-1- Behandlungskonzept für Kinder und Jugendliche mit Adipositas (krankhaftem Übergewicht) Einleitung Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen haben eine hohe und deutlich steigende Prävalenz, wie Schuluntersuchungen durch die Universität Jena 1985 und 1995 belegen. Adipöse Schulkinder werden zu 50% und adipöse Jugendliche zu 80% zu adipösen Erwachsenen. Wer mit 18 Jahren adipös ist, hat, selbst wenn er in Folge ein Normalgewicht erzielt, ein höheres Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko. Zum Teil bereits im Jugendalter, vor allem aber im Erwachsenenalter, kommt es zu Sekundärerkrankungen mit ausgeprägtem Krankheitswert und volkswirtschaftlicher Bedeutung. Die indirekten und direkten Krankheitskosten für die übergewichtsbedingten Folgeerkrankungen werden auf 20 Mrd. DM/a geschätzt (Schneider 1996). Neben arterieller Hypertonie, Hypercholesterinämie, Typ 2 Diabetes, Arteriosklerose, obstruktiver Schlafapnoe und orthopädischen Komplikationen, kommt es häufig auch zu gravierenden psychosozialen Problemen, aus denen sich auch ein Teufelskreis der Gewichtszunahme ergeben kann. Die Bedeutung eines frühzeitigen Therapiebeginns der Adipositas, also bereits im Kindes- und Jugendalter, ergibt sich aus der viel größeren Modifizierbarkeit des Verhaltens und der sich daraus ergebenden Erfolgsrate und der Vermeidung von Sekundärerkrankungen und irreversiblen somatischen und psychischen Schäden. Bei den zur stationären medizinischen Rehabilitation eingewiesenen Kindern sind die ambulanten Möglichkeiten nach vielen gescheiterten und frustrierenden Diätversuchen ausgeschöpft. Komplizierend bestehen oft bereits Sekundärkomplikationen oder eine Multimorbidität, die durch die Adipositas ungünstig beeinflusst wird. Nur breit angelegte, interdisziplinäre, stationäre Behandlungsprogramme mit guter ambulanter Nachsorge können diesen Patienten langfristig helfen. Die Kinder-Reha-Klinik in Bad Kösen ist aufgrund flankierender Indikationsschwerpunkte (Orthopädie, Diabetologie, fachübergreifende Psychosomatik) für die umfassende Behandlung der Adipositaspatienten besonders geeignet. Unter dem Eindruck der regional betonten epidemischen Zunahme haben wir uns seit 1999 mit breitem personellen Einsatz sehr aktiv an der Weiterentwicklung des Verhaltenstrainings bei Kindern und Jugendlichen mit Adipositas im Rahmen der Konsensusgruppe Adipositasschulung und der AGA beteiligt. Wir unterstützen die von diesem Organen erarbeitete Betonung der langfristigen Verhaltensänderung. Das Adipositasbehandlungs- und Schulungskonzept ist durch die Anpassung an Erfahrungen und Erkenntnisse von Innen und Außen einer ständigen Weiterentwicklung unterworfen. Um diese Entwicklung auch wissenschaftlicher Kontrolle zu unterwerfen, haben ... -2wir uns an Adipositas-Rehaforschung beteiligt („Lebensqualität als Evaluationskriterium in der Rehabilitation chronisch kranker Kinder“, M. Bullinger) und leiten nun auch selbst die BMBF geförderte multizentrische, randomisierte kontrollierte ASRA Studie um den Effekt einer strukturieren ambulante Nachsorge durch den niedergelassenen zu untersuchen. Allgemeines Konzept Bei der Adipositasbehandlung bei Kindern und Jugendlichen ergeben sich für die stationäre Rehabilitation folgende Hauptziele: Verbesserung der Adipositas-assoziierten Komorbidität (z.B. Blutdruck, Insulinresistenz, orthopädische Komplikationen) langfristige Reduktion der Fettmasse (bzw. des BMI-SDS) Vermeiden von unerwünschten Nebenwirkungen der Therapie Zentrale Voraussetzung hierfür ist die langfristige Verbesserung der Nahrungsauswahl, des Essverhaltens und des Bewegungsverhaltens im Sinne eines gesundheitsfördernden aktiven Lebensstils. Hierzu gehört auch