Discussion:

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VL: Philosophie der Evolution
Ws 2010/11
(Gerhard Schurz) Folien
Mi 11-13 Uhr, Hs 3F
1) 13.10. Metaphysisch-normative Entwicklungstheorien: Kreationismus und
Teleologie
20.10. entfällt wegen Konferenzreise
27. 10. Die Entstehung der Darwinschen Evolutionstheorie
03. 11. The Modern Synthesis: Grundzüge der gegenwärtigen Evolutionstheorie
10. 11. – " 
5) 17. 11. Was man dem Kreationisten entgegenhält: Evidenzen für die Evolution I
24. 11. Was man dem Kreationisten entgegenhält: Evidenzen für die Evolution II
01. 12. Verallgemeinerung der Evolution: Kulturelle und individuelle Evolution.
Prä-Evolution in DNS-Chemie und Kosmologie. Verschachtelungshierarchie
08.12. Das anthropische Prinzip: Wiederaufleben des Kreationismus in der
Kosmologie
15 .12. Gesellschaftliche Rezeption und ethische Probleme der Evolutionstheorie
10) 22.12. Kulturelle Evolution. Evidenzen für die kulturelle Evolution
12.01. Was sind Meme? Identität und Reproduktion von Memen
19.01. Was sind Meme? Variation und Selektion von Memen
26.01. Unterschiede zwischen biologischer und kultureller Evolution
03.02. (wenn Zeit: Interaktionen zwischen BE und KE)
09. 02. Klausurtermin 11-13 Geb 23.21 Hs 3F
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Literatur:
Die Vorlesung basiert auf den elektronischen Folien sowie auf meinem Buch:
Gerhard Schurz: Evolution in Natur und Kultur, Spektrum Akademischer
Verlag, Heidelberg, 2010
(erscheint Mitte November)
Weitere empfohlene Literatur:
Aunger (Hg): Darwinizing Culture: The Status of Memetics as a Science, Oxford
Univ. Press, 2000.
Becker, A. et al (2003), Gene, Meme und Gehirn, Suhrkamp, Frankfurt/M.
Dawkins, R. (1998): Das egoistische Gen, 2. Aufl., rororo, Rowohlt (englische
Erstauflage 1976).
Dennett, D. (1997): Darwins gefährliches Erbe, Hoffmann und Campe, Hamburg.
Maynard-Smith, J. und Szathmáry, E. (1996): Evolution, Spektrum Akademischer
Verlag, Heidelberg (englisch 1995).
Mayr, E. (1982): The Growth of Biological Thought, Harvard Univ. Press, Cambridge/Mass.
Ridley, M. (1993), Evolution, Blackwell Scientific Publications, Oxford.
Skyrms, B. (1999): Evolution of the Social Contract, Cambridge Univ. Press.
Smolin, L. (1997): The Life of the Cosmos, Oxford Univ. Press, Oxford.
Sober, E. (1993): Philosophy of Biology, Westview Press, Boulder.
Ward, P., Brownlee, D. (2000): Rare Earth, Springer, New York, dt. "Unsere
einsame Erde" 2001 bei Spektrum Akademischer Verlag.
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Anrechenbarkeit Stand Ws 2010/11:
Klausur: 6 repräsentative Fragen (ca. 0.51 Seite pro Frage) 1.30 h Zeit
BN zu 2 CPs: regelmässige Teilnahme plus 1 Frage nach Wahl, oder
2 vorgegebene Fragen
(Anwesenheitsliste freiwillig,
regelmässige Teilnahme =  3 mal unentschuldigt Fehlen)
Modulprüfung zu 6 (bzw. 7) CPs: alle 6 Fragen
Studium Universale: BN wie oben
Reduzierte Prüfung zu 4 CPs: 4 von 6 Fragen nach Wahl
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Oberbegriff der Entwicklung: jede nachhaltig gerichtete Veränderung von realen
Systemen in der Zeit.
 Evolution ist eine spezielle Art von Entwicklung, die auf bestimmte Weise
zustandekommt.
Entwicklungen scheinen sich über längere Zeit hindurch in Richtung auf ein Ziel
zuzubewegen  was nicht impliziert, dass dieses Ziel ontologisch eigenständig
existieren oder wirken muß.
In der natürlichen (und sozialen) Umgebung des Menschen finden sich überall
Entwicklungen.
Das "Design-Argument": die sich entwickelnden Dinge und Organismen und ihre
Entwicklungsprozesse erscheinen planmäßig geordnet und aufeinander abgestimmt.
"so als hätte dies ein höheres Wesen absichtlich so eingerichtet" (Scalae Naturae)
Zwei (Familien von) nicht-Evolutionärer Entwicklungstheorien des Common Sense:
Kreationismus: Entwicklung als Schöpfungsakt eines intelligenten Wesens oder
dessen Resultat. Analogie: geplante Handlung (Religiöse Weltanschauung)
Teleologie: Entwicklung durch eine zielgerichtete Entwicklungskraft
zustande. Analogie: Wachstumsprozess eines Organismus. (Aristoteles  Antike)
nein!
Mechanisch-deterministische Entwicklung von letztlich durch Zufall gegebenen
Ausgangsursachen  unmöglich: Zielgerichtheit und planvolle Geordnetheit kann
auf diese Weise nicht zustande kommen.
Evolutionstheorie  mehr-oder-weniger außerhalb der Vorstellungskraft
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Kreationismus
Natürliche Entwicklungen als Handlungen/Handlungsfolgen von intentionalen und
Weltbeseelung – animistisches Weltbild
intelligenten Wesen
Weltanschauung der primitiven Völker: Polytheistische Frühreligionen
Ernst Topitsch: Soziomorphe Projektion
(biomorphe, später technomorphe Projektion)
Religiöse Weltentstehungsmodelle: Folge von Schöpfungsakten
Rationalierung der Frühreligionen: Hierarchische Organisation der Götterwelt
Platons Ideenlehre
Monotheismus im Christentum und Islam
Erster Beginn von Aufklärung und Wissenschaft im Spätmittelalter
Hauptbeginn der Aufklärung im 16. und 17. Jahrhundert
Zusammenhang Religionsstreit  Vernunftreligion Säkularisierung:
Persistenz religiösen Weltanschauung im Abendland
Varianten des modernen Kreationismus:
Offenbarung/Autorität
Fideismus
Vernunftreligion
Deismus
Theismus
(unpersönl. Gott) (persönl. Gott)
strenge Auslegung/Variante
x

