„Familientherapie bei Borderline-Patienten“ und „Gruppentherapie bei Borderline-Patienten“ Hausarbeit für das Hauptseminar „Borderline-Persönlichkeitsstörungen“ Wutke WS 2005-2006 vorgelegt von Cynthia Pistorius Inhaltsverzeichnis I. Familientherapie bei Borderline-Patienten 3 1. Einleitung 3 2. Borderline-Patienten und ihre Familien 4 2.1 Die Rolle familiärer Faktoren bei der Entstehung der Borderline-Störung 4 3. 4. II. 2.1.1 Familiärer Hintergrund von Borderline-Patienten 4 2.1.2 Die drei Familien-Typen bei Borderline-Patienten nach Cierpka 6 2.2 Der beziehungsdynamische Fokus bei der Borderline-Störung 6 2.3 Transgenerationale Perpetuierung der Traumatisierung 9 Familientherapeutische Behandlung von Borderline-Patienten 9 3.1 Einführende Worte zur Familientherapie 9 3.2 Die Indikation für eine Familientherapie 10 3.3 Familientherapeutische Behandlungsaspekte bei der Borderline-Störung 11 Zusammenfassung und Ausblick 13 Gruppentherapie bei Borderline-Patienten 14 1. Einleitung 14 2. Diagnostik bei der Indikationsstellung zur Gruppentherapie 15 3. Vor- und Nachteile gruppentherapeutischer Behandlung 16 4. Strukturelle Aspekte im Rahmen der Gruppentherapie 17 4.1 Planung der Gruppe 17 4.2 Zusammensetzung der Gruppe 18 4.3 Vorbereitung der Patienten auf die Gruppentherapie 19 4.4 Die Rolle der Gruppenkohäsion für den Therapieverlauf 19 4.5 Gruppennormen und Gruppenregeln 20 Therapeutisches Vorgehen bei der Gruppentherapie von Borderline-Patienten 20 5.1 Die psychoanalytische Gruppentherapie 21 5.2 Die psychoanalytisch-interaktionelle Gruppentherapie 21 6. Stationäre Gruppentherapie in der Klinik 22 7. Zusammenfassung 23 5. III. Literaturverzeichnis 25 2 I. Familientherapie bei Borderline-Patienten 1. Einleitung Sobald man sich mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung beschäftigt, beschäftigt man sich zugleich, zumindest indirekt, mit dem Thema „Familie“. Zum einen weist eine große Mehrheit aller Patienten mit dieser Persönlichkeitsstörung ein schwer traumatisierendes Familienmilieu auf und lebte als Kind in desolaten und unter äußerst belastenden innerfamiliären Zuständen. Die pathogenen Folgen, die ein Kind dadurch zu erwarten hat, hängen im wesentlichen von dem Ausmaß und der Stärke der traumatisierenden Handlungen innerhalb der Familie ab, sowie von der Frage, ob das Kind zumindest eine Bezugsperson in seiner Nähe hat, die ihm auf der Basis einer vertrauensvollen Beziehung Schutz bieten und die verspürte Ohnmacht des Kindes auffangen kann. Zum anderen stellt das familiäre Umfeld, sei es die Herkunftsfamilie oder die aktuelle Kernfamilie des Borderliners, einen Bezugsrahmen dar, innerhalb dessen die Symptome des Betroffenen zum Tragen kommen, was für alle Betroffenen eine außerordentliche Belastung darstellt. Daraus ergibt sich die Wichtigkeit der Betrachtung von familiären Beziehungen sowie eine familientherapeutische Behandlung in dreierlei Hinsicht: Untersuchungen und Patientenberichte über Kindheitserfahrungen legen einen entscheidenden Beitrag familiärer Missstände bei der Entstehung der Boderline-Persönlichkeitsstörung nahe. Durch die hohe interaktive Potenz der Störung wird diese vor allem im familiären Alltag deutlich sichtbar und stellt die dazugehörigen Mitglieder vor erhebliche Konflikte. Zuletzt scheint ein Einbezug des Systems „Familie“ zukünftig vor allem dadurch ratsam, dass ein wesentlicher Schritt unternommen werden kann um die Aufrechterhaltung der Störung, d.h. die Weitergabe der Traumatisierung von einer Generation zur nächsten, zu vermeiden. Im weiteren Verlauf der Hausarbeit will ich mich nun im Rahmen meines ersten Themas „Familientherapie bei Borderline-Patienten“ zuerst mit betroffenen Patienten und ihren Familien befassen, um ein Verständnis dafür zu schaffen, warum die Indikation für eine Familientherapie häufig sinnvoll sein kann. Im weiteren Verlauf werde ich die familientherapeutische Behandlungsperspektive bei der Borderline-Störung dann genauer vorstellen. 3 2. Borderline-Patienten und ihre Familien Im folgenden Abschnitt soll das oftmals problematische familiäre Umfeld der Patienten beschrieben sowie dem familiendynamischen Fokus weiteres Gewicht verliehen werden. Dabei will ich die einleitend erwähnten drei Untersuchungsaspekte familiärer Beziehungen chronologisch vorstellen, um den häufig zu beobachtenden, sich wechselseitig bedingenden Zusammenhang zwischen traumatisierenden Familienbedingungen, einer resultierenden und sich auf Herkunfts- und aktuelle Kernfamilie auswirkenden Borderline-Persönlichkeitsstörung sowie störungsbedingt entstehenden traumatisierenden Familienbedingungen für die nächste Generation deutlich zu machen. 2.1 Die Rolle familiärer Faktoren bei der Entstehung der Borderline-Störung Untersuchungen familiärer Faktoren bei Borderline-Patienten haben gezeigt, dass die Betroffenen einige Missstände in der Familie und Kindheitserfahrungen zu teilen scheinen, die man bei der Entstehung des Krankheitsbildes für bedeutsam erachtet. Bevor ich einige dieser familiären Dimensionen näher vorstelle, möchte ich jedoch betonen, dass es sich hierbei nicht um kausal-lineare Beziehungen zwischen spezifischen Familienbedingungen und der Borderline-Persönlichkeitsstörung handelt. Vielmehr muss man davon ausgehen, dass eine ganze Reihe von sich wechselseitig bedingenden Faktoren, häufig in Kombination mit einer erhöhten individuellen Verletzlichkeit gegenüber umgehendem Stress, bei der Entstehung und Aufrechterhaltung wirksam werden. 2.1.1 Familiärer Hintergrund von Borderline-Patienten Frühe Trennungserfahrungen von einer primären Bezugsperson oder Verlusterlebnisse mit anschließender Vernachlässigung und Deprivation treten in der Kindheit zukünftiger Borderline-Patienten gehäuft auf. Auch hier scheinen das Ausmaß einer möglichen Störung und die Kompensation des erlebten Verlusts von der Adäquatheit der verbleibenden bzw. von der Anwesenheit einer weiteren wichtigen Bezugsperson abzuhängen. Im Rahmen der Untersuchung entscheidender familiärer Interaktionsstile sah man lange Zeit die feindselig-abhängige, stark überinvolvierte Familie als Prototyp für die Entstehung der Borderline-Störung. Unabhängigkeitsbestrebungen der Kinder lösen bei den Eltern der Patienten starke Trennungsangst und aufdringliche Einmischung in die kindlichen 4 Explorationsversuche aus. Diese Kombination von fehlender Fürsorge bei gleichzeitig kontrollierender Vereinnahmung wird unter dem Begriff „affectionless control“ zusammengefasst (vgl. Reich, 2003, S.78). Obwohl diese Form von elterlicher Kontrolle immer noch im Fokus empirischer Untersuchungen steht, betonen weitere Untersuchungen und Patientenberichte die Bedeutung einer vernachlässigenden Familienatmosphäre, die sich überwiegend durch die psychische Abwesenheit und fehlende emotionale Verfügbarkeit der Bezugsperson auszeichnet und von einer Vielzahl der Patienten berichtet wird. Dem Kind mangelt es hier vor allem an Schutz, Unterstützung und liebevoller Zuwendung durch die Eltern. Darüber hinaus ist in den Familien zukünftiger Patienten die empathische Wahrnehmung der Kinder durch die Eltern zum Teil stark gestört. Dies bedeutet, dass die Bindungspersonen ihre Kinder