Der Vortrag als Word-Dokument zum

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Vortrag an der Universität Dortmund, FB Sonderpädagogik
am 19. Juni 2001
Referentin: Petra Stahr, Projektleitung NetzwerkBüro
Einblick in die Selbsthilfe von Frauen mit Behinderung
Lebenssituation behinderter und chronisch kranker Frauen
sowie Ausprägungen
struktureller Diskriminierung
Zu Anfang unserer Stellungnahme und zum besseren Verständnis unseres
Anliegens ist es sicherlich notwendig unseren Begriff „Behinderte Frau / behindertes
Mädchen“ zu definieren.
Wir verstehen unter dem Begriff „Behinderte Frau / behindertes Mädchen“ all
diejenigen, die durch eine Hör-, Seh-, Körperbeeinträchtigung und / oder eine
geistige oder psychische Beeinträchtigung eingeschränkt sind.
In unserem Verständnis sind ebenfalls die Frauen und Mädchen eingeschlossen, die
durch chronische Erkrankungen, wie z. B. Diabetes, Aids, Krebs und Multiple
Sklerose etc., in ihrer Lebensführung stark beeinträchtigt sind, so dass sie sich als
beeinträchtigt und behindert – subjektiv und / oder objektiv (durch den
Schwerbehindertenausweis) – begreifen.
Bei der Definition von „Behinderung“ orientieren wir uns an der bestehenden
Definition der WHO. Diese benennt 3 Stufen: a) die Schädigung b) die
Beeinträchtigung c) die Behinderung.
Unter einer Schädigung ist die jeweilige körperliche, geistige oder seelische
Funktionseinschränkung zu verstehen. Daraus folgt die körperliche, geistige oder
seelische Beeinträchtigung. Die Behinderung schließlich umfasst, infolge der
Beeinträchtigung, alle gesellschaftlichen Strukturen und Verhaltensweisen sowie alle
Maßnahmen, die den beeinträchtigten Menschen Lebensmöglichkeiten nehmen bzw.
erschweren und so die Lebensqualität einschränken.
1. Strukturelle Gewalt – der Boden für die Diskriminierung
behinderter und chronisch erkrankter Frauen und Mädchen
In Vorbereitung dieses Seminars habe ich mich noch einmal intensiv mit
unterschiedlicher Literatur und den neueren Forschungsergebnissen zum Thema
behinderte und chronisch erkrankte Frauen befasst, die an erster Stelle die
Lebenssituation körper- und sinnesbehinderten Frauen untersucht hat und nicht die
der psychisch oder schwerstpflegeabhängiger oder geistig behinderten Frauen.
Ich selbst bin als Referentin in der Praxis täglich mit den Problemen behinderter
Frauen konfrontiert und unser Netzwerkbüro im Zusammenspiel mit den
ehrenamtlich tätigen Netzwerkfrauen arbeitet an vielen Themen. Eigentlich ist mir
also fast nichts mehr unbekannt ist. Dennoch muss ich doch ganz ehrlich sagen,
dass mich der intensive Einblick in die Lebenssituation behinderter Frauen und auch
Mädchen immer wieder tief berührt.
1
1.1
Abhängigkeit von gesetzlichen Strukturen und deren Anwendern
Wenn Sie emphatisch die vorhandene Literatur studieren, werden Sie feststellen,
dass die Lebenssituationen chronisch erkrankter und behinderter Frauen und
natürlich auch besonders die der Mädchen, sehr von den festgelegten Strukturen in
der Gesellschaft wie der Politik, Wirtschaft und dem Gesundheitswesen sowie der
Ideologie abhängig und geformt sind.
Wie Sie auch den Forschungsstudien entnehmen können, ist für die individuelle
Bewältigung von behindert sein und behindert werden sehr entscheidend welche
gesellschaftlichen rechtlichen Strukturen vorgegeben werden, denn sie geben
meines Erachtens die entscheidenden Grenzen vor.
Die rechtlichen Gesetze und die Menschen die sie auslegen legen fest, und das oft in
unüberschaubare Art und Weise, was für wen und was für wen nicht wer für was und
wie für wen und so weiter und so fort bewilligt und finanziert wird.
Wenn Sie die Erfahrungen behinderter und chronisch erkrankter Frauen unter einem
bestimmten Blickwinkel beleuchten, werden sie sehen, dass bei den meisten Frauen
die entscheidenden sozialen Säulen eines, im weitesten Sinne „gesunden“ Lebens,
wie Arbeit, Familie und Kinder, finanzielle Absicherung, keine Armut, Freunde und
soziale Kontakte, die psychische wie physische Gesundheit, Teilnahme an Freizeit
und Kultur wie die Teilhabe an den demokratischen politischen
Entscheidungsinstanzen, dass die meisten Säulen nicht nur wackeln, sondern bereits
umgefallen sind. Eine psychosoziale Stabilität – im Rahmen der NORM – kann somit
nicht mehr gewährleistet werden.
Unseren Erfahrungen nach, und diese finden wir in der Literatur bestätigt, liegen die
Grundübel vieler Probleme, welche behinderte und chronisch erkrankte Frauen oft
„erleiden“ müssen vor allem in strukturellen Vorgaben: Der hohe Grad der
Abhängigkeit von vorgegeben gesetzlich festgelegten Strukturen und deren
Anwendern machen es den Frauen und den ihnen nahe stehenden Menschen oft
unmöglich, einen individuellen Weg der Bewältigung einer Behinderung oder
Krankheit zu gehen. Und es sind diese Vorgaben, welche letztlich lebenswichtige
Säulen ins Wanken bringen.
Sozialstaatliche rechtliche Strukturen und deren ausführende Institutionen haben
natürlich auch sehr positive Funktionen. Sie schützen das Individuum in
Krisensituationen. Es sind jedoch dieselben Strukturen, die vielen beeinträchtigten
Frauen ein Leben in Selbstbestimmung verwehren und die sogar explizit
frauenfeindlich sind.
