APM-Guidelines.

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Leitlinien Psychiatrisch-Psychothrapeutische Konsiliartätigkeit (Entwurf – nicht zur Publikation bestimmt!)
LEITLINIEN ZUR PSYCHIATRISCH-PSYCHOTHERAPEUTISCHEN
KONSILIARTÄTIGKEIT IM ALLGEMEINKRANKENHAUS
Allgemeiner Teil
In Anlehnung an die
Practice Guidelines: Psychiatric Consultation in the General Medical Setting
vorgelegt von der
Ad Hoc Task Force on Practice Guidelines (Chair: Harold Bronheim, MD) der
Academy of Psychosomatic Medicine
Dt. Übers. und Bearbeitung durch die
AG Konsiliar-Liaisonpsychiatrie und –psychotherapie der DGPPN
(Leiter Dr. A. Diefenbacher)
im Rahmen des Referates Qualitätssicherung der DGPPN (Leitung Prof. Dr. W. Gaebel)
Mitarbeiter
Dr. med. A. Diefenbacher, Berlin (Koordination)
Dr. med. J. Breitmeier, Karlsruhe
PD Dr. med. H. Ebel, Aachen
C. Fuhrhans, Berlin
Dr. rer.soc. Dipl. psych. G. Heim, Berlin
PD Dr. med. B. Radanov, Bern
Dr. med. Dr. phil. R. Saupe, Stade
Dr. Schürmann, Lübeck
APM-Guidelines (Übersetzung und Bearbeitung, Arbeitsgruppe der DGPPN, Diefenbacher & al.)
Version vom 26.05.98
1
Leitlinien Psychiatrisch-Psychothrapeutische Konsiliartätigkeit (Entwurf – nicht zur Publikation bestimmt!)
PD Dr. med. Th. Zeit, Bochum
Vorbemerkung
Die vorliegende Version der Leitlinien wurde von den o.g. Rapporteuren auf Grundlage der Kommentare von ca. 30 Teilnehmern eines Workshops im Rahmen des DGPPN-Symposiums "Konsiliarpsychiatrie" in Hamburg im Januar 1997 erstellt (vgl. Mitteilungen der DGPPN im Nervenarzt
1997, 68: 363)
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Inhalt
VORSCHLAG FÜR LEITLINIEN ZUR PSYCHIATRISCHPSYCHOTHERAPEUTISCHEN KONSILIARTÄTIGKEIT IM ALLGEMEINKRANKENHAUS ................................................................................................................. 1
INHALT................................................................................................................................. 3
DEFINITIONEN: ..................................................................................................................... 6
TEIL 1 I. SOMATOPSYCHISCHE PROBLEMFELDER, QUALIFIKATIONEN
DES PSYCHIATRISCHEN KONSILIARS, PERSONALAUSSTATTUNG VON
PSYCHIATRISCHEN KONSILDIENSTEN .................................................................... 7
A. RISIKOPOPULATIONEN UND FALLIDENTIFIKATION .......................................................... 7
Interventionsstudien ........................................................................................................ 7
Probleme in der Fallidentifikation .................................................................................. 8
II. QUALIFIKATIONEN DES PSYCHIATRISCHEN KONSILIARS UND INDIKATIONEN FÜR DIE ANFORDERUNG EINES KONSILS ....................................... 11
A.
AUSBILDUNG UND QUALIFIKATION DES KONSILIARS.............................................. 11
B.
INDIKATIONEN FÜR EINE KONSULTATION ............................................................... 16
Gründe/Indikationen, die von aktuell vorhandener psychischer Auffälligkeit ausgehen:
....................................................................................................................................... 16
Indikationen, die von psychischen bzw. sozialen Hintergrundfaktoren ausgehen: ....... 16
Gründe/Indikationen, die auf Routineuntersuchungen zurückgehen: ........................... 17
Gründe/Indikationen, die auf überwiegend juristischen Gründen beruhen: ................ 17
III. ORGANISATION UND PERSONELLE AUSSTATTUNG VON CL-DIENSTEN
.............................................................................................................................................. 18
A. VERSORGUNGSBEDARF UND ZEITAUFWAND ................................................................. 18
B. KONTINUITÄT DER VERSORGUNG UND VERFÜGBARKEIT DES DIENSTES ....................... 20
C. QUALIFIKATION DER MITARBEITER, WEITERBILDUNG IM RAHMEN DER FACHARZTAUSBILDUNG UND SUPERVISION ............................................................................................... 21
TEIL 2 EVALUATION UND INTERVENTION ............................................................ 23
A. GRUND DER ÜBERWEISUNG........................................................................................... 23
B. NOTFALLKONSULTATIONEN .......................................................................................... 25
C. KONSILPSYCHIATRISCHE UNTERSUCHUNG UND BEFUNDDOKUMENTATION .................. 27
1. Anamneseerhebung ................................................................................................ 27
2. Neurologische Untersuchung ................................................................................. 31
3. Psychischer Befund ................................................................................................ 31
4. Der schriftliche Befund .......................................................................................... 32
5. Zusammenfassung und Diagnose ........................................................................... 33
D.
DIAGNOSTISCHE TESTS IN DER KONSILIARPSYCHIATRIE ......................................... 33
F. WEITERBETREUUNG WÄHREND DER STATIONÄREN BEHANDLUNG ............................. 35
G.
ÜBERWEISUNG, AMBULANTE WEITERBEHANDLUNG UND BEENDIGUNG DER KONSILIARISCHEN BETREUUNG. .................................................................................................. 37
1.
Überweisung und Hinzuziehung anderer Konsile. ............................................. 37
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2.
3.
4
Ambulante Weiterbehandlung und Weitervermittlung ....................................... 37
Beendigung der konsiliarischen Betreuung ....................................................... 38
TEIL II................................................................................................................................. 40
A.
B.
C.
DATENERHEBUNG UND QUALITÄTSKONTROLLE ..................................................... 40
ETHISCHE STANDARDS: .......................................................................................... 41
KLINISCHE FORSCHUNG: ......................................................................................... 42
EINLEITUNG
Diese psychiatrischen Leitlinien (Guidelines) sollen dem Psychiater*, der sich regelmässig um Patienten mit primär medizinischen Erkrankungen kümmert, gewisse
Grundlagen vermitteln. Die Guidelines sollen Basiswissen, professionelles Können und
ein integriertes klinisches Verständnis vermitteln, welches zum effektiven Management dieser komplexen und in Diagnostik und Therapie sehr unterschiedlichen Patientenpopulation notwendig ist. Die ursprünglichen (amerikanischen) Guidelines wurden durch ein Expertenteam erstellt, welches die vorhandene Literatur zum Thema
umfassend gesammelt und bewertet hat. Die Guidelines wurden dann vom "Executive
Council" der "Academy of Psychosomatic Medicine" überprüft und genehmigt. Die
vorliegende deutsche Version ist eine Uebersetzung der 1998 in einem Supplementum
der Zeitschrift "Psychosomatics" (Bronheim H., Fulop G., Kunkel E. et al: 39: S 8 –
S 30) publizierten amerikanischen Guidelines und wurde von einem Team unter der
Leitung von Prof. A. Diefenbacher, Berlin, teilweise den Verhältnissen im deutschsprachigen Raum angepasst. Diese deutschsprachige Version wurde jedoch bis heute
nicht offziell anerkannt und auch nicht publiziert.
Die Entwicklung von Leitlinien zur Psychiatrisch-Psychotherapeutischen Konsiliartätigkeit hat
zum Zweck, Psychiater und Psychiaterinnen, welche sich um Patienten im Allgemeinkrankenhaus
kümmern, die auch psychiatrische Symptome aufweisen, bezüglich dieser Tätigkeit anzuleiten und
fortzubilden. Die Leitlinien sollen einen Ueberblick über Untersuchungsmethoden und therapeutische Interventionen geben, welche zur Abklärung und Behandlung von Patienten mit comorbiden
(medizinischen und psychiatrischen) Störungen notwendig sind.
Die Entwicklung der Leitlinien für die konsiliarpsychiatrische Tätigkeit ist notwendig, weil es eine
bedeutende Zahl von Patienten mit unerkannten, aber häufig ernsthaften (neuro)psychiatrischen
Erkrankungen im Allgemeinspital gibt, welche nicht selten nur ungenügend untersucht und behandelt werden. Zudem werden die psychologischen Folgen, welche bei einer Vielzahl von Patienten
in Allgemeinspitälern durch die hochtechnisierte Krankenhausumgebung hervorgerufen werden,
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oft zuwenig beachtet.
Diese Leitlinien können und wollen allgemein gültige berufliche Regeln und Vorschriften nicht
beeinflussen oder gar ersetzen. Sie sind als Ergänzung zu diesen Regeln gedacht und sollen dem
Kliniker gewisse Leitplanken geben, die er benötigt, um konsiliarpsychiatrisch tätig zu sein.
Inhalt
Allgemein lassen sich die Ziele der psychiatrisch-psychotherapeutischen Konsiliartätigkeit im Allgemeinkrankenhaus wie folgt zusammenfassen:
1. Evaluation von Patienten mit somatopsychischer Komorbidität, Verhaltensauffälligkeiten in
Verbindung mit einer körperlichen Grunderkrankung bzw. somatoformen Störung,
2. Durchführung einer psychiatrischen Untersuchung unter, wenn erforderlich, Einschluss neurologischer und allgemeinmedizinischer Untersuchungen,
3. Erarbeitung, Einleitung und Überwachung eines Behandlungsplans durch den primär behandelnden Arzt ggf. unter Hinzuziehung von anderem qualifiziert medizinischen Personal.
4. Unterstützung der psychischen Stabilität des Patienten in der z.T. als bedrohlich erlebten Atmosphäre des Krankenhauses.
Die Absicht der folgenden Zusammenstellung ist es, Handreichungen zu liefern für die Entwicklung
von Prinzipien und Praktiken der Konsiliartätigkeit im Allgemeinkrankenhaus.
Da jeder Patient in seiner Krankheit die individuelle Aufmerksamkeit des Arztes benötigt, können
diese Leitlinien nicht als allgemein verbindliche Richtlinien medizinischer Praxis im Konsiliardienst angesehen werden. Sie sollen als Abriss des Kenntnisstandes bzw. Ausbildungsstandes angesehen werden, der üblicherweise erforderlich sein wird, um eine kompetente ärztliche Patientenversorgung zu gewährleisten. Sicherlich wird in vielen Fällen ein grösseres klinisches Wissen im Sinne
von Spezialwissen erforderlich sein. Basiswissen, aber auch Spezialwissen, wird sich mit zunehmenden Weiterentwicklungen im Bereich der klinischen Kenntnis und Praxis entwickeln (APA