die Reduktion der körperlichen Inaktivität (Fernsehen, Videospiele) und eine ausreichende Schlafdauer. Letztlich soll so im Sinne der Leistungsträger eine normalen körperlichen, psychischen und sozialen Entwicklung und Leistungsfähigkeit erzielt werden. Für den Patienten bedeutet dies die Verbesserung des Selbstwertgefühls und der Lebensqualität. Zur Erreichung dieser Hauptziele dienen folgende Bedingungsziele: ungeeignete durch förderliche Ursachen- und Krankheitsmodelle ersetzen Sicherstellung langfristiger Motivation von Patient und Familie Verbesserung von Selbstwahrnehmung und flexibler Selbstkontrolle. Umwertung von Verhaltensalternativen (z.B. mehr Freude an der Bewegung) Und folgende fördernde Ziele: Verbesserung der Konflikt-, Stressund Problembewältigungsstrategien Verbesserung der sozialen Interaktionsfähigkeit (z.B. nein sagen können) Empowerment zur aktiven, förderlichen Umgestaltung der materiellen (z.B. kein Fernseher im Schlafzimmer, geeignetes Sportgerät) und sozialen Umwelt (z.B. Freunde aktivieren oder aktivere Freunde auswählen). Dabei werden individuelle Lösungsansätze gefördert. Das Gewicht steht nicht im Mittelpunkt Die während der Rehabilitation erzielte Gewichtsabnahme ist für den langfristigen Reha-Erfolg sekundär. Ergebnisse einer Studie (K. Stübing pers. Mitteilung) lassen sogar vermuten, dass eine übereilte Gewichtsabnahme durch deutlich hypoenergetische Ernährung während der Reha zu schlechteren Ergebnissen führen. Die mäßige Gewichtsabnahme von 1-1,5 % pro Woche, die durch einen erhöhten Energieverbrauch (Bewegung und ... -3Sport) und leicht hypoenergetische Ernährung (durchschnittlich 75 % des geschätzten Gesamtenergieverbrauchs für Normalgewichtige gleichen Alters, Geschlechts und gleicher Größe) erzielt wird, ist hingegen medizinisch sicher und förderlich. Sie ist auch besonders motivierend, weil ganz ohne Leid erzielbar und von einem Gefühl verbesserter körperlicher und psychosozialer Leistungsfähigkeit begleitet. Diagnostik Erkundung von ursächlichen und aufrechterhaltenden Faktoren Anamnese mit Erfassung von Auslösern und Risikofaktoren (familiäres und soziales Umfeld, psychosoziale Probleme, Bewegungs- und Ernährungsgewohnheiten) Fragebogen zum Essverhalten Kinder (Westenhöfer), Fragebogen zum Bewegungsverhalten und Food-Frequency Liste nach KGAS modifiziert in der ASRA Studie). Die körperliche Aktivität vor der Reha wird mittels digitalem Schrittzähler objektiviert. Ausschluss einer sekundären Adipositas Sie erfolgt gemäß den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA). Hierzu wird z.B. regelmäßig mittels TSH, T3, T4 eine Hypothyreose ausgeschlossen. Beurteilung des Schweregrades der Adipositas und Verlaufskontrolle Erfolgt entsprechend den AGA Richtlinien anhand von alters- und geschlechtsspezifisch gewertetem Body-Maß-Index (BMI-SDS), Taille-HüftRelation (ab 14 Jahren) und im Rahmen der ASRA Studie regulär sonst in Grenzfällen, der Hautfaltendicke (Triceps und subskapulär). Bestimmung der sportlichen Leistungsfähigkeit mittels 6-Minuten-Gehtest und modifizierten Münchner-Fitness Test (MFT). Motopädisches Screening und ggf. weiterführende Diagnostik einer etwaigen Koordinationsstörung etc. Diagnostik bzgl. Folgeerkrankungen Diagnostik bereits bestehender kardiovaskulärer und/oder orthopädischer Folgeerkrankungen und weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren (u. a. arterieller Hypertonus, Fettstoffwechselstörung, Glukosetoleranzstörung, etc.): Serum Lipidstatus, Leberenzyme, Harnsäure. Nüchternblutzucker und bei auffälligen Werten, oder anamnestischen Risikofaktoren (Familienanamnese, Vorbefunde, extreme Adipositas) oraler Glukosetoleranztest. Initial routinemäßig 2x pro