Von Achim K. Geller, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

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Schizophrenie und Psychose
Von Achim K. Geller, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Bielefeld
Psychotische Erkrankungen sind gemeinhin wenig bekannt, jedoch bei weitem nicht so selten wie oft
angenommen und extrem belastend für die Betroffenen und ihre Angehörigen. Psychose ist zunächst eine
allgemeine Bezeichnung für verschiedene seelische Krankheiten. Die Krankheitsbilder unterscheiden sich
hinsichtlich der Ursachen, in der Symptomatik und im Erkrankungsalter. Gemeinsam ist den Psychosen,
dass die Gedankeninhalte, die Wahrnehmung und deren Verarbeitung verändert sind, so dass der
Erkrankte die Realität verzerrt erlebt und oft weder von den Angehörigen noch vom Arzt hiervon zu
überzeugen und zu korrigieren ist. Manchmal kommen noch affektive (Gefühls-)Symptome, Störungen des
Denkablaufs und Antriebsstörungen hinzu, so dass der Kranke im Extremfall entweder apathisch –
zurückgezogen oder aufbrausend, aggressiv und angetrieben wirkt.
Psychosen beinhalten deshalb für viele Menschen etwas Unheimliches, weil die ganze Persönlichkeit – das
Fühlen, Denken und Wollen - betroffen ist. Erkrankte besitzen häufig keine Distanz zu ihrem psychotischen
Erleben und fühlen sich daher nicht krank und behandlungsbedürftig, obwohl sie unbedingt Behandlung
brauchen. Mancher bleibt so unbehandelt oder muss in einer Akutsituation gegen seinen Willen, aber zu
seinem eigenen Schutz stationär eingewiesen werden. Ein Missbrauch von unfreiwilligen Einweisungen - ein
in der Literatur und im Film beliebtes Thema - ist in Deutschland ausgeschlossen, da der Gesetzgeber
strenge Vorschriften erlassen hat. Es ist wichtig zu betonen, dass psychiatrische Behandlung in erster Linie
freiwillige Behandlung ist und nur ausnahmsweise per Zwang erfolgt. Dies gilt umso mehr, als es bei allen
Psychoseformen mittlerweile sehr erfolgreiche Therapiemöglichkeiten gibt und gerade auf dem Gebiet der
Psychiatrie in den nächsten Jahren weitere wichtige medikamentöse Neuentwicklungen zu erwarten sind.
Die wichtigsten Psychoseformen: Man unterteilt Psychosen in zwei Hauptgruppen, in körperlich erklärbare
Psychosen, die durch organische Krankheiten wie z.B. Schilddrüsenleiden , Verletzungen, Entzündungen
und Tumoren hervorgerufen werden, und so genannte endogene Psychosen, deren genaue Ursachen noch
nicht bekannt sind und bei denen keine fassbaren z.B. im Röntgen- oder im Laborbefund erkennbaren
Auffälligkeiten vorliegen. Man geht von einer Verursachung durch mehrere Faktoren aus, u.a. eine erbliche
Veranlagung.
Zu den endogenen Psychosen gehört neben der manisch-depressiven Erkrankung (heute auch bipolare
Störung genannt) als schwerwiegendes, oft chronisches Leiden die Schizophrenie. Weltweit ist immerhin
1% der Bevölkerung von dieser Krankheit betroffen, d. h. unter 100 Menschen findet sich im Durchschnitt
einer mit Schizophrenie. Das Krankheitsbild manifestiert sich zumeist im jungen Erwachsenenalter
(zwischen 20 und 30 Jahren, teils aber auch im Kindes- oder späteren Erwachsenenalter) mit Unruhe,
Schlaflosigkeit, Angst, Getriebenheit und dem quälenden Gefühl, dass von außen etwas mit einem
geschieht. Manche fühlen sich von Kameras an der Decke beobachtet, manche von Polizeifahrzeugen
verfolgt, andere von Stromanlagen bestrahlt. Diese Phänomene können sich zu einem Verfolgungswahn
zuspitzen, in dem der Erkrankte von seinen Vorstellungen massiv beherrscht wird, sich zurückzieht,
verbarrikadiert, sogar Helfer und Ärzte als Angreifer erlebt. Häufig hören diese Menschen auch Stimmen
bekannter oder unbekannter Personen, die entweder kommentierenden oder befehlenden Charakter haben.
