelöl enthalten, sowie durch Zufuhr wichtiger antioxidativ wirkender Spurenelemente, vor allem Zink, Selen, Vitamin E und Vitamin C, die Nahrung in Reduktionsmittel zu verwandeln, um langfristig die Eiweißkomposition, die normalerweise eben auch zinkabhängig ist, zu verändern. Zink als Spurenelement wird nicht nur für die Signaltransduktion gebraucht, das heißt es gelangt nicht nur mit jedem exzitatorischen Transmitter in den Synapsenspalt, sondern ist auch katalytischer Bestandteil von wichtigen Enzymen wie DNAPolymerase, RNA-Polymerase, Thymidinkinase und anderen in die Transkriptionsmaschinerie eingebundenen Enzymen. Orthomolekulare Strategien setzen natürlich auch Laborkontrollen voraus. Aquirierte giftige Schwermetalle, Vitamin- und Spurenelementgehalt müssen beim Patienten bestimmt werden, um danach die Zufuhr auszurichten, damit Normalwerte erreicht werden können. Dabei ist zu beachten, dass nicht nur einzelne Spurenelemente oder Vitamine oder andere antioxidativ wirkende Substanzen verabreicht werden, denn es handelt sich immer um komplexe Stoffwechselprozesse, in die weitere Vitamine als Koenzyme eingebunden sind. Zinkmangel in der Ernährung des deutschen Normalverbrauchers ist ein auch von der DGE lange erkanntes Phänomen. Auf lange Sicht könnte sich die Zink-Substitution als kostengünstig herausstellen. Literatur 1. Bagenstose LM, Salgame P, Monestier M: Murine Mercury-induced autoimmunity: a model of chemically related autoimmunity in humans. Immunol-Res 1999; 20: 67–78. 2. Böhles HJ, Hrsg: Oxidativer Stress in der Kinderheilkunde. Heidelberg, Berlin: Springer Verlag 1995. 3. Döll M: Die kluge Therapie mit Zink, Schwermetalle – biologische Entgiftung mit Zink. Information für die tägliche Praxis. Alsbach: Köhler Pharma GmbH 1995. 4. Südhof TC: The synaptic vescycle: a cascade of protprot interactions. Nature 1995; 375: 645–655. Dr. med. Gertraud Hausmann Gudvangerstraße 53, 10439 Berlin Schlusswort Frau Hausmann fragt, inwieweit Umwelt- beziehungsweise Ernährungsfaktoren, wie zum Beispiel eine Schwermetallbelastung, an der Entstehung von autoimmun bedingten Erkrankungen der neuromuskulären Signalübertragung, wie der Myasthenia gravis, beteiligt sein könnten. Hierfür gibt es keine begründeten wissenschaftlichen Hinweise. Insbesondere ist ein „antigenes Mimikry“ als Myasthenie-Ursache nur bei der paraneoplastischen Myasthenie experimentell belegt. Nach dieser Hypothese sollen eigene oder exogene Antigene, die Epitopen am nikotinischen Acetylcholinrezeptor ähneln, autoreaktive T-Zellen aktivieren und damit die Myasthenie auslösen. Wir hatten darauf hingewiesen, dass die Myasthenie-Sterblichkeit ursprünglich erheblich war. Etwa ein Drittel der Patienten verstarb meist in den ersten Jahren der Erkrankung. Heute haben sich Prognose und Lebensqualität maßgeblich verbessert. Selbst zu myasthenen Krisen, also der Ausbildung einer respiratorischen Insuffizienz, kommt es nur noch bei weniger als fünf Prozent der Myasthenie-Patienten, wobei hier überwiegend Therapiefehler, wie beispielsweise das vorzeitige Beenden einer Immunsupression, oder Infektionen ursächlich sind. Diese günstige Entwicklung beruht auf den differenzierten Optionen der modernen Myasthenie-Therapie, auf die wir kurz hingewiesen hatten. Insbesondere die Langzeit-Immunsuppression, zum Beispiel mit Azathioprin, hat die Prognose der Myasthenia gravis entscheidend verbessert. Unbedingt sollte die Myasthenia gravis konsequent behandelt werden und diätetische Maßnahmen können allenfalls begleitend empfohlen werden. Aufgrund des seltenen Vorkommens sollte die Behandlung der Myasthenie-Patienten am besten in Zusammenarbeit mit einer speziellen Myasthenie-Sprechstunde erfolgen. Entsprechende Adressen können bei der Deutschen Myasthenie-Gesellschaft erfragt werden (Langemarckstraße 106, 28199 Bremen, Telefon 04 21/59 20 60, E-Mail: [email protected]). Priv.-Doz. Dr. med. Jörn Peter Sieb Max-Planck-Institut für Psychiatrie Kraepelinstraße 2–10, 80804 München E-Mail: [email protected] A 1629