häufig in egozentrischer Weise wahrnehmen (vgl. Reich, 2003, S.78f) und sie sich somit in das innere Erleben der Kinder nicht hineinversetzen können. Daraus ergibt sich, dass die Bezugsperson auch nicht als Spiegel der kindlichen Gefühle dienen kann und für den Säugling bzw. das heranwachsende Kind erhebliche Schwierigkeiten beim Kennen lernen der eigenen Gefühle resultieren. Weiterhin fällt das gehäufte Auftreten von traumatisierenden intrafamiliären Misshandlungen und Missbrauch bei Borderline-Patienten auf. Mit dem sexuellen Missbrauch zeichnet sich erstmals das Problem der Überschreitung interpersoneller- und Generationengrenzen durch die Eltern der Patienten ab, welches die Familien von Borderline-Patienten entscheidend kennzeichnet. Während die Studien von Bernstein et al. (1998) sowie von Johnson et al. (1999) den Faktor Vernachlässigung als eher unspezifischen Faktor bei der Entstehung von Persönlichkeitsstörungen sehen, heben sie den in ihren Augen spezifischeren Faktor des sexuellen Missbrauchs bei der Borderline-Störung hervor (vgl. Reich, 2003, S.77). In Fragebogenuntersuchungen zur Selbsteinschätzung sexuellen Missbrauchs findet sich bei Borderline-Patienten eine Häufigkeit von ca. 70% (Joraschky u. Petrowski, 2003, S.84). Allerdings verbleibt ein Prozentsatz von 20-40% der Patienten ohne derartige berichtete Erfahrungen, weshalb man auch hier noch nicht von einem spezifischen Faktor für die Borderline-Erkrankung zu sprechen vermag (vgl. Reich, 2003, S.79). Zuletzt wäre noch zu erwähnen, dass schon in der Elterngeneration häufig Probleme im Umgang mit Impulsen bestehen, d.h. die späteren Patienten wiederholt äußerst aggressivem und impulsivem elterlichen Verhalten ausgesetzt sind, sowie bei engen Verwandten des Borderline-Patienten ein erhöhtes Ausmaß an Substanzmissbrauch vorliegt, der sich auf die elterliche Versorgung des Kindes und damit auf seine Entwicklung auswirken kann. 5 2.1.2 Die drei Familien-Typen bei Borderline-Patienten nach Cierpka Cierpka unterscheidet auf der Basis einiger Familienforschungsergebnisse und der eigenen klinischen Erfahrung drei familiendynamische Typen bei Borderline-Patienten, wobei sich verschiedene familiäre Konstellationen und Beziehungsmuster auch in unterschiedlicher Weise auf die Persönlichkeit eines Menschen auszuwirken scheinen (vgl. Cierpka u. Reich, 2000, S. 614ff). Diese drei Subtypen typologisieren im Wesentlichen die familiären Zustände und Erfahrungen der Patienten, die ich soeben beschrieben habe. In der vernachlässigenden und emotional missbrauchenden Familie mangelt es den Kindern überwiegend an liebevoller Fürsorge und Zuneigung durch die Eltern. Weiterhin leiden die Kinder dieses Familientyps häufig unter frühen Verlusterlebnissen und Trennungserfahrungen von den Eltern oder einem Zustand der elterlichen Trennung. Die Kinder sind in der Regel durch manipulative Parentifizierung in einer „Fürsorger-Rolle“ an die Eltern gebunden. Auch hier liegt ein Fall der Grenzüberschreitung innerhalb des Systems „Familie“ vor. Der zweite Familientyp, die chaotisch-instabile Familie, ist durch Chaos und ständige Krisen gezeichnet. Auf Seiten der Eltern überwiegen Beziehungskämpfe und außereheliche Beziehungen sowie Substanzmissbrauch und suizidale bzw. antisoziale Verhaltensweisen. Nicht selten werden die Kinder dabei zur Beruhigung des Familienzustands in die Rolle des „Retters“ oder aber in die des Sündenbocks gedrängt. Heftige und impulsive Affekte resultieren häufig in körperlichen Misshandlungen und sexuellem Missbrauch. Den letzten Subtypus stellt die sogenannte „Mischgruppe“ dar, in der sowohl Misshandlung als auch Vernachlässigung der Kinder zu beobachten ist. In der Regel sind weder die basale noch die emotionale Versorgung des Kindes durch die Eltern gewährleistet. Zu dem Empathiemangel tritt häufig ein starkes Kontrollverhalten der Eltern, welches die Unabhängigkeit des Kindes begrenzen oder gar eindämmen soll. 2.2 Der beziehungsdynamische Fokus bei der Borderline-Störung Eben beschriebene traumatisierende Erfahrungen scheinen bei vielen Kindern eine ursächliche Rolle bei einer resultierenden Borderline-Störung zu spielen. Diese entstandene Persönlichkeitsstörung wirkt sich wiederum unmittelbar auf das Beziehungsumfeld aus und wird unter anderem in familiären Interaktionen sichtbar. Betroffen von diesen Auswirkungen sind sowohl die für die Störung oft mitverantwortliche Herkunftsfamilie als auch im Falle einer Familienneugründung zu einem späteren Zeitpunkt die aktuelle Kernfamilie des 6 Patienten. Bedenkt man, dass innerhalb der Herkunftsfamilie des Borderliners die Familiendynamik nicht nur vom Patienten, sondern auch in erheblichem Maße von den häufig vorhandenen Störungen der Eltern mitbeeinflusst wird, zeichnen sich starke innerfamiliäre Konflikte ab. Wodurch die Familienbeziehungen des Borderliners so extrem belastet sind, soll nun in Ansätzen erläutert werden. Borderline-Patienten leiden unter einer krankhaften Angst vor dem Alleinsein, da sie Alleinsein unbewusst mit Verlassensein gleichsetzen. Diese Angst führt nicht selten zu Gefühlen der Wertlosigkeit und Einsamkeit, die von Suiziddrohungen oder Suizidhandlungen begleitet sein können, was die Familienangehörigen emotional stark vereinnahmt. Masterson und Rinsley (1975) erklären sich diese Angst als Folge traumatischer Trennungserlebnisse in der kindlichen Entwicklung. Adler und Buie (1979) hingegen sehen diese krankhafte Angst als Folge der fehlenden Objektkonstanz des Patienten, die ihrer Meinung nach mit mangelnder Sicherheit und Zuwendung assoziiert ist und welche die Schwierigkeit darstellt, sich auch in Abwesenheit einer wichtigen Bezugsperson mit dieser verbunden zu fühlen (vgl. Hoffmann, 1998, S.5). Borderline-Patienten sehnen sich auf der einen Seite also nach Nähe und beschützender Versorgung, die sie auch sehr drängend einfordern, was meist als Reparationsversuch von Trennungs- und Verlustängsten verstanden wird (Hoffmann, 1998, S.6). Wissenswert ist, dass die Beziehung schnell feindselig und manipulierend werden kann, sobald sie sich nicht genügend versorgt fühlen. Auf der anderen Seite wird dieses Bedürfnis nach Nähe aber als Bedrohung und bevorstehender Verlust des eigenen Selbst erlebt. Die Folge ist ein ständiger Wechsel zwischen abhängig erscheinender sehnsuchtsvoller Nähe und aggressiv-impulsiver Distanzierung. Dieser Wechsel drückt sich ebenfalls in dem schnellen Umschlagen zwischen Idealisierung und Entwertung der Familienmitglieder und anderer Individuen aus. In der Phase der Entwertung werden ansonsten gern gemochte Personen gedemütigt, da BorderlinePatienten „gute“ und „böse“ Teilaspekte weder bei anderen Objekten noch bei der eigenen Person integrieren können und somit spalten müssen. Dies führt häufig zu großem Unverständnis, Konflikten und extremen Belastungen in der Familie. Aggressionen, Impulshandlungen und Streitigkeiten dominieren das Familienleben, sei es durch die starke Sensibilität für vermeintliche oder reale Ungerechtigkeiten auf der Patientenseite oder anderweitig heftige, nicht in Relation zur Ursache stehende Überreaktionen. Diesen problematischen Umgang mit Aggressionen und Impulsen findet man