Dieses Phänomen nennt man akustische Halluzination. Weitere typische Symptome, die aber nicht alle
gleichzeitig vorliegen müssen, sind Denkstörungen und Ich-Störungen, d. h. die Betroffenen erleben ihre
eigene Person oder ihre Umwelt als fremd oder sogar fremdbestimmt.
Die Schizophrenie hat ihren Ursprung in einer letztendlich noch ungeklärten Störung des
Hirnstoffwechsels,, beteiligt sind aber auch erbliche und lebensgeschichtliche Faktoren.
-2Nicht jeder, der die Anlage zur Schizophrenie in sich trägt, erkrankt auch, sondern es müssen oft
zusätzliche Stressfaktoren hinzutreten, z.B. eine nicht bewältigte Trennung. Eine immer größere
Bedeutung bekommt in letzter Zeit die Auslösung schizophrener Psychosen durch den Missbrauch von
Cannabis(Haschisch oder Marihuana). Der Mechanismus ist unbekannt, wahrscheinlich trifft der
Suchtstoff auf die genetisch verankerte Bereitschaft zur Schizophrenie und löst die Erkrankung aus, wozu
es ohne den Konsum des Cannabis nicht gekommen wäre. Manchmal wird durch Cannabis oder andere
Drogen ein chronischer Krankheitsprozess angestoßen, manchmal bleibt es jedoch auch bei einer
vorübergehenden psychotischen Episode. Wichtig ist in jedem Fall eine strikte lebenslange
Drogenabstinenz.
Beim Verständnis der Erkrankung darf man sich nicht von dem Begriff „gespaltene Persönlichkeit“ leiten
lassen, der häufig als Übersetzung des Wortes Schizophrenie gebraucht wird. Mit Gespaltenheit hat dieses
Krankheitsphänomen nichts zu tun, sondern mit einem episodischen Verlust des Realitätsbezugs. Dem
Betroffenen entgleitet die Wirklichkeit, er stellt Dinge in Frage, deren er sich vor kurzem noch gewiss war,
trennt sich z.B. vom Partner, den er auf einmal als fremd und bedrohlich empfindet. Daneben gibt es aber
immer auch unbeeinträchtigte Persönlichkeits- und Erlebensbereiche, die nicht von psychotischer
Wahrnehmungsverzerrung beeinflusst sind. So behandelte ich vor Jahren eine Fachärztin für Psychiatrie,
die selbst an einer Psychose litt, keine Krankheitseinsicht besaß und daher ihre eigene Krankheit nicht
erkannte. Sie war aber in der Lage, Psychosen bei ihren Mitpatienten auf der Station korrekt zu
diagnostizieren und zutreffende Behandlungsvorschläge zu machen.
Schizophrenien sind entgegen häufig gehörten Ansichten heute gut behandelbar und nicht zwingend mit
einer schlechten Prognose behaftet. Wenn ein Patient erstmalig mit psychotischen Symptomen kommt,
können oft noch keine Aussagen zur weiteren Entwicklung, z.B. zur Frage der vollständigen oder teilweisen
Rückbildung der Krankheitssymptome getroffen werden. Es hängt vieles vom Verlauf der ersten zwei
Jahre ab. So lange sollte man nach heutigen Erkenntnissen auch mindestens die antipsychotische
Medikation bestehen lassen (selbst wenn der Patient erscheinungsfrei ist). Je weniger die psychotische
Symptomatik und die mit ihr verknüpften krankhaften Stoffwechselvorgänge auf das Gehirn einwirken,
desto günstiger. Eine langjährig unbehandelte Schizophrenie zeigt unter Therapie eine wesentlich
schlechtere Rückbildungstendenz als eine erst kurz bestehende.
