Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 25 16 Differenz SWS 1 60 1500 ECTS 1 45 720 Präsenz 780 Vollstunden 25,00 12,00 13,00 Individualphase 13,00 Problemfeld Drogen – Süchte – Suchtverhalten Datum Zeit 11.10. Inhalte Organisation, Einführung in das Thema 10:00-11:45 25.10. 10:00-11:45 8.11. 10:00-11:45 22.11. 10:00-11:45 6.12. 10:00-11:45 17.1. Fragestellungen der LV: Was ist Sucht? - Definition Arten von Süchten Merkmale Einteilung Arten der Abhängigkeit Wege in die Sucht Fallbeispiel: Christiane F. Präsentationen Wirkung von Drogen Entwicklung von Sucht Symptome und Folgen Präsentationen Suchtprävention: Prävention im schulischen Umfeld, pädagogischer Umgang mit dem Thema „Sucht“ Arten von Süchten Präsentationen Nichtsubstanzgebundene Süchte – Störungen im Essverhalten 10:00-11:45 31.1. Referent des Landes Steiermark Dr. Ulf Zeder 10:00-11:45 D:\75877806.doc 1 Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Workload - Individualphase 1. Präsentation: 3 - 4 Personen, kleine Umfrage, Interviews (max 3 Personen), Beobachtung, Videodokumentation 7 Stunden 2. Portfolio: am Ende des Semesters abzugeben; Bearbeitung von Arbeitsaufträgen, die in der LV bekannt gegeben werden (zB Zusammenfassung von Diskussionsrunden) Ausmaß: 5 – 6 Zeilen/Arbeitsauftrag 6 Stunden D:\75877806.doc 2 Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Inhalt Interview mit einem/r Süchtigen, User, Exuser: Wie hat sich die Sucht entwickelt? In welchem sozialen Umfeld? Welche Symptome sind spürbar? Welche Folgen haben sich daraus ergeben? Detaillierte Beschreibung der Alkoholsucht. Detaillierte Beschreibung der Nikotinsucht. Detaillierte Beschreibung der Drogensucht. Detaillierte Beschreibung der Spielsucht. Detaillierte Beschreibung der Computersucht. Detaillierte Beschreibung der Magersucht bzw einer Essstörung. Detaillierte Beschreibung der Kaufsucht. Detaillierte Beschreibung der Arbeitssucht. Detaillierte Beschreibung der Fernsehsucht. Detaillierte Beschreibung der Putzsucht. Stellen Sie ein von Jugendlichen regelmäßig gespieltes aggressives Computerspiel vor. Analysieren Sie eine von Jugendlichen regelmäßig gesehene Fernsehsendung. Interviewen Sie Jugendliche nach ihren Computerspielgewohnheiten. Interviewen Sie Jugendliche nach ihren Fernsehgewohnheiten. Interviewen Sie Jugendliche nach ihren Kaufgewohnheiten. Interviewen Sie Jugendliche nach ihren Trinkgewohnheiten. D:\75877806.doc 3 Gruppenmitglieder Datum Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Gruppendiskussion – Arbeitsauftrag 1 Diskutieren Sie in der Gruppe einen Fall aus dem persönlichen, beruflichen oder schulischen Umfeld bezüglich der Art der „Droge“ (Substanz oder Verhalten), den Weg in die Sucht und die Symptome. Gruppendiskussion – Arbeitsauftrag 2 Diskutieren Sie Risikofaktoren für Alkohol- und Drogenmissbrauch im Jugendalter bezüglich genetischer Faktoren, familiärer Risken und Persönlichkeitsmerkmalen. Stellen Sie dabei einen Bezug zum Film „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ her. Gruppenarbeit (Internetrecherche) – Arbeitsauftrag 3 Gruppe 1: Finden Sie heraus, welche Substanzen zu den illegalen Drogen zählen. Gruppe 2: Recherchieren Sie die gesetzlichen Bestimmungen über den Umgang mit illegalen Drogen. Gruppe 3: Recherchieren Sie Fakten und Daten über den Missbrauch von illegalen Drogen in Österreich. Gruppe 4: Finden Sie heraus, welche Stellen Unterstützungsmöglichkeiten für Suchtkranke anbieten. Gruppenarbeit – Arbeitsauftrag 4 Gruppe 1: Entwerfen Sie ein Plakat und eine Info-Broschüre für Ihre Schule, die Schüler/innen für den Umgang mit Alkohol sensibilisieren sollen. Gruppe 2: Entwerfen Sie ein Plakat und eine Info-Broschüre für Ihre Schule, die Schüler/innen für den Umgang mit illegalen Drogen sensibilisieren sollen. Gruppe 3: Entwerfen Sie ein Plakat und eine Info-Broschüre für Ihre Schule, die Schüler/innen für einbewusstes Ernährungsverhalten sensibilisieren sollen. Gruppe 4: Entwerfen Sie ein Plakat und eine Info-Broschüre für Ihre Schule, die Schüler/innen für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Computerspielen und/oder dem Internet sensibilisieren sollen. D:\75877806.doc 4 Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Risikofaktoren und Entwicklungsmechanismen für jugendlichen Drogengebrauch und -mißbrauch Die Bereitschaft, Drogen zu nehmen, beginnt häufig Das Alter derjenigen, die zum erstenmal mit in der Pubertätskrise. Diese Zeit gehört zu den Drogen in Kontakt kommen, ist in den letzten schwierigen Abschnitten im menschlichen Leben. Jahren auffallend gesunken. Heute kann man in Man ist kein Kind mehr, aber auch noch nicht Schulen bereits Zwölfjährige treffen, die Haschisch erwachsen. Man ist in einem Übergangsstadium. geraucht und andere Mittel ausprobiert haben. Der eigene Körper, die eigene Seele, das ganze Eine "Drogenkarriere" beginnt häufig mit den Leben werden auf einmal unsicher. In diesem Alter medizinisch betrachtet eher harmlosen Cannabis- werden auch die Weichen für das zukünftige Leben Produkten. Unter dem Druck der Peer-Groups und gestellt: Schulabschluss, Übertritt in eine andere der kriminellen Szene steigen viele auf Präparate Schule, Eintritt in das Berufsleben. Freundschaften um, von denen sie schon nach wenigen werden jetzt wichtiger als die Familie. Dazu Einnahmen körperlich abhängig werden. kommen noch die Veränderungen des Körpers, die In Europa beobachtet man eine eindeutige beunruhigenden sexuellen Gefühle, die größer Bevorzugung des Alkohol- und werdenden Anforderungen der Umwelt. Die Zigarettenkonsums, sowie den Cannabiskonsum. Haltungen der Erwachsenen sind widersprüchlich. Siehe dazu: Der Jugendliche ist unsicher. Die Drogenkonsumenten werden immer jünger Übergreifende Prinzipien Die in der Literatur diskutierten Risikofaktoren überschneiden sich häufig und sind oftmals nicht für Alkohol- und Drogengebrauch spezifisch. Auch hinsichtlich der Entwicklungsbedingungen sollten Gebrauch und Missbrauch psychoaktiver "adolescence-limited" Substanzen auseinander gehalten werden. Während ersterer vor allem durch soziale vs Erfahrungen während der Jugendzeit beeinflusst zu sein scheint, überwiegen bei Missbrauch "life course-persistent" interne psychische Faktoren einschließlich psychopathologischer Prozesse, deren Wurzel häufig in der Kindheit liegt. So wird problematischen Alkohol- und Drogengebrauch mit der Übernahme von Erwachsenenrollen wieder ablegen, wer keine besonderen physischen oder psychosozialen Beeinträchtigungen aus der Kindheit mitbringt und sich auf sein soziales Netzwerk als Protektionsfaktor verlassen kann. Verketten sich aber frühe Risikofaktoren genetischer, personaler und sozialökologischer Art und verstärken so ihre Wirkung, und können Protektionsfaktoren dieser Risikokumulation nicht die Waage halten, droht anhaltende Belastung durch Alkohol- und Drogengebrauch. Dieser Sachverhalt wird durch die Gegenüberstellung von D:\75877806.doc 5 Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Problemverhalten als "adolescence-limited" und "life course-persistent" auf den Begriff gebracht. Dem Missbrauch von Drogen wie Heroin oder Kokain geht regelmäßig der Gebrauch weniger problematischer Substanzen voraus, etwa "gateway drugs" Marihuana oder Spirituosen, die sozusagen die Tür öffnen ("gateway drugs"). Vor deren Konsum wiederum steht der Gebrauch von Alkohol, wie Bier und Wein. Bei diesen Zusammenhängen spielen der Abbau von Hemmungen durch abträgliche soziale Kontakte und wohl auch physiologische Prozesse eine Rolle. Die Minderheit der Konsumenten harter Drogen bleibt häufig nicht bei einer bestimmten Substanz, sondern verschärft den Missbrauch und die abträglichen Folgen, indem sie etwa Opiate, Barbiturate und Alkohol kombiniert. Problemverhaltens-Syndrom Von Alkohol- und Drogengebrauch Jugendlicher abgehoben von anderen Problemverhaltensweisen (wie Delinquenz oder riskantem Sexualverhalten) zu sprechen, darf nicht die Tatsache übersehen lassen, dass diese Verhaltensweisen häufig gemeinsam als Problemverhaltens-Syndrom auftreten, ohne dass man sinnvoll sagen könnte, was Anlass und was Folge war. Genetische Disposition Eine Grundfrage betrifft die Bedeutung genetischer Faktoren. Während die Antwort bei psychoaktiven Drogen derzeit offen bleiben muss, scheint hinsichtlich des Alkoholgebrauchs eine genetisch begründete Vulnerabilität gesichert, die sich vor allem beim Vorliegen ungünstiger Umweltbedingungen äußert. Cadoret et al. zeigten dies anhand von Adoptionsstudien. Wiesen die biologischen Eltern in ihrer Biographie eine Belastung durch Alkohol auf, so fand sich bei den in nicht blutsverwandte Familien adoptierten Kindern späterer Alkoholmissbrauch nur dann, wenn die Adoptionsfamilie ihrerseits einen niedrigen sozialen Status hatte. Der vermittelnde Mechanismus könnte eine genetische Disposition zu hohem Stimulationsbedürfnis und niedriger Angstvermeidung sein. Wer sich leicht durch Unbekanntes mitreißen lässt und dabei Furcht nicht kennt, dessen Risiko zu künftigem Alkoholund Drogenmissbrauch ist unvergleichlich höher als bei durchschnittlicher Ausprägung dieser