Die Verwertungsrechte für diesen Text sind Eigentum von WienTourismus. Bis auf Widerruf darf dieser Text kostenfrei nachgedruckt werden, auch auszugsweise und in Bearbeitung. Belegexemplare erbeten an: WienTourismus, Medienmanagement, Invalidenstraße 6, 1030 Wien; [email protected]. Alle Angaben in diesem Text ohne Gewähr. Autor: Florian Holzer, Autor, Journalist, Restaurantkritiker Stand Jänner 2016 Genuss mit gutem Gewissen Die sogenannten „Lohas“ – Menschen, denen Nachhaltigkeit, Ethik, Qualität und Genuss gleichermaßen wichtig sind – gelten unter Trendforschern als eine der wichtigsten Konsumentenschichten der Zukunft. In Wien sind sie das schon heute. Die Trendforscher und Meinungsbildner lieben sie: die „Lohas“ (kurz für „Lifestyle of health and sustainability“), also jene Menschen, bei denen Lifestyle zwar eine große Rolle spielt, die darin aber Werte wie Gesundheit, Nachhaltigkeit, Ethik und eben generell das gute Gewissen integriert sehen wollen. Sie gelten als Zukunftsmarkt, da sie einerseits Spaß am Konsum haben, außerdem Qualität schätzen und drittens bereit sind, diese Qualität sowohl zu suchen als auch zu bezahlen – drei Punkte, die für Marketingexperten mit Blick nach vorne interessant sind. Seinen Anfang nahm dieser Trend zweifellos in den USA, wo in Berkeley, San Francisco und Seattle während der späten 1990er-Jahre Teile der pragmatischen Grün- und Umwelt-Bewegung den Reiz des gehobenen Lebensstils entdeckten: trendige Designerkleidung, neue Kommunikationsformen dank moderner Technik (Stichwort Smartphones, Internet-Blogs), sanfter Tourismus, kontemporäre Architektur („Niedrigenergie-Häuser“) und natürlich das gute Essen. Und genau dieser Themenbereich erwies sich als besonders attraktiv für die Freunde der Nachhaltigkeit. Biologische Nahrungsmittel, kurze Wege und kleine Einheiten, Bewahrung von verschwindenden oder fast vergessenen Rezepturen und Produkten (wie sie etwa die von Italien ausgehende Bewegung „Slow Food“ propagiert), fairer oder direkter Handel und artgerechte Tierhaltung ließen eine komplett neue, urbane Gastronomie entstehen, in der Genuss und gutes Gewissen mit großem Spaß und reichlich Kreativität kombiniert wurden. Dieser kulinarische Lebensstil entspricht mittlerweile auch in Europa dem Zeitgeist, beziehungsweise tat er dies irgendwie immer schon. In Wien, wo man einerseits Traditionen sehr nahe steht, andererseits an Neuerungen durchaus interessiert ist, wo Bildung und Einkommen im europäischen Durchschnitt gesehen auf hohem Niveau liegen und Lebensqualität einen extrem hohen Stellenwert hat, fiel dieses neue Bewusstsein auf fruchtbaren Boden. Das manifestiert sich 1 in vielerlei Hinsicht, sei es in der boomenden Zahl an Restaurants, die mit biologischen Zutaten, vegetarisch oder vegan kochen, sei es in der Renaissance der Märkte, sei es die stark gestiegene Sensibilität für Landwirtschaft aus der unmittelbaren Umgebung Wiens oder sogar aus Wien selbst. Renaissance der Märkte Die Zeiten, da Wiens Märkte wegen der Konkurrenz durch Handelsketten und Supermarkt-Riesen dem Untergang geweiht waren, sind jedenfalls vorbei. Die Wiener Lohas kaufen wieder lustvoll und bewusst, lehnen anonyme Produkte ab, wollen mit dem Verkäufer über seine Ware sprechen können – über 62.000 Menschen pro Woche frequentieren derzeit den Naschmarkt, Wiens größten und attraktivsten Markt. Und das sicher nicht nur, um eines der vielen Lokale dort zu besuchen oder das bunte Flair zu genießen, sondern auch, um frisches Gemüse, erlesenen Käse, fair gefangenen Fisch oder gut abgelegenes Rindfleisch aus dem Waldviertel zu kaufen. Ein besonderes Nachhaltigkeits-Highlight am Naschmarkt ist zweifellos der Bauernmarkt jeden Freitag und Samstag, auf dem mehr oder weniger die Elite der nachhaltigen