Allgemeines Konzept

Werbung
-1-
Behandlungskonzept für Kinder und Jugendliche mit
Adipositas (krankhaftem Übergewicht)
Einleitung
Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen haben eine hohe
und deutlich steigende Prävalenz, wie Schuluntersuchungen durch die
Universität Jena 1985 und 1995 belegen. Adipöse Schulkinder werden zu
50% und adipöse Jugendliche zu 80% zu adipösen Erwachsenen. Wer mit 18
Jahren adipös ist, hat, selbst wenn er in Folge ein Normalgewicht erzielt, ein
höheres Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko. Zum Teil bereits im Jugendalter,
vor allem aber im Erwachsenenalter, kommt es zu Sekundärerkrankungen mit
ausgeprägtem Krankheitswert und volkswirtschaftlicher Bedeutung. Die
indirekten und direkten Krankheitskosten für die übergewichtsbedingten
Folgeerkrankungen werden auf 20 Mrd. DM/a geschätzt (Schneider 1996).
Neben arterieller Hypertonie, Hypercholesterinämie, Typ 2 Diabetes,
Arteriosklerose,
obstruktiver
Schlafapnoe
und
orthopädischen
Komplikationen, kommt es häufig auch zu gravierenden psychosozialen
Problemen, aus denen sich auch ein Teufelskreis der Gewichtszunahme
ergeben kann.
Die Bedeutung eines frühzeitigen Therapiebeginns der Adipositas, also
bereits im Kindes- und Jugendalter, ergibt sich aus der viel größeren
Modifizierbarkeit des Verhaltens und der sich daraus ergebenden Erfolgsrate
und der Vermeidung von Sekundärerkrankungen und irreversiblen
somatischen und psychischen Schäden.
Bei den zur stationären medizinischen Rehabilitation eingewiesenen Kindern
sind die ambulanten Möglichkeiten nach vielen gescheiterten und
frustrierenden Diätversuchen ausgeschöpft. Komplizierend bestehen oft
bereits Sekundärkomplikationen oder eine Multimorbidität, die durch die
Adipositas ungünstig beeinflusst wird. Nur breit angelegte, interdisziplinäre,
stationäre Behandlungsprogramme mit guter ambulanter Nachsorge können
diesen Patienten langfristig helfen.
Die Kinder-Reha-Klinik in Bad Kösen ist aufgrund flankierender
Indikationsschwerpunkte (Orthopädie, Diabetologie, fachübergreifende
Psychosomatik) für die umfassende Behandlung der Adipositaspatienten
besonders geeignet.
Unter dem Eindruck der regional betonten epidemischen Zunahme haben wir
uns seit 1999 mit breitem personellen Einsatz sehr aktiv an der
Weiterentwicklung des Verhaltenstrainings bei Kindern und Jugendlichen mit
Adipositas im Rahmen der Konsensusgruppe Adipositasschulung und der
AGA beteiligt. Wir unterstützen die von diesem Organen erarbeitete Betonung
der langfristigen Verhaltensänderung. Das Adipositasbehandlungs- und
Schulungskonzept ist durch die Anpassung an Erfahrungen und Erkenntnisse
von Innen und Außen einer ständigen Weiterentwicklung unterworfen. Um
diese Entwicklung auch wissenschaftlicher Kontrolle zu unterwerfen, haben
...
-2wir uns an Adipositas-Rehaforschung beteiligt („Lebensqualität als
Evaluationskriterium in der Rehabilitation chronisch kranker Kinder“, M.
Bullinger) und leiten nun auch selbst die BMBF geförderte multizentrische,
randomisierte kontrollierte ASRA Studie um den Effekt einer strukturieren
ambulante Nachsorge durch den niedergelassenen zu untersuchen.
