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M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 1 -
Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter
Ursprünglich sprach man von reaktiven, funktionellen und organischen Psychosen. In
den aktuellen Diagnoseschemata wird der Begriff der Psychose nur noch für die Akute
vorübergehende psychotische Störung verwendet. Heute wird von Erkrankungen aus
dem schizophrenen Formenkreis gesprochen. Damit sind Störungen gemeint, die
Symptomatisch, ätiologisch und funktionell einen Zusammenhang zeigen (mit ICD-10
Kodierung):





Schizophrenie (F20)
schizotype Störung (F21)
Akute vorübergehende psychotische Störung (F23)
wahnhafte Störung (F22, F24)
Schizoaffektive Störung (F25)
Diese Diagnosen treten sowohl bei Kindern, Jugendlichen als auch Erwachsenen auf.
Es gelten in allen Altersgruppen die gleichen diagnostischen Kriterien. Vor einem Alter
von sieben Jahren ist eine Abgrenzung von tiefgreifenden Entwicklungsstörungen nicht
möglich. Nicht zu Psychosen gerechnet werden Affektive Störungen (F3), die früher
affektive Psychosen genannt wurden. Auch organische Psychosen (F0) und tief
greifende Entwicklungsstörungen (F84, z.B. Autismus) werden nicht dazu gerechnet.
Epidemiologie der Schizophrenie
Die Lebenszeitprävalenz der Schizophrenie beträgt 1%, wobei neuere Untersuchungen
in Gesamtpopulationen bis zu 3% Betroffene finden, die sich jedoch nicht in Behandlung
befinden. Die tatsächliche (›aktuelle‹) Prävalenz beträgt 0,5%. Von der
Lebenszeitprävalenz treten im Kindes- und Jugendalter 4% vor dem 15. Lebensjahr und
0,5 – 1% vor dem 10. Lebensjahr auf. Jungen sind, besonders im Kindesalter, 2 – 3-mal
häufiger betroffen. Über die Lebenszeit beträgt das Verhältnis von Männern zu Frauen
etwa 1,4 zu 1.
Suizidrisiko