1995).
Das allgemeine Basiswissen, die publizierte Literatur über therapeutische Interventionen und zu
erwartende Ergebnisse sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich haben derart zugenommen, und auch international zu einem Kern einheitlicher klinischer Praxis geführt, dass ein
ausreichender klinischer Konsensus angenommen werden kann, um Praxisleitlinien zu erarbeiten.
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Definitionen:
Konsiliarpsychiatrie ist der Bereich der Psychiatrie, der sich mit der Versorgung von Patienten mit
somato-psychischer Krankheit beschäftigt. Der Konsiliarpsychiater integriert Wissen über den somato-psychisch kranken Patienten unter einer biopsychosozialen Perspektive: d.h., physiologisches
bzw. pathophysiologisches Wissen über körperliche Dysfunktionen gehört ebenso zu seinem
Kenntnisstand wie Wissen über psychosoziale Bedingungen.
Der Konsiliarpsychiater muss umfassende Kenntnis besitzen über körperliche neurologische Krankheiten und ihre Beziehung zu abnormem Krankheitsverhalten. Er muss in der Lage sein, eine multiaxiale Diagnosestellung durchzuführen, um auf dieser Grundlage einen effektiven Behandlungsplan
zu entwickeln. Er muss eine ausreichende Ausbildung erfahren haben bzw. ausreichende klinische
Kenntnis erworben haben, sowohl hinsichtlich psychotherapeutischer als auch psychopharmakologischer Interventionen. Er muss Kenntnisse besitzen über das Spektrum juristischer Erwägungen,
wie sie im Bereich einer zunehmend technisierten Welt im Allgemeinkrankenhaus immer üblicher
werden. die Implementierung z.T. komplexer Behandlungspläne durch ein multidisziplinäres Team,
bzw. deren Supervision, macht es erforderlich, dass sich der Konsiliarpsychiater seiner beruflichen
Herkunft als Arzt gewiss ist (Saupe & Diefenbacher 1996, Diefenbacher 1998).
Obwohl sich die vorgelegte Bearbeitung der Leitlinien wesentlich auf den Konsens einer Expertengruppe gründet, wird versucht, sich soweit wie möglich an den Vorschlägen der AWMF zur "Erarbeitung von Leitlinien für Diagnostik und Therapie" zu orientieren.
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TEIL 1
I. SOMATOPSYCHISCHE PROBLEMFELDER, QUALIFIKATIONEN DES
PSYCHIATRISCHEN KONSILIARIUS, PERSONALAUSSTATTUNG VON
PSYCHIATRISCHEN KONSILDIENSTEN
A. Risikopopulationen und Fallidentifikation
Wir können davon ausgehen, dass im Allgemeinkrankenhaus ca. 30% der dort wegen einer körperlichen Grunderkrankung behandelten Patienten auch an einer psychischen Störung leiden (Arolt
1997).
Bei 10% aller Patienten liegt ein Delir vor, mit einer Zunahme in der Population der über
60jährigen. Körperliche Symptome, die nicht durch eine körperliche Erkrankung erklärt werden
können, treten bei einem signifikanten Anteil der Bevölkerung auf. 50% dieser Patienten haben eine
gleichzeitige Diagnose einer affektiven Störung – Depression oder Angst. Die Kosten, die diese
Patienten mit einer somatoformen Störung dem Gesundheitswesen verursachen, sind (bezogen auf
die USA) neunmal höher als der nationale Durchschnitt (Shaw 1991). Zwei Drittel der Patienten,
welche die medizinischen Dienste überdurchschnittlich oft in Anspruch nehmen, leiden an einer
psychischen Erkrankung. 23% an einer Depression, 22% an einer Angsterkrankung, 20% an einer
somatoformen Störung (Katon 1992).
Das Vorliegen einer Depression ist ein besserer Prädiktor hinsichtlich der Inanspruchnahme von
ambulanten medizinischen Diensten als eine andere Erkrankung (Linn 1982). Das Vorliegen einer
psychiatrischen Störung ist nachgewiesenermassen ein guter Prädiktor einer verlängerten Krankenhausliegedauer (Fink 1992, Fulop 1987, Thomas 1988).
Interventionsstudien
Interventionsstudien weisen in die Richtung, dass z.B. ältere Patienten mit Oberschenkelhalsfrakturen von einer psychiatrischen Screening-Untersuchung dahingehend profitieren, dass sie weniger
Zeit im Krankenhaus liegen müssen und dass sie bei Entlassung eher wieder nach Hause gehen als
in einem Pflegeheim untergebracht zu werden (Strain et al. 1991). Eine Liaisontätigkeit mit einer
erhöhten Fallidentifikation, mit frühzeitiger psychiatrisch-psychotherapeutischer Intervention und
Behandlung führte zu einer deutlichen Abnahme der Notwendigkeit von Verlegungen von allgeAPM-Guidelines (Übersetzung und Bearbeitung, Arbeitsgruppe der DGPPN, Diefenbacher & al.)
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meinmedzinischen auf psychiatrische Stationen (Vaz 1996). Patienten mit alkoholbedingten Erkrankungen profitieren von einer Beratung durch speziell ausgebildete Pflegekräfte (Suchtberater)
bei einem Follow-up nach 12 Monaten (R.C.P. 1994).
Probleme in der Fallidentifikation
Nur ein geringer Teil der Risikopopulation hinsichtlich somato-psychischer Erkrankungen wird in
ausreichender Weise identifiziert und einer psychiatrischen Konsultation zugeführt. Der Anteil der
Patienten, die dem Konsiliarius vorgestellt werden, kann von Institution zu Institution deutlich variieren. Der durchschnittliche Anteil aufgenommener Patienten, der einer psychiatrischen Konsultation im Allgemeinkrankenhaus zugeführt wird, variiert zwischen 1 – 2% (Wallen 1987) bis zu 10%
(Vaz 1996). Bei geriatrischen Patienten wurde die Rate mit gerade eben 3% beschrieben. Gleichzeitig fanden sich in der letztgenannten Patientenstichprobe 36% solcher Patienten, die über 3 oder
mehr Risikofaktoren verfügten, die eigentlich zur Anforderung eines psychiatrischen Konsils hätten
führen sollen (Svigar 1992).
Im ambulanten Bereich zeigen die vorliegenden Untersuchungen eindeutig eine zu geringe Feststellung und Unterbehandlung von affektiven Erkrankungen durch Hausärzte (Ormel 1990, Sherbourne
1994). Darüber hinaus zeigt sich, dass die Diagnose allein im hausärztlichen Bereich nicht hinreicht, um auch eine effektive Behandlung zu liefern (Tiemens 1996). Eine erhöhte Fallidentifikation führt nur dann zu einer verbesserten Behandlung, wenn die Hausärzte sowohl die nötigen klinischen Erfahrungen und Kenntnisse, als auch die nötige Zeit besitzen, um geeignete Interventionen
in ihrem Praxis-Setting durchzuführen.
Folgende wichtigen psychosozialen Probleme werden im allgmein-medizinischen Setting selten
diagnostiziert:
-
Substanzmissbrauch
-
Depression (Steward 1993, Smals 1994).
-
Gewaltanwendung im häuslichen Bereich, aber auch sexueller Missbrauch.
-
Angst
-
Zwang.
Andere Patienten, die als Risikopopulation einzustufen sind, sind jene, die nicht einer LandesSprache mächtig sind und bei denen es auf Grund sprachlicher oder soziokultureller Unterschiede
den behandelnden Ärzten schwer fällt, vorliegende psychopathologische Störungen adäquat zu diagnostizieren (Collins 1992). Weitere Risikopopulationen sind z.B. Patienten auf Intensivstationen
oder im Bereich der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (Bronheim 1994).
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Grundsätzlich gibt es zwei Modelle zur Fallidentifikation psychischer Erkrankungen im Allgemeinkrankenhaus bzw. für die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung solcher Patienten (Prinzipien der Konsiliar- bzw. Liaisonpsychiatrie; Strain 1996). Im Liaisonmodell ist der Konsiliarpsychiater mehr als ein blosser "Feuerwehrmann", der lediglich in Notsituationen tätig wird. Er klinkt
sich vielmehr in das medizinische Team ein, um dort hinsichtlich psychologisch auffälliger oder
psychiatrischer Probleme zu sondieren. Dies stellt einen Unterschied zum üblichen standardmässigen medizinischen Überweisungsmodell dar, wo der Konsiliarpsychiater darauf wartet, zu einem
vom primär behandelnden Arzt identifizierten Fall hinzugerufen zu werden. Das Liaisonmodell zielt
vielmehr auf die möglichst frühe Entdeckung möglicher Probleme in der Behandlung oder im Umgang mit Patienten, die sich auf eine psychische Störung oder Verhaltensauffälligkeit zurückführen
lassen (strategischer Ansatz).
Als Mitglied eines multidisziplinären Behandlungsteams kann der Liaisonpsychiater an Stationsvisiten teilnehmen und dort Verhaltensauffälligkeiten oder Besonderheiten des Patienten, aber auch
des behandelnden Personals thematisieren. Zentraler Bestandteil dieses Liaisonmodells ist die Ausbildung nichtpsychiatrischer Ärzte und die Unterstützung des nichtpsychiatrischen Pflegepersonals
hinsichtlich des Zusammenhangs von medizinischen und psychiatrischen Auffälligkeiten unter Bezug auf die spezielle Erkrankung eines speziellen Patienten. Der Konsiliarpsychiater verbindet sowohl Konsiliar- aus auch Liaisonaktivitäten um einen integrierten biopsychosozialen Ansatz für die
medizinische Versorgung des Patienten zu erleichtern.
Die Vorteile von Liaisonpsychiatrie für Patienten und auch Behandler setzen allerdings voraus, dass
der Konsiliarpsychiater ausreichend Kenntnis der Theorie und Praxis des Liaisonmodells besitzt
und dass er in der Lage ist, ein Liaisonprogramm in seinem eigenen Praxissetting zu implementieren. Letzten Endes führen Liaisonmodelle unvermeidlich zu einer erhöhten Aufmerksamkeit des
medizinischen Teams hinsichtlich somatopsychischer Auffälligkeiten, was zu einer früheren und
häufigeren Feststellung bzw. Entdeckung solcher Patienten mit psychiatrischen Problemen führt.
Weitere Forschung muss hier zeigen, dass psychiatrische Interventionen einen positiven Effekt in
dieser Risikopopulation aufzeigen können, die bislang häufig unentdeckt bleiben. Wichtige Aspekte
der Forschung sollten verbesserte Erkennung incl. frühzeitiger Erkennung von psychiatrischen Erkrankungen bei allen Patientenpopulationen sein.
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Leitlinie
Jedes Krankenhaus ist verantwortlich für eine ständige medizinische Weiterbildung seines allgemeinmedizinischen Personals hinsichtlich möglicher psychologischer oder psychosozialer Konsequenzen von Krankheit und Krankenhausbehandlung. Besonderes Augenmerk muss auf die Notwendigkeiten für die Indikationsstellungen für eine psychiatrische Konsiliaruntersuchung gelegt
werden. Gebiete, die hierbei besonders berücksichtigt werden sollten, sind auf Grund ihres häufigen
Auftretens:
-
Substanzmissbrauch,
-
Delir,
-
affektive Erkrankungen,
-
Suizidalität, suizidale Krisen,
-
Angst.
Die für den psychiatrischen Konsiliar-Liaisondienst verantwortlichen Abteilungen sollten, wenn
nötig, versuchen, engere Zusammenarbeit (Liaison-Service) zu etablieren mit solchen medizinischen Abteilungen, die sich auf Gebiete mit hoher Prävalenz an somatopsychischen Störungen spezialisiert haben , wie z.B.