Allgemeines Konzept
Bei der Adipositasbehandlung bei Kindern und Jugendlichen ergeben sich für
die stationäre Rehabilitation folgende Hauptziele:
 Verbesserung der Adipositas-assoziierten Komorbidität (z.B. Blutdruck,
Insulinresistenz, orthopädische Komplikationen)
 langfristige Reduktion der Fettmasse (bzw. des BMI-SDS)
 Vermeiden von unerwünschten Nebenwirkungen der Therapie
 Zentrale Voraussetzung hierfür ist die langfristige Verbesserung der
Nahrungsauswahl, des Essverhaltens und des Bewegungsverhaltens
im Sinne eines gesundheitsfördernden aktiven Lebensstils. Hierzu
gehört auch die Reduktion der körperlichen Inaktivität (Fernsehen,
Videospiele) und eine ausreichende Schlafdauer.
 Letztlich soll so im Sinne der Leistungsträger eine normalen
körperlichen,
psychischen
und
sozialen
Entwicklung
und
Leistungsfähigkeit erzielt werden. Für den Patienten bedeutet dies die
Verbesserung des Selbstwertgefühls und der Lebensqualität.
Zur Erreichung dieser Hauptziele dienen folgende Bedingungsziele:
 ungeeignete durch förderliche Ursachen- und Krankheitsmodelle
ersetzen
 Sicherstellung langfristiger Motivation von Patient und Familie
 Verbesserung von Selbstwahrnehmung und flexibler Selbstkontrolle.
 Umwertung von Verhaltensalternativen (z.B. mehr Freude an der
Bewegung)
Und folgende fördernde Ziele:
 Verbesserung
der
Konflikt-,
Stressund
Problembewältigungsstrategien
 Verbesserung der sozialen Interaktionsfähigkeit (z.B. nein sagen
können)
 Empowerment zur aktiven, förderlichen Umgestaltung der materiellen
(z.B. kein Fernseher im Schlafzimmer, geeignetes Sportgerät) und
sozialen Umwelt (z.B. Freunde aktivieren oder aktivere Freunde
auswählen).
Dabei werden individuelle Lösungsansätze gefördert.
Das Gewicht steht nicht im Mittelpunkt
Die während der Rehabilitation erzielte Gewichtsabnahme ist für den
langfristigen Reha-Erfolg sekundär. Ergebnisse einer Studie (K. Stübing pers.
Mitteilung) lassen sogar vermuten, dass eine übereilte Gewichtsabnahme
durch deutlich hypoenergetische Ernährung während der Reha zu
schlechteren Ergebnissen führen. Die mäßige Gewichtsabnahme von 1-1,5 %
pro Woche, die durch einen erhöhten Energieverbrauch (Bewegung und
...
-3Sport) und leicht hypoenergetische Ernährung (durchschnittlich 75 % des
geschätzten Gesamtenergieverbrauchs für Normalgewichtige gleichen Alters,
Geschlechts und gleicher Größe) erzielt wird, ist hingegen medizinisch sicher
und förderlich. Sie ist auch besonders motivierend, weil ganz ohne Leid
erzielbar und von einem Gefühl verbesserter körperlicher und psychosozialer
Leistungsfähigkeit begleitet.
Diagnostik
Erkundung von ursächlichen und aufrechterhaltenden Faktoren
Anamnese mit Erfassung von Auslösern und Risikofaktoren (familiäres und
soziales Umfeld, psychosoziale Probleme, Bewegungs- und
Ernährungsgewohnheiten) Fragebogen zum Essverhalten Kinder
(Westenhöfer), Fragebogen zum Bewegungsverhalten und Food-Frequency
Liste nach KGAS modifiziert in der ASRA Studie).
Die körperliche Aktivität vor der Reha wird mittels digitalem Schrittzähler
objektiviert.
Ausschluss einer sekundären Adipositas
Sie erfolgt gemäß den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im
Kindes- und Jugendalter (AGA). Hierzu wird z.B. regelmäßig mittels TSH, T3,
T4 eine Hypothyreose ausgeschlossen.