D:\75877806.doc 6 Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Dimensionen. Attribute der Person Probleme mit der Selbststeuerung während der Kindheit (Aufmerksamkeitsstörungen, mangelnde Impulskontrolle und, insbesondere bei Jungen, Aggressivität) sind Beispiele für Persönlichkeitsmerkmale, die künftigen Alkoholund Drogengebrauch, nicht nur während der Jugendzeit, begünstigen können. So konsumierten solche Jugendlichen häufiger Drogen anfangs der Adoleszenz, die sich als Dreijährige durch geringe Ich-Kontrolle (Belohnungen können nicht aufgeschoben werden, impulsiv, emotional labil, leicht frustriert) auszeichneten. Hinter den Zusammenhängen von Kindheit und jugendlichem Verhalten stehen einerseits das wechselseitige Aufschaukeln von kindlichen Entwicklungsproblemen und inadäquatem Elternverhalten, andererseits werden Kinder mit Verhaltensproblemen als Jugendliche eher an Gruppen Gleichaltriger ähnlichen Hintergrunds geraten, in deren Kontext sie dann die ersten Erfahrungen mit Alkohol und Drogen machen. Solche Entwicklungslinien lassen sich längsschnittlich bis zur Verfestigung abweichender Lebensstile im frühen Erwachsenenalter verfolgen. Familiäre Risiken Jugendliche, die Alkohol und Drogen häufig konsumieren, unterscheiden sich schon während der Kindheit von ihren Altersgenossen im elterlichen Erziehungsverhalten. Nach Baumrind hatten die Eltern derer, die Missbrauch zeigten, ihre Kinder in einer Kombination von geringer Konventionalität, wenig Aufsicht und Herausforderung, geringer Einflussnahme und wenig Unterstützung erzogen; kurzum, das häusliche Milieu war durch Desinteresse und Instabilität gekennzeichnet. Jugendliche, die Alkohol wenig und/oder Cannabis höchstens gelegentlich zu sich nahmen, hatten hingegen während der Kindheit Erfahrungen gemacht, die Wärme und Zuwendung mit klaren Erwartungen verbindet ("authoritative parenting"). Letzteres schützt vor dem Missbrauch von Alkohol und Drogen wegen der breiten Förderung sozialer und kognitiver Kompetenzen, die mit ersteren inkompatibel sind. Inkonsistenz in normativen Anforderungen und Nachlässigkeiten in der Aufsicht, häufig aus Überforderung, sind weitere Besonderheiten der Eltern-Kind-Interaktion, die mit der späteren D:\75877806.doc 7 Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Entwicklung von Alkohol- und Drogengebrauch in Zusammenhang gebracht werden. Unter solchen Umständen werden frühe Vorboten des Umgangs mit problematischen Peergruppen übersehen. Die Ergebnisse der Adverse Childhood Experiences (ACE) Studie (Felitti 2002) belegen eindeutig, dass psychosoziale Belastungsfaktoren in der Kindheit lebenslange Folgewirkungen besitzen können. Diese Studie ist die ausführliche Verlaufsuntersuchung von über 17000 erwachsenen Amerikanern, bei denen der aktuelle Gesundheitszustand zu belastenden Psychosoziale Belastungsfaktoren und Drogenmissbrach Kindheitsfaktoren in Beziehung gesetzt wurde, die im Mittel ein halbes Jahrhundert früher aufgetreten waren. Ein zentrales Ergebnis der Untersuchung war, dass belastende Kindheitserfahrungen (Missbrauchskategorien Quelle: Felitti, Vincent J. (2002). The relationship of adverse childhood experiences to adult health: Turning gold into lead. Z Psychosom Med Psychother, 48, 359-369. waren u.a. wiederholter körperlicher Missbrauch, wiederholter emotionaler und (sexueller Missbrauch) auch fünfzig Jahre später tiefgreifende Folgen haben, wobei sich diese psychosozialen Erfahrungen mittlerweile in eine Die fünf Bereiche der familiär-elterlichen Belastung (Dysfunktionen) waren: ein Haushaltsmitglied war im Gefängnis, die Mutter erfuhr körperliche Gewalt, ein Familienmitglied war alkohol- oder drogenkrank, ein Familienmitglied war chronisch depressiv, seelisch krank oder suizidal, zumindest ein biologischer Elternteil wurde in der Kindheit verloren, unabhängig von der dazu führenden Ursache. Ein Individuum, das keine dieser Kategorien erfüllte, hatte einen ACE-Wert von null. Ein Individuum, das vier Bedingungen ausgesetzt war, hatte einen ACE-Wert von vier. körperliche Erkrankung umgewandelt haben. Patienten mit einem ACE-Wert von vier oder mehr besitzen ein um 460% höheres Risiko, an einer Depression zu erkranken, als diejenigen mit einem ACE-Wert von null. So besitzt beispielsweise ein männliches Kind mit einem ACE-Wert von sechs eine um 4600 % erhöhte Wahrscheinlichkeit, im späteren Leben ein Drogenbenutzer zu werden verglichen mit einem männlichen Kind mit einem ACE-Wert von null (vgl. Felitti 2002). Problematische Peerkontexte Da der weit verbreitete Gebrauch von Drogen unter Jugendlichen ein für unseren Kulturkreis vergleichsweise neues Phänomen ist, kann das elterliche Vorbild erst in jüngerer Zeit eine Rolle spielen, da zuvor entsprechende Erfahrungen nicht vorlagen. Als Faustregel gilt deshalb, dass von Gleichaltrigen ausgehende Einflüsse für kulturell nicht tradierte Substanzen stärker sind als familiäre Risikofaktoren. "Gleich zu Gleich gesellt sich gern" ist in diesem Zusammenhang ein Grundsatz, der nicht immer von positiven Ergebnissen geprägt ist. Nach Kandel gilt, dass solche Jugendliche sich gegenseitig bei Normüberschreitungen stützen, deren Persönlichkeit und Lebensumstände dies ohnehin schon begünstigen. Die Bildung eines eigenen Verhaltenskodex, der im Sinne eines D:\75877806.doc 8 Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 wechselseitigen Unterstützungssystems emotionale Sicherheit in der Gruppe verleiht und erste Identitätsentwürfe ermöglicht, geschieht dann auf der Basis von Werten, die im Gegensatz zu positiven Entwicklungszielen stehen. Als wichtigen Anlass für problematische Beziehungen zu Gleichaltrigen sah Kaplan die Enttäuschung, den Erwartungen von Eltern, Schule und anderen normativen Entwicklungskontexten nicht entsprochen zu haben. Jugendliche suchen dann andere Möglichkeiten, ihre beeinträchtigte Selbstachtung zu stabilisieren und gewinnen dadurch Kontakt zu Umfeldern, die Alkohol- und Drogengebrauch befördern, wie beispielsweise Diskotheken und andere jugendtypische Treffpunkte. Unterschiede im Entwicklungstempo spielen eine eigene Rolle bei Beziehungen zu Gleichaltrigen. Jugendliche, die früher als die meisten die Pubertät durchlaufen, zeichnen sich zumindest vorübergehend durch mehr Erfahrungen mit Alkohol und Drogen aus. Dies liegt vor allem daran, dass sie ihres erwachseneren Aussehens wegen Umgang mit älteren Jugendlichen finden, deren Konsumgewohnheiten sie übernehmen, nicht zuletzt um dazuzugehören und eigene Irritationen der körperlichen Entwicklung wegen zu bewältigen. Drei Bedingungsfelder für die Drogensucht Sucht ist eine Gruppe körperlicher, Verhaltens- und kognitiver Phänomene, bei denen der Konsum einer Substanz oder einer Substanzklasse für die betroffene Person Vorrang hat gegenüber anderen Verhaltensweisen, die von ihr früher höher bewertet wurden. Ein entscheidendes Charakteristikum der Abhängigkeit ist der oft starke, gelegentlich übermächtige Wunsch, psychotrope Substanzen oder Medikamente (ärztlich verordnet oder nicht), Alkohol oder Tabak zu konsumieren. Bedingungsfelder für die Drogensucht sind: Eine psychisch instabile Persönlichkeit mit starken Tendenzen zur Selbsterniedrigung, insbesondere auch in Situationen der Überforderung. Kontakt mit einer Gruppe von Drogenkonsumenten Mangelnde Kontrolle und soziale Einbindung, fehlende Sozialisation in D:\75877806.doc 9 Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 eine Gruppe (Familie, Freundeskreis) mit einem adäquaten Angebot an "beglückenden" Erlebnissen anderer Art. D:\75877806.doc 10 Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Häufige Faktoren für Allgemeine Einflüsse Drogenmissbrauch und Abhängigkeit Konfliktsituationen verschiedener Art Überdruss an der Konsumgesellschaft Einfluss der Medien (Werbung, fehlende Werte) Begriffe Steigerung des Luxuskonsums, Lebensgenusses Missbrauch Gesellschaft ohne positiven Lebenssinn Vermassung Isolierung und Einsamkeit, seelische liegt immer dann vor, wenn eine psychoaktive Unfreiheit Substanz nicht ihrem Zweck entsprechend Ursachen aus dem Familienbereich benutzt wird. Immer dann, wenn eine Droge oder ein Rauschmittel eingesetzt wird, um einen unliebsamen Gefühlszustand zum Konflikte zwischen Eltern und Kindern Verschwinden zu bringen, liegt Missbrauch vor. Dabei kann es sich sowohl um erlaubte zerrüttete Familienverhältnisse, Scheidungswaisen, Schlüsselkinder, (legale) als auch um verbotene (illegale) fehlende "Nestwärme" Suchtmittel handeln. Leistungsdruck und übersteigerte Forderungen der Eltern Drogen Mangel an Liebe, Verständnis und Anerkennung sind jene psychotrope Substanzen bzw. Stoffe, die durch ihre chemische Zusammensetzung auf das fehlende Erziehung zur Selbständigkeit fragwürdiger Erziehungsstil (autoritär oder zu locker) Zentralnervensystem einwirken und dadurch Einfluss auf Denken, Fühlen, Wahrnehmung, Fernsehen statt innerfamiliärer Kontakte "Fassaden- Familie" Verhalten nehmen. Individuelle persönliche Ursachen Abhängigkeit liegt nach der WHO dann vor, wenn sich beim Neugier, Langeweile Entzug der Droge, die über einen längeren