Abteilungen mit einem hohen Anteil geriatrischer Patienten,

Dialyse-Einrichtungen, Intensivstationen

Onkologie,

Aids-Infektionsabteilungen,

Verbrennungseinheiten,

Transplantationseinheiten.
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II. QUALIFIKATIONEN DES PSYCHIATRISCHEN KONSILIARIUS UND
INDIKATIONEN FÜR DIE ANFORDERUNG EINES KONSILS
A.
Ausbildung und Qualifikation des Konsiliarius
Im Gesundheitswesen sind letztlich eine ganze Reihe von Berufsgruppen in mehr oder weniger
starkem Ausmass an der psychosozialen Betreuung sowohl von Patienten im stationären als auch im
ambulanten Bereich beteiligt. Grundsätzlich muss gelten, dass für
-
die korrekte Evaluation des psychischen Zustandes eines Patienten, der an einer schweren
körperlichen Erkrankung leidet,
-
die korrekte Beschreibung des vorliegenden Problems und die Stellung einer Diagnose,
-
und für die Organisation und Durchführung eines adäquaten und möglichst erfolgreichen
Behandlungsplans,
eine umfassende Ausbildung mit Erwerb spezieller klinischer Fertigkeiten erfolgt sein sollte. Wenn
möglich sollte während der Facharztweiterbildung ein definierter Zeitraum für den Erwerb psychiatrischer Fertigkeiten im Grenzgebiet der Psychiatrie zu den anderen somatischen klinischen Fächern
über die Neurologie hinaus erworben werden können.
Neben den üblicherweise während der Facharztweiterbildung erworbenen psychiatrischen Kenntnissen und Fähigkeiten sollte ein besonderer Schwerpunkt einer solchen Ausbildung in den Bereichen der Diagnostik, Psychotherapie, Pharmakotherapie und juristischer Aspekte in der Patientengruppe der körperlich kranken Patienten liegen.
Der Konsiliarius sollte mit den Routineabläufen im allgemeinmedizinischen Bereich vertraut sein
und Kenntnisse der üblichen Behandlungsabläufe bzw. Verläufe häufiger körperlicher Erkrankungen besitzen.
Der Konsiliarius sollte sich auf dem Laufenden halten, hinsichtlich aktueller Entwicklungen medizinischer Diagnostik, der Therapien und der pharmakologischen Entwicklungen im nichtpsychiatrischen Bereich.
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Der Konsiliarius sollte Bescheid wissen über die Auswirkungen körperlicher Erkrankungen bzw.
von Pharmaka auf das Verhalten eines Patienten, insbesondere dann, wenn es hier zu Interferenzen
mit der Stellung einer Diagnose und der Etablierung eines Behandlungsplanes kommt.
Einerseits soll sich der Konsiliarius als "Patientenanwalt" verstehen, d.h. er soll den Patienten als
Person innerhalb des Krankenhaussystems unterstützen – andererseits muss der Konsiliarius aber
auch berücksichtigen, dass es im Verhältnis von Behandlungsteam und Patienten zu Schwierigkeiten kommen kann, welche die korrekte Durchführung einer Behandlung beeinträchtigen können.
Vermutlich wäre es im besten Interesse des Patienten, wenn ein Arzt oder eine Ärztin, welche die
nötige klinische Erfahrung besitzt, um einen kompetenten Behandlungsplan zu erstellen, als Konsiliarius/-a arbeiten würde. Andererseits ist es sicherlich auch akzeptabel, wenn ein konsiliarisch tätiges Team, das aus mehreren Angehörigen unterschiedlicher Berufsgruppen zusammengesetzt ist,
die sich in ihren Fertigkeiten und Fähigkeiten ergänzen, diese Aufgaben übernehmen. Ein solches
multidisziplinäres Team sollte allerdings unter der Leitung eines (Konsiliar-) Psychiaters stehen.
Fähigkeiten, über die der Konsiliarius verfügen muss:
-
Beurteilung von Medikamentenwirkungen, UAW und Medikamenteninteraktion, insbesondere
psychotrope Wirkungen nichtpsychotroper Pharmaka,
-
Psychopharmakotherapie bei körperlich Kranken,
-
Anamneseerhebung unter Berücksichtigung des medizinischen Settings,
-
Durchführung einer kursorischen neurologischen Untersuchung,
-
Beurteilung des Suizidrisikos bei körperlich Kranken,
-
Test- und neuropsychologische Untersuchungen (Indikationsstellung),
-
Berücksichtigung familiärer Aspekte,
-
Kenntnis von Stressoren im Allgemeinkrankenhaus (dabei insbes. Wissen über Verlauf und
Behandlung von körperlichen Erkrankungen),
-
Einsatz psychotherapeutischer, insbes. konfliktzentrierter Verfahren,
-
Umgang mit agitierten Patienten,
-
psychiatrisch-psychotherapeutische Schmerzbehandlung,
-
Entzugsbehandlung,
-
Berücksichtigung juristischer Aspekte,
-
Berücksichtigung ethischer Aspekte,
-
Indikationen zur Verlegung auf eine psychiatrische Station, bezw. in eine psychiatrische Klinik
(z.B. Vermeidung des sog. Misplacement bei dementen Patienten)
-
Entlassungsplanung und Planung ambulanter Weiterbehandlung.
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Es ist klar, dass sowohl ein einzelner Konsiliarpsychiater, aber auch eine Gruppe von konsiliarisch
tätigen Angehörigen der medizinischen oder psychosozialen Berufe diese Fähigkeiten vermutlich in
überwiegend unterschiedlichem Ausmass beherrschen. Sicherlich können Gruppen unterschiedlicher professioneller Spezialisierung eingesetzt werden, um einen gegebenen Patienten zu behandeln, und sicherlich ist für bestimmte Patienten oder Patientengruppen nicht die Beherrschung sämtlicher der oben genannten Fähigkeiten erforderlich. D.h. je nach dem konsiliarpsychiatrisch zu versorgenden Setting bzw. der zu versorgenden Patientenpopulation wird die konkrete Anpassung der
Dienstleister hinsichtlich ihrer Fähigkeiten zu erfolgen haben.
Grundsätzlich sollte aber festgehalten werden, dass ein Konsiliarpsychiater, der eine spezielle Strecke als Ausbildung in diesem Bereich durchgemacht hat, am qualifiziertesten sein dürfte und daher
auch am effektivsten in diesem Bereich arbeiten können wird. Effektivität muss hier auch heissen,
dass der Konsiliarpsychiater in der Lage ist, den medizinischen Kollegen, die ja über keine gesonderten psychiatrischen Erfahrungen verfügen, sein Vorgehen möglichst kompetent und nachvollziehbar vermitteln zu können. Dies betrifft insbesondere folgende Punkte:
-
Erarbeitung der korrekten psychiatrischen Diagnose unter Berücksichtigung der vorliegenden körperlichen Erkrankung
-
Durchführung der bestmöglichen Kombination von Psychotherapie und Pharmakotherapie
-
Berücksichtigung juristischer Aspekte, vor allem aber auch die Fähigkeit, Konflikte zwischen Behandlungsteam und Patient zu lösen, wie sie nicht ganz so selten im Krankenhausbereich vorkommen.
Dies weist auf das Problem der oft mangelnden Konkordanz hin, oder mit anderen Worten, einer
nicht selten anzutreffenden mangelnden Compliance der Stationsärzte, die dazu führt, dass die vom
Konsiliarpsychiater vorgeschlagenen Strategien nicht oder nicht adäquat umgesetzt werden. Da dies
schnell zu Unmutsäusserungen gegenüber der Psychiatrie als solcher, bzw. zu einer Haltung führt,
die den Beitrag des Konsiliarpsychiaters ohnehin nicht für nützlich hält, ist diesem Bereich besondere Beachtung zu schenken.
Die Leitung eines Konsildienstes muss auf jeden Fall von einem Facharzt durchgeführt werden, der
auch spezifische Erfahrung im Konsiliarbereich haben sollte. Idealerweise könnte ein solcher Facharzt gegen Ende seiner Facharztausbildung in einer längere Rotation (z.B. 2 – 6 Monate) im Konsilbereich tätig gewesen sein, oder er sollte über grössere klinische Erfahrung im nichtpsychiatrischen
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Bereich verfügen, wobei insbesondere die Bereiche Innere Medizin, Neurologie oder Geriatrie zu
nennen wären.
Für Ausbildungszwecke wäre es hilfreich, wenn ein überwiegend für den Konsildienst zuständiger
Facharzt sich um 1 – 2 Facharztkandidaten während einer solchen Rotation kümmern würde.
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Leitlinien
Minimalanforderungen, die als Grundlage für die Erlaubnis, Konsile im Allgmeinkrankenhaus
durchzuführen, vorliegen sollten.

Ein psychiatrisch-psychotherapeutischer Konsiliardienst muss von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie geleitet werden.

D.h. eine Abteilung, die auf den Einsatz von Laien für die Betreuung psychosozial bedürftiger Patienten zurückgreift (so begrüssenswert dieser Ansatz insgesamt ist) kann nicht den
Anspruch erheben, hierdurch eine ausreichende konsiliarische Versorgung hinsichtlich des
psychosozialen Bereichs vorhalten zu können.

Wünscht eine medizinische Einrichtung den Einsatz eines externen psychosozialen Konsiliarius, so sollte die eigentlich für den Konsiliardienst zuständige psychiatrische Abteilung,
wenn vorhanden, vom Krankenhausträger um einen Kommentar gebeten werden, wenn es
sich bei diesem Konsiliarius um einen nicht dem Krankenhaus angehörigen Kollegen handelt.

Als Konsiliarii tätige Personen, die nicht dem Krankenhaus oder der Einrichtung als Angestellte angehören, sollten mit dem Träger des Krankenhauses bzw. der Einrichtung einen Vertrag abschliessen, und nicht nur mit der speziellen Abteilung, in der sie tätig werden.
Spezielle Anforderungen an den Konsiliarpsychiater

Mindestens sechsmonatige Tätigkeit als Konsiliarius unter Supervision eines erfahrenen
Konsiliarpsychiaters (Äquivalente möglich)

Mindestens 36 dokumentierte Patientenkontakte (neue Patienten) unter direkter Supervision
Als Supervisor (Ausbilder tätiger Konsiliarpsychiater)
Der Konsiliarpsychiater, der Ausbildungsaufgaben übernimmt, sollte nach Erhalt seines
Facharztes für ca. 1 Jahr mindestens halbtags im Konsiliar-/Liaisonbereich tätig gewesen
sein.
Er sollte während dieser Zeit ca. 100 verschiedene Patienten dokumentiert haben.
Es wäre wünschenswert, wenn der als Supervisor tätige Konsiliarpsychiater einer nationalen
oder internationalen Organisation angehörte, in der Fragen der Konsiliarpsychiatrie regelmässig thematisiert werden, dies als wesentlicher Beitrag für die Qualitätssicherung.
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B.
16
Indikationen für eine Konsultation
Mögliche Indikationen für eine Konsultation werden in der folgenden Tabelle aufgeführt.
Gründe/Indikationen, die von aktuell vorhandener psychischer Auffälligkeit ausgehen:
1.
Depression
2.
Angst/Panik
3.
Agitiertheit/anhaltender Unmut, Dysphorie
4.
Bizarres/unerklärbares Verhalten/Mutismus
5.
Psychosen/Halluzinationen/Wahnbildungen
6.
Alkoholmissbrauch/Entgiftung
7.
Abhängigkeit/Drogenmissbrauch/Entzug/Intoxikation
8.
Aggressives/bedrohliches Verhalten
9.
Beurteilung von Suizidalität
10.
Diagnosestellung bei vermuteter psychischer Komponente
11.
Ess-Störung
12.
Trauer
13.
Verwirrtheit/Desorientiertheit/Delir
14.
Postpartale/perinatale Veränderungen
15.
Beurteilung der Verlegung auf eine psychiatrische Abteilung oder in eine Klinik
16.
Beurteilung einer psychotropen Medikation
17.
Medikamenteninduzierte Störungen/Medikamenteninteraktion
18.
Schlafstörungen
19.
Beurteilung oder Behandlung eines chronischen Schmerzsyndroms
20.
Hypochondrie/exzessive oder ungewöhnliche körperliche Klagen
21.
Simulation, Münchhausen-Syndrom
Indikationen, die von psychischen bzw. sozialen Hintergrundfaktoren ausgehen:
1.
Copingprobleme
2.
Familiäre Probleme
3.
Kindesmissbrauch/Missbrauch von Alten
4.
Interpersonelle/Partnerschaftsprobleme
5.
Beratungswunsch des Patienten
6.
Beurteilung einer Psychiatrischen Anamnese
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Version vom 26.05.98
Leitlinien Psychiatrisch-Psychothrapeutische Konsiliartätigkeit (Entwurf – nicht zur Publikation bestimmt!)
7.
Sexuelle Problematik/sexuelle Gewalt
8.
Themenkonflikte/Patientenkonflikte
9.
Soziale, schulische/berufliche Probleme (mit psychischer Komponente)
Gründe/Indikationen, die auf Routineuntersuchungen zurückgehen:
1.
Präoperativer Befund
2.
Untersuchungen im Rahmen der Liaisonpsychiatrie
3.
Screening bei High-Risk-Patienten (z.B. Dialyse, Transplantationen)
4.
Verlaufsuntersuchung des psychischen Befundes
5.
Vorabklärung vor bariatrischen Operationen
Gründe/Indikationen, die auf überwiegend juristischen Gründen beruhen:
1.
Ethische Konflikte/medizinjuristische Fragestellungen
2.
Einsichtsfähigkeit/Einwilligungsfähigkeit
3.
Noncompliance/Behandlungsverweigerung
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III. ORGANISATION UND PERSONELLE AUSSTATTUNG VON CL-DIENSTEN
A. Versorgungsbedarf und Zeitaufwand
Aussagen über den angenommenen Bedarf an CL-psychiatrischer Versorgung in somatischen Klinikabteilungen haben zu erstaunlich hohen Zahlen geführt: Befragte internistische Chefärzte
(Steuber u. Müller 1983) nannten für ihre Klientel eine Prävalenz von 28% psychiatrischpsychosomatischer Störungen. Prävalenzstudien für psychische Störungen an internistischen und
chirurgischen Krankenhauspatienten ergaben im Durchschnitt Raten von über 30% (Arolt 1997).
Die tatsächliche Inanspruchnahme von CL-Diensten liegt aber deutlich niedriger: Eine Literaturübersicht von Hengeveld et al. (1984) referiert aus 42 internationalen Arbeiten für den Anteil
somatischer Klinikpatienten, die psychiatrisch gesehen werden, Zahlen zwischen 0,5 und 9,6%.
Für die deutschsprachigen Länder liegen beispielsweise Raten von 2,1% für die Universitätsklinik
Innsbruck, von über 3% für die Universitätsklinik Bern (Wildbolz 1982) und von 2,2% bei etwa
33.000 jährlichen Aufnahmen für das Städtische Klinikum Karlsruhe (Breitmaier 1994) vor.
Es wird vorgeschlagen, der Planung von CL-Diensten an Allgemeinkrankenhäusern eine zu erwartende Inanspruchnahmerate von 5% aller Aufnahmen zugrunde zu legen. Auf jeden Fall sollte
entsprechend der Empfehlung der DGPPN (1997) für 200 bis 300 pro Jahr anfallende Konsile 1
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie zur Verfügung stehen.
Zur Bestimmung des Zeitaufwandes CL-psychiatrischer Tätigkeit müssen die besonderen Eigenarten und Erfordernisse dieses psychiatrischen Settings in Betracht gezogen werden:

Die Konsil-Anforderung wird in der Regel schriftlich formuliert. In vielen Fällen ist aber
ein persönliches oder telefonisches Vorgespräch zur Klärung von Ausgangssituation,
Fragestellung und Erwartungen notwendig.