x
liberale Auslegung/Variante
x
x
x
5
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6
Isaak (2002):
1. Anhänger der Lehre der flachen Erde
2. Geozentristen (Erde im Mittelpunkt des Sonnensystems)
3. Junge-Erde-Kreationisten (Erde 6000- 100000 Jahre alt)
4. Alte-Erde-Kreationisten (vereinbaren die biblische Lehre auf unterschiedliche
Weisen mit hohem Alter der Erde), darunter (4.1) Lücken-Kreationisten, und (4.2)
Tag-entspricht-Ära-Kreationisten
5. Progressive Kreationisten (Gott kreiert in zeitlicher Reihenfolge)
6. Intelligent-Design-Kreationisten (berufen sich auf das Design-Argument)
7. Evolutionäre und theistische Kreationisten (Gott kreiert durch Evolution gemäß
naturwissenschaftlicher Lehre).
„Kirche des Flying Spaghetti Monster“
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Teleologie: Zielgerichtete Bildungskraft
Aristoteles (384-322): lehnt Platons Ideenlehre ab. Die Natur trägt die
Kräfte/Fähigkeiten zu ihrer zielgerichteten Höherentwicklung in sich.
Aristoteles' Ursachenlehre (Metaphysik):
Ursachenart (Erläuterung):
Beispiel Herstellung eines Möbelstücks:
Stoffursache, causa materialis
Das bearbeitete Holzmaterial
Formursache, causa formalis (Bewegungsgesetz)
Die Bewegung des Hobelns
Wirkursache, causa efficiens (auslösende Ursache)
Die Muskelkraft des Tischlers
Zweckursache, causa finalis (Teleologie)
Möbelstück, das Tischler herstellen will.
 Das Ziel zieht die Entwicklung zu sich hin
Zwei metaphysische Interpretationen von Aristoteles' Teleologie:
1) Zweckursache als zeitlich rückwärtsgerichtete Kausalität
2) Entwicklung als intelligenter Prozess, der einer normativen Stufenleiter gehorcht
(Nähe zum Pantheismus und dialektischem Idealismus: Welt als inteligentes Wesen)
Nach Aristoteles kann teleologische Entwicklung keine bloße Reifung sein:
 die Antinomie der puren Reifungstheorie ("der Samen im Samen").
Es muss "Emergenz" geben
 Aristoteles zur Denkmöglichkeit eines evolutionären Ansatzes
Aristoteles' Annahme der Möglichkeit von Urzeugung. (Im kreationistischen Weltbild
nicht notwendig.) Erst widerlegt durch Louis Pasteur (1822-1895).
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Die bis ins Spät-MA akzeptierte Scalae Naturae (Hierarchie des Seienden):
Anorganisch
Vegetativ
(Abb1AristTiere)
Animalisch
(Abb2MAPflanzen)
Rational
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Beginnende Naturwissenschaft: Entwicklungstheorien vor Darwin
Wandelbarkeit der Arten durch Züchtung war bekannt (Teleol. ok; Konflikt Kreat.)
Schon Augustinus, dann Albertus Magnus: Gott schuf Lebewesen nur in ihren
seminalen (keimhaften) Ursachen.
Bishop Usher 17. Jh.: Aufgrund Genesis sei Welt vor ca. 4000 Jahren entstanden.
John Woodward 1695: alle bekannten Fossilien seien Überreste der während der
Sintflut ertrunkenen Tiere.
Carl Linné (Linnaeus 1707-1778): kannte 6000 Pflanzen- und 4000 Tierarten.
(Zeitgenosse Zimmermann kam auf 150.000 Pflanzenarten und 7 Mill. Tierarten).
Klassifikation: Klasse, Ordnung, Genus/Gattung, Spezies/Art (differentia specifica)
Essentialismus: Gott schuf die Gattungen (Genera) unveränderlich.
Suche nach "natürlicher Klassifikation": göttlicher Plan  empirisch-induktiv
Erkenntnisse der Geologie: Schichtformationen bis zu 10 km Höhe: jede
Jahresschicht nur wenige cm. Muschelfossilien auf Bergen.
Buffon (1704-1788): Kontinuierliche Übergänge zwischen Gattungen
kalkuklierte Erdalter auf mindestens 168.000 Jahre (Abb3Foss1800)
Georges Cuvier (1769-1832): durch Sezieren neue Klassifikation der Tiere gemäß
anatomischem Bauplan: Scala Naturae wird in Frage gestellt (erst recht in Botanik)
Strata (Gesteinsschichten) des Tertiärs im Pariser Becken: jedes Stratum hatte
eigene Säugetierfauna.
Robinet, R. Bowler (18. Jh.): es gab mehrere Sintfluten und mehrere göttliche
Kreationsakte. (Progessionismus)
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Entstehung der Darwinschen Evolutionstheorie
 Vorbereitung der Evolutionstheorie; aber niemand vertrat sie bis Ende 18. Jh.
Aufkommen des Materialismus (Baron Holbach 1723-1789):
Natur als durchgängiger Entwicklungsprozess.
Kampf zwischen Materialismus und (religiösem) Idealismus
Das Design Argument: Alexander Pope (1733)
Dagegen David Hume Dialoges Concerning Natural Religion geschri. 1750
Wiliam Paley 1802: Natural Theology (das Uhrenbeispiel)
Dialog läuft bis heute: z.B. Richard Dawkins: the blind watchmaker 1986
Deutsche Naturphilosophie (Schelling, Oken 1779–1851): Analogien versus
'Homologien' (echte Affinitäten) (z.B. Seklettbauplan)
Erster 'halber' Evolutionist: Lamarck (1744-1829): kontinuierliche Artenveränderung
Anpassungsdrang an Umgebung + innerer Verbesserungsdrang
'Lamarckismus': Vererbung erlernter Eigenschaften (bis heute als falsch
angesehen; s. aber mögliche Ausnahmen "Epigenetik")
Charles Lyell (1797-1875): Principles of Geology (1830-3): Erdgeschichte
wichtig für den jungen Darwin
"Pseudo"-Evolutionist:
Herbert
Spencer
(1820-1903):
Evolution
Höherentwicklung, „Erfolgreicheren setzen sich durch“, Sozialdarwinismus.
1852 Essay ohne Bezug auf Darwin; nur Chambers und Lyell.
(1844 Robert Chambers)
als
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Charles Darwin (1809-1882):
1831-1836 Weltumsegelung mit dem Schiff 'Beagle'.
Beginn: Darwin religiös (zwei Lieblingsbücher: Paley, und Lyell)
2 Jahre nach Rückkehr: Darwin legt religiösen Glauben aufgrund wiss. Einsichten ab.
Abb4Beagle, Abb5a,b,cDarwin
1837:
Galapagos-Finken
(Spottdrosseln):
Speziesvariationen
korrelieren
mit
Inselformationen im Sinne einer Einwanderung und sukzessiven Artenverzweigung
Origin of Species vorbereitet seit 1837, geschrieben 1858-59; publ. 1859
Zeitgleich Alfred R. Wallace (1823-1913): Amazonasgebiet, Malaisischer Archipel
Lyell und Hooker präsentierten Darwin + Wallace 1858 der Linné-Gesellschaft.
Darwins Hauptthesen (detaillierte Begründung):
1.) langsame Übergang von extrinsischen zu intrinsischen Fortpflanzungsbarrieren
2) aufgrund der Diversität von Umgebungen, Multiplikation von Spezies in Form
eines sich verzweigenden Abstammungsbaumes
Zeit
Evolution der Arten nach Lamarck
Evolution der Arten nach Darwin
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Darwins Evidenzen:
(1) je älter Fossil gemäß geologischen Schichten, desto weniger ähnlich ggw. Tieren
(2) Fossilien in aufeinander folgenden geologischen Schichten sind einander
ähnlicher als entfernten Schichten
(3) ausgestorbenen Fossilien eines Kontinents sind den lebenden Arten desselben
Kontinents
ähnlicher
Kontinentalverbdg.
als
(zB
anderen
Kontinenten.
SüdamerikaAustralien.