Woche Blutdruckmessung und bei Bedarf 24Stundenmonitoring oder Belastungsmessung. Bei Verdachtsmomenten aus der Anamnese oder der stationären Beobachtung für eine obstruktive Schlafapnoe führen wir ein Screening ... -4mittels einer 7-Kanal Polysomnographie durch und überweisen ggf. ins Schlaflabor. Bei Bedarf erfolgt eine weiterführende psychologische Diagnostik Therapie Medizinische Betreuung Der Arzt ist für Anamnese, Untersuchungen, Diagnostik und diagnostische Wertung, Therapieplanung und Überwachung sowie Sicherung der Ergebnisqualität und Leitung des interdisziplinären therapeutischen Teams verantwortlich. Bei extremer Adipositas, orthopädischen Komplikationen oder anderen Begleiterkrankungen muss auch die initiale sportliche Belastbarkeit festgelegt werden. Interkurrente Erkrankungen oder Verletzungen werden ärztlich behandelt. Bei der Vereinbarung und Ausarbeitung der Therapieziele und des Therapieplanes werden die individuellen Ursachen und Sekundärerkrankungen ebenso berücksichtigt, wie (soweit sinnvoll und vertretbar) die Wünsche und Bedürfnisse des Patienten. In den Aufgabenbereich der Ärzte fällt auch die Kommunikation mit den Eltern und weiterbehandelnden Ärzten. Regelmäßige Kontrollen von Gewicht, Kreislauffunktion, Flüssigkeitszufuhr werden durch den Pflegedienst durchgeführt. Neben der Weiterbildung einer Kinderärztin zur Ernährungsmedizinerin erweist sich auch die Ausbildung für die Indikation Diabetes mellitus (Je eine Diabetologin und Diabetesberaterin sowie zwei Diabetesassistentinnen DDG, weitere in Ausbildung) als förderlich, weil wir damit über Qualifikation für die Diagnose und Behandlung des metabolischen Syndroms erwarben. Die Interdisziplinäre Teilnahme an Kongressen (AGA/DAG)und Tagungen (KGAS) wird durch die interne Mitarbeiterfortbildung ergänzt. Regelmäßig finden Qualitätszirkel des Adipositasteams statt. Ernährungstherapie Die Ernährung basiert auf der energiereduzierten optimierten Mischkost. während einer Orientierungsphase von ca. 2 Wochen mit festem Ernährungsangebot (ab 10 Jahren meist 1600 kcal/d) werden die Prinzipien der Protokollierung definierter Portionen verschiedener Lebensmittelgruppen auf den Selbstbeobachtungsbögen durch die Pädagoginnen und Diätassistentinnen eingeübt. Dies wird organisatorisch durch die bunten Portionssymbole auf den Tagesspeiseplänen und den Lebensmittelkarten an der Essensausgabe erleichtert. Bei der ersten Zwischenuntersuchungen wird mithilfe eines selbstentwickelten Computerprogramms die individuelle Sollvorgabe für die Nahrungsenergie berechnet und diese in Sollvorgaben für die tägliche Portionszahl der verschiedenen Lebensmittelgruppen (entsprechend eine optimierte Mischkost) umgesetzt. In der anschließenden Übungsphase kontrolliert der Patient seine Ernährung flexibel entsprechend dieser Vorgaben. Verbote bezüglich bestimmter Nahrungsmittel, die deren Attraktivität nur erhöhen würden, erübrigen sich. So lernt der Patient unter weitgehend natürlichen Bedingungen (die Auswahl am Buffet ist frei, ein Kiosk in die Klinik integriert und ein Lebensmittelgeschäft ist 300 Meter entfernt), aber unter fachlicher Supervision sein Essverhalten unter Kontrolle zu ... -5bringen. Für die Selbstständigkeitsphase nach der Entlassung wird wiederum eine neue Sollvorgabe für den Selbstbeobachtungsbogen berechnet und dem Patienten (und dem behandelnden Arzt) mitgegeben. Auf diese Weise wird während der Reha: die Gewohnheiten der Lebensmittelauswahl optimiert und damit gleichzeitig der Fettkonsum auf knapp 30 % und der Zuckerkonsum auf knapp 10% der Gesamtenergie gesenkt, die Nahrungsmenge bzw. Portionsgröße normalisiert, der Essrhythmus auf 3 Haupt- und 2 Zwischenmahlzeiten umgestellt