im Rahmen von Interaktionen, wie ich schon berichtet habe, auch auf Seite der Eltern, die 7 somit als Modell für pathologische Identifizierung bei den späteren Patienten dienen könnten (vgl. Reich, 2003, S.78). Im Falle eines traumatisierenden Familienmilieus fehlt häufig aufgrund unsicherer Bindung und vertrauensunwürdiger Atmosphäre sowohl auf der Seite der Patienten als auch auf der Seite der Eltern die Fähigkeit zu gemeinsamer Perspektivenübernahme und zur Ausbildung eines gemeinsamen Fokus und somit die Grundlage für angemessene und bedeutsame Kommunikation. Diese ist eine wesentliche Voraussetzung für „gegenseitige Bezogenheit“ in Beziehungen, die insbesondere in der Interaktion oft nicht nachzuweisen ist und das Familienleben somit erheblich erschwert. Da die Bezugsperson aus der Herkunftsfamilie nicht selten ebenfalls eine Borderline-Persönlichkeit aufweist oder anderweitig psychisch erkrankt ist, findet man häufig Familien vor, in denen keiner Liebesgefühle zulassen kann ohne von Ärger überwältigt zu werden und keiner auf den anderen eingehen kann ohne sich gleichzeitig verletzt und verlassen zu fühlen. Diese interpersonelle Formulierung der Beziehungskonflikte der Borderline-Patienten mit extrem instabilen Beziehungen erklärt man sich, so Cierpka, durch die Annahme eines Wechselwirkungsprozesses (vgl. Cierpka, 1998, S.22). Kinder entwickeln im Kontext des familiären Beziehungsnetzes eine innere Objektwelt. Diese verinnerlichte Beziehungsstruktur bestimmt die Beziehungswelt des Erwachsenen wesentlich mit, wobei komplexe, integrierte und differenzierte internalisierte Objekt- und Selbstrepräsentanzen die Grundlage stabiler Objektbeziehungen im Kindes- und Erwachsenenalter bilden. Borderline-Patienten sind aufgrund traumatischer Kindheitserfahrungen nicht in der Lage gute, konstante, internalisierte Objekte zu bilden. Sie weisen gestörte Selbst- und Objektrepräsentanzen auf, wodurch stabile Objektbeziehungen unmöglich werden. Dieser gestörte Entwicklungsvorgang zeigt sich in Defekten der Ich-Funktionen, beispielsweise in primitiven Abwehrprozessen wie der Spaltung sowie in Störungen des Selbstwerts und der Selbstidentität, die in eben beschriebenen familiären Interaktionen sichtbar wurden. Die angedeuteten Probleme der Familieninteraktion stellen nur einen Ausschnitt dar. Allerdings wird schon daran ersichtlich, wie spannungsreich und belastend das Familienleben des Borderliners in seiner Kernfamilie und der Herkunftsfamilie ist. Auch aus dieser Perspektive betrachtet, ist eine familientherapeutische Behandlung durchaus erstrebenswert. 8 2.3 Transgenerationale Perpetuierung der Traumatisierung Familienforschungsstudien weisen recht eindeutig darauf hin, dass eine Transmission der Erkrankung von einer Generation zur anderen erfolgt, da sich Beziehungsmuster bis zu einem bestimmten Grad tradieren. Borderline-Patienten können aufgrund eigener familiärer Defizite und ihres Krankheitsbilds keine harmonischen engen und stabilen Beziehungen zu ihrem Kind aufbauen. Des Weiteren ist die nächste Generation wiederum von gestörten Generationengrenzen betroffen. Borderline-Patienten machen ihre Kinder nicht selten zu einer abgelehnten oder bedrohlichen Elternfigur. Viele weitere Faktoren wie Aggressivität, Impulsivität sowie tradierte Misshandlung und Missbrauch bedingen Störungen in der nächsten Generationen, nicht selten handelt es sich dabei wieder um die Borderline-Störung. Baron et al. (1985) gehen im Vergleich mit anderen Persönlichkeitsstörungen von einer erhöhten Prävalenzrate von ca. 15% für eine Borderline-Störung bei erstrangigen Familienangehörigen der Borderline-Patienten aus. Zanarini et al. (1990) nennen in ihrer Vergleichsstudie eine Prävalenzrate von 24,9%, wobei man erwähnen muss, dass eine genetisch begründete Weitergabe für die Borderline-Störung bis heute nicht nachgewiesen werden konnte (vgl. Cierpka, 1998, S.23). Daher wäre es auch aus diesem Betrachtungswinkel wünschenswert, wenn der Blick auf die Familie in der Therapie differenzierter erfolgte. 3. Familientherapeutische Behandlung von Borderline-Patienten Nachdem ich mich im ersten Teil mit den Familienbeziehungen und der Familiendynamik von Borderline-Patienten beschäftigt habe, möchte ich nun die familientherapeutische Behandlung beleuchten. Beginnen möchte ich dabei mit einer kurzen Einführung in diese Therapieform. 3.1 Einführende Worte zur Familientherapie Wenn man über Familien spricht und sie verstehen will, ist das so ähnlich, als ob man über eine Großstadt spricht und versucht sie zu verstehen. Die Stadt sieht sehr übersichtlich und einladend aus. Manche Gebäude sind etwas höher, andere etwas niedriger, die einen sind älter, die anderen jünger, einige sind schlicht, andere haben eine ausgefallene Architektur, manche sehen exzentrisch aus, manche sind offensichtlich nicht bewohnt. Man kann die Gebäude betreten und die Innenarchitektur studieren: Manche Türen sind verschlossen, 9 andere offen; ein paar Fenster sind kaputt. Es ist offenbar alles ganz einfach…“ (Carl Whitaker 1991, S.135; zit. n. Scheib u. Wirsching, 2000, S.240). Mit dieser Metapher beschreibt Carl Whitaker in meinen Augen sehr anschaulich die Komplexität, Vielschichtigkeit sowie die häufig verworrene Struktur des Systems “Familie”. Familientherapie konzentriert sich auf die gegenwärtigen und vergangenen Beziehungsmuster der Individuen, wobei die Individuen aus einer systemischen Perspektive betrachtet werden, d.h. es wird davon ausgegangen, dass sie sich im Kontext und der Interaktion familiärer und anderer enger sozialer Beziehungen entwickeln. Gestörte und problematische Verhaltens- und Erlebnisweisen des Einzelnen werden in und durch diese interaktiven Beziehungen zu verstehen und zu ändern versucht. Bei familientherapeutischer Gesprächsführung sind in der Regel Familienmitglieder mindestens zweier Generationen beteiligt. Allerdings ist in der heutigen Zeit durch den Übergang zu einer modernen Gesellschaft der Begriff „Familie“ nicht mehr so eng begrenzt wie früher. Klienten von Familientherapeuten stellen heutzutage neben Kindern, Geschwistern und Ehepartnern auch Lebensgefährten, geschiedene Partner, homosexuelle Paare sowie Freunde oder Nachbarn dar. Die Wurzeln der Familientherapie liegen in der Psychoanalyse, den Kommunikationstheorien, aber auch in konstruktivistischen und systemischen Betrachtungsweisen. Durch unterschiedliche Schulenorientierung und Entwicklungsrichtungen gibt es heute mehrere familientherapeutische Perspektiven mit z.B. unterschiedlichen Begriffen, Methoden und therapeutischen Zielen. Die systemisch-konstruktivistische Perspektive hat u.a. die Veränderung von Transaktionsmustern und die Kreation einer neuen Wirklichkeitskonstruktion zum Ziel, die geschichtlich-analytische Perspektive wünscht die Lösung von Konflikten, Rollenveränderung und Ablösungsprozesse. Die Wachstums-, prozess-, lernorientierte interaktionelle Perspektive strebt dagegen primär eine Verbesserung der Kommunikation, Konfliktbewältigung und Veränderungen der Familienstruktur an (vgl. Scheib u. Wirsching, 2000, S.246). 