Beurteilung des Schweregrades der Adipositas und Verlaufskontrolle
Erfolgt entsprechend den AGA Richtlinien anhand von alters- und
geschlechtsspezifisch gewertetem Body-Maß-Index (BMI-SDS), Taille-HüftRelation (ab 14 Jahren) und im Rahmen der ASRA Studie regulär sonst in
Grenzfällen, der Hautfaltendicke (Triceps und subskapulär).
Bestimmung der sportlichen Leistungsfähigkeit mittels 6-Minuten-Gehtest und
modifizierten Münchner-Fitness Test (MFT). Motopädisches Screening und
ggf. weiterführende Diagnostik einer etwaigen Koordinationsstörung etc.
Diagnostik bzgl. Folgeerkrankungen
Diagnostik bereits bestehender kardiovaskulärer und/oder orthopädischer
Folgeerkrankungen und weiterer kardiovaskulärer Risikofaktoren (u. a.
arterieller Hypertonus, Fettstoffwechselstörung, Glukosetoleranzstörung, etc.):
Serum Lipidstatus, Leberenzyme, Harnsäure. Nüchternblutzucker und bei
auffälligen Werten, oder anamnestischen Risikofaktoren (Familienanamnese,
Vorbefunde, extreme Adipositas) oraler Glukosetoleranztest. Initial
routinemäßig 2x pro Woche Blutdruckmessung und bei Bedarf 24Stundenmonitoring oder Belastungsmessung.
Bei Verdachtsmomenten aus der Anamnese oder der stationären
Beobachtung für eine obstruktive Schlafapnoe führen wir ein Screening
...
-4mittels einer 7-Kanal Polysomnographie durch und überweisen ggf. ins
Schlaflabor.
Bei Bedarf erfolgt eine weiterführende psychologische Diagnostik
Therapie
Medizinische Betreuung
Der Arzt ist für Anamnese, Untersuchungen, Diagnostik und diagnostische
Wertung, Therapieplanung und Überwachung sowie Sicherung der
Ergebnisqualität und Leitung des interdisziplinären therapeutischen Teams
verantwortlich. Bei extremer Adipositas, orthopädischen Komplikationen oder
anderen Begleiterkrankungen muss auch die initiale sportliche Belastbarkeit
festgelegt werden. Interkurrente Erkrankungen oder Verletzungen werden
ärztlich behandelt. Bei der Vereinbarung und Ausarbeitung der Therapieziele
und des Therapieplanes werden die individuellen Ursachen und
Sekundärerkrankungen ebenso berücksichtigt, wie (soweit sinnvoll und
vertretbar) die Wünsche und Bedürfnisse des Patienten. In den
Aufgabenbereich der Ärzte fällt auch die Kommunikation mit den Eltern und
weiterbehandelnden Ärzten.
Regelmäßige Kontrollen von Gewicht, Kreislauffunktion, Flüssigkeitszufuhr
werden durch den Pflegedienst durchgeführt.
Neben der Weiterbildung einer Kinderärztin zur Ernährungsmedizinerin
erweist sich auch die Ausbildung für die Indikation Diabetes mellitus (Je eine
Diabetologin und Diabetesberaterin sowie zwei Diabetesassistentinnen DDG,
weitere in Ausbildung) als förderlich, weil wir damit über Qualifikation für die
Diagnose und Behandlung des metabolischen Syndroms erwarben.
Die Interdisziplinäre Teilnahme an Kongressen (AGA/DAG)und Tagungen
(KGAS) wird durch die interne Mitarbeiterfortbildung ergänzt. Regelmäßig
finden Qualitätszirkel des Adipositasteams statt.