und insbesondere dem Frühstück und der Vesper die nötige Bedeutung gegeben. Sport und Bewegungstherapie Bewegungsmangel hat einen hohen Stellenwert als Ursache für die Adipositas, wie epidemiologische Studien belegen. Dies spiegelt sich auch in der engen Korrelation zwischen täglichem Fernsehkonsum und Übergewicht wieder. Dabei spielt der Teufelskreis aus sportlicher Inaktivität, Übungs- und Erfahrungsmangel, schlechte koordinativeund Ausdauerleistung, Misserfolgserlebnisse im Schul- und Freizeitsport und damit bestärkte Inaktivität eine zentrale Rolle. Hauptaufgabe der Sport- und Bewegungstherapie ist es daher, diesen Kreis zu durchbrechen. Ziele: Steigerung des Energieverbrauches Umstellung der Muskulatur auf Fettverbrennung Freude an Sport und Bewegung fördern, um eine nachhaltige Aktivitätssteigerung zu erzielen. Steigerung von Koordination (Spiele) und Ausdauerleistung, um den Anschluss an die Gruppe der Gleichaltrigen im Schul- und Vereinssport zu erleichtern soziale Integration Verbesserung des körperbezogenen Selbstwertgefühls Verbesserung der Körperwahrnehmung kardiovaskuläre und orthopädische Prävention Neben dem Basissport für alle, wird auch differenzierter Sport in Form von Neigungsgruppen angeboten. Die Anamnese, sporttherapeutische Leistungsdiagnostik und motopädische Diagnostik erfasst die Ausgangssituation und bestimmt das individuelle Förderprogramm. Die Motopädin führt ein spezielles Training (Körperwahrnehmungstraining, Tanztherapie) für Kinder und Jugendliche mit psychomotorischen Problemen durch. Aufgrund der Entlastung der Gelenke und dem hohen Aufforderungscharakter wird dem Schwimmen und Wasserspielen ein hoher Stellenwert im Adipositassport eingeräumt. Das Sportprogramm wird durch die vielfältigen Bewegungsangebote durch die Pädagoginnen ergänzt. Dies beginnt mit dem Morgenlauf und endet oft mit Diskothek oder freiem Schwimmen. An Wochenenden werden Wanderungen oder Radtouren veranstaltet. Die Halbpavillon-Architektur der Kinder-Reha- ... -6Klinik und die weitläufigen Außenanlagen animieren von sich aus zur Bewegung. Um den Kindern Gelegenheit zum Erproben einer alternativen Freizeitgestaltung zu geben, wird das Fernsehen auf 2-3 Filme/Reportagen pro Woche beschränkt. Auch das Spielen mit mitgebrachten Computerspielen wird limitiert. Das Team berät die Patienten bezüglich geeigneter Sportarten am Heimatort und Möglichkeiten, einen aktiven Lebensstil umzusetzen. Physiotherapie Behandlung der häufig bei den adipösen Kindern und Jugendlichen zu beobachtenden Haltungsschwächen bzw. -fehlern und sekundären orthopädischen Problemen. Psychotherapeutisch orientierte Betreuung in Einzelgesprächen Bei Adipositas treten eine Reihe von emotionalen und Ess-Störungen etwas häufiger auf. Depressive Verstimmungen und Adipositas verstärken sich gegenseitig. Hier wird eine weiterführende verhaltenstherapeutisch-kognitive Einzelbehandlung eingeleitet. Bei Bedarf vermitteln die Psychologen und Sozialpädagogen eine ambulante Weiterbehandlung am Heimatort. Im Rahmen der Veränderung des sozialen Umfeldes kommt es vor allem zu Beginn der Reha gelegentlich zu Situationen, die einer psychologischen Krisenintervention bedürfen. Krankheitsbewältigung Ernährungsberatung und Lehrküche Im Rahmen der Ernährungsberatung in altershomogenen Kleingruppen werden die Grundlagen für eine energiereduzierte (=fettreduzierte) optimierte Mischkost auf altersgemäße Art vermittelt. Die Inhalte dieser Schulung entsprechen den Vorgaben der Projektgruppe Ernährung der Konsensusgruppe Adipositasschulung: Eine Einzeldiätberatung erfolgt bei Bedarf für spezielle Fragestellungen (z.B. Hypercholesterinämie, Hypertonie, Hyperurikämie, Cholelithiasis). Auch die