3.2 Die Indikation für eine Familientherapie Bereits im ersten Teil dieser Hausarbeit habe ich einige Punkte genannt, weshalb eine systemische Betrachtung der Borderline-Störung für Fortschritte in der Behandlung hilfreich sein kann. Zusammenfassend lässt sich die Indikation für eine Familientherapie im Falle der Borderline-Störung, aber auch für andere Störungsbilder, folgendermaßen rechtfertigen (vgl. Cierpka u. Reich, 2000, S.614): Die Indikation für diese Therapieform besteht vor allem bei 10 Kindern und Jugendlichen, deren konfliktreiche, interfamiliären Beziehungen belastend sind und ihnen beim Versuch der Loslösung vom Elternhaus, der beruflichen Zukunft oder des Wohnortwechsels im Weg stehen. Des Weiteren scheint Familientherapie angebracht, sobald mehrere Mitglieder Störungen aufweisen oder eine Unterstützung bei anderen psychotherapeutischen Behandlungsmethoden, wie ambulante Einzeltherapie oder stationäre Behandlung, angebracht scheint. Familientherapeuten werden auch immer wieder dann aufgesucht, wenn sich die Familie in akuten Krisen befindet, die sich auf alle Familienmitglieder auswirken. Dies ist ja bekanntlich bei Borderline-Familien sehr oft der Fall. Zuletzt kann der Einbezug der Familie auch dann helfen, wenn dem Therapeuten und/oder der Einzelbehandlung großes Misstrauen und Unsicherheit von Seiten der Familie entgegengebracht werden. 3.3 Familientherapeutische Behandlungsaspekte bei der Borderline-Störung Nach diesen einführenden Worten zur Familientherapie im Allgemeinen sowie zur Indikation möchte ich nun Ziele, Vorgehensweisen und Probleme ansprechen, die in der familientherapeutischen Behandlung von Borderline-Patienten bedeutsam werden. Erwähnenswert ist, dass die Initiative zu dieser Behandlungsform häufig nicht von den Erkrankten, sondern vom unmittelbaren Umfeld ausgeht. Dies ist vor allem bei Kindern und Jugendlichen oft der Fall, insbesondere wenn sich die Familie in einer akuten Krise befindet. Weiterhin ist es üblich, eine anstehende Familientherapie in Kombination mit einer Einzelbehandlung durchzuführen. Bei einem besonders schweren Krankheitsbild kann auch eine begleitende stationäre Behandlung von Nöten sein. Während in Einzelgesprächen mit dem Patienten die Beziehung und die gestörte Interaktion besprochen wird und diese Beziehungsstörungen aus analytischer Sicht auch in der Übertragung spürbar werden, kann sich der Therapeut in einem Familiensetting von der Dysfunktionalität der familiären Interaktion vor Ort überzeugen. Für diagnostische und therapeutische Prozesse sowie für realistische Zielsetzungen kann dies extrem hilfreich sein (vgl. Cierpka u. Reich, 2000, S.622). Bei Borderline-Störungen setzt sich die Familientherapie zum Ziel, Gegenseitigkeit in den Beziehungen zu entwickeln. Patienten sollen dabei lernen, Gefühle und Motive ihrer Familienmitglieder wahrzunehmen sowie erkennen, wie sie und ihre Handlungen durch das Gegenüber wahrgenommen werden. Diese Form der Perspektivenübernahme fehlt bei Borderline-Patienten. Gegenseitigkeit schließt darüber hinaus Verantwortungsübernahme für 11 eigene Taten ein, die durch die Behandlung gefördert werden soll. Des Weiteren zielen familientherapeutische Interventionen auf die Verbesserung interpersoneller Grenzen und der Affekt- und Impulsregulierung ab, um das Konfliktpotential in der Familie abzuschwächen (vgl. Reich, 2003, S.81). Häufig kann, je nach Schweregrad der Störung und der Verwicklungen innerhalb der Familie, ein zwar distanziertes, aber ansonsten etwas weniger konfliktgeladenes und ausbeuterisches Verhältnis entwickelt werden, in dem Generationengrenzen klarer gesetzt sind. Diese Ziele vor Augen versucht der Therapeut nun neue Beziehungsmuster in der Familie zu etablieren. Mittels klärungs- und zielorientierten Familiengesprächen sollen Verbesserungen erreicht, Emotionalität zugelassen und weitere Eskalationen vermieden werden. Um jedoch produktive Familiengespräche zu ermöglichen, müssen ungelöste Konflikte bearbeitet werden, die seit mehreren Generationen durch intrafamiliäre Übertragungsprozesse tradiert wurden. Bei dieser in der Regel generationenübergreifenden Problematik bei BorderlinePatienten stellt die Mehrgenerationen-Familientherapie einen guten Ansatz dar, die nicht nur die horizontal-interaktionelle, sondern auch diese vertikale Familiendynamik berücksichtigt. Erst wenn diese Konflikte angesprochen und behandelt werden, ist bei allen Beteiligten ein besseres Problemverständnis für die traumatisierten Generationenbeziehungen möglich. Allerdings muss der Therapeut auf ein generell sehr instabiles Arbeitsbündnis gefasst sein. Familiengespräche können anfänglich durch starke Schuldzuweisungen, Verstrickungen und Rechtfertigungen geprägt sein. Außerdem muss der schnelle Wechsel zwischen Idealisierung und Entwertung sowohl der Angehörigen als auch des Therapeuten frühzeitig besprochen werden. Somit stellt eine Familientherapie nicht nur hohe Anforderungen an Patient und Familie, sondern auch an den Therapeuten, der mit heftigen durch die Behandlung freigesetzten eigenen Affekten umgehen muss. Um dennoch eine erfolgreiche Behandlung zu gewährleisten und allen Familienmitgliedern gerecht zu werden, möchte ich zum Schluss noch auf einige wichtige Punkte eingehen, denen man Betrachtung schenken sollte (vgl. Reich, 2003, S. 80f). Die Therapie sollte möglichst allen Familienmitgliedern Halt und Unterstützung bieten, was von Seiten der Klienten oft mit einer Parteiübernahme verwechselt wird. In schweren Konfliktsituationen können Einzelgespräche mit einzelnen Familienmitgliedern hilfreich sein, schon allein um auf der Elternseite das Gefühl einer öffentlichen „Anklage“ und gefürchtete Bloßstellung zu vermeiden. 12 4. Zusammenfassung und Ausblick Zusammenfassend kann man feststellen, dass eine familientherapeutische Behandlung von Borderline-Patienten oft sehr empfehlenswert ist. Dem System Familien ist allein deshalb eine besondere Beachtung zu schenken, da die überwiegende Mehrheit der Erkrankten über familiäre Missstände wie emotionale Vernachlässigung, Gewalt oder Missbrauch klagt. Diese Missstände führen zu unsicherem Bindungsverhalten des Kindes gegenüber den Bezugspersonen und zu erheblichen Lebensbelastungen, welche alles in allem einer sicheren und gesunden Entwicklung der Persönlichkeit die Grundlage entziehen. Wichtig ist dabei, dass sich viele familiäre Faktoren wechselseitig bedingen und dass sich die Entwicklung der Borderline-Störung in der Regel nicht durch ein singuläres Ereignis, sondern vielmehr durch das kumulative Ausgesetzt-Sein eines traumatisierenden Familienmilieus vollzieht. Weiterhin weist die Borderline-Störung eine hohe interpersonelle Dynamik auf. Die ständige Angst der Patienten vor Nähe bei gleichzeitiger Suche nach Liebe und Zuwendung, der stetige Wechsel zwischen Idealisierung und Entwertung sowie unkontrollierte Impulse und Affekte prägen das Familienleben neben vielen anderen Aspekten in erheblichem Maße. Zudem wird deutlich, dass die Eltern der späteren Patienten in vielen Fällen selbst psychisch erkrankt sind, oftmals sogar stärker als die eigentlichen Patienten selbst. Um nun eine ständige Perpetuierung der Traumatisierung über Generationen sowie die familiäre Übertragung einer Störung zu verhindern, erscheint