Biogeographie:
Bis
1940
Frühe
statische
Kontinentaltheorie)
(4) gemeinsame morphologische Merkmale (Warmblütler; Wirbeltiersekelett)
(5) Embryologie (Kiemenansätze bei Säugetierembryos; de Baer, Meckel, Häckel)
The Descent of Man publ. 1875: Mensch stammt von Affen ab (große Provokation)
Natural Selection vorber. seit 1837, geschr. 1856-56, publiziert erst 1875:
Frage: wie geht Anpassung an Umgebung(Abstammungsgeschichte) vor sich?
T.R. Malthus (1766-1834): exponentielles Bevölkerungswachstum, Populationsgröße
begrenzt, ergo: Überlebenskampf
Darwins Argumente
1) gemäß Malthus: es gibt 'Kampf ums Dasein'
2) es gibt natürliche Variationen, und viele derselben sind vererbbar
3) also gibt es natürliche Selektion: die 'fitteren' Individuen pflanzen sich fort
4) Belege durch künstliche Selektion (mit beschleunigtem Tempo)
 Dass auf diese Weise neue Arten entstehen können, war revolutionär.
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Revolution für biologische Klassifikation:
Übergang vom Essentialismus der Arten zur evolutionären Klassifikation
Klassifikation entlang Abstammungsbaum.
Aber: "keine Spezies- oder Genusdefinition kann alle Biologen befriedigen". Bis
heute anhaltende Debatte (Enst Mayr).
 monophyletische Gruppen sind gelegentlich diganostisch unintuitiv (Abb6Klassif)
Darwins Abstammungstheorie mit Variation war schnell akzeptiert
 seine Theorie der natürlichen Selektion wurde zunächst massiv bezweifelt
Problem von 'Makromutationen': rudimentäre Vorformen neuer Organe (Beine,
Lungen, Flügel) seien für Fitness völlig wertlos.
 Damals diskutuierte Alternativen:
 saltationistische Theorien (Bateson, de Vries:
Mikro- versus Makrovariationen; Evolution macht gezielte Sprünge)
 neo-Lamarckistische Theorien
 orthogenetische Theorien (Nägeli, Eimer): teleologische Kräfte, Perfektionsprinzip
(bis heute: normative Enwticklungstheorien)
Zu Darwins Zeit Unwissen über Mechanismus der biologischen Vererbung.
Darwin lehnte Lamarckismus als empirisch unwahrscheinlich (nicht gänzlich) ab.
Sexuelle Mischvererbung? (Theorie der Pangene bzw. Biphoren)
Zelltheorie
ab
1839;
Mitose
(Körperzellteilung)
1870;
1887
Meiose
(Geschlechtszellenbildung) unverstanden; 1883 Weissmann: Keimplasma; 1888
Chromosomen im Kern; Funktion unklar.
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The Modern Synthesis I: Mendels Vererbungslehre
Gregor Mendel (1822-1884): publiziert 1865; bis 1900 ignoriert; durch de Vries,
Tschermak und Correns ans Licht gebracht.
Phänotypische Merkmale: Bl(au), Br(aun)  Augenfarbe
Verantwortliche Gene A für Br, a für BL
Diploide Genkonstellation Allele A, a des Gens für Augenfarbe
(homozygotisch, heterozygotisch)
A ist dominant, a ist rezessiv:
Genotyp:
AA
Phänotyp (Augenfarbe):
Br
Aa (= aA)
Br
aa
Bl
Mendelsche Vererbung eines dominant/rezessiven Merkmals.
Genotyp
AA

Phänotyp (: Kreuzung) Br
Gameten
A
Phänotyp
Bl
(reinrassig gezüchtet)
100 % Aa
Phänotyp (: Kreuzung)
Genotyp
homozygote Eltern
a
Genotyp
Gameten
aa
Br

