Parkinson und Depression Hinter den allgemein bekannten Symptomen der Bewegungsstörung wird bei der Parkinsonerkrankung ein weiteres Beschwerdebild oft nicht ausreichend ernst genommen: Die Depression. Doch immerhin 40% aller Parkinson-Betroffenen haben die Beschwerden der Depression zusätzlich. Oft ist auch der Beginn der Erkrankung nicht durch die Bewegungsstörung, sondern durch eine Phase der Antriebslosigkeit, Abgeschlagenheit und Müdigkeit charakterisiert. Und ich erinnere mich noch gut an meine ersten zaghaften Schritte in der Neurologie, als mir immer wieder passiert ist, dass ich eine gehemmte Depression für einen beginnenden M.Parkinson gehalten habe und einen akinetischen Parkinson vermutete, wenn eine schwere Depression vorlag. Mit der Zeit und einer guten Lehrerin erkennt man aber bald die Unterschiede. Botenstoffe im Gehirn Der Zusammenhang zwischen Bewegungsstörung und Stimmungstief ist durchaus gegeben. Dopamin, der Überträgerstoff im Gehirn, der bei Parkinsonkranken zuwenig gebildet werden kann, hat nicht nur eine wichtige Funktion in der Steuerung der Beweglichkeit, sondern ist auch der Schlüssel zu Antrieb und Motivation, spielt eine Rolle im Appetitsystem, auch in der Steuerung des sexuellen Appetits und der Stimmung. Aber nicht nur die Produktion des Botenstoffes Dopamin wird vermindert, Parkinson betrifft auch die anderen Botenstoffe, das Serotonin, verantwortlich für Entspannung und Regeneration sowie Noradrenalin, das Interesse weckt und psychische Energien liefert. Das wäre der biologische Hintergrund. Aber die Diagnose Parkinson gestellt zu bekommen ist auch ein einschneidendes Erlebnis, in der Wertigkeit von den Betroffenen oft mit der Diagnose Krebs verglichen und lässt viele Ängste zu Tage treten wie körperliche Behinderung, Abhängigkeit von anderen, Verlust der Sozialkontakte, des Partners, des Arbeitsplatzes. Anhedonismus Der Neigung zur Verallgemeinerung sollte man nicht nachgeben, aber in einem hohen Prozentsatz findet man das folgende Bild als typische „prämorbide Persönlichkeit des Parkinson-Patienten“: Spätere Parkinson-Patienten sind in ihrem früheren Leben schon weniger gesprächig und flexibel, dafür aber großzügiger, gleichmütiger, vorsichtig, überkontrolliert und depressiv. Diese Eigenschaften werden zumindest teilweise mit subklinischen zerebralen Schädigungen in Zusammenhang gebracht. Parkinsonkranke sind im Vergleich zur „Normalbevölkerung“ weniger leistungsorientiert und extravertiert, dafür aber gehemmter, stärker unter somatischen Beschwerden leidend und emotional labiler. Sie leiden vermehrt unter Depressivität und schlechtem Befinden. Im Hinblick auf das Merkmal „soziale Orientierung“ besteht eine Neigung zu Sturheit und Starrheit in der Zielorientierung. Die Suche nach Neuem ist gering ausgeprägt, ebenso die Genussfähigkeit. (Persönlich bin ich der Meinung, dass die „schützende“ Kraft von Nikotin, Coffein und Alkohol, die bei Parkinson immer wieder ins Treffen geführt wird, keine Substanzwirkung ist, sondern mit der anhedonistischen prämorbiden Persönlichkeit zu tun hat. Selten findet man Parkinson-Patienten, die ein genießerisches Leben geführt haben, meist waren sie fleißig, erfolgreich und introvertiert). Für all diese Symptome ist Dopamin der zentrale Neurotransmitter! Depression (Tabelle 1 und 2) Die erhöhte Depressivität Parkinson-Kranker allein muss kein Merkmal der Grunderkrankung sein, da auch andere chronische Leiden von Depression begleitet werden. Auffällig ist jedoch, dass in Zwillingsuntersuchungen beide Zwillingsgruppen (ein- und zweieiige) insgesamt im Durchschnitt erheblich höhere Depressionswerte erzielten als die Kontrollpersonen. Dies passt zu der Beobachtung, dass Verwandte von Parkinson-Kranken häufiger depressiv sind. Wenn man ein paar Kriterien gezielt abfragt oder sich auch selbst die Fragen stellt, die Sie in der Tabelle finden, können Sie leicht zu einem Schluss kommen. Manche der Symptome treten beim Parkinson fast immer auf (Abgeschlagenheit, Schlafstörung, Gewichtsverlust), andere sind typische Hinweise auf eine Depression (Schuldgefühle, hoher Grundpessimissmus, gesteigerte Ängstlichkeit). Die beim Parkinson-Kranken typische Depression ist meist nicht so schwer wie die Depression als selbständige psychiatrische Erkrankung mit und ohne manische Phasen, aber leichte depressive Verstimmungen und depressive Episoden liegen doch recht häufig in einer Ausprägung vor, die eine Behandlung sinnvoll erscheinen lässt. Therapiemöglichkeiten Nun ist schon die Behandlung von „nur“ Depressiven schwierig, da die weit verbreitete Irrmeinung herrscht es genüge „sich zusammenzureißen“ oder „auf Urlaub zu fahren“. Es funktioniert so aber nicht. Zum Zusammenreißen fehlen Kraft und Antrieb und im Urlaubskoffer fährt die Depression mit. Weiter oben habe ich dargestellt, dass, wie beim Parkinson, auch bei der Depression ein Mangel an Botenstoffen herrscht, der chemisch ausgeglichen werden kann, zum Glück für die Betroffenen. Und so wie man die Bewegungsstörungen mit mentalem Training alleine nicht wegbringen kann, sondern der chemischen Steuerung von außen bedarf, so ist es auch bei der Depression notwendig das chemische innere Gleichgewicht wieder herzustellen. Entscheidend ist die Depression als behandelbares Syndrom zu erkennen und nicht als unabwendbare Begleiterscheinung des Parkinson abzutun. Die neuen Antidepressiva sind gut verträglich und ihr Einsatz ist gerechtfertigt, wenn nur ein bisschen der Verdacht auf eine Depression begründet ist. Der Wirkungseintritt ist schon nach wenigen Tagen zu bemerken. Es gibt keine Abhängigkeit, diese Begleiterscheinung gehört eher zu den Beruhigungsmitteln, auch wird keine nachhaltige Persönlichkeitsveränderung hervorgerufen und überhaupt sind die Ängste „vor Psychopharmaka“ in den meisten Fällen irrational. Wobei ich mich immer wundere wie gerne manche Patienten Medikamente nehmen, die bei Parkinson ganz ungünstige Auswirkungen haben, auch das Gehirn beeinflussen, aber für den Laien nicht leicht als Psychopharmaka erkennbar sind. Dazu gehören Mittelchen gegen Schwindel, gegen Magenbeschwerden und gegen Schlafstörungen. Und am meisten liebe ich die Ausrede, es seien ja „nur pflanzliche Mittel“. Meist erwähne ich dann den Knollenblätterpilz und die Folgen seiner Einnahme. Aber rein pflanzlich. Die Behandlung der Depression bei Parkinson unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der normalen Therapie mit Antidepressiva. Zu beachten sind die beiden Grundsätze optimale Kontrolle der motorischen Symptomatik und Einsatz von Psychopharmaka mit