8. Überblick über das Phasenmodell der Mediation

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Wahlkurs
Mediation und Konfliktmanagement
ASH Berlin
Prof. Dr. Andrea Budde
Inhaltsverzeichnis
1
EINLEITUNG _______________________________________________________________________ 3
2
KONFLIKTE ERKENNEN UND VERSTEHEN ___________________________________________ 4
1.
KONFLIKTE IN BETRIEBEN _____________________________________________________________ 4
2.
TYPISCHE UNTERNEHMENSINTERNE KONFLIKTE ____________________________________________ 7
3.
WAS SIND KONFLIKTE? _______________________________________________________________ 8
4.
TYPISCHER UMGANG MIT (BETRIEBLICHEN) KONFLIKTEN ____________________________________ 10
5.
DIE ENTWICKLUNG VON KONFLIKTEN: DAS STUFENMODELL DER KONFLIKTESKALATION ___________ 12
6.
DER UMGANG MIT KONFLIKTEN: ENTFLECHTUNG VON SACH- UND BEZIEHUNGSEBENE _____________ 14
3
GRUNDLAGEN DER MEDIATION ___________________________________________________ 17
1.
MERKMALE DER MEDIATION __________________________________________________________ 17
2.
VORAUSSETZUNGEN FÜR MEDIATION ___________________________________________________ 19
3.
ANWENDUNGSFELDER VON MEDIATION _________________________________________________ 20
4.
ZIELE VON MEDIATION ______________________________________________________________ 22
5.
LEITBILDER DER MEDIATION __________________________________________________________ 23
6.
VERHANDLUNGSANSATZ NACH DEM HARVARD-KONZEPT ___________________________________ 23
7.
TRANSFORMATIONSANSATZ __________________________________________________________ 25
8.
ÜBERBLICK ÜBER DAS PHASENMODELL DER MEDIATION __________________________ 27
9.
BEISPIELE FÜR WESENTLICHE TECHNIKEN IN DER MEDIATION ____________________ 29
10.
LITERATUR _____________________________________________________________________ 30
1
Einleitung
Unter dem Schlagwort „Wirtschaftsmediation“ lassen sich unterschiedliche MediationsBereiche finden. Grob lässt sich Wirtschaftsmediation in den Umgang mit unternehmensbzw. organisationsnternen und unternehmensexternen Konflikten untergliedern. Zu den
organisationsinternen Konflikten zählen z.B. solche zwischen einzelnen Beschäftigten auf
einer oder mehreren Hierarchieebenen, zwischen Abteilungen und Gruppen von
Beschäftigten, zwischen Arbeitgebern und Betriebsrat oder Arbeitgeber und im Betrieb
vertretener Gewerkschaft. Auch Streitigkeiten bei der Unternehmensnachfolge oder Konflikte
zwischen Geschäftsführern können zum Bereich der unternehmensinternen Streitigkeiten
gezählt werden, obwohl sie rechtlich nicht zur Kategorie des Arbeits- sondern in die des
Wirtschaftsrechts gehören.
Unternehmensexterne Konflikte sind solche zwischen Unternehmen, Unternehmen und
Kunden bzw. Verbrauchern, Herstellern und Zulieferern, Mutter- und Tochtergesellschaften,
Unternehmen und anderen gesellschaftlichen Anspruchsgruppen. Hier ist v.a. im Bereich von
Bau und Planung der Übergang zur sog. Mediation im öffentlichen Bereich fließend.
Auch im unternehmerischen Kontext findet menschliches Handeln immer als Kommunikation
statt, ob verbal oder nonverbal. Daher steht Kommunikation auch im Zentrum aller
Konfliktregelungsansätze. Gleichzeitig ist bei der Bearbeitung organisationsinterner Konflikte
die Unternehmensstruktur und die Rolle der Beteiligten im Gesamtsystem der Organisation zu
berücksichtigen. Mediation bewegt sich in diesem Rahmen und nutzt die Chancen der
kommunikativen Bearbeitung von Konflikten.
Die bewusste und transparente Phasenabfolge einer Mediation und die Art der
Gesprächsführung von Mediatorin und Mediator ändert die „Spielregeln“ der
Konfliktkommunikation. Daher besteht die Chance, Kommunikation auch wieder für die
Lösung von Konflikten zu nutzen. Mediation ist im Vergleich zu gerichtlichen Verfahren oder
hierarchischer Regelung von Konflikten ein nur begrenzt institutionalisiertes
Konfliktregelungsverfahren. Durch den Verfahrensaufbau in unterschiedliche Phasen
überführt Mediation einerseits Konflikte in eine sehr klare Form der Austragung und
strukturiert den zeitlichen Ablauf kommunikativer Interaktion. Andererseits sind die Schritte
des Mediationsverfahrens inhaltlich und in der jeweils konkreten Form der Durchführung stets
variabel, fallspezifisch und werden wesentlich von den Konfliktparteien selbst bestimmt.
Ziel der Mediation ist eine (auch rechtsverbindliche) Vereinbarung in Konflikten, die im
Vergleich zu einer rechtlichen Auseinandersetzung kosten- und zeitsparender ist und die
Arbeitsbeziehungen mit Blick auf zukünftige Kooperation schont und sogar verbessert. Die
Methode der Mediation - und v.a. die Haltung des Mediationsansatzes - bietet eine Chance,
durch die professionelle Vermittlung in Konflikten mit diesen wieder konstruktiv umzugehen.
Dabei ist Mediation zu verstehen als eines von mehreren Verfahren des
Konfliktmanagements. Je nach Art und nach Eskalationsstufe eines Konflikts ist ein anderes
Verfahren als Intervention adäquat. In diesem Sinne ist Mediation kein Allheilmittel, sondern
eine zusätzliche Chance.
2
Konflikte erkennen und verstehen
1. Konflikte in Betrieben
Selten ist zu hören: „Konflikte sind doch ganz normal!“ Die meisten Menschen haben eher
gemischte Gefühle, wenn es um Konflikte, auch und gerade am Arbeitsplatz, geht. Konflikte
machen Angst. Es wäre angenehmer, sie zu vermeiden.
Trotzdem: Konflikte sind normal. Sie treten überall auf, wo unterschiedliche Menschen
zusammentreffen und sind im Grunde unvermeidbar (Cloke & Goldsmith, 2000). Dies gilt
natürlich auch für Unternehmen und Organisationen. Dort treffen Menschen aufeinander, die
unterschiedliche Aufgaben und Funktionen, unterschiedliche Ziele und Interessen,
unterschiedliche persönliche Hintergründe, Charaktere, Werte und Einstellungen,
unterschiedliche Nationalitäten und vieles andere mehr mitbringen. Die betriebliche Welt ist
damit geprägt durch Unterschiede („diversity“). Häufig sind sie der Aufhänger für
Konfliktsituationen. Es entstehen Spannungen zwischen dem Management und den
Mitarbeitern, zwischen Arbeitern und Angestellten, zwischen Männern und Frauen, Türken
und Deutschen, zwischen Sparsamen und Verschwenderischen, zwischen Produktion und
Vertrieb, zwischen Alten und Jungen, zwischen Controllern und Personalverantwortlichen,
Behinderten und Nicht-Behinderten, um nur einige zu nennen.
Problematisch für Betriebe sind aber nicht die Konflikte an sich, sondern die Art und Weise,
wie mit ihnen umgegangen wird (Slaikeu & Hasson, 1998). Dies geschieht häufig in wenig
konstruktiver Weise.
Die Beteiligten kämpfen um ihre Positionen und setzen damit nicht selten einen
Eskalationsprozeß in Gang, den sie selbst schließlich nicht mehr stoppen können (Glasl,
1994). Konflikte haben aber immer positive und negative Seiten. Häufig und besonders bei
sehr eskalierten Konflikten rücken jedoch die negativen Aspekte in den Vordergrund und ihre
positive Kraft gerät in Vergessenheit.
Für die Funktionsfähigkeit und den Erfolg von Betrieben sind Konflikte jedoch nicht nur
alltäglich, sondern auch unvermeidlich. Ein zu geringes Ausmaß an Konflikten ist für einen
Betrieb genauso unproduktiv wie ein zu hohes Ausmaß (Rahim & Bonoma, 1979; de Dreu,
1997). Konflikte sind nicht selten die Grundlage für Veränderungsprozesse und damit der