1. Tochtergeneration
Br
(Kinder)
50 % A 50 % a 50 %A 50 % a
25 % AA
50 % Aa
75 % Br
25 % aa
2. Tochtergeneration
25 % Bl
(Kindeskinder)
Kreuzungen in der 3. Tochtergeneration (Diagramme werden hier zu kompliziert):
Bl  Bl erzeugt zu 100 % Bl (aa).
Br Br erzeugt mit Wahrscheinlichkeit 2/3  1/2  2/3  1/2 = 1/9 Bl (aa).
(Mendels Geniestreich: seine Erklärung der vorgefundenen Häufigkeiten)
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Später gefundene Komplikationen: nicht alle Merkmale dominant oder rezessiv
 nicht alle Merkmale/Allele vererben sich unabhängig.
A+ a
Manche vererben sich gekoppelt (heute: sitzen am selben Chromosom) B
25% AA BB
50% Aa Bb
b+
25% aa bb
aber niemals zB AA bb oder aa BB
(W. Sutton 1902 chromosomale Interpretation)
Anfang 20: Jh.  Weismann, Boveri, Thomas Morgan:
manche Gene vererben sich partiell gekoppelt:
durch Crossing Over =
Rekombination = Austausch väter- und müttlerlichen Gens.
Drosophila: 9% der Fälle Crossing Over (Körperfarbe grau-schwarz; Flügelgröße
klein-groß)
Vorteil: erhöhte Fitness durch geschlechtliche Vermehrung+Crossing Over (z.B. A
und b vorteilhaft)
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The Modern Synthesis II: Theoretisch (mathematische) Populationsgenetik
R.A. Fisher (1890-1962), J.B.S. Haldane (1892-1965), S. Wright (1889-1988).
J. Huxley (1942): "Evolution: The Modern Synthesis"
Norton 1915, Chetverikov, Haldane: schon kleiner selektiver Vorteil genügt, um nach
10-100 Generationen drastische Veränderungen der Allelfrequenzen zu bewirken
AA
Relative Fitness: 1
Aa
aa
1
1s
dominantes Allel vorteilhaft
(Selektionskoeffizient s < 1)
Differenzgleichung: pn+1(A) = pn / (1s(1pn)2)
d.h. pn+1(A) > pn(A)
pi = pi(A)
n = Generationszahl pn>100(A)  100%
1 Häufigkeit
p(A)-Grenzwert
p(A)
p(a)
Generationen
Empirisch Populationsgenetik (E. Mayr)
Empirische
Überprüfung
solcher
theoretischen
Modellrechnungen
anhand
Dunkelmutationen von Faltern in Smoggebieten (später).
Experimentelle Populationsgenetik (Muller, Dobzhansky): künstlich erzeugte
Drosophila-Mutationen identisch mit natürlich vorgefundenen Mutationen.
 Genkarte von Drosophila melangaster
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Fisher erklärt, warum sich Geschlechterverhältnis auch bei geschlechtlich
unterschiedlichen Sterberaten auf 1:1 einpendelt: wenn Mortalitätsrate von M höher
ist als von W, werden im Schnitt mehr M als F geboren, um das auszugleichen (vgl.
Dr. John Arbuthnot 1710 "Divine Providence")
 Lamarckisten und Saltationisten in der Biologie wurden immer weniger.
The Modern Synthesis III: Biomolekulare Grundlagen, DNS, genetischer Code
1930er: Theorie chemischer Polymere
Chargaff: Verhältnis A-T im Chromatin 1:1 (Transskription)
Watson und Crick 1950: Doppelhelix-Modell
 Moderne Molekulargenetik
Ferner (Biogeographie  Erklärung gegenwärtiger geographischer Artenverteilung):
Ab 1960 wurde die Theorie der Plattentektonik und Wegeners Kontinentaldrifttheorie
von 1914 akzeptiert.
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Molekulargenetische Grundlagen: (Bilder)
Jedes Chromosom im Zellkern doppelt. Nur Gameten haploid.
Chromoson: besteht aus DNS (DNA, Desoxyribonukleinsäure): (Abb7, Abb8)
spiraliger Doppelstrang von Nukleotiden (+ Zwischenglieder)
A (Adenin)  T (Tymin), Cytosin (C)  Guanin (G) [in RNS statt T Uracil U]
Replikation (Reduplikation) der DNS während ungeschlechtlicher Zellteilung
genetischer Code: ein Basen-Triplett (Codon) kodiert eine Aminosäure. (Abb9)
Aminosäuren bauen Polypeptide und Proteine auf; die Maschinerie des Lebens.
Proteinsynthese: DNS kopiert Einfachstrang mRNS (Transkription). (Abb10)
mRNS wandert durch Kernmembran zu Ribosomen: es lagern sich dort befindliche
tRNS-Stücke (Nukleotid-Tripel + Aminosäure) daran an (Translation).
molekulare Def. des Gens ('Cistron'): eine Sequenz von Codonen, die Polypeptid
erzeugt (eng, gut abgegrenzt).
funktionale Gendefinition: eine (evtl. verteilte) Codonsequenz, die für ein
phänotypisches Merkmal verantwortlich ist (schwierig, oft unbekannt)
genetische Redundanz: für ca. 25.000 proteinsynthetisierende Gene des Menschen
wären ca. 3107 Basen nötig pro Chromosom nötig; nur etwa 1% der DNS hat
proteinsynthetisierende Funktion; die anderen haben regulatorische Funktion oder
sind redundant.
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Es gibt neutrale (nichtfunktionale) DNS-Abschnitte, die häufiger mutieren.
Ebenso neutrale Aminosäuren in Proteinen, die häufig und mit konstanter Rate
mutieren: Kimura: molekulare Uhr

 Rolle des Zufallsdriftes in der Evolution. (Gould und Lewontin)
Die meisten Mutationen neutral, viele lethal, nur wenige vorteilhaft (Mutationsarten)
exp. Mutationsraten bei Mäusen: 106104 pro genetischem Lokus & Nachkommen
wesentliche genetische Variationen durch Rekombination
Epigenetische Steuerung: auf jedem Chromosom sitzen Repressormoleküle, welche
diverse
Gene
blockieren:
Aktivierungsprofil
eines
Chromosoms
(Proteine,
Histonmodifikatoren, Interferenz-RNS, Methylgruppen)
 Aktivierungsprofil wird gesteuert durch
(a) in Zelle eindringende Substanzen (Stoffwechsel, zB Milchsäurebakterien)
(b) Nachbarzellen  erklärt Zelldifferenzierung in spezialisierte Körperzellen
Krebs  fehlerhafte Methylierungsmuster; werden auf somatische Tochterzellen
"vererbt"
Traumatische Erlebnisse: Aktivierung von Chromosomenabschnitten in Gehirnzellen
 bislang: Epigenetik im schwachen Sinn, versus