50-fach höher als in der Normalbevölkerung
Suizide in 4-15%
Suizidhandlungen besonders unvorhersehbar
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 2 Früherkennung: Risikosymptome
Bekannte Risikosymptome sind hereditäre Belastung, Traumatisierung in der Kindheit,
Geburt im Winter, prä-, peri- und postnatale Komplikationen, Alter des Vaters bei der
Zeugung, Infektionen, Autoimmunstörungen, Migration, Drogenkonsum (auch THC) und
Wohnen in der Stadt. Sind mehrere Faktoren gegeben, scheinen sie sich in ihrer
Wirkung zu multiplizieren. Unter Einbeziehung früher Symptome in der Prodromalphase
(Siehe auch Checkliste im Anhang) wird versucht, das Risiko einer Psychose früh und
präzise abzuschätzen. Dies gelingt derzeit noch nicht ausreichend, um eine präventive
antipsychotische Medikation zu rechtfertigen. Für Jugendliche liegen folgende
Ergebnisse vor:
 Genetisches Risiko für Schizophrenie und aktuelle Verschlechterung des
Zustandes
 Vermehrt ungewöhnliche Denkinhalte
 Ausgeprägtes Misstrauen/Paranoia
 Größere soziale Behinderung
 Drogenmissbrauch in der Vorgeschichte
Wenn drei dieser Kriterien erfüllt waren, entwickelten 80% von Patienten, die zur
Behandlung vorgestellt wurden, eine Psychose (Cannon et al. 2008).
Häufigkeit der verschiedenen Wahnformen in Abhängigkeit vom Lebensalter bei 57
kindlichen und präpuberalen Schizophrenien.
Wahninhalte in verschiedenen Altersgruppen
Alter
7-8
9-10
11-12
13-14 J.
Gesamtzahl
3
8
14
32
Transitivistische Depersonalisationserlebnisse
Zönästhopathische Interpretationen
Beziehungsideen
Vergiftungsideen
Minderwertigkeitsideen
Bedrohtheitserlebnisse
Märchenhafte Inhalte
Beeinflussungsideen
Hypochondrische Ideen
Verfolgungsideen
Größen- und Sendungsideen
Beeinträchtigungen
Religiöse Ideen
Eingebildete Schwangerschaften
1
1
1
1
-
1
5
1
1
2
3
1
1
-
3
14
6
4
5
1
6
7
6
2
2
1
-
3
17
10
5
5
1
11
15
14
8
2
4
6
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 3 In der Prodromalphase konnte eine medikamentöse antipsychotische Behandlung
bislang keinen Vorteil gegenüber einer Behandlung mit kognitiver VT zeigen. Vor
zentraler Bedeutung ist die Entlastung der Betroffenen (s.u.).
Interviewinstrumente
Da es sich bei Schizophrenie in Kindheit und Jugend um das gleiche Syndrom handelt,
das auch bei Erwachsenen auftritt, sind diagnostische Verfahren für Erwachsene auch
bei Kindern und Jugendlichen anwendbar. Das gilt vor allem, wenn die Eltern bei der
Anamnese helfen.
Schedules for Clinical Assessment in Neuropsychiatry (SCAN)
Die Schedules for Clinical Assessment in Neuropsychiatry (SCAN), sind ein im Auftrag
der WHO entwickeltes Erhebungsinstrument zur Erfassung der grundlegenden
Psychopathologie für die wichtigsten psychiatrischen Störungen des Erwachsenenalters
(van Gülick-Bailer et al. 1995). Das Instrument besteht aus einem strukturierten
Interview (PSE 10), einem Glossar mit Definitionen der Symptome, einer Item Group
Checklist und dem Clinical History Schedule. Der Untersucher beurteilt Vorliegen und
Ausprägung der Symptome. Ein erster Teil beinhaltet Abschnitte für nicht-psychotische
Symptomatik, z.B. physische Gesundheit, Sorgen, Anspannung, Panik, Angst und
Phobien, Zwangssymptome, depressive Stimmung, Beeinträchtigungen des
Denkvermögens, der Konzentration, der Energie, der Interessen, körperlicher
Funktionen wie Gewicht und Schlaf, Essstörungen, Alkohol- und Drogenmissbrauch. Ein
zweiter Teil umfasst psychotische Symptome, kognitive Einschränkungen und
Auffälligkeiten von Verhalten, Sprache und Affektivität.
Interview for the Retrospective Assessment of the Onset of Schizophrenia
(IRAOS)
Das Interview for the Retrospective Assessment of the Onset of Schizophrenia (IRAOS,
Häfner et al. 1990) erlaubt in fünf Sektionen eine objektive, reliable, valide und
detaillierte Einschätzung von 40 Symptomen, vorausgehenden Episoden,
Verhaltensänderungen und Behandlungen, regelmäßigen Tätigkeiten,
Medikamentencompliance, demografischer und sozialer Charakteristika ab der Kindheit.
Es wurde entwickelt, da der ersten psychiatrischen Untersuchung häufig bereits eine
lange Anamnese mit vielfältigen Verlaufsformen vorausgehen kann, die prädiktiv
bedeutsam ist (Häfner 2000, Röpcke und Eggers 2005). Dieses Instrument ist als
halbstrukturiertes Interview mit Patienten und Angehörigen angelegt. Auch alle anderen
Informationen über vorausgehende Behandlungen werden einbezogen. Es werden ein
Zeitraster und ein Episodenkalender erstellt, um Zusammenhänge zwischen
Erkrankungszeiten und Lebensereignissen zu verdeutlichen.
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 4 Kiddie-Schedule for Affective Disorders and Schizophrenia - Present and Lifetime
Version (K-SADS-PL)
Die Kiddie - Schedule for Affective Disorders and Schizophrenia - Present and Lifetime
Version (Chambers & Puig-Antich 1985) ist ein halbstrukturiertes, diagnostisches
Interview zur Erfassung der Pychopathologie des Kindes- und Jugendalters und der
Vorgeschichte psychischer Störungen, das in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
weltweit Einsatz findet. Erfahrungen mit zahlreichen anderen Verfahren sind hier
eingeflossen. Informanten sind sowohl die Eltern der betroffenen Kinder bzw.
Jugendlichen, als auch die Patienten selbst. Das K-SADS-PL erfasst 22 Diagnosen des
Kinder- und Jugendalters, demografische Variablen und das soziale Funktionsniveau.
Die deutsche Version ist im Internet frei verfügbar.
Modified Premorbid Adjustment Scale (M-PAS)
Die prämorbide Anpassung in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter kann mit der
Modified Premorbid Adjustment Scale (Cannon-Spoor 1982) eingeschätzt werden.
Diese enthält drei Kategorien: soziale Isolation, Beziehungen zur Altersgruppe und
Interessen/Hobbys. Die Einschätzung erfolgt auf einer vierstufigen Skala.
Premorbid Symptom Checklist (PSCL)
Ausführlicher für die Beurteilung prämorbider Auffälligkeiten bei schizophrenen
Psychosen als die M-PAS ist die Premorbid Symptom Checklist (Eggers et al. 2000,
Bunk et al. 2003). Es handelt sich um eine Skala von zehn verschiedenen Kategorien:
Interessenverlust, Depression, Suizidgedanken/-absichten, Paranoia, Angst,
Schüchternheit, bizarres Verhalten, Aggression, Isolation und Zwänge, zu denen jeweils
zugehörige Symptome aufgeführt werden. Zur Überprüfung der externen Validität wurde
die PSCL mit der M-PAS verglichen, die Validität erwies sich als zufrieden stellend
(Bunk et al. 2003). Bei der PSCL werden die Symptome als vorhanden bzw. nicht
vorhanden zugeordnet. Auffällig sind die Kategorien Schüchternheit, bizarres Verhalten,
Angst, Aggression, sowie Isolation ab einem Auftreten von zwei oder mehr Symptomen.
Die Kategorien Paranoia, Suizidalität, Interessenverlust, Depression sowie Zwänge sind
auffällig ab einem Auftreten von einem oder mehr Symptomen.
Disability Assessment Schedule (DAS)
Der Psychiatric Disability Schedule der Weltgesundheitsorganisation (World Health
Organisation, WHO-DAS) wurde mit Manual von der WHO 1988 veröffentlicht, um ein
einfaches Instrument zur Einschätzung von Störungen der sozialen Anpassung und des
Verhaltens von Patienten mit psychischen Störungen zur Verfügung zu stellen. Die
deutsche Fassung wurde vom WHO Collaborating Center in Mannheim erstellt und
validiert (Schubart et al. 1986). Die WHO-DAS II ist ein halbstrukturiertes Interview, das
besonders geeignet ist für Patienten mit Schizophrenie.
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 5 In einer ersten Sektion wird das Allgemeinverhalten erfasst. Die hierin enthaltenen Items
sind: Sorge um Selbstdarstellung, Freizeitaktivität, Tempo bei der Bewältigung täglicher
Aufgaben, Kommunikation/sozialer Rückzug, Rücksichtnahme und Reibungen im
Umgang mit Menschen und Verhalten in Notfällen und Krisensituationen. Sektion zwei
enthält Items zu den wichtigsten Rollen eines Individuums: Haushaltsrolle/Teilnahme am
Familienleben, Partnerrolle (Gefühlsbeziehung, sexuelle Beziehung), Elternrolle,
heterosexuelles Rollenverhalten, Arbeitsverhalten, Interesse an einem Arbeitsplatz,
Interessen und Informationsbedürfnis/Rolle als Konsument. In Sektion drei wird eine
Gesamteinschätzung der sozialen Anpassung vorgenommen. Der Grad der sozialen
Anpassung wird auf fünf Stufen beurteilt (von „gute soziale Anpassung“ bis „fehlende
soziale Anpassung“). Zur zusammenfassenden Darstellung der WHO-DAS II - Items
wurde von Wiersma et al. (2000) ein Algorithmus entwickelt.
Die Gütekriterien der WHO-DAS wurden umfassend getestet. Aufgrund der Ergebnisse
wurde das Instrument von 89 auf 36 Items gekürzt (WHO-DAS II). Außerdem wurde ein
Screening-Fragebogen mit zwölf Items entwickelt. Die Sensitivität für Veränderung und
Prognose wird weiter untersucht. Die deutsche Fassung wurde vom WHO Collaborating
Center in Mannheim erstellt und validiert (Schubart et al. 1986). Sie ist über das Internet
frei verfügbar (s. Literatur).
Die Kiddie Formal Thought Disorder Rating Scale (K-FTDS)
Formale Denkstörungen sind typisch für Schizophrenie, oft auch schon im
Prodromalstadium. Gleichzeitig können sie in der kindlichen Entwicklung etwa bis zum
siebten Lebensjahr auftreten. Dass solche Störungen zur Diagnostik dennoch geeignet
sind, zeigten Caplan et al. (1994) mit der Kiddie Formal Thought Disorder Rating Scale.
Hierzu wurden Sprachproben aus dem Nacherzählen und Erfinden von Geschichten
sowie aus der Beantwortung von Fragen zum Inhalt von geschulten Ratern auf
unlogisches Denken, Inkohärenz, gelockerte Assoziationen und Verarmung der Sprache
eingeschätzt. Es konnte eine gute Übereinstimmung zwischen den Ratern erzielt
werden. Unlogisches Denken und assoziative Lockerung erwiesen sich als geeignet, um
zwischen Kindern mit Schizophrenie und gesunden Kindern zu unterscheiden. Die
Werte von Kindern mit schizotypen Zügen lagen zwischen den Werten gesunder Kinder
und solcher mit Schizophrenie. Unter Berücksichtigung von Entwicklungsstand und
Intelligenz kann die K-FTDS auch bei Kindern unter sieben Jahren angewandt werden.
Die K-FTDS liegt nicht in deutscher Übersetzung vor. Die Autoren knüpften an Gardners
(1971) klinisches Instrument für die therapeutische Kommunikation mit Kindern an. Die
verwendeten Themen für das Erfinden von Geschichten sind: „Traum von einem
freundlichen Geist“, „ein verstoßener kleiner Junge“, „ein unglaublicher Riese“, „eine
Hexe mit einem guten oder bösen Kind“ und „ein unglückliches Kind“. Wenn ein Kind
keine Geschichten erfindet, kann man z. B. einfache Fabeln von Äsop (siehe Anhang)
nacherzählen lassen. Auf der Grundlage klinischer Erfahrung können damit wertvolle
diagnostische Informationen erhoben werden.
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 6 Beurteilungsskalen zur Bestimmung der psychopathologischen Symptomatologie
und postpsychotischer Defizienzverfassungen
Positive and Negative Syndrome Scale (PANSS)
Die PANSS ist eine Fremdbeobachtungsskala, die bei Patienten mit psychotischen
Erkrankungen aktuelle psychopathologische Symptome erfasst (Kay et al. 1987). Das
Instrument basiert auf der Scale for Assessment of positive Symptoms (SAPS,
Andreasen 1984), der Scale for Assessment of negative Symptoms (SANS, Andreasen
1983), sowie auf der Brief Psychiatric Rating Scale (Overall und Gorham 1962, deutsch:
Hahlweg et al. 2006), die auch weiterhin Verwendung finden. Theoretische Fundierung,
Spektrum der erfassten Symptome und psychometrische Absicherung wurden weiter
entwickelt. Sieben der 30 Items der PANSS beinhalten Aspekte des positiven Syndroms
(Wahngedanken, Zerfall der Denkprozesse, Halluzinationen, Erregung, Größenideen,
Misstrauen/Verfolgungswahn und Feindseligkeit). Weitere sieben Items repräsentieren
Aspekte des negativen Syndroms (Affektverflachung, emotionale Zurückgezogenheit,
mangelnde Beziehungsfähigkeit, sozialer Rückzug, Störungen des abstrakten Denkens,
mangelnde Spontaneität und Redefluss sowie stereotypes Denken). 16 Items betreffen
allgemeine psychopathologische Symptome. Maßgeblich für die Auswahl der 30 Items
waren die Übereinstimmung mit dem Konzept der Unterscheidung positiver und
negativer Symptome, die Möglichkeit einer eindeutigen Zuordnung und das Bestreben,
heterogene Bereiche kognitiver, affektiver, sozialer und kommunikativer Funktionen
abzudecken (Kay et al. 1989). Jedes Item ist durch operationalisierte Kriterien definiert,
die detaillierte Beurteilungsrichtlinien für jede Ausprägung auf der siebenstufigen
Schweregradskala (1 - fehlt bis 7 – extrem) nennen. Ergebnisse der PANSS zeigen gute
Übereinstimmung verschiedener Rater und interne Konsistenz (Kay et al. 1989). Bei
Stichproben von chronisch kranken Patienten wurde die Retest-Reliabilität gesichert
(Kay et al. 1989). In zahlenmäßig starken Kohorten schizophrener Patienten wurde auch
die Validität der Skala untersucht. Interpretierbare Korrelationen bestehen zwischen den
PANSS-Skalen und anderen psychometrischen Symptom-Ratings sowie
biographischen, klinischen und soziodemographischen Parametern (Kay et al. 1989).
Die Global Assessment of Functioning Scale (GAF)
Die Global Assessment of Functioning Scale (GAF) ist eine Weiterentwicklung der von
Endicott et al. (1976) konzipierten Global Assessment Scale (GAS). Bei der GAF schätzt
der Untersucher das psychische, soziale und berufliche Funktionsniveau
zusammengefasst auf einer Skala von 1-100 ein (Kaplan und Sadock 1995). Die Werte
unter 50 bedeuten eine ernsthafte Beeinträchtigung, Werte von 51 bis 60 eine mäßige
Beeinträchtigung und Werte von 61 und höher eine leichte Beeinträchtigung. Die Skala
ist in Intervalle von zehn Punkten aufgeteilt, wobei jedem Intervall eine detaillierte
Beschreibung zugeordnet ist. Als Beurteilungszeitraum wird die zurückliegende Woche
verwendet.
Die psychometrischen Eigenschaften der Skala wurden umfassend untersucht,
Reliabilität und Validität der Skala sind gesichert (Endicott et al. 1976). Die GAF wurde
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 7 in zahlreichen Untersuchungen zu Verlauf und Ausgang psychischer Erkrankungen
verwendet und in das Diagnostische und Statistische Manual der American Psychiatric
Association (seit DSM-III-R) aufgenommen.
Clinical Global Impression (CGI)
Die Skala Clinical Global Impression (CGI) des National Institute of Mental Health dient
der Erfassung des Schweregrades der globalen Erkrankung auf einer siebenstufigen
Skala (1: Patient ist überhaupt nicht krank, 7: Patient ist extrem schwer krank). Mit
diesem Verfahren ist auch die Beurteilung der Veränderung des psychopathologischen
Zustandes möglich.
Psychosoziale Therapie (Eggers et al. 2004)
Allgemeine Vorgehensweise
Sinnvoll sind multimodale Behandlungspläne, die langfristig angelegt sind. Dazu
gehören die