Das Aufsuchen des Patienten auf der Station ermöglicht das Gespräch mit den somatischen Kollegen, Mitgliedern des Pflegeteams, Zimmernachbarn und besuchenden Angehörigen sowie das Gespräch mit dem Patienten in seiner derzeitigen Umgebung und ist
deshalb in vielen Fällen dem Einbestellen in das Arbeitszimmer des CL-Psychiaters –
zumindest für den Erstkontakt – vorzuziehen.
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
19
Das Studium von Krankengeschichte und Pflegebericht sowie technischen Untersuchungsbefunden ist unabdingbare Voraussetzung für die vollständige Wahrnehmung
der Situation des Patienten.

Für das eigentliche diagnostisch-therapeutische Gespräch mit dem Patienten muss
dieser häufig erst geholt, muss ein geeigneter, möglichst ungestörter Raum gefunden
werden.

Das Konsil muss schriftlich formuliert und wird in der Regel dem anfordernden Kollegen, ggf. den Pflegemitarbeitern, vorab mündlich erläutert.

Jeder CL-Kontakt muss – den Erfordernissen der Qualitätssicherung gemäss - dokumentiert werden.
Zu Planungszwecken sollte von einer Stunde als erforderlichem mittleren Zeitaufwand pro
erstem Konsil-Kontakt ausgegangen werden.
Ein Auftrag an den Konsil-Psychiater ist nur in den wenigsten Fällen mit einem Kontakt zufrieden
stellend zu erfüllen: Der Patient mit z.B. einem akut aufgetretenen organischen Psychosyndrom,
muss im Verlauf nachuntersucht, die Wirkung der empfohlenen Medikation muss überprüft, gegebenenfalls muss eine Dosisänderung angeraten werden. Der Patient mit Problemen bei der Bewältigung einer malignen Erkrankung braucht unter Umständen über die gesamte Frist der stationären
Behandlung psychotherapeutische Begleitung; und auch die diagnostische Klärung und Vereinbarung der weiteren Behandlung bei einem psychosomatischen Störungsbild ist in der Regel nicht in
einem einzigen Gespräch zu leisten.
Unter weniger als optimalen personellen Bedingungen wurden 1993 am Klinikum Karlsruhe immerhin 11% der Konsil-Patienten zwei-, 2% drei- und weitere 2% mehr als dreimal gesehen; sehr
viel häufiger war aber eine Wiedervorstellung für wünschenswert gehalten und angeraten worden
(Breitmaier 1994).
Wir gehen davon aus, dass pro CL-Kontakt im Regelfall ein bis zwei, in Einzelfällen mehr,
Nachfolge-Kontakte erforderlich und der personellen Ausstattung von CL-Diensten zugrunde zu legen sind.
Wenn in speziellen Settings Betreuungs-Gutachten geschrieben, Verlegungen oder ambulante
Weiterbehandlungen organisiert oder andere sich aus dem Konsil ergebende Folgeaufgaben erledigt werden müssen, dann sollte dies als zusätzlicher Zeitaufwand zu den o.g. Vorgaben hinzu
gerechnet werden.
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Die für CL-Dienste erforderlichen ärztlichen Personalstellen (in grösseren Diensten ggf. zusätzlich für Pflegekräfte, Sozialarbeiter, Psychologen) dürfen nicht dem stationären Personalschlüssel der entsendenden psychiatrischen Institution entnommen, sondern müssen separat entsprechend dem Konsilaufkommen der anfordernden Abteilungen aus deren Pflegesätzen finanziert werden.
B. Kontinuität der Versorgung und Verfügbarkeit des Dienstes
Um effektiv mit somatischen Kollegen kooperieren zu können, sollte der CL-Psychiater die von
ihm versorgten Kliniken mit ihren institutionellen Charakteristika ebenso gut kennen wie die dort
tätigen ärztlichen, pflegerischen und anderen Mitarbeiter. Umgekehrt gilt, dass er selbst dort bekannt und akzeptiert sein sollte. Für das Gelingen dieser Arbeit ist eine gemeinsame Sprache Voraussetzung; das Ringen um diese erfordert intensiven und längerfristigen Austausch der Kooperationspartner.
Es ist zu fordern, dass CL-Dienste mit hoher personeller Kontinuität betrieben werden.
Psychische Störungen im Allgemeinkrankenhaus treten oft unvorhersehbar auf, haben den Charakter von Notfällen oder sind jedenfalls für die dort Tätigen unverständlich, irritierend und stören das
Setting. Häufig erfordern sie die prompte persönliche oder telefonische Verfügbarkeit des CLPsychiaters.
CL-Dienste müssen, um die von den Auftraggebern erwartete Unterstützung zu bieten,
prompt und zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar sein. Ausreichend können dies am
ehesten Dienste leisten, die im Rahmen einer psychiatrischen Abteilung/Institution direkt am
Allgemeinkrankenhaus installiert sind. Wo CL-Dienste an Allgemeinkrankenhäusern ohne
psychiatrische Abteilung/Institution organisiert werden sollen, muss dies nach denselben
Leitlinien erfolgen. Es kommen in solchen Fällen folgende Modelle in Frage:

Der CL-Dienst wird von einer benachbarten psychiatrischen Fachklinik organisiert, u.U. in Gestalt von zeitweise ans Allgemeinkrankenhaus zugeteilten Mitarbeitern.