 Epigenetik im starken Sinn: Können Aktivierungsmuster auf auf biologische
Nachkommen vererbt werden? (wäre ein partiell lamarckistischer Effekt)
Morgan et al. (1999): Avy-Allel für gelbe Hautfarbe bei weißen Mäusen wird
durch Diät blockiert  Aktivierungsprofil übertrug sich statistisch auf Nachkommen
(bislang nur wenig Evidenzen solcher Art)
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Evolution aus der Makroperspektive  einige Eckdaten: (Abb11-Abb14)
14109 Jahre: Urknall  5109 Jahre unser Sonnensystem 4.5109 Jahre Erde
4109 Jahre stabile (nicht kometenbehagelte) Erde; Gesteine
3,8109 Jahre: erste Prokaryonten; Explosionsphase; sauerstofflose Atmosphäre
(Kohlendioxid, Stickstoff)
1.5109 Jahre: Anreicherung der Atmosphäre mit Sauerstoff (Blaualgen)
Explosionsphase: ersten Eukaryonten  bisherige Annahme: 1.5109 Jahre
Alternativannahme: erst 0.8109 Jahre; zuvor Riesenbakterien
700106 Jahre: die ersten Vielzeller
600106 Jahre: kambrische Explosion der Vielzeller
500106 Jahre: ersten Wirbeltiere, Fische.
400106 Jahre: Tetrapodische Fische. Übergang zum Landleben; genug Sauerstoff
Explosionsphase
der
Landlebewesen
(Skorpione,
(Proto-)Amphibien;
erste
Pflanzen/Nacktfarne; später Nadelhölzer,...).
200-70 106: Zeit der Saurier (Explosionsphase), erste Säugetiere; b 100106
Blütenpflanzen
70106 Jahre: Aussterben der Saurier. Explosionsphase der Säugetiere. Erste Vögel.
Erste (kleine) Primaten).
5106 Jahre: erste Hominiden (Abtrennung vom Vorfahr Schimpanse Menschen).
2-1 106 Jahre: Homo habilis; homo erectus; primitivste Steinwerkzeuge
150.000 Jahre: Homo sapiens. Explosion der Werkzeugentwicklung (Sprache)
10.000 v. Cr. Viehzucht und Ackerbau. Explosion von Menschengesellschaften
5.000 v. Cr.: erste Hochkulturen.
1000 v. Cr.: erste Wissenschaft
seit 300 Jahren: moderne Wissenschaft und Zivilisation; jüngste Explosionsphase.
Revolutionen innerhalb der Evolution (Eroberung neuer 'adaptiver Zonen')
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Was man dem Kreationisten entgegenhält I: Evidenzen für die Evolution
Argumente gegen den strengen Kreationismus:
1) Direkter empirischer Nachweis der Evolution durch natürliche Selektion
Z.B.: Melanismushäufigkeit bei Mottenfaltern in England
0,12
0,02
1930
1945
1960
Jahr
2) Direkter experimenteller (praktischer) Nachweis
künstliche Züchtung
3) Biogeographie  kontinuierliche geographische Variation (Abb15, Abb16)
Galapagos-Finken; Kontinentalverschiebung; Ringspezies
4) Unabhängige Methoden der Altersbestimmung
4.1) Fossilfunde, Serien und Lücken
(Sedgewick in Whales 1823: kambr. Explosion vor 500109 J.) (Abb17Skelett)
4.2) Altersbestimmung durch radioaktive Isotopen:
C14; Mineralien (KAr, RbSr)
4.3) Evidenzen der molekularen Evolution: (Abb18Cytochrom)
Kimura 1963: neutrale Amonosäurenevolution
Mitochondrien-DNS-Evolution (Abb19Ureva)
Ribosomen-DNS-Evolution
 die Bestätigungskraft übereinstimmender unabhängiger Evidenzen
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22
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Staumbaumhypothesen gemäß Prinzip der minimalen Zahl von Mutationen
 funktioniert vergleichsweise sicher bei selektiv neutralen oder wenig adaptiven
Merkmalen
Analogien aufgrund gemeinsamer Umgebung können Ausnahmen produzieren
(vgl. Fink Spatz Krokodil versus Kängaru Beutelwolf (plazentaler) Wolf)
Hauptargument gegen den liberalen deistischen Kreationismus:
Homologien und Analogien; Dysfunktionalitäten der Evolution:
Geichartige Skelettbaupläne aller tetrapodischen Wirbeltiere (Homologie) Abb20
Universalste Homologie: RNS und DNS
Dysfunktionalitäten: gekrümmte Wirbelsäule des Menschen; Kehlkopfnerv der
Giraffe; Kiemenansätze im Embryonalstadium aller Wirbeltiere. Sexuelle Selektion
Massensterben von Spezies: 1.) 2,5-2,2109 Schnellballeffekt, 2.) 750-600106 Jahr
Schneeballeffekt, 3.) 560-500106 Kambrisches Massensterben – Rätsel, 4.) 440370106 – unerklärt, 5.) 250106  komplexe Gründe, 6.) 202106  evtl. grosser
Meteor, 7.) 65 106  Meteor; Aussterben 90% Spezies, u.a. Dinosaurier, 7.)
Massenvernichtung durch Menschen.  Jedesmal war Planet-Leben am Rande des
Grabes.
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Was man dem Kreationisten entgegenhält II: Auflösung von Schwierigkeiten
Das Wunder des Lebens würde eine astronomisch hohe Zahl an zusammenpassenden
Mutationen erfordern  erscheint zu unwahrscheinlich
 1) Gegenargument 1: die unendlich langen Zeitdimensionen – reichen die Zeit
aus?
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Problem: 105 Gene  108 nötige Basen  4(10 )  10600.000.000 Kombinationen 
bei 105- Mutationen pro genet. Locus: beliebige Mutationen ca. jedes Jahr
 10600.000.000 Jahre
(Denkschwierigkeit!)

 2) Modulare Selektion  unabhängig vorteilhafte Mutationen:
Dawkin: Raten einer 10stelligen Zahl.
Problem: bei partieller Modularität von ca. 10 Basenpaaren: Produktion einer
bestimmten vorteilhaften 10er-Sequenz (bei 1 Mutation pro Jahr) benötigt 410 = ca.
106 Jahre. Unabhängige Selektion benötigt dann immer noch 106107 = 1013 Jahre;
immer noch zuviel!

 3) Die Bedeutung der geschlechtlichen Vermehrung (Fisher):  Wichtigste
genetische
Variationsressource
ist
die
genetische
Rekombination
bei
der
geschlechtlichen Vermehrung: Chromosomenkombination und voralledem CrossOver (in 10% der Fälle). Die Wahrscheinlichkeit des gleichzeitiges Auftreten von
zwei vorteilhaften Mutationen steigt von p2 auf 0.1Np2, mit N = Populationsgrösse.
Mit p = 106 und per Annahme N = 106 ergibt sich Anstieg von p2 auf 0,1p, also z.B.
von 1012 auf 107.
Wilsons Faustregel: in 1000 Jahren schlagen sich durch Rekombination kulturelle
Unterschiede in genetischen nieder.