Medikamentöse Therapie
Supportive Psychotherapie
Training kognitiver Funktionen und sozialer Fertigkeiten
Psychoedukative Familienbetreuung
Allgemeine Ziele der Psychotherapie




Identifizierung von Frühwarnzeichen und Stressoren zur Rückfallverhinderung
Bewältigung der Akutsymptomatik oder persistierender Symptomatik
Verbesserung sozialer und emotionaler Kompetenzen sowie kognitiver Defizite
Verbesserung familiärer Kommunikations- und Problemlösestrategien
Die Kombination der aufgelisteten Verfahren hat bisher die besten Therapieerfolge
ergeben (Übersicht bei Mueser et al. 2001). Individuelle Psychotherapie,
Gruppentherapie und Familientherapie sollten eher unterstützend als konfliktaufdeckend
und vor allem auf die Bearbeitung psychosozialer Stressoren und die
Krankheitsbewältigung gerichtet sein. Der Therapieplan muss individuell auf die
Bedürfnisse des einzelnen Patienten angepasst werden und darf nicht pauschal auf die
Behandlung der Schizophrenie ausgerichtet sein. Dabei muss die Behandlung auch
komorbide Störungen einbeziehen, wie z.B. Drogenmissbrauch oder Suizidalität.
Psychosoziale Stressoren, die Rezidive auslösen oder die Remission gefährden
könnten, müssen diagnostiziert und reduziert werden.
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 8 -
Individuelle Psychotherapie
Die individuelle Psychotherapie bei schizophrenen Patienten sollte realitätsorientiert,
pragmatisch und eklektisch sein. Sie sollte nicht engstirnig an Therapieschulen orientiert
sein. Der Psychotherapeut sollte immer die individuellen Bewältigungsmöglichkeiten
seines Patienten im Auge haben. Insbesondere während aktiv-prozesshafter Phasen
der Psychose sollte eine investigative, konfliktorientierte Psychotherapie unterbleiben.
Stets sollte sich der Therapeut bewusst sein, dass er sich nicht intrusiv-einengend, aber
auch nicht überinvolviert oder rigide gegenüber seinen Patienten verhält.
Ziel der Psychotherapie bei jugendlichen Psychosen sollte die behutsame Lösung aus
zu engen Bindungen an die Eltern sein. Die Psychotherapie eines schizophrenen
Jugendlichen stellt allerhöchste Anforderungen an den Therapeuten und sollte unter
Supervision erfolgen. Die Patienten-Therapeuten-Beziehung ist bei Psychosen
besonderen Gefahren ausgesetzt: So, wie der Patient in der Mutter-Kind-Symbiose die
drohende Auflösung seines Selbst befürchtet, befürchtet er eine Verschmelzung mit
dem therapeutischen Gegenüber. Unbewusste Wünsche nach Nähe und Intimität und
unter Umständen entsprechende Verschmelzungsphantasien stehen in einem
diametralen Verhältnis zu Ängsten des Aufgesogenwerdens einerseits oder des
feindlichen Zurückgewiesenwerdens andererseits. Spielt bei der Übertragung des
Patienten das Dilemma von Verschmelzungsängsten einerseits und Befürchtungen vor
feindlicher Ablehnung durch den Therapeuten andererseits eine große Rolle, so kann
sich dies auch in der Gegenübertragung widerspiegeln: Teilnahmslosigkeit,
Negativismus, möglicherweise auch feindselige Ablehnung, Desinteresse, albernläppisches Gebaren, unfruchtbare Rationalisierungen und ewige Wiederholungen
seitens des Patienten können den Therapeuten dazu verleiten, ihn seinerseits
abzulehnen, als untherapierbar anzusehen und sich narzisstisch gekränkt
zurückzuziehen. Umgekehrt kann sich aber auch eine intensive symbiotische Beziehung
zwischen Therapeut und Patient mit überstarker Identifizierung des Therapeuten mit
dem Patienten entwickeln, wobei der Therapeut unbewusst vom Patienten in die
Mutter/Vater-Rolle gedrängt werden kann, indem er eine überprotektiv dominierende
Rolle einnimmt und damit die infantilisierende Beziehung zwischen Elternteil und Kind
wiederholt. Allmachtsphantasien des Patienten und ein verzweifelter Kampf um
Autonomie können ein Grund dafür sein, dass junge Schizophrene sich oft mit aller
Macht gegen die Therapie wehren bzw. die Notwendigkeit therapeutischer Hilfe
verleugnen (Eggers 1995, Benedetti 1998).
Die therapeutische Beziehung
Häufige Verletzungen der Autonomie in akuten Phasen schafft Misstrauen. Folgende
Schritte können Vertrauen wieder aufbauen und sind bei Schizophrenie von besonderer
Bedeutung:

Partnerschaftlicher Umgang
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 9 




Auf Autonomie achten, ggf. nach vorausgehenden Verletzungen der Autonomie
fragen, klären, ob schlechte Erfahrungen mit Ärzten und Therapeuten vorliegen
Klären, ob ein eigenes Krankheitskonzept besteht
Haltung zu Verantwortung und Schuld erfragen
Behandlung gemeinsam gestalten
Krisenplan
Aufklärung bei Ersterkrankung



Hoffnung und Mut wecken statt Verzweiflung und Resignation
Bestehende Vorbehalte korrigieren
Iatrogene Stigmatisierung vermeiden
Training kognitiver Funktionen und sozialer Fertigkeiten
Ein Gruppenprogramm zur Verbesserung kognitiver und sozialer Fertigkeiten bei
schizophrenen Patienten haben Roder et al. (2002) entwickelt. Das integrierte
psychologische Therapieprogramm für schizophrene Patienten (IPT) wird in Gruppen
von 5 – 7 Patienten durchgeführt. Es besteht aus 5 Unterprogrammen, die in
aufsteigender Schwierigkeit die folgenden Komponenten enthalten:
-
Training kognitiver Differenzierung (Konzeptbildung, Abstraktionsfähigkeit,
Merkfähigkeit)
-
Training der sozialen Wahrnehmung (Reizerkennung, Reizinterpretation,
Wahrnehmung und Einschätzung sozialer Situationen),
-
Kommunikationstraining (aktives Zuhören, direkte Ansprache von Gefühlen),
-
Soziales Verhaltenstraining (Techniken und Inhalte aus
Selbstsicherheitstrainings),
-
Problemlösetraining (Bewältigung von potentiellen Stressoren).
Dieses Programm wurde zwar ursprünglich für Erwachsene entwickelt, Kienzle (1994)
hat jedoch Modifikationen speziell für Jugendliche vorgeschlagen, mit denen z. B. die
Verbesserung der kognitiven Differenzierung durch die Bearbeitung kurzer literarischer
Texte erfolgt und die soziale und emotionale Wahrnehmung durch die Bearbeitung
kurzer Videosequenzen gefördert wird.
Eine Weiterentwicklung der IPT ist die integrative neurokognitive Therapie (INT), welche
insbesondere die Verbesserung neurokognitiver Funktionen und sozialkognitiver
Fähigkeiten zum Ziel hat. Dazu gehören v. a. die im Abschnitt „Soziale Kognitionen“
beschriebenen Leistungen wie die Wahrnehmung eigener und fremder Gefühlslagen,
Befindlichkeiten und Intentionen sowie die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme des
anderen.
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 10 -
Psychoedukation
Ziel der psychoedukativen Therapie ist eine Verbesserung des Verständnisses für die
Erkrankung bei Patienten und Angehörigen und damit einhergehend eine Optimierung
des Umgangs mit den vielfältigen krankheitsbedingten Beeinträchtigungen. Die
psychoedukative Behandlung umfasst folgende Elemente (Falloon et al. 1985):
-
Informationsvermittlung zum Krankheitsbild der Schizophrenie
Erfassung des bisherigen Wissens
Beschreibung der Krankheitssymptome allgemein und speziell für den
jeweiligen Patienten
Erklärungsmodelle für die Entstehung der Krankheit (Vulnerabilitäts-StressModell)
Identifikation von und Umgangsmöglichkeiten mit patientenspezifischen
Frühwarnzeichen
Information über die Wirkung und Nebenwirkung der antipsychotischen
Medikamente
Kommunikationstraining
Problemlösetraining
Training sozialer Fertigkeiten
Training kognitiver Strategien
Die psychotische Erkrankung eines jungen Menschen stellt für dessen Familie eine
existentielle Verunsicherung dar: der/die Kranke tritt quasi aus der Mitte der personalen
Bezüge mit der Umwelt heraus, der Bezug zur Realität ist völlig verändert und
nachhaltig gestört. Das führt bei den Angehörigen zu Ängsten, Ratlosigkeit, Scham- und
Schuldgefühlen. Die psychoedukative Familienarbeit beinhaltet die Entlastung der
Angehörigen und deren Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Sorgen, Ängste,
Schuld- und Versagensgefühle.
Wichtig ist die behutsame und respektvolle Bearbeitung von Abhängigkeits- und
Autonomiekonflikten, welche in Familien mit einem psychotisch Kranken besonders
akzentuiert sind, zumal die intrafamiliären Bindungen bereits prämorbid auffällig sind.
Häufig bestehen übertrieben enge, symbiotiforme Beziehungen zwischen dem Patienten
und dem gegengeschlechtlichen Elternteil.
Es ist notwendig, den Eltern bei der Trauerarbeit zu helfen und sie darin zu
unterstützen, die krankheitsbedingten Defizite bei den Betroffenen zu akzeptieren und
ihre Erwartungen entsprechend zu modifizieren. Überkritische, vorwurfsvolle Haltungen
einerseits und überfürsorglich-einengende Verhaltensweisen andererseits müssen
behutsam analysiert und bearbeitet werden. Außerdem kann die durch Psychoedukation
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 11 geweckte Einsicht in das Konzept der Schizophrenie bei Betroffenen und Angehörigen
zu depressiver Stimmung, Suizidgedanken und verringerter Lebensqualität führen
(Karow und Pajonk 2006). Ressourcenorientierung, Ermutigung und positiven
Zukunftsperspektiven muss daher ausreichend Raum gegeben werden, um dem
vorzubeugen (Amering und Schmolke 2007).
Das Kommunikations- und Problemlösetraining zielt auf das Einüben neuer
Kommunikationsformen ab. Dabei ist zu beachten, dass Störungen der Kommunikation
meist Folge der schizophrenen Störung bzw. der Merkfähigkeits- und
Aufmerksamkeitsstörungen der Betroffenen sind (King 2000). Die subjektive
Zufriedenheit mit den Beziehungen zur Familie der Betroffenen ist umso geringer, je
ausgeprägter solche Störungen sind (Hemmerle 2008). Ziel des
Kommunikationstrainings ist, Angehörigen bei den im Zusammenleben mit Betroffenen
auftretenden Problemen zu helfen. Überkritische Einstellungen und emotionales
Überengagement bei den Angehörigen erhöhen die Gefahr eines Rückfalls. Ebenfalls zu
beachten ist, dass ein solches Training nur erfolgt, wenn tatsächlich
Kommunikationsprobleme bestehen. Andernfalls wird die Familie verunsichert durch die
Vermittlung des Eindrucks, hier etwas verkehrt zu machen. Geübt wird der adäquate
Ausdruck positiver und negativer Gefühle. Der Therapeut kann versuchen, ungünstige
Kommunikationsstile wie Vorwürfe, Drohungen und destruktive Kritik, die oft in
fruchtlose Auseinandersetzungen münden, durch Äußern von Bitten und Wünschen zu
ersetzen. Denn die mangelnde Fähigkeit, negative Gefühle angemessen auszudrücken,
führt oft zu spannungsreichen, feindseligen Auseinandersetzungen, welche Gefahr
laufen, zu eskalieren. Hilfreich ist dabei das gemeinsame Bemühen der Beteiligten,
einander aktiv zuzuhören und jeweils empathisch auf den Gesprächspartner
einzugehen, ohne ihn vorschnell zu unterbrechen. Dabei entsteht eine förderliche
Atmosphäre des gegenseitigen Respekts und Wohlwollens. Diese wiederum erleichtert
die Bearbeitung individueller Probleme und das Herstellen einer kreativen
Gesprächskultur, in der Konflikte offen angesprochen werden können. Zielführend sind
dabei folgende Vorgehensweisen:

Benennung von Konfliktfeldern

Erarbeitung von Lösungsvorschlägen

Erörterung und Auswahl Erfolg versprechender Lösungsmöglichkeiten und
deren praktische Umsetzung

Überprüfung, ob die geplanten Maßnahmen konsequent durchgeführt
werden
Auf diese Weise können u. a. die Compliance der regelmäßigen
Medikamenteneinnahme, die Kooperation von Patient und Angehörigen und deren
Aufmerksamkeit für Frühwarnzeichen einer sich anbahnenden Verschlechterung wie
Schlafstörungen, Rückzug, Verstimmungszustände, Ängste, verstärktes Misstrauen evtl.
mit Eigenbeziehungen, Denk- und Konzentrationsstörungen, Gedankenflut erhöht
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 12 werden. Weitere Informationen zur Psychoedukation u. a. bei Bäuml et al. 2005,
Hahlweg et al. 2006 und Pajonk u. Falkai 2004.
Ein sinnvolles Therapieprogramm integriert eine möglichst kontinuierliche
Einzelbetreuung mit therapeutischen Angeboten im häuslichen Umfeld sowie
spezialisierten Wohn-, Förderungs- und Betreuungsmodellen. Dazu ist eine
gemeindenahe Infrastruktur mit einem abgestuften Betreuungsangebot von voll- über
teilstationärer Behandlung, Rehabilitation und einem ausreichenden Wohn-, Arbeitsund Freizeitangebot erforderlich.
Eine solche Weiterbetreuung ist z. B. in Form einer sozialtherapeutischen Wohngruppe
möglich, in der die jungen Patienten in einem Zeitraum von zwei Jahren kontinuierlich
pädagogisch und psychotherapeutisch unter enger Einbeziehung der Angehörigen
betreut werden. Ziele einer solchen Betreuungsform sind:

Erlernen von Bewältigungsstrategien zum eigenverantwortlichen Umgang mit der
Erkrankung

Aufarbeitung krankheitsbedingter Entwicklungsdefizite

Entwicklung einer persönlichen Lebensperspektive mit Wiedereingliederung in
Schule, Ausbildung oder Beruf
Auf Grund der Reizoffenheit, der Schwierigkeit zur Hierarchisierung und damit der
Ökonomisierung des Denkens, Planens und Handelns brauchen die Patienten ein
reizarmes Lern-Milieu und eine gute Strukturierung der alltäglichen und schulischen
Abläufe. Sie benötigen viel pädagogische und psychosoziale Unterstützung und
empathische Einfügung in ihre jeweilige aktuelle psychische Befindlichkeit. Notwendig
ist ein einfühlsamer Umgang mit Stimmungsschwankungen, Resignation, paranoiden
Ängsten, Rückzugstendenzen und daraus resultierenden intrapersonalen und
zwischenmenschlichen Konflikten.
Ein wichtiges Prinzip der Arbeit in solch einer sozialtherapeutischen Wohngruppe ist es,
der verbreiteten Stigmatisierung entgegenzuwirken! Der psychisch Kranke wird gern als
fremd, „komisch“ und oft auch als bedrohlich erlebt und dadurch ausgegrenzt. Man will
mit ihm nichts zu tun haben: eine unbewusste Abwehr gegen das eigene Fremde und
Abgründige im eigenen Wesen darf nicht zugelassen und muss deshalb abgesondert
werden. Patienten, die an einer Schizophrenie leiden, sind besonders sensibel, von
einer besonderen Feinfühligkeit, was sie für Kränkungen und ablehnende Einstellungen
der Umgebung besonders vulnerabel macht. Ihr ohnehin schlechtes Selbstwertgefühl
wird dadurch weiter herabgesetzt. Daraus folgt, dass bei Patienten und Angehörigen
solche Stigmatisierungen angesprochen und entsprechende Ängste taktvoll bearbeitet
werden müssen.
Bei der schulischen und beruflichen Förderung von jungen Menschen mit schizophrenen
Erkrankungen sind folgende Prinzipien besonders wichtig:
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 13 
Wertschätzung

Kompetenzorientierung, nicht defizitorientiert

Individuelle Förderkonzepte (ressourcenorientiert)

Förderung von Selbstvertrauen

Vermeidung von Beschämung und Ausgrenzung

Integration von therapeutischer Betreuung in Unterricht und Ausbildung
Die Beachtung der aufgelisteten Grundsätze ist deshalb besonders bedeutsam, weil es
bei den Patienten zu einer sog. Selbststigmatisierung kommt: die Betroffenen
übernehmen die entwertenden Einstellungen der Umgebung und verlieren dadurch ihr
ohnehin schon brüchiges Selbstvertrauen. Sie trauen sich dann viel weniger zu als
ihrem wirklichen Leistungsvermögen entspricht und sie geben infolgedessen schnell auf.
Ein wichtiges Ziel der pädagogisch-therapeutischen Arbeit in den Wohngruppen ist
daher, die Betroffenen zu ermutigen, eine positive Einstellung zu sich selbst und ihrer
Erkrankung zu entwickeln und offen auch anderen gegenüber darüber zu sprechen. –
Nähere Einzelheiten zu dem Projekt siehe www.eggers-stiftung.de
Kognitive Therapie
Im Prodromalstadium einer Psychose sind keine Symptome oder Risikofaktoren
bekannt, die die Gefahr einer akuten Psychose mit ausreichender Sicherheit
vorhersehen lassen, so dass eine medikamentöse antipsychotische Behandlung nicht
gerechtfertigt ist. Auch mit kognitiver Therapie lässt sich die Gefahr des Ausbruchs einer
akuten Psychose effektiv vermindern. Dabei ist unbedingt auf eine ausreichende
Entlastung zu achten (Tabelle vereinfacht nach Lauth et al. 2008):
Sehr frühe Anzeichen
Frühe Warnzeichen
Späte Warnzeichen
Symptome
Gereizt, müde, aufgedreht,
unkonzentriert
Überfordert durch Reize,
Anspannung, Konflikte
Schlafstörung, Unruhe,
Appetitstörung, Verlust an
Interesse, Rückzug
Beziehungsideen,
Stimmen,
Selbstgespräche
Ruhe, Erholung
(Spazieren, Sport, Musik)
Reduktion von
Anforderungen und Stress
Bedarfsmedikation
Kontakt mit Therapeut,
Arzt
Halluzinationen und Wahn sind ab einem bestimmten Punkt der Stabilisierung der
Störung meist einer kognitiven Therapie zugänglich. (Lincoln 2006, Vauth und Stieglitz
2006). Therapieprogramme sind je nach intellektueller Beeinträchtigung nicht mit allen
Patienten durchführbar. Einige Grundelemente sind aber oft sinnvoll. Die Haltung, dass
eine eingehende Anamnese positiver Symptome unnötig Aufmerksamkeit auf sie lenkt
und sie damit verschlimmert, bestätigt sich nicht. Im Gegenteil ist oft eine größere
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 14 Akzeptanz erreichbar, die das Ankämpfen gegen positive Symptome entbehrlich macht
und größeren inneren Freiraum für andere Erlebnisse schafft. Häufig können
Bewältigungsstrategien der Betroffenen aufgegriffen und verfeinert werden (Material
dazu s. u.). Änderung von Einstellungen und Verhaltensexperimente zur
Realitätstestung gehen häufig mit großer Angst einher, die berücksichtigt und behutsam
bewältigt werden muss. Gleichzeitig bestehen häufig Defizite im Erinnern früherer
Erfahrungen, im Selbstmonitoring von Intentionen und Handlungen (Mentalisierung) und
im schlussfolgernden Denken. Wenn etwas Distanz zu Halluzinationen und
Wahngedanken besteht, ist die positive Umdeutung dieser Symptome zu Warnzeichen,
die durch ihr stärker werden auf eine Überforderung hinweisen, wichtig.