Sie begrenzen und behindern entgegen aller Vernunft. So bekommen behinderte
Mütter beispielsweise, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, keinen PKW finanziert,
den sie dringend zur Bewältigung des Lebensalltags benötigen. Sie müssen extrem
für Assistenz und Unterstützung kämpfen, haben insgesamt wenig Vorteile aufgrund
der Schwerbehinderung und sind zudem hohen psychischen Belastungen auch
aufgrund von finanzieller Armut ausgesetzt.
Wenn sie sich die Menge der Leistungsträger und die damit verbundenen rechtlichen
Vorschriften angucken, werden sie erschlagen, von der Fülle von Gesetzen und der
unglaublichen Breite an Auslegungsmöglichkeiten. Sie werden feststellen, das wir,
2
die Betroffenen selbst von einem bürokratischen Überbau verwaltet werden, der
irrsinnig Geld verschlingt, nicht vernünftig kooperiert und zum Teil diktatorisch (im
Sinne von verwehren, beschränken oder auch ermöglichen) herrscht.
Wenn sich Sie alleine die Praxis der Gutachtertätigkeiten näher anschauen, sei es für
die Einstufung in die Pflegeklassen oder für ein Berentungsverfahren, spüren sie die
Abhängigkeit, die Unsicherheit und die Ängste der zu Begutachtenden. An dieser
Stelle werden übrigens Tür und Tor geöffnet für so genannte freiberufliche
Rentenberater oder ambulante Dienste etc., die ein horrendes Honorar berechnen
und von der Unwissenheit, der Angst und der Abhängigkeit Betroffener, vor allen
älterer, schwerst pflegebedürftiger und geistig behinderter Menschen leben.
Obwohl die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung von der Selbsthilfebewegung
über die Jahre hinweg immer wieder auf die Mißstände aufmerksam gemacht
wurden, und auch so einiges in Bewegung gekommen ist, (so soll z. B. das SGB IX mit
seinen Regelungen anwenderfreundlicher gestaltet werden, sollen z. B. Rechte zur Rehabilitation
überarbeitet werden, es sollen Patientenberatungsstellen, im Sinne von Verbraucherberatungsstellen,
eingerichtet und die Kooperation unterschiedlicher Leistungsträger verbessert werden ), haben sich
in den letzten Jahren wenige konstruktive Vorschläge, die von der
Selbsthilfebewegung gefordert wurden, umsetzen lassen.
Gerade deswegen werden wir, die Selbsthilfebewegung, achtsam ein Auge darauf
werfen, in welchem Sinne Dinge verändert oder eingerichtet werden. Struktureller
Machtmißbrauch ist in fast jeder Geschichte einer beeinträchtigten Frau zu finden.
Und bislang kann diesen Missständen von Seiten der Selbsthilfe keine adäquate
Beratung oder Vertretung im Sinne des peer counseling entgegengesetzt werden.
Diese Kontrolle unsererseits ist eine zentrale Aufgabe von Selbsthilfearbeit,
besonders von Frauen mit Beeinträchtigungen.
1.2
Das gesellschaftliche Spiegelbild
Das gesellschaftliche Verhältnis zu den Frauen mit Beeinträchtigungen ist immer
abhängig von dem, was die Gesellschaft, die Menschen in ihr, im weitesten Sinne
tolerieren, ablehnen, verachten oder befürworten.
Sie können an der Handhabung unseres Themas genau sehen, wie „unser“
Gesellschaftssystem denkt, wie es zu Krankheiten und Behinderungen steht, welche
rationalen oder irrationalen Ängste entwickelt werden, wie weit es von
technologischem Fortschrittsglauben und Allmachtsphantasien abhängig ist.
Sehr schön kann dieses gesellschaftliche Denken an der Diskussion um die
Gentechnologie und Biomedizin und anhand der ethischen Diskussionen um die
Pränataldiagnostik verfolgt werden.
Das „Anderssein“ – wie das Kind mit Down-Syndrom – scheint im Zusammenhang
mit finanziellem Aufwand für eine spezielle Betreuung und Pflege nicht mehr tragbar,
nicht mehr zu verkraften.
Oder betrachten Sie die vielen Sterilisationsempfehlungen bei behinderten Frauen
oder die Zwangssterilisationen bei psychisch oder geistig behinderten Frauen.
Wenn sie das alles intensiv verfolgen, was denken und fühlen Sie wohl, wenn sie
selbst von Geburt an behindert sind? Was denke ich von mir? Welch einen Wert
billige ich mir zu?
3
Wie Sie sicherlich wissen, ist für die Entwicklung einer stabilen Persönlichkeit
entscheidend, wie sie sich in der Gesellschaft „spiegeln“ kann und wie sie
„widergespiegelt“ wird. Das positive, anerkennende „Spiegeln“ impliziert ein stabiles
Selbstwertgefühl für die Durchführung und das Erleben geschlechtsspezifischer
sozialer Rollen.
Frauen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen müssen jedoch aufgrund
ihrer speziellen Lebenssituation an der Teilhabe vieler Rollen und Einstellungen wie
z. B. zur Liebe, Sexualität, Weiblichkeit und Mutterschaft, oder der Arbeit und
Berufsvorstellungen verzichten. Sie sind gezwungen, spezifische
Bewältigungsstrategien entwickeln, um ein defizitäres Lebensgefühl zu
kompensieren oder im besten Fall konstruktiv in andere Wertvorstellungen
umzuwandeln.
Denken wir hier z. B. an das heutige Schönheitsideal, an Sexualität und Erfolg.
Schon nicht behinderte Frauen tragen große Konflikte in sich. Was diese Haltungen
und Ansprüche an von außen so genannte „leistungsschwache“, „geschlechtslose
und unerotische“ Frauen mit einer Beeinträchtigung bedeutet, kann ebenfalls der
vorhandenen Literatur entnommen werden.