günstigem Sicherheitsprofil. Erstaunlicherweise gibt es keine Studien mit großen Fallzahlen zum Thema, aber die Studiendaten erlauben die Übertragung der Ergebnisse an depressiven Patienten ohne Parkinson auf unsere Zielgruppe. Die Auswahl eines Antidepressivums erfolgt nach den Kriterien gute Wirksamkeit und geringe Nebenwirkungen. Nun ist der niedrige Blutdruck sowohl ein führendes Symptom des Parkinson, als auch eine Nebenwirkung z.B. der Trizyklischen Antidepressiva (TCA). Dabei hat diese Substanzgruppe unzweifelhaften Wert als schlafregulierende Medikation, wenngleich mit einem höheren Risiko eine psychotische Episode mit Verwirrtheit auslösen kann, ein Problem, das bei Antiparkinsonmitteln auch besteht. Besonders finden Saroten ®/Tryptizol ® in niedriger Dosierung hier Anwendung. Bei den „modernen“ Antidepressiva aus der Gruppe der SSRI (selective serotonine reuptake inhibitors) liegt ein günstigeres Nebenwirkungsprofil vor. Sie steigern auch den Antrieb und rufen nur selten Übelkeit und Übererregtheit hervor. Einzelne Studien belegen die Wirksamkeit von Efectin ® und Gladem ®/Tresleen ® in diesem Bereich, aber alle anderen SSRI (Cipralex ®, Seroxat ®) sind ebenfalls einsetzbar. Nicht nur die Wirkung des Serotonin, sondern auch des Noradrenalin wird durch den Einsatz der SNRI (serotonine-nordarenaline-reuptake inhibitor) erzielt. Und damit erreicht man alle beteiligten Transmittersysteme! SNRI verursachen keine gefährlichen Nebenwirkungen und sind auch bei Parkinsonpatienten sicher anzuwenden. Ein besonderer Vorteil von SNRI könnte die noradrenerge Wirkung sein als Schutz vor Blutdruckabfall (Orthostase. Mindestens 30 mm Hg weniger nach 1 Minute stehen gegenüber dem Ausgangswert im Liegen)). Sie führen nur selten zu Müdigkeit, was bei Parkinson an sich und beim Einsatz von müde machenden Antiparkinsonmitteln von Vorteil sein kann. Die nunmehr auch in Österreich verschreibbare Substanz Cymbalta ® nimmt hier eine besondere Stellung ein, weil neben der antidepressiven Wirkung auch eine günstige Beeinflussung der Inkontinenz vorliegt, eine Störung, die gerade bei Parkinson-Patienten die Depression sehr fördert. Eine Sonderstellung nehmen die modernen nicht-ergolinen Dopaminagonisten (Sifrol ®, Requip ®, Neupro ®) ein. Sie sind die Grundpfeiler der symptomatischen Parkinsontherapie und haben auch antidepressive Eigenschaften. Sifrol ® schnitt in einer Vergleichsstudie bei Major Depression, also bei Depression OHNE gleichzeitiges Parkinson- oder restless legs Syndrom, genau so gut ab wie die Vergleichssubstanzen Fluctine ® und Gladem ® und selbstverständlich weit besser als Placebo. Es kann also der Einsatz dieses Medikamentes für die symptomatische Therapie der motorischen Störung, für die Neuroprotektion und für die Behandlung der Depression wirksam sein. Ein Vorteil bei meist polytherapierten älteren Menschen. (Abbildung 1 und 2) Kontaktadresse Primarius Dr. Dieter Volc Vorstand der Neurologischen Abteilung und Parkinsonzentrum Confraternität-Privatklinik Josefstadt Skodagasse 32, 1080 Wien Tel: (+431) 522 13 09 FAX: +20 [email protected] www.volc.at (Tabelle 1) Diagnose Depression Mindestens zwei der folgenden Symptome liegen vor: 1. depressive Stimmung in einem für die Betroffenen deutlich ungewöhnlichem Ausmaß, die