Ziele kognitiver Therapie:
o Erkennen von und reagieren auf „Frühwarnsymptome“
o Aufmerksamkeit auf reale Umwelt und emotionale Reaktionen
o Bearbeitung dysfunktionaler Metakognitionen, z. B.:
 „Ich muss gegen meine Symptome kämpfen“
 „Ich muss mich schonen und warten, bis die Krankheit zurück geht“
 „Wenn ich gesund bin, geht es mir immer gut“
 „Meine Stimmen haben Recht“
o Entpathologisieren von Halluzinationen (Normalizing)
o Bearbeiten von Wahn und Halluzinationen (Standardtechniken)
o Stärkung der Identität: Empowerment
o Aufheben der Selbststigmatisierung
Von besonderer Bedeutung sind die sozialen Kognitionen (soziale Selbst- und
Fremdwahrnehmung, Fähigkeit zum emotionalen Perspektivenwechsel, Erschließen der
Handlungsabsichten anderer, Umgang mit negativen Emotionen wie Ängsten und
Depressionen, Fähigkeit, positive Emotionen zu intensivieren und aufrechtzuerhalten),
die zunehmend Beachtung finden. Für den deutschsprachigen Raum liegt ein Manual
zum Training emotionaler Intelligenz zum Üben dieser Fähigkeiten vor. Hier wird auch
eine Übersicht über andere Trainings und deren Wirksamkeit gegeben (Vauth und
Stieglitz 2008). Für die auch bei Jugendlichen auftretende Doppeldiagnose Psychose
und Sucht eignen sich die Manuale von Gouzoulis-Mayfrank (2007).
Menschen mit Schizophrenie zeigen trotz erheblicher Beeinträchtigungen oft kein
subjektives Leid und sehen keine Notwendigkeit zu einer Auseinandersetzung im
Gespräch. Darin kann sich das zutreffende Empfinden einer Überforderung durch die
Konfrontation mit Themen zur Schizophrenie ausdrücken. Eine solche Überforderung
kann auch durch die krankheitsbedingte Störung der Identität eintreten. Betroffene
können sich durch jeglichen Hinweis auf ihren Zustand in unerträglicher Weise infrage
gestellt und verunsichert fühlen. Themen wie Medikation und Bedeutung von Aktivitäten
müssen dennoch angesprochen werden. Da die Betroffenen außerdem sehr empfindlich
auf Bevormundung reagieren, ist eine indirekte Therapie sinnvoll. Durch anekdotisches
Erzählen von eigenen Erlebnissen oder Erfahrungen mit anderen Patienten können oft
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 15 wichtige Inhalte vermittelt werden, am besten in der Gruppe, wo sich niemand direkt
angesprochen fühlen muss.
Grundsätzlich können Standardmethoden je nach Ziel eingesetzt werden. Es muss
immer mit langsamen Fortschritten gerechnet und in kleinen Schritten vorgegangen
werden. Dann ist bei ausreichend stabilem Zustand auch eine Bewältigung von Ängsten
in kleinen Schritten durch Konfrontation möglich.
Wenn Patienten mit Schizophrenie die Mitarbeit verweigern, ist dies häufig Ausdruck
einer Überforderung, die ungern direkt angesprochen wird. Aufgrund des durch subjektiv
erlebte Defizite geprägten Selbstbildes nehmen viele Betroffenen lieber einen Konflikt
mit Therapeuten oder Angehörigen in Kauf, anstatt eine Überforderung anzuerkennen.
Oft wird sie gar nicht bewusst. Eine Entlastung oder ein Verringern von Anforderungen
hilft bei vielen Problemen.
Bei persisitierenden positiven Symptomen ist es entscheidend, Betroffene zu einer
Fortsetzung oder schrittweise Wiederaufnahme ihrer gewohnten Tätigkeiten zu
bewegen. Voraussetzung ist, die Aufmerksamkeit von der Auseinandersetzung mit den
Symptomen zur Umwelt zu lenken, wie hier grafisch dargestellt:
Wahn
Halluzination
Aufmerksamkeit
Ich
U
M
W
E
L
T
Ich
Aufmerksamkeit
Wahn
Halluzination
Seele
U
M
W
E
L
T
Seele
WS Schizophrenie M. Hemmerle
19
WS Schizophrenie M. Hemmerle
20
Abbildung: Aufmerksamkeitsrichtung: Ausgangs- und Zielsituation
Die Wahrnehmung, Akzeptanz und Berücksichtigung der eigenen Grenze der
Belastbarkeit muss oft geduldig geübt werden. Hierbei hilft die grafische Darstellung
„Rehabilitationsverlauf“. Wenn Symptome stärker werden, gibt es immer einen inneren
oder äußeren Auslöser dafür, der gesucht und vermieden werden kann oder mit dem ein
anderer Umgang möglich ist. Wenn solche Auslöser im sexuellen Bereich liegen,
werden sie häufig nicht mitgeteilt. Es kann dann in der Therapie ausreichen, zu fragen,
ob die Betroffenen den Auslöser kennen. Sie müssen ihn nicht unbedingt aussprechen.
Eine andere Form des Umgangs und der Bewältigung kann trotzdem gesucht werden.
Als entscheidend hat sich eine zuversichtliche, geduldige und Hoffnung vermittelnde
Haltung des Therapeuten erwiesen. Es kann sinnvoll sein, das Setting einer ambulanten
Therapie mit 50 Minuten Gespräch einmal in der Woche zugunsten häufigerer kurzer
Kontakte (auch telefonisch) aufzulösen. Es sollte auch immer erwogen werden, andere
Möglichkeiten der Unterstützung in Anspruch zu nehmen, z. Bsp.:
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 16 -
-
Ambulant betreutes Wohnen
Ambulante psychiatrische Krankenpflege
Psychosoziale Zentren und Dienste
Arbeitstherapie
Schulen für Kranke
Übergangswohnheime
Spezialisierte Jugendhilfeeinrichtungen
gesund
Rehabilitationsverlauf
hoch
Belastungsgrenze
Überforderung
Rückfall
Chronifizierung
LeistungsAnforderung
Trainingsgrenze
Unterforderung
Fehlendes Training
Hospitalisierung
Chronifizierung
krank
Beginn der
Behandlung
Dadurch kann oft eine dauerhafte Heimunterbringung vermieden werden. Ggf. sollten
Angehörige über diese Möglichkeiten informiert werden. Wenn die Kooperation der
Patienten und ihrer Familien gewonnen werden kann, ist eine psychosoziale
Rehabilitation (Recovery) meist erzielbar.
Maltherapie
Maltherapie ermöglicht die Visualisierung verbal schwer auszudrückender
Erlebnisinhalte. Bei mutistischen Kindern und Jugendlichen ist sie zur Kontaktaufnahme
geeignet (auch dialogisches, d. h. abwechselndes Malen auf ein Blatt). Dadurch
ergeben sich diagnostische Informationen. Temperafarben, möglichst große Blätter
(ideal 50X70 cm) und breite Pinsel (2 cm) sind gut geeignet, um emotionales Erleben
anzusprechen. Auch Gespräche über die gemalten Bilder sind sinnvoll, allerdings nicht
Erlebnis aktivierend, sondern immer positivierend. Vielen fällt es leichter zu malen, wenn
ein Thema vorgegeben wird (Beispiele s. Anhang). Einführend kann betont werden,
dass es nicht darum geht, möglichst schöne Bilder zu malen, sondern seine spontanen
niedrig
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 17 Einfälle möglichst unbefangen auszudrücken. Auch „einfach drauf los malen“ ist erlaubt,
man kann nichts falsch machen. Die einfachen Bilder sind oft die Interessantesten.
Medikamentöse Behandlung
Auch die Behandlung mit Antipsychotika hat eine psychotherapeutische Seite. Sie
bedarf einer intensiven Begleitung durch den Psychiater, um durch optimale Wahl des
Mittels und der Dosierung sowie unmittelbare Reaktion auf Krisen in Absprache mit den
Betroffenen die Compliance zu erhalten und Nebenwirkungen zu minimieren (Pajonk
und Falkai 2004). Auf Wünsche nach einer Reduktion der Dosis sollte eingegangen
werden, wenn andernfalls ein eigenständiges Absetzen der Medikation zu befürchten
ist. Ziel der Behandlung ist zunächst die Besserung von Angst, die zu Suizidalität führen
kann. Dann soll die Belastbarkeit soweit erhöht werden, dass weitere therapeutische
Interventionen möglich werden. Positive Symptome müssen nicht beseitigt werden, sie
haben keinen Einfluss auf den Verlauf. Wichtiger ist es, Nebenwirkungen (v. a.
Müdigkeit) zu vermeiden. Auch der Verlauf verschlechtert sich durch Warten mit dem
Beginn einer antipsychotischen Behandlung nicht.
Recovery Movement
Veröffentlichungen (Amering und Schmolke 2007) hierzu betonen folgende
Schwerpunkte:













Aufmerksamkeit nicht auf Erkrankung, sondern auf Entwicklungsmöglichkeiten
Auch mit bleibenden Symptomen oder wiederkehrenden Episoden kann man sich
wohl fühlen
Multiprofessionelle Interventionen
Zugang zu unterstützenden Institutionen vermitteln
Grundlegende Förderung im Haushalt
Patiententreffs
Alle Interventionen in der Vision möglicher Heilung
Integration in die Gemeinde
Zur Verfügung stellen von Arbeit / Ausbildung / Schule
Training sozialer Kompetenz
Psychoedukation
Symptom Management
Therapie zur Bewältigung des Traumas, eine Schizophrenie zu haben
Empowerment
So ermöglichen Therapeuten Empowerment (Lauber und Rössler in Gaebel und Rössler
(Hrsg): Stigma – Diskriminierung – Bewältigung. 2005)
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 18 -
Sie













handeln nach dem Self-managed care (Betonung eigener Verantwortung d. Pt.)
hören zu und sprechen nicht selbst.
fragen nach Stärken und nicht nach Symptomen.
fragen nach Interessen.
sind Mentor und Vorbild.
zeigen Varianten auf.
helfen, Schwerpunkte und Leitplanken zu setzen.
besprechen Frühwarnsymptome.
helfen, einen Krisenplan zu erarbeiten.
versuchen, so lange wie möglich ambulant und so kurz wie möglich stationär zu
behandeln.
anerkennen und schätzen Wert.
versuchen, mit dem Patienten zusammen Veränderungen anzustreben.
fragen nach Wünschen und Befürchtungen, Bedürfnissen und bereits Erreichtem.
Perspektiven



Einbezug Betroffener in Gestaltung und Leitung von psychiatrischen Institutionen
und Entscheidungsgremien wie Forschungseinrichtungen und
Ethikkommissionen
Einbezug Betroffener in die Ausbildung von Professionellen
Unterhaltung eigener Institutionen durch Betroffene (Fountain House New York
City)
Wirkung von Empowerment