Geltungsbedürfnis in der Gruppe Zeitraum gewohnheitsmäßig eingenommen Flucht vor unangenehmen Situationen und Gefühlen wurde, Missbehagen und Beschwerden zeigen. Als weiteres Merkmal gilt, dass diese Angst vor der Zukunft, Vereinsamung Erscheinungen durch die neuerliche Zufuhr Orientierungslosigkeit, fehlende Leitbilder der Droge (oder einer ähnlich wirkenden Droge) wieder zum Abklingen gebracht mangelndes Selbstwertgefühl, Beziehungsschwierigkeiten, werden können. Depressionen Protest gegen die Erwachsenenwelt, Ablehnung des Leistungsprinzips Sinnlosigkeit des Lebens Belastungen in der Pubertätskrise Ursachen aus dem Schulbereich D:\75877806.doc 11 Über- und Unterforderung fehlende Zusammenarbeit mit Schule Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 und Elternhaus Schutzfaktoren gegenüber jugendlichem Drogenkonsum gestörtes Verhältnis zu Lehrern nicht ausreichende menschliche Wärme Viele Menschen verfügen über bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, die ihnen helfen, gut mit Anforderungen umzugehen. Menschen, die diese Merkmale gar nicht oder nur in geringerem Ausmaße besitzen, laufen eher Gefahr, problematische Verhaltensweisen wie Schutzfaktoren sind Teile der Persönlichkeit oder bestimmte Bereiche der sozialen Umwelt, die einer Person zur Verfügung stehen, um eine positive Bewältigung der altersgemäßen Drogenkonsum zu zeigen. Die wichtigsten Schutzfaktoren im Zusammenhang mit dem Risikoverhalten Drogenkonsum und für die Vermeidung von jugendlichem Drogenmissbrauch: Entwicklungsaufgaben und Stressreicher Situationen zu ermöglichen. Dabei wird eine Bewältigung im Sinne von Problembearbeitung Personale Schutzfaktoren o oder Konfliktlösung eher positiv bewertet und für Beziehungs- und Konfliktfähigkeit (Kommunikationsfähigkeiten) erstrebenswert gehalten. Strategien, die nicht zu o einer Auseinandersetzung mit der Situation bzw. realistische Selbsteinschätzung (positive Seiten + Grenzen) der Ausgangslage führen, werden eher negativ o bewertet, da sie stärker zur Vermeidung der hohe Eigenaktivität (Langeweile vertreiben, sich selbst angenehm ursächlichen Ausgangslage beitragen, z.B. Flucht in beschäftigen können) den Rausch, Gewalt oder Rückzug, als einem aktiven Lösungs- oder Veränderungsversuch. o ausreichende Selbstachtung o hoher Selbstwert (sich so annehmen, wie man ist) Quelle: o Universität Bielefeld - SFB 227 - Evaluation von möglichst viele verschiedene positive Bewältigungsstrategien Gesundheitsförderung in der Schule - Infoseiten für Stress und Alltagsprobleme http://www.uni-bielefeld.de/ SFB227/pieper/schutzfa.htm (02-05-26) Soziale Schutzfaktoren o gutes Verhältnis zu den Eltern (Vertrauen und Unterstützung in schwierigen Situationen) o Freundschaften zu Gleichaltrigen (Vertrauen, Unterstützung und Deutungshilfe im Alltag) o geringe Belastungen/Stress durch schulische Umwelt, d.h. gutes Schulklima, positives Klassenklima, vertrauensvolle und mitmenschliche Beziehung zu Lehrerinnen und Lehrern Schutzfaktoren, die vor allem in der Suchtprävention gefördert werden müssen, sind: o Allgemein o Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl o D:\75877806.doc 12 Beziehungs- und Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Konfliktlösefähigkeit o Widerstandsfähigkeit und Selbstbehauptung o Genuss- und Erlebnisfähigkeit o Unterstützung bei der jugendlichen Sinnsuche und Sinnerfüllung o Drogenspezifisch o sachliche Informationen über Wirkungen von Drogen (insbesondere kurzfristige Auswirkungen) o Ursachen und Entwicklung von süchtigem Verhalten o Alternative Verhaltensweisen zum Drogenkonsum (z.B. Entspannungstechniken) o Strategien gegen Gruppendruck in Situationen, in denen Drogen eine Rolle spielen Schulische Suchtprävention Suchtprävention zielt auf die Förderung von individuellen Schutzfaktoren ab, die der Quelle: Ausübung von Risikoverhaltensweisen, z.B. Universität Bielefeld - SFB 227 - Evaluation von aggressives Verhalten, Drogenkonsum, Gesundheitsförderung in der Schule - Infoseiten entgegenwirken, d.h. es sollen in einem http://www.uni-bielefeld.de/ SFB227/pieper/praevent.htm (02-05-26) institutionellen Kontext, wie z.B. Kindergarten, Grundschule und weiterführende Schule, Jugendfreizeitstätte, Fertigkeiten und Fähigkeiten erlernt werden, die den Kindern und Jugendlichen helfen, besser mit Problemen und Sorgen, Schwierigkeiten im Alltag, zwischenmenschlicher Kommunikation und den Entwicklungsaufgaben der Kindheits- und Jugendphase fertig zu werden. Die Ursache von problematischem Verhalten in der Jugendphase wird vor allem im vielfältigen Zusammenspiel von Person und Umwelt gesehen, das zu einer Überforderung von individuellen Handlungsstrategien führen kann. Die Überforderung individueller Fertigkeiten kann in problematische substanzspezifische oder substanzunspezifische Handlungsweisen münden, wie z.B. Drogenmissbrauch, Gewalt oder gesundheitliche Störungen, wenn kein anderes, weniger riskantes Verhalten zur Bearbeitung der Problemsituation zur Verfügung steht. Daher wird im Rahmen des Kompetenzförderungsansatzes davon ausgegangen, dass die Motivation für jugendliches Risikoverhalten immer in der zugrunde liegenden D:\75877806.doc 13 Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Funktion des Verhaltens in der jeweiligen Situation für die jeweilige Person zu suchen ist. Primärprävention wird nur dann wirklich wirksam, wenn sie es schafft, diese persönlichen Ziele aufzudecken, ins Bewusstsein zu rücken und mit den Jugendlichen praktikable Alternativen zu dem Risikoverhalten zu erarbeiten und einzuüben. Die Kompetenzförderung versucht, durch systematisches Training von sozialen und personalen Kompetenzen den Jugendlichen eben diese Alternativen zu vermitteln. Die alternativen Verhaltensweisen sollen entweder von vornherein gesundheitsschädigendes Verhalten vermeiden oder im Laufe einer Interventionsmaßnahme an die Stelle des Risikoverhaltens treten und so zu funktionalen Äquivalenten werden, das heißt zu angemessenen Bewältigungsstrategien für die verschiedenen Anforderungen des Alltags und der Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen. Neben einer allgemeinen Kompetenzstärkung werden für den Bereich der Suchtprävention folgende Ziele angestrebt: o Abstinenz bei illegalen Drogen o weitestgehende Abstinenz gegenüber Tabakerzeugnissen o selbstkontrollierter, verantwortungsvoller Umgang mit Alkohol o bestimmungsgemäßer Gebrauch von Arzneimitteln Aufgrund der starken Verbreitung und der kulturellen Integration von legalen Drogen, ist es notwendig, dass Kinder und Jugendliche einen altersgemäßen Umgang und adäquaten Gebrauch mit diesen Substanzen erlernen. Daher hat sich das Präventionsziel der völligen Abstinenz so nicht bewährt, es stellt aber eine positiv bewertete Option eines jeden Jugendlichen dar. Einige Kompetenzen im Umgang mit Situationen, in denen Drogenkonsum eine Rolle spielt, sollen in suchtpräventiven Maßnahmen besonders angesprochen und gefördert werden. Diese sind: Gruppendruck widerstehen können, Wissen über kurz- und langfristige soziale, psychische und physiologische Auswirkungen von Drogengebrauch. D:\75877806.doc 14 Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Entstehung von Sucht Zur Suchtentstehung gibt es viele Erklärungsmodelle und verschiedene Fachdisziplinen beschäftigen sich mit den Ursachen und Bedingungen von Sucht jeweils aus ihrer Perspektive. Da eine genaue fachliche Abgrenzung kaum möglich ist, gibt es deutliche Überschneidungen in den Erklärungsmodellen. Süchtiges Verhalten kann insgesamt als Ergebnis unterschiedlicher personaler und umweltlicher Faktoren gesehen werden. Die individuelle Disposition - mit für die Süchtigen jeweils ganz unterschiedlicher Bedeutung und Stellung des süchtigen Verhaltens im Lebenszusammenhang - macht Sucht zu einem Phänomen, das äußerst schwer zu erfassen ist. Der meist auch als Stigmatisierung beschriebene Prozess der Sucht lässt sich sowohl aus individueller als auch aus gesellschaftlicher Sicht als pathologische Form der Beziehungen eines Individuums zu seiner Umwelt begreifen. Viele Suchtkranke besitzen nur eingeschränkten Zugang zu ihrer Emotionalität. Vor allem die isolierte, nur schwer kommunizierbare sozio-emotionale Situation des Süchtigen erzeugt in Verbindung mit der Ablehnung süchtigen Verhaltens durch die Gesellschaft den Leidensdruck der Sucht. Die individuelle Ausprägung einer Sucht verläuft meist schleichend, d.h. anfänglicher Konsum führte über Gewöhnung zur Abhängigkeit und kann in völligem Zerfall der Persönlichkeit enden. Viele Untersuchungen, u.a. an eineiigen Zwillingen und Adoptivkindern, legen nahe, dass eine Disposition zu süchtigem Verhalten mit näher zu Genetische Ursachen bestimmender Wahrscheinlichkeit vererbbar ist. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass jede Disposition auf entsprechende Umweltbedingungen angewiesen ist, um sich zu äußern. Außerdem konnte bisher nicht der Nachweis spezieller "Suchtgene" erbracht werden - wahrscheinlicher ist, dass ein Zusammenspiel mehrerer Gene möglicherweise eine Disposition zur Sucht erzeugt. Psychoanalytische Theorien gehen davon aus, dass die Grundlage zu süchtigem Verhalten in der präödipalen Phase des Menschen gelegt wird. In dieser Phase ist das Kind völlig von der Mutter abhängig, seine Lebensbedürfnisse werden allein von der Mutter befriedigt. Ausgehend von der Geburt befindet sich der Säugling zunächst in einem Zustand totaler Symbiose mit der Mutter, die er als solche noch gar nicht wahrnimmt. Erst allmählich entwickelt er atavistische Vorstellungen seiner Umwelt, zunächst der mütterlichen Brust. Mit zunehmender Wahrnehmungsfähigkeit und steigenden Bedürfnissen entwickelt er differenziertere Vorstellungen seiner Umwelt und nimmt schließlich die Mutter, dann auch eigene Körperorgane als Objekte wahr, die sogenannten Objektrepräsentanzen bilden sich. In der weiteren Entwicklung verdichten sich diese schließlich zu einer Selbstrepräsentanz, d.h., das Kleinkind entwickelt eine Vorstellung von sich selbst. Treten in dieser Entwicklung tiefgreifende Störungen in Form von Nahrungsentzug oder Versagung anderer elementarer Bedürfnisse auf, D:\75877806.doc 15 Psychoanalytische Theorien Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 kommt es zum Trauma, das sich letztlich beinahe unwiderruflich durch das gesamte zukünftige Leben der betreffenden Person zieht und sich in gestörten Umweltbeziehungen manifestiert, z.B. stark gesteigerter Furchtsamkeit, Reizbarkeit, Misstrauen, Aggressivität etc.. Die einzige Möglichkeit des Betreffenden, diese ihn angehenden Affekte unter Kontrolle zu bringen, liegt darin, sich mit Drogen oder neurotischem Verhalten zu betäuben bzw. in die Phantasie zu flüchten. Ein suchtkranker Mensch ist nach dieser Auffassung daher auf der oralen Stufe stehengeblieben, sodass das Suchtmittel zum Ersatzobjekt für entgangene Zuwendung und Liebe wird. Der suchtgefährdete oder suchtkranke Mensch leidet an Ich-Schwäche und einer Störung des Über-Ich, und bedarf der Wirkung der Droge, um mit Gefühlen wie Angst, Feindseligkeit, Minderwertigkeit und Depression fertig zu werden. Laut Lerntheorien wird süchtiges Verhalten durch bestimmte Schlüsselsituationen ausgelöst und durch Wiederholung erworben. Lerntheorien Schlüsselsituationen sind dabei vor allem die Beobachtung des Verhaltens von Vorbildern und Modellen und deren Nachahmung, wie z.B. der rauchenden Eltern, drogenkonsumierenden Gleichaltrigen, Werbung etc. Wird aus dem nachahmenden Verhalten Genuss gezogen, spricht einiges dafür, dass es in ähnlichen Situationen wiederholt wird. Der Gebrauch kann allmählich zur Gewöhnung und schließlich zur Abhängigkeit führen. Sucht ist die Fixierung auf ein Verhaltensmuster und damit Ausdruck unbefriedigter elementarerer materieller und psychosozialer Lebensbedürfnisse. Der Einstieg in den Suchtmittelkonsum erfolgt daher auch häufig durch Imitation eines Vorbildes, und zwar oft ohne ein originäres Konsumverlangen. Die lustvollen Zustände wirken in der Folge konsumverstärkend und lösen neuerlichen Konsum aus, wobei die durch Drogen erzeugte angenehme Stimmung zusätzlich als Verstärker wirkt. Die Begleitumstände des Konsums - etwa soziale Kontakte oder die Umgebung - können ebenfalls verstärkend wirken oder sogar ins Zentrum des Konsumerlebnisses rücken. Bedeutung kommt den Lerntheorien außer beim Vorbildlernen vor allem im Zusammenhang mit dem Erziehungsstil der Eltern zu, der als Ursache für süchtiges Verhalten der Heranwachsenden diskutiert wird, wenn Eltern die Bedürfnisse ihrer Kinder nach Liebe und Zuwendung mit materieller Zuwendung beantworten, z.B. Süßigkeiten, und damit eine Verschiebung in der Bedürfnisstruktur hervorrufen. Auch eine Gefährdung durch fehlerhafte Erziehungsstile wird in der Literatur genannt, wobei besonders rigide Haltungen, Überliberalität oder Laissezfaire, Overprotection oder Anomiedruck betrachtet werden. Des weiteren sind die massive Verführung zu Suchtmittelkonsum durch Leitbilder und die offene Werbung für Suchtmittel eine Basis für eine lerntheoretische Erklärungsmöglichkeiten der Suchtentstehung. Sozialpsychologische Theorien betonen vor allem die Einflüsse der Umgebung auf die Ausprägung süchtigen Verhaltens. Viele Faktoren wurden auf ihre Wirksamkeit bzgl. einer Suchtentwicklung untersucht, z.B. häusliches Milieu, sozioökonomische Bedingungen, Sozialisation, Schichtzugehörigkeit, Schulleistungen, Zukunftsperspektiven, D:\75877806.doc 16 Sozialpsychologische Theorien Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 gesellschaftliche Strukturen etc. Weitgehende Übereinstimmung scheint in der Bedeutung folgender Faktoren zu bestehen: Persönlichkeitsmerkmale, vor allem Depressivität wird durchgehend genannt - siehe dazu den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Substanzkonsum bei Jugendlichen Vulnerabilitätsmerkmale der Herkunftsfamilien, u.a. rigide Werthaltungen und Rollenverteilungen, aber auch diffuse interne Grenzen bei gleichzeitiger Abschottung von der Umwelt Peer Group, denn der erste Suchtmittelkonsum vollzieht sich in der Regel nicht isoliert, sondern innerhalb einer dieser gesellschaftliche Struktur mit einseitigen Normierungs- und Wertsetzungsprozessen, z.B die Divergenz von Leistungsund Konsumorientierung. Die Prävalenz dieser Faktoren für ein späteres Suchtverhalten ist aber je nach Person verschieden und und verhält sich nicht additiv, d.h. es kommt nicht darauf an, wieviele Faktoren in einer Person zusammentreffen, sondern in welcher Konstellation. Aus soziologischer Perspektive wird die allgemeine Schwierigkeiten des Einzelnen, sich in einer bürokratisierten und hochtechnisierten Soziologische Theorien Gesellschaft zurechtzufinden, verbunden mit seelischen Belastungen, die sich aus gesellschaftlichen und sozialen Orientierungsproblemen ergeben, für die Suchtentstehung verantwortlich gemacht. Schwierigkeiten oder Unfähigkeit, selbstverständlich erscheinende Verhaltensweisen und Gewohnheiten der Gesellschaft zu verarbeiten und auch nach ihnen zu leben, mangelnde Zukunftsperspektiven vor allem im Arbeits- und Ausbildungsbereich, gesellschaftliche Veränderungen und diesbezügliche Konflikte oder eine wachsende Opposition gegen Werte und Normen der "Gesellschaft" können ebenfalls als Auslöser betrachtet werden. Als Anomiedruck äußert sich der Zustand mangelnder individueller Anpassung an neue soziale Tatbestände besonders in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche durch Fehlen entsprechender sozialer Normen, sodass es zu einer Destabilisierung der sozialen Beziehungen sowie der spürbaren Zunahme abweichenden Verhaltens kommen kann. Neuere medizinische Forschungsergebnisse gehen davon aus, dass manche Menschen wegen der Störung ihres eigenen Opioidhaushaltes den Konsum von Opiaten als besonders befriedigend erleben und deshalb besonders anfällig sind, daher ist dieses Erklärungsmodell vor allem auf die Abhängigkeit von Opiaten anwendbar. Demnach wäre Sucht eine Krankheit des menschlichen Stoffwechselsystems. Biologische Theorien zur Suchtgenese machen das mesolimbische System des Gehirns als Sitz des süchtigen Verlangens aus. Dieses System besitzt enge Verbindungen zum Lustempfinden und wird auch als körpereigenes Belohnungssystem apostrophiert. D:\75877806.doc 17 Biologischphylogenetische Theorien Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Es befindet sich in dieser Form außer beim Menschen auch bei anderen höheren Wirbeltieren. So entwickeln auch Ratten und Mäuse in Versuchsanordnungen eine Alkohol- bzw. Opiatsucht, d.h. sie ziehen Alkohol- bzw. Opiatlösungen normalem Trinkwasser vor und behalten dieses Verhalten auch nach einer zwangsweisen Abstinenz von mehreren Monaten bei. Alle Phasen der Sucht - von Rausch bis zum Rückfall, von "Kick" bis "Craving" spielen sich daher im gleichen kleinen Hirnareal ab, dem Nucleus Accumbens, dem Belohnungssystem, das lebenswichtige Vorgänge wie Essen, Trinken und Sex mit einem Lustgefühl verbindet. Dazu schütten die Nervenzellen Botenstoffe, vor allem Dopamin aus. Sämtliche Drogen jedoch stören den Mechanismus dergestalt, dass mehr freies Dopamin übrigbleibt. Das limbische System ist in evolutionärer Betrachtung sehr alt und steht mit Regionen wie dem Thalamus und dem Cortex in enger Verbindung. Seine wichtigsten Teile sind Hippocampus und Amygdala, durch diese werden alle aus der Umwelt eintreffenden Informationen affektiv gefärbt und bewertet, wodurch ihm auch eine relativ zentrale Stellung im Nervensystem zukommt. Sucht kann etwa als Aspekt des phylogenetisch wichtigen Forscher- und Entdeckerdrangs des Menschenbetrachtet werden. In der Jäger- und Sammlergesellschaft war die Fähigkeit des Menschen, sich ganz auf die Nahrungssuche mit dazugehörigem Lebenskampf - z.B. gegen starke Tiere - zu konzentrieren, überlebenswichtig, und dass in Verbindung mit der Befriedigung, die im Falle des Erfolgs daraus resultierte, diese Menschen durchaus als süchtig nach den Tätigkeiten des Sammelns und Jagens bezeichnet werden konnten. Auf diese Weise habe sich die Veranlagung bis heute vererbt, nur dass die Kultur keine Gelegenheit zu solchen Situationen und der daraus resultierenden Befriedigung biete, weshalb sie auf andere Weise gesucht