meiste Zeit des Tages, fast jeden Tag, im Wesentlichen unbeeinflusst von den Umständen und mindestens zwei Wochen anhaltend 2. Interessen- oder Freudeverlust an Aktivitäten, die normalerweise angenehm waren 3. verminderter Antrieb oder gesteigerte Ermüdbarkeit Ein oder mehr zusätzliche der folgenden Symptome bis zu einer Gesamtzahl von vier 1. Verlust des Selbstvertrauens oder des Selbstwertgefühles 2. unbegründete Selbstvorwürfe oder ausgeprägte, unangemessene Schuldgefühle 3. wiederkehrende Gedanken an den Tod oder Selbstmord 4. Klagen über oder Nachweis eines verminderten Denk- oder Konzentrationsvermögens, Unschlüssigkeit oder Unentschlossenheit 5. psychomotorische Unruhe oder Gehemmtheit 6. Schlafstörungen aller Art 7. Appetitverlust oder gesteigerter Appetit mit entsprechender Gewichtsveränderung Tabelle 2 UPDRS Teil I (Unified Parkinson’s Disease Rating Scale part I) Kognitive Funktionen, Verhalten und Stimmung 1. Intellektuelle Einschränkung 0. Keine. 1. Leicht. Vergesslichkeit mit teilweiser Erinnerung an Ereignisse und keine anderweitigen Schwierigkeiten. 2. Mäßiger Gedächtnisverlust mit Desorientierung und mäßigen Schwierigkeiten beim Meistern komplexer Probleme. Leichte, aber definitive Einschränkung zu Hause mit der Notwendigkeit einer gelegentlichen Hilfe. 3. Schwerer Gedächtnisverlust mit zeitlicher und häufig örtlicher Desorientierung. Schwere Einschränkung bei der Bewältigung von Problemen. 4. Schwerer Gedächtnisverlust, Orientierung nur zur Person erhalten. Kann keine Urteile fällen, keine Probleme lösen. Benötigt viel Hilfe. Kann nicht mehr alleine gelassen werden. 2. Denkstörungen (als Folge von Demenz oder Medikamenten- Intoxikationen) 0. Keine. 1. Lebhafte Träume. 2. "Gutartige" Halluzinationen mit erhaltener Einsicht. 3. Gelegentliche bis häufige Halluzinationen und Wahnvorstellungen; keine Einsicht; könnte sich störend auf die täglichen Aktivitäten auswirken. 4. Persistierende Halluzinationen, Wahnvorstellungen oder floride Psychose. Kann sich nicht selbst versorgen. 3. Depression 0. Nicht vorhanden. 1. Zeitweise Traurigkeit oder Schuldgefühl stärker als normal, niemals Tage oder Wochen anhaltend. 2. Anhaltende Depression (1 Woche oder länger). 3. Anhaltende Depression mit vegetativen Symptomen (Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Gewichtsabnahme, Verlust des Interesses). 4. Anhaltende Depression mit vegetativen Symptomen und Selbstmordgedanken oder absichten. 4. Motivation/Initiative 0. Normal. 1. Weniger energisch als sonst; stärker passiv. 2. Fehlende Initiative oder Desinteresse an nicht routinemäßigen Aktivitäten. 3. Fehlende Initiative oder Desinteresse an täglichen (routinemäßigen) Aktivitäten. 4. In sich gekehrt, völliges Fehlen von Motivation. Abbildung 1 Pramipexol - Klinische Studien – Depression (major depression) Responder* 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Placebo (n=23) Pramipexol 0.264mg (n=27) Pramipexol 0.7mg (n=23) Pramipexol 3.5mg (n=15) Fluoxetin 20mg (n=30) *Responder: Patient mit CGI-SI Score 2 oder kleiner (Baseline: 4.1) Behandlungszeit: 8 Wochen; Responderraten bezogen auf Studienbeender; Corrigan et al., 2000 Abbildung 2 Pramipexol und Sertralin lindern die Depression HAM-17 score 25 20 15 Baseline 12w 10 5 0 PPX SER Barone P, Canne, Oct. 2004