Wie wirksam ist selbstgesteuertes Lernen? Empirisch ist abgesichert, dass auch die Vermittlungsorientierung ein erfolgreiches Unterrichtsprinzip ist (Helmke, A./Weinert, F.E), aber: Schüler/-innen mit ungünstigen affektiven und kognitiven Voraussetzungen ziehen eher aus informationsvermittelndem, lehrerzentrierten Unterricht Nutzen. Schüler/-innen mit guten Lernvoraussetzungen profitieren eher von offenen, wenig strukturierten Wahlmöglichkeiten (Konrad, Klaus/Taub, Silke, Selbstgesteuertes Lernen in Theorie und Praxis, München 1999). Was meint ‚selbstgesteuertes Lernen’? Selbst Das Selbst ist die Gesamtheit meiner Möglichkeiten des Seins als Mensch. Es ist nur teilweise bewusst. Internal ablaufende Prozesse der Informationsverarbeitung, die in der Verantwortung und im Rahmen der Möglichkeiten des Lernenden liegen, verlangen stets eine Beteiligung des Selbst (ReinmannRothmeier 1995). Steuerung Interne Steuerung (Selbststeuerung) beinhaltet jene Einflüsse auf die Gestaltung des Lernens, die vom lernenden Individuum selbst ausgehen. Externe Steuerung (Fremdsteuerung) umfasst dagegen diejenigen Einflüsse, die von außen auf den Lerner und die Gestaltung seines Lernens einwirken. Die Unterscheidung von selbst- und fremdgesteuertem Lernen ist nur zu analytischen Zwecken sinnvoll, weil Lernen immer sowohl fremd- als auch selbstgesteuert ist (Konrad/Wosnitzka 1995). Selbstgesteuertes Lernen Selbstgesteuertes Lernen meint eine Lernform, in der der Lernende mehr oder weniger Initiator und Verantwortlicher seiner Lerntätigkeit ist und in dem für ihn passenden Maß Unterstützung und Hilfe erfahren und heranziehen kann (Konrad/Taub 1999) oder Selbstgesteuertes Lernen ist eine Form des Lernens, bei der die Person in Abhängigkeit von der Art ihrer Lernmotivation selbstbestimmt eine oder mehrere Steuerungsmaßnahmen (kognitiver, volitionaler oder verhaltensmäßiger Art) ergreift und den Fortgang des Lernprozesses selbst (metakognitiv) überwacht, reguliert und bewertet (Konrad/Taub 1999, 13). Gibt es Voraussetzungen, die der Einzelne bringen muss, um erfolgreich selbstgesteuert zu lernen? (Blatt 1) Selbstgesteuert zu lernen bedeutet: selbst beim Lernen aktiv zu sein, über das eigene Lernen zu bestimmen, sich Ziele zu setzen, auszuwählen Das ist derzeit noch eine Vision. Was aber ist, wenn der Einzelne sich verrennt, methodisch falsch plant oder sich Informationen und Meinungen nicht erschließen kann? In Zusammenhang mit diesem Problem haben derzeit Methodentrainings Konjunktur. Allerdings wurde wissenschaftlich nachgewiesen, dass Methoden, die losgelöst von Inhalten trainiert werden, nachhaltig nur wenig wirksam sind (Elsbeth Stern). Des Weiteren ist das Bewusstsein über die Bedeutung der Metakognition, d.h. über die Planung, Steuerung, Kontrolle und Bewertung der beim Lernen ablaufenden Prozesse, gestiegen: Schüler/-innen mit metakognitiven Fähigkeiten, die Fragen an einen Text stellen, Informationen bündeln, den roten Faden rekonstruieren können und die darüber hinaus fähig sind zu Selbstüberwachung, Selbstüberprüfung und Problemidentifizierung, konnten ihre Leistungen im Unterricht verdoppeln (Gage, N.L./Berliner, D.C., Pädagogische Psychologie, Weinheim 1996, 5. Auflage). Gage und Berliner haben außerdem nachgewiesen, dass Lerner in lernerkontrollierten Umgebungen mehr Engagement zeigten und eher intrinsisch motiviert lernten, also Tiefenstrategien des Lernens praktizierten (Schiefele, U./Schreyer, I., Intrinsische Lernmotivation und Lernen. Ein Überblick zu Ergebnissen der Forschung, in: ZS für Pädagogische Psychologie 1994, 1-13). Umgekehrt beeinflusst ein hohes Maß an Lehrerkontrolle die Selbsteinschätzung negativ (zit. nach Konrad/Taub 1999, 41). Gibt es Voraussetzungen, die der Einzelne bringen muss, um erfolgreich selbstgesteuert zu lernen? (Blatt 2) Die neuere