ein Aufdecken der unbewussten Konflikte im Rahmen einer Familientherapie häufig sinnvoll. Neben der Behandlung dieses Generationenkonflikts setzt sich die Familientherapie im Rahmen ihrer systemischen Betrachtung der Individuen das Ziel, neue Beziehungsmuster zu etablieren und das Konfliktpotential in der Familie abzuschwächen. Gegenseitigkeit, angemessene Kommunikation, interpersonelle Grenzen sowie Affekt- und Impulskontrolle sollen mittels klärender und zielorientierter Gespräche in der Behandlung angestrebt werden um das Familienleben trotz der psychischen Erkrankungen eines oder mehrerer Mitglieder erträglicher zu gestalten. Trotz des hohen Nutzens der Familientherapie bei Borderline-Patienten bleiben die intrafamiliären Konflikte häufig unbewusst und Familientherapeuten werden nicht selten nur in akuten Krisensituationen aufgesucht. Kinder und Jugendliche mit einer Borderline-Persönlichkeit werden primär an Kinder- und Jugendpsychotherapeuten überwiesen. Eine familientherapeutische Behandlung wird daher nur selten in Betracht gezogen (vgl. Cierpka u. Reich, 2000, S.613). 13 II. Gruppentherapie bei Borderline-Patienten 1. Einleitung Im zweiten Teil der Hausarbeit möchte ich nun eine weitere Therapierichtung im Rahmen der Borderline-Persönlichkeitsstörung vorstellen, die sich, wie auch die familientherapeutische Behandlungsmethode, vom einzeltherapeutischen Setting unterscheidet: die Gruppentherapie. Zwar zielt auch diese Therapieform auf die Behandlung des Einzelnen bzw. auf die Verbesserung individueller Beschwerden ab, dies geschieht jedoch im Beisein und unter Einbezug anderer therapiebedürftiger Patienten. Gruppentherapie unterscheidet sich von der Einzeltherapie im Wesentlichen durch die Situation der Pluralität, welche ein wesentliches Merkmal einer Gruppe darstellt. In Anlehnung an Hannah Arendt ist Pluralität wiederum durch die Charakteristika „unter mehreren sein“, „als Glied einer Vielheit einzigartig sein“, als einzelne Person „nicht souverän sein“ und die „relative Unabsehbarkeit der Folgen des eigenen Tuns“ gekennzeichnet. Letzteres bedeutet, dass sich die Folgen einer Tat nicht aus der Tat selbst, „sondern aus dem Bezugsgewebe, in welches sie fällt“, ergeben (H. Arendt, 1978, S.14f; zit. n. Heigl-Evers, Heigl u. Ott, 1993, S.223). Der Hauptgrund, die Pluralität der Gruppe als Medium therapeutischer Behandlung zu nutzen, ist wie bei der familientherapeutischen Behandlung die Tatsache, dass sich die Symptome des Borderline-Patienten in interpersonellem Verhalten manifestieren. Auch Heigl-Evers et al. nennen die zentrale Pathologie von diesen Patienten eine “Beziehungspathologie“ (Streeck, 2002, S.113). Gruppenpsychotherapeutische Behandlung ist weiterhin vor dem Hintergrund entwicklungspsychologischer Erkenntnisse der letzten 50 Jahre und daraus resultierender Störungstheorien zu sehen, die über die Interaktion als Manifestationsrahmen der BorderlineSymptome hinaus die zentrale Bedeutung interpersonaler und interaktioneller Erfahrungen für die Entwicklung der Persönlichkeit postulieren. Gruppentherapie, deren moderner Beginn weitgehend übereinstimmend auf den Anfang des 20. Jahrhunderts gelegt wird und die in den 70er und beginnenden 80er Jahren einen regelrechten „Boom“ erlebte, widmet sich bei Borderline-Patienten somit vor allem der Diagnostik und Behandlung interpersoneller Beziehungsstörungen. Dabei bietet die plurale Gruppensituation einige Vorteile, da die Patienten ihr Leiden mit anderen Betroffenen teilen können, Schwächen und Fähigkeiten anderer wahrgenommen werden können und sie 14 fortlaufend mit der Einzigartigkeit ihrer Person und Krankheit sowie mit der Konflikthaftigkeit und wechselseitigen Bedingtheit ihres Verhaltens konfrontiert sind. 2. Diagnostik bei der Indikationsstellung zur Gruppentherapie Um eine erfolgreiche Behandlung der Borderline-Störung in einem gruppentherapeutischen Verfahren zu gewährleisten und die mit dem Gruppensetting verbundenen Vorteile nutzen zu können, ist eine sorgfältige Diagnostik für eine anstehende Gruppentherapie unverzichtbar (vgl. König u. Kreische, 2000, S.625). Immer wieder werden Borderline-Patienten einer gruppentherapeutischen Behandlung unterzogen, obwohl das Borderline-Syndrom in Vorgesprächen nicht diagnostiziert werden konnte. Beeinträchtigungen der Ich-Funktionen, die bei Borderline-Patienten in der Regel sehr schwer wiegen, sind bei der Indikation zur Gruppentherapie besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Zum einen entscheiden das Ausmaß defizitärer Affekt- und Frustrationstoleranz sowie die Fähigkeit zur Impulskontrolle und Antizipation, ob eine gruppentherapeutische Behandlung überhaupt sinnvoll ist oder die Patienten dafür noch zu krank sind. Zum anderen hängt die Art des gruppentherapeutischen Verfahrens von der Qualität und dem Ausmaß der Störung ab. Sind die Defizite der Ich-Funktionen nicht extrem bzw. die Ich-Funktionen zwar vorhanden, aber durch innere Konflikte gelähmt, können regressionsfördernde psychoanalytische oder psychoanalytisch orientierte Verfahren Verbesserungen bewirken. Freud hat sich zwar nicht ausdrücklich mit der analytischen Behandlung von Gruppen beschäftigt, seine Erkenntnisse über unbewusste seelische Prozesse aber immer wieder auf gesellschaftliche und kollektive Phänomene bezogen. Sobald Borderline-Patienten jedoch stark beeinträchtigte IchFunktionen haben bzw. diese aufgrund häufig traumatischer Entwicklungsbedingungen nicht ausgebildet wurden, sind weniger regressionsfördernde Verfahren erfolgsversprechender. Hierzu zählt beispielsweise die psychoanalytisch-interaktionelle Gruppenpsychotherapie. Auf eben beschriebene therapeutische Vorgehensweisen und Methoden werde ich im Verlauf noch einmal zurückkommen. Festzuhalten ist, dass eine sorgfältige Diagnose bei der Indikationsstellung zur Gruppentherapie, wie bei der Indikation zu jeder anderen Therapieform auch, unerlässlich ist und die Basis für eine erfolgreiche Behandlung zur Minderung der Symptome darstellt. 15 3. Vor- und Nachteile gruppentherapeutischer Behandlung Eine Indikation zur Gruppentherapie ist für den Patienten im Vergleich zur Einzeltherapie mit einigen Vorteilen, aber auch mit möglichen Nachteilen, verbunden, auf die ich im Folgenden näher eingehen möchte. Im gruppentherapeutischen Setting steht die Transaktion der Teilnehmer im Vordergrund, wobei jeder Einzelne seine interaktionellen Fähigkeiten und Defizite in die Gruppen einbringt und auch wahrnehmen kann. Geht man davon aus, dass sich die Persönlichkeit auf der Basis interaktioneller und interpersonaler Erfahrungen entwickelt, stellt die Gruppensituation eine einzigartige Möglichkeit zur Diagnostik und Behandlung von Patienten mit Persönlichkeitsstörungen dar. König und Kreische (2000) fassen die Vorteile des Gruppensettings wie folgt zusammen (vgl. Mattke u. Eckert, 2002, S.59): Gruppentherapie ermöglicht die Verteilung der Übertragung auf die verschiedenen Gruppenmitglieder, die unterschiedliche Übertragungsauslöser bieten. Auf diese Weise kann die therapeutische Regression zur Erforschung und Reinszenierung unbewusster Konflikte und sich wiederholender Beziehungserfahrungen besser gesteuert werden. Gleichzeitig besteht aber die Gefahr, dass der Therapeut aufgrund starker störungsbedingter interpersoneller Konflikte und wechselseitiger Überforderungen, wie man sie bei Borderline-Patienten verstärkt beobachten kann, regressive Prozesse schlechter steuern kann als in Einzeltherapien. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass ursprünglich vorteilhafte Aspekte durch zu starke Ausprägungen zur Kontraindikation werden können. Darüber hinaus können sich die Gruppenteilnehmer sowohl mit dem Therapeuten als auch mit anderen Teilnehmern identifizieren, wobei aber die unkorrigierte Identifikation mit der Beziehungspathologie anderer Patienten wiederum schädlich und entwicklungshemmend sein kann. Patienten können in der Gruppe multiple Beziehungserfahrungen machen und werden mit zahlreichen sozialen Rollen konfrontiert, was ihnen einerseits die Möglichkeit bietet, interaktionelle Fähigkeiten und Defizite bei sich und anderen wahrzunehmen und ihnen andererseits viel lernförderndes Feedback aus der Gruppe einbringt. Weiterhin wäre zu erwähnen, dass Patienten ihr Leiden in der Gruppe mit anderen Gruppenmitgliedern teilen können und Rat und Deutungen durch diese häufig leichter angenommen werden können als durch den Gruppentherapeuten selbst. Zwar besteht die Gefahr, dass durch die Gruppensituation Fusionswünsche und damit gerade bei BorderlinePatienten Angst vor Nähe ausgelöst werden, jedoch dienen Gruppenteilnehmer oft auch als Puffer gegen die häufig als bedrohlich empfundene Nähe des Therapeuten. Zuletzt kann der Druck der Gruppe dabei helfen, impulsiven und unkontrollierten Gruppenmitgliedern 16 Grenzen zu setzen, wobei auch hier eine zu starke Ausprägung des Gruppendrucks eher ein störungsbedingtes Agieren als eine Verbesserung der Symptome provoziert. Zusammenfassend kann man sagen, dass es angesichts der möglichen nachteiligen Effekte der Gruppensituation zahlreicher therapeutischer Erfahrungen und Kenntnisse bedarf, um die Vorteile der Gruppentherapie für die Behandlung zu nutzen und symptomfördernde Bedingungen einzudämmen. 4. Strukturelle Aspekte im Rahmen der Gruppentherapie Im Laufe der Hausarbeit wird an verschiedenen Stellen deutlich, dass der Gruppenprozess bei Borderline-Patienten durch charakteristische interpersonale Verhaltens- und Erlebensweisen mit starker Affektivität und Impulsivität gekennzeichnet ist. Trotz vieler Vorteile für Diagnostik und Behandlung stellt die Gruppensituation hohe Anforderungen an den Therapeuten. Seine wesentliche Aufgabe ist es, diese Gruppenprozesse trotz der bestehenden Instabilität konstruktiv zu gestalten, sodass auftretende Exzesse der Gruppenteilnehmer in Grenzen gehalten werden können und eine progressive Basis für die gruppentherapeutische Behandlung geschaffen werden kann. Um diese erfolgsversprechende Behandlungsgrundlage zu schaffen und Therapieabbrüche aufgrund Überhand nehmender Destruktivität und Spaltungen, die vor allem die Anfänge einer Gruppentherapie bedrohen, zu verhindern, ist es von großer Bedeutung den folgenden strukturellen Aspekten vor und während der Behandlung besondere Bedeutung zu schenken (vgl. Mattke u. Eckert, 2002, S.59ff). 4.1 Planung der Gruppe Wie ich bereits im Rahmen der Diagnostik erläutert habe, muss zunächst in Abhängigkeit von der Qualität der Störung das geeignete Gruppenverfahren bestimmt werden. Als Beispiele wären hier die kognitiv-behaviorale Therapie, die psychoanalytische oder psychoanalytischinteraktionelle Therapie zu nennen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Gruppentherapie zeitbegrenzt und geschlossen oder aber nicht zeitbegrenzt mit wechselnden Teilnehmern durchgeführt werden soll. Kurzzeittherapien sind in der Regel stärker zu strukturieren und sind häufig in ein klinisches Gesamtbehandlungsprogramm eingebettet. Des Weiteren können sie einen Hinweis darauf geben, ob der Patient überhaupt für eine gruppentherapeutische Behandlung geeignet ist und welches therapeutische Setting im Falle 17 einer ambulanten Weiterbehandlung empfehlenswert erscheint. Geschlossene und zeitbegrenzte Gruppenbehandlungen hat sich gerade im Hinblick auf die spezifische Trennungsproblematik der Borderline-Patienten als günstig erwiesen. Ein großer Vorteil von Langzeitgruppen mit wechselnden Teilnehmern besteht darin, dass neu aufgenommene Patienten von einer bereits etablierten positiven Gruppenentwicklung profitieren, in der sie sich mit weit fortgeschrittenen korrigierten Beziehungsmustern anderer Patienten identifizieren und die Gruppe in höherem Ausmaß als Hoffnung und Halt gebende Umgebung erfahren können. 4.2 Zusammensetzung der Gruppe Als nächstes muss geklärt werden, ob die Gruppe ausschließlich aus Borderline-Patienten bestehen oder auch Patienten mit anderen Persönlichkeitsstörungen vertreten sein sollen. In der Regel erweist sich bei einer stationären Behandlung eine homogene Gruppe als sinnvoll, die allerdings nicht mehr als sechs Teilnehmer zählen sollte. Die Behandlungsdauer wird dabei meist von den üblichen 90 Minuten auf 60 Minuten verkürzt bei gleichzeitiger Erhöhung der Sitzungen auf drei bis vier Termine pro Woche. In ambulanten Gruppen sind die häufigen Treffen für alle Patienten rein organisatorisch gar nicht zu bewältigen. Ein weiterer Nachteil ambulanter Behandlung besteht darin, dass der Therapeut krisenhaften Entwicklungen aufgrund der selteneren Treffen schlechter entgegenwirken kann. Daher sind homogene Borderline-Gruppen, die ein hohes Konfliktpotential besitzen und häufiges therapeutisches Eingreifen bedürfen, bei ambulanten Gruppentherapien in der Regel nicht zu empfehlen und es wird auf eine heterogene Zusammensetzung der Gruppe mit maximal drei Borderline-Patienten zurückgegriffen. Borderline-Patienten können bei ausreichend stabiler Abwehrstruktur der anderen Patienten durchaus eine Bereicherung für die gruppentherapeutische Behandlung darstellen, da sie einen unmittelbareren Zugang zu ihren Gefühlen, Bedürfnissen und Phantasien haben. Allerdings kann es von Nöten sein, Borderliner neben der ambulanten Gruppentherapie zusätzlich einzeltherapeutisch zu behandeln, vor allem dann wenn sie nach einem stationären Aufenthalt noch mehrmals wöchentlich auf therapeutische Hilfe angewiesen sind. 18 4.3 Vorbereitung der Patienten auf die Gruppentherapie Vor Beginn der eigentlichen Therapie ist es wichtig, die Patienten über die Rahmenbedingungen der Behandlung aufzuklären. In ein oder auch mehreren Vorgesprächen werden dem Patienten sowohl der Ablauf der Therapie oder die von ihm erwarteten Aufgaben und Verhaltensweisen wie beispielsweise die Verpflichtung zur regelmäßigen Teilnahme vermittelt, als auch individuelle Schwerpunkte und Ziele für die Gruppentherapie festgelegt. Alternativ ist es möglich, den Patienten in ein bis drei Gruppensitzungen didaktisch auf die Gruppentherapie vorzubereiten. Gängige Vorgehensweisen stellen dabei die Verteilung schriftlichen Informationsmaterials dar, in dem wiederum das Vorgehen und die Aufgaben von Therapeut und Teilnehmern dargestellt sind. Meist werden auch der Verlauf der Behandlung sowie häufig auftretende Probleme aus Patientensicht beschrieben. Darüber hinaus ist es möglich, eine Trainingssitzung abzuhalten, in der zuvor ausgeteiltes Informationsmaterial besprochen wird und Kommunikationsübungen zur Vorbereitung auf die Gruppengespräche durchgeführt werden können. Teilweise werden auch Videosequenzen aus Gruppenbehandlungen gezeigt, um den Patienten anschaulich auf die zukünftige Therapieform vorzubereiten. Wichtig bei all diesen Verfahren ist das aktive Bemühen des Therapeuten, den Patienten zu motivieren und somit für eine kooperative Zusammenarbeit im Rahmen der Gruppentherapie zu gewinnen. 