Medieninformation "beWEGtE Palliativmedizin", 20.11.03 St. Vinzenz Holding, Wien Inhalt Schwerstkranke brauchen eine Lobby! Demoskopische Daten sprechen für sich: Bedarf an qualitativer Palliativmedizin steigt! Jährlich werden rund 500 Patienten stationär behandelt Umfrage „Palliativmedizin: Große Zustimmung jedoch kaum bekannt Buchpräsentation: „Palliativ bewegt – Wege in die Palliativmedizin“ Lebens- statt Sterbehilfe: Heilen manchmal, lindern oft, beistehen immer „Weshalb wurde das Buch „Bewegte Palliativmedizin Wege in die Palliativmedizin“ verfasst? Qualitätsstandards in der Palliativmedizin Forderungen, um diese Qualitätsstandards zu erreichen ...nach langer Suche angekommen ein Erfahrungsbericht Rückfragenhinweis: Mag. Gabriela Neumaier Leitung PR & Marketing St. Vinzenz Holding Büro: Langgasse 19, 4010 Linz Tel.: Handy: E-Mail: Website: 0732/7677 - 7700 0664/392 77 83 [email protected] www.vinzenzholding.at Schwerstkranke brauchen eine Lobby! Dr. Michael HEINISCH, Geschäftsführer der St. Vinzenz Holding Unheilbare und chronischen Erkrankungen steigen enorm. Damit ergibt sich auch ein wachsender Bedarf an Palliativmedizin! Demoskopische Daten sprechen für sich: Laut Statistik Austria sind 21,6% der Österreicher über 60 Jahre alt. Im Jahr 2030 werden dies bereits 32 % sein. In zwanzig Jahren wird es 400.000 Menschen geben, die über 80 Jahre alt sind! Mit dem Anstieg der Lebenserwartung ist auch eine Zunahme schwerer Erkrankungen verknüpft. Zudem steigen die Zahlen bei Karzinompatienten unabhängig vom Lebensalter. Zwei Drittel der Palliativpatienten in den St. Vinzenz Hospiz Stationen sind Karzinompatienten. Die St. Vinzenz Holding als konfessioneller Spitalsträger hat längst die „Not der Zeit“ erkannt und gilt als Pionier in der Palliativmedizin. Als größter österreichischer Anbieter im stationären Bereich behandeln wir in den 3 Palliativstationen jährlich rund 500 Patienten. - - Hospiz-Palliativstation St. Vinzenz am KH BHS Ried i. Innkreis Die Station St. Vinzenz wurde 1998 als erste derartige Einrichtung in OÖ eröffnet (10 Betten). Hospiz-Palliativstation St. Louise am KH der BHS Linz Die Station St. Louise wurde im Februar 2000 als erste derartige Einrichtung im Großraum Linz eröffnet (10 Betten). CS-Hospiz Rennweg Das CS-Hospiz wurde 1995 als eine der ersten stationären Palliativeinrichtungen in Österreich gegründet. Seit 1.1.2002 ist das Hospiz als Department der II. Medizinischen Abteilung des Krankenhauses der BHS Gumpendorf geführt (13 Betten). In einer Befragung hat die St. Vinzenz Holding erhoben, dass Palliativmedizin in der Österreichischen Bevölkerung kaum bekannt ist. Allerdings erfährt sie hohe Zustimmung. Das Ergebnis der im Auftrag der St. Vinzenz Holding durchgeführten ‚market‘-Umfrage: Nur ein Viertel der Bevölkerung behauptet mit dem Begriff Palliativmedizin etwas anfangen zu können. Erklärt man den Begriff erntet man hohe Zustimmung: Drei Viertel der Bevölkerung würde für sich oder einen nahen Verwandten diese Möglichkeit der medizinischen Behandlung in Anspruch nehmen. Rund 60% der Befragten sprechen sich sogar für eine Zweckbindung eines Betrages im Rahmen der Sozialversicherung aus. Um aufzuklären und Bewusstsein für Palliativmedizin zu schaffen, haben die Palliativteams der St. Vinzenz Holding den Ratgeber „Palliativ bewegt – Wege in die Palliativmedizin“ erarbeitet. Drei Palliativ-Teams (Palliativmediziner, Pflegepersonal, Therapeuten, Theologen, freiwillige PflegerInnen, Angehörige) haben in einjähriger Autorentätigkeit ihre Erfahrungen im vorliegenden Buch festgehalten. Erstmals in Österreich liegt damit ein praktischer Ratgeber und Leitfaden vor, der die Arbeit von in der Palliativmedizin Tätigen unterstützen und für Betroffene die Distanz zu diesem Thema überwinden soll. Der Erlös des Buches fliest den Palliativstationen zu. Menschen im letzten Lebensabschnitt – egal welchen Alters – haben keine Lobby. 