Besonders den Mädchen fehlen positive Orientierungen, Leitbilder. Wie Frau Prof.
Schildmann betont, müssen diese jungen Frauen Wege der Sozialisation gehen, die
geprägt sind von Krankenhausaufenthalten, schmerzhaften operativen Eingriffen und
krankengymnastischen Tortouren, etc. Ganz zu Schweigen von den Kränkungen
ihrer Person und Persönlichkeit aufgrund der kontinuierlichen „Ablehnung ihres
unvollkommenen Erscheinungsbildes“ (Schildmann).
Es ist schon eine große psychische Leistung einiger beeinträchtigter Frauen und
Mädchen, den gängigen Klischees und Rollen entgegenzutreten und für sich
persönlich einen Wertewandel zu vollziehen. Und wir sprechen hier nicht von
Verdrängung der schmerzhaften, gesellschaftlich diskriminierten Außenseiterposition
sondern von der Möglichkeit, aus der eigenen Situation Kraft zu schöpfen.
In diesem Sinne ist die Arbeit des Netzwerkbüros und des Netzwerks angelegt. Ein
Schritt zur Partizipation behinderter und chronisch erkrankter Frauen und Mädchen in
NRW in Form der sozialpolitischen Selbsthilfearbeit. Allerdings müssen wir auch
immer wieder aufpassen, uns nicht in den Auseinandersetzungen mit den
gesellschaftlichen „Machtstrukturen“ zu verlieren. Keinesfalls dürften wir die Frauen,
die wir mit vertreten, deren Stimme wir nutzen dürfen, verlieren.
Und auch wenn Sie demnächst mit behinderten Menschen arbeiten, werden Sie
immer mit strukturellen Grenzen in Verbindung kommen. Wenn Sie geschickt sind,
werden Sie in der Beratung, z. B. der Eltern, Unterstützung anbieten können und gut
über Rechte und Hindernisse Bescheid wissen. Dieses ist eine nicht zu
unterschätzende Assistenz.
Von Bedeutung ist auch Ihr kreativer Umgang mit den Finanzen. Wie wir mittlerweile
täglich hören, diktieren uns die Finanzen das Machbare. Lassen Sie sich davon nicht
abhalten, genau hinzugucken, wo es bessere und effektivere Methode gibt, das Geld
auszugeben oder sogar einzusparen. Besonders in dem Bereich, in dem Sie arbeiten
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werden, gibt es Vieles zu überdenken und alternativ zu lösen. Feilen Sie an
Lösungsansätzen und Verbesserungsvorschlägen. Unterstützen Sie die
Selbsthilfebewegungen mit konstruktiven Vorschlägen.
2. Arbeitsweisen und Arbeitsgebiete in der Selbsthilfe behinderter
Frauen am Beispiel „Gesundheit“
Zum Schluss möchte ich Ihnen an einem konkreten Arbeitsgebiet des Netzwerkbüros
und des Netzwerks verdeutlichen, wie wir arbeiten.
Die Landesregierung hat eine geschlechterspezifische Berichterstattung zur
gesundheitlichen Lage von Frauen und Männern in NRW vorgelegt. Leider sind
große Gruppen von behinderten und chronisch erkrankten Frauen dort noch
nicht aufgenommen worden, so haben Netzwerkbüro und Netzwerk eine
Stellungnahme zur Gesundheitsberichterstattung verfasst.
Unsere Anforderungen an eine zukünftige Gesundheitsberichterstattung sind
aus den im folgenden dargestellten Gegebenheiten zu entnehmen.
Wie Sie dem Gesundheitsbericht NRW „ Zur Gesundheit von Frauen und
Männern“ entnehmen können, ist die spezielle gesundheitliche Lebenssituation von
Frauen und Männern mit Behinderungen nicht Gegenstand der Untersuchung
gewesen, jedoch in eine zukünftige Gesundheitsberichterstattung eingeplant.
Wie anzunehmen ist, wurde dieser Themenkomplex aus Gründen fehlender
empirischer Untersuchungs- bzw. Forschungsergebnisse und fehlender
geschlechtsspezifischer Theorieansätze zur gesundheitlichen Lebenssituation
behinderter Frauen und Männer ausgespart.
Leider liegen uns keine Forschungsergebnisse vor, die ausschließlich die
gesundheitliche Lebenssituation behinderter und chronisch erkrankter Frauen und
Mädchen betreffen. Diese sind jedoch vonnöten, wenn wir langfristig
gesellschaftspolitische Verbesserungen in diesen, zum Teil unflexiblen und den
Bedürfnissen der Betroffenen nicht entsprechenden, bürokratischen (und von daher
teuren) Versorgungsbereichen erreichen wollen.
Forschungsansätze, wie der noch nicht veröffentlichte Bericht über die
Lebenssituation contergangeschädigter Frauen des Fachbereichs Frauenforschung
der Westfälische Wilhelms- Universität in Münster, belegen für einen kleinen Teil
behinderter Frauen, dass gesundheitliche Probleme, Integrationsschwierigkeiten in
das soziale System und Schwierigkeiten mit den unterstützenden Diensten (Dritte)
die Regel sind.
Wir möchten in diesem Rahmen auch noch auf die behinderten und chronisch
erkrankten Kinder hinweisen, die oft von Geburt an, mit den medizinischen und
rehabilitativen Versorgungsstrukturen konfrontiert sind. Sie durchlaufen, wie wir
durch von Geburt an behinderten Frauen wissen, oft Leidenswege, die sich im
Nachhinein als überflüssig und schädigend herausgestellt haben.
Ebenso ist die gesundheitliche Lebenssituation geistig behinderter Frauen im
besonderen Maße zu untersuchen, hier liegen uns ebenfalls keine Daten vor.