würden. Süchtiges Verhalten sei Ausdruck dieses ursprünglich arterhaltenden Drangs nach Grenzüberschreitung, Erfahrung, Selbstwirksamkeit, letztlich nach Erkenntnis - augenfälligster Ausdruck dafür der Boom der Extremsportarten. Konrad Lorenz spricht vom "Wärmetod des Gefühls" in der Zivilisation: der moderne Mensch ist es nicht mehr gewohnt, Spannungen auszuhalten - muss er es doch, gelingt dies oftmals nur mit Hilfe von Drogen. Insbesondere die Aggressionsenergie bildet sich ständig neu nach und drängt nach Abfuhr. Die neuzeitliche Zivilisation bietet aber kaum sinnvolle Entladungsmöglichkeiten, sodass in der Folge beim Menschen Störungen in der physischen wie auch psychischen Gesundheit entstünden. Für Neurobiologen ist das Gehirn das Reaktionsorgan auf Veränderung, z.B. muss es mit Stress fertig werden. Das Gehirn strebt nun danach, aus dem dadurch entstandenen asynchronen Zustand wieder in einen synchronen zu gelangen. Dazu gibt es vier Möglichkeiten: Drogen wie MDMA (Ecstasy, XTC), die den Botenstoff Serotonin ausschütten und damit chemisch wirken, Rhythmen wie Gehen oder "Rosenkranzbeten, das mantrische Aufsagen von immer Gleichem", Entspannung, wie sie in asiatischer Meditation bewirkt wird, und D:\75877806.doc 18 Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 die Bewältigung des Stress auslösenden Faktors. Diese Theorien rekurrieren auf den Zusammenhang von Sucht und Suchen, wobei die etymologische Verwandtschaft eher zwischen Sucht und Siechen liegt, was aber wiederum auf Suchen im Sinne einer Mythologischexistentielle Theorien Entwicklung verweist. Sucht hat aber etymologisch nichts mit Suchen zu tun. Sucht wird in mythologisch-existentiellen Theorien beschrieben als Suche nach sich selbst, nach dem Sinn des Lebens, nach Wiedergeburt, aber auch nach dem Tod. Betont wird die Nähe dieser Suchprozesse zu Initiationsriten, mit denen bei vielen Völkern - in den technisierten Ländern in rudimentärer Form - die Jugendlichen in die Gesellschaft eingeführt bzw. in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen werden. Petermann & Roth (2003, Universität Leipzig) gingen den Fragen nach, ob ein spezifischer Persönlichkeitstyp Jugendlicher mit dem Substanzkonsum im Zusammenhang steht und ob die typologische Betrachtungsweise diesbezüglich Vorteile gegenüber dem variablenorientierten Ansatz aufweist. Die empirische Basis bildete eine Stichprobe von 1236 Jugendlichen im Alter von 14-16 Jahren. Die Bestimmung der Persönlichkeitstypen erfolgte auf der Basis der "big five" unter Verwendung clusteranalytischer Methoden. Dazu wurden hierarchische und nichthierarchische Verfahren kombiniert und die Clusterlösungen doppelt kreuzvalidiert. Die Angehörigen zweier Cluster konnten durch die entsprechende Ausprägung der "big five" Merkmale und durch Korrelate (internalisierende bzw. externalisierende Symptombelastung) als protektiver (niedriger Neurotizismus, hohe Extraversion, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit) bzw. vulnerabler Persönlichkeitstyp charakterisiert werden. Bei Jugendlichen, die dem protektiven Persönlichkeitstyp zugeordnet wurden ließ sich ein signifikant geringerer Konsum der Substanzen Tabak, Alkohol und Marihuana feststellen. Der Vergleich zwischen dem typologischen und dem variablenorientierten Ansatz der Persönlichkeitsklassifikation bezüglich des Substanzkonsums Jugendlicher erfolgte durch den Einbezug der Variablen Sensation Seeking. Es konnte gezeigt werden, dass der in der Literatur belegte Zusammenhang von Sensation Seeking mit dem Substanzkonsum zwar existiert, durch die Berücksichtigung von Persönlichkeitstypen aber deutlich relativiert wird. D:\75877806.doc 19 Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Substanzkonsum Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Essstörungen Generell stellt es sich als sehr schwierig dar, eine klare Grenze zwischen (gestörtem) Essverhalten – im Rahmen einer Diät, der Pubertät oder krisenhaften Lebensphasen – und dem Einsetzen einer Suchtthematik zu ziehen. Hierbei kann im Wesentlichen die Essstörung Sucht Umschreibung einer psychischen Krankheit nach dem Bundesministerium für Gesundheit und Frauen helfen: Eine psychische Krankheit wird manifest, sobald sich die Betroffenen und/oder ihre Umwelt "deutlich in ihrem sozialen, beruflichen oder privaten Leben eingeschränkt" fühlen. Dies betrifft einerseits die verschiedenen Formen von sozialem Rückzug und Vereinsamung, Leistungssteigerung und stärkerer "Verkopfung", andererseits das Essverhalten der Betroffenen, gepaart mit Schwächegefühlen und körperlichem Verfall. In Österreich sind nach Schätzungen rund 40.000 Kinder von Gewichtsproblemen betroffen, wobei die Ursachen für Übergewicht und Fettleibigkeit nur in seltenen Fällen in der genetischen Ausstattung zu suchen sind, vielmehr sind es falsches Essverhalten und zu wenig Bewegung. Da 85 % der übergewichtigen Kinder auch stark übergewichtige Eltern haben, dürften die Eltern als Vorbilder in Bezug auf Ess-, Trink- und Bewegungsverhalten betrachtet werden. Drei Arten von Essstörungen treten besonders häufig auf: Die Magersucht (Anorexia nervosa), mit einer Häufigkeit von 0,5 – 1 % der hauptsächlich betroffenen Altersgruppe relativ selten. Arten von Essstörungen Anorexia nervosa Im Vergleich dazu erkranken zwischen 2 und 5 % von Frauen der Gruppe 14 – 25jähriger an Ess-Brech-Sucht. Die so genannte Bulimie (Bulimia nervosa) ist damit die bei Bulimia nervosa weitem am häufigsten vertretene Form der Essstörungen. Eine dritte Form von gestörtem Essverhalten fand erst in den letzten Jahren in die wissenschaftliche Forschung zu den Krankheitsbildern von Essstörungen: Das so genannte Binge-Eating-Syndrom bezeichnet wiederkehrende, unkontrollierte Essanfälle ohne nachfolgendem Erbrechen. Dieses Symptom soll in dieser Arbeit aber nur am Rande Binge-EatingSyndrom in aller Kürze behandelt werden. Bei jüngeren Männern - aber auch bei immer mehr Mädchen - findet man häufig die Anorexia athletica (Sport-Sucht). Eine neuere Form der Essstörung auch bei jungen Menschen ist die Orthorexia nervosa (griechisch: orthos = richtig, orexis = Appetit) - der krankhafte Zwang, sich gesund zu ernähren. Diese entsteht aus der ständigen Sorge um die eigene Gesundheit, die auch in den Massenmedien verstärkt vermittelt wird. Die Betroffenen denken täglich viele Stunden an gesundes Essen, wobei die Anzahl der konsumierten Nahrungsmittel stark eingeschränkt wird. Der gesundheitliche Wert der Speisen ist dabei wichtiger als das Vergnügen. Personen, die an Orthorexia nervosa leiden, versuchen ihre Mitmenschen zu missionieren, da sie nicht mehr mitansehen können, wie die Umgebung ungesunde Nahrung zu sich nimmt. Häufig kommt es bei diesen Personen auch zu einem Rückzug aus dem Sozialleben. Auch psychischen Störungen können Untergewicht bedingen, beispielsweise Paranoia, verschiedene Formen an Phobien oder eine Depression. Wie bereits erwähnt dienen in diesem Bereich dann vor allem die panische Angst vor Gewichtszunahme, die D:\75877806.doc 20 Anorexia athletica Orthorexia nervosa Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Verleugnung des eigenen (Krankheits)Zustandes und eine körperliche, oft auch mentale Überaktivität der PatientInnen als Abgrenzungskriterien einer manifesten Essstörung Kaum eine andere psychische Störung ist in den letzten Jahren so häufig in der Presse erwähnt worden wie die Anorexie. Immer wieder wird von "Berühmtheiten", insbesondere von Models oder Schauspielerinnen behauptet, sie seien magersüchtig. Das Phänomen der hungernden Frauen war schon im Mittelalter bekannt. Die Anorexia mirabilis, wobei die wundersame Appetitlosigkeit bei jungen Frauen auftrat, die aus religiösen Gründen fasteten. Nicht wenige wurden als Heilige verehrt, die bekannteste von ihnen ist Katharina von Siena. Obgleich es viele Parallelen zu den heutigen Magersüchtigen gibt, existieren auch grundlegende Unterschiede. Die mittelalterliche Asketin strebte danach, durch Fasten die Schönheit der Seele zu vervollkommnen im Sinne eines religiösen Ideals. Das Krankheitsbild der Anorexia nervosa ist erstmals bereits 1873 beschrieben worden, die Diagnose wird aber erst seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts häufiger gestellt, wobei nicht eindeutig gesagt werden kann, ob die Krankheit in der heutigen Gesellschaft tatsächlich häufiger auftritt, oder ob die gestiegene Aufmerksamkeit dazu führt, dass die Krankheit häufiger diagnostiziert wird. Wörtlich übersetzt bedeutet Anorexie "Appetitverlust oder -verminderung" - eine irreführende Bezeichnung, da nicht unbedingt der Appetit, sondern in erster Linie das Essverhalten gestört ist. Der Zusatz "nervosa" weist auf die psychischen Ursachen der Essstörung hin. Die an dieser Störung leidenden Frauen haben keinen Appetitmangel, sondern bekämpfen ihren Hunger. Die Anorexia nervosa ist dadurch gekennzeichnet, dass die betroffenen Frauen sich weigern, ein altersentsprechendes Normalgewicht zu halten (weniger als 15 Prozent des Normalgewichts oder weniger als ein Body-Mass-Index von 17,5). Zentrales Leitmotiv ist der Wunsch nach extremer