2 Schwerstkranke Menschen sind „leise“ und werden in der Öffentlichkeit leicht „überhört“! Diese Menschen brauchen unsere Unterstützung, um in Würde gehen zu können. Mehr Öffentlichkeitsarbeit zur Enttabuisierung der Themen „unheilbare Erkrankung“ und „Sterbebegleitung“ ist notwendig. Das Gesundheitswesen darf nicht nur den Kranken dienen – auch die Sterbenden brauchen darin ihren Platz. Die Schaffung von Palliativstationen und mobilen Einrichtungen ist forciert fortzusetzen. Die Finanzierung der Palliativbehandlung muss kostendeckend sein und dem Betreuungsbedarf eines sterbenden Menschen entsprechen. 3 Heilen manchmal, lindern oft, beistehen immer: Lebens- statt Sterbehilfe Dr. Harald Retschitzegger, Leiter der Palliativstation St. Vinzenz, Ried i.I. Weshalb wurde das Buch „Palliativ bewegt – Wege in die Palliativmedizin“ verfasst: Bedeutsame palliativmedizinische Literatur liegt zum größten Teil in englischer Sprache vor. In den letzten Jahren erschienene deutschsprachige Publikationen zum Thema kamen nicht aus Österreich, was gerade bei den landesunterschiedlichen Namen der verwendeten Medikamente oft zu Schwierigkeiten in der Handhabung führte. Zielsetzung von „Palliativ bewegt – Wege in die Palliativmedizin“ Es wurde Wert auf die praktischen Anwendungsmöglichkeiten gelegt und soll die Palliativbetreuung in Österreich fördern helfen, als praktisch verwendbares Handbuch für den Gebrauch in der täglichen Arbeit dienen. Da das Buch ausschließlich von in der Palliativbetreuung tätigen Fachpersonen geschrieben worden ist, ist die praktische Anwendbarkeit gegeben – und von vielen Erfahrungen mit PatientInnen geprägt. Qualitätsstandards in der Palliativmedizin, die einzufordern sind: 1. Qualität der wirksamem Symptomkontrolle und Schmerzbekämpfung Symptom-orientiertes Handeln bedeutet nicht mehr die Beeinflussung der Grundkrankheit, sondern die Verbesserung der Lebensqualität. Voraussetzungen dafür sind o Frühzeitig palliativmedizinische Maßnahmen zu setzen – Sterbebegleitung ist nur ein Teil der Palliativmedizin o „Das Befinden ist wichtiger als der Befund.“ o Medizinische Kompetenz ist bis zuletzt wichtig und gefordert: Palliativmedizin braucht die Zuneigung, darf aber nicht mit „Händchenhalten“ verwechselt werden o Als Arzt behandeln und begleiten bis zuletzt. Palliatives Handeln vermeidet das Gefühl der „medizinischen Niederlage“ und einen damit oft verbundenen Rückzug aus der ÄrztIn – PatientIn - Beziehung o Heilen manchmal - Lindern oft - Beistehen immer ist Leitgedanke / Leitsatz in der Palliativmedizin o Palliativbetreuung ist Teamarbeit und könnte beispielgebend für alle medizinischen Fachrichtungen sein! Eine Reihe von Menschen in Österreich erleiden „unnötig“ Schmerzen! Viel Leid könnte durch Einsatz der vorhandenen Möglichkeiten zur Schmerzbekämpfung vermieden werden. In der Palliativstation Ried verlassen ca. 45 % der PatientInnen die Station, sobald ihre Schmerz- und Krankheitssymptome gelindert wurden. 