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Der Gesundheitsbericht bezieht ansonsten „nur“ die Lebenssituation von Frauen mit
Herzkreislauferkrankungen, Krebserkrankungen, psychischen Erkrankungen und
psychosomatischen Erkrankungen mit ein.
Es fehlen auch die Daten von hör-, seh-, und körperbehinderten Frauen und
Mädchen und vieler chronisch erkrankter Frauen mit schweren Krankheitsverläufen
und unheilbaren Beeinträchtigungen, die letztendlich zur Behinderung führen, so zum
Beispiel bei MS-Erkrankten. Diese Gruppen werden im Verlauf ihrer Erkrankung
oftmals mit psychischen wie körperlichen schweren Beeinträchtigungen konfrontiert
und müssen letztlich als schwerstbehinderte Frauen mit ihrer Erkrankung leben.
Viele der oben genannten Beeinträchtigungen führen zu starken gesundheitlichen
Belastungen, lebenslangen Abhängigkeiten von Assistenz, Hilfen und Hilfsmitteln
sowie von medizinischer Versorgung. Die meisten der beeinträchtigen und
behinderten Frauen sind in regelmäßigem Kontakt mit Medizinern, Krankenhäusern,
Pflegepersonal und Krankenkassen, Rentenversicherungsträgern,
Rehabilitationseinrichtungen und Medizinischen Diensten etc.
Ihr Leben ist geprägt von Arztbesuchen und Behördengängen, die unseren
Erfahrungen nach die Frauen oft an die Grenzen ihrer Belastbarkeit führen und ihnen
Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben nehmen. Besondere Auswirkungen haben
diese Gegebenheiten auf die soziale Lebenssituation als berufstätige Frau und
Mutter, der es vielfach zeitlich noch nicht einmal möglich ist, sich um ihre persönliche
gesundheitliche Befindlichkeit zu kümmern.
2.1
Forderung nach einer differenzierten Datenerhebung unter Beteiligung der
Selbsthilfe
Frauen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen dürfen nicht als eine
homogene Gruppe gesehen werden. Die unterschiedlichsten Beeinträchtigungen
verlangen nach sehr differenzierter Analyse und Datenerhebung. Die zukünftige
Gesundheitsberichterstattung muß auf jeden Fall repräsentativ sein.
In eine zukünftige Gesundheitsberichterstattung, das bedeutet in die
Datenerhebungen, Auswertungen und in die Erarbeitung und Umsetzung politischer
Handlungskonzepte müssen, unserer Vorstellung nach, die Selbsthilfeverbände mit
einbezogen werden. Sie müssen mitbestimmen können. Nur so können langfristige
Konzepte zur Verbesserung der gesundheitlichen und gesundheitspolitischen
Lebenssituation behinderter und chronisch kranker Frauen (und Männer) auf eine
positive und reale Basis gestellt werden.
Blicken wir auf die gesamtgesundheitliche Lage der betroffenen Frauen, und hier
speziell auf das gesundheitliche Befinden und Verhalten sowie auf die medizinische
Versorgung (Präventionsmedizin, Rehabilitationsmedizin und den
dementsprechenden Rehabilitationsmaßnahmen) wird vor allem eines deutlich:
Frauen mit Behinderungen sind gegenüber Frauen ohne Behinderungen und
gegenüber Männern ohne Behinderungen stark benachteiligt.
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Frauen mit Behinderungen sind, laut Gutachten zur Lebenssituation von Frauen mit
Behinderungen in NRW 1996 von Frau Dr. Mathilde Niehaus, nur vereinzelt in „Brot und Arbeit“.
Sie leben an der Armutsgrenze mit weitreichenden Konsequenzen für die psychische wie physische
Gesundheit. So besitzen viele von ihnen nicht genug Geld um die notwendigen (zusätzlichen)
gesundheitserhaltenden bzw. gesundheitsfördernden Maßnahmen selbst zu zahlen oder
zuzahlen zu können, z. B. für Kuren, Reha-Maßnahmen, Krankengymnastik und alternative
Heilmethoden.
2.2
Ausführungen zur bisherigen Forschungslage
Im Gesundheitsbericht werden besonders Gruppen benachteiligter Frauen
benannt, die durch die soziale Schichtzugehörigkeit (Bildungsstand, Einkommen,
beruflicher Status) besondere gesundheitliche Probleme vorweisen und durch die
herkömmlichen Versorgungsstrukturen nicht erreicht werden können. Dies sind zum
Beispiel die weniger gut gestellten allein lebenden Frauen, die alleinstehenden
Mütter und die wohnungslosen Frauen.
Auch das Thema „Sexuelle Gewalt“ ist im Gesundheitsbericht benannt, und es wird
dort ausführlich aufgezeigt, wie stark diese Thematik im Zusammenhang mit
Gesundheit steht.
So heißt es dort, dass sexuelle Gewalt ebenfalls Frauen mit Behinderung betrifft, sie
sind gleichermaßen Opfer sexueller Gewalt wie Frauen ohne Behinderung. Frauen
mit vorwiegend geistiger Behinderung, die in Heimen leben, sind in ungleich
höherem Maße sexueller Gewalt ausgesetzt.
„Ein besonderes Thema stellen gegenwärtig auch sexuelle Übergriffe in der Pflege dar. Ca. 75 % aller
sexuellen Übergriffe in der Pflege erfolgen im Krankenhaus.“ ( Zitat Jahresbericht S. 288)
Laut LIVE-Studie zur Lebenssituation behinderter Frauen in Deutschland aus dem
Jahr 1999 ist jedoch die Gruppe behinderter Frauen – hier vor allem die der
alleinstehenden Mütter – ebenfalls den Randgruppen zuzuordnen, denn sie sind im
Vergleich zu nicht behinderten Frauen überproportional von Armut und
Arbeitslosigkeit betroffen. Behinderte und chronisch erkrankte Menschen, vor allem
jüngere und ältere Frauen mit Behinderungen, sind nach wie vor aus dem
Arbeitsmarkt ausgegrenzt, sind Sozialhilfeempfängerinnen oder beziehen eine
geringe Rente.