Das Allgemeinkrankenhaus baut in eigener Regie einen CL-Dienst auf, der mit
Fachärzten ausgestattet ist.
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
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Der CL-Dienst wird, wie zur Zeit in vielen Fällen, von niedergelassenen Psychiatern
versehen.
Insbesondere in den beiden letztgenannten Fällen erfordert die CL-psychiatrische Tätigkeit die
Möglichkeit des Zugriffs auf die Ressourcen stationärer psychiatrisch-psychotherapeutischer Institutionen (Verlegungsmöglichkeiten).
Eine Vernetzung jedes CL-Dienstes in Richtung einer kompetenten Nutzung und Kooperation mit ambulanten Behandlungs- und Hilfsmöglichkeiten ist unerlässlich und hat, wo immer
möglich, Priorität vor einer stationären Versorgung.
C. Qualifikation der Mitarbeiter, Weiterbildung im Rahmen der Facharztausbildung
und Supervision
"Die Konsiliarpsychiatrie ist ein Spezialgebiet, für
das der Psychiater nicht ohne weiteres kompetent
ist." (TÖLLE 1990)
CL-Dienste müssen mit Spezialisten mit abgeschlossener Weiterbildung und CL-spezifischer
Erfahrung und Kompetenz besetzt bzw. von diesen geleitet werden. Diese Tätigkeit kann
nicht "nebenbei" oder gar nach Feierabend geleistet werden, sie muss vielmehr ihrem Zeitaufwand entsprechend als Teil der regulären Aufgaben eingeplant werden.
Die Schweiz. Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) hat die hier erforderliche
Spezialkompetenz zur Kenntnis genommen und dieser Tatsache Rechnung getragen, indem sie für
die Weiterbildung im Fach "Psychiatrie und Psychotherapie" den Erwerb eingehender Kenntnisse,
Erfahrungen und Fertigkeiten in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Konsil- und Liaisonarbeit vorgeschrieben hat. Die CL-Psychiatrie ist damit also Pflichtstation in der Weiterbildung psychiatrisch-psychotherapeutischer Assistenzärzte geworden.
In ambulanten psychiatrisch-psychotherapeutischen Institutionen, bzw. Fachkrankenhäusern mit CL-Dienst, sollen Assistenzärzte in Weiterbildung unter fachlich qualifizierter Anleitung und Supervision in die CL-Arbeit einbezogen werden.
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LITERATUR
Breitmaier J: Psychiatrie im Allgemeinkrankenhaus – Erfahrungen aus der konsiliar-psychiatrischen Tätigkeit. Vortrag
im PLK Schussenried vom 24.2.1994 (unveröffentlicht).
DGPPN (1997) Die Behandlung psychischer Erkrankungen in Deutschland. Positionspapier zur aktuellen Lage und
zukünftigen Entwicklung. Springer: Berlin Heidelberg New York
Diefenbacher A (1998) Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie. In: Helmchen et al. (hrsg.) Psychatrie der Gegenwart. Bd II
(in press)
Hengeveld MW, Rooymans HGM, Vecht-Van den Bergh R: Psychiatric Consultations in a Dutch University Hospital: A
Report on 1814 Referrals, Compared with a Literature Review. General Hospital Psychiatry 6, 1998. 271-279.
Steuber H, Müller P: Psychisch Kranke in einem internistischen Krankenhaus – Ergebnisse einer Umfrage. Psychiatrische Praxis 9, 1983. 20-23.
Tölle R: Konsiliar-Psychiatrie im allgemeinen Krankenhaus. Dt. Ärzteblatt 87, 1990. B-2494-B-2496.
Wildbolz A: Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie – ein Beitrag zum ganzheitlichen Denken in der Medizin? Schweizer
Archiv für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie 131, 1982. 81-88
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TEIL 2 EVALUATION UND INTERVENTION
A. Grund der Überweisung
Häufig wird traditionellerweise sowohl die Angabe des Grundes als auch die Anmeldung einer
konsiliarpsychiatrischen Untersuchung dem verantwortlichen Stationsarzt überlassen. In Institutionen mit etablierter liaisonpsychiatrischer Tätigkeit innerhalb einer internistischen oder chirurgischen Abteilung kann der psychiatrische Konsiliarius die Erlaubnis haben, alle Patienten zu kontaktieren, ohne dass eine besondere Anfrage des für den Patienten direkt verantwortlichen Arztes
vorliegt.
Auch sog. "Routine-Konsultationen" können für das Wohlergehen eines Patienten bedeutsam
sein, wenn das deklarierte Ziel für die konsiliarpsychiatrische Untersuchung ein wesentlich
schwerwiegenderes, dem Anforderer aber unerkannt bleibendes Problem verdecken kann. Ein
Patient, der als zurückgezogen auffällt, kann so tatsächlich suizidal sein. Unkooperative Patienten
mit mässiger Erregung können an einem verkannten Delirium leiden. Jede Verzögerung bei der
Abklärung und Diagnose dieser Störungen kann schwerwiegende Folgen für den Patienten haben.
Der CL-Psychiater hat eine zentrale Rolle in der Evaluation von Patienten, die weitere Behandlung
ablehnen und den Wunsch äussern, sterben zu dürfen. Ohne fundierte psychiatrische Abklärung
kann es vorkommen, dass Patienten wegen einer inadäquaten Schmerztherapie, einer verkannten
und nicht behandelten Depression oder wegen einer fatalistischen Haltung gegenüber ihrer Krankheit vor dem Hintergrund einer mangelhaften Information den schnellen Tod wünschen, weil sie
keine geeignete Behandlung bekommen.
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Leitlinien
Bereits bei der Bekanntgabe der soziodemographischen Daten des Patienten und des Grundes für
die konsiliarpsychiatrische Untersuchung durch den primär verantwortlichen Arzt soll der psychiatrische Konsiliarius mit dem Zuweiser festlegen, mit welcher Dringlichkeit die psychiatrische
Untersuchung durchgeführt werden soll (d.h. sofort, am gleichen Tag oder innerhalb der nächsten
24 Stunden).
Der Patient muss vom anfordernden Arzt über die geplante psychiatrische Untersuchung informiert werden.
Ausnahmen von dieser Regel sind möglich, ggf. bei suizidalen oder tätlichen Patienten oder bei
Patienten, die eine potentielle Bedrohung für Mitpatienten oder Personal darstellen, sowie bei akut
psychotischen oder deliranten Patienten.
Abklärung von Risikopatienten als Routinemassnahme im Rahmen der medizinischen Diagnostik und Therapie. Unter bestimmten Umständen können internmedizinische oder chirurgische Einrichtungen/Abteilungen routinemässig eine psychiatrische Abklärung von Patienten vorsehen.
Beispielsweise verlangen oft Abteilungen, auf denen Patienten hospitalisiert werden, die einer
Herz-, Leber-, Lunge- oder Nierentransplantation unterzogen werden sollen, dass diese Patienten
eine eingehende psychiatrische Abklärung erhalten. Entsprechende Verträge werden zwischen
diesen Einrichtungen und dem Konsiliar- und Liaison-Dienst verfasst. Diese Verträge können
zwischen verschiedenen Institutionen unterschiedlich abgefasst werden. Dennoch wird vorausgesetzt, dass der primär verantwortliche Arzt den Patienten informiert, wenn eine Untersuchung
durch den psychiatrischen Konsiliarius durchgeführt werden soll. Es hat sich gezeigt, dass eine
psychiatrische Konsiliaruntersuchung aller Patienten in derartigen spezialisierten Einrichtungen
von Vorteil für die Patienten ist, so dass eine routinemässige Untersuchung gefördert werden sollte. Analoges gilt für den Einbezug des Psychiaters in der Routine-Vorabklärung vor bariatrischen
Eingriffen (zB. Magenband u.ä.).
Abklärung der Patienten, die auf eigenen Wunsch nach einem Psychiater verlangen. Jeder
Patient, der mit einem Psychiater zu sprechen verlangt, soll erst untersucht werden, nachdem der
primär verantwortliche Arzt sich über dessen Gründe informiert und ein Konsil angefordert hat.
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Notfallkonsultationen. In Notfällen (siehe weiter im Abschnitt über Notfallkonsultationen) kann
eine psychiatrische Konsultation nicht nur von Ärzten, sondern auch von nichtmedizinischem Personal (z.B. Pflegeperson, Sozialarbeiter, Ergotherapeut) angefordert werden, welches unmittelbare
Verantwortung für den Patienten trägt. Der psychiatrische Konsiliarius soll möglichst rasch auf das
Krankenzimmer bzw. die Abteilung kommen, soll aber vorgängig sicherstellen, dass der Patient
bis zu seinem Erscheinen eine geeignete und kontinuierliche Aufsicht bekommt.
B. Notfallkonsultationen
Es existieren keine Richtlinien, die festlegen, welche Zustandsbilder in Allgemeinkrankenhäusern
als psychiatrische Notfallsituationen zu gelten haben. Die Einordnung eines Falles als Notfall findet eher vor dem Hintergrund der Beurteilung des primär verantwortlichen Arztes statt, welcher
befindet, dass der Patient eine unmittelbare psychiatrische Untersuchung benötigt. Meist wird eine
Notfallsituation bei Patienten angenommen, bei denen Suizidalität vermutet wird oder die erregt
sind oder bei Patienten mit beträchtlichen kognitiven Störungen, entweder durch psychotrope Substanzen oder im Rahmen bestimmter Syndrome (z.B. Delir). Darüber hinaus wird eine psychiatrische Notfalluntersuchung veranlasst bei psychotischen, gewalttätigen oder solchen Patienten, welche die ärztlich empfohlene Behandlung ablehnen oder ggf. auch bei Patienten, die eine Entlassung entgegen dem ärztlichen Rat verlangen.
Somatische Erkrankungen finden sich häufig bei suizidalen Patienten, insbesondere neurologische
Störungen, Karzinome, HIV-Infektion oder AIDS, Delirium oder dialysepflichtiges Nierenversagen. Während die Feststellung der Verhaltensauffälligkeit, welche die Grundlage für Nachfrage
nach psychiatrischen Notfalluntersuchung darstellt, unmittelbar gelingt (z.B. Erregung, Psychose,
Rückzugstendenz, mentale Konfusion), erfordert die genaue ätiologische Zuordnung der nachgewiesenen Störung vom Konsiliarius profunde Kenntnisse bezüglich der Ätiologie und Diagnose
der kognitiven Störungen. Dazu gehören u. a. Nebenwirkungen der verordneten Medikamente,
psychische Symptome und psychopathologische Zeichen, die als direkte Manifestation einer somatischen Krankheit auftreten können. Darüber hinaus sind Kenntnisse über die Abklärung suizidaler
oder gewalttätiger Patienten erforderlich sowie das Beherrschen der Behandlung der Drogen- und
Alkoholintoxikation bzw. des Entzugssyndroms.
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Leitlinie
Die Verfügbarkeit für psychiatrische Notfälle muss 24-stündig gewährleistet sein, sei es auf Abruf
des psychiatrischen Konsiliarius, sei es als ein integrativer Aspekt der Notfallversorgung des
Krankenhauses oder im Rahmen einer anderen vertraglichen Regelung.
Abklärung der akut erregten Patienten. Ein psychiatrischer Konsiliarius soll rund um die Uhr
erreichbar sein zwecks Abklärung eines jeden Patienten, der akut erregt wird, sofern die Erregtheit
nicht vom primär zuständigen Arzt ausreichend kontrolliert werden kann. Die Abklärung schliesst
in solchen Fällen eine sorgfältige Erwägung der somatischen Ätiologie der Erregtheit ein, wie
beispielsweise eine Intoxikation, ein Entzugssyndrom oder toxisch-metabolische Störungen infolge von kardiopulmonalen, endokrinen bzw. neurologischen Störungen. Eine enge Zusammenarbeit
zwischen dem primär verantwortlichen Arzt und dem psychiatrischen Konsiliarius ist in solchen
Fällen unerlässlich hinsichtlich der Diagnostik und Behandlungsrichtlinien der vorliegenden Verhaltensstörung.
Abklärung der Patienten mit suizidalen oder fremdgefährdenden Gedanken. Jeder Patient,
der suizidale oder homozidale Gedanken äussert, soll vom psychiatrischen Konsiliarius untersucht
werden. Das schliesst Patienten ein, die solche Gedanken dem Abteilungspersonal, der eigenen
Familie oder Mitpatienten mitgeteilt haben. Sollte der psychiatrische Konsiliarius nicht unmittelbar verfügbar sein, muss er geeignete Vorsichtsmassnahmen empfehlen, wie beispielsweise die
Beaufsichtigung des Patienten bis zu seinem Eintreffen.
Im Rahmen der Notfalluntersuchung können Empfehlungen bezüglich therapeutischer Interventionen in folgenden Situationen erforderlich sein: (1) medikamentöse Sedierung, (2) kontinuierliche
Aufsicht (Sitzwache), (3) Abklärung einer medizinisch begründeten Behandlung gegen den Willen
des Patienten (z.B. bei fehlender Urteilsfähigkeit), (4) psychiatrische Zwangsmassnahmen (z.B.
Einweisung auf eine geschlossene psychiatrische Station), (5) Beratung eines Notfallteams einschliesslich Pflegepersonal, Sicherheitspersonal oder andere, und (6) sonstige psychiatrische Interventionen (z.B. Krisenintervention bei Bezugspersonen von plötzlich Verstorbenen, z.B. bei Unfallopfern).
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C. Konsiliarpsychiatrische Untersuchung und Befunddokumentation
1.
Anamneseerhebung
Da die Konsilanforderung selten auf Wunsch des Patienten selbst zustande kommt, der Pat. möglicherweise sogar dem Konsiliarpsychiater gegenüber zunächst eine ablehnende Haltung einnimmt, muss der psychiatrische Untersucher es in besonderem Masse verstehen, den Patienten