Schlankheit und Selbstbestimmung. Alle Versuche der Umwelt zu helfen werden als unzulässige Einflussnahme abgewehrt. Häufig besteht eine intellektuelle und körperliche Überaktivität, trotz vorhandener körperlicher Einschränkungen. Die Unterscheidung der Anorexie von der anderen bekannten Essstörung, der Bulimie, ist im Einzelfall oft schwierig. Zwar sind beide Krankheitsbilder jeweils durch typische Merkmale gekennzeichnet (die Anorexie durch starken Gewichtsverlust, die Bulimie durch das Auftreten von Essanfällen und Maßnahmen zur Gewichtsreduktion z.B. Erbrechen), der Übergang ist jedoch fließend. Bei vielen Patientinnen tritt eine Mischung von Symptomen auf, man spricht dann von einer Bulimanorexie. Gemeinsames Merkmal magersüchtiger Mädchen und Frauen ist nicht die Appetitlosigkeit (Anorexia nervosa), sondern die Angst vor dem Essen, gekoppelt an eine panikartige Furcht vor Gewichtszunahme. Die heutige Anorektikerin strebt eher nach einer Vollkommenheit des Körpers im Sinne eines gesellschaftlichen Schönheitsideals Magersüchtige sind überaus intelligente, sozial sehr sensible Menschen, welche nach völliger Vergeistigung und Reinheit streben. Sie wollen frei von jeglichen Abhängigkeiten sein (Alkohol, Koffein, Vergnügungssucht) und lehnen materielle Gier und Leidenschaft zur Gänze ab – unabhängig davon, wie sie vor dem Auftreten der Sucht lebten. Die Krankheit leistet also verschiedene Ersatzfunktionen in Bezug auf die Befriedigung von Selbstverwirklichungsbedürfnissen. Kranke stellen an sich den Anspruch, trotz Mängeln zur Elite zu gehören, sie empfinden sich selbst nur bei Höchstleistungen als liebenswert, definieren sich rein über ihren Einsatz im Arbeitsleben, D:\75877806.doc 21 Magersucht Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 in der Familie und in ihren Ernährungsgewohnheiten. In allen Fällen dient die Magersucht also dazu, das unsichere, gefährdete Ich zu schützen und zu stärken. Lücken im Selbstbewusstsein, eine unterdrückte Persönlichkeit werden durch das "schöne" Leistungs-Ich ersetzt (vgl. Gerlinghoff & Backmund 1999, S. 50f). Gerade für Mädchen mit geringem Selbstbewusstsein kommt der Pubertät als Zeit der Identitätsfindung, als Periode des Erwerbs von Selbstkompetenz, übergroße Bedeutung zu. Entwicklungsaufgaben wie die sexuelle Reifung, eine (oft noch ungewollte) Ablösung von Eltern, altersgerechter Eigenständigkeit und eigener Körperverantwortung überfordert diese Jugendlichen aus einem Mangel an gesundem Selbstbewusstsein. Habermas bezeichnet eine Essstörung, welche in dieser Entwicklungsphase entsteht, als "neurotischer Bewältigungsversuch zentraler Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz" (Habermas 2002, S. 856). Ein verzweifeltes Ergreifen der Initiative und Kontrolle im eigenen Leben oder in der klar Die "Sprache" der strukturierten Familienrolle ist das Abmagern als Behauptung gegenüber Eltern als "stille Magersucht & Revolution". Die Krankheit als von der Person unabhängiger Einflussfaktor legitimiert für Bulimie die Jugendlichen ein Verhalten, welches den Wünschen der Eltern zuwider läuft, ohne dass zunächst ein offener Konflikt vom Zaun gebrochen werden muss. Nahrung, oder der Verzicht darauf, dienen unter diesen Umständen als Mittel zur Gefühlsunterdrückung oder Konfliktvermeidung. Als Antwort auf Überforderung, innere Leere, die Angst vor Nähe, Ärger oder Einsamkeit beschäftigen sich Abhängige mit dem Essen und lenken sich selbst in dieser Weise von der realen, sie umgebenden Tristesse ab (vgl. Lamers 2000, S.12f). Für das subjektive Empfinden junger Betroffener bildet der Abnehmprozess, die von den Eltern nicht geduldete aber ebenso wenig verhinderbare Veränderung des Verhaltens, eine Lösung von der Familie. Objektiv betrachtet begeben sich die Kranken aber zunehmend in die Abhängigkeit von den sie betreuenden Erziehungsberechtigten. Vor allem durch körperliche, aber auch durch krankheitsbedingte seelische Labilität sind die Magersüchtigern immer weniger entwicklungsfähig. Die Adoleszenz stagniert (vgl. Habermas 2002, S. 857f). Im Allgemeinen bleibt die Anorexie noch eine seltene Krankheit, die sich um so penetranter an den Erkrankten anhaftet. In den seltensten Fällen kann eine Magersucht vollständig geheilt werden, meist finden Gewillte auf Dauer einen Weg, sich ausreichend zu ernähren und ein sozial unauffälliges Leben zu führen. Langzeitstudien attestieren allerdings eine Mortalitätsrate unter AnorektikerInnen von 3-18% in 30 Jahren, meist bedingt durch Suizid als Endpunkt eines verzweifelten Kampfes mit oder gegen das tägliche Leben oder durch die Folgeschäden exzessiven Alkoholmissbrauchs zum leichteren Auslösen eines Erbrechens in Fällen bulimischer Anorexie (vgl. Habermas 2002, S. 849f). Die eine Sucht begünstigenden genetischen Dispositionen bleiben über die Krankheit hinaus in den Patienten verankert und spielen auch im weiteren Leben ein große Rolle – in der überwiegenden Anzahl Krankheitsgeschichten kommt es zu situationsbedingten Rückfällen (vgl. Gerlinghoff & Backmund 2000, S. 23f). Als Ursache für gerade pubertätsbedingte Formen der Magersucht kann also einerseits die stärkere Beurteilung von Frauen nach Aussehen, Schönheit, und Körperlichkeit, andererseits das Familiengefüge oft über Jahre auf die Erkrankenden wirken. Die weibliche Rolle, dem Druck, gleichzeitig beruflich erfolgreich zu sein und Schönheitsideal D:\75877806.doc 22 Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 zu entsprechen, gerecht zu werden, wollen Mädchen mit geringem Selbstbewusstsein zum Erwachsenwerden unbedingt genügen, um geliebt und sozial anerkannt zu werden. Dem Abgleiten in eine Sucht als massive psychische Störung dienen aber nicht nur Lebensumstände und genetische Dispositionen, sondern vor allem auch Auslösersituationen wie lebensgeschichtliche, traumatische Erfahrungen. Generell ist aber eine Essstörung, wie ausführlich beschrieben, stets Ausdruck einer tiefen Selbstwertproblematik (vgl. Stampler 2005, S. 28f). Ausgelöst wird die Magersucht häufig während der Pubertät, wenn der Körper des Symptome jungen Mädchens weibliche Formen zu entwickeln beginnt. Die innere Verunsicherung, die Zweifel und die Ängste, die diese Veränderung mit sich bringt, wird häufig an der äußeren Erscheinung, dem Gewicht festgemacht. Magersüchtige Mädchen beginnen an ihrem Körper zu leiden, fühlen sich, selbst bei bedrohlichem Untergewicht, zu dick. In der Regel nehmen sie über lange Zeit hinweg nur minimale Mengen niederkalorischer Nahrungsmittel zu sich, z.B. pro Tag zwei Möhren und einen Apfel, und erreichen damit ein extrem niedriges Gewicht. Das extreme Hungern ist für die Betroffenen von unterschiedlicher Bedeutung. Oftmals sind die Mädchen und Frauen von einem asketischen Stolz erfüllt, überlegen zu sein und nicht so schwach wie die anderen, die sich mit "schlechten" Nahrungsmitteln vollstopfen. Das Überlegenheitsgefühl geht oft einher mit einem starken Ehrgeiz und einer erstaunlichen Leistungsfähigkeit in Schule, Beruf oder Sport. Dabei haben sie einen ausgeprägten Willen, ihren Körper zu beherrschen. Körpersignale wie Hunger, Müdigkeit oder Kälteempfinden werden entweder fehlgedeutet oder ihnen wird nicht entsprochen. Die Sehnsucht nach Zuwendung und Geborgenheit wird unterdrückt. Grundsätzlich fällt es den anorektischen Frauen schwer, ihre Symptomatik als Krankheit anzuerkennen. Je länger die Magersucht besteht, desto wahrscheinlicher wird es, dass es durch das aufgestaute Essverlangen zu "Fressanfällen" kommt. Diese Essattacken werden entweder durch künstlich herbeigeführtes Erbrechen, durch Abführmittel oder durch Einläufe bekämpft (Bulimanorexie). Körperliche Folgeerscheinungen: Ausbleiben der Menstruationsblutung Chronische Verstopfung Niedrige Pulsfrequenz Niedrige Körpertemperatur Stoffwechselstörungen. Anorexie beginnt oft schon in der frühen Jugend, häufig kurz nach dem Einsetzen der ersten Menstruation. Neben diesem Erkrankungsgipfel um das 14. Lebensjahr, tritt die Störung auch etwa im 18. Lebensjahr gehäuft auf. Bei der Entstehung der Anorexie wirken verschiedene Faktoren zusammen, die sich gegenseitig beeinflussen. In der Graphik sind diese Einflüsse zusätzlich visuell dargestellt. D:\75877806.doc 23 Faktoren Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Die Tatsache, dass Anorexie besonders häufig während der schwierigen Entwicklungsphase der Pubertät beginnt, hat zu der Ansicht geführt, dass die Erkrankung auftritt, wenn die junge Frau sich von der Bewältigung der alterstypischen Anforderungen überfordert fühlt. Während der Pubertät entwickelt sich das Mädchen zur Frau und muss eine entsprechende neue Identität finden. Fühlt sich die Betroffene davon überfordert, entsteht ein tiefes Gefühl der Unsicherheit. Die psychoanalytische (triebtheoretische) Erklärung versteht daher die Magersucht als eine Form der Abwehr sexueller Wünsche und als die Möglichkeit, psychosexuelle Entwicklungskrisen in der Pubertät zu beenden, um damit in die scheinbar heile Kinderwelt zurückzukehren. Anzeichen dafür sind, dass der Körper bei der Magersucht teilweise um seine sekundären Geschlechtsmerkmale