23
24
24
 Das Kardinalargument gegen Klonen: Bei 1000 menschlichen Gene in nur 2
Allelen gibt es 21000  10320 mögliche genetische Ausstattungen. Die 1010 lebenden
Menschen realisieren davon nur winzigen Bruchteil. Sexuelle Vermehrung bringt
immer wieder neuartige Menschen hervor. Durch Klonen würde der Riesenraum
möglicher Genome auf den winzigen Bruchteil heute lebender Menschen
eingeschränkt.
4) Makromutationen (simultane Mutation vieler Gene) und das Überwinden von
Fitnesstälern:
wie erklärt man die Evolution von multigenetisch bedingten Merkmalen, die von der
richtigen
Kombination
vieler
Allele
abhängen
und
durch
genetische
Makrotransformationen zustande kommen?
 Durch Exadaption bzw. Präadaption.
Fitness
Quastenflosser
im Nass-Schlamm
von Seichtgewässern Amphibien
Fische
Fitnesslandschaft
ohne Präadaption
Fitnesslandschaft
mit Präadaption durch
Quastenflosser
Varianten
Transformation der Fitnesslandschaft durch Präadaption (bzw. Exadaption).
Übergang von Fischen zu Amphibien über Quastenflosser.
25
Prokaryonten  Eukaryonten:
Endosymbiontenhypothese + epigenetische
Translation bei Prokaryonten
Fische  Tetrapoden: Fortbewegung am Rand von Tümpel
Lunge über Mundbodenvergrößerung (nach innen gestülpt)
Saurier  Vögel: Leichtknochenbau; Thermoregulation des Federkleids, evtl.
befiederte Flughäute
Hundeartige  Robben: Schwimmhäute
Gehirnentwicklung des Menschen (Voraussetzung kulturelle Evolution): Wachstum
ausserhalb Embryonalzeit
5) Schlussendlich: die schiere Unendlichkeit des evolutonären Zeitraums von 3
Milliarden Jahren
25
26
26
Aber wie entsteht das erste Leben, die Zelle?
 Präbiotische Evolution der RNA-Moleküle:
Evolution
von
sich
replizierenden
RNA-Ketten,
die
um
Nukleotide
als
Nahrungsbestandteile im Meer konkurrieren. Damit sich längere RNA-Ketten
weitgehend fehlerfrei replizieren können, benötigen sie Enzyme.
Manfred Eigens Paradox: ohne Proteine (Enzyme) keine langen RNA-Ketten, ohne
lange RNA-Ketten keine Proteine (Enzyme).
Lösungsansatz: enzymatische Funktion wurde in früher erdgeschichtlicher Phase
durch RNA-Moleküle übernommen.

 Kooperation zisxchen RNA-Molekülen. Problem der Egoisten auf Molekülebene:
1. Lösung  Eigenscher Hyperzyklus: jedes Glied hilft altruistisch dem nächsten
Glied und läßt sich egoistisch vom vorhergehenden Glied helfen. Problem:
Anfälligkeit gegenüber egoistischen RNA-Ketten, die eindringen.
2. Lösung  Kompartimentierung. Membranen  Lipiddoppelschichten an
Vulkangesteinen schließen Hyperzyklen ein; Entstehung von Protozellen.
Verallgemeinerte Evolutionstheorie:
Drei Module der verallgemeinerten Evolutionstheorie:
1. Reproduktion: Evolutionäre Systeme reproduzieren sich in Zyklen von aufeinander
folgenden Generationen.
2. Variation: Es kommt zu Variationen, welche mit-reproduziert werden.
3. Selektion: Die Reproduktionsrate = Fitness unterschiedlicher Varianten in der
gegebenen Umgebung ist unterschiedlich. Der absoluten Populationshäufigkeit sind
obere Grenzen gesetzt. Daher verdrängen die fitteren die weniger fitten Varianten.
Constraint: die Selektionsparameter bleiben über viele Generationen konstant
oder wenigstens gesetzesmäßig voraussehbar ermöglicht gerichtete Evolution.
27
Verallgemeinerte Evolutionstheorie = gegenstandsneutral (rekursiver Algorithmus)
Beispiele von Verallgemeinerungen der Evolutionstheorie:
Kulturelle Evolution
Individuelle Evolution (Lernen durch 'operante Konditionierung')
Grundbegriffe der verallgemeinerten Evolutionstheorie und ihre biologischen,
kulturellen und individuellen Korrelate.
 Repron = das was direkt selektiert wird
Verallg Evol. (VE) Biolog. Evol. (BE)
Kulturelle Evolution (KE)
Individ. Evol. (IE)
Evolut. Systeme
Organismen
menschliche Gemeinschaften
Repronen
Gene im Zellkern
Meme bzw. erworbene Inform. erlernte Information
phenetische
Organe,
Fertigkeiten, Handlungsweisen
Merkmale
Fähigkeiten
Sprache, Ideen und Denkmuster
Repro-
Replikation
Weitergabe an nächste Gene-
Beibehaltung des Ge-
duktion
DNS-Kopie
ration durch Imitation/Lernen
lernten im Gedächtnis
Variationen
Mutation und
Interpretation und Variation
Variation von
Rekombination
von tradierten Memen
eigenen Einfällen
Selektion
einzelne Menschen
höhere Reproduktionsraten aufgrund höherer
Fortpflanzungsrate
kulturelle Attraktivität
individ. Zielerreichung
Übertragung der Evolutionstheorie - nicht nur metaphorisch sondern buchstäblich
(Beispiel Technik: Frage, was sich reproduziert)
Selektion: schwach, stark // aufbauend, bewahrend // Fertilitäts-, Vitalitäts-
27
28
28
Ausräumung einiger verbreiteter Missverständnisse:
Der Fittere ist der "besser angepasste" (nicht unbedingt "stärkere" oder "klügere")
Es gibt kein allgemeines Gesetz der Evolution zum 'Höheren'
(Variation und Selektion arbeiten nicht nach einem geheimen Plan zusammen)
Besitzen evolutionäre Prozesse immer eine Richtung?
(Definitionsfrage)
Evolutionäre Selektion hat oft mehr mit akzidentellen historischen Konstellationen
als mit Wesensmerkmalen der selektierten Entitäten zu tun
(Beispiele Intelligenz-Mensch, Agrikultur, Sozialismus - Kapitalismus)
Zufallsdrifte  nicht alles ist adaptiv (kein "Panadaptionismus")
Weitere Ebenen der (verallgemeinerten) Evolution:
Intuitiv-kreatives Denken als unbewusster evolutionärer Prozess(Campbell)
Neuronale Entwicklung als Evolution (Calvin: neuronal darwinism)
Immunologie  klonale Selektionstheorie von Antikörpern
Prä-Evolution physikalischer und einfacher chemischer Strukturen
durch Variation, Selektion und Retention (Campbell)
Beispiel 1 (Campbell)  Wachstum eines Kristalls in langsam abkühlender Lösung
Retention = Anlagerungszeit von Molekülen in bestimmter Anlagerungslage
Variation der Anlagerungslage von (insbesondere suboptimal angelagerten)
Molekülen durch thermisches Rauschen
Selektion – symmmetrische Anlagerung ist energetisch stark begünstigt
29
Beispiel 2  Entstehung eines Planetensystems:
Im Inneren eines Sterns werden nach und nach Elemente des Periodensystems
ausgebrütet (He, Be, C, N, O, ).
Sterne bilden flache rotierende Scheiben. Das Sterninnere wird durch Explosionen
senkrecht zur Drehachse ausgeschleudert und bildet rotierende Materienebel.
Präevolution eines Planetensystems beginnt: winzigste Materiekörnchen ringen
darum, sich gegenseitig anzuziehen. Grössere Körper wachsen schneller, solange sie
sich in "Fütterungszone" aufhalten. Im günstigsten Fall entstehen mehrere schöne
Planeten.
Riesenplaneten
(Jupiter)
verhindern
Planetenbildung
in
Nähe
(Asteroidengürtel).
Evolution
Präevolution, Beispiel Planetensystem
Organismus
Massenklumpen
ökolog. Nische
Zone nichtvernachl. Gravitation (feeding zone)
Phänotyp. Merkmale
Position (Umlaufbahn), Größe
Variation der Merkmale
Variation von Größe, Position
Reproduktion
Retention der Position (Größe kann wachsen)
Fitness = Reprod.srate
Retensionswahrscheinlichkeit
Selektion = untersch. Rep.rate untersch. Retentionswahrscheinlichkeit
Häufigkeit (evolut. Erfolg)
Größe, stabile Trajektorie
Verschachtelungshierarchie zwischen (prä-)evolutionären Systemen (Campbell):
Dauer in Jahren
106 - 1010
 1023
Planetensystem (inkl. chemische Mikroev.)
2·109
 109
Biochem. Makroevol. und biol. Evol auf der Erde
3·109
104 - 105
102-105
101-103
100-102
10-1
105
105
Kosmos (inkl. Evol. Sonne und Elemente)
 