Motor für die Einführung von Verbesserungen.
Zu den positiven Wirkungen von Konflikten in Betrieben zählen:
 sie weisen auf Probleme hin
 sie fördern Innovation
 sie erfordern Kommunikation
 sie verhindern Stagnation
 sie regen Interesse an
 sie lösen Veränderungen aus
 sie fördern Kreativität
 sie festigen Gruppen/ geben ein Zusammengehörigkeitsgefühl
 sie verlangen nach Lösungen und steigern damit die Aktivität
Die dysfunktionalen Wirkungen sind den meisten Mitarbeitern sehr viel geläufiger. Sie treten
besonders deutlich hervor, wenn Konfliktes bereits eskaliert sind.
Konflikte ...:
 verunsichern die Beteiligten
 führen zu Reibungsverlusten
 führen zu psychischen Belastungen
 verschlechtern die Beziehungen zwischen den Mitarbeitern
 führen zu körperlichen Beschwerden
 vermindern die Produktivität
 vermindern die organisationale Stabilität
Um in Betrieben konstruktiv mit Konflikten umgehen zu können, muß akzeptiert werden, dass
es auch funktionale und nicht ausschließlich dysfunktionale Konfliktwirkungen gibt. Ziel
eines (modernen) Konfliktmanagements ist damit nicht die Vermeidung jeglicher Konflikte
im Betrieb, sondern die Nutzung ihrer positiven Funktionen sowie die Minimierung von
negativen Aspekten. Der erste Schritt zu einem veränderten Umgang mit Konflikten oder
sogar zu einer neuen „Konfliktkultur“ ist die Erreichung eines positiven
Konfliktverständnisses. Konflikte dürfen nicht länger als „böse“ und gefährlich vermieden,
verleugnet oder gar mit Gewalt unterdrückt werden, es geht vielmehr darum, sie für den
Betrieb nutzbar zu machen. Damit ihr kreatives Potential ausgeschöpft werden kann, sollten
sie als Chancen verstanden werden, was nicht bedeutet, dass ihre negativen Aspekte ignoriert
werden. Ein Unternehmen aber, über das die Zuständigen meinen, es gäbe keine Konflikte
und man brauche kein Konfliktmanagement zeigt dass (noch) kein positives
Konfliktverständnis vorhanden ist. Die Verleugnung von Konflikten kann in diesem Sinne als
Indiz für ein negatives Konfliktverständnis interpretiert werden. Betriebe ohne Konflikte gibt
es nicht, wohl aber welche, die durch einen offenen Umgang damit konstruktive Lösungen
erreichen.
Insbesondere in Zeiten, die durch Strukturwandel und Globalisierung geprägt sind, müssen
Betriebe sich ständig an veränderte Bedingungen anpassen, um im Wettbewerb dauerhaft
bestehen zu können. Sie müssen schnell und kreativ reagieren und dabei das Potential ihrer
Mitarbeiter möglichst effizient ausschöpfen. Veränderungen stellen für die Mitarbeiter zwar
eine Herausforderung, damit aber gleichzeitig auch eine Belastungssituation dar, durch die
Konflikte vorprogrammiert sind. Auf Veränderungen zu reagieren und sich den sich
wandelnden Gegebenheiten anzupassen, heißt für Organisationen deshalb vor allem auch, die
Konfliktfähigkeit der einzelnen Mitarbeiter und des gesamten Betriebes zu fördern und neue,
innovative Konfliktmanagementverfahren einzusetzen.
Konflikte sind eine „schnell nachwachsende Ressource“. Sie gehören zum Alltag. Ohne
Konflikte keine Weiterentwicklung. Auch wenn der Umgang mit Konfliktsituationen für die
Beteiligten meist unangenehm ist, mit Konflikten ist es wie mit Wasser: zu viel bedeutet
Überschwemmung, zu wenig aber Dürre und Austrocknen. Auf das richtige Maß kommt es
an.
Der Umgang mit Konflikten und die konstruktive Konfliktbearbeitung ist für Unternehmen
ein wichtiger Wettbewerbsfaktor geworden. In Zeiten des immer rascheren Wandels von
Unternehmensstrukturen, Aufgabenbereichen, der Globalisierung z.B. in Zusammenhang mit
Fusionen und Unternehmensausgliederungen, treten Unternehmenskonflikte immer häufiger
auf. Werden sie nicht konstruktiv genutzt und bearbeitet, können sie die Produktivität und
Effizienz erheblich einschränken. Anzeichen dafür kann ein gehobener Krankenstand, der
häufige Stellenwechsel von Spezialisten, die mangelhafte Kundenorientierung des
Unternehmens sein.
Die bisher bekannten Konfliktbearbeitungsverfahren, insbesondere die Konfliktlösung durch
einen Richter, der entscheidet, ist zu langsam, zu kostenintensiv und häufig zu praxisfern.
Benötigt werden schnell verfügbare, kostengünstige und praxisnahe Konfliktbearbeitungen.
2. Typische unternehmensinterne Konflikte
Die unterschiedlichen Facetten, in denen sich der Umgang mit Konflikten äußert, reichen von
Rückzug über verbale Streitigkeiten bis hin zu Sabotage oder handfesten
Auseinandersetzungen. Studien aus den USA zeigen, dass sogar gewalttätige Ausschreitungen
am Arbeitsplatz zunehmen. Verbale Auseinandersetzungen haben jedoch immer noch mit
etwa 41% den größten Anteil, Stöße und Schläge werden immerhin in 19% der Fälle berichtet
(1999 Workplace Violence Report).
In Konflikten wird deutlich, dass alle Konfliktparteien die gleiche Situation sehr
unterschiedlich wahrnehmen können. Für einen Außenstehenden stellen sich die
Schilderungen eines Konfliktes aus der Perspektive der einen oder der anderen Partei häufig
wie zwei vollkommen unterschiedliche Geschichten dar, die miteinander gar nichts zu tun
haben können. Hier danach zu fragen, wer von beiden Recht hat und die wahre Geschichte des
Konfliktes erzählt, ist eine Aufgabe, die nicht zu bewältigen ist. Aus systemischer Sicht ist es
auch gar nicht erforderlich, sich mit den (angeblich) „wahren“ Gründen für den Konflikt
auseinanderzusetzen. Es geht vielmehr darum, zu akzeptieren, dass es sich im Hinblick auf die
Wahrnehmung von Situationen, Ursachen und Wirkungen nicht um eindeutige Feststellungen,
sondern um Hypothesen handelt. Wir versuchen daher in Konfliktsituationen eher, die
Konfliktparteien davon zu überzeugen, dass es immer unterschiedliche Sichtweisen eines
Sachverhaltes gibt, auch wenn dies zunächst nicht vorstellbar erscheint. Ob jemand durch eine
rote oder durch eine grüne, durch eine optimistische oder pessimistische Brille schaut,
verändert das Bild, das er von der (angeblichen) „Realität“ hat. Grundlage unseres
Konfliktverständnisses ist damit die Feststellung, dass es immer in jeder Situation
verschiedene Wahrheiten gibt und objektive Zusammenhänge nicht festzustellen sind. Dies
widerspricht zunächst ganz massiv dem althergebrachten „rechte-orientierten“
(Goldberg/Ury/Brett, Konfliktmanagement) Umgang mit Streitigkeiten: Es geht nicht um
Sachverhaltsermittlung, um die Identifizierung von Ursache-Wirkung-Zusammenhängen, mit
dem Ziel, Täter und Opfer identifizieren. Es geht im Gegensatz zur Konfliktlösung auf der
juristischen Ebene gerade nicht darum einen unstreitigen, „wahren“ Sachverhalt zu ermitteln.
(Ponschab/Schweitzer, Verhandeln)
Zentrale Voraussetzung für ein innovatives Konfliktmanagement in Betrieben ist die
Akzeptanz der Verantwortlichen, dass Konflikte zum betrieblichen Alltag gehören, neben ihre
negativen auch positive Funktionen haben und sogar notwendig für den Erfolg des Betriebes
sind. Außerdem ist es ein (systemisches) Verständnis von Konflikten, das den Fokus von einer
Suche nach den Konfliktursachen auf eine Suche nach den Konfliktbearbeitungswegen
verlagert. Die Beteiligten haben nur so die Möglichkeit, den Teufelskreis von Tätern und
Opfern zu durchbrechen und eine Regelung und bestenfalls sogar eine Lösung für die Zukunft
zu entwickeln.
3. Was sind Konflikte?