beraubt wird. So wird die sexuelle Signalwirkung des Körpers reduziert. Ebenso bestätigt das Ausbleiben der Monatsblutung die oben genannte These. Sexuelle Regungen werden bei Magersüchtigen häufig nicht oder angstbesetzt wahrgenommen. Für viele Patientinnen scheint der Versuch, Kontrolle über ihr Körpergewicht ausüben zu können, ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Das Körpergewicht wird eine wichtige Quelle für ihr Selbstwertgefühl. In den Familien anorektischer Patientinnen sind häufig bestimmte Verhaltensmuster festgestellt worden. Die Patientinnen werden oft von ihren Eltern stark behütet, d.h. dass auch in der Familie nicht angemessen auf die Entwicklung des Kindes zur Frau reagiert wird. Ebenso scheinen Konflikte in der Familie in vielen Fällen nicht angesprochen zu werden. Allerdings handelt es sich bei diesen Feststellungen um reine Beschreibungen typischer familiärer Verhaltensmuster; es ist durchaus möglich, dass diese nicht die Ursache, sondern die Folge der Erkrankung sind. Hier setzt das familiendynamische Erklärungsmodell an, betrachtet das System Familie als Ganzes und untersucht die Interaktionen zwischen den Familienmitgliedern. Die Magersüchtigen werden unter dieser Perspektive nicht isoliert betrachtet, sondern im Familienkontext, z. B. die Beziehung zu Eltern und Geschwistern. Magersucht tritt häufig in Familien mit starken Bindungen auf, in denen ein großes Harmoniebestreben herrscht. In diesem Familiensystem haben Magersüchtige als Symptomträger eine wichtige Funktion. Die Krankheit kann zur Aufrechterhaltung des Familienzusammenhaltes sowie der Ableitung von Spannungen und Konflikten dienen. Die Anforderungen an die Familienmitglieder sind D:\75877806.doc 24 Psychologische Einflüsse Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 in solchen Bindungsfamilien sind in der Regel sehr hoch. Das Krankheitsbild der Anorexie ist gerade für die Eltern sehr besorgniserregend, was dazu führen kann, dass sie ihr Kind schützen und von Konflikten fernhalten möchten. Gesellschaftliche Einflüsse: In westlichen Gesellschaften hat sich das Schönheitsideal seit Anfang der 60er Jahre immer mehr in Richtung eines sehr schlanken Körpers entwickelt. Paradoxerweise ist es auf der anderen Seite durch relativen Wohlstand und ein Nahrungsüberangebot gleichzeitig zu einem Anstieg des Durchschnittsgewichts gekommen. Übergewicht wird insbesondere bei Frauen gesellschaftlich sehr negativ bewertet. Übergewichtige Männer werden als stattlich bezeichnet, Frauen hingegen als fett. Durch Werbung und Filme erhält man den Eindruck, dass nur schlanke Frauen erfolgreich und beliebt sind, dicke Frauen sind entweder graue Mäuse oder "Ulknudeln". Gerade junge Frauen, die während der Pubertät körperliche Veränderungen durchlaufen und erst ein Gefühl für ihren "neuen" Körper entwickeln müssen, können durch dieses Schlankheitsideal stark verunsichert werden. Die Behandlung von Anorektikern hängt eng mit der Entwicklung der Familientherapie zusammen. Es hat sich bestätigt, dass Essstörungen oft mit gestörten Familienbeziehungen einhergehen und die essgestörten Töchter - seltener Söhne stellvertretend für die ganze Familie ein Krankheitssymptom entwickeln. Anorektiker leben häufig in Familien, in denen es ein Ideal des Familienzusammenhalts, der Aufopferung und Harmonie gibt. Die eigenständige Entwicklung eines Familienmitgliedes ist häufig real oder in der Phantasie problematisch. In der anorektischen Erkrankung gelingt eine Distanzierung von der Familie und von wichtigen Bezugspersonen, ohne diese zu verlassen. Das Mittel der Wahl in der Behandlung der Anorexie ist die Psychotherapie, wobei eine speziell geschulte Therapeutin oder ein Therapeut konsultiert werden sollte, da die körperliche Situation in die Therapie mit einbezogen werden muss, denn eine Verleugnung von Untergewicht kann lebensgefährlich werden. Bei einem BMI unterhalb von 15 (Jugendliche 14,5) ist eine stationäre internistische Akutbehandlung zur Ernährung notwendig. Bei einem schweren Verlauf der Erkrankung sollte eine stationäre psychotherapeutische Behandlung eingeleitet werden. Die Schwierigkeit bei der Behandlung von Essstörungen liegt darin, eine Balance zu finden zwischen der Beachtung der physischen Probleme, die jede Art von Aufmerksamkeit und Konzentration unmöglich machen und vor allem schnell lebensbedrohlich werden können, und der Richtung des Augenmerks auf das, was hinter der Sucht liegt. Bei schlechter physischer Verfassung kann eine ärztliche Behandlung oder sogar die Einweisung in ein Krankenhaus unbedingt notwendig sein. Erzwungene Maßnahmen berücksichtigen jedoch nicht, dass die Betroffenen die Situation selbst meistern können sollte und behindern somit vorerst die Möglichkeit, allmählich eine eigene Kontrolle aufzubauen. Eine an Zwangsmaßnahmen anschließende Therapie müsste daher dazu beitragen, eigene Gefühle und Grenzen kennenzulernen und zuzulassen. Ein weiteres Ziel jeder Therapie muss sein, den eigenen Körper zu akzeptieren und Bedürfnisse nicht mehr nur mit dessen Hilfe auszudrücken. Eine Behandlung, die sich nur auf die körperlichen Symptome der Betroffenen konzentriert, kann natürlich nicht die Sucht selbst beseitigen. Magersüchtige D:\75877806.doc 25 Therapie Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Patientinnen, die in einem Krankenhaus künstlich ernährt werden, haben dadurch noch lange nicht ihre Essverhalten geändert und erleiden nach der Entlassung oft sofortige Rückfälle. Als Ergänzung zu anderen Maßnahmen helfen auch Medikamente, die Heißhungeranfälle und depressive Verstimmungen dämpfen können, welche oft Begleiterscheinungen von Essstörungen sind (Serotoninregulation). Die Psychoanalyse geht davon aus, dass unbewusste und unbewältigte Konflikte der Kindheit die Ursache psychischer Störungen sind. Dies ist zumindest teilweise auch bei Essstörungen der Fall. Ziel dieser therapeutischen Behandlung ist es, Beziehungsmuster und unverarbeitete Probleme bewusst zu machen und dadurch zu verarbeiten. Die akuten Symptome (z.B. die Sucht ) werden außer acht gelassen, da man davon ausgeht, dass sie automatisch verschwinden, wenn die Verletzungen der Vergangenheit bewältigt sind und alte Verhaltensmuster erkannt wurden. Die Gesprächspsychotherapie, z.B. die klientenzentrierte Ausprägung bei Rogers, beschäftigt sich im Gegensatz zur Psychoanalyse mit den aktuellen Problemen der Patientinnen. Der Therapeut verbalisiert regelmäßig, wie die Erzählungen und die Körpersprache der Betroffenen auf ihn wirken und vermittelt ihr dadurch eine Art Spiegelbild, sodass die Betroffenen in die Lage sind, sich praktisch "von außen" zu betrachten. Dieser veränderte Blickwinkel bringt es oft mit sich, dass die Klientin ihr Handeln und Erleben besser versteht, sie es aber auch ändern kann. Der Therapeut gibt jedoch grundsätzlich keine Handlungsanweisungen, denn die Änderung der problematischen Verhaltens -weisen soll durch Selbsterkenntnis erfolgen. Bei der Verhaltenstherapie geht es darum, unerwünschtes Verhalten zu erkennen und Alternativen zu entwickeln. Es wird davon ausgegangen, dass jedes erlernte Verhaltensmuster auch wieder verlernt werden kann. Bei einer Essstörung analysiert man, unter welchen Bedingungen sich das gestörte Essverhalten entwickelt hat und warum es aufrechterhalten wird. Da die Essstörung in vielen Fällen als Ersatz für fehlende Konzepte zur Lösung von Problemen und Konflikten dient, werden neben der "Symptombehandlung" andere Konfliktlösungsstrategien erarbeitet, die auf Dauer eine Stabilisierung der Fortschritte bewirken sollen. Zu Beginn der Therapie werden kurz -, mittel - und langfristige Ziele festgelegt und es wird gemeinsam erarbeitet, wie man sie erreichen kann. Es werden Regeln entwickelt, die zum Aufbau eines gesunden Essverhaltens beitragen sollen, z.B. mit Hilfe von Selbstbeobachtungsprotokollen die von der Patientin geführt werden müssen. Sie helfen, Auslöser, Art und Schwere der Erkrankung zu erkennen und Therapieziele zu kontrollieren. Situationen, in denen es zu einer Verschlimmerung der Symptome kommt, werden auf diesem Weg erkannt und alternative Verhaltensweisen können entwickelt werden. In einer Gruppentherapie fördert die ähnliche Problematik aller Teilnehmerinnen das Gefühl, in der Sucht nicht alleine zu sein. Die Selbstexploration wird gefördert; man hat die Möglichkeit, sich in den Geschichten der anderen selbst wieder zu entdecken. Die Gruppe wirkt häufig als Gegengewicht zu den sehr engen und verstrickten Beziehungen innerhalb der Familie. Bei Gruppen mit Essstörungen haben sich besonders Körperübungen bewährt. Berührungen, Massagen und Wahrnehmungsübungen fördern das Vertrauen zwischen den Betroffenen und helfen, das verzerrte Bild des eigenen Körpers realistischer einzuschätzen und zu korrigieren. Probleme entstehen vor allem dann, wenn die Betroffenen beginnen, miteinander zu konkurrieren. Besonders magersüchtige Frauen vergleichen sich ständig mit anderen und versuchen, weniger zu wiegen, wie ihr Umfeld. D:\75877806.doc 26 Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 Da die Ursachen oder