in km
Kult Evolution von Gesellschaften
Indiv. Evol., Lernen
Einzelner Denkakt als Evol.
29
30
30
Das anthropische Prinzip: Wiederaufleben des Kreationismus in Kosmologie
Die (Un)Wahrscheinlichkeit des Lebens im Universum:
Feintarierung der Naturkonstanten (Smolin): Wäre Gravitationskonstante nur etwas
grösser, könnten nur kleine Sterne entstehen, und es würde nicht zur Bildung von
Kohlenstoff oder zu stabilen Planetenbahnen kommen.
Wäre die Elektronenmasse nicht ungefähr gleich der Differenz von Neutronenund Protonenmasse, so gäbe es keine stabilen Atomkerne.
Wäre die kosmologische Konstante (Energiedichte des Universums) geringer,
würde das Universum in ein schwarzes Loch kollabieren.
Wäre die starke Kernkraft etwas stärker, gäbe es keine Kernreaktionen. Wäre sie
deutlich schwächer, wären die Atomkerne instabil.
 Würden die Naturkonstanten des Universums durch Zufall gewählt, würde die
W.keit eines Universums, in dem Sterne entstehen können, nur etwa 10229 betragen.
Ward/Brownlee: Wäre unsere Sonne 50% schwerer, würde sie schon nach 2
Milliarde Jahren ausbrennen  zu kurz für Evolution. Wäre sie deutlich kleiner (wie
95% aller Sterne), wäre die bewohnbare Planetenzone näher an Sonne und die Gefahr
des Planetendrifts zur Sonne oder einer Drehsperre (Merkur, Mond ) wäre groß.
Wäre die Erde 5% näher an Sonne, entstünde aufschaukelnder Treibhauseffekt;
wäre sie 1% entfernter, aufschaukelnden Vergletscherungseffekt.
Hätte die Erde keinen Eisenkern, der durch Hitze von Kernspaltungsreaktionen im
Erdinneren Konvektionsströme der Magma erzeugt, so gäbe es keine Plattentektonik,
keine
Gebirgsneuformationen,
stattdessen
Bodenerosion
zu
Staub;
keinen
Thermostat-Effekt der CO2-Rezyklierung; und kein Magnetfeld, das harte kosmische
Strahlung ablenkt.
Hätte Erde keinen großen Mond, wäre ihre Drehachse instabiler (vor 400
Millionen Jahre hatte das Jahr 400 Tage und Tag 18 Stunden).
Gäbe es keinen Jupiter, würden Asteroiden á 20 km  die Erde nicht alle 100
31
Millionen Jahre, sondern alle 10.000 Jahre treffen – Leben auf Erde hätte nicht
überlebt.
31
32
32
Gibt es extraterrestrisches Leben? Ward & Brownlee: Wahrscheinlichkeit
extraterrestrisches Leben auf Prokaryontenebene ist hoch, aber Wahrscheinlichkeit
komplexeren extraterrestrischen Lebens extrem gering.
 Wäre erschließbar z..B aus Sauerstoffgehalt einer Atmosphäre. Bis heute
unbekannt. Auch so kleine Planeten wie Erde unbekannt.
 Anthropisches Prinzip  schwache Form: Das Universum, unser Sonnensystem
und die Erde ist so wie sie ist, weil in ihm Menschen existieren. Aber das "weil" ist
nur begründend, nicht erklärend. (Harmlos)
Starke Form: das "weil" ist erklärend; und kann dann nur intentional bzw.
teleologisch gemeint sein. (Mit Naturalismus unvereinbar)
33
Alternativpositionen zur Letztfrage: "warum sind Universum/Sonne/Erde so wie sie
sind"?
1) "Hypotheses non fingo" & Ockhams Rasiermesser
2) Das alles ist eben eine hohe Unwahrscheinlichkeit bzw. Seltenheit
 Theorie der vielen aber unverbundenen Universen
3) Kreationismus

 Empirisch gehaltvoller Kreationismus ist widerlegt.

 Minimaler Kreationismus
"Wie immer unsere Welt faktisch beschaffen ist, hat sie einen Schöpfer,
über den sonst nichts gesagt wird"
ist gehaltleer