Bei Konflikten ist es wie bei den meisten Konzepten, die soziale Phänomene beschreiben: Es
gibt unendlich viele verschiedene Definitionen, die mehr oder weniger eng oder weit sind. Im
folgenden nur ein paar Aspekte, die für das betriebliche Konfliktmanagement von Bedeutung
sind:
Zu unterscheiden ist zunächst zwischen individuellen (oder intrapersonalen) und sozialen
(oder interpersonalen) Konflikten. Als individuelle Konflikte werden solche bezeichnet, die
innerhalb einer Person auftreten. Dies kann geschehen, wenn zwei Wünsche, Einstellungen
etc. nicht einfach miteinander zu verbinden sind, ein großes Freizeitbedürfnis z.B. mit dem
Wunsch kollidiert, in die Chefetage des Betriebes aufzusteigen. Individuelle Konflikte sind
auch mit dem Bild des „inneren Teams“ erklärbar. Dabei handelt es sich um verschiedene
Stimmen oder Positionen, die kommunikationstheoretisch als Urheber innerer Botschaften
aufgefaßt werden können (Schulz von Thun, 1998). Die Mitglieder des inneren Teams eines
Mitarbeiters können ihre widerstreitenden Interessen so hartnäckig vertreten, dass der
betroffene Mitarbeiter in einen Konflikt gerät, weil er die unterschiedlichen Bedürfnisse nicht
gleichzeitig befriedigen kann. Solche individuellen Konflikte wirken sich natürlich auf den
betrieblichen Alltag aus und können Spannungen in anderen Bereichen hervorrufen. Es ist
deshalb notwendig, sie als gegeben mitzudenken, wenn über betriebliches
Konfliktmanagement nachgedacht wird. Neben diesen individuellen treten aber auch – und
das ist meist offensichtlicher – sogenannte soziale Konflikte auf. Damit von sozialen
Konflikten gesprochen werden kann, müssen mindestens zwei verschiedene Konfliktparteien
vorhanden sein. Das können Kollegen, Arbeits- oder Projektgruppen, Teams bis hin zu ganzen
Abteilungen oder Organisationen sein.
Bei den sozialen Konflikten lassen sich auf qualitativer Ebene interindividuelle und kollektive
Konflikte unterscheiden. Konflikte zwischen einzelnen Personen (interindividuell) werden
dabei meist anders ausgetragen als solche, die sich z.B. zwischen Interessengruppen
(kollektiv) innerhalb des Betriebes abspielen. So stehen möglicherweise für die Bearbeitung
von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Gremien zur Verfügung, in
denen Arbeitgebervertreter und Arbeitnehmervertreter (z.B. Betriebs- oder Personalrat,
Mitarbeitervertretung o.a.) nach vorher festgelegten Regeln miteinander verhandeln. Die
Bearbeitung interindividueller Konflikte bietet einen größeren Verhaltensspielraum an. Sie
läuft weniger formalisiert ab, kann aber zu vergleichbar starken Eskalationen führen wie
kollektive Auseinandersetzungen. Für die Bearbeitung interindividueller Konflikte stehen in
Betrieben meistens keine festen Bearbeitungsmethoden zur Verfügung, die helfen, die
Situation konstruktiv zu lösen. So können Mitarbeiter, die sich um ihre Urlaubszeiten streiten
und keine Handlungsmodalitäten zu Verfügung haben, andere Personen mit in den Streit
hineinziehen, dafür sorgen, dass der „Konfliktgegner“ zum allgemeinen Mobbingopfer des
Betriebes wird etc.
Nach Glasl (1994) wird unter einem Konflikt eine Interaktion ...
zwischen verschiedenen Akteuren (Individuen, Gruppen, Organisationen usw.) verstanden,
wobei wenigstens einer der Akteure
Unvereinbarkeiten im Denken, Vorstellen, Wahrnehmen
und/oder Fühlen
und/oder Wollen
mit dem anderen Akteur (den anderen Akteuren) in der Art erlebt,
dass im Realisieren eine Beeinträchtigung durch den anderen Akteur die anderen Akteure)
erfolgt.
Neben zahlreichen Konflikten, die in den meisten Betrieben auftreten, hat jeder Betrieb seine
eigenen Konflikte. Besonders geläufig aber sind Konflikte zwischen Vorgesetzten und
Mitarbeitern, zwischen einzelnen Mitarbeitern (z.B. Mobbing etc.), Konflikte, die bei der
Einführung von Gruppenarbeit deutlich werden sowie Konflikte zwischen
Mitarbeitervertretungen (Betriebsrat etc.) und Vertretern der Geschäftsführung oder
Personalabteilung. Bestimmte Konfliktthemen finden sich in nahezu allen Betrieben wieder:
Es geht um Differenzen in bezug auf die Beurteilung einer Arbeitsleistung, die Verteilung von
knappen Ressourcen, Beschwerden, strukturelle Veränderungen.
4. Typischer Umgang mit (betrieblichen) Konflikten
Die meisten Konflikte werden auch heute noch in vielen Betrieben mit wenig konstruktiven,
wenig nachhaltigen Methoden bearbeitet bzw. zum Teil sogar verleugnet oder ignoriert. Unter
der Oberfläche schwelen sie weiter und treten an anderer Stelle erneut zutage. Die Beteiligten
handeln meist unreflektiert und intuitiv und wählen deshalb in vielen Fällen eher ungeeignete
Konfliktlösungsstrategien aus, die einen Eskalationsprozeß in Gang setzen aber nicht zu einer
Lösung führen. Es fehlt ein effektives Konfliktmanagement-System, in dem unterschiedliche,
auf die Bedürfnisse des Betriebes zugeschnittene Bearbeitungsverfahren angeboten werden,
mit denen Konflikte je nach Art, Thema, Eskalationsgrad etc. bearbeitet werden können.
Der Blick von Personalverantwortlichen, Betriebsräten, Rechtsabteilungen, Anwälten,
Rechtssekretären und Arbeitsrichtern ist häufig auf eine einzige Ebene der
Konfliktbearbeitung verengt: auf die rechtliche. Der Blick von Personal- und
Organisationsentwicklern, Trainern, Beratern, Betrieblichen Sozialarbeitern usw. konzentriert
sich allein auf interessenorientierte Konfliktbearbeitung durch Verhandeln und Mediation
oder ähnliche Verfahren. Führungskräfte sind es gewohnt, Konflikte durch Entscheidungen
auf der Macht-Ebene anzugehen.
Häufig zeichnen sich typische Muster einer Konfliktregelung ab. Die folgende Grafik
verdeutlicht, zu welchen Gewinnen und Verlusten solche alltäglichen Verhaltensweisen zur
Regelung von Konflikten bei den Beteiligten führen, wenn wir die eigentlichen Interessen zu
Grunde
Interessen-/Nutzengewinn „B“
legen:
Durchsetzung „B“/
Anpassung „A“
K2
K3
Kooperationen
K1
K4
Kompromiß
Durchsetzung „A“/
Anpassung „B“
Vermeidung
Interessen-/Nutzengewinn „A“
Unter Berücksichtigung von Sach- und Beziehungsebene lassen sich die Konstellationen
kurz charakterisieren:
 Vermeidung oder gegenseitige Blockade ( Lose-Lose)
Konflikte sind - wie der Schmerz für den Körper - Signale, daß etwas nicht stimmt und mit
Problemen zu rechnen ist, wenn nichts getan wird. Wenn die Austragung eines Konfliktes
vermieden wird, so bleiben die Probleme ungelöst und wirken sich zum Nachteil beider
Parteien aus. Inhaltliche Unzufriedenheit ist die Folge, denn beide können ihre Interessen
nicht verwirklichen. Das gilt auch für die gegenseitige Blockade. Beide Parteien beharren
hier auf ihrer Position, die sie aber nicht gegen den Willen der jeweils anderen Partei allein
verwirklichen können. Hier wird die Beziehung aus Sicht beider Parteien stark belastet.
Vermeidung, Flucht oder Blockade ist die häufigste Form der Konfliktbehandlung.
 Durchsetzung ( Win-Lose)
Die machtgestützte Form der Konfliktbehandlung ist charakteristischerweise einseitig, wird
als inhaltlich ungerecht erlebt und wirkt enorm belastend für die zukünftige Beziehung, die
sowohl persönlicher als auch professioneller Art sein kann. Die Konfliktpartei, die sich
durchsetzt, ist kurzfristig zufrieden und kann das Siegesgefühl genießen und ihr
Selbstvertrauen dadurch vergrößern. Die unterlegene Partei ist unzufrieden, in ihrem