4.4 Die Rolle der Gruppenkohäsion für den Therapieverlauf Schon vor der eigentlichen Durchführung der Gruppenbehandlung sollte sich der Therapeut darüber im Klaren sein, dass seine basale therapeutische Aufgabe in der frühen Gruppe darin besteht, ein Gefühl für und einen Sinn von Gruppe zu vermitteln. Patienten können auf diesem Wege ein Gefühl der Zugehörigkeit entwickeln sowie die Gruppe als „Ganzes“ erleben, was analog zur therapeutischen Beziehung in der Einzeltherapie der wichtigste Wirkfaktor bei der Gruppenbehandlung zu sein scheint. Gerade bei Borderline-Patienten kommt einer hohen Gruppenkohäsion eine besondere Bedeutung zu, da diese Patienten in der Regel von der starken Angst beherrscht sind, verlassen zu werden. Des Weiteren fördert ein „Wir-Gefühl“ ein Vertrauensverhältnis in der Gruppe und somit eine größere Öffnungsbereitschaft der Teilnehmer. Die Folge sind niedrigere Abbruchraten der Patienten sowie eine größere Bereitschaft zur regelmäßigen Teilnahme und aktiver Mitarbeit. 19 4.5 Gruppennormen und Gruppenregeln Um die eben angesprochene Gruppenkohäsion zu verwirklichen und der bei BorderlinePatienten vorherrschenden chaotischen und destruktiven Interaktion Herr zu werden, ist die Etablierung von Gruppenregeln und Normen unerlässlich. Wie ich bereits erwähnt habe, geschieht dies in deskriptiver Form schon in der Vorbereitungsphase der Teilnehmer auf die Gruppe. Durch verbale und nonverbale Reaktionen sowie die Verstärkung gewünschter Verhaltensweisen durch den Gruppentherapeuten sollen diese formulierten Normen und Regeln in der Gruppe und im Verhalten realisiert werden. Zu den bedeutsamsten konstruktiven Gruppennormen gehören nach MacKenzie (vgl. Mattke u. Eckert, 2002, S.62) unter anderem die pünktliche und regelmäßige Teilnahme der Patienten an der therapeutischen Behandlung. Weiterhin sollen sich alle Teilnehmer aktiv und lebhaft an den Gruppengesprächen beteiligen, wobei längere Monologe aber auch Dialoge nicht erwünscht sind. Um die Gruppe als Halt und Unterstützung gewährende Umgebung erleben zu können, steht die Akzeptanz der Gruppenmitglieder und ihrer Krankheit im Vordergrund. Die Patienten sollen sich der Gruppe öffnen sowie an der Verbesserung ihres Selbstverständnisses und Etablierung korrigierter Verhaltens- und Erlebensweisen arbeiten. Allerdings muss erwähnt werden, dass eher die psychoanalytisch-interaktionelle Gruppentherapie von einer starken Normengebung profitiert, während die psychoanalytische Gruppentherapie von einer minimalstrukturierten Behandlungssituation lebt, um regressive Prozesse der Patienten zu fördern und zu steuern. Erst wenn diesen eben angeführten strukturellen Aspekte Beachtung geschenkt wird und sowohl der Therapeut als auch alle an der Gruppe beteiligten Patienten ihren Beitrag zu deren Realisierung leisten, können therapeutische Vorgehensweisen und Interventionen greifen und die gruppentherapeutische Behandlung einen Erfolg verbuchen. 5. Therapeutisches Vorgehen bei der Gruppentherapie von Borderline-Patienten In diesem Abschnitt sollen zwei therapeutische Gruppentherapieverfahren vorgestellt werden, die ich im Rahmen der Diagnostik schon einmal erwähnt habe. Beide Vorgehensweisen sind psychoanalytisch verankert, unterscheiden sich aber hinsichtlich einiger therapeutischer Interventionen und ihres zur Behandlung geeigneten Klientels. 20 5.1 Die psychoanalytische Gruppentherapie Psychoanalytische Gruppentherapie kommt, wie schon erwähnt, im Falle einer weniger extremen Pathologie mit einigen gesunden oder durch einen inneren Konflikt gelähmten IchFunktionen auch bei Borderline-Patienten in Frage. Das Vorgehen entspricht im Wesentlichem dem der Einzeltherapie (vgl. König u. Kreische, 2000, S.628). Auch im Rahmen der Gruppentherapie zielt eine psychoanalytische Vorgehensweise auf das Aufdecken unbewusst gewordener Konflikte ab, die aus dem Inneren heraus ihre pathogene Wirkung entfalten. Diese unbewussten Inhalte sind in der Regel regressiver Natur und entsprechen somit zeitlich und/oder formal zurückliegenden Erlebens- und Verhaltensweisen. Daher ist psychoanalytische Therapie vor allem darauf bedacht, Regressionen der Patienten zu fördern. Durch multipersonale Übertragung sowie Gegenübertragungsreaktionen soll der Therapeut unbewusste Inhalte bewusst machen und Schlüsse über die vom Patienten angestrebte Art der Beziehung sowie über den Gruppenprozess mit seinen vorherrschenden Spannungen ziehen. Die Förderung und Steuerung regressiver Prozesse geschieht beispielsweise durch eine minimal strukturierte Behandlung ohne stark strukturierende Normen und Regeln, durch die psychoanalytische Grundregel der freien Interaktion mit unzensierten und freimütigen Äußerungen, durch therapeutische Interventionstechniken sowie durch die Abstinenz des Analytikers, der den Bedürfnissen und Trieben der Patienten nicht nachgibt (vgl. Heigl-Evers, Heigl u. Ott, 1993, S.227). Das wichtigste therapeutische Mittel des Psychoanalytikers ist das „Prinzip der Deutung“, mit dem er den Patienten den wahren Sinn ihres Verhaltens vermittelt, welcher ihnen nicht bewusst ist. 5.2 Die psychoanalytisch-interaktionelle Gruppentherapie Dieses Verfahrens konzentriert sich ebenfalls auf das Aufdecken unbewusster psychischer Prozesse, ist dabei aber hauptsächlich auf die Interaktion und Interpersonalität sowie auf gegenwärtige und vergangene Beziehungserfahrungen ausgerichtet. Interaktionen zwischen den Gruppenmitgliedern sollten so frei, unzensiert und natürlich wie eben möglich von Statten gehen, damit der Therapeut ein adäquates Bild der Interaktionsstörungen im Alltag bekommt. Im Vordergrund der psychoanalytisch-interaktionellen Gruppentherapie steht ein weniger auf Regression als auf Progression bedachtes Verfahren, welches sich vor allem bei Patienten mit stark beeinträchtigten Ich-Funktionen eignet, deren strukturelle Defizite im Falle eines regressionsfördernden Prozesses weiter bestehen oder sogar labilisiert würden. 