Essensausgabe am Büffet wird durch die Diätassistentinnen zur praktischen Schulung am Beispiel genutzt. Das Einkaufstraining im Lebensmittelgeschäft und der Koch-Workshop in der Lehrküche mit anschließender gemeinsamer Mahlzeit vermittelt den Jugendlichen Selbständigkeit, Eigenwirksamkeit und sozial bedeutsame Kompetenz und stärken so gleichzeitig ihr Selbstbewusstsein. Kinder ab 10 Jahren sollen bei Entlassung eine wohlschmeckende, vollwertige, fettarme Kost für einen ganzen Tag zusammenstellen können. Die Ernährungsberatung und Koch-Workshops in der Lehrküche soll die Patienten auch dadurch motivieren, dass sie gesundes Essen als wohlschmeckend, ansprechend und variantenreich erleben lassen. ... -7Zur Überprüfung der Kenntnisse wird der mit Unterstützung der Universität Jena entwickelte selbstentwikelte Praxistest „Lebensmittelgruppen-Portionen Schätztest“ eingesetzt. Verhaltenstraining Das Verhaltenstraining hat die langfristig anhaltende Veränderung des Essund Bewegungsverhaltens, die Stärkung des Selbstwertgefühls und die Akzeptanz des eigenen Körpers sowie das Erlernen von Strategien zur Stressbewältigung und Entwicklung sozialer Kompetenzen zum Ziel. Wir orientieren uns am Konzept der Konsensusgruppe Adipositasschulung (KGAS) an dem wir seit Gründung aktiv beteiligt sind. Realistische Zielsetzungen und Erwartungen sind die Grundlage einer erfolgreichen Behandlung und werden entsprechend individuell erarbeitet. Grundlegendes Wissen wie die (individuellen) Ursachen und Folgen des Übergewichts, Gründe für das Fehlschlagen der bisherigen Bemühungen und geeignete Methoden zur Reduktion des Körperfetts werden vermittelt. Im Kontrast zum gesunden Lebensstil in der Kinder-Reha-Klinik wird den Kindern das abweichende bisherige Ess- und Bewegungsverhalten deutlich. Kurz und langfristige Konsequenzen des bisherigen Verhaltens werden herausgearbeitet und Verhaltensalternativen entwickelt. Bei der täglichen Einübung der Trainingsinhalte kommen vor allem verhaltenstherapeutische Techniken der Selbstbeobachtung, Selbstbewertung, Selbstverstärkung und der Reizkontrolle zum Einsatz. Weitere Bestandteile sind das Problemlöse- und das Stressimpfungstraining. Im Rollenspiel werden soziale Kompetenzen gefördert. Sie lernen, ihre Persönlichkeit nicht nur über ihr Übergewicht zu definieren, sondern ihre Stärken wahrzunehmen. Die soziale Unterstützung in der Gruppe gleichartig Betroffener hilft den Patienten sich zu öffnen und bald auch über Gefühle zu sprechen. Die Einholung sozialer Unterstützung ist auch ein wesentliches Element der Rückfallprophylaxe. Großer Wert wird auf die Übertragbarkeit in die häusliche Situation gelegt. Die alternativen Verhaltensweisen werden mithilfe des Selbstbeobachtungsbogens nach individuellen Zielvorgaben weiterentwickelt und im 6-wöchigen „Klinikalltag“ eingeübt und automatisiert. Dies gilt für die Nahrungsauswahl (siehe oben), ebenso wie für das Essverhalten (Mahlzeitenzahl etc.) und das Bewegungsverhalten. Das pädagogische und pflegerische Personal wird hierzu von den psychologischen Fachkräften in internen Weiterbildungen geschult und supervidiert. Die unter den günstigen Bedingungen der Reha vermittelte und eingeübte flexible Selbstkontrolle ist eine zentrale Voraussetzung für den langfristigen Erfolg am Heimatort. Elternschulung Der Einfluss des Elternhauses auf ein gesundheitsförderliches Verhalten und damit den Schutz vor Rückfällen ist vom Alter und Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen abhängig. Die Einbeziehung der Eltern in das gesundheitspädagogische Konzept wird nicht immer in ausreichendem Maße durch die ambulante Betreuung am Heimatort gewährleistet. Wir haben deshalb eine Reihe von Maßnahmen zur Einbeziehung der Eltern in die Adipositasreha ergriffen: 1. Beratung im Rahmen des Aufnahmegesprächs ... -82. Aushändigung einer 10-seitigen schriftlichen Anleitung für die Eltern. Pro Woche arbeiten die, durch die Abwesenheit ihrer Kinder entlasteten Eltern, jeweils ein zweiseitiges Modul durch. Hierin wird eine praktische Anleitung zu Bewegung, Ernährung, Essverhalten sowie Erziehung und Unterstützung gegeben. 