Selbstwertgefühl geschwächt und entwickelt möglicherweise Gefühle von Wut und Rache.
 Anpassung (Lose-Win)
Hier wird eine Blockade dadurch aufgehoben, daß eine Partei freiwillig die eigenen
Verhaltenstendenzen hinten anstellt bzw. aufgibt. Das Bedürfnis nach Harmonie droht hier
die inhaltlichen Interessen zu unterdrücken; die Beziehungsseite wird im Verhältnis zur
Sachebene überbetont. Auch hier sind einseitige, inhaltlich ungerechte Ergebnisse zu
erwarten, die kurzfristig die Beziehung schonen, langfristig jedoch wenig tragfähig und
wiederum belastend für die Beziehung sein können.
 Kompromiß
Wenn sich die Konfliktparteien auf einen Kompromiß einigen, geben beide aus Sicht der
ursprünglich erhofften Ergebnisse etwas nach; keiner ist so richtig zufrieden. Sowohl
inhaltlich als auch auf der Beziehungsebene ist eine starke Störung vermieden worden. Das
Ergebnis kann durchaus tragfähig sein. Allerdings hat der Konflikt nicht zu konstruktiven
Wirkungen geführt wie Entwicklung der Persönlichkeit, Förderung von Veränderungen
und Innovationen, neue Qualität des Zusammenlebens bzw. der Zusammenarbeit etc.
 Kooperation ( Win-Win)
Ziel einer Kooperation ist es dagegen, neue Lösungen bzw. Regelungen zu finden, mit
denen beide Konfliktparteien ihre Interessen über einen Kompromiß hinaus verwirklichen
können. Die kooperative Form der Konfliktbewältigung führt inhaltlich und
zwischenmenschlich zu einer höheren Qualität der Interaktion und wird als
gewinnbringend für beide Seiten erfahren.
5. Die Entwicklung von Konflikten: Das Stufenmodell der Konflikteskalation
Glasl hat ein differenziertes Bild typischer Eskalationsentwicklungen von Konflikten
anhand eines Neun Stufen-Modells entwickelt. Danach steigert sich die Konfliktintensität
nicht kontinuierlich, sondern stufenweise. Zwischen den Stufen liegen Wendepunkte, die die
Parteien als kritische Schwellen im Konflikt erleben.
Diese Schwellen haben nicht immer strategische Bedeutung, sondern appellieren an das
Gefühl oder haben symbolischen Charakter.
Verhärtung
Standpunkte
Debatte
verhärten zuweilen, prallen Polarisation im Taten
aufeinander
Denken, Fühlen
„Reden hilft
und Wollen,
zeitweilige
Schwarz-Weiss- nichts mehr“
Also: Taten!
Ausrutscher undDenken
Strategie der
Verkrampfung
vollendeten
Taktiken:
Bewußtsein der quasi-rational, Tatsachen
bestehenden verbale Gewalt
Diskrepanz
Spannung
verbales, nonerzeugt
Reden zur
Krampf
Tribüne , über verbales
Verhalten,
Dritte
nonverbales
Überzeugung: „scores“
Verhalten
Spannungen gewinnen
dominiert
durch Gespräch
lösbar
zeitliche Subgruppen um
noch keine
Standpunkte
starren Parteien
oder Lager
Diskrepanz
Oberton und
Unterton
Keine gleich-.
berechtigte
Kommunikationsebene
Images
Koalitionen
Stereotypen,
Klischees,
ImageKampagnen,
Gerüchte
Gesichtsverlust
Drohstra -
Öffentlich und tegien
direkt: GesichtsBegrenzte
Drohung und
angriffe
Gegendrohung: Vernichtungs -
schläge
Einander in
Zersplitter Forderung
inszenierte
negative Rollen
ung
„Demaskierungsmanövrieren
Denken in
Gemeinsam
aktion “ Ritual Sank- Stanktionsund bekämpfen
„Dingkategorie“Paralysieren
in den
tion
potential
und
Gefahr: FehlDemasqué:
Abgrund
Werben um
Glaubwürdigkeit:keine
Desintegrieren
interpretationen
„Entäuschung“
Anhänger,
Proportionalität menschliche des feindlichen Kein Weg mehr
Aha-Erlebnis
symbiotische
Selbstbindungs- Qualtiät mehr Systems
zurück!
„pessimistische
rückwirkend
Koalitionen
aktivitäten,
Antizipation“:
Stolperdrähte begrenzte
Misstrauen
Abschnüren der Totale
,
Engel-Teufel
self-fulfilling
Vernichtungs- Exponenten vom
Akzeleration
als Bild,
Konfrontation
prophecy durch
„second move“ schläge als
Hinterland
Doppelgänger
Perzeptions„passende
Vernichtung zum
Gruppenhaut,
fixierung
Stress
Antwort“
vitale System- Preis der
Kohäsion,
Ausstossen,
faktoren
Selbstvernichtung,
RollenVerbannen
Akzeleration Umkehren der zerstören,
kristalisation
Lust am
durch
Werte ins
Selbstmord,
dadurch System
Isolation
Ultimata,
Gegenteil:
wenn auch der
unsteuerbar,
Empathie
sozialer
Feind zurgrunde
Scherenwirkungrelativ kleiner zerfällt
verloren
Autismus
geht!
eigener
gänzlich
Schaden =
Ekel
Gewinn
Ideologie, Werte
Prinzipien
Rehabilitierung!
Quelle: Neun Stufen der Konflikteskalation nach Glasl (1994)
6. Der Umgang mit Konflikten: Entflechtung von Sach- und Beziehungsebene
Stufen der Konflikteskalation im Zusammenspiel von Sach- und Beziehungsebene
Sachebene
Beziehungsebene
Konfliktverhalten ist immer kommunikatives Verhalten, sei dies nun verbal oder nonverbal.
Zwischenmenschliche Kommunikation hat zwei grundsätzliche Ebenen: eine inhaltliche bzw.
sachliche
und
die
Ebene
der
Beziehung
zwischen
den
Interaktionspartnern
(Watzlawick/Beavin/Jackson 1996). Daher muß die Bearbeitung von Konflikten diese beiden
Ebenen beachten:
 Auf der Sachebene geht es um die Blockade bzw. Beeinträchtigung der
Interessendurchsetzung, die sich durch die konfligierenden Anliegen und Verhaltensweisen
ergibt.
 Auf der Beziehungsebene wird das gestörte persönliche Verhältnis zwischen den
Konfliktparteien berücksichtigt, das meistens dadurch beeinträchtigt ist, daß sich die
Konfliktparteien wechselseitig als Verursacher bzw. Verstärker einer Störung wahrnehmen.
Bei der Kommunikation bestehen Verbindungen auf zwei Ebenen zwischen Sprecher und
Zuhörer: auf der Sachebene oder auch Verstandesebene und auf der Beziehungsebene oder
auch Gefühlsebene. Nicht nur bei Kindern läßt sich beobachten, daß sie der Aufforderung
einer Person eher nicht nachkommen, die sie nicht mögen. Auch in der Erwachsenenwelt ist
ein Sprecher, dessen Beziehungsebene zum Zuhörer gestört ist, oft erfolglos mit seinem
Appell, also dem, was er beim Zuhörer erreichen will. Die Mediatorin muß daher dafür
sorgen, daß im Mediationsverfahren die Gefühlsebene nicht ausgeblendet wird, sondern eine
solide Basis für die Arbeit an den Problemen liefert. Nur wenn die Beziehungsebene nicht
gestört ist, können die Mediatorin und die Teilnehmer selbst die Veränderungen im Denken
und Verhalten herbeiführen, die sie mit ihren Beiträgen und Vorschlägen erreichen wollen.
Die oben dargestellten Kommunikationstechniken sind hier wichtig für die Mediatorin, da die
Beziehung zwischen den Konfliktparteien bzw. diejenige zur Mediatorin neben dem
nonverbalen Verhalten durch die Art des Sprechens beeinflußt wird. Das hat Folgen für die
Möglichkeiten zur Konfliktbearbeitung. Ist die Beziehungsebene gestört, sinkt die
Zuhörbereitschaft. Die Bewertung des Inhaltes einer Nachricht wird auf Seiten des Zuhörers
davon beeinflußt, wie er den Sprecher empfindet, ob er ihn mag und respektiert oder nicht.
Die Sprache hat großen Einfluß darauf, ob der Sender als unparteiisch, fair, kooperativ oder
konfrontativ eingeschätzt wird. Störungen auf der Beziehungsebene führen daher leicht dazu,
daß Vorschläge der Gegenpartei abgelehnt oder gar nicht richtig zur Kenntnis genommen
werden. Hinzu kommt, daß in Konflikten Aussagen auf der Sach- und Beziehungsebene
häufig durcheinander gehen. Konfliktparteien streiten sich um eine Sache, thematisieren
explizit oder zwischen den Zeilen aber ständig auch Probleme in ihrer Beziehung zueinander.
Sind diese beiden Ebenen heillos miteinander verflochten, so erscheinen Ergebnisse bei der