Man geht davon aus, dass sich ca. ein Drittel der Erkrankten stabilisiert und nach der ersten
Krankheitsphase keine oder nur noch einzelne weitere psychotische Episoden ohne wesentliche bleibende
Veränderungen erleidet. Diese Personen sind in der Gesellschaft unauffällig, sie sind beziehungs- und
arbeitsfähig. Ein Drittel bekommt zahlreiche weitere psychotische Schübe, die nicht restlos ausheilen. Man
spricht in dem Zusammenhang auch von einem Residualsyndrom mit bleibenden Gefühlsstörungen,
Antriebsmangel und Denkstörungen. Diese Menschen sind also auch dann erkrankt, wenn sie keine akuten
psychotischen Symptome wie Verfolgungsängste und Stimmenhören zeigen. Sie haben auch weniger Erfolg
im Beruf als leichter Erkrankte, zeigen Schwächen im Durchhaltevermögen und der
Konzentrationsfähigkeit und sind daher oft auf eine beschützte Tätigkeit z.B. im Rahmen einer Werkstatt
für behinderte Menschen (WfbM) angewiesen.
Das letzte Drittel entwickelt ein schweres Residualsyndrom mit weitgehender Hilflosigkeit und
ausgeprägten sozialen Anpassungsschwierigkeiten, die Patienten erholen sich nur schwer bzw.
unvollständig von ihren heftigen schizophrenen Schüben.
-3Die fachgerechte Behandlung der Schizophrenie besteht aus mehreren Säulen, wobei der medikamentösen
Therapie eine besondere Bedeutung zukommt. Durch die segensreiche Erfindung der sog. Neuroleptika in
den 1950-er Jahren konnte die Zahl der Langzeit- und Schwerkranken deutlich gesenkt werden.
Neuroleptika müssen langfristig, bei gesicherter Schizpophrenie mindestens 5 Jahre, oft aber auch
lebenslang eingenommen werden. In den letzten 15 Jahren wurden neue Substanzen entwickelt, die sog.
atypischen Neuroleptika, die weniger Bewegungsstörungen (manche Patienten empfinden sich als steif und
„roboterhaft“) als die klassischen Präparate bewirken und daher eine höhere Akzeptanz finden. Ein
gravierendes Problem bleibt allerdings: Viele im Prinzip erfolgversprechend behandelbare Patienten
entwickeln keine hinreichende Therapieeinsicht, lehnen Medikamente ab, nehmen sie unregelmäßig oder
setzen sie nach einiger Zeit wieder ab und erleiden dadurch einen Rückfall (ein Rezidiv).
Die weiteren Säulen der Therapie sind die Psychotherapie zur Bewältigung von Lebensproblemen, die sich
aus der psychotischen Erkrankung ergeben, und die Ergo- bzw. Soziotherapie. Mit letzterer werden die oft
durch die Erkrankung angegriffenen Ausdauer- und Konzentrationsleistungen sowie die sozialen
Fertigkeiten geschult.
Eine große Bedeutung kommt der sog. Psychoedukation zu. Patienten und wenn möglich auch ihre
Angehörigen werden durch Aufklärung über das Krankheitsbild zu Experten und lernen z.B., die ersten
Symptome einer erneuten Krankheitsepisode rechtzeitig wahrzunehmen. Je früher dann die psychiatrische
Behandlung eingeleitet wird (z.B. durch Erhöhung der Medikamentendosis), desto größer ist die Chance,
dass die Akutsymptomatik im Keim erstickt wird.
Alles in allem ist die Schizophrenie auch heute noch eine schwere, die gesamte Familie hoch belastende
Krankheit, die aber aufgrund der vorhandenen erfolgreichen Therapieverfahren nicht mehr schicksalhaft
verlaufen muss.
Wer bei sich selbst, einem Angehörigen oder Freund eine psychotische Symptomatik bemerkt oder nicht
ausschließen kann, sollte sich – sofern vorhanden - an seinen Hausarzt/-ärztin oder direkt an einen
Facharzt/Fachärztin für Psychiatrie oder einen Nervenarzt/-ärztin wenden.
Abschließend ist noch einmal hervorzuheben, dass psychotische Symptome (z.B. das Hören von Stimmen
oder eine veränderte Wahrnehmung) bei zahlreichen psychischen und körperlichen Krankheiten
vorkommen können, also nicht zwingend auf eine Schizophrenie hindeuten. Zu denken ist z.B. an eine
schwere Depression, eine Manie bei manisch-depressiver Erkrankung oder eine Entzündung des Gehirns,
aber auch an eine Medikamentenunverträglichkeit (besonders zu beachten bei einer Cortison- oder
Interferonbehandlung). Es ist also in jedem Fall eine eingehende psychiatrische und organische Abklärung
erforderlich.
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