21 Diese starken Beeinträchtigungen findet man in der Regel bei Borderlinern, weshalb das beschriebene Verfahren zur Therapie dieser Persönlichkeitsstörung besonders indiziert ist. Weiterhin wird das „Prinzip der Deutung“ durch das „Prinzip der Antwort“ ersetzt, welches im Gegensatz zu ersterem den Vorteil hat, dass der Patient nicht das Gefühl bekommt, der Therapeut wüsste über sein Innenleben Bescheid und er wäre ihm schutzlos ausgeliefert. Das „Prinzip der Antwort“ bedeutet hierbei, dass der Therapeut dem Patienten Auskunft über sein individuelles Erleben gibt, welches in Reaktion auf den Patienten in ihm, dem Therapeuten, entsteht. Die Borderline-Patienten lernen den Therapeuten dadurch als Subjekt mit eigenen Gefühlen und Bedürfnissen sowie auch Grenzen zwischen Individuen kennen. Darüber hinaus werden ihnen die Tragweite und die Auswirkungen ihrer eigenen Verhaltensweisen und der anderer Personen vor Augen geführt und ihnen somit die Regulierung interpersoneller Beziehungen nahe gebracht. Realistischere Vorstellungen eines reifen Objekts sollen entwickelt und als mentale Repräsentation internalisiert werden. Weiterhin stellen die Übernahme von Hilfs-Ich-Funktionen und Hilfs-Normen, deren eigenständige Ausübung ein vorwiegendes Ziel der Behandlung ist, sowie ein kontrollierter Umgang mit Affekten weitere bedeutende therapeutische Techniken dar. Während der Gruppentherapeut in der psychoanalytischen Therapie eine zurückhaltende interpretierende Rolle einnimmt, ist der Therapeut in der psychoanalytisch-interaktionellen Therapie durch seine emotional authentischen Antworten präsent und gibt sich als reale, erreichbare und eigenständige Person mit individuellen Gefühlen und Bedürfnissen zu erkennen. Psychoanalytisch-interaktionelle Gruppentherapie soll somit beispielweise im Falle einer Borderline-Störung dazu beitragen, mehr innere und interpersonelle Autonomie zu erreichen, Ich-Funktionen aufzubauen und den Umgang und die Interaktion mit Anderen sicherer zu gestalten (vgl. Streeck, 2002, S.120ff). 6. Stationäre Gruppentherapie in der Klinik Abschließend möchte ich noch auf die Situation der Gruppentherapie im stationären Rahmen eingehen. Gruppentherapeutische Verfahren finden in einer Klinik häufig Anwendung, wobei sie in der Regel in einen Gesamtbehandlungsplan integriert werden. Wie in einer Gruppensituation auch, stellt die Gesamtheit der Klinik, d.h. Therapeuten, Sozialarbeiter, Pflegepersonal und Mitpatienten, ein vielfältige Übertragungsangebot für den Patienten dar. Nun gibt es aber unterschiedliche Konzepte, wie mit diesen Übertragungen umgegangen wird 22 (vgl. König u. Kreische, 2000, S.630). Einige Konzepte trennen den sogenannten Therapieraum der therapeutischen Kleingruppe von dem Realraum der Klinik, den die Station bzw. die Gesamtklinik bilden und in dem zwar die für Borderline-Patienten typischen gestörten zwischenmenschlichen Beziehungen und Konflikte beobachtet werden können, eine Deutung durch den Therapeuten allerdings ausbleiben soll. Damit will man vermeiden, dass der Patient sich von den therapeutischen Interventionen verfolgt fühlt und die Klinik als paranoide Umgebung wahrnimmt. Auf der anderen Seite besteht gerade bei BorderlinePatienten aufgrund ihrer Symptomatik die Schwierigkeit, zwischen Therapiesitzung und Realität im Realraum differenzieren zu können. Daher ist es bei strukturell gestörten Patienten oft hilfreich, ihnen zur Bewältigung ihrer Alltagsaufgaben durch Beschreiben und Deuten Realität zu vermitteln und stützend unter die Arme zu greifen. Dies zieht jedoch eine Integration von Therapie- und Realraum nach sich, was zur Folge hat, dass das gesamte klinische Geschehen in die Therapie einbezogen wird. Man spricht in diesem Fall von einem integrativen stationären Konzept. Darüber hinaus bedeutet die Integration von Therapie- und Realraum jedoch, dass alle Berufsgruppen in die Therapie einbezogen werden, was eine hohe Belastung aller Mitarbeiter bedeutet, sowie die Notwendigkeit zu regelmäßigen Konferenzen aller therapeutisch Tätigen nach sich zieht. Zuletzt kann festgehalten werden, dass die Verwendung eines bestimmtes Konzepts einerseits natürlich immer von den Vorlieben und dem Ausbildungsverlauf einflussreicher Kliniktherapeuten abhängt und andererseits darüber entschieden werden muss, ob das Störungsbild des Patienten und der aktuelle Zeitpunkt in der Therapie eher ein duales oder ein integratives Behandlungskonzept verlangt. 7. Zusammenfassung Gruppenpsychotherapeutische Behandlung bei Borderline-Patienten versucht der Beziehungspathologie der Patienten, die sich in stark gestörten Interaktionen darstellt, gerecht zu werden. Eine sorgfältige Diagnose einschließlich der Zuordnung der Patienten zur individuell geeigneten Behandlungsmethode stellt dabei eine wesentliche Basis für eine erfolgreiche Behandlung dar. Borderline-Patienten können in einer Gruppentherapie von einigen Vorteilen der Therapieform gegenüber einzeltherapeutischer Behandlung profitieren, die jedoch bei zu starker Ausprägung gegenteilige Effekte bewirken können. Nicht zu vernachlässigen sind eine Viehzahl struktureller Aspekte, die für ein positives Therapieergebnis sowohl vor als auch während der Behandlung berücksichtigt werden sollten. 23 Zwei in der Praxis häufig eingesetzten Therapieverfahren stellen unter anderem die psychoanalytische sowie die psychoanalytisch-interaktionelle Gruppentherapie dar, die sich je nach Beeinträchtigung der Ich-Funktionen an spezielle Klienten richten und sich im Umgang mit regressiven Prozessen sowie einigen therapeutischen Interventionen unterscheiden. Bei Borderline-Patienten wird aufgrund der extremen strukturellen Defizite eher das zuletzt genannte Verfahren zur Anwendung gebracht. Auch im Rahmen der stationären Gruppentherapie bei Borderline-Patienten kommen zwei unterschiedliche Behandlungskonzepte in betracht, wobei je nach Klinik und Störungsqualität der Patienten entweder ein duales oder integratives Konzept von Therapie- und Realraum bevorzugt wird. 24 III. Literaturverzeichnis Cierpka, M. (1998). Patienten mit Borderline-Srörungen Persönlichkeitsstörungen - Theorie und Therapie, 1, 22-31. und ihre Familien. Cierpka, M. & Reich, G. (2000). Familientherapie bei Patienten mit BorderlinePersönlichkeitsstörungen. In O. F. Kernberg, B. Dulz & U. Sachsse (Hrsg.), Handbuch der Borderline-Störungen (S. 613-623). Stuttgart: Schattauer. Heigl-Evers, A., Heigl, F. & Ott, J. (Hrsg.). (1993). Lehrbuch der Psychotherapie. Stuttgart, Jena: Gustav Fischer. Hoffmann, S. O. (1998). Die Angst des Borderline-Patienten und seine Beziehungen. Persönlichkeitsstörungen - Theorie und Therapie, 1, 4-9. Joraschky, P. & Petrowski, K. (2003). Die Rolle der Familie bei Entstehung und Behandlung von sexuellem Missbrauch. Persönlichkeitsstörungen - Theorie und Therapie, 2, 84-93. König, K. & Kreische, R. (2000). Gruppentherapie mit Borderline-Patienten. In O. F. Kernberg, B. Dulz & U. Sachsse (Hrsg.), Handbuch der Borderline-Störungen (S. 625-632). Stuttgart: Schattauer. Mattke, D. & Eckert, J. (2002). Gruppenpsychotherapeutische Behandlungsprinzipien für Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung. Persönlichkeitsstörungen - Theorie und Therapie, 1, 56-64. Reich, G. (2003). Familien- und Paarbeziehungen bei Persönlichkeitsstörungen – Aspekte der Dynamik und Therapie. Persönlichkeitsstörungen - Theorie und Therapie, 2, 72-83. Scheib, P. & Wirsching, P. (2000). Familientherapie – eine heterogene Praxis. In W. Senf & M. Broda (Hrsg.), Praxis der Psychotherapie. Ein integratives Lehrbuch: Psychoanalyse, Verhaltenstherapie, Systemische Therapie (2. neu bearbeitete, erweiterte Aufl., S. 240-251). Stuttgart: Thieme. Streeck, U. (2002). Gestörte Verhältnisse – zur psychoanalytisch-interaktionellen Gruppentherapie von Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen. Persönlichkeitsstörungen - Theorie und Therapie, 2, 109-125. 25