Landwirtschaft ihre Waren anbietet: Fisch aus Bio-Zucht, artgerecht gehaltene Hühner alter Rassen, Bergkäse von kleinen, traditionell arbeitenden Sennereien, handwerklich gefertigte Schinken und Würste, alte englische Rosensorten und vieles mehr. Der Erfolg ist enorm und hat Schule gemacht. Am Karmelitermarkt im 2. Bezirk etwa hat sich am Samstagvormittag ein Bauernmarkt etabliert, auf dem vor allem rare Gemüse, Kräuter oder Fleisch angeboten werden. Slow Food Wien unterhält hier auch einen Stand, auf dem Erzeugergemeinschaften Produkte wie originalen Wiener Gemischten Satz oder Wienerwald-Elsbeere verkosten lassen. Im Gourmet-Stand „Kaas am Markt“ bekommt man nicht nur Marmeladen aus alten Obstsorten, Schinken und Würste aus Fleisch alter Haustierrassen sowie Urgetreide-Brot, sondern auch die mittlerweile in FoodieKreisen sehr geschätzte „Wiener Schnecke“: Seit 2008 züchtet Andreas Gugumuck im Süden Wiens Weinbergschnecken, die in den saftig-grünen Kräuterwiesen am Stadtrand zu besonders knackiger Köstlichkeit gedeihen. Auf vielen kleinen Plätzen in Bezirken mit hoher Lohas-Bevölkerungsdichte wurden in den vergangenen Jahren Wochenmärkte und Markttage organisiert, alles biologisch, versteht sich: am malerischen Servitenplatz, am Sobieskiplatz und im Hof des Kulturzentrums WUK (alle im 9. Bezirk), vor der Lerchenfelder Kirche (7.Bezirk), in der Lange Gasse (8. Bezirk), am Kurt-Pint-Platz (6. Bezirk) oder am Fasanplatz (3. Bezirk). Man könnte da durchaus von einem Trend sprechen. Und selbst wer mit Trends nichts am Hut hat und keinesfalls Teil einer urbanen Mode sein will, wird bedient: Am Viktor Adler-Markt (10. Bezirk) verkaufen bis zu 60 Bauern und Bäuerinnen seit jeher ihre Ware auf einfachen Markttischen, aber unter umso größerem Einsatz ihrer Stimme. 2 Anderswo haben Märkte auch noch eine wichtige Funktion als kommunikatives Zentrum und Gestalter der Lebens- und Alltagskultur. So etwa entwickeln sich gerade der Volkertmarkt und der Vorgartenmarkt – beide in weniger schicken Gegenden des 2. Bezirks – zu vitalen Grätzel-Zentren und überaus charmanten, weil kulinarischen und ethnischen Begegnungszonen. Am lebensfrohen Ottakringer Brunnenmarkt im 16. Bezirk vermischen sich die Alltagskulturen der Wiener Vorstadt mit jenen der Einwanderer aus der Türkei und den Balkanländern zu nachgerade altösterreichischer Buntheit. Auch der Meidlinger Markt im 12. Bezirk zeigt seit zwei Jahren verstärkte Lebenszeichen. Hier sind es vor allem kulinarische und kulturelle Projekte der Anrainer, die für die Wiederbelebung sorgten. Besonders die Initiative „Purple Eat“ sticht puncto Nachhaltigkeit hervor: Gekocht wird von durch Abschiebung bedrohten Asylwerbern, und zwar Gerichte aus ihrer Heimat. Und sogar in Wiens bürgerlichsten Bezirken tragen die Märkte ganz wesentlich zur Verbesserung der Lebensqualität bei. So erlebt der bisher eher als konservativ geltende Kutschkermarkt in Währing (18. Bezirk) eine erstaunliche Verjüngung durch viele kleine Cafés, Designer-Suppenküchen und neue Anbieter, und auch der Sonnbergmarkt im gutbürgerlichen Döbling (19. Bezirk) entdeckt zunehmend die reizvolle Kombination von Feinkost und Nachhaltigkeit. Mit dem Jahr 2015 tauchte auch noch eine neue Form des Marktes auf, der Pop-upbeziehungsweise Indoor-Markt: Unter der Bezeichnung „Die Markterei“ kommen verschiedenste (meist biologisch arbeitende) Hersteller und Verkäufer in wechselnden Locations zusammen, um ihre Waren im Beisein von hippen Foodtrucks zu verkaufen. Und in der „Marktwirtschaft“ mieten sich Produzenten kreativer Macarons, handwerklicher Essige oder auf Kaffeepulver selbst gezogener Shiitake-Pilze ein, um ihre köstlichen Waren im Umfeld eines Kreativ-Restaurants, eines Bio-Bäckers, eines für seine Blutwürste legendären Fleischhauers