Auseinandersetzung in der Sache unmöglich. Konfliktparteien können diese Ebenen nicht
mehr selbständig entflechten, wenn sie häufiger oder seit längerer Zeit einen Konflikt
miteinander haben.
Das ist die Stunde der Mediatorin. In manchen Fällen können bei Konflikten gute
Beziehungen zur Klärung eines Sachproblems genutzt werden, es besteht aber die Gefahr, daß
der Sachkonflikt auf die Beziehungsebene ausstrahlt. In anderen Fällen werden Konflikte auf
der Beziehungsebene auf der Sachebene ausgetragen. In der Mediation sollen immer Fakten
und Gefühle geäußert werden. Sind diese beiden aber so verflochten, daß sie sich ständig
gegenseitig blockieren, muß die Mediatorin die Konfliktparteien dabei unterstützen, die
beiden Ebenen zu entflechten. Wenn deutlich wird, daß Probleme auf beiden Ebenen
vorliegen, kann er mit den Parteien zunächst die Konflikte auf der Beziehungsebene angehen.
Erst wenn hier genügend Empathie geschaffen ist, können die Parteien - auf der Grundlage
des neu geschaffenen Vertrauens und Respekts voreinander - die Sachkonflikte erfolgreich
regeln. Dabei ist die Mediatorin keine Therapeutin, wenn es um die Bearbeitung der
Beziehungsprobleme geht, und auch kein Rechtsberater oder Fachexperte bei den
Sachproblemen. Durch gezieltes Nachfragen und Aufforderungen strukturiert sie das
Konfliktgespräch und sorgt für ein systematisches Vorgehen: Die Mediatorin versucht, das
Gehörte zur Sachebene zusammenzufassen (Schritt 1: Problemdefinition auf der Sachebene).
Danach werden die Gefühle und Beziehungen beschrieben und genau definiert, so daß sich
jede Konfliktpartei aussprechen kann und auch die Sichtweise der anderen hört (Schritt 2:
Problemdefinition auf der Beziehungsebene). Danach läßt die Mediatorin die Konfliktparteien
schildern, wie sie sich die Beziehung wünschen, was sie sich als schön und angenehm
vorstellen (Schritt 3: Ideensuche auf der Beziehungsebene). Das gleiche kann dann auf der
Sachebene geschehen: Nach der Bestandsaufnahme und Einigung darüber, was genau das
Problem ist, überlegen die Konfliktparteien kreativ neue Lösungswege, wobei die geklärte
Beziehung den nötigen Freiraum und die Unbefangenheit für diesen Schritt ermöglichen
(Schritt 4: Ideensuche auf der Sachebene). Erst im letzten Schritt planen die Konfliktparteien
dann die konkreten Umsetzungsmöglichkeiten, was sie selbst und was der andere tun könnte
(Schritt 5: Umsetzung auf der Beziehungs- und Sachebene).
3
Grundlagen der Mediation
1. Merkmale der Mediation
Der Begriff „Mediation“ kommt aus dem Englischen und kann als „Vermittlung“ ( medium:
in der Mitte stehen) übersetzt werden. Die folgenden Definitionsmerkmale verdeutlichen auch
die Unterschiede zu rechtsförmigen Verfahren, anderen Tätigkeiten der Organisationsberatung
und therapeutischen Ansätzen.
Externer Dritter: Der Mediator ist nicht am Konfliktgeschehen beteiligt; sie oder er
vermittelt zwischen den Parteien und ist weder betroffen, noch in bezug auf die
Konfliktbeteiligten weisungsfähig.
Allparteilichkeit: Der Mediator fühlt sich allen Konfliktparteien gleich verpflichtet und nicht
parteiisch. Allparteilichkeit ist nicht das Gleiche wie Neutralität, denn der Mediator bemüht
sich um Verständnis für die Sichtweise der Konfliktparteien und hat ein Interesse an der
Klärung des Konfliktes. Er ist für den Prozeßverlauf verantwortlich.
Einbeziehung aller Konfliktparteien: Mediation bezieht alle von einem Problem
Betroffenen ein. Sie erarbeiten gemeinsam eine Lösung, in die alle ihr Wissen einbringen und
die von allen akzeptiert wird.
Eigenverantwortung der Medianden: Die Teilnehmer nehmen freiwillig an einem
Mediationsverfahren teil und sind selbst für die Ergebnisse verantwortlich. Der Mediator
unterstützt sie bei der Suche nach eigenen, tragfähigen Lösungen. Die Medianden sind
Experten für ihren eigenen Konflikt und dessen praxisorientierte sinnvolle Lösung oder
Bearbeitung.
Prozess- statt Ergebnisorientiertheit: Der Mediator ist nicht für das inhaltliche Ergebnis,
sondern für den Weg dorthin verantwortlich.
Fall- und problemspezifisch: Im Gegensatz zu rechtsförmigen Verfahren werden in der
Mediation Lösungen für einen konkreten Einzelfall entwickelt. Es geht nicht um die Klärung
von Schuld und auch nicht um verallgemeinerbare Lösungen. Für die Lösungssuche werden
nicht Rechtsnormen als zentraler Ansatz herangezogen. Das Verfahren ist informell und
fallspezifisch. Unterschiedliche Perspektiven werden akzeptiert. Persönliche und
psychologische Hintergründe werden einbezogen, um zu einer Lösung des Konfliktes zu
kommen. Ziel ist die Regelung eines konkreten Konfliktes. Dieser dient nicht als
Ausgangspunkt zur Bearbeitung tieferliegender Persönlichkeitsprobleme.
Ergebnisoffenheit: Damit Mediation als Verfahren nicht instrumentalisiert wird, z.B. um Zeit
zu gewinnen oder Parteien ruhig zu stellen, ist eine wichtige Voraussetzung ein Mindestmaß
an Ergebnisoffenheit. In dem betreffenden Konflikt dürfen nicht außerhalb des
Mediationsverfahrens (im Vorfeld oder parallel) die Entscheidungen getroffen werden. Es
muß geklärt werden, welchen Stellenwert ein Ergebnis haben wird und daß gemeinsam
gefundene Lösungen auch umgesetzt werden.
Zukunftsorientierung: Es geht nicht um die Aufarbeitung der Vergangenheit, der Klärung
von Ursachen und Wirkungen oder der Aufdeckung der Konfliktentwicklung. Mediation ist in
dem Sinne lösungsorientiert, dass im Mittelpunkt die Suche nach einer „Lösung“, der
Regelung des Konflikts für die Zukunft steht.
Freiwilligkeit: Die Teilnahme am Mediationsverfahren ist freiwillig. Auch wenn die
Leitungsebene in einem Unternehmen das Verfahren initiiert, müssen die Mediatoren
sicherstellen, dass die Konfliktparteien selbst entscheiden können, ob und wie intensiv sie sich
dann auch inhaltlich einbringen. Wenn eine Konfliktpartei oder die Mediatorin zu dem Schluß
kommt, daß die Voraussetzungen für eine Mediation bzw. für eine konstruktive Arbeit nicht
mehr gegeben sind, kann der oder die Betreffende die Mediation beenden.
Verschwiegenheit: Die in der Mediation besprochenen Inhalte werden sowohl von den
Konfliktbeteiligten als auch vom Mediator vertraulich behandelt. Gemeinsam verpflichten sie
sich im Rahmen des Mediationsvertrages dazu, die Informationen aus dem
Mediationsverfahren nicht in anderen Zusammenhängen gegen die Konfliktbeteiligten zu
verwenden.
Informiertheit: Die Konfliktbeteiligten müssen über ihre eigene Situation (z.B. ihre
rechtliche Lage bzw. allgemein ihre BATNA) sowie über die Prinzipien der Mediation
informiert sein. Darüber hinaus müssen alle für den Konflikt relevanten Informationen in der
Mediation offengelegt werden.
Mit Hilfe eines vermittelnden, am Konfliktgeschehen unbeteiligten externen Dritten (des
Mediators), der sich den Konfliktparteien allparteilich verpflichtet fühlt und für den
Prozeßverlauf verantwortlich ist, erarbeiten alle an einem Konflikt Beteiligten gemeinsam und
eigenverantwortlich eine akzeptable und tragfähige, fall- und problemspezifische Lösung oder
Regelung für einen bestehenden Konflikt.
2. Voraussetzungen für Mediation
Neben den genannten Merkmalen von Mediation, die ebenfalls wichtige Voraussetzungen für
ein solches Verfahren darstellen, ist als eine weitere innerbetrieblich die Absicherung des
Verfahrens durch den expliziten Verzicht auf Sanktionen (in Form personeller Maßnahmen:
z.B. Abmahnung, Versetzung, Kündigung) zu nennen. Gemeinsam mit dem Grundsatz der
Ergebnisoffenheit dient dies der Absicherung vor Missbrauch von Mediationsverfahren:
Mediation soll nicht der bloßen Akzeptanzbeschaffung vorher feststehender Entscheidungen
dienen. Auch dient sie nicht der Informationsbeschaffung, um im Anschluß an die Mediation
bessere rechtliche Möglichkeiten zu haben.
Eine kreative Suche nach neuen und für alle Beteiligten vorteilhaften Lösungen würde durch
eine derartige Herangehensweise konterkariert.
Der erfolgreiche Einsatz von Mediation ist besonders aussichtsreich, wenn:
 Keine der beteiligten Parteien in der Lage ist, allein - unter Ausschluß der anderen Parteien
- ihr Ziel zu erreichen.
 Jede der involvierten Parteien der anderen schaden oder nützen kann.
 Die Interessen, Ziele und Bedürfnisse der beteiligten Parteien sich nicht vollständig aus
schließen.
 Die involvierten Parteien willens sind, miteinander zu kooperieren.
 Die Parteien unter Zeitdruck stehen. Verschieben oder „Aussitzen“ ist keine Lösung.
 Die Parteien erkennen, daß andere Verfahren als die Verhandlung weniger
erfolgversprechend sind.
 Die Parteien einen Konsens darüber erziele sprechen n können, welche Themen und
Probleme den inhaltlichen Kern des Problems ausmachen.
 Zusätzliche Umstände wie z. B. Image- oder Kostenfragen sowie das Risiko langwieriger
gerichtlicher Auseinandersetzungen dafür sprechen, eine Lösung über Verhandlungen zu
suchen.
Für Mediation als ein Verhandlungssystem sind folgende Informationen essenziell:
 Die Alternative jeder Konfliktpartei zu einer Verhandlungslösung (BATNA = Best
Alternative To a Negotiated Agreement);
 die relevanten Interessen der Konfliktparteien und
 die Wertigkeit der verschiedenen Interessen der Konfliktparteien.
Als Vorbereitung für die Medianden ist es für jede Partei wichtig zu klären, welche
Alternativen sie zur Verhandlung haben: Was können sie bestenfalls ohne Verhandlung
erreichen (BATNA)? Und was kann schlimmstenfalls passieren, wenn sie nicht verhandeln
(WATNA = Worst Alternative To a Negotiated Agreement)? Die BATNA kann in der
Verhandlung als ein Indifferenzpunkt betrachtet werden, ab dem sich kein Vorteil mehr für
eine Verhandlungslösung ergibt.
3. Anwendungsfelder von Mediation
Verhandlungen im Vorfeld internationaler Vereinbarungen, Friedensverhandlungen zwischen
souveränen Staaten oder Bürgerkriegsparteien unter Hinzuziehung eines Vermittlers sind
Beispiele für politische Konflikte, bei denen die Methode der Mediation zum Einsatz kommt.
In Industrieländern mit westlichem Demokratietypus werden einige Elemente von
Verhandlungs- und Vermittlungstechniken der Mediation seit langem bei Konflikten auf dem
Arbeitsmarkt und in Tarifauseinandersetzungen eingesetzt. Die wesentlichen
Mediationselemente - Verhandeln, Diskutieren und Vermitteln als solche - sind also keine
Innovation.
Neu ist hier aber das strukturierte Verfahren und der systematische Einsatz von Mediation bei
Konflikten in Politik, Gesellschaft, im Wirtschaftsleben und im zwischenmenschlichen
Bereich sowie die Professionalisierung der Mediation. Als methodisch ausgefeilte Alternative
zum Rechtsweg wurde Mediation vor allem in den USA weiterentwickelt. Hier wird sie seit
über 20 Jahren zunehmend eingesetzt, nicht zuletzt aufgrund der überlasteten Gerichte sowie
zeitlich, finanziell, psychisch und sozial zu aufwendiger und kostenintensiver
Auseinandersetzungen. Aber auch in anderen Ländern wie Kanada, Japan und Deutschland
gibt es mittlerweile ermutigende Erfahrungen.
Die Anwendungsbereiche der Mediation sind auch in Deutschland mittlerweile vielfältig. Als
Alternative zum Rechtsweg oder radikalen bis gewalttätigen Formen der Auseinandersetzung
werden Mediationsverfahren oder Elemente der Mediation mittlerweile in den folgenden
Feldern eingesetzt: Familie/Trennung/Scheidung (Familienmediation),
Nachbarschaftskonflikte (Community Mediation), Täter-Opfer-Ausgleich, Probleme und
Gewalt in der Schule (Schulmediation), interkulturelle Konflikte sowie Auseinandersetzungen
bei der Planung und Umsetzung größerer Projekte im Umweltbereich (Umweltmediation bzw.
Mediation im öffentlichen Bereich). Gerade die Wirtschaftsmediation gewinnt in den Jahren
seit 1996 zunehmend an Bedeutung.
4. Ziele von Mediation
 Information und Transparenz
 Kooperative Lösungen
 Konstruktive Konfliktregelung
 Ergebnisse auf breiter Argumentationsgrundlage
 Förderung der Eigenverantwortlichkeit der Teilnehmer
 Soziales Lernen
Mediation nicht geeignet, sämtliche Konflikte in der Wirtschaftswelt zu lösen. Sie ist jedoch
von den Betroffenen als Chance zu begreifen, durch die professionelle Vermittlung in
Konflikten mit diesen wieder konstruktiv umgehen zu können.
Entsprechend vielfältig können auch die Zielvorstellungen aussehen, die jeder einzelne mit
Mediation in Verbindung bringt. Um nur zwei wesentliche (und dabei sehr unterschiedliche)
zu nennen: neben dem Ziel der Konfliktregelung stellt das soziale bzw. Organisations-Lernen
– im Sinne des Change Management (Senge 1997) in unseren Augen ein wesentliches
Ergebnis von Mediation dar. Der gesamte Kontext des sozialen Lernens beinhaltet nicht nur
ein Voneinander-Lernen, sondern auch ein Miteinander-Lernen. Im Kontext von Unternehmen
stellt hingegen das Organisationslernen einen bedeutsamen Aspekt für die Entwicklung und
Überlebensfähigkeit marktorientierter Systeme dar. Zu dem Selbstverständnis lernender
Organisationen gehört das Bewußtsein, daß sie ständig in der Lage sein müssen, neuen
Herausforderungen zu begegnen, da auch gute Lösungen rasch veralten.
5.
Leitbilder der Mediation
Das jeweilige Selbstverständnis und die Arbeitsweise der Mediatorinnen und Mediatoren wird
insbesondere durch zwei Leitbilder geprägt:
 den verhandlungsorientierten Ansatz nach dem Harvard-Konzept
 den Transformationsansatz.
Das interessenorientierte Verhandeln mit dem vorrangigen Ziel einer Problemlösung
dominiert derzeit die Mediationspraxis. Daneben gewinnt die Idee der transformativen
Mediation zunehmend an Bedeutung.
Unserer Erfahrung nach ist die komplementäre Berücksichtigung beider Ansätze in allen
Feldern der Mediation sinnvoll und erfolgversprechend.
6. Verhandlungsansatz nach dem Harvard-Konzept
Als Kontrast zu distributiven Lösungsansätzen und einem Feilschen um Positionen
entwickelten Roger Fisher und William Ury im Rahmen des Harvard Negotiation Project
Anfang der 80er Jahre eine Strategie des „prinzipiengeleiteten Verhandelns“ (dt.:
Fisher/Ury/Patton 1997; in Deutschland wird für ihren Ansatz zumeist der Begriff „HarvardKonzept“ verwendet). Das Harvard-Konzept formuliert einen alternativen Weg des
Verhandelns, der die Komponenten hart und weich gleichzeitig umfaßt: hart in der Sache und
weich gegenüber den Personen. Im Vordergrund steht ein sachorientiertes Verhandeln,
welches die eigentlichen Interessen der Kontrahenten in den Mittelpunkt stellt und dem die
folgenden vier Prinzipien zugrunde liegen:
 Trenne Sache und Person
 Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen
 Entwickle Optionen zu beiderseitigem Vorteil
 Bewerte Optionen nach objektiven Kriterien
 Trenne Sache und Person:
Zentral beim ersten Prinzip ist die Differenzierung von Inhalts- und Beziehungsebene, die in
