Konstruktive Konfliktbearbeitung mit Kindern – Erfahrungen aus der Mediationsarbeit in Berliner Schulen 1 Gerhard Neumann Konstruktive Konfliktbearbeitung mit Kindern – Erfahrungen aus der Mediationsarbeit in Berliner Schulen Das Projekt „Heldenspieler“ ist u.a. entstanden aus der Beobachtung, dass Jungen deutlich häufiger in heftige, oft auch körperlich ausgetragene Konflikte verwickelt sind als Mädchen. Erzieherinnen kommen oft in die Situation, dass sie zu Streits gerufen werden oder selber eingreifen, um auf irgendeine Weise zur Beendigung oder Klärung eines Streites beizutragen. In Schulen sind die Erfahrungen ähnlich. In dieser Arbeitsgruppe sollte den Teilnehmeden ein Eindruck davon vermittelt werden, was das Konzept der Mediation (Vermittlung in Konflikten) und Konfliktlotsenarbeit (Kinder bzw. Jugendliche als Mediatoren – peer mediation)1 in Berliner Schulen ist. Eine Eingangsrunde mit der Fragestellung „Was war heute zwischen Aufstehen und hier ankommen schon angenehm?“ führte alle schnell an eine Grundhaltung und –technik in der Mediationsarbeit heran – den Perspektivwechsel. In einem Film zeigten Schüler und Schülerinnen einer 5. Klasse2, wie sie auf dem 1. Berliner Konfliktlotsentreffen (1999) vor ca. 150 Zuschauern ihre Fähigkeiten in einer Streitvermittlung sicher und souverän demonstrierten. Dieser lebendige Eindruck eines Mediationsgespräches illustrierte anschaulich, wie in dieser Art der Konfliktklärung folgende Grundsätze umgesetzt werden: Selbstverantwortung – die beteiligten Kinder haben Gelegenheit zu schildern, wie sie den Streit erlebt haben, sie erzählen und hören zu, sie suchen selber nach Lösungen Horizontale Kommunikation – die Streitparteien reden miteinander, die Mediatoren (gleich ob Erwachsene oder Kinder) haben eine strukturierende und den Rahmen haltende Rolle, in der Sache des Konfliktes greifen sie nicht ein und schlagen auch keine Lösungen vor Akzeptanz der Innenwelt – das eigene Erleben, die Gefühle, versteckten Wünsche oder Ziele finden Raum, können erzählt werden oder werden vielleicht erst gerade in einem solchen Gespräch bewusst. Dies ist besonders für Jungen, die in ihrer gegenwärtigen Sozialisation häufig den Kontakt zu ihrer Innenwelt verlieren, eine wichtige Gelegenheit, ihre Selbstwahrnehmung zu schulen. Verbale Kommunikation fördern – im Unterschied zum Prinzip „Hier gilt die Macht des Stärkeren“, die körperlich durchgesetzt wird, verlangt und fördert die Mediation das Gespräch, das Zuhören, das aufeinander Eingehen, die gemeinsame Suche nach Lösungen – alles wesentliche Fähigkeiten in der verbalen Kommunikation, die ein konstruktives Miteinander schafft. Die Übung „Konfliktbarometer“ holte die Erfahrung in den Raum, dass Konflikte von den Beteiligten verschieden erlebt werden. Diese Sicht ist eine weitere Grundsäule der Mediation. Sie führt dazu, dass wir als Mediatoren den Streitbeteiligten wirklich Raum geben für die Darstellung des Erlebten und nicht mit eigenen Wertungen eingreifen. Nur so kann die Selbstverantwortung der Streitenden gefördert und gewahrt werden – eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass gefundene Lösungen auch wirklich tragen und nicht hinter der nächsten Ecke der Streit wieder fortgesetzt wird. Wenn wir in dieser Weise neutral bleiben gelingt es auch viel eher, selber Entlastung in unserer Arbeit zu erleben. Für die Verbreitung des Mediationsgedankens in den Berliner Schulen (Durchschnittsalter in den Kollegien bei ca. 50 Jahren!) hat dieses Moment der persönlichen Entlastung einen nicht unerheblichen Anteil. Neben allen pädagogischen Überlegungen kann dieser Aspekt der eigenen Psychohygiene auch in Kitas und Hort eine Bedeutung haben. Einige Fragen von Teilnehmerinnen führten uns dann mitten in ein gespieltes Mediationsgespräch. Auf Grund der knappen Zeit sprangen wir gleich in eine fortgeschrittene Stelle im klar 1 Hier ist nicht der Ort, die Mediation als solche vorzustellen. Vgl. dazu die Angaben im Literaturverzeichnis In Kita und Hort werden v.a. die pädagogischen Fachleute die Haltung und Verfahrensweisen der Mediation sich aneignen können und wird das peer-Prinzip deutlich weniger anzuwenden sein als in Schulen. 