Besonders zu beachten ist hierbei, dass in der LIVE Studie ausschließlich die
körper- und sinnesbehinderten Frauen mit einem geringen Grad der
Behinderung gefragt wurden, und leider die schwerstbehinderten Frauen sowie
die geistig behinderten Frauen nicht an der Untersuchung beteiligt waren!
So benannte die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Frau
Dr. Bergmann in ihrer Rede anlässlich des Symposiums „ Frauen mit Behinderung“
zu den Ergebnissen der LIVE STUDIE folgende Faktoren, die zu einer
verschlechterten Lebenssituation behinderter Frauen führen:

Frauen mit Behinderung verfügen über weniger Geld als der Durchschnitt der
Bevölkerung und geraten häufiger in den Armutsbereich, zumal Behinderung
zusätzliche Kosten verursacht.
Das heißt: wenn behinderte Frauen nicht durch einen Partner oder eine
Familie „versorgt“ werden, sind ihre finanziellen Mittel sehr gering. So
7

bleiben sie von wichtigen Bereichen gesellschaftlicher Teilhabe – hier
vor allem im Bereich ihrer gesundheitlichen Lage und Versorgung –
ausgeschlossen.
Behinderte Frauen sind nicht benachteiligt bei der Ausbildung, jedoch bei der
Eingliederung in den Beruf. Trotz guter beruflicher Qualifikation sind im
Durchschnitt nur 44,8% der befragten Frauen erwerbstätig.
Obwohl die Live Studie nur einen kleinen Anteil der Fragen zur gesundheitlichen
Versorgung aufweist, zeigt sie ebenfalls auf:





dass bei behinderten Frauen negative Erfahrungen mit ärztlichen
Behandlungen und Krankenhausaufenthalten häufig zum Alltag gehören,
dass behinderte Frauen zum Teil nur unter gesundheitlichen Risiken, oftmals
gegen den Rat der Ärzte, ihre Kinder zur Welt gebracht haben,
dass ca. 12 % der Frauen schon einmal demütigende Erfahrungen bei
FrauenärztInnen gemacht haben, die im Zusammenhang mit
Verhütungsfragen oder Kinderwunsch standen,
dass fast jeder zehnten Frau eine Abtreibung nahegelegt wurde und 8,2 %
der Frauen als Verhütung die Sterilisation ungefragt angeboten wurde. Der
Anteil von Frauen, die sterilisiert sind (35,9 %) ist zehnmal so hoch wie in der
entsprechenden Altersgruppe,
dass 18,3 % demütigende Erfahrungen im Rahmen medizinischer,
pflegerischer oder technischer Untersuchungen, Behandlungen oder
Maßnahmen im Zusammenhang mit ihrer Behinderung gemacht haben.
Neue Konzepte der gesundheitlichen Versorgung und der Verbesserung der Situation auf dem
Arbeitsmarkt sind gefragt
Auch wurde auf dem Kongress „NRW in globaler Verantwortung“ im Jahr 2000 das Augenmerk auf die
gesundheitliche Lebenssituation von schwerbehinderten Menschen gerichtet. Dort heißt es:
„Die Fortschritte in der Gesundheitsforschung haben den Anstieg der Lebenserwartung insbesondere
von kranken und schwerbehinderten Menschen ermöglicht. Die soziale und finanzielle Infrastruktur ist
jedoch unzureichend ausgebaut, um die steigende Anzahl dieser Menschen zu unterstützen, sei es
beim Eintritt in den Arbeitsmarkt oder bei der Gewährung einer würdevollen Beschäftigung und eines
sozialen Umfeldes. Gefordert sind neue Konzepte zur gesellschaftlichen Integration dieser
Personengruppen.“(Zitat siehe Seite 96 / Tagungsunterlagen)
Dieses Zitat würden wir hier an dieser Stelle im Nachhinein gerne um einen Passus ergänzt wissen:
„Besonders Frauen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen, die auf Pflege und Assistenz
und auf dauernde medikamentöse Behandlungen angewiesen sind, benötigen geschlechtsspezifische
Konzepte zur Gesundheitsforschung und -behandlung sowie zur gesellschaftlichen Integration. Die
gesundheitliche Lebenssituation behinderter und chronisch erkrankter Frauen ist besonders in den
Bereichen der Zuwendung durch Hilfsmittel und Assistenz sowie in der Prophylaxe und Rehabilitation
stark beeinträchtigt. Abhängigkeiten von Ärzten und Gutachtern, unqualifizierte
Behandlungsmethoden spezieller behinderungsbedingter Probleme sowie frauenfeindliche
Untersuchungsbedingungen erschweren das Leben und damit auch die Gesundung (im
angemessenen Maße).“
Der Kongress machte auch deutlich, was die soziale Analyse des Gesundheitsberichts ergänzt, dass
in NRW die sozial schwachen Gruppen von Armut und Chancenungleichheit auf dem Arbeitsmarkt
betroffen sind. Benannt wurden an erster Stelle die Gruppen der gering Qualifizierten, der Älteren und
der ausländischen Jugendlichen.
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„In NRW ist insbesondere das Ruhrgebiet durch hohe Sozialhilfezahlen, sozialräumliche Ballung von
Problemlagen, Verstetigung von Armutsverläufen und Verdichtung struktureller Armut gekennzeichnet.