Konflikten oftmals miteinander verwoben sind. Sach- und Beziehungsebene verstärken sich
als Konfliktebenen gegenseitig und sorgen für eine innere Dynamik in der Entwicklung eines
Konflikts, die vielfach in eine Eskalation mündet. Bevor eine Auseinandersetzung über den
Konfliktgegenstand sich negativ auf die Beziehung auswirkt oder umgekehrt bestehende
Antipathien und persönliche Ressentiments die Auseinandersetzung über Sachfragen
nachhaltig beeinflussen, fordert das Harvard-Konzept den Aufbau guter Beziehungen als
eigenständigen Teil der Verhandlung.
 Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen:
Eine wesentliche Voraussetzung kooperativen Verhandelns ist die Konzentration auf die
eigentlichen Interessen der Konfliktparteien. Zumeist werden in Auseinandersetzungen und
Verhandlungen nur Positionen genannt, nicht die dahinterliegenden und viel bedeutsameren
und verhandelbaren Interessen. Da Positionen aber häufig nur aus einem „Ja“ vs. „Nein“ oder
„Ich bin dafür“ vs. „Ich bin dagegen“ bestehen, ist es oft sehr schwierig, auf dieser Basis
integrative Lösungsansätze zu entwickeln, die Vorteile für beide (oder alle) Konfliktparteien
mit sich bringen.
Der Mediator versucht die hinter den Positionen der Konfliktparteien liegenden Interessen
herauszufinden. Auf dieser Basis entwickelt er mit den Konfliktparteien eine tragfähige und
akzeptable Lösung.
 Entwickle Optionen zu beiderseitigem Vorteil:
Effiziente Lösungen von Konflikten erfordern ein integratives Verhandeln. Bei der Annahme
eines Nullsummenspiels geht jede Partei davon aus, daß ihre Interessen notwendig und direkt
mit den Interessen der Gegenpartei konfligieren. Nach dieser Vorstellung eines begrenzten
„Kuchens“, den es aufzuteilen gilt, kann eine Partei nur in dem Maße etwas gewinnen, wie die
andere Partei verliert. Das dritte Prinzip von Fisher, Ury und Patton zielt hingegen auf die
Potentiale integrativen Verhandelns durch eine gemeinsame Entwicklung von
Lösungsalternativen auf der Basis der verschiedenen Interessen und ihrer individuellen
Gewichtungen. Ziel ist sowohl eine Ausdehnung der eigenen Wahlmöglichkeiten, als auch
eine kreative Suche nach Lösungen zu beiderseitigem Vorteil, sogenannten Win-WinLösungen, bei denen die Interessen aller Konfliktparteien berücksichtigt werden.
 Bewerte Optionen nach objektiven Kriterien:
Das vierte Prinzip setzt bei der Bewertung der Lösungsoptionen an. Fisher, Ury und Patton
schlagen vor, sich vor der eigentlichen Verhandlung über möglichst objektive Kriterien der
Fairneß, der Effektivität oder der wissenschaftlichen Bewertung für die Konfliktlösung zu
einigen. Ziel ist es, eine Vergleichbarkeit und Transparenz der verschiedenen Optionen durch
einen nachvollziehbaren Standard herzustellen, zu dessen Einhaltung bzw. Berücksichtigung
die beteiligten Parteien explizit verpflichtet werden sollten. Solche Standards können
wissenschaftlicher Natur sein, aber auch Gerechtigkeits- und Gleichheitskriterien bedeuten.
Die gemeinsame Einigung auf anzuerkennende Kriterien vermindert das Feilschen um
Positionen, wenn dieses in erster Linie der eigenen Verteidigung und dem Angriff auf den
Gegner gilt.
7. Transformationsansatz
Aus der Sicht der Vertreter der Transformation in der Mediation (v. a. Bush/Folger 1994)
tendiert der Verhandlungsansatz dazu, sich auf jene Problembereiche eines komplexeren
Konflikts zu konzentrieren, die Optionen für Lösungen bieten und gleichzeitig jene zu
vernachlässigen, die sich vorrangig durch Beziehungsprobleme oder vielschichtige
Interessenebenen (bspw. unterschiedliche Bewertungen der Ergebnisse, des Prozesses, des
Erfolgs und der Zielorientierung einer Mediation) auszeichnen. Durch die Neigung des
verhandlungsorientierten Mediators, Gemeinsamkeiten zu finden und zu formen, Elemente
einer Einigung zu steuern und weniger konkrete Aspekte wegzulassen, beeinflußt er
wesentlich den Konfliktrahmen und insbesondere die Interessen und Bedürfnisse der
Beteiligten. Transformation zielt zum einen auf die Entwicklung stabiler und dauerhafter
Beziehungen zwischen den Konfliktbeteiligten, zum anderen auf bewußte
Veränderungsprozesse.
Der Transformationsansatz („transformative mediation“) sieht das primäre Ziel einer
Konfliktregelung nicht in dem Auffinden einzelner Problemlösungen, vielmehr stellt er die
beteiligten Personen selbst in den Mittelpunkt (Bush/Folger 1994, Folger/Jones 1994). Das
eigentliche Potenzial von Mediation wird darin gesehen, die Menschen in ihrem
Diskursverhalten zu ändern und Prozesse des sozialen Lernens zu initiieren.
Zentrale Zielgrößen dieses Ansatzes sind Befähigung oder Stärkung der eigenen Person
(Empowerment) und Anerkennung (Recognition) des anderen:
Befähigung (Empowerment)
der Konfliktparteien zur Formulierung
eigener Interessen und Bedürfnisse
Anerkennung (Recognition)
der gegenseitigen Interessen und
Bedürfnisse
Die Verfahrensteilnehmer werden einerseits befähigt, ihre eigenen Konflikte
selbstverantwortlich zu regeln und gewinnen dadurch an Selbsterkenntnis und
Selbstbewußtsein. Darüber hinaus lernen sie, sich gegenüber Andersdenkenden zu öffnen,
deren Situation nachzuvollziehen und deren Einstellungen zu akzeptieren und zu respektieren.
Das Interesse an den Sichtweisen der jeweils anderen Konfliktparteien eröffnet oftmals neue
Perspektiven sozialen Lernens und einer generellen Veränderung von Mensch und
Gesellschaft.
Wesentlich für eine Veränderung ist, den „E“(mpowerment)-Punkt der Beteiligten zu finden.
Empowerment kommt zustande, indem der/die jeweiligen für die Konfliktpartner wichtigen
Punkte durch die andere Seite durch „Komplimente“ (de Shazer 1990) gestärkt werden. Erst
dann kann die gegenseitige Anerkennung stattfinden. Die Kunst der Mediatorin liegt darin, bei
der Suche nach den „E“ Punkten durch die andere Konfliktpartei behilflich zu sein. Dazu
gehört auch die Unterstützung bei der eigenen Klärung. Häufig sind eigenen Wünsche,
Bedürfnisse und Interessen nicht bewusst und können durch die Mediatorin geklärt und klar
kommuniziert werden. Greift die Gegenseite dies auf und drückt Anerkennung für diese
Befürfnisse aus, kann die Person sich öffnen und in der Sache neue Lösungswege zulassen.
Empowerment bedeutet dabei nicht, (vermeintliche oder faktische) Machtungleichgewichte
auszugleichen oder eine Neuverteilung von Macht zu erzielen, um die schwächeren Parteien
zu schützen oder zu stärken. Empowerment bezieht sich immer auf alle Parteien. Der
Mediator unterstützt sie, über jene kommunikativen Möglichkeiten und Mittel zu verfügen,
die in einer bestimmten Situation notwendig sind, um ihren Interessen, Bedürfnissen und
Wünschen Ausdruck zu verleihen und dabei von den anderen Konfliktbeteiligten verstanden
zu werden.
Recognition zielt weder auf eine Form des harmonischen Ausgleichs noch auf eine Variante
der Schlichtung. Die Wahrnehmung anderer Perspektiven als Bestandteile des gleichen
Konflikts eröffnet den Konfliktparteien hingegen ein größeres Spektrum effizienter
Handlungsoptionen für sich selbst und alle anderen Beteiligten.
8. Überblick über das Phasenmodell der Mediation
Verfahrensschritt
Inhalte und Vorgehen
Techniken (Auswahl)
I. Vorbereitung und Einführung
Vorbereitung
Allgemeine Vorinformation über den
Konfliktfall

