M. Braunschläger, A. Grzybek, B. Hirner Zusammenfassung des Themas „Depression“ (Vorbereitungsbereich 4: Bildung, Erziehung, Förderung und Beratung in Schule und Unterricht) Allgemein, Definition Depression = Zustand, der durch Störungen im Fühlen, Denken, Verhalten und der körperlichen Befindlichkeit geprägt ist = Krankheit bzw. klinisch definierte depressive Störung., ein sog. depressives Syndrom. Auf versch. Ebenen: 1.Emotionen – Gefühle: Gefühl nicht geliebt zu werden, Wertlosigkeit, Wut 2.Kognitive Merkmale - Wahrnehmung/ Denken: geringes Selbstwertgefühl, Unentschlossenheit, Schuldgefühle, Hilflosigkeit 3.Verhaltensmerkmale: schul. Leistungsabfall, Weinen Verlust an Interesse 4.Körperliche (somatische) Merkmale: Müdigkeit, Schlafstörungen, Appetitstörungen, Magen-Darm-Beschwerden Alterstypische Symptome wegen 1. Kinder noch in Entwicklung; psychischer Apparat ist entsprechend dem Alter noch gar nicht oder aber noch nicht voll ausgebildet 2. reduzierte Fähigkeit zur Selbstreflexion 3. Fehlen der Sprache u. der Ausdrucksmöglichkeiten um eigenes Empfinden auszudrücken 4. da Kinder abhängig von Eltern (= Vorbild) -> Übernahme depressiven Verhaltens Psychische Symptome Verhaltensmerkmale Psychosomatische und körperliche Symptome Klein- und Vorschulkinder (3-5 Jahre) Schreien, Jammern, Reizbarkeit, starke Anlehnungsbedürftigkeit, gestörtes Spielen, Spielhemmung, nervöse Unruhe, Traurigkeit, Wut, Apathie, sozialer Rückzug Weinkrämpfe, Einkoten (ab 3. Lebensjahr), Einnässen, Schaukelbewegungen, Appetitstörungen bzw. Nahrungsverweigerung, Gewichtsverlust, Rückstand in der allgemeinen und motorischen Entwicklung, Schlafstörun g en, Jüngere Schulkinder (6-12 Jahre) Geringes Selbstwertgefühl, Lustlosigkeit, Gereiztheit, Unsicherheit, mangelnde Belastbarkeit, Stehlen, Spielhemmung, sozialer Rückzug, Einsamkeit, Kontaktsucht, Angst, Lernhemmung, Einnassen, Einkoten, Dunkelangst, genitale Manipulation, Wein- und Schreikrämpfe, Müdigkeit, Ernährungsprobleme Altere Schulkinder, Jugendliche (12-18 Jahre) Stimmungsschwankungen, Verlust an Interesse, Reduzierung von Aktivitäten, mangelnder Antrieb, Zukunftslosigkeit, Wut ,starke Selbstzweifel geringes Selbstwertgefühl Minderwertigkeitsgefühle, Grübeln, oft schlechte Schulleistungen, delinquentes Verhalten, Drogenmissbrauch, sozialer Rückzug, Suizidimpulse Druckgefühle in der Brust und Magen, vegetative funktionelle Störungen, Libidoverlust, Verstopfung, Kopf- und Rückenschmerzen, Erkennbarkeit von Depressionen Problem: - Jugendliche ziehen sich sehr stark zurück, werden immer unauffälliger - Schüler fallen durch Verhaltensweisen auf, die Erwachsene eher in die Richtung „faul und aggressiv" einordnen - Überschneidungen mit anderen Erkrankungen und Störungsbildern M. Braunschläger, A. Grzybek, B. Hirner Versch. Phänomene als Warnsignale: Androhung von Selbstmord hat schon einen Suizidversuch hinter sich Familienkonflikte wie Arbeitslosigkeit, Scheidung Schlafstörungen und Essstörungen Absinken der Noten Rückzu- von Familienmitgliedern und Freunden Depression in Verbindung mit anderen Störungen in Erleben und Verhalten: Essstörungen Drogen- und Alkoholmissbrauch Aggression Gesetzesverstöße Magen-Darm-Beschwerden ohne medizinischen Befund Häufigkeit depressiver Störungen Schwere, klinisch bedeutsame depressive Störung: im Vorschulalter sind es ca. 1%, im Schulalter ca. 2-3% und im Jugendalter bereits 