Probleme bereitet die umfassende Integration aller Arbeitssuchenden in den ersten Arbeitsmarkt. Vor
diesem Hintergrund müssen als zentrale Handlungsfelder eine Politik der Chancengleichheit, die
Bekämpfung dauerhafter Ausgrenzung und struktureller Armut sowie die institutionelle Modernisierung
gelten. Dazu müssen zum einen die Ausgangs- und Startbedingungen für alle Bürgerinnen und Bürger
verbessert, insbesondere auch die tatsächliche Gleichstellung von Frau und Mann und das Prinzip der
weiten Chance im Sinne von Übergangshilfen verfolgt werden. Zum zweiten müssen den neuen
Problemlagen angepasste Strategien zur Bekämpfung dauerhafter Ausgrenzung und struktureller
Armut entwickelt werden, die besonders Geringqualifizierte, Ältere und ausländische Jugendliche
betreffen [...]“
(Zitat aus „Sozialpolitik im Umbruch“ / Tagungsunterlagen des Kongresses „NRW in globaler
Verantwortung“ vom 31.11. und 01.12.2000 in Bonn, Seite 93.)
Auch hier fehlen unseres Erachtens die Gruppen der behinderten Menschen, die aufgrund ihrer
Behinderung aus dem sozialen Netz fallen.
So ist z. B. die spezielle Lebenssituation behinderter Frauen in den Werkstätten nicht zu vergessen.
Nach wie vor ist der Frauenanteil in den Werkstätten für Behinderte sehr hoch – die Durchlässigkeit
der Werkstätten zum allgemeinen Arbeitsmarkt sehr kompliziert. So würde die Schaffung einer
leistungsgerechten Entlohnung und eines Arbeitnehmerinnenstatus (Recht auf Kündigung,
Mutterschafts- und Erziehungsurlaub und angemessene Entlohnung) vielen behinderten Frauen, die
in den Werkstätten arbeiten, eine Möglichkeit zu einem selbstbestimmten Leben innerhalb und
außerhalb der Werkstatt einräumen. Das hätte auch eine Verbesserung der gesundheitlichen Lage
besonders der lern- und geistig behinderten Frauen zur Folge.
Wie ebenfalls im Gesundheitsbericht deutlich wurde, ist die soziale Lebenssituation mitentscheidend
und mitverantwortlich für die gesundheitliche Lage der betroffenen Frauen. Insbesondere hier sehen
wir eine große Gefahr für die weitere Verschlechterung einer Situation, die jetzt schon nicht stabil und
in der Entwicklung absehbar ist.
Insgesamt ist aus den vor uns liegenden Analysen klar ersichtlich, dass beide Faktoren (soziale und
gesundheitliche Lebenssituation) sich gegenseitig bedingen. Für uns Menschen mit Behinderung sind
daher Verbesserungen, die übrigens nicht immer mehr kosten müssen, nur im „Gesamtpaket“ zu
fordern. Dazu ist eine differenzierte Gesundheitsberichterstattung und Gesundheitsreform mit ihren
Investitionen und Innovationen, die sich an den Belangen behinderter Frauen orientieren und sie aktiv
in die Gestaltung zukünftiger Gesundheitspolitik miteinbeziehen, wünschenswert und gesellschaftlich
notwendig.
2.3
„Chronisch Kranksein“ ist nicht gleichbedeutend „Behindert“ sein und
„Behindert“ sein ist nicht gleichbedeutend „Chronisch Kranksein“
Natürlich sind wir uns bewusst, dass behinderte Frauen nicht automatisch als
chronisch kranke Menschen einzustufen sind und chronisch kranke Frauen nicht
automatisch als behinderte Frauen zu behandeln sind und sich auch nicht so
definieren lassen wollen. So grenzen sich viele chronisch erkrankte Frauen von den
behinderten Frauen ab, weil sie z. B. Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung und
der dementsprechenden gesellschaftlichen Abwertung in eine sozial niedrig
stehende Randgruppe haben. Dieses zeigt sich z. B. daran, wie schwer es vielen
Frauen fällt, einen Schwerbehindertenausweis zu beantragen, ohne den sie
bedeutend schlechter eine Arbeitsstelle erhalten.
Behinderung und Krankheit werden jedoch von der "Gesellschaft" oft
gleichbedeutend gesehen und behinderte Menschen werden in der Regel als
"kranke" Menschen eingestuft und dementsprechend behandelt.
So entstehen durch gesellschaftliche Definitionen und Zuordnungen in "Behinderte"
und „Kranke“ bei den Betroffenen selbst Verwirrung und ein ausgeprägtes
Abgrenzungsverhalten untereinander. Dieses gesellschaftliche Denken fördert oft
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eine uneinheitliche Behandlung der Betroffenen durch Ärzte, Ämter, Behörden und
Arbeitgeber. Ebenfalls ist eine gemeinsame Interessenpolitik dadurch erschwert.
Es trifft jedoch auf viele Menschen zu, dass sie chronisch krank und behindert sind.
Wie z. B. Tumorerkrankte, die durch die Erkrankung Krebs Verluste der körperlichen
Ganzheit erleiden oder MS-Erkrankte, die mit starker Beeinträchtigung ihrer Mobilität
zu kämpfen haben.
Oder umgekehrt: Menschen, die mit Folgeschäden von Behinderung konfrontiert
sind; so contergangeschädigte Frauen, die eine Erkrankung der inneren Organe und
der Wirbelsäule als Folgeschäden vorweisen können oder auf den Rollstuhl
angewiesene Personen, die durch den Bewegungsmangel an HerzKreislauferkrankungen leiden, etc.
Gemeinsam ist jedoch allen, dass jede Frau mit einer Beeinträchtigung, sei es eine
chronische Erkrankung und / oder eine Behinderung, in einer Gesellschaft lebt, in der
das oberste Ziel und der oberste Wert die geistige und körperliche Leistungsstärke
ist. Nur wer normativ gut aussehend, körperlich fit, geistig flexibel und hervorragend
ausgebildet ist, kann langfristig seinen Altersruhestand sichern, unabhängig von
staatlicher Unterstützung selbstbestimmt leben und ausreichend Geld in die eigene
Gesundheitsfür- und -vorsorge investieren.