Verbessert die sozialen Kontakte und Wohn- und Arbeitssituation
Verbessert die Lebensqualität und das Selbstbewusstsein der Betroffenen
Hat positiven Einfluss auf die Beziehung zwischen Betroffenen und
Professionellen
Perspektive
Durchführung von Gruppen und Workshops durch Betroffene für Betroffene
Schwierige Situationen
Reaktion auf Wahn
Bilanzierende Suizidalität
Strategien bei Problemen
Kontakt zu Angehörigen oder Bezugspersonen aufnehmen
Mögliche Problembereiche indirekt ansprechen (anekdotisch)
Konfrontation vermeiden, zielorientiert arbeiten
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 19 -
Familienarbeit: Praktische Hinweise
Das Klima in der Familie nimmt Einfluss auf den Verlauf einer Schizophrenie. Dabei
stellte sich heraus, dass Störungen viel mehr Folge einer sich entwickelnden
Schizophrenie, als deren Ursache sind. Allerdings können Rückfälle durch ein hohes
Maß ausgedrückter Gefühle (High Expressed Emotion, (HEE): Überfürsorglichkeit, Kritik
und Ablehnung) begünstigt werden. Ziel der Familienarbeit ist es, alle Angehörigen bei
der Bewältigung und Akzeptanz der Schizophrenie zu unterstützen und Schuldgefühlen
der Eltern als unberechtigt entgegenzuwirken (Hahlweg et al. 1995 u. 2008). Die starke
Betroffenheit der Angehörigen zu bewältigen ist dabei eine besondere Herausforderung.
Der Stand der Forschung zeigt, dass Therapie wirksamer ist und die erreichten Ziele
mehr Bestand haben, wenn es gelingt, die Familien in die Entwicklung des Erkrankten
einzubeziehen und als Kotherapeuten zu gewinnen.
Seit Beginn der Therapieforschung sind folgende Probleme bei der Behandlung von
schizophrenen Störungen bekannt:
-
-
-
Andere Sichtweise von Betroffenen und Angehörigen zu Diagnose, Auslösern
oder Schwere der Störung
Infolge davon andere Auffassung der Eltern über notwendige Behandlung und
Rehabilitation, häufig werden zu früh die Fortsetzung von Schule und Ausbildung
angestrebt, was die Betroffenen überfordert und zu Rückfällen führen kann.
Verweigerung oder Abbruch notwendiger stationärer, ambulanter und
insbesondere medikamentöser Behandlung durch die Betroffenen oder ihre
Angehörigen
Auch wenn sinnvollen Therapien und Maßnahmen zugestimmt wird, entstehen
Konflikte über die konkrete Planung, die zu Loyalitätskonflikten der Betroffenen
führen können.
Folgende Richtlinien haben sich im Umgang damit bewährt:
1. Angestrebt wird ein Trialog, eine gleichberechtigte, partnerschaftliche
Zusammenarbeit von Betroffenen, Angehörigen und Therapeuten. Dabei muss
eine persönliche Beziehung zur ganzen Familie gesucht werden. Gleichzeitig muss
das Sorgerecht und die Verantwortung der Eltern für ihr Kind respektiert werden.
Auch therapeutische „Fehler“ der Eltern sollten besser toleriert werden, als einen
unlösbaren Konflikt darüber zu riskieren. Ein Misserfolg ist auch für Betroffene
besser als ein Abbruch der gesamten Arbeit.
2. Für eine effektive Betreuung sind gemeinsame Sichtweisen über die Art der
Störung der Betroffenen sowie Auslöser und Ursachen Voraussetzung. Daraus
werden gemeinsame Ziele und Vorgehensweisen abgeleitet. In diesem Prozess
dürfen keine Schritte übergangen werden, auch wenn eine langfristige
Auseinandersetzung darüber notwendig ist. Die Betroffenen sind auf eine
übereinstimmende Haltung von Eltern und Betreuern angewiesen, da sonst
Loyalitätskonflikte entstehen.
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 20 3. Die Mitarbeit der Familien ist unerlässlich. Ein Erfolg ist sonst kaum zu erwarten.
Die Aufklärung darüber erfolgt mündlich und schriftlich ausführlich bei Beginn der
Behandlung.
4. Flexible Settings bieten die größte Gewähr, Angehörige mit unterschiedlichen
Vorstellungen und Vorlieben einzubeziehen: Familien- und Elterngespräche,
Familien- und Elternseminare (Multifamilientherapie), regelmäßige Telefonate,
Familiennachmittage, -feiern und –aktionen sowie Hausbesuche (Aufsuchende
Familientherapie).
5. Der Stand der Forschung zeigt, dass weniger die Form, als die Dauer der
Familienarbeit wirksam ist. Die Inhalte müssen den Belangen der einzelnen
Familien im jeweiligen Stadium ihrer Verarbeitung der Störung ihres Kindes gerecht
werden (Vgl. Tabelle oben). Unkritischer Einsatz von Standardprogrammen kann
Nachteile haben. Eine Familie mit gutem kommunikativem Klima kann z. B. durch
ein Kommunikationstraining verunsichert werden und den Eindruck erhalten, hier
etwas falsch zu machen.
6. Wenn die Kommunikation der Familie erheblich gestört und das emotionale Klima
dysfunktional ist, bewähren sich getrennte Gespräche mit Eltern und Betroffenen.
Der Therapeut kann die Rolle eines Vermittlers einnehmen und Spannungen
reduzieren. Kommunikationsstörungen sind Folge, nicht Auslöser der
schizophrenen Störung. Im Zuge der Besserung des Zustandes Betroffener
entspannt sich das kommunikative Klima in der Familie. Daher muss nicht
unbedingt die Kommunikation modifiziert werden. Auch Zeit für die Stabilisierung
zu gewinnen hilft.
7. Wenn es gewünscht wird, kann Problemen und psychische Störungen auch von
Eltern in den Gesprächen Raum gegeben werden. Bei anderen Eltern muss
besonders darauf geachtet werden, sie nicht als Patient zu behandeln.
8. Informationsvermittlung und Informationsmaterial für die Eltern ist nur zum richtigen
Zeitpunkt und im richtigen Umfang sinnvoll. Wissenschaftliche Konzepte und
Ergebnisse zur Schizophrenie können bei Betroffenen und Angehörigen zu
Depression führen. Dankbar angenommen werden oft Literaturempfehlungen. Hier
ist jedem freigestellt, ob und wann er sich damit beschäftigt.
9. Need-adapted-treatment (Bedürfnis orientierte Behandlung),
Ressourcenorientierung und Empowerment bewähren sich (wie in der Literatur für
erwachsene Patienten beschrieben). Es ist wichtig, eigene Lösungsversuche der
Familie zu erfragen und daran anzuknüpfen.
10. Auch in der Vergangenheit mehrfach als erfolgreich beschriebene paradoxe
Vorgehensweisen bewähren sich in bestimmten Situationen. Manche Eltern
bestehen aus dem Unvermögen, die Schwere der Beeinträchtigung anzuerkennen,
auf überfordernde Maßnahmen und Tätigkeiten. Dieser Haltung kann sich der
Therapeut zunächst anschließen, um einen Konflikt zu vermeiden und sich dann
gemeinsam auf mögliche Probleme vorzubereiten. Möglich ist:
a. Die mit der Maßnahme verbundenen Anforderungen an das erkrankte Kind im
Gespräch zu konkretisieren und mit aktuellen Erfahrungen zur Belastbarkeit zu
vergleichen. In manchen Fällen wird dabei die Gefahr einer Überforderung und
eines Rückfalles in überzeugender Weise deutlich und die Eltern akzeptieren
Maßnahmen mit geringeren Anforderungen.
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 21 b. Wenn das nicht gelingt, ist es sinnvoll, die Familien auch bei unzweckmäßigen
Maßnahmen, die sie einleiten, zu begleiten und dann rechtzeitig auf erste
Zeichen einer Verschlechterung hinzuweisen. Auch wenn ein Rückfall nicht
vermeidbar war, kann die Enttäuschung der Familie einfühlsam aufgenommen
werden, um damit die Erkrankung mit ihren Beeinträchtigungen weiter zu
verarbeiten und zu akzeptieren. Anschließend kann mit einer sinnvollen
Alternative wieder Hoffnung geweckt und die Betreuung fortgesetzt werden.
Akzeptanz und Verarbeitung einer psychotischen Erkrankung in der Familie erfolgen in
verschiedenen Phasen, die unterschiedliche Anforderungen an die Therapie stellen:
Phase
Interventionen
Akute Phase
Medikamente, Beruhigung,
Entlastung, Erhebung von
Störungsbildern Betroffener und ihrer
Angehörigen
Kognitive Erfassung und Verarbeitung des
Krankheitsgeschehens mit produktiven
Symptomen, verbliebenen Defiziten und Folgen
für die persönliche Lebenssituation und –
planung
Information über Erkrankung,
Auslöser, Behandlung, Prognose,
Medikamente, Vorbeugung, Verlauf
Emotionale und motivationale Verarbeitung des
Geschehens
Erprobung verbliebener Fähigkeiten
und Ressourcen, Motivierung,
Entwicklung alternativer
Lebensperspektiven
Aufbau einer neuen Struktur und Hierarchie
eigener Ziele
Begleitende und unterstützende
Gespräche
Suche nach geeigneten Maßnahmen und
Bedingungen zum Erreichen dieser Ziele
Überblick und Auswahl geeigneter
Angebote:
 Therapie
 Rehabilitation
 Ausbildung
 Berufsförderung
 Arbeitsmarkt
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 22 
Prüfung, ob die Ziele erreicht wurden und wie
erfolgreiche Bewältigungsstrategien in den
Alltag übernommen werden können
Formen betreuten Wohnens
Nachbetreuung
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Göttingen: Hogrefe
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Heiden, W., Nienhuis, F. J., Walsh, D. (2000): Social disability in schizophrenia:
its development and prediction over 15 years in incidence cohorts in six European centres. Psychological Medicine 30: 1155-1167
Wittchen, J. U.: Psychotische Störungen und Schizohrenie (Teil I und II):
http://www.psychologie.tu-dresden.de/i2/klinische/studium/ss08/wittchen%20
schizophrenie6.pdf
Wunderlich, U., Wiedemann, G., Buchkremer, G. (1996): Sind psychosoziale
Interventionen bei schizophrenen Patienten wirksam? Eine Metaanalyse.
Verhaltenstherapie 6, 4-13.
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 26 Anhang:
Checkliste FETZ Berlin (http://www.charite.de/fetz/)
Sie haben sich im Vergleich zu früher deutlich von anderen zurückgezogen und isoliert,
ziehen das Alleinsein der Gesellschaft anderer vor.
Sie können früher problemlos bewältigte Aufgaben im Beruf, in der Schule/ Ausbildung
oder im Haushalt ohne erkennbaren Grund nicht mehr oder nur noch ungenügend
erfüllen.
Sie vertreten neuerdings Vorstellungen oder Gedanken, die ihr Verhalten beeinflussen
(z.B. Hellseherei, Aberglaube, Telepathie, “sechster Sinn”, überwertige Ideen,
Beziehungsideen).
Sie haben häufiger das Gefühl, dass zufällige Ereignisse, auf sie bezogen seien, obwohl
diese jedoch nichts mit Ihnen zu tun haben. Sie können jedoch sehr schnell wieder von
diesem Eindruck Abstand gewinnen. Sie haben z.B. das Gefühl, dass lachende
Menschen auf der Straße über Sie lachen, obwohl sie im gleichen Moment oder kurz
darauf wissen, dass dies nicht der Fall ist.
Ihr Denken wird häufig durch emotional neutrale Gedanken gestört und unterbrochen,
die sich eindrängen und nicht oder nur schwer zu unterdrücken sind.
Sie erleben ein zeitweiliges Durcheinander von thematisch nicht oder nur locker
zusammenhängenden Gedanken, die sich nicht kontrollieren oder strukturieren lassen.
Sie erleben seltsame Störungen des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens und
Tastens, für die sich keine organische Ursache finden läßt, z.B. Veränderungen von
Farben, Formen, Gesichtern, Distanzen, “Echos” von visuellen oder akustischen Reizen
oder Intensitäts- oder Qualitätsveränderungen von Wahrnehmungsreizen.
Sie fühlen sich in Ihrer Fähigkeit zur Aufnahme oder Aufrechterhaltung von Kontakten
reduziert. Obwohl der Wunsch nach Kontakten unverändert vorhanden ist, sehen Sie
sich z.B. nicht mehr in der Lage, ein Gespräch zu führen, Sie wissen nicht, was Sie
sagen sollen.
Sie haben plötzlich eine “dünne Haut” und sind emotional leicht irritierbar, z.B. weinen
Sie schon bei den kleinsten Missgeschicken, grübeln noch lange über schlechte
Nachrichtenmeldungen, die Sie nicht persönlich betreffen, oder sind sehr leicht durch
das Verhalten anderer Ihnen gegenüber verletzt, und legen jedes Wort “auf die
Goldwaage”.
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 27 -
Checkliste Psychosezentrum Ruhrgebiet
(http://www.psychosezentrum.de/frueh/checklisteprint.htm)
Mit der Checkliste wird das Vorliegen möglicher Frühsymptome abgefragt. Damit läßt
sich eine erste, vorsichtige Aussage über ein erhöhtes Risiko, an einer psychotischen
Störung zu erkranken, treffen. Für sich alleine genommen, muss das Zutreffen eines
Einzelpunktes kein Grund zur Sorge sein. Häufig gibt es für das Vorliegen "normale"
Erklärungen, wie z.B. letzte Klassenarbeiten vor den Zeugnissen o. Ä.. Eine sorgfältige
und ausführliche Abschätzung eines erhöhten Risikos, an einer psychotischen Störung
zu erkranken, ist nur im persönlichen Gespräch und durch ergänzende diagnostische
Maßnahmen möglich. Prinzipiell gilt aber, dass Du Kontakt mit uns oder einer anderen
Beratungsstelle aufnehmen solltest, sobald Du mehr als drei Aussagen unter 1.) und
mehr als eine Aussage unter 2.) für Dich zu treffen.
1. Sind Dir folgende Veränderungen in den letzten Monaten bzw. Wochen aufgefallen?
1. Du bist unsicherer oder schüchterner anderen gegenüber geworden.
2. Du bist schweigsamer geworden und ziehst dich lieber in deine eigenen vier
Wände zurück, als mit anderen etwas zu unternehmen
3. Deine Stimmung ist über Tage oder Wochen hinweg bedrückt, traurig oder
verzweifelt.
4. Du hast häufig Schlafschwierigkeiten.
5. Dein Appetit ist weniger oder mehr geworden. Dein Gewicht hat sich verändert.
6. Deine Bewegungen, dein Denken und Sprechen sind deutlich langsamer
geworden.
7. Dein Interesse oder deine Ausdauer und Motivation in Schule, Ausbildung oder
Arbeit und bei Freizeitaktivitäten hat auffällig nachgelassen.
8. Du achtest weniger auf deine persönlichen Bedürfnisse, deine Gesundheit,
Ernährung, Sauberkeit und Kleidung. Auch das Halten von Ordnung hat
nachgelassen, du bist "unordentlicher" geworden.
9. Du bist häufig nervös, unruhig oder angespannt
10. Im Vergleich zu früher hast Du häufiger Streit und Diskussionen mit Angehörigen,
Freunden oder anderen Personen. Viele unterschiedliche Gedanken geraten in
deinem Kopf durcheinander.
11. Du hast häufig den Eindruck, dass andere Dich hereinlegen, betrügen oder
ausnutzen wollen. Dieses Gefühl hast Du auch gegenüber guten Freunden.
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 28 12. Du hast öfter den Eindruck, dass bestimmte Vorkommnisse im Alltag (z.B.
Hinweise und Botschaften aus deiner Umwelt) nur mit Dir persönlich zu tun
haben oder nur für Dich bestimmt sind.
13. Deine Umgebung kommt Dir manchmal unwirklich verändert und fremdartig vor
(z.B. besonders bedrohlich oder eindrucksvoll).
2. Ist Dir schon einmal irgendwann folgendes aufgefallen? (Die Aussagen beziehen sich
nicht auf Erlebnisse nach einem Joint o. Ä.)