 Rationalisierter ex-post-fakto Kreationismus
"Unsere Welt hat einen Schöpfer, der bewirkt hat, dass es Atome, Moleküle,
die-und-die Lebewesen gibt  "
ist aus semantischen Gründen nicht nicht bestätigungsfähig.
 Genuine Bestätigung einer Hypothese kann nur durch Fakten geleistet werden, auf
welche die Hypothese nicht nachträglich zurechtgefittet wurde.
33
34
34
4) Positive physikalische Theorien
Lee Smolin: Evolution von Universen durch Urknalle aus schwarzen Löchern heraus.
Parameter werden dabei vererbt.
Jene Universen, die lebensfreundlich sind (Kohlenstoffbildung  grosse Sterne),
enthalten auch mehr schwarze Löcher und reproduzieren sich besser
Problem: wie läßt sich das bestätigen?
ist aus physikalischen Gründen nicht bestätigungsfähig( ?)
Schlußendlich: Die Illusion von Letzterklärungen: Jede Erklärung läßt gewisse
Anfangsprämissen unerklärt, und generiert damit neue Warum-Fragen.
35
Gesellschaftliche Rezeption und ethische Probleme der Evolutionstheorie
Durch Darwinismus bewirkte Umwälzungen des Weltbildes (nach Mayr):
1.) die statische Welt wird durch evolvierende ersetzt,
2.) Kreationismus wird unwahrscheinlich,
3.) die kosmische Teleologie und (4.) der Anthropozentrismus zurückgewiesen,
5.) scheinbare Zweckmäßigkeit kausal (ohne Intentionalität/Teleologie) erklärbar,
6.) Essentialismus wurde durch statistisches Populationsdenken ersetzt (E. Mayr).
1,2  gegen religiöse Weltbilder aller Art
3,4  gegen alle versteckt teleologischen Entwicklungslehren (Spencer, Marx)
Evolution führt nicht notwendigerweise zu einer Höherentwicklung
4,5  gegen handlungszentrierte Weltbilder
5,6  gegen natürliche Kognition
Was Mayr vergisst: Konflikt der Evolutionstheorie mit humanistischer Moral (?):
Marx: Darwin hätte kapitalistische Ethik auf Natur ausgedehnt
Moderne politische Linke: Vorwurf des Sozialdarwinismus
 z.B. Herbert Spencer
Antwort: Evolutionäre Analyse der Moral
Schon Darwin: (Descent of man): kooperativ-altruistisches Verhalten bringt der
Menschengruppe Selektionsvorteile.
Zwischenzeitlich von vielen (z.B. Wilson) bezweifelt. Dawkins: primäre Einheit der
Selektion = das Gen. Selektion altruistischen Verhaltens nur unter genetisch
Verwandten
Heute:
unter
gewissen
Bedingungen
hat
altruistischer
Kooperation
Selektionsvorteile, doch sie ist schwierig zu stabilisieren
Problem des Eindringens von egoistischen Ausbeutern  evolutionäre Spieltheorie
35
36
36
 Kulturelle Evolution
Gruppenselektion: zwischen unterschiedlich kooperierenden Gruppen besteht
wiederum Konkurrenz
Sozialdarwinismus
im engen Sinne
(egoistischer Kampf ums Dasein)
"im weiten Sinne" (beinhaltet Kooperation, Altruismus)
= soziale Evolutionstheorie
aber: das Bestehen von
Unterschieden zwischen Menschen und
Selektion der Erfolgreicheren
bleibt Grundlage der Evolution.
Grundprinzipien jeder Ethik, besonders bedeutsam für evolutionäre Ethik:
Sollen-Können-Prinzip: Was geboten ist, muss auch faktisch realisierbar sein.
Zweck-Mittel-Prinzip: Ist A geboten (qua Fundamentalnorm) und ist B ein faktisch
notwendiges Mittel für die Realisierung von A, dann ist auch B geboten (qua
abgeleitete Norm).
Spezifische Grundprinzipien evolutionärer Ethik:
Evolutionäre Grundnorm: Die Fortdauer der Evolution des Lebens und insbesondere
der höheren Lebensformen auf der Erde für eine möglichst lange Zeit stellt einen
obersten Wert dar.
Soziale Kooperation: Ethische Regelsysteme haben (ceteris paribus) der Förderung
sozialer Kooperation zu dienen.
37
In Bezug auf soziale Dimension ergibt die evolutionäre Ethik: Forderung einer
Balance zwischen ausgleichenden Verteilungsgerechtigkeit (helfe dem Erfolgloseren)
und der motivierenden Leistungsgerechtigkeit (belohne den Erfolgreicheren).
(vgl. Rawls 1971 vs. Nozick 1974)
Humanismus:
Mit evolutionärer Ethik vereinbar
Freiheit und Toleranz
++
Menschenrechte und Menschenwürde
+
Partiell ausgleichende Gerechtigkeit
+
Gegen Diskriminierung bei Zulassung von Unterschieden
+
Alle Menschen von Natur aus gleich
?
Belohnung des Guten statt Bestrafung des Schlechten
+?
Ausgleichende Gerechtigkeit anstatt Selektion der Erfolgreicheren

Abschaffung aller Unterschiede

37
38
38
Verallgemeinerung der Evolutionstheorie: Kulturelle Evolution
Kritik der Soziobiologie (E.O. Wilson, 'the new synthesis'): Führt menschliche Kultur
letztlich auf den Einfluß der Gene zurück. Reduktionistisch!
Analog: Kritik der evolutionären Psychologie (Tooby und Cosmides (1992)
 Kritik: Genetische Eigenschaften des Menschen sind niemals zwingend, sondern
durch kulturell erworbene Leistungen überformbar. (Kultur im weiten Sinn)
Richard Dawkins ("das egoistische Gen" dt 1978, Kap. 11):  es gibt
unabhängige Ebene der kulturellen Evolution, basierend auf der Evolution von
'Memen'.
Wiederholung: Drei Module der verallgemeinerten Evolutionstheorie:
1. Reproduktion: Evolutionäre Systeme reproduzieren sich in Zyklen von aufeinander
folgenden Generationen.
2. Variation: Es kommt zu Variationen, welche mit-reproduziert werden.
3. Selektion: Die Reproduktionsrate = Fitness unterschiedlicher Varianten in der
gegebenen Umgebung ist unterschiedlich. Der absoluten Populationshäufigkeit sind
obere Grenzen gesetzt. Daher verdrängen die fitteren die weniger fitten Varianten.
Constraint: die Selektionsparameter bleiben über viele Generationen konstant
oder wenigstens gesetzesmäßig voraussehbar ermöglicht gerichtete Evolution.
Allg. Evol.
Biolog. Evol. (BE)
Kult. Evol (KE)
Repronen:
Gene im Zellkern
Meme/erworbene Inform. im Gehirn
vererbte phänotyp. Merkmale
Organe,
Fähigkeiten
Fertigkeiten, soziale Handlungsweisen
Sprache/Ideen, Denkmuster
Variationen
Mutation, Rekombination
Gerichtete Variation, Interpretation
Reproduktion
Replikation/Kopie
Meiose, Befruchtung
Imitation, Lernen
kulturelle Tradierung
Vererbung
Sexuell, Diploid
Asexuell, Mischvererbung
39
Selektion
Überwiegend
häufigkeitsunabhängig
Überwiegend
häufigkeitsabhängig
Vorgänger der Idee "verallgemeinerter" Evolutionstheorie:
William James, Charles S. Peirce, James M. Baldwin, 
Karl Popper: evolutionäre Erkenntnistheorie
Cafalli-Sforza
und
Feldman
(1973):
Donald T. Campbell
Warum
geht
ab
einem
gewissen
Wohlstandsniveau die Geburtenrate zurück? ( nicht nur kulturelle Eltern-KindTradierung)
R. Boyd und P. Richerson (1981, 1985)
Ruth G. Millikan (1984)
Susan Blackmore (1999): "Memetik"