Auch verbindet chronisch erkrankte und / oder behinderte Frauen, dass sie sich
unzureichend bis falsch unterstützt und beraten fühlen und dass sie sich bei der
Bewältigung ihrer seelischen wie körperlichen Probleme – wie auch bei der
Bewältigung des so genannten Alltagslebens – oftmals allein gelassen und an den
„Rand, das heißt, ins Abseits“ gestellt fühlen.
In der Öffentlichkeit wird zur Zeit die Frage gestellt, ob Frauen (im allgemeinen) das
kränkere Geschlecht sind, da allgemein gesellschaftlich der Anteil von Frauen in der
medizinischen Rehabilitation, in der Selbsthilfe, im Rehabilitations- und
Behindertensport sowie bei anderen gesundheitsfördernden Maßnahmen und
insgesamt bei Arztbesuchen besonders hoch ist.
2.4
Ursachen der Überbelastung
Die Frauen des Netzwerks von Frauen und Mädchen mit Behinderungen NRW und
die Mitarbeiterinnen des Netzwerkbüros können aus ihren Erfahrungen in der
Beraterinnentätigkeit feststellen, dass hohe Stresswerte – durch die Vielfalt der
Lebensbelastungen bedingt – die Lebensqualität, insbesondere die gesundheitliche,
von beeinträchtigten Frauen und Mädchen stark einschränken.
Zusätzlich zu "normalen" Stressoren, die viele Frauen benennen konnten, wie Stress
bei der Arbeitsplatzsuche, Geldmangel, soziale Isolation, familiäre Überlastung,
Existenzängste, Beziehungsproblemen etc. treten die Sorgen um die Gesundheit
sowie der zeitlich und finanziell intensive Aufwand für medizinische und rehabilitative
Maßnahmen hinzu.
In den zahlreichen Gesprächen mit beeinträchtigten Frauen wurden folgende
konkrete „Stressoren“ besonders hervorgehoben, die den Frauen ein starkes Gefühl
von Abhängigkeit und Fremdbestimmung vermitteln. Diese sind:
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 Der Mangel an Mitbestimmungsmöglichkeiten über medizinische wie
rehabilitative Maßnahmen, hier insbesondere die uneingeschränkte
Fremdbestimmung und die starke Abhängigkeit von Gutachtern. Die Gutachter
(in der Regel sind es Männer) "betrachten" die gesamte Lebenssituation der
„Kundin“ nicht,
 die Einstellung der Gutachter. Sie ist oft einseitig an den Interessen ihrer
„Geldgeber“ orientiert. Bislang gibt es keine unabhängige Kommission von
Gutachtern unter Mitwirkung von Selbstbetroffenen z. B. aus der Selbsthilfe,
 die notwendigen Maßnahmen in der Gesundheitsfürsorge und -vorsorge
werden in Einzelfällen verweigert, da Ärzte und Gutachter sich nicht einig sind
und letztlich steht die Betroffene als "Leidtragende" dieser Konflikte da,
 die zeitlich intensiven (da oft jahrelangen) „Irrwege“ von Arzt zu Arzt, von
Maßnahme zu Maßnahme, die im Verhältnis zum Aufwand und zu den Kosten,
wenig Erfolge bringen,
 der damit verbundene „Diagnoseboom“ unterschiedlichster Art und die Vielfalt
an Behandlungsmethoden – die sich letztendlich oft als "teuer und nutzlos"
herausstellen,
 die unzureichenden Informationen über gesundheitsfördernde Maßnahmen
im Allgemeinen – hier besonders über Maßnahmen der Rehabilitation,
 die unzureichende Aufklärung über dementsprechende Rechte – hier
besonders die Patientenrechte,
 die unzureichende Information über rechtliche Vertretungsmöglichkeiten im
Allgemeinen und die dazugehörende Problematik der (eventuell) zu hohen
Rechtsanwaltskosten und der oft negativen Aussichten gegen „Mediziner“
einen Prozess zu gewinnen,
 die Problematik der Abhängigkeit von einigen SachbearbeiterInnen von Ämtern
und Behörden. Die Antragsstellerinnen fühlen sich wie Bittstellerinnen - sie
werden in der Regel nicht über ihre Rechte informiert. Viele SachbearbeiterInnen
arbeiten nicht für die "Kundinnen" sondern sie bevormunden sie,
 die mangelnde Aufklärung und Prophylaxe über (eventuell) auftretende
Spätfolgen der Behinderung bzw. chronischen Erkrankung,
 das Fehlen langfristig angelegter Behandlungskonzepte,
 die wohnortnahe (ambulante und stationäre) medizinische Rehabilitation ist
für manche Frauen oft eine zusätzliche Belastung zu Familie und Beruf (lange
Wartezeiten, lange Anfahrtswege etc.). Beruf, Familie und medizinische,
ambulante Rehabilitation sind für viele Frauen schwer zu vereinbaren,
 in der stationären und ambulanten medizinischen Rehabilitation wird zu wenig auf
die familiäre Lebenssituation geachtet. Assistenz und Haushaltshilfen werden
zu wenig bewilligt,
 die Maßnahmen wie z.B. Krankengymnastik sind oft aus zeitlicher wie
rehabilitativer Sicht nicht effektiv genug und zeigen keine Langzeitwirkung,
Sparmaßnahmen erschweren die gesamte ambulante Rehabilitation/Prävention,
 es fehlen vor allem Forschungsergebnisse und Weiterbildungs- und
Ausbildungsangebote für Ärzte und Fachpersonal und Betroffene. Dieses betrifft
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besonders die Ausbildung der Frauenärztinnen bzw. der Frauenärzte und
Hebammen,
 zu bemängeln ist in dem Zusammenhang, dass keine besonderen
Einrichtungen bei Frauenärzten und Frauenärztinnen vorhanden sind, um
körperbehinderte Frauen zu untersuchen,
 durch die von der Bundesregierung angeordnete Budgetierung kann der Arzt
willkürlich zuordnen welcher Patient was bekommen darf und wer nicht, das
erzeugt Abhängigkeiten und Misstrauen,
 in der stationären und ambulanten Pflege werden die Interessen von
behinderten und chronisch erkrankten Frauen nicht differenziert genug analysiert
und in dementsprechende Konzepte umgesetzt,
 Probleme mit der Pflegeversicherung treten fast überall auf, Unsicherheiten und
starke Abhängigkeiten sind die Folge, viele nehmen ihre Rechte deshalb nicht
wahr,
 der Pflegenotstand in NRW wirkt sich bezüglich einer angemessenen Versorgung
negativ aus, dieses merken besonders die schwerst pflegebedürftigen Frauen und
Mädchen,
 der Gesamtbereich der Zuzahlungen für Kuren, Krankenhausaufenthalte etc.