4 2. Qualität der wahrhaftigen Gesprächsführung Wahrhaftige Haltung den PatientInnen gegenüber, das bedeutet, schwierigen Gesprächen nicht aus dem Weg zu gehen, sondern sich diesen zu stellen. PatientInnen wünschen sich Wahrhaftigkeit, wobei immer die wichtigste Frage ist, wie werden Botschaften ausgedrückt, vermittelt. Es ist festzustellen, dass damit auch die Erfahrung und Kompetenz des Mediziners angehoben wird. Das Einbeziehen der Angehörigen als Mit-Betroffene ist Teil der palliativmedizinischen Betreuung. 3. Qualität der Orientierung am Willen der PatientInnen / PatientInnenautonomie Mehr Einbeziehung der PatientInnen in Entscheidungen, zusätzlich den Teamkonsens bei Entscheidungen herbeizuführen und in schwierigen (Grenz)situationen gegenseitiges Verständnis für einander zu zeigen. 4. Qualität aktiver Lebenshilfe statt Sterbehilfe Der Sterbewunsch von Schwerstkranken ist ernst zu nehmen und kann an die Stelle des Lebenswunsches treten. o Durch gute Symptomlinderung wird der Gedanke an aktive Euthanasie praktisch immer sofort wieder zurückgenommen. o Bei Fragen nach Euthanasie genügt dem Menschen oft die verbindliche Zusage, nichts mehr zu tun, um das Sterben zu verhindern - auch wenn man nichts tut, um es zu verkürzen! 5 Um diese Qualitätsstandard flächendeckend zu erreichen bedarf es o der Zugangsgerechtigkeit Palliativmedizinische Versorgung darf nicht von finanziellen Möglichkeiten der Betroffenen abhängen; Palliativmedizin ist nicht teurer: Einsparungen an Kosten bei Diagnostik durch symptom- und PatientInnen orientiertes Vorgehen zugunsten von mehr persönlicher Zuwendung Familienhospizkarenz: hier ist die finanzielle Absicherung gefordert! o eines Nationalen Hospiz- und Palliativplanes Es braucht eine umfassende Sichtweise und Planung von stationären palliativmedizinischen Einrichtungen, die eng mit mobilen Palliative Care Diensten zusammen arbeiten. Schaffung von Palliativkonsiliar- und Supportteams ist erforderlich, um die Verbesserung der Koordination zwischen PalliativpatientInnen betreuenden Personen und Einrichtungen (Hausärzte, Soziale Dienste, Krankenhäuser, Pflegeheime, ...) zu übernehmen: Nahtstellen statt Schnittstellen! o Palliative Care auch in Pflegeheimen etc. ("Palliative Care für alle", die sie brauchen, nicht nur für KarzinompatientInnen) (auch in Pflegeheimen, bei häuslicher Betreuung etc.;) Palliativmedizin ist nicht an ein Haus gebunden, sondern ein Gesamtkonzept Universitären Lehrstuhles für Palliativmedizin Nur durch die verbindliche auch universitäre Lehre kann eine wirkliche Integration der Palliativmedizin in das Gesundheits- und Sozialsystem ausreichend geschaffen werden. Qualität in der Palliativmedizin bedarf einer österreichweiten Thematisierung und Förderung des Bewusstseins! Schaffung einer „Palliativen Kultur“ in Österreich als humanitäres Ziel! 6 Curriculum Dr. med. Harald Retschitzegger, Leiter der Palliativstation am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Ried seit 1998. Abgeschlossenes Diplomstudium für Palliativmedizin an der Universität Cardiff, Wales (Großbritannien) ("Diploma in Palliative Medicine" University of Wales, College of Medicine) (1999 – 2000) Derzeit Mastersstudium (Master of Science in Palliative Medicine) an der Universität Cardiff, Wales Seit 2001 Lehrbeauftragter an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien, Vorlesung „Palliativmedizin“ Mitglied des „Committee of Experts on the Organisation of Palliative Care” des Europarates (2001-2002) Gründungsmitglied der „Hospizbewegung OÖ“ im Jahre 1994 Stellvertretender Vorsitzender von „Hospiz Österreich“ von 1999 bis 2002 (Arzt für Allgemeinmedizin, Diplom für Psychosoziale