Lernpsychologie betont in Zusammenhang mit effektivem eigenen Lernen nicht nur die Lust am Lernen, sondern auch die Bedeutung der Volition. Darunter sind willentliche Kontrollprozesse innerhalb der Motivation zu verstehen: die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit über längere Zeit kontrollieren zu können, die Emotionen zu beherrschen, Misserfolgserlebnisse zu meistern, die unmittelbare Lernumwelt zu gestalten und zu kontrollieren (Konrad/Taub, 33f). Volition schließt Verbindlichkeit beim Lernen ein, die Haltung, dass es nicht egal ist, ob man arbeitet. Der Lohn ist eine Steigerung der Könnenserfahrung und das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Könnenserfahrung wächst mit der methodischen Kompetenz. Wenn man das eigene Können erlebt, wächst das Selbstvertrauen und damit die Bereitschaft, Aufgaben selbständig in Angriff zu nehmen. Was ist unter Lernen zu verstehen? Allgemeiner Sprachgebrauch: Der Erwerb von Wissen und Fertigkeiten, der in den Bildungsinstitutionen stattfindet. Der psychologische Lernbegriff ist weiter gefasst: Lernen wird verstanden als „alle relativ überdauernden Veränderungen des Erlebens und Verhaltens, die aufgrund von Erfahrungen zustande kommen“ (Wörterbuch Schulpädagogik 2004, 284). Lerntheorien lassen sich grob in Reiz-Reaktions-Theorien und in kognitive Theorien einteilen. In kognitiven Lernmodellen wird Lernen als aktiver und konstruktiver Prozess verstanden, „in dem der Lernende den Lernstoff auf der Basis seines Vorwissens für sich selbst in bedeutungshaltige Information umstrukturiert. In diesem Sinne aktives, produktives Lernen führt zu transferierbarem, flexibel nutzbarem Wissen. Dies gelingt um so leichter, wenn das Individuum das zu erwerbende Wissen als Teil eines bedeutungshaltigen Kontextes auffassen kann“ (Wörterbuch Schulpädagogik 2004, 284). Lernen umfasst nach F.E. Weinert drei Dimensionen: o Oberflächliches Auswendiglernen, o verständnisvoller Erwerb einer geordneten Menge von Informationen, o tiefes Verstehender Zusammenhänge in einem Wissensbereich. Lernen ist grundsätzlich sowohl selbst- als auch fremdgesteuert. Welche Bedeutung kommt der Lernumgebung zu? Das selbstgesteuerte Lernen baut auf eine Neugestaltung des Unterrichts in Richtung starker Lernumgebungen. Starke Lernumgebungen sind eher offen als geschlossen. Ihre Kennzeichen sind: authentische Themen, eine explorative Struktur, realistische Aufgaben und Probleme aus dem Lebenskontext, multiple Kontexte (Probleme werden aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet), o kooperative Lernformen, o Förderung der intrinsischen Motivation. o o o o Kennzeichen geschlossener Lernumgebungen (Sacher 2002): o sie gliedern den Stoff hierarchisch, o präsentieren Informationen in einem schrittweisen Nacheinander, o haben eine enge Zeitstruktur, o folgen einem kleinschrittigen, traditionellen Ablaufschema, und o sie machen das Lernen weitgehend von der Lehrkraft abhängig. Bei offenen Lernumgebungen ist der Stoff ist flacher gegliedert, die Reihenfolge der Lernhandlungen und die Bemessung der Lernzeiten sind stärker dem Lernenden überlassen, der Zeitrahmen ist flexibler. Sie zeichnen sich auch durch qualitativ angemessene Lernhilfen und Unterstützungsangebote sowie durch gezielte Beratung seitens der Lehrkraft aus. Welche Merkmale hat Unterricht, der sich für selbstgesteuetes Lernen öffnet? o Lernende können den Lernprozess selbst aktiv beieinflussen, o die Unterrichtsziele sind aushandelbar, o die Lernenden motivieren sich selbst (sie entscheiden, warum und mit welcher Intensität sie einer Frage nachgehen), o themenbezogene Wünsche und Interessen der Lernenden werden berücksichtigt, o individuelle Lernbedürfnisse der Schüler/-innen werden berücksichtigt, o Lernverfahren sind nicht starr und vorfixiert, sondern variabel, o