wird bei chronisch erkrankten und behinderten Frauen nicht differenziert
analysiert und statistisch festgehalten (laut LIVE Studie werden pro Person
zum Teil bis zu 3000,00 DM privat monatlich dazugezahlt),
 auf kommunaler Ebene sowie auf Landesebene werden so gut wie keine
speziellen Weiterbildungsangebote in den Bereichen Entspannung,
Körperarbeit, Antistressprogramme für behinderte Frauen/Mädchen angeboten,
 last not least stehen für viele behinderte Frauen und Mädchen das
Mobilitätsproblem und die Problematik der barrierefreien Zugänge zu Ärzten
und anderen Rehabilitationseinrichtungen im Vordergrund.
Diese Liste ist sicherlich noch um Vieles zu erweitern und im Einzelfall haben diese
so genannten „Unzulänglichkeiten“ für die Bewältigung des Lebensalltags von
behinderten / chronisch erkrankten Frauen eine nicht zu ermessende Bedeutung,
besonders sind Mütter davon betroffen.
Die zeitliche Belastung (lange Wartezeiten, lange Wege etc.) plus die finanzielle
Belastung (Bus, Pkw, Assistenz, Zuzahlungen) sowie die Sorge um die Gesundheit
wirft die Frauen, hier besonders die Mütter mit Behinderungen, aus ihrem eigensten
Rhythmus von Familie, Arbeit und sozialen Kontakten heraus. Oft ist die Konsequenz
eine völlige persönliche Überlastung, bis hin zu Burn-out-Symptomen, Depressionen
und erneuten Krankheiten.
Frauen mit Beeinträchtigungen müssen in ihren alltäglichen Lebenslauf, in ihrer
Lebensplanung immer die Krankheit und / oder Behinderung miteinplanen. Das
bedeutet insgesamt, dass beeinträchtigte Frauen „verschärft auf sich hören müssen“,
um für das alltägliche Leben Stabilität und eine optimale Selbstentfaltung zu
gewährleisten. Dieses ist bei der Flut von alltäglichen Stressoren nicht einfach – aber
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wer akzeptiert und hört auf die Stimmen der betroffenen Frauen, wer akzeptiert die
Grenzen der Belastbarkeit?
Frauen mit Beeinträchtigungen bemängeln, dass sie in ihrer Selbstwahrnehmung
und in ihrer Intuition, was ihre körperliche und seelische Gesundheit und Gesundung
angeht, durch den äußeren Anpassungszwang und aufgrund der Fremdbestimmung
durch "Fachkräfte" stark eingeschränkt und behindert werden. Die Folgen sind u. a.,
dass die Eigenverantwortung und der eigene Handlungsspielraum für sie selbst stark
eingeschränkt werden. Unzureichende Beratung und Unterstützung wirkt sich
zusätzlich negativ aus.
Die Folge der Negation der eigenen Grenzen (sei es durch andere oder durch sie
selbst) ist in Form von Depressionen und Erschöpfungszuständen deutlich zu sehen.
Angstzustände, Panikattacken, Beziehungsstörungen, insgesamt ein Gefühl von
„Ohnmacht“ dem Leben gegenüber werden in Beratungsgesprächen deutlich
artikuliert.
2.5
„Alternative“ ganzheitliche Wege der Heilung sind dringend angesagt
Nehmen wir an, dass Frauen insgesamt einen bewußteren Umgang bezüglich ihres
Gesundheitsverhaltens pflegen und dass behinderte / chronisch erkrankte Frauen
doppelt oder mehrfach belastet sind – nämlich sich für die Gesellschaft und für sich
selbst so "gesund" wie möglich zu „halten". Eines ist jedoch deutlich zu ersehen: ein
anderes (anders als Männer) Hilfesucheverhalten impliziert die Suche nach
Unterstützung, nach anderen alternativen Formen und Wegen der
Gesundheitsversorgung und Gesundheitserhaltung unter Einbeziehung aller
Faktoren, die die Frauen und Mädchen umgeben.
Es gilt, ganzheitliche Ansätze (Psyche, Körper, Geist und Umwelt) zu entwickeln, zu
fördern und anzuwenden. Wesentliche Grundlage einer ganzheitlichen Unterstützung
ist es, eine ganzheitliche Beratungsstruktur für beeinträchtigte Frauen und Mädchen
zu schaffen. Ebenso ist eine feministisch – ganzheitlich orientierte Forschung und
Wissenschaft, die diese Aspekte unter einem „weiblichen Blickwinkel“ speziell für
Frauen und Mädchen mit Beeinträchtigungen betrachtet, zu fördern. Aufklärung, eine
breite finanzielle Unterstützung der Selbsthilfe und des Ehrenamtes sowie Aus- und
Weiterbildungen für Betroffene wie auch für Fachkräfte sind einzuleiten. Ein
wesentliches Ziel sollte es sein, ein Umdenken in den Köpfen der Politiker und der
zuständigen Behörden zu erreichen, denn sie entscheiden letztlich, wie was
umgesetzt wird.
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