4-8%. Anteil depressionsgefährdeter Kinder und Jugendlicher > 30% Diagnostische Kriterien depressiver Störungen Depression = affektive, internale Störung d.h. viele typische Merkmale liegen im innerpsychischen Bereich internationale Vereinbarung: („ICD-10" = „Internationale Klassifikation psychischer Störungen" in 10. Revision bzw. ins Deutsche übertragene „DSM-IV" („DSM-IV" = Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen)) Unterscheidung versch. Störungen nach Schweregrad u.a. Anzahl Intensität Dauer a) Depressive Verstimmungen: - Treten klinisch nicht in Erscheinung - Äußern sich durch: Gefühle der Hoffnungslosigkeit, Nullbock-Haltung -> keine Bewältigung von altersspezifischen Entwicklungsaufgaben Dysthyme Störung (dys = gestört; thymie = Gemüt) Kriterien: - langanhaltende Depressive Verstimmung - mind. zwei der folg. Symptome o Appetitlosigkeit oder übermäßiges Bedürfnis zu essen o Schlaflosigkeit oder übermäßiges Schlafbedürfnis o Energiemangel oder Erschöpfung o Geringes Selbstwertgefühl o Konzentrationsstörungen oder Entscheidungserschwernis o Gefühl der Hoffnungslosigkeit - In der betreffenden Zwei-Jahres-Periode (1Jahr bei Kindern und Heranwachsenden) gab es keinen Zeitraum von mehr als zwei Monaten ohne o.g. Symptome Dysthyme Störung beginnt schleichend, dann chronischer Verlauf deutliche Beeinträchtigung schulischer Leistungen und Motiviertheit M. Braunschläger, A. Grzybek, B. Hirner b)Manisch-depressive Störungen (Bipolare Störungen) - Stimmungsänderungen in negativer Richtung - traurig, entmutigt und dann ungewöhnlich euphorische Stimmung im Wechsel bipolaren Störungen - Manische Symptome bei Kindern und Jugendlichen: - Anhaltend gehobene Stimmung - Rededrang - Übersteigertes Selbstwertgefühl bis hin zu Ideen von Größenwahn - Gesteigerte Betriebsamkeit - Exzessive Beschäftigung mit angenehmen Aktivitäten Major Depression A - Mindestens fünf der folgenden Symptome bestehen während derselben Zwei-Wochen-Periode und stellen eine Änderung gegenüber der vorher bestehenden Leistungsfähigkeit dar: mindestens eines der Symptome ist entweder (1) depressive Verstimmung oder (2) Verlust an Interesse oder Freude. Beachte: Auszuschließen sind Symptome. die eindeutig durch einen medizinischen Krankheitsfaktor, stimmungsinkongruenten Wahn oder Halluzinationen bedingt sind. (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) B C D E Depressive Verstimmung an fast allen Tagen, für die meiste Zeit des Tages. vom Betroffenen selbst berichtet (z.B. fühlt sich traurig oder leer) oder von anderen beobachtet (z.B. erscheint den Tränen nahe). Beachte: kann bei Kindern und Jugendlichen auch reizbare Verstimmung sein. Deutlich vermindertes Interesse oder Freude an allen oder fast allen Aktivitäten, an fast allen Tagen, für die meiste Zeit des Tages (entweder nach subjektivem Ermessen oder von anderen beobachtet). Deutlicher Gewichtsverlust ohne Diät oder Gewichtszunahme (mehr als 5°,o des Körpergewichts in einem Monat) oder verminderter oder gesteigerter Appetit an fast allen Tagen. Beachte: Bei Kindern ist das Ausbleiben der zu erwartenden Gewichtszunahme zu berücksichtigen. Schlaflosigkeit oder vermehrtes Schlafbedürfnis an fast allen Tagen Psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung an fast allen Tagen (durch andere beobachtbar, nicht nur das subjektive Gefühl der Rastlosigkeit oder Verlangsamung) Müdigkeit oder Energieverlust