und anderer Spezialisten ans urbane Publikum zu bringen. Regional, saisonal, biologisch Aber natürlich muss man nicht unbedingt am Markt einkaufen und zu Hause kochen, wenn man sich in Wien genussvoll nachhaltig ernähren will. Zahlreiche Restaurants folgen diesem Trend auf ganz unterschiedliche Weise. Jürgen Wolf, Chef und Koch des Gasthaus Wolf, hat sich etwa darauf verlegt, von den Schlachtereien seines Vertrauens nur ganze Tiere zu kaufen und die im wahrsten Sinne des Wortes von Kopf bis Fuß oder „nose to tail“, wie man heute sagt, zu verarbeiten. Ähnlich handhabt man es im Konzept-Lokal der Wiener Szene-Bäckerei Joseph, hier stammen nicht nur alle Zutaten von ausgesuchten Bio-Produzenten aus der Region, sondern sogar die Einrichtung – da hat quasi alles eine Identität. Das Ausflugslokal Fischerhaus an der Höhenstraße macht wiederum einen alten Holzofen zum kulinarischen Fokus des Lokals. Dort 3 bäckt man Brot, brät, kocht und dünstet Fleisch, Fisch und Gemüse aus der Region. Auch in der Manameierei am Rande des weitläufigen Schwarzenbergparks ging man dazu über, hauptsächlich Produkte aus dem nahen Wienerwald zu schickem Frühstück und kontemporären Snacks umzuwandeln. Im „Lugeck“ der Brüder Figlmüller in der Innenstadt wird Wiener Klassik einer internationalen Moderne gegenübergestellt, sowohl kulinarisch als auch optisch. Begleitet wird das Ganze von Craft Beers und Natural Wines. Ein besonders interessantes Konzept verfolgt auch das Heuer am Karlsplatz: Hier werden einige Zutaten der Küche gleich direkt vor dem Lokal angebaut – in Hochbeeten inmitten einer Verkehrsinsel. Und natürlich ist der Slow Food-Gedanke auch in Wiens Top-Gastronomie angekommen. So arbeitet Heinz Reitbauer, Patron und Küchenchef des Steirereck – 2016 von Guide Michelin mit zwei Sternen ausgezeichnet, laut Ranking des britischen Restaurant Magazine 2015 auf Platz 15 der besten Restaurants weltweit und allen heimischen Guides zufolge das beste Restaurant des Landes – schon lange mit Produkten qualitätsbesessener Kleinproduzenten aus der Region. Und wurde dafür in London sogar mit dem Slow Food-Award ausgezeichnet. Und selbst dort, wo es kaum auffällt, beziehungsweise nicht an die große Glocke gehängt wird, stehen Nachhaltigkeit und biologische Landwirtschaft auf der Agenda. Bei Raetus Wetter etwa haben Bio-Produkte, Kleinproduzenten und authentische Rezepturen Vorrang, vielleicht ist er deshalb einer der besten italienischen Köche Wiens. Im hippen Motto am Fluss am Donaukanal ging man so weit, in Kooperation mit der größten Brauerei Wiens ein Bio-Bier zu kreieren, das sich mittlerweile auch in anderen Lokalen großartig verkauft. Auch der Rest der Zutaten wird hauptsächlich aus Bio-Quellen geschöpft. Im Ströck Feierabend – ein Konzept-Restaurant einer Wiener Bäckereikette – bezieht man das Gemüse aus einem eigens angelegten Garten, das Fleisch stammt vom letzten noch selbst schlachtenden Fleischhauer der Stadt. Die kreative Gastronomengruppe „The Culinary Love Band“ rund um Brian Patton und den Top-Koch Peter Zinter, die jedes Jahr am Donaukanal ein immer wieder anderes Streetfood-Pop-up betreibt, erntete 2015 die Chilis und den Koriander für ihre Avantgarde-Tacos ebenfalls vom eigenen Feld. Den Wein dazu – natürlich ausschließlich Natural und Orange Wines – holte man sich übrigens aus einer Vinothek, die in einem Kühlcontainer gleich daneben untergebracht war. Wiener Gemischter Satz & Co Apropos Wein: Nach wie vor gibt es in Wien Weinbau in nennenswertem Ausmaß, knapp 700 Hektar sind auf Wiener Boden mit Weinreben bestockt, womit der Wein im Rahmen der Wiener Landwirtschaft – knapp 6.000 Hektar werden bewirtschaftet, 1.450 davon biologisch – einen gar nicht unwesentlichen Stellenwert besitzt. Bio-Wein war bisher zwar nur eine Angelegenheit kleiner Nischen, das ändert sich aber gerade. Nicht zuletzt, weil Fritz Wieninger, wichtigster Winzer der 4 Bundeshauptstadt, auf biologische Bewirtschaftung umgestiegen ist. Newcomer wie Stefan Hajszan oder Martin Lenikus folgten dieser Idee gleich von Anfang an. Und sogar ein paar der Micro-Wineries wie Martin Obermann oder Peter Uhler, die Wiens Wein-Szene so spannend machen, sind biologisch zertifiziert. Ein anderes – ebenfalls nachhaltiges, da kulturhistorisch relevantes – Thema ist die Wiederentdeckung des so genannten „Gemischten Satzes“: Bei diesem Wein handelt es sich um ein Überbleibsel einer althergebrachten Auspflanz-Methode, bei der die unterschiedlichen Rebsorten im Weingarten gemischt ausgesetzt wurden, um das Risiko durch Schädlinge oder klimatische Einflüsse zu reduzieren. Nach Jahrzehnten des Schattendaseins dieses typischen Wiener Weins als schlichter Schankwein wurde er von Fritz Wieninger und aufstrebenden Wiener Jungwinzern wie Rainer Christ, Richard Zahel oder Jutta Ambrositsch wiederentdeckt. Dank moderner Önologie und zeitgemäßem Qualitätsbewusstsein wird der Gemischte Satz derzeit gerade auf internationales Spitzen-Niveau gehoben. Weinspezialisten in aller Welt bejubeln das „Terroir“ des Gemischten Satzes, also sein Potenzial, Boden und Mikroklima auszudrücken. Die mitunter uralten (50 Jahre und älter) Weingärten werden konsequent rekultiviert und gehegt, und die Reben zum ersten Mal nach Jahrzehnten auch wieder ganz in der alten Tradition – nämlich bunt gemischt – ausgesetzt. Das Konzept dieses Weins beeindruckte sogar die internationale Slow-Food-Organisation, so dass der Wiener Gemischte Satz als einer der ersten beiden „Presidio“-Produkte Österreichs anerkannt wurde – einer von immer noch gerade einmal zehn Weinen weltweit. Seit dem Jahrgang 2013 erhielt der Wiener Gemischte Satz zudem das Qualitätssiegel DAC (Districtus Austriae Controllatus) und damit eine geschützte Herkunftsbezeichnung. Dass Nachhaltigkeit, Bewusstsein und Ethik beim Essen und Trinken durchaus ihren Platz haben, die Sache interessanter machen und den Genuss steigern können, wird in Wien jedenfalls eindrucksvoll bewiesen. Und dass Moral nichts mit Verzicht und Enthaltsamkeit zu tun haben muss, ganz besonders. Adressen: Fischerhaus, Höhenstraße, 1190 Wien, www.fischerhaus.co.at Heuer am Karlsplatz, Treitlstraße 2, 1040 Wien, www.heuer-amkarlsplatz.com Joseph Bistro, Landstraßer Hauptstraße 4, 1030 Wien, www.joseph.co.at Kaas am Markt, Karmelitermarkt Stand 33-36, 1020 Wien, www.kaasammarkt.at Lugeck, Lugeck 4, 1010 Wien, www.lugeck.com Manameierei, Exelbergstraße 32, 1170 Wien, www.manameierei.com 5 Motto am Fluss, Franz-Josefs-Kai/Schwedenplatz, 1010 Wien, www.motto.at/mottoamfluss Martin Obermann, Cobenzlgasse 102, 1190 Wien, www.weinbauobermann.at Purple Eat, Meidlinger Markt 83-88, 1120 Wien, www.purplesheep.at Slow Food Wien, www.slowfood-wien.at Steirereck im Stadtpark, Am Heumarkt 2a, 1030 Wien, www.steirereck.at Peter Uhler, Hackenberggasse 29/7/4, 1190 Wien, www.weinuhler.at Weinbau Jutta Ambrositsch, Dannebergplatz 12/2, 1030 Wien, www.jutta-ambrositsch.at Weingut & Heuriger Christ, Amtsstraße 10-14, 1210 Wien, www.weingut-christ.at Weinbau Lenikus, Cobenzlgasse 2, 1190 Wien, www.lenikus.at Weingut Wieninger, Stammersdorfer Straße 31, 1210 Wien, www.wieninger.at Weinbau & Heuriger Zahel, Maurer Hauptplatz 9, 1230 Wien, www.zahel.at Wetter, Payergasse 13, 1160 Wien, Tel. +43-1-406 07 75 Ströck-Feierabend, Landstraßer Hauptstr. 82, 1030 Wien, www.ströck-feierabend.at The Culinary Love Band, www.tclb.at Gasthaus Wolf, Rienößlgasse 17, 1040 Wien, gasthauswolf.at Die Markterei, www.markterei.at Die Marktwirtschaft, Siebensterngasse 21, 1070 Wien, www.facebook.com/mrktwirtschaft 6