innerhalb kurzer Zeit zur Mitarbeit zu gewinnen. Am besten wird der Patient anfangs gebeten,
kurz die (somatische) Vorgeschichte des jetzigen stationären Aufenthaltes zu schildern, falls erforderlich auch wichtige Veränderungen oder Erlebnisse während des Aufenthaltes. Ein Patient im
Krankenhaus befindet sich immer in der Situation einer körperlichen Gefährdung und spürt das
zumeist auch. Wenn der Patient seine somatische Anamnese ernst genommen sieht und zunächst
deren psychischen Implikationen nachgegangen wird, wird auf dieser Schiene – vom somatischen
zum psychischen – in aller Regel auch das Erheben einer psychiatrischen Anamnese möglich sein.
In der folgenden Tabelle, die sich an den "Leitlinien zur psychiatrischen Untersuchung Erwachsener" der American Psychiatric Association orientiert (APA 1995), sind alle Punkte einer umfassenden psychiatrischen Untersuchung aufgeführt. Obgleich der Untersucher das vollständige
Schema im Kopf hat, werden sowohl Untersuchung als auch schriftlicher Befund flexibel auf die
Fragestellung zugeschnitten.
Tabelle. Abschnitte der klinischen Untersuchung:
1. Grund der Untersuchung
2. Anamnese der gegenwärtigen Erkrankung
3. Psychiatrische Anamnese
4. Allgemein-körperliche Anamnese
5. Suchtmittelanamnese
6. Biographische Anamnese einschl.
a) frühkindliche und kindliche Entwicklung
b) soziale und berufliche Anamnese
7. Familienanamnese
8. Vegetative Anamnese
9. Körperlicher Status
10. Psychischer Status unter bes. Berücksichtigung kognitiver Befunde
11. Beurteilung des globalen Funktionsniveaus
12. Anwendung ausgewählter Testverfahren
13. Verhaltensbeobachtung während des Interviews
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Ein paar wichtige Punkte gibt es, die über das "Übliche" der psychiatrischen Untersuchung hinausgehen und die bei der konsiliarpsychiatrischen Untersuchung besonders bedacht werden müssen:
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 Der angegebene Grund der Konsiliar-Anforderung muss abgeklärt werden. Dafür sollte der Kon-
siliarpsychiater in jedem Fall Kontakt mit demjenigen aufnehmen, der das Konsil angeregt hat.
Das gilt besonders für den Fall, wenn der Konsilanforderer (z.B. Stationsarzt) nicht derjenige ist,
der das auffällige Verhalten selbst beobachtet hat.
 Geklärt werden sollte auch, inwieweit der Wunsch nach einem Konsil vom Patienten selbst ausging und natürlich, ob der Patient über das Konsil informiert wurde. Manchmal verbirgt sich hinter dem angegebenen Grund des Konsils ein ganz anderer, "eigentlicher" Grund, etwa wenn der
Patient zum Index eines Konfliktes innerhalb des Behandlungsteams wird. Gelegentlich wird
auch versucht, eigene Zuständigkeiten (z.B. unterstützende Zuwendung im Anschluss an eine Diagnosemitteilung) an den Konsiliarpsychiater zu delegieren. Es ist deutlich zu betonen, dass eine
ganzheitliche Herangehensweise von jedem Arzt gleich welcher Fachrichtung zu fordern ist,
diesbezügliche Defizite sind nicht vom Konsiliarpsychiater zu kompensieren. Er ist nicht der
Facharzt für "humanitäre Medizin".
Überdurchschnittlich häufig bekommt es der Konsiliarpsychiater mit organisch verursachten oder
mitverursachten Psychosyndromen zu tun. Eine besonders eingehende Kenntnis der cerebralen Auswirkungen somatischer Faktoren einschl. der psychischen Arzneimittelwirkungen nichtpsychiatrischer Pharmaka ist erforderlich.
 In diesem Zusammenhang kommt der Evaluation und der differentialdiagnostischen Bewertung
kognitiver Defizite im konsiliarpsychiatrischen Setting eine besondere Bedeutung zu. Eine einfache Prüfung kognitiver Einzelfunktionen (Zusammenstellung bei Saupe und Diefenbacher, 1996)
kann, im Kontext des psychopathologischen Gesamtbefundes interpretiert, differentialdiagnostische Entscheidungshilfe geben.
 Ebenfalls über den üblichen psychiatrischen Standard hinaus geht die Beurteilung, ob ein vorhandenes Schmerzsyndrom ausreichend behandelt wird: Im Zirkel Schmerz – Depressivität –
Angst – Senkung der Schmerzschwelle müssen sowohl die somatischen als auch die psychischen
Wirkfaktoren ausreichend berücksichtigt werden. Der Schmerzanamnese ist die Schmerzmittelanamnese an die Seite zu stellen. Nicht überflüssig zu erwähnen ist, dass auch das "klagsame"
und "demonstrative" Verhalten eines Schmerzpatienten auf ein - in welcher Hinsicht auch immer
- noch ungenügend behandeltes Schmerzsyndrom hinweist.
 Eine besondere Bedeutung kommt der Beurteilung eines möglichen Substanzmissbrauchs zu.
Suchtmittelanamnese, letzter Suchtmittelstatus, anamnestische Absetzphänomene sollten
ebenso erfragt werden wie verstärkter Substanzgebrauch unter Stress. Bei bestehendem Ver-
dacht auf Mißbrauch oder Abhängigkeit sollten neben den laborchemischen auch die entAPM-Guidelines (Übersetzung und Bearbeitung, Arbeitsgruppe der DGPPN, Diefenbacher & al.)
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sprechenden toxikologischen Untersuchungen durchgeführt und dokumentiert werden. Es sollte
in jedem Fall versucht werden, ein vorhandenes Sucht- oder Abhängigkeitsproblem dem Patienten als eigenständig zu behandelnde Störung bewußt zu machen.
Im konsiliarpsychiatrischen Bereich muß besonders berücksichtigt werden, inwieweit eine bestehende psychische Symptomatik durch ungenügende Coping-Ressourcen für die bestehende somatische Grunderkrankung bedingt ist, inwieweit sie also als Anpassungsstörung zu werten ist. Hinweise hierauf liefert die Anamnese des Copingverhaltens bei zurückliegenden Erkrankungen, Krankenhausaufenthalten und allgemeinen Stressoren. Manchmal muß, weil von Angehörigen und vom
Pflegepersonal somatischer Stationen leicht tabuisiert, eine einschneidende Verletzung des körperlichen Selbstwertgefühls aktiv erfragt werden, vor allem im Zusammenhang mit chirurgischen
Eingriffen. In solchen Fällen gilt es, die zugrundeliegende Selbstwertdysregulation in den notwendigen Trauerprozeß (i.S. eines Rollenwechsels) zu übersetzen. Falls Suizidalität vorliegt, wird aktiv
nicht nur nach zurückliegenden Suizidversuchen, sondern auch nach aggressiven Impulsdurchbrüchen gefragt.
Gelegentlich wird der Konsiliarpsychiater auch nach der Prognose des zukünftigen Copingverhaltens gefragt. Hier ist es, über die Copinganamnese hinausgehend, wichtig, inwieweit außerhalb der
Klinik protektive Faktoren bestehen (Vertrauensverhältnis zum weiterbehandelnden Arzt, Unterstützung durch Familienangehörige, Social Skills u.a.), inwieweit der Patient selbst konkrete Gründe für Genesung bzw. Weiterleben angeben kann. Vor allem hinsichtlich der psychiatrischen Problematik sollte der Konsiliarpsychiater in einem solchen Fall, falls nicht bereits vorhanden, konkrete
Empfehlungen zur Weiterbehandlung und Nachsorge - bei wem, wie oft etc. - geben. Je höher das
aus der Coping-Anamnese ablesbare Risiko, desto genauer sollte die Weiterbehandlung geplant und
empfohlen werden.
Vor allem im Rahmen der Coping-Einschätzung verdient die Beurteilung von Persönlichkeitsvariablen besondere Beachtung. Hier wird man sich besonders der prämorbiden Persönlichkeit zuwenden
und nötigenfalls eine psychologische Persönlichkeitsdiagnostik anschließen.
Bei der Beurteilung und Einschätzung von Suizidalität schließlich spielt eine wichtige Rolle die
Unterscheidung von Selbsttötungsimpulsen, etwa im Rahmen einer Depression und (nachvollziehbaren) Todeswünschen bzw. Todesphantasien, die im Zusammenhang mit der körperlichen Grunderkrankung stehen. Mit dem Patienten den Unterschied herauszuarbeiten, ob er seinem Leben oder
seinem Leiden aktiv ein Ende setzen möchte, kann einen therapeutischen Ansatz bieten. Hier direkt
nach den eigenen Vorstellungen des Patienten über die Krankheit, über den Verlauf und die Prognose zu fragen, kann durchaus dazu führen, kognitve Verzerrungen auf Seiten des Patienten zu korrigieren. Hierfür muß der Konsiliarius natürlich genug über den jeweiligen Krankheitsverlauf und die
spezifischen Behandlungsmöglichkeiten wissen.
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Auch aus juristischen Gründen wird der Konsiliarius geholt, um die Einsichts- und Einwilligungsfähigkeit des Patienten zu prüfen. Das ist nicht zuletzt deshalb notwendig, um auch die „Ablehnungsfähigkeit” des Patienten zu objektivieren und, in diesem Fall, ihn dabei zu unterstützen, Behandlungsgrenzen zu setzen.
2.
Neurologische Untersuchung
Stationäre Patienten werden bei der Aufnahme körperlich untersucht. Der Konsiliarpsychiater muß
den Untersuchungsbefund, insbesondere den neurologischen Befund, kennen; in Abhängigkeit von
den Ergebnissen des psychiatrischen Interviews kann sich hier durchaus die Notwendigkeit einer
neuerlichen körperlichen oder neurologischen Untersuchung ergeben mit resultierender Notwendigkeit weiterführender Diagnostik. Im Idealfall führt diese – zumindest kursorisch - der Konsiliarpsychiater durch, oder er regt eine entsprechende fachärztliche Untersuchung an.
3.
Psychischer Befund
Der psychische Befund stützt sich auf das Verhalten und Erleben des Patienten während der Zeit des
direkten Kontaktes zum Untersucher. Ziel der Befunderhebung ist es nicht nur, ein psychopathologisches Syndrom zu beschreiben, sondern auch, Krankheitsbewußtsein und Behandlungsbereitschaft zu dokumentieren und schließlich einen Behandlungsplan zu erstellen. Die Elemente des
konsiliarpsychiatrischen Befundes unterscheiden sich nicht von denen einer sonstigen psychiatrischen Befunderhebung, daher werden im folgenden lediglich die Elemente aufgeführt, die im medizinischen Setting eine besondere Gewichtung erhalten:
Krankheitseinsicht
a)
Krankheitsbewußtsein und Behandlungsbereitschaft
b)
Einsichtsfähigkeit bezüglich Nutzen und Risiken der Behandlung
Kognitive Funktion:
a)
Bewußtsein
b)
Orientierung
c)
Aufmerksamkeit und Konzentration
d)
Sprachkompetenz
e)
Merkfähigkeit
f)
Gedächtnis
g)
Kalkulatorische Fähigkeiten
h)
Praxie (visuell-konstruktive und Handlungsfunktionen)
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i)
j)
k)
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abstraktes Denken
intentionale Fähigkeiten
Urteilsbildung
Die Ausführlichkeit bei der Beurteilung der kognitiven Funktionen wird in Abhängigkeit von der
jeweiligen Fragestellung variieren.
4.
Der schriftliche Befund
Obwohl die ausführliche Konsiliaruntersuchung alle Teilbereiche beachten sollte, wird der schriftliche Befund am besten kurz gehalten und fragestellungsorientiert zugeschnitten. Die Krankenakte
ist allerdings ein juristisch relevantes Dokument, so daß der Konsiliar sich auch unter diesem Aspekt
das, was er niederschreibt, sorgfältig überlegen sollte. Vermieden werden müssen auf alle Fälle Abkürzungen, psychiatrischer Jargon und alle Formulierungen, die für den anfordernden Spezialisten
des anderen Fachgebiets unverständlich und verwirrend sind. Die Krankendokumentation ist potentiell gesetzmäßig zugänglich für Versicherungen, Staatsanwaltschaft und Gerichte, Krankenhauskommissionen etc., teilweise auch für den Patienten selbst. Auch für diese Gruppen muß das Dokument nachvollziehbar sein. Optimal wird die Information vom Konsiliarius so strukturiert sein, daß
sie zu Zwecken der Datenverarbeitung in Katamneseuntersuchungen, Forschung allgemein und zu
Zwecken der Qualitätssicherung genutzt werden können. Zu Beginn des durchstrukturierten Konsultationsbefundes sollte überschriftartig ein kurzes Statement vorhanden sein, am besten vom Anforderer selbst formuliert, in dem kurz und knapp der gegenwärtige Zustand des Patienten und der Grund
für die Konsilanforderung zusammengefaßt werden. Der Befund selbst wird mit „psychiatrische
Konsultation” übertitelt; Name (N), Dienstbezeichnung (EN) und Unterschrift (UN) des Konsiliarius
und evtl. beteiligter Mitarbeiter müssen lesbar vorhanden sein. Datum der Konsultation muß, die
aufgewendete Zeitdauer kann vermerkt werden.
Ausdrücklich vermerkt werden sollte, wenn andere Informationsquellen als der anfordernde Arzt, die
Krankengeschichte oder das Patienteninterview benutzt werden. Die niedergeschriebene Anamnese
der gegenwärtigen Erkrankung sollte nur solche Daten aus Vorgeschichte, stationärem Verlauf, allgemeinmedizinischer Vorgeschichte, nur solche wahrscheinlichen Stressoren und solche Labordaten
etc. aufführen, die von signifikanter Bedeutung für die Zusammenfassung, die Diagnose oder die
Behandlungsempfehlung sind. Ausführlicher dokumentiert wird der objektive psychische Befund
und, wenn durchgeführt, der körperlich/neurologische Befund. Kurz und stichhaltig werden schließlich Zusammenfassung einschl. Diagnose und Behandlungsempfehlung gegeben.