2 Konstruktive Konfliktbearbeitung mit Kindern – Erfahrungen aus der Mediationsarbeit in Berliner Schulen 2 Gerhard Neumann strukturierten Ablauf der Mediation. Das stellte sich jedoch nicht als Mangel in der Anschauung , sondern als Chance zum besseren Verständnis heraus. Die Situation: Es ging um die Möglichkeiten des Spiegelns – Wiedergeben, was ich gerade vom anderen gehört habe – eine Gesprächstechnik, die das gegenseitige Verständnis und die Empathie fördert. A sollte B spiegeln, nachdem B geschildert hat, wie sie die Konfliktsituation erlebt hatte. Das ging hier total in die Hose – A gab kaum etwas von B wieder, sondern erzählte v.a. von sich, brachte sogar wieder Beschimpfungen und Anschuldigungen an. Woran lag es? A sollte sich auf das Gefühl von B beziehen – es mit eigenen Worten wiedergeben, bevor er selber (in dieser Rollenspielsituation) die Gelegenheit hatte, sein Erleben zu schildern. Doch erst wenn dies passiert ist (Phase 1 der Mediation: Was war los? - Sachverhalt, Gefühle, etwaige Ziele und Wünsche darlegen), die eigene gefühlsmäßige Entlastung erfolgt ist, kann ein aktives Zuhören und Eingehen auf den anderen erfolgen. Selbst in der angenommen Rolle war diese Wirkungsweise deutlich zu spüren – dies gehörte zu den prägnanten Aha-Erlebnissen in der AG. Eine der Schlussfolgerungen für die Arbeit in Kindertageseinsrichtungen war: Auch in den von Erzieherinnen im Alltag geführten Gesprächen kann diese Erkenntnis Anwendung finden – den Kindern wirklich Raum geben für die eigene Darstellung, ohne mit der eigenen Beurteilung dem Prozess der Verständigung zwischen den Kindern vorzugreifen. Im Mediationsprozess ist auch der auf der Tagung im Mittelpunkt stehende geschlechtsbewusste Aspekt von Erziehung zu finden. Er liegt in der Kommunikationsart, die für Jungen eine besondere Chance darstellen. Worin die im einzelnen liegt soll die folgende Gegenüberstellung verdeutlichen: Bedeutung und Chance der Mediation für Jungen 8 Prinzipien der Erfahrungsmöglichkeiten im Prozess der Mediation 3 männlichen Sozialisation außen In sich hinein horchen, das Innere fühlen Gewalt Sprechen, zuhören, sich auf gleicher Ebene bewegen Benutzung Sich mit dem Kontrahenten treffen, Empathie, Respekt erleben und üben können Stummheit Über seine Erfahrungen, Gefühle, Sehnsüchte, Ängste sprechen Alleinsein Mit (und vor) anderen sich zeigen, Gemeinsamkeiten (Ziele, Lösungen, Vereinbarungen, Erfolge) erleben Körperferne Der Körper wird akzeptiert, Körperwahrnehmungen (Berührungen, Schmerz) werden besprochen; sich in einem Erlaubnisraum für „das tut mir weh, ist mir zuviel, verletzt mich“ bewegen Rationalität (Auch unerklärliche) Gefühle anerkennen, aus Ignoranz oder Rechtfertigungen für verletzende Handlungen aussteigen können, in die Verantwortung genommen werden Kontrolle Ein Stück Kontrolle abgeben, sich einem von anderen (Mediatoren) geleiteten Prozess anvertrauen 3 Auf der Tagung sind in verschiedenen Beiträgen Prinzipien von männlicher Sozialisation thematisiert worden (in „Wie aus einem Kind mit Penis ein Junge gemacht wird“, im Referat von Dr. W. Hollstein u.a.). Hier beziehe ich mich auf die Darstellung von Willem/ Winter in: Was fehlt sind Männer. Tübingen 1991 Konstruktive Konfliktbearbeitung mit Kindern – Erfahrungen aus der Mediationsarbeit in Berliner Schulen 3 Gerhard Neumann Was brachte die AG den einzelnen Teilnehmrinnen und Teilnehmern, welche Erfahrungen oder Erkenntnisse nahmen sie mit nach Hause? Dazu einige Stimmen aus der Abschlussrunde: Stimmen nach der AG Biographische Erinnerung: ein geschützter Raum wie hier dargestellt hat mir als Junge immer gefehlt Jede(r) sollte einen Mediator zu Hause im Schrank haben – gerade bei Partnerschaftskonflikten Ich nehme Zutrauen und Zuversicht in die Kinder mit: die können viel Neues lernen und machen Ist eine neue Richtung der Wahrnehmung und des Denkens für mich – möchte ich vertiefen Kann gut nachempfinden, wie es Jungen geht, wenn Empathie fehlt Eine sehr praktische Anregung für mein Interesse, die Dialogfähigkeit zu fördern Auch in Hort Kinder als Mediatoren ausbilden! Sehr deutlich: die Stärkung der Selbstverantwortung im Mediationsprozess Ist hilfreich für mich im Umgang mit KollegInnen Ist für alle KollegInnen zu überlegen, dass sie es lernen Ist ein Ansatz zum Umdenken für mich Literatur: Christoph Besemer. Mediation – Vermittlung in Konflikten. Stiftung Gewaltfreies Leben/Werkstatt für Gewaltfreie Aktion*, Baden 1993 (Bezug nur hier, nicht über den Buchhandel: * Am Dorfbach 11, 79111 Freiburg) – Grundlagentext Kurt Faller (Hrsg.), Mediation in der pädagogischen Arbeit. Ein Handbuch für Kindergarten, Schule und Jugendarbeit. Verlag an der Ruhr. o.J. – sehr anschaulicher Grundlagentext, viele Erfahrungsberichte aus verschiedenen pädagogischen Arbeitsfeldern K. Faller u.a. Konflikte selber lösen. Trainingsbuch für Schule und Jugendarbeit. Verlag a.d. Ruhr. o.J. Sehr ausführliches Programm für die Ausbildung von Schülern und Jugendlichen, viel einsetzbares Arbeitsmaterial Ortrud Hagedorn. Konfliktlotsen (Reihe Unterrichtsideen) Klett-Verlag. Stuttgart, 1994 – Grundlagentext, viele praktische Anleitungen für die Nutzung der Mediationsarbeit und -haltung im Schul-/Unterrichtsalltag Ortrud Hagedorn. Konfliktlotsen (Reihe Unterrichtsideen) Klett-Verlag. Stuttgart, 1994 – viele praktische Anleitungen für die Nutzung der Mediationsarbeit und -haltung im Schul-/Unterrichtsalltag