3. In einem Wochenendseminar werden die Eltern von einem multidisziplinären Team (Psychologe, Diätassistentin, Sporttherapeut) geschult. Die zentrale geographische Lage der Klinik begünstigt entsprechende persönliche Schulung und Beratung sodass etwa 75% der Eltern teilnehmen. Inhalte: -Was ist Adipositas? -Ursachen der Adipositas -sinnvolle, aktive Freizeitgestaltung in der Familie und im Freundeskreis -gesunde Ernährung -Essverhaltensstörung und Essverhaltenstraining -Gesprächsrunde zu psychosozialen Fragen -Unterstützung der flexiblen Verhaltenskontrolle 4. Im Abschlussgespräch werden individuelle Ziele und Unterstützungsmöglichkeiten für die Zeit nach der Reha besprochen Für Kinder im Vorschul- und Grundschulalter werden Heilverfahren mit Begleitperson und altersentsprechend ausführlicheren interdisziplinären Elterschulungskursen angeboten. Pädagogische und schulische Betreuung, Berufsberatung Hierzu verweisen wir auf die entsprechenden Abschnitte des Klinikkonzeptes. Nachsorge Der Kontakt zu den Eltern und dem weiterbetreuenden Arzt vor, während und nach dem Rehaaufenthalt fördert die Nachbetreuung. Im Rahmen der jährlichen Bad Kösener Pädiatrie-Symposien informieren wir die regionalen Kinderärzte über den Stand der Adipositasforschung und die Möglichkeiten zur ambulanten Prävention und (Weiter-) Behandlung der Adipositas. (Siehe auch „Kooperation und Vernetzung“ in: Kinderrehabilitation, Herausg.: Petermann & Warschburger, 1998, Hogrefe, Göttingen). Die multizentrische, randomisiert-kontrollierte ASRA-Studie unersucht die Effekte einer strukturierten ambulanten Nachsorge durch den niedergelassenen Arzt. Als Interventionsinstrumente wurde ein Beratungsleitfaden („Sanareha“) und ein Internetschulungsprogramm („young and healthy“) entwickelt. In 12 etwa monatlichen, halbstündigen Beratungsgesprächen soll im Jahr nach Rehaende nachgeschult und bei Problemen Unterstützung gegeben oder vermittelt werden. Das Informationsangebot der AGA und der KGAS zu Behandlungs- und Schulungsteams wird genutzt um eine ambulante Weiterbehandlung durch ein Adipositas-Team zu vermitteln, wo immer dies nötig und wohnortnah möglich erscheint. ... -9Qualitätssicherung Die im Rahmenkonzept des VdR (1998) und in der Leitlinie Kinderrehabilitation der Gesellschaft für Kinderheilkunde (2003) beschriebenen Anforderungen an Rehabilitationskliniken bei Adipositas werden allesamt erfüllt. Pathologische Laborwerte werden entsprechend vor Entlassung wiederholt, um die Verbesserungen in diesen comorbiden Erkrankungen zu dokumentieren. Im Rahmen der von uns geleiteten ASRA-Studie werden unter anderem die längerfristigen Effekte auf den BMI-SDS, das Ess- und Bewegungsverhalten und die Lebensqualität untersucht. Da uns der kurzfristige Effekt auf die Körperzusammensetzung bzw. den Ruheenergieerbrauch als mögliche Prädiktoren für den längerfristigen Erfolg interessieren, messen wir begleitet von Dissertationen der Universität Jena darüber hinaus die Hautfaltendicken, die Body-Impedance-Analyse und den Ruheenergieverbrauch bei Rehaaufnahme und Entlassung. Schließlich ist die Arztbriefschreibung mithilfe des EDV-Programms „NicoMak“ so gestaltet, dass eine nachträgliche detaillierte statistische Analyse zur Qualitätssicherung und wissenschaftlichen Auswertung erlaubt.