an fast allen Tagen Gefühle von Wertlosigkeit oder übermäßige oder unangemessene Schuldgefühle (die auch wahnhaftes Ausmaß annehmen können) an fast allen Tagen (nicht nur Selbstvorwürfe oder Schuldgefühle wegen des Krankseins). Verminderte Fähigkeit, zu denken oder sich zu konzentrieren, oder verringerte Entscheidungsfähigkeit an fast allen Tagen (entweder nach subjektivem Ermessen oder von anderen beobachtet). Wiederkehrende Gedanken an den Tod (nicht nur Angst vor dem Sterben). wiederkehrende Suizidvorstellungen ohne genauen Plan, tatsächlicher Suizidversuch oder genaue Planung eines Suizids. Die Symptome erfüllen nicht die Kriterien einer Gemischten Episode. Die Symptome verursachen in klinisch-bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen. beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. , Die Symptome gehen nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z.B. Droge, Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors (z.B. Hypothereose) zurück. Die Symptome können nicht besser durch einfache Trauer erklärt werden. d.h. nach dem Verlust einer geliebten Person dauern die Symptome länger als zwei Monate an, oder sie sind durch deutliche Funktionsbeeinträchtigungen, krankhafte Wertlosigkeitsvorstellungen, Suizidgedanken, psychotische Symptome oder psychomotorische Verlangsamung charakterisiert. M. Braunschläger, A. Grzybek, B. Hirner Warum können Kinder und Jugendliche depressiv werden? Schwierige Frage, da multifaktoriellen Bedingungen und Ursachen -> neurophysiologische und genetische, psychologische und gesellschaftliche Erklärungsansätze a) Psychoanalytische Depressionstheorien: Freud: Frühkindliche Erfahrungen, z.B.Trennungserfahrungen und Konflikte haben demnach einen wichtigen Stellenwert im späteren Lebensalter b) Kognitive Depressionstheorien Beck: depressive Menschen weisen in ihrer Informationsverarbeitung, ihrem Denken sowie in der Wahrnehmung und Einstellung bestimmte Beeinträchtigungen auf, sog. negativen Denkmustern: - Das Kind hat eine negative Einstellung zu sich selbst(„Ich bin nichts wert") - Das Kind sieht in seiner Umwelt nur Misserfolge („Niemand mag mich“) - Das Kind hat auch negative Zukunftserwartungen („Es wird sich niemals etwas ändern") c) Lerntheoretisches Erklärungsmodell Depressive erhalten wenig an positiver Verstärkung: Keine: - Soziale Verstärker (Lob. Zuwendung, Erfolg) - Aktivitätsverstärker (angenehm erlebte Aktivitäten) - Materielle Verstärker (Belohnungen. Spielzeug) dafür negativen Rückmeldungen wie Kritik und Tadel -> Durch mangelnde Verstärkung kann es zu reduzierter Aktivität und Passivität kommen sowie in weiterer Folge zu Stimmungsbeeinträchtigungen d) Biologische Erklärungsansätze Meist muss zusätzlich eine individuelle Disposition, eine Verletzbarkeit (Vulnerabilität), eine verminderte Belastbarkeit vorliegen Vulnerabilität wegen Störungen des Hirnstoffwechsels; Botenstoffe (z.B. Serotonin und Noradrenalin) sind im Gehirn für die Informationsübertragung zwischen den Nervenzellen verantwortlich und wichtig für die Regulation unserer Stimmung. Wenn dieses Gleichgewicht zwischen den Botenstoffen aufgrund angeborener Schwächen oder bestimmten Belastungen gestört ist, kann dies zu Depressionen führen. Die Botenstoffe regulieren neben der Stimmung aber auch Funktionen wie Schlaf, Appetit und Sexualtrieb. Auch diese Bereiche können bei einem depressiven Menschen