Ernährungstherapie
Die Ernährung basiert auf der energiereduzierten optimierten Mischkost.
während einer Orientierungsphase von ca. 2 Wochen mit festem
Ernährungsangebot (ab 10 Jahren meist 1600 kcal/d) werden die Prinzipien
der Protokollierung definierter Portionen verschiedener Lebensmittelgruppen
auf den Selbstbeobachtungsbögen durch die Pädagoginnen und
Diätassistentinnen eingeübt. Dies wird organisatorisch durch die bunten
Portionssymbole auf den Tagesspeiseplänen und den Lebensmittelkarten an
der Essensausgabe erleichtert. Bei der ersten Zwischenuntersuchungen wird
mithilfe eines selbstentwickelten Computerprogramms die individuelle
Sollvorgabe für die Nahrungsenergie berechnet und diese in Sollvorgaben für
die tägliche Portionszahl der verschiedenen Lebensmittelgruppen
(entsprechend eine optimierte Mischkost) umgesetzt. In der anschließenden
Übungsphase kontrolliert der Patient seine Ernährung flexibel entsprechend
dieser Vorgaben. Verbote bezüglich bestimmter Nahrungsmittel, die deren
Attraktivität nur erhöhen würden, erübrigen sich. So lernt der Patient unter
weitgehend natürlichen Bedingungen (die Auswahl am Buffet ist frei, ein Kiosk
in die Klinik integriert und ein Lebensmittelgeschäft ist 300 Meter entfernt),
aber unter fachlicher Supervision sein Essverhalten unter Kontrolle zu
...
-5bringen. Für die Selbstständigkeitsphase nach der Entlassung wird wiederum
eine neue Sollvorgabe für den Selbstbeobachtungsbogen berechnet und dem
Patienten (und dem behandelnden Arzt) mitgegeben.
Auf diese Weise wird während der Reha:
 die Gewohnheiten der Lebensmittelauswahl optimiert und damit
gleichzeitig der Fettkonsum auf knapp 30 % und der Zuckerkonsum auf
knapp 10% der Gesamtenergie gesenkt,
 die Nahrungsmenge bzw. Portionsgröße normalisiert,
 der Essrhythmus auf 3 Haupt- und 2 Zwischenmahlzeiten umgestellt
 und insbesondere dem Frühstück und der Vesper die nötige
Bedeutung gegeben.
Sport und Bewegungstherapie
Bewegungsmangel hat einen hohen Stellenwert als Ursache für die
Adipositas, wie epidemiologische Studien belegen. Dies spiegelt sich auch in
der engen Korrelation zwischen täglichem Fernsehkonsum und Übergewicht
wieder. Dabei spielt der Teufelskreis aus sportlicher Inaktivität, Übungs- und
Erfahrungsmangel,
schlechte
koordinativeund
Ausdauerleistung,
Misserfolgserlebnisse im Schul- und Freizeitsport und damit bestärkte
Inaktivität eine zentrale Rolle. Hauptaufgabe der Sport- und
Bewegungstherapie ist es daher, diesen Kreis zu durchbrechen.
Ziele:
 Steigerung des Energieverbrauches
 Umstellung der Muskulatur auf Fettverbrennung
 Freude an Sport und Bewegung fördern, um eine nachhaltige
Aktivitätssteigerung zu erzielen.
 Steigerung von Koordination (Spiele) und Ausdauerleistung, um den
Anschluss an die Gruppe der Gleichaltrigen im Schul- und Vereinssport zu
erleichtern
 soziale Integration
 Verbesserung des körperbezogenen Selbstwertgefühls
 Verbesserung der Körperwahrnehmung
 kardiovaskuläre und orthopädische Prävention
Neben dem Basissport für alle, wird auch differenzierter Sport in Form von
Neigungsgruppen
angeboten.
Die
Anamnese,
sporttherapeutische
Leistungsdiagnostik
und
motopädische
Diagnostik
erfasst
die
Ausgangssituation und bestimmt das individuelle Förderprogramm. Die
Motopädin führt ein spezielles Training (Körperwahrnehmungstraining,
Tanztherapie) für Kinder und Jugendliche mit psychomotorischen Problemen
durch. Aufgrund der Entlastung der Gelenke und dem hohen
Aufforderungscharakter wird dem Schwimmen und Wasserspielen ein hoher
Stellenwert im Adipositassport eingeräumt.