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Klare Statements, wann und von wem eine Wiedervorstellung oder (psychiatrische) Behandlung
durchgeführt wird, sind schon deswegen wünschenswert, weil im allgemeinmedizinischen Setting
Angst und Unsicherheit hinsichtlich des verhaltensauffälligen Patienten eher hoch sind. Der Konsiliarius sollte auch zumindest den Versuch machen, die Ergebnisse der Konsultation dem anfordernden Arzt mündlich mitzuteilen; er sollte seine Tel.-Nr. hinterlassen für evtl. Wiedervorstellungen oder Nachfragen.
5.
Zusammenfassung und Diagnose
Die Zusammenfassung (Formulation) stellt oftmals den schwierigsten Teil des Konsultationsprozesses dar. Die gelungene Zusammenfassung (Synopsis) versucht, diejenigen Motive und Grundkonflikte mit zu erfassen, die dem beobachtbaren Verhalten des Patienten zugrunde liegen und den
multiaxialen Diagnosen, welche letztere oft nur die Oberflächenzeichnung bilden, in ihrer dynamischkognitiv-interpersonellen Komplexität vertieft zu beschreiben. Eine Zusammenfassung, die
Informationen über diese tieferen Schichten mit einbezieht, trägt entscheidend zur Erstellung eines
individuellen Behandlungsplans bei. Wenn eine solche Zusammenfassung schlüssig erarbeitet werden kann, sollte sie in den schriftlichen Befund mit aufgenommen werden. Allgemeine Spekulationen hingegen über Psychodynamik, kognitive Zustände und zwischenmenschliche Beziehungen
sollten unterbleiben.
Der Konsiliarius sollte die Diagnosen nach dem multiaxialen System der ICD-10 (WHO 1993) ordnen. Wenn eine psychiatrische Diagnose (Achse 1 A) zum Zeitpunkt einer ersten Konsultation nicht
sichergestellt werden kann, sollte das vermerkt werden. Ebenso die Notwendigkeit einer evtl. erneuten Diagnostik im Verlauf. Die Kennzeichnung einer Diagnose als vorläufig kann hinzugefügt werden. Wenn der Konsiliarius der Meinung ist, die Symptome könnten für verschiedene Diagnosen
oder für eine Kombination sprechen, können die Differentialdiagnosen aufgeführt werden. Auf Achse I B sollten nur die ein oder zwei körperlichen Hauptdiagnosen aufgeführt werden, vornehmlich
diejenige mit der größten Relevanz für Störungen auf Achse I
Signifikante körperliche und psychologische Stressoren können dann auf Achse III und das Gesamtfunktionsniveau auf Achse II verschlüsselt werden, wenn sie für den Behandlungsplan relevant
sind. Falls das nicht der Fall ist oder der Konsiliarius der Meinung ist, daß ihre Aufführung für den
anfordernden Arzt unvertraut oder nicht von Nutzen ist, sollten sie unterbleiben.
D.
Diagnostische Tests in der Konsiliarpsychiatrie
Die Konsiliar- und Liaison-Psychiater sind speziell qualifiziert um verschiedene psychiatrische Abklärungen bei Erkrankungen vorzunehmen, die somatische und psychiatrische Aspekte einschliessen. Der Konsiliar- und Liaison-Psychiater kann im Rahmen einer Abklärung zusätzliche somatische
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oder psychiatrische Untersuchungen benötigen, um in der Lage zu sein die Diagnose zu stellen oder
eine Behandlung zu empfehlen. Zusätzlich zu einem umfassenden klinischen Interview und einer
Prüfung der kognitiven Funktionen muß der Konsiliarpsychiater in der Lage sein, weitere spezielle
medizinische, insbesondere neurologische Abklärungen, bestimmte Laboruntersuchungen, psychologische oder neuropsychologische Untersuchungen in Auftrag zu geben.
Im Rahmen eines strukturierten klinischen Interviews kann der Konsiliarpsychiater den Gebrauch
von standardisierten diagnostischen Instrumenten für notwenig halten. Dazu können beispielsweise
gehören: eine Kurzabklärung der kognitiven Funktionen (z. B. Mini-Mental Status Examination
nach Folstein), Depressionsinventare (z. B. Depressions-Skala für geriatrische Patienten nach
Yesavage), Kurzinstrumente zur Abklärung des Alkoholmißbrauchs (z. B. CAGE oder MAST).
Spezielle Settings machen den Gebrauch geeigneter Skalen erforderlich.
Leitlinien
Der Konsiliar- und Liaison-Psychiater muß über den Nutzen und Einsatz folgender diagnostischer
Verfahren Bescheid wissen:
Den Gebrauch von standardisierten Instrumenten zwecks Ergänzung des diagnostischen Interviews
und Kurzverfahren zur Erfassung des Ausmaßes an psychiatrischer Komorbidität (z. B. MiniMental-Status-Examination, Hamilton-Depressions-Skala, Depressions-Skala für geriatrische Patienten, usw.);
Einleitung von zusätzlichen Untersuchungen im Rahmen der diagnostischen Abklärung von dementiellen Entwicklungen, wie VDRL, B12, Folsäure, HIV-Test, Computertomographie, MRI.
Indikationsstellung für bildgebende oder neurophysiologische Untersuchungen, die Auskunft über
hirnanatomische Verhältnisse geben, wie Computertomographie, Magnetresonanz, Elektroenzephalogramm, Positronen Emission Tomography (PET) oder Single Photon Emission Tomography
(SPECT);
Indikationen zur Durchführung von test- und neuropsychologischen Untersuchungen (z. B. MMPI,
Intelligenztest [z. B.HAWIE oder WIP], Zahlenverbindungstest Formen A und B, D 2, usw);
Der Konsiliar- und Liaison-Psychiater muß auf eine detaillierte Fallerörterung mit dem primär verantwortlichen Arzt vorbereitet sein. Von Fall zu Fall kann das ein Eintreten für chirurgische, medizinische, neurologische oder sonstige Zusatzuntersuchungen einschliessen, welche indiziert sind, um
eine offengelassene somatische Grundlage einer psychopathologischen Störung zu prüfen.
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F.
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Weiterbetreuung während der stationären Behandlung
Art, Häufigkeit und Notwendigkeit von Verlaufsuntersuchungen hängen meistens von der zu Beginn
gestellten Diagnose und den initialen Behandlungsvorschlägen ab. Regelmäßige Verlaufsuntersuchungen führen zu vermehrten konsiliarischen Konsultationen und helfen dabei, den Schwerpunkt auf besondere Interventionen zu legen und Kommunikationsabbrüche zwischen den konsiliarisch tätigen Ärzten und den Patienten zu vermeiden (Goldman et al., 1983). Verlaufsuntersuchungen können in unterschiedlicher Frequenz z. B mehrmals täglich oder gelegentlich erfolgen
(Lipowski, 1974). Da bestimmte konsiliarpsychiatrische Empfehlungen einen weiten Bereich diagnostischer und therapeutischer Interventionen einschließen können, sollte der Konsiliarius dem Patienten immer die notwendigen diagnostischen und therapeutischen Schritte transparent machen.
Art und Umfang der Betreuung während des Verlaufs sollte sich danach richten, was der konsultierende Arzt als klinisch relevant für das Wohlergehen seines Patienten einschätzt. Dazu gehören:
Thematisierung
von
falschem
Krankheitsverhalten,
der
Aufbau
einer
vertrauensvollen
Arzt-Patienten-Beziehung, Bewahrung vor Rückfall in alte Verhaltensmuster oder psychische Störungen sowie eine Verbesserung der Compliance mit wichtigen Behandlungsempfehlungen (Kunkel
& Thompson, 1996). In bestimmten Patientengruppen mit somatischer und psychiatrischer Komorbidität sind ein besserer psychosozialer Outcome, eine bessere Akzeptanz der körperlichen Krankheit und eine Abnahme der stationären Behandlungsdauer positiv korreliert mit häufigeren Kontakten zu Konsiliar- und Liasondiensten (Mayou, 1991; Fulop & Strain, 1991).
Leitlinien
Die Häufigkeit von Kontakten mit Konsiliar- und Liaisondiensten sollte abhängig sein vom klinischen Zustandsbild, der beruflichen Qualifikation der jeweiligen Ärzte, der Verfügbarkeit eines
Konsiliar- und Liaisondienst und anderer professioneller Helfer. Die Häufigkeit der konsiliarpsychiatrischen Kontakte können von Patient zu Patient variieren. Häufigere Kontakte benötigen die Patienten, die gegen ihren Willen untergebracht sind oder unter dauerhafter Beobachtung behandelt
werden, ferner agitierte Patienten, die potentiell gewalttätig oder suizidal sind, delirante Patienten
sowie akut-psychotische oder anderweitig psychisch instabile Patienten. Patienten, die gegen ihren
Willen behandelt werden oder in akuter Weise psychotisch dekompensiert sind, sollten innerhalb der
nächsten 24 Stunden mehrfach vom konsiliarischen Psychiater gesehen werden. Akut erkrankte Patienten, bei denen gerade eine medikamentöse Behandlung begonnen wurde, sollten solange täglich
gesehen werden, bis sie sich stabilisiert haben.
Lediglich eine einmalige psychiatrische Befunderhebung kann bei folgenden Indikationen sinnvoll
sein: Einschätzung der sozialen Kompetenz, psychiatrische Befunderhebung vor OrgantransplanAPM-Guidelines (Übersetzung und Bearbeitung, Arbeitsgruppe der DGPPN, Diefenbacher & al.)
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tationen, Patienten, die am selben Tag in stationäre psychiatrische Behandlung verlegt werden und
Patienten, die nach Empfehlung des Konsiliarius weniger psychosoziale Behandlungen benötigen
(Strain et al., 1990).
Alle Empfehlungen bezüglich der Einleitung neuer Behandlungsverfahren, der Konsultation anderer
Spezialisten, der Verlegung in andere psychiatrische Bereiche und/oder des Beginns oder Unterbrechung einer psychotropen Behandlung sollten immer im Hinblick auf ihre Konsequenzen geprüft werden, bis andere professionelle Gesundheitsdienste die Verantwortung für den Patienten
übernehmen können (Pasnau, 1985).
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G.
Überweisung, ambulante Weiterbehandlung und Beendigung der konsiliarpsychiatrischen Betreuung.
1.
Überweisung und Hinzuziehung anderer Konsiliarärzte.
Da psychische Störungen zusätzlich oder als Folge zahlreicher körperlicher Erkrankungen auftreten
(biopsychosoziales Modell, Miller 1972), sollte der Konsiliarpsychiater empfehlen, andere Spezialisten hinzuzuziehen, wenn in der Untersuchung Bedarf in Bezug auf spezifische andere Versorgungsaspekte deutlich wird.
Dazu gehören u.a. die Gebiete Neurologie, Schmerz, Substanzmißbrauch, Geriatrie. Ebenso kann es
angezeigt sein, andere Psychiater mit Spezialkenntnissen, z.B. in Verhaltensmedizin oder Elektrokrampftherapie hinzuzuziehen, oder Psychologen, Sozialarbeiter, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Seelsorger, Patientenvertreter oder Laienhelfer.
Leitlinie:
Ein Teil der diagnostischen und therapeutischen Aktivitäten im Rahmen eines psychiatrischen Konsils sollte die Empfehlung zur Hinzuziehung anderer ärztlicher und nichtärztlicher Spezialisten sein,
wenn es erforderlich erscheint.
Die zusätzlichen Konsile sollten durch den Konsiliarpsychiater angeregt werden. Falls angezeigt,
kann der Konsiliarpsychiater die Beendigung seiner Betreuung empfehlen, wenn ein anderer Spezialist für besser geeignet erachtet wird, die für den Patienten angemessene und notwendige Behandlung durchzuführen.
Wenn der Konsiliarpsychiater die Durchführung einer psychopharmakologischen Behandlung empfiehlt, sollte er die Betreuung des Patienten bis zum Ende des Krankenhausaufenthaltes bzw. dem
Ende der Medikation fortführen, auch wenn ggf. psychologische Hilfe von anderen Therapeuten
geleistet wird.
2.
Ambulante Weiterbehandlung und Weitervermittlung
Es liegt im Verantwortungsbereich des Konsiliarpsychiaters, wenn erforderlich, eine Empfehlung
zur ambulanten Nachbehandlung zu geben und diese sowohl mit dem Patienten als auch mit dem
zuständigen Behandler zu besprechen. Faktoren, welche die Weiterzuweisung eines Patienten bestimmen, sind die Art der Störung, die zum Konsil führte, sowie seine physischen, psychischen und
sozialen Ressourcen (Miller 1973). Nicht alle Patienten benötigen eine fortgesetzte psychiatrische
Behandlung nach der Krankenhausentlassung. Einige Patienten lösen die Probleme, die zum Konsil
führten, während des Krankenhausaufenthaltes. In einigen Fällen kann der Hausarzt die psychopharmakologische Behandlung weiterführen. Einige Patienten jedoch benötigen weitere ambulante
psychiatrische Behandlung.
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Der Konsiliarpsychiater sollte mit dem Hausarzt und Sozialarbeiter zusammenarbeiten, um die für
den Patienten beste ambulante Weiterbetreuung zu arrangieren.
Leitlinie:
Es liegt im Verantwortungsbereich des Konsiliarpsychiaters, Empfehlungen für die gegebenenfalls
notwendige ambulante Weiterbehandlung des Patienten zu geben und diese sowohl mit dem Patienten als auch mit dem behandelnden Arzt zu besprechen. Die Weiterbehandlung kann beim Konsiliarius selbst, bei einem anderen Psychiater oder in einer Institution innerhalb des Krankenhauses
oder bei einem Psychiater oder in einer Klinik in der Nähe des Wohnortes des Patienten stattfinden.