beeinträchtigt sein. Medikamente, die zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden, so genannte Antidepressiva, setzen hier an. Sie können durch verschiedene Wirkmechanismen dieses aus der Balance geratene Gleichgewicht zwischen den Botenstoffen wiederherstellen Bei vielen Fällen von Depression auch "vererbte" Komponente <- Zwillingsforschung Bei Kindern, Eltern und Geschwistern eines depressiven Menschen: Depressionsrisiko bei ca. 15%. M. Braunschläger, A. Grzybek, B. Hirner Vorbeugen und Helfen in der Schule als Lehrkraft -> Schülerorientierte Pädagogik - Schaffung einer angstfreien, emotional positiven schulischen Atmosphäre z.B. Phantasiereisen - Lob, positive Verstärkung - Vermeidung von Überforderung - Sozial-integrativer Führungsstil - Förderung von sozialer Kompetenz Versuchen Sie Vertrauen zum Kind/Jugendlichen aufzubauen (Ansprechpartner sein) Aufbau von Stärken Geben Sie ihm altersgemäße Sonderaufgaben zu vermeiden: - Appell zum "Zusammenreißen" - "Ablenkung" : keine Ablenkungs-, Vergnügungs- oder Zerstreuungsmöglichkeiten anbieten, da ein Depressiver damit nichts anfangen kann. - Überredungen: Lehrer und Depressiver selbst weiß um seinen Zustand. Es nützt also nix ihm einzureden: „Es geht dir gut.“ - Entscheidungen alleine treffen lassen: einen Depressiven wichtige Entscheidungen nie allein treffen lassen; während depressiver Periode sieht er alles schwarz und düster und kann so keine für ihn wichtige Entscheidungen selbständig treffen Behandlungsmöglichkeiten –Therapie Was soll sich verbessern? - Schaffung von Verständnis für die eigene depressive Verstimmung - Stärkung der Selbstsicherheit - Stärkung der Problemlösekompetenz - Verbesserung der Kommunikation in Familie und in anderen Sozialbeziehungen - Steigerung positiver Erfahrungen und Aktivitäten Kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen Behandlungsansatz Ziele Therapieelemente Kognitives Umstrukturieren Ungünstige Denkschemata Gedankenprotokolle, verändern gelenkte Fragen Hausaufgaben Selbstkontrolltherapie Selbstbewertung und Selbstbeobachtung, -verstärkung verbessern -bewertung und -belohnung Aktivitätspläne Stimmungsaufhellende Aktivitäten steigern Systematische Aufzeichnung von Aktivitäten Training sozialer Fertigkeiten Soziale Geschicklichkeit verbessern Modellernen, Rollenspiele, Rückmeldungen Entspannungstraining Spannung und Angst reduzieren Progressive Muskelentspannung, Autogenes Training M. Braunschläger, A. Grzybek, B. Hirner Problemlösetraining Problemlösefähigkeiten Anleitung und Übung bei der verbessern, Gefühl der Identifikation von Kontrollierbarkeit aufbauen Problemen. verschiedene Lösungen suchen, die beste auswählen Antidepressiva und ihre Wirkungsmechanismen - Johanniskraut als Arzneimittelpräparat; klinische Wirksamkeit in zahlreichen klinischen Studien bewiesen - Trizyklische Antidepressiva TCA (z.B. Amitryptilin) - Oxydase-Hemmer: der Abbau von Botenstoffen wird damit gehemmt. - Lithium ist ein Salz, das zur Behandlung manisch-depressiver Störungsbilder eingesetzt wird, ebenso zur Vermeidung von Rückfällen bei wiederholt auftretenden Depressionen. Was Eltern tun können - Gefühle des Kindes akzeptieren - nicht depressives Verhalten zu verstärken - gemeinsam etwas Entspannendes, Angenehmes unternehmen - sorgen für ausreichend körperliche Bewegung - für Erfolgserlebnisse, die das Selbstwertgefühl des Kindes stärken, sorgen