Geräusche oder Farben in deiner Umwelt hast Du besonders intensiv, grell oder
unnatürlich deutlich wahrgenommen. Menschen oder Dinge sind Dir äußerlich
z.B. in ihrer Form, Größe oder Farbe verändert erschienen.

Deine Gedankengänge plötzlich von anderen Gedanken unterbrochen oder
gestört.

Du hast dich zeitweise besonders beobachtet, verfolgt oder durch etwas bedroht
gefühlt.

Du hast Dinge gesehen, gehört, geschmeckt oder gerochen, die andere
überhaupt nicht bemerkten.
Checkliste für Kinder (von den Angehörigen o. Ä. zu beurteilen)

Schwierigkeiten, zwischen Traum und Realität zu unterscheiden.

Extreme Launenhaftigkeit

Merkwürdiges Verhalten

Regressives Verhalten. Das Kind verhält sich immer häufiger wie ein jüngeres
Kind, obwohl es sich zuvor durchaus altersentsprechend verhalten hat.

Zunehmend ausgeprägtere Ängstlichkeit und Furchtsamkeit

Häufig Probleme, Freundschaften aufzubauen und aufrechtzuerhalten, bzw.
können sich Kinder, die früher viel Freundschaften hatten, immer mehr
zurückziehen und in ihrer "eigenen Welt" leben.

Ganz selten Halluzinationen
Sollten hier zwei oder mehrere Punkte zutreffen, bitte Kontakt mit einem Arzt oder einer
Beratungsstelle aufnehmen.
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 29 -
Der Hund und das Stück Fleisch (Äsop)
Ein großer Hund hatte einem kleinen, schwächlichen Hündchen ein dickes Stück Fleisch
abgejagt. Er brauste mit seiner Beute davon. Als er über eine schmale Brücke lief, fiel
zufällig sein Blick ins Wasser. Wie vom Blitz getroffen blieb er stehen, denn er sah unter
sich einen Hund, der gierig seine Beute festhielt.
"Der kommt mir zur rechten Zeit", sagte der Hund auf der Brücke, "heute habe ich
wirklich Glück. Sein Stück Fleisch scheint noch größer zu sein als meins."
Gefräßig stürzte sich der Hund kopfüber in den Bach und biss nach dem Hund, den er
von der Brücke aus gesehen hatte. Das Wasser spritzte auf. Er ruderte wild im Bach
umher und spähte hitzig nach allen Seiten. Aber er konnte den Hund mit dem Stück
Fleisch nicht mehr entdecken, er war verschwunden.
Da fiel dem Hund sein soeben erbeutetes, eigenes Stück ein. Wo war es geblieben?
Verwirrt tauchte er unter und suchte danach. Doch vergeblich, in seiner dummen Gier
war ihm auch noch das Stück Fleisch verloren gegangen, das er schon sicher zwischen
seinen Zähnen gehabt hatte.
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 30 -
Themen Maltherapie
Eine Landschaft
Zwei Menschen
Ein Baum
Ein Traumurlaub
Ein Kind
Ein Wunsch
Ein Haus
Ein sicherer Ort
Ein Garten
Ein schöner Tag
Ein Tier in seinem Lebensraum
Eine Märchenfigur
Eine Mutter
Ein Traum
Ein Arbeiter / eine Arbeiterin
Mein Leben in drei Jahren
Meine Lieblingsbeschäftigung
Ein Einsiedler
Ein Zwerg
Schlaraffenland
Ein Geschenk
Abschied
Was ist mir am wichtigsten?
Ferien
Mein Lieblingstier
Eine Entdeckungsreise
Ein Baby
Etwas Schönes
Etwas Beruhigendes
Ein Mensch
Eine Schulklasse
Ein Wald
Ein Mensch, der etwas Schönes tut
Weihnachten
Ein Vulkan
Urlaub
Eine Verkleidung
Abschied
Ein Märchen
Zwei Menschen
Was ein guter Mensch tut
Ein Tier
Ein Mensch bei der Arbeit
Ein Schiff auf dem Meer
Ein Blumenstrauß
Ein Kinofilm
Ein Liebespaar
Eine Quelle
Ein Urwald
Ein Komet
Meine Arbeit
Ein Zoo
Etwas, was mich heilt
Eine Erfahrung von Gewalt
Mein Hobby
Eine Familie
Die Steinzeit
Eine Theateraufführung
Familie in Tieren
Eine Schulklasse
Eine Comicfigur
Ein Turm
Eine Hexe
Eine Landschaft
Ein Fest/eine Party
Gruppenbild
Karneval
Ein Wappen
Frühling
Unterwasserwelt
Eine Quelle
Ein fröhlicher Mensch
Ein Prinz/eine Prinzessin
Ein Abenteuer
Freunde
Berge
Elternhaus
Ein See
Meine gute Seite
Eine schöne Erinnerung
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 31 -
Einbahnstraße Rückfall
Verdrängung der eigenen
Verwundbarkeit und Grenzen
Chronisch-progredienter Verlauf,
langfristige Heimunterbringung
Überschätzung der
eigenen Fähigkeiten
Zunehmende kognitive
Und sozio-emotionale
Einschränkungen
Versuch, sich
selbst zu beweisen
Apathie, Vernachlässigung sinnvollen Trainings
Resignation,
Frustration
Weglassen antipsychotischer
Medikamente
Stärkere Nebenwirkungen
Rückfall, Aufnahme in die
Psychiatrie, Eröhung der Dosis
antipsychotischer Medikamente
Verschlimmerung positiver
oder negativer Symptome
Überfordernde
Tätigkeiten (Schule,
Arbeit)
Versagen
Der Kreislauf zu Recovery
Selbständigkeit,
Selbstbewusstsein
Akzeptanz der eigenen
Vulnerabilität und Grenzen
Anerkennung von kognitiven
und sozio-emotionalen Einschränkungen, Vermeidung
von kritischem Stress
Fortsetzung
sinnvollen
Trainings
Zunehmende
Hoffnung und
Motivation
Bereitschaft, Anforderungen langsam
zu steigern
Weniger Nebenwirkungen
Sinkende Dosis
Antipsychotischer
Medikamente
Compliance bei der
Behandlung mit
Antipsychotika
Abnehmende positive und
negative Symptome
Zunehmende kognitive
und sozio-emotionale
Fähigkeiten
Aktivitäten, die den aktuellen
Fähigkeiten entsprechen
(Therapy, Ausbildung, Arbeit)
Erfolg
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 32 Informationen zur psychoedukativen Vermittlung:
Bio – psycho – soziales Vulnerabilitäts - Stress- Bewältigungs-Modell
Prävalenz nach Alter und Geschlecht (Wittchen online)
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 33 Heredität (Wittchen online)
Kreativitätsforschung, Stigmatisierung
Diese Ergebnisse sind von besonderer Bedeutung, da sie den Betroffenen und ihren
Angehörigen erleichtern, die Schizophrenie zu akzeptieren und einer (Selbst-)
Stigmatisierung entgegen wirken. Untersuchungen hierzu:

Felix Post (1994): Untersuchung von 291 Lebensläufen.
o Ergebnis: Schwere Gemütskrankheiten bei
 37,5% der bildenden Künstler
 46% der Schriftsteller
z. B.: Cézanne, Gauguin, Kandinsky, Dostojewski, Hemingway,
Thomas Mann, Strindberg
o Leichte Störungen bei allen außer Maupassant

Arnold M. Ludwig (1995): 1000 Berühmtheiten des 20. Jahrhunderts: Musiker,
Entertainer, Schauspieler, Schriftsteller
o 30% bis 42% suchten einmal im Leben Hilfe beim Psychiater (3x mehr als
Durchschnitt)

Jon Karlsson (2004): Krankenakten von 180 begabten Studenten und 1016 ihrer
Verwandten untersucht:
o 4 stationär behandelte Psychosen, Erwartungswert 1 Fall
o 22 unter Verwandten (Erwartungswert: 8)
o Nur bei Mathematikern 2 bis 3-fach erhöhtes Psychoserisiko in der Familie
M. J. Hemmerle: WS Psychotherapie bei Psychosen im Kindes- und Jugendalter - 34 Prominente StimmenhörerInnen
Sokrates
Hildegard von Bingen
Johanna von Orleans
John Nash
Paddy McGowan, Stephanus Binder, Netzwerk spinnen, Nest
Literatur:



Post F. Creativity and psychopathology. A study of 291 world-famous men. Br J
Psychiatry. 1994, 165(2):22-34.
Ludwig AM. The price of greatness. Guilford Press, New York, 1995.
Karlsson JL. Psychosis and academic performance. Br J Psychiatry 2004, 184:
327–329, auch online zu lesen: Psychosis and academic performance
Einschätzungen der Allgemeinbevölkerung zu Eigenschaften von
Menschen mit Schizophrenie und Depression und emotionale Rekationen
(Amering und Schmolke 2007)
Schizophrenie
Depression
bedürftig
91
88
auf andere angewiesen
68
hilflos
Schizophrenie
Depression
Unbehagen
48
32
63
Unsicherheit
34
24
61
56
Angst
34
21
unberechenbar
54
28
Peinlichkeit
20
18
eigenartig
49
32
Mitleid
61
64
Mangel an
Selbstbeherrschung
44
25
Wunsch zu helfen
59
67
Empathie
25
34
bedrohlich
41
22
Unverständnis
19
13
aggressiv
36
21
Irritation
15
12
gefährlich
30
14
Ärger
10
8
Spott
5
4
Sich heraushalten
30
23
WS Schizophrenie M. Hemmerle
52
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