Soweit möglich, sollte die Zuweisung zu einem für den Patienten am besten geeigneten Behandlungssetting erfolgen.
3.
Beendigung der konsiliarischen Betreuung
Psychiatrische Behandlung für Patienten im Allgemeinkrankenhaus muß rund um die Uhr an jedem
Tag der Woche möglich sein. Das Ausmaß der Deckung dieses Bedarfs hängt von den vorhandenen
Ressourcen des jeweiligen Krankenhauses ab, sollte aber an diesem Standard orientiert sein. Im Fall
von Problempatienten, Patienten die engmaschiger Betreuung bedürfen und suizidalen Patienten,
sollte der Konsiliarpsychiater dies formell „anzeigen”- entweder schriftlich oder mündlich beim
verantwortlichen Behandler. Die Entscheidung zur Beendigung der psychiatrischen Mitbehandlung
sollte mit dem zuständigen Arzt besprochen werden. Der Patient kann im Erleben des regressiven
Sogs seiner körperlichen Erkrankung (Strain 1975) schon nach wenigen Besuchen eine starke Übertragung auf den Konsiliarpsychiater entwickeln. Die Beachtung dieses wichtigen Aspekts psychiatrischer Behandlung fordert, daß der Patient rechtzeitig auf die Beendigung der konsiliarischen Mitbetreuung vorbereitet wird. Es ist ebenso notwendig, daß der Konsiliarius seine eigene Gegenübertragung wahrnimmt, z.B. als einen Grund für fortgesetztes Engagement für einen Patienten (Muskin
1990). In einigen Fällen besteht kein aktueller Handlungsbedarf für den Konsiliarpsychiater, ein
Bedarf kann aber im Verlauf der Krankenhausbehandlung entstehen. Eine Absprache bezüglich der
dann erforderlichen Kontaktaufnahme sollte bereits beim Erstkonsil getroffen werden.
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Leitlinie:
Der Konsiliarpsychiater sollte die Beendigung seiner Mitbetreuung sowohl mit dem Behandler als
auch mit dem Patienten rechtzeitig besprechen. Fälle, die von Ärzten in Weiterbildung betreut werden, sollten vor der Beendigung zunächst mit dem zuständigen Supervisor besprochen werden.
Wenn erforderlich, sollte die psychiatrische Mitbehandlung fortgeführt werden. Um den Bedarf weiterer psychiatrischer Mitbehandlung festzustellen, sollte der Konsiliarius kontinuierlich den Nutzen
einschätzen, den die weitere Mitbehandlung gegenüber ihrer vorzeitigen Beendigung für den Patienten bringt (Muskin 1990).
Wenn der Konsiliarpsychiater die Entscheidung für Beendigung der Mitbetreuung getroffen hat,
jedoch erkennbar ist, daß seine Beratung zukünftig noch einmal notwendig werden könnte, sollte er
die zuständigen Behandler darauf hinweisen, zum gegebenen Zeitpunkt erneut den Kontakt aufzunehmen (z.B. zur angemessenen Überweisung am Entlassungszeitpunkt).
Wenn die Entscheidung zur Beendigung der konsiliarpsychiatrischen Mitbetreuung getroffen ist,
sollte dies mit den anderen beteiligten Behandlern und dem Patienten besprochen werden. Der Patient sollte ausreichend Zeit bekommen, um die mit der Beendigung der Mitbehandlung verbundenen
Fragen zu klären. Eine abschließende Notiz, wie der Konsiliarius bei Bedarf erreichbar ist, sollte in
den Patientenunterlagen hinterlegt werden.
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TEIL II
A.
Datenerhebung und Qualitätskontrolle
Ein Konsil durchzuführen und anschließend einen Eintrag in die Patientenunterlagen vorzunehmen, wird heutzutage nicht mehr als ausreichend angesehen. Sowohl für Verwaltungszwecke als
auch für die klinische Übersicht müssen Aufzeichnungen angelegt werden, z.B. auch als Beleg für
den Nachweis der eigenen Tätigkeit. Eindeutige Vorteile bezüglich der Klarheit, Aktualität und
der Qualität des Datenmanagements im Vergleich zu geschriebenen, oft unlesbaren Aufzeichnungen, haben computerisierte Aufzeichnungen.
Von jedem C+L Dienst sollte eine Übersicht über die gesehenen Fälle angelegt werden, um eine
Qualitätskontrolle zu gewährleisten. Dies kann einmal durch eine Übersicht über alle gesehenen
Fälle, z.B. über einen definierten Zeitraum von Woche, Monat o.ä. erreicht werden, oder man kann
auch die Übersicht über ein spezielles herausgehobenes Thema anlegen, z.B. über die Anzahl der
versuchten Suicide bei hospitalisierten Patienten und ähnlichem.
Alle unerwünschten Ereignisse (critical incidences) sollten sehr sorgfältig erfaßt werden, und sich
wiederholende Ereignisse sollten zentral gemeldet werden. Dadurch können verbesserungsbedürftige Problembereiche, z.B. Schulung von Mitarbeitern, Änderungen in Abläufen oder Veränderungen in der äußeren oder personellen Ausstattung leichter identifiziert werden.
Im US-amerikanischen Bereich hat die Konsilpsychiatrie die Bedeutung von computerisierten
Datenerfassungen gut demonstriert. Hier wurden EDV-Systeme zur Unterstützung der klinischen,
der Verwaltungsaufgaben sowie der Forschungs- und der Ausbildungsfunktionen des C+L Dienstes entwickelt. Einer der nützlichsten Effekte einer computerisierten Leistungserfassung des psychiatrischen C+L Dienstes ist die Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit des Dienstes zu demonstrieren, um so auch bessere Ausstattungen des Dienstes zu erreichen.
Zusätzlich muß berücksichtigt werden, daß bei der derzeitigen Betonung der Qualitätssicherung
eine computerisierte Datendokumentation eine erhebliche Unterstützung darstellt.
Leitlinie
Konsiliarpsychiater müssen ein System für regelmäßige interne Qualitätskontrollen für die Bereiche klinische Versorgung, Forschung und Ausbildung entwickeln. Aufzeichnungen müssen angemessen angelegt werden, sicher abgelegt werden und jederzeit für klinische- und Forschungszwecke zugänglich sein. Apsekte des Patientenschutzes (Schweigepflicht und Datenschutz) müssen
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gewährleistet bleiben. Computerisierte Datenerfassungen müssen heutzutage als effizienter und
zuverlässiger angesehen werden, sie sollten, wenn immer es möglich ist, eingeführt werden.
Speziell dem Konsiliarpsychiater werden oft sehr persönliche Informationen vom und über den
Patienten anvertraut. Unter dem Aspekt, daß die Aufzeichnungen der Krankengeschichte von sehr
verschiedenen Personengruppen gelesen werden, muß der Konsilpsychiater unter Umständen entscheiden, nur Ausschnitte der ihm zugänglichen Informationen dort zu dokumentieren, um die
Vertrauensbeziehung zum Patienten angemessen zu respektieren.
B.
Ethische Standards:
Alle Ärzte haben die primäre Pflicht, sich ethisch zu verhalten und die ethischen Dilemmas, die
aus ihrem Umgang mit dem Patienten entstehen, zu reflektieren. Dafür gibt es inzwischen diverse
Richtlinien.
Es ist eine spezielle Aufgabe des Konsiliarpsychiaters, die vielleicht nur latent geäußerten Absichten und Willenserklärungen eines Patienten zu verdeutlichen. Oft genug zeigen Patienten hinter
ihren offen gezeigten Äußerungen verdeckte gegensätzliche Wünsche und Willen. Der Konsiliarpsychiater muß sich sowohl um das Recht eines Patienten auf Behandlung kümmern, als auch
um sein Recht, eine Behandlung zu verweigern. Er muß seine Fähigkeit, einer Behandlung zuzustimmen, einschätzen können.
Der Konsiliarpsychiater kann im Rahmen seiner Tätigkeit in eine Vielzahl von ethischen Entscheidungskonflikten geraten. Er muß in Konflikten zwischen den Wünschen der anfordernden Stationen, der Klinikverwaltung und der Angehörigen des Patienten die zahlreichen Aspekte gegen einander abwägen und letztlich das Interesse des Patienten herausarbeiten und vertreten.
Leitlinien
Konsiliarpsychiater müssen die Kooperation mit den Mitarbeitern der körpermedizinischen Stationen suchen. Der Konsiliarpsychiater muß sich als Anwalt der u.U. nur versteckt artikulierten Wünsche des Patienten verstehen, diese klären und herausarbeiten. Der Konsiliarpsychiater muß Kenntnisse der medizinisch juristischen Aspekte seiner Tätigkeit haben, z.B. über die Willensfreiheit des
Patienten; über Aspekte des informierten Konsenses; über das Recht des Patienten, die Behandlung zu verweigern; ferner Kenntnisse im Betreuungsrecht u.ä.. Vom Konsiliarpsychiater
wird im körpermedizinischen Bereich erwartet, daß er einen Überblick über diese juristischen Aspekte hat. Insbesondere sollte der Konsiliarpsychiater in der Lage sein, die Fähigkeit des Patienten,
eine „wohlinformierte Zustimmung” zu einer Behandlung zu geben, zu überprüfen. Der Konsiliarpsychiater sollte sich in erster Linie als Anwalt der Willensfreiheit und Autonomie des Patienten
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Leitlinien Psychiatrisch-Psychothrapeutische Konsiliartätigkeit (Entwurf – nicht zur Publikation bestimmt!)
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verstehen und sollte in der Lage sein, notfalls für ihn Gutachten abzugeben und vor Gericht zu
erscheinen.
C.
Klinische Forschung:
Die C+L Psychiatrie ist durch ihre Mittelposition zwischen körpermedizinischen und psychiatrischen Erkrankungen in einer einmaligen Forschungsposition. Forschung sollte folgende Aspekte
verfolgen:
1.
Überprüfung verschiedener Versorgungsmodelle, z.B. Konsultations- versus Liaisonmodelle.
2.
Formulierung psychiatrischer und psychologischer Faktoren, die bei körpermedizinischen
Patienten Diagnose, Behandlung und den therapeutischen Verlauf komplizieren können.
3.
Erweiterung des Wissens bei speziellen Erkrankungen ( z.B. Aids ) oder bei speziellen Altersgruppen (z.B. geriatrischen Patienten ) oder in speziellen Problembereichen ( z. B.
Schmerz-, Psychotherapie bzw. Psychopharmakotherapie bei körpermedizinisch kranken Patienten ).
4.
Ausweitung der psychopharmakotherapeutischen Forschung auf andere Patientengruppen als
die psychiatrischen Patienten im engeren Sinne (körperlich krank mit psychiatrischer Comorbidität).
5.
Suche nach Wegen, die Lebensqualität von Patienten und ihre Zufriedenheit mit der körpermedizinischen Versorgung zu verbessern. Zusätzlich kann dabei auch unnötige Inanspruchnahme des medizinischen Systems vermindert werden.
CL-psychiatrische Forschung war über Fallstudien hin gekommen zum Gebrauch von standardisierten Instrumenten bei größeren Populationen. Zukünftige Forschung sollte repräsentative Stichproben in Krankenhäusern unter Einbeziehung von randomisierten und kontrollierten Studiendesigns beinhalten.
Bei der Durchführung konsiliarpsychiatrischer Forschung sollten folgende Überlegungen mit einbezogen sein:
1. Die Untersuchung bzw. die Intervention sollte dem Patienten sowohl emotional wie körperlich
zumutbar sein.
2. Die Sicherheit psychiatrischer Intervention sollte in Relation zu den Komplikationsraten ohne
psychiatrische Intervention überprüft werden.
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3. Die Schwierigkeit, psychiatrische Morbidität neben der akuten medizinischen Erkrankung objektiv und valide zu erfassen.
4. Entwicklung von validen und reliablen Instrumenten für pädiatrische aber auch erwachsene und
geriatrische Patienten, sowie für spezielle medizinische Risikogruppen.
5. Instrumente zur Differenzierung zwischen Symptomen körpermedizinischer Erkrankungen und
physiologischen Symptomen, die Teil der psychiatrischen Erkrankung sind.
6. Forschung im Bereich der Konsiliarpsychiatrie muß sich speziell mit den Problemen der „wohlinformierten Zustimmung” des Patienten auseinandersetzen. Der Konsiliarpsychiater wird in
der klinischen Praxis oft mit der Bitte gerufen, die kognitiven Möglichkeiten des Patienten zur
informierten Zustimmung zu einer Behandlung bzw. zur Behandlungsverweigerung zu prüfen.
Für die Teilnahme an klinischer Forschung muß die Fähigkeit des Patienten, eine Zustimmung
zu geben, durch eine Untersuchung der kognitiven Leistungsfähigkeit des Patienten überprüft
werden. Psychiatrische Komorbidität wie Demenz, Delir oder Depressionen beeinflussen die
Fähigkeit des Patienten der Teilnahme an Forschungen zuzustimmen. Gegenwärtig muß weiterhin die klinische kognitive Funktionsprüfung als sogenannter „goldener Standard” angesehen werden beim Vergleich mit jeder anderen Form standardisierter Ratingskalen die dazu dienen sollen, die Fähigkeit eines Patienten zur „wohlinformierten Zustimmung” zu beurteilen.
Leitlinien
Der Konsiliarpsychiater sollte mit speziellen Fragestellungen klinisch psychiatrischer Forschung
bei körpermedizinischen Erkrankungen vertraut sein und in diesem Bereich selber Forschungsstrategien entwerfen können. Dabei muß sich der Konsiliarpsychiater bei der Auswahl der Patienten
für Forschungszwecke strikt an die Regeln halten, welche die Freiwilligkeit des Patienten in Bezug
auf die Forschungsteilnahme regeln. Der Konsiliarpsychiater muß deshalb mit den Instrumenten
für die Erfassung der Zustimmungsfähigkeit eines Patienten gut vertraut sein.
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