Konfliktanalyse
Auftragsklärung
Einführung
Falleignung: Ist der Konflikt
mediatonstauglich? (Kann ich allparteilich
sein? Ist der Konflikt ergebnisoffen? ...)


Klären, wer Konfliktpartei ist und beteiligt
werden muß (Gruppen evtl. durch geeignete
Vertreter)
 Erstgespräch mit
(äußerem) Aufraggeber
 bei Viel-ParteienKonflikten ggf.
Einzelgespräche mit defacto-Konfliktparteien;
ggf. eigene Recherchen
über
Unternehmensleitbild,
Strukturen etc.

Organisatorisches klären (Ort, Zeit,
Räumlichkeiten ...)

Gute Atmosphäre schaffen

Mediationsverfahren, Rolle der Mediatorin
und Spielregeln klären (bes. Vertraulichkeit,
Allparteilichkeit, Eigenverantwortlichkeit,
Gesprächsregeln)-mit äußerem und inneren
Auftraggebern

Mediationsverträge
 Ambiente (Blumen,
runder Tisch ...);
Körpersprache; keine
Monologe und einfache
Sprache
Verfahrensschritt
Inhalte und Vorgehen
Techniken (Auswahl)
II. Konfliktbearbeitung
Sichtweisen der Beteiligten klären
1. Gemeinsame
Problembeschreibung
„Worum geht es genau?“

Relevante Informationen sammeln und
transparent machen


2. Kreative Ideensuche
„Was wäre denkbar?“
  
3. Operationalisierung und
Entscheidung
„Wie können wir es
angehen?“

Positionen  Themen sammeln und
gewichten
 Aktives Zuhören
 Paraphrasieren
 Zwischenergebnisse
zusammenfassen und
visualisieren
 Fragen (Was wünschen
sich die Beteiligten,

warum wollen sie es,
Interessen hinter den Positionen erarbeiten;
warum ist es ihnen
Raum für Gefühle lassen (emotionale Themen
wichtig?)
und Interessen gehören dazu)
Ideen sammeln

Neue Optionen auf der Grundlage der
Interessen entwickeln
 Brainstorming (Regeln!)
 Mindmap
 Einigung auf
Bewertungskriterien
Bewertung von Lösungsvorschlägen auf der
Grundlage der Interessen

Auswahl von Lösungsoptionen

Realisierbarkeit prüfen

Ausarbeitung der Lösungen
 PMI o.ä.
 Rollentausch, Perspektivwechsel, Reframing
 Verhandlungspakete
 Aktionsplan: wer, macht
was, wie und mit wem,
bis wann?
 ggf. technische,
organisatorische,
finanzielle und rechtliche
Machbarkeit klären,
Hinweis auf Gutachter
und parteiliche Beratung
III. Vereinbarung und Umsetzung
Eckpunkte für eine Vereinbarung
Ergebnisse dokumentieren
Umsetzung begleiten und
Maßnahmen anpassen
&

ggf. Überprüfung und Bearbeitung durch
Juristen

Mediationsvereinbarung
 Ein-Text-Verfahren
 Berichte über die
Umsetzung
 ggf. Nachfolgetreffen
9. Beispiele für wesentliche Techniken in der Mediation
 Von Positionen zu Interessen :
Partei: „Ich weigere mich, weiter hier zu arbeiten, wenn die Fenster nicht regelmäßig
geöffnet werden.“
Mediatorin: „Sie brauchen - wenn ich das richtig verstehe - bessere Luft als bisher, um gut
arbeiten zu können.“
 Von Urteilen (über Personen und Sachverhalte) zu Problembeschreibungen:
Partei: „Er ist ein Lügner. Er verdient nicht unser Vertrauen. Das einzige was wir bisher
gesehen haben, ist eine ganze Reihe gebrochener Versprechen.“
Mediator: „Sie wünschen also zusätzliche Sicherheiten, um mit Herrn X eine Einigung
eingehen zu wollen, die Bestand haben soll.“
 Von einer Schuldzuweisung zu einem Bedürfnis (durch Ich-Botschaften):
Partei: „Sie kümmert sich nie um die Kinder; sie trinkt, aber schaut nie nach ihnen, wenn
sie sollte, was für eine schlechte Mutter.“
Mediatorin: „Ich höre Ihren Ärger und die Sorge um die Kinder. Sie wollen sich darauf
verlassen können, daß die Kinder beaufsichtigt werden. Ihrer Meinung nach müssen die
Kinder auch das Gefühl haben, daß sich die Mutter um sie kümmert. Habe ich Sie so
richtig verstanden?“
 Von der Vergangenheit in die Zukunft :
Partei: „ Die Zusammenarbeit mit ihm ist furchtbar. Ich kann mich nicht daran erinnern,
daß er in den letzten fünf Jahren zu einer Sitzung pünktlich gekommen wäre.“
Mediator: „Sie sind darüber verärgert, auf ihn warten zu müssen, wenn Sie eine
gemeinsame Sitzung haben und Sie wollen, daß diese pünktlich beginnen. Sollen wir einen
gemeinsamen Zeitplan aufstellen, der allen gerecht wird und es ihm ermöglicht, pünktlich
zu erscheinen?“
 Von einem individuellen Prob lem zu einem gemeinsamen Problem :
Partei: „Ich stolpere im Hausflur ständig über die abgestellten Fahrräder meiner Mieter.
Manchmal komme ich kaum in meine eigene Wohnung. Irgendwann breche ich mir noch
mal den Hals.“
Mediatorin: „Sie sind als Vermieter gemeinsam mit den anderen auch Bewohner dieses
Hauses. Sie fühlen sich durch die Räder aber ernsthaft behindert und halten den Zustand
sogar für unfallgefährdend, wenn ich Sie richtig verstehe. Die Hausbewohner sollten also
aus Ihrer Sicht andere Möglichkeiten nutzen, um ihre Räder sicher unterzustellen? Was für
Möglichkeiten kommen denn da in Frage?“
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