Das Sportprogramm wird durch die vielfältigen Bewegungsangebote durch die
Pädagoginnen ergänzt. Dies beginnt mit dem Morgenlauf und endet oft mit
Diskothek oder freiem Schwimmen. An Wochenenden werden Wanderungen
oder Radtouren veranstaltet. Die Halbpavillon-Architektur der Kinder-Reha-
...
-6Klinik und die weitläufigen Außenanlagen animieren von sich aus zur
Bewegung.
Um den Kindern Gelegenheit zum Erproben einer alternativen
Freizeitgestaltung zu geben, wird das Fernsehen auf 2-3 Filme/Reportagen
pro Woche beschränkt. Auch das Spielen mit mitgebrachten Computerspielen
wird limitiert.
Das Team berät die Patienten bezüglich geeigneter Sportarten am Heimatort
und Möglichkeiten, einen aktiven Lebensstil umzusetzen.
Physiotherapie
Behandlung der häufig bei den adipösen Kindern und Jugendlichen zu
beobachtenden Haltungsschwächen bzw. -fehlern und sekundären
orthopädischen Problemen.
Psychotherapeutisch orientierte Betreuung in Einzelgesprächen
Bei Adipositas treten eine Reihe von emotionalen und Ess-Störungen etwas
häufiger auf. Depressive Verstimmungen und Adipositas verstärken sich
gegenseitig. Hier wird eine weiterführende verhaltenstherapeutisch-kognitive
Einzelbehandlung eingeleitet. Bei Bedarf vermitteln die Psychologen und
Sozialpädagogen eine ambulante Weiterbehandlung am Heimatort.
Im Rahmen der Veränderung des sozialen Umfeldes kommt es vor allem zu
Beginn der Reha gelegentlich zu Situationen, die einer psychologischen
Krisenintervention bedürfen.
Krankheitsbewältigung
Ernährungsberatung und Lehrküche
Im Rahmen der Ernährungsberatung in altershomogenen Kleingruppen
werden die Grundlagen für eine energiereduzierte (=fettreduzierte) optimierte
Mischkost auf altersgemäße Art vermittelt. Die Inhalte dieser Schulung
entsprechen
den
Vorgaben
der
Projektgruppe
Ernährung
der
Konsensusgruppe Adipositasschulung:
Eine Einzeldiätberatung erfolgt bei Bedarf für spezielle Fragestellungen (z.B.
Hypercholesterinämie, Hypertonie, Hyperurikämie, Cholelithiasis). Auch die
Essensausgabe am Büffet wird durch die Diätassistentinnen zur praktischen
Schulung am Beispiel genutzt. Das Einkaufstraining im Lebensmittelgeschäft
und der Koch-Workshop in der Lehrküche mit anschließender gemeinsamer
Mahlzeit vermittelt den Jugendlichen Selbständigkeit, Eigenwirksamkeit und
sozial bedeutsame Kompetenz und stärken so gleichzeitig ihr
Selbstbewusstsein. Kinder ab 10 Jahren sollen bei Entlassung eine
wohlschmeckende, vollwertige, fettarme Kost für einen ganzen Tag
zusammenstellen können.
Die Ernährungsberatung und Koch-Workshops in der Lehrküche soll die
Patienten auch dadurch motivieren, dass sie gesundes Essen als
wohlschmeckend, ansprechend und variantenreich erleben lassen.
...
-7Zur Überprüfung der Kenntnisse wird der mit Unterstützung der Universität
Jena entwickelte selbstentwikelte Praxistest „Lebensmittelgruppen-Portionen
Schätztest“ eingesetzt.
Verhaltenstraining
Das Verhaltenstraining hat die langfristig anhaltende Veränderung des Essund Bewegungsverhaltens, die Stärkung des Selbstwertgefühls und die
Akzeptanz des eigenen Körpers sowie das Erlernen von Strategien zur
Stressbewältigung und Entwicklung sozialer Kompetenzen zum Ziel. Wir
orientieren uns am Konzept der Konsensusgruppe Adipositasschulung
(KGAS) an dem wir seit Gründung aktiv beteiligt sind.
Realistische Zielsetzungen und Erwartungen sind die Grundlage einer
erfolgreichen Behandlung und werden entsprechend individuell erarbeitet.
Grundlegendes Wissen wie die (individuellen) Ursachen und Folgen des
Übergewichts, Gründe für das Fehlschlagen der bisherigen Bemühungen und
geeignete Methoden zur Reduktion des Körperfetts werden vermittelt. Im
Kontrast zum gesunden Lebensstil in der Kinder-Reha-Klinik wird den Kindern
das abweichende bisherige Ess- und Bewegungsverhalten deutlich. Kurz und
langfristige
Konsequenzen
des
bisherigen
Verhaltens
werden
herausgearbeitet und Verhaltensalternativen entwickelt.
Bei der täglichen Einübung der Trainingsinhalte kommen vor allem
verhaltenstherapeutische
Techniken
der
Selbstbeobachtung,
Selbstbewertung, Selbstverstärkung und der Reizkontrolle zum Einsatz.
Weitere Bestandteile sind das Problemlöse- und das Stressimpfungstraining.
Im Rollenspiel werden soziale Kompetenzen gefördert. Sie lernen, ihre
Persönlichkeit nicht nur über ihr Übergewicht zu definieren, sondern ihre
Stärken wahrzunehmen. Die soziale Unterstützung in der Gruppe gleichartig
Betroffener hilft den Patienten sich zu öffnen und bald auch über Gefühle zu
sprechen. Die Einholung sozialer Unterstützung ist auch ein wesentliches
Element der Rückfallprophylaxe.
Großer Wert wird auf die Übertragbarkeit in die häusliche Situation gelegt. Die
alternativen
Verhaltensweisen
werden
mithilfe
des
Selbstbeobachtungsbogens nach individuellen Zielvorgaben weiterentwickelt
und im 6-wöchigen „Klinikalltag“ eingeübt und automatisiert. Dies gilt für die
Nahrungsauswahl (siehe oben), ebenso wie für das Essverhalten
(Mahlzeitenzahl etc.) und das Bewegungsverhalten. Das pädagogische und
pflegerische Personal wird hierzu von den psychologischen Fachkräften in
internen Weiterbildungen geschult und supervidiert.
Die unter den günstigen Bedingungen der Reha vermittelte und eingeübte
flexible Selbstkontrolle ist eine zentrale Voraussetzung für den langfristigen
Erfolg am Heimatort.
Elternschulung
Der Einfluss des Elternhauses auf ein gesundheitsförderliches Verhalten und
damit den Schutz vor Rückfällen ist vom Alter und Entwicklungsstand der
Kinder und Jugendlichen abhängig. Die Einbeziehung der Eltern in das
gesundheitspädagogische Konzept wird nicht immer in ausreichendem Maße
durch die ambulante Betreuung am Heimatort gewährleistet. Wir haben
deshalb eine Reihe von Maßnahmen zur Einbeziehung der Eltern in die
Adipositasreha ergriffen:
1. Beratung im Rahmen des Aufnahmegesprächs
...
-82. Aushändigung einer 10-seitigen schriftlichen Anleitung für die Eltern.
Pro Woche arbeiten die, durch die Abwesenheit ihrer Kinder
entlasteten Eltern, jeweils ein zweiseitiges Modul durch. Hierin wird
eine praktische Anleitung zu Bewegung, Ernährung, Essverhalten
sowie Erziehung und Unterstützung gegeben.
3. In einem Wochenendseminar werden die Eltern von einem
multidisziplinären Team (Psychologe, Diätassistentin, Sporttherapeut)
geschult. Die zentrale geographische Lage der Klinik begünstigt
entsprechende persönliche Schulung und Beratung sodass etwa 75%
der Eltern teilnehmen.
Inhalte:
-Was ist Adipositas?
-Ursachen der Adipositas
-sinnvolle, aktive Freizeitgestaltung in der Familie und im
Freundeskreis
-gesunde Ernährung
-Essverhaltensstörung und Essverhaltenstraining
-Gesprächsrunde zu psychosozialen Fragen
-Unterstützung der flexiblen Verhaltenskontrolle
4. Im Abschlussgespräch werden individuelle Ziele und
Unterstützungsmöglichkeiten für die Zeit nach der Reha besprochen
Für Kinder im Vorschul- und Grundschulalter werden Heilverfahren mit
Begleitperson
und
altersentsprechend
ausführlicheren
interdisziplinären Elterschulungskursen angeboten.
Pädagogische und schulische Betreuung, Berufsberatung
Hierzu verweisen wir auf die entsprechenden Abschnitte des Klinikkonzeptes.
Nachsorge
Der Kontakt zu den Eltern und dem weiterbetreuenden Arzt vor, während und
nach dem Rehaaufenthalt fördert die Nachbetreuung.
Im Rahmen der jährlichen Bad Kösener Pädiatrie-Symposien informieren wir
die regionalen Kinderärzte über den Stand der Adipositasforschung und die
Möglichkeiten zur ambulanten Prävention und (Weiter-) Behandlung der
Adipositas.
(Siehe
auch
„Kooperation
und
Vernetzung“
in:
Kinderrehabilitation, Herausg.: Petermann & Warschburger, 1998, Hogrefe,
Göttingen).
Die multizentrische, randomisiert-kontrollierte ASRA-Studie unersucht die
Effekte
einer
strukturierten
ambulanten
Nachsorge
durch
den
niedergelassenen
Arzt.
Als
Interventionsinstrumente
wurde
ein
Beratungsleitfaden („Sanareha“) und ein Internetschulungsprogramm („young
and healthy“) entwickelt. In 12 etwa monatlichen, halbstündigen
Beratungsgesprächen soll im Jahr nach Rehaende nachgeschult und bei
Problemen Unterstützung gegeben oder vermittelt werden.
Das Informationsangebot der AGA und der KGAS zu Behandlungs- und
Schulungsteams wird genutzt um eine ambulante Weiterbehandlung durch
ein Adipositas-Team zu vermitteln, wo immer dies nötig und wohnortnah
möglich erscheint.
...
-9Qualitätssicherung
Die im Rahmenkonzept des VdR (1998) und in der Leitlinie
Kinderrehabilitation
der
Gesellschaft
für
Kinderheilkunde
(2003)
beschriebenen Anforderungen an Rehabilitationskliniken bei Adipositas
werden allesamt erfüllt.
Pathologische Laborwerte werden entsprechend vor Entlassung wiederholt,
um die Verbesserungen in diesen comorbiden Erkrankungen zu
dokumentieren.
Im Rahmen der von uns geleiteten ASRA-Studie werden unter anderem die
längerfristigen Effekte auf den BMI-SDS, das Ess- und Bewegungsverhalten
und die Lebensqualität untersucht.
Da uns der kurzfristige Effekt auf die Körperzusammensetzung bzw. den
Ruheenergieerbrauch als mögliche Prädiktoren für den längerfristigen Erfolg
interessieren, messen wir begleitet von Dissertationen der Universität Jena
darüber hinaus die Hautfaltendicken, die Body-Impedance-Analyse und den
Ruheenergieverbrauch bei Rehaaufnahme und Entlassung.
Schließlich ist die Arztbriefschreibung mithilfe des EDV-Programms
„NicoMak“ so gestaltet, dass eine nachträgliche detaillierte statistische
Analyse zur Qualitätssicherung und wissenschaftlichen Auswertung erlaubt.
Herunterladen