Medizin) (Seit 1993 Beschäftigung mit Palliativmedizin und Hospizbewegung) 7 ....nach langer Suche angekommen Erfahrungbericht Christa Mühlberger, Angehörige einer Verstorbenen, ehrenamtliche Hospiz-Mitarbeiterin Persönlicher Zugang als Angehörige: sehr offen und positiv / Zweifel und auch Ängste waren da / Vertrauen, Wärme, Geborgenheit und große Offenheit im Umgang mit Patientin und Angehörigen / Erkennen, welche Möglichkeiten für das Leben auch im Sterben sind. Es war einfach das Gefühl da, mit dem Aufenthalt auf der Palliativstation nach langer Suche angekommen zu sein. Die Wünsche und Bedürfnisse meiner Schwiegermutter standen im Vordergrund, es geschah nichts, womit sie nicht einverstanden war. Obwohl sie es ablehnte, wurde bei ihr während eines früheren KrankenhausAufenthalts ein Luftröhrenschnitt durchgeführt. Dadurch konnte sie nicht mehr sprechen und verlor sehr an Lebensqualität; wollte einfach nur sterben, was sie sehr deutlich klar machte. Verständigen konnten wir uns nur mehr nonverbal; sie schrieb, solange es ihr kräftemäßig möglich war auf kleine Zettel. Immer wieder schrieb sie „ich will sterben“. Zweifel und Ängste vor dem Miterleben des Sterbens, die Unsicherheit, etwas falsch zu machen. Nicht stark genug zu sein. Mit dem Hospizteam als Stütze war es mir möglich, sie den Weg gehen zu lassen, der für sie der richtige war, ihr zu sagen, sie kann dann gehen, wenn sie bereit dazu ist und es ist gut so, wie es ist. Bemerkenswert war, wie viel Selbstbestimmung und Eigenständigkeit ein sterbender Mensch wieder bekommt, wenn man ihm diese zugesteht. Warum ehrenamtliche Mitarbeiterin (meine persönliche Motivation): Unser ganzes Leben werden wir konfrontiert mit Sterben, Tod und Verlusten. Es kommt darauf an, was wir daraus machen – wie wir damit umgehen. Diese Herausforderung annehmen – dem Leben eingliedern (es ist nicht leicht und gelingt nicht immer!) Die Auseinandersetzung mit diesen Themen hat mich persönlich ruhig gemacht. Mit dieser Erfahrung eine Brücke zu schlagen und wenn es nur ein Mensch ist, der das wahrnimmt, dann ist es gut. Man muss jedoch sehr vorsichtig sein, nur weil es für mich passt, muss es für andere noch lange nicht so sein. Besonders wichtig an meiner Ehrenamtlichen Tätigkeit ist für mich die Betreuung der Angehörigen nach dem Tod des Patienten. Angehörigennachmittage und persönliche Gespräche gehören zu meinem Aufgabengebiet. Persönliche Erfahrungen als Angehörige: Die Bereitschaft, sich mit einem Menschen auseinander zu setzen, vor allem dann, wenn er nicht mehr sprechen kann. Bemerkenswert die Unterstützung und Wärme die ich als Angehörige auf der Palliativstation gespürt habe. Abschied nehmen, sich zurücklehnen, ohne zu fallen. Vor allem zum ersten Mal ging an mich als Angehörige die Frage- wie es mir geht – wie ich damit zurechtkomme. Bis dahin hatte ich das noch nie von einem Arzt oder Pflegepersonal gehört. 8 Persönliche Erfahrungen als ehrenamtliche Mitarbeiterin: Ich habe sehr viel erlebt, miterlebt und erfahren. Es war und ist nicht alles einfach zu deuten und zu verstehen für mich. Wichtig ist es, auch Zweifel und Ängste zuzulassen. Am Anfang war die Angst, etwas Falsches zu tun oder sagen sehr groß. Je offener man wird, desto mehr nimmt man den Menschen sich gegenüber wahr. Mit manchen Patienten und Angehörigen geht man ein Stück ihres Lebens mit und nimmt daran teil. Es sind viele lustige, fröhliche und traurige Stunden, die man erlebt. Ich erlebe Staunen, Mut, Offenheit , Lernen auf der Palliativstation. 9