Auslöser von Essstörungen oft im familiären Bereichliegen und diese Ausdruck für die Konflikte sind, die in der Familie existieren, kann eine Familientherapie angebracht sein, denn jedes Mitglied wird damit zu einem mehr oder weniger großen Teil der Sucht und wird in die Behandlung mit einbezogen. Oft ist nicht klar, wieviel eine Person im Familiensystem mit seinem eigenen Verhalten zur Entstehung und Beibehaltung einer Sucht beiträgt, daher kann das mit Hilfe einer Familientherapie analysiert und verändert werden. Alte, unbewusste Strukturen werden auf diesem Weg aufgebrochen und es wird klar, dass die Essstörung oft nur ein Symptom für ein Problem ist, das die gesamte Familie betrifft und unbewusst oder bewusst totgeschwiegen wird. Im Psychodrama werden Gefühle und Ereignisse nicht nur beschrieben und analysiert, sondern aktiv ausgedrückt. Es gibt dabei keine Zuschauer; auch die anderen Gruppenmitglieder sind in der Regel an der Darstellung der einzelnen, persönlichen Problematik beteiligt. Konflikte können auf diesem Weg aufgearbeitet werden. Alte Verhaltensmuster kristallisieren sich deutlich heraus und können mit Hilfe der Gruppe durch neue ersetzt werden. Festgefahrenes Verhalten kann durch die Methodik des Rollentausches erkannt und verändert werden. Das Psychodrama bietet die Möglichkeit, sich selbst von anderen darstellen zu lassen und damit einen tieferen Einblick in die eigene Persönlichkeit zu gewinnen. Betroffene können in Rollen schlüpfen, die ihnen bisher fremd waren und damit zum Beispiel lernen, Aggressionen und Gefühle besser zu äußern. Da das Psychodrama die verbale Kommunikation überschreitet, und den Akzent auf das handelnde Moment legt, bedient es nicht das Verlangen nach Versorgung, das mit einer jeden Sucht verbunden ist, sondern das Geheimste und Stummste einer Esssüchtigen wird öffentlich und erhält Sprache. Prognose Nach einer Behandlung zeigt sich bei etwa 30 % der Patientinnen eine vollständige Besserung, d.h. sie erreichen zumindest annähernd das Normalgewicht und haben regelmäßig ihre Menstruation. Bei 35% lässt sich zwar eine Gewichtszunahme feststellen, der Bereich des Normalgewichts wird allerdings nicht erreicht. Das Krankheitsbild bleibt bei ca. 25% der Betroffenen chronisch bestehen. Etwa 10% sterben infolge der Anorexie. Auch nach einer Gewichtsnormalisierung hält bei vielen Betroffenen die verzerrte Einstellung zu Gewicht und Figur an. Generell sind die Besserungschancen aussichtsreicher, wenn die Erkrankung früh begonnen hat. Bei einem sehr frühen Beginn vor dem 11. Lebensjahr ist die Voraussage dagegen deutlich schlechter. Nicht selten werden Essstörungen bei TeenagerInnen als erstes von ihren Lehrkräften erkannt, noch bevor beispielsweise die Eltern den Zustand des Sprösslings wahrnehmen (wollen).Gerade LeibeserzieherInnen sind in diese Richtung oft sensibilisiert, achten sie doch neben Schaffung eines körperlichen Ausgleichs für die Jugendlichen auch verstärkt auf die Gesundheit ihrer Zöglinge. Nicht jedes Unterrichtsfach eignet sich in gleicher Weise für die Ansprache gesundheitsbezogener Themen, erinnert man sich aber der Rahmenlehrpläne für berufsbildende höhere Schulen und deren Bildungsaufgaben, so rechtfertigt das Ziel der Erziehung der Schützlinge zu selbstständigen, verantwortungsvollen, entscheidungsfähigen Persönlichkeiten jede Art der Auseinandersetzung mit Themen wie Entwicklungsstörungen innerhalb des gesamten Fächerkanons. In diesem Kontext sollte auch dem kollegialen Austausch der Lehrkräfte untereinander mehr Tribut gezollt werden. Erfahrungsaustausch und in weiterer Folge auch das Geben von Ratschlägen und Hilfestellungen, das Erbitten von Unterstützung D:\75877806.doc 27 Schulische Prävention Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 durch andere Lehrpersonen, nehmen den Druck von Verantwortung und/oder Hilflosigkeit von den einzelnen LehrerInnen. Eine professionelle Herangehensweise von Lehrkräften an die Suchtthematik und/oder an gestörtes Essverhalten bedingt in erster Linie Wissen über die Krankheiten, ihre Symptome und ihre Entstehung sowie Möglichkeiten zur Prävention und Therapie. Man kann diese heuristisch orientierte Vorgehensweise in folgenden Einzelschritten beschreiben: Signale erkennen Festhalten von Tatsachen Reflexion Gespräch mit den Betroffenen Leider sind in diesem Kontext noch sehr wenige Informationen und Materialien an Schulen vorhanden, Interessierte müssen sich weitgehend selbst Unterlagen organisieren. In diesem Kontext ist im Bezug auf die Bewältigung von Essstörung (Erkennung, Prävention und Vermeidung) an den Schulen eine enge Zusammenarbeit von LehrerInnen, Eltern und SchulärztInnen anzuraten. Durch gegenseitige Information, den angeregten Dialog ist es eher möglich, Schritt für Schritt gegen die Krankheit des/der Betroffenen vorzugehen – ob durch direkte Interaktion mit der/dem Betroffenen oder durch indirekte Maßnahmen. Magersüchtige sind meist die Klassenbesten, fallen zu Beginn ihrer Krankheit vor allem durch Ehrgeiz, Konsequenz und Strebsamkeit auf. Die ganze Persönlichkeit der Betroffenen scheint zunehmend leistungsorientiert zu werden. Da die Erkrankten oft dennoch sehr beliebt in ihrer Peergroup sind, werden diese Anstrengungen von Erziehungsberechtigten oft als Reifung, als Enthusiasmus missgedeutet. Erst wenn die Opfer immer deutlicher durch die Sucht beherrscht werden, sich ihre Körperlichkeit ändert und daraus unmittelbar der soziale Rückzug folgt, offene Depression oder Aggression sowie Weinerlichkeit resultieren, zwingen die Kranken ihr Umfeld zu einer neuen Wahrnehmung, wenn sie auch mit größter Mühe ihr Leistungsniveau und ihr "öffentliches Gesicht" aufrecht erhalten. Engagierte PädagogInnen haben durchaus die Möglichkeit, Kranke anzusprechen – selbstredend unter vier Augen nach Maßgabe der persönlichen Vertrauensverhältnisse und der Gesprächsbasis zwischen Erziehendem/Erziehender und SchülerIn. Allerdings stoßen solche Versuche, mögen sie auch noch so gut gemeint sein, zumeist auf die Ablehnung der Betroffenen.. LehrerInnen sollten sich also auf eine mögliche Enttäuschung und Zurückweisung vorbereiten, bevor sie die Kranken mit deren Symptom konfrontieren. Essgestörte sehnen sich in den meisten Fällen nach Zuwendung und Aufmerksamkeit, stecken aber bereits zu tief im Suchtverhalten, um nicht von der Angst beherrscht zu werden, Kontakt nach außen könnte sie von der Verfolgung ihrer (Essens)Ziele abhalten. Gelingt in diesem Sinne eine direkte Kontaktaufnahme zu den PatientInnen nicht, bleibt interessierten Lehrkräften immer noch die Möglichkeit, indirekt als Vorbild auf die Kinder einzuwirken, ihnen eine andere Erwachsenenrolle vorzustellen als jene, die die Sprösslinge aus dem Elternhaus kennen. Lehrkräfte sollten sich aber bei jedem Interaktionsversuch bewusst sein, dass die Möglichkeiten einer Kontaktauf- oder Einflussnahme äußerst begrenzt sind und sehr bald in den Tätigkeitsbereich von PsychotherapeutInnen übergehen (vgl. Diketmüller 2004, S. 2). Jedenfalls sollten im D:\75877806.doc 28 Pädagogische Psychologie SE BG-3. Semester Gruppe 3 gesamten Verlauf einer Krankheit Solidarität mit und Verständnis für die Kranken gezeigt werden. Nur daraus kann im Laufe der Zeit auch das Vertrauen der SchülerInnen aufgebaut werden. Eine Schule kann in diesem Zusammenhang ihren Lehrkräften folgende Möglichkeiten zur Erweiterung ihres Aktionsradius anbieten: Die Aus- und Weiterbildung in Richtung eines sichereren Diagnose- und Überweisungsverhaltens, die Schulung von Mediations- und Interaktionsfähigkeiten Workshops zur Sensibilisierung, Beratung, Information psychosoziale Unterstützung (Supervision) der Lehrkräfte selbst sowie das Anhalten der Lehrkräfte aller Schulfächer, Ernährungs- und Körperwahrnehmungsthemen in den Unterrichtseinheiten anzusprechen. Dies betrifft sowohl die Verknüpfung von Essen und Gefühlen als auch die Interpretation von Selbstwert und Rollenbild der modernen Frau, die Herstellung einer Beziehung der SchülerInnen zum eigenen Körper sowie den Versuch, soziale Netzwerke in der Klasse aufzubauen und die Sprösslinge zu motivieren, über andere Wege als schulische Leistungen und körperliche Merkmale Selbstbestätigung zu finden. Zu guter Letzt fällt den Lehrkräften meist auch die unangenehme Aufgabe zu, die betroffenen Eltern mit der Krankheit ihrer Zöglinge zu konfrontieren bzw. dieses Thema erstmals öffentlich anzusprechen. Zeigen die Erziehungsberechtigten Kommunikationsbereitschaft, ist ein diskretes Gespräch mit beiden Elternteilen anzuraten, das allerdings nicht ohne das Wissen der/des Kranken stattfinden sollte. Im Dialog können Hilfestellungen, Informationen und Adressen angeboten werden. Auch ist in diesem Rahmen die Möglichkeit gegeben, zu professioneller Begleitung zu raten und entsprechende Kontakte zu ermöglichen. Eine wichtige Rolle spielt dabei, den Eltern bewusst zu machen, dass sie nicht die Schuld an der Krankheit ihres Kindes tragen. Auch bei größtem Bemühen hätte die Familie die Krankheit ihres Sprosses weder verhindern können, noch werden sie in der Lage sein, diese zu beenden D:\75877806.doc 29