Lerner können ihre Arbeitsergebnisse kontrollieren und ihren Lernprozess selbständig überwachsen, o Selbstverantwortung und Metakognition werden gefördert, o unterschiedliche Sozialformen ergänzen sich funktional, o Instruktion, Anleitung, Führung und Unterweisung durch die Lehrkraft stehen gleichberechtigt neben zurückhaltendem Beraten, Helfen, Ermutigen und Unterstützen, o den Lernern werden unterschiedliche Lernzeiten zugestanden, o die Lernenden steuern ihr Verhalten volitional, d.h. sie schützen ihre Lernabsichten über Mechanismen der Motivationsund/oder Emotionskontrolle vor konkurrierenden Einflüssen, o … Das selbstgesteuerte Lernen wird als längerfristiges Ziel angestrebt: auf offenen Wegen, mit offenen Lernangeboten und mit wachsender eigener Verantwortung. In welchem Verhältnis stehen selbstgesteuertes Lernen und Frontalunterricht? Selbstgesteuertes Lernen will den Frontalunterricht nicht abschaffen, sondern ergänzen. Es ist eine Unterrichtsform, die in ein Gesamtkonzept schüleraktiven Unterrichts integriert ist und begrenzte, aber unverzichtbare Funktion hat. Die neue empirische Lernforschung hat belegt, dass für ein effektives Lernen verschiedene Methoden mit unterschiedlichen Akzenten eingesetzt und miteinander verbunden werden müssen: o o o o direkte Instruktion, offener Unterricht, Projektarbeit, Teamarbeit und individualisiertes, selbständiges Lernen (Weinert 1998, 122f.) Für einen Gesamtkonzept schüleraktivem Unterrichts wären folgende Entwicklungslinien zu verfolgen: o o o o Methodenvielfalt kultivieren, eigenständiges Arbeiten und Denken der Schüler/-innen fördern, die Vernetzung und Anwendung von Wissen ermöglichen, … These: Die effektivste Form des Unterrichtens ist die Integration von methodischen Elementen der Fremdsteuerung mit Möglichkeiten der Selbststeuerung durch die Lerner. Die Kunst besteht in der Balance von Instruktion und Konstruktion. Anleitung und Selbststeuerung sind die zwei Säulen des Unterrichts. Was meint fächerübergreifendes Lernen? Fächerübergreifendes Lernen entspricht der kindgemäßen Weise des Fragens und Lernens. Ziel ist, ein Lernen in Zusammenhängen zu fördern (Moegeling 1998), weil zur Bearbeitung von Schlüsselproblemen ein Denken in Vernetzungen notwendig ist. In der Grundschule findet fächerübergreifendes Lernen vor allem im Sachunterricht sowie in den methodischen Konzeptionen des Projektunterrichts, der Gruppenarbeit und des handlungsorientierten Unterrichts statt. Literaturhinweise: Bandura, A., Self-efficacy: the Expercise of Control, New York 1997. Bönsch, M., Selbstgesteuertes Lernen in der Schule, Neuwied 2002. Edelmann, W., Lernpsychologie. Eine Einführung. Münschen 1996. Einsiedler, W.: Lehr-Lern-Konzepte für die Grundschule, in: ders., Handbuch Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik, Bad Heilbrunn 2001. Gudjons, H., Frontalunterricht – neu entdeckt. Integration in offene Unterrichtsformen. Bad Heilbrunn 2003. Helmke, A./Weinert, F.-E., Bedingungsfaktoren schulischer Leistungen. In: Enzyklopädie der Psychologie. Bd. 3, 1-31, Göttingen 1997. Konrad, Klaus./Taub, Silke, Selbstgesteuertes Lernen in Theorie und Praxis, München 1999. Moegling, K., Fächerübergreifender Unterricht, Bad Heilbrunn 1998. Reimann-Rothmeier, Gabi und Mandl, H., Unterrichten und Lernumgebungen gestalten. In: Krapp, A./Weidenmann, B. (Hg.), Pädagogische Psychologie, 601-646, Weinheim 2001, 4. Aufl. Weinert, F.-E.-, Neue Unterrichtskonzepte zwischen gesellschaftlicher Notwendigkeit, pädagogischen Visionen und psychologischen Möglichkeiten. In: Bayrisches Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst (Hg.), Wissen und Werte für die Welt von morgen, 101-125, München 1998. Ders., Psychologie des Lernens und der Instruktion. Enzyklopädie der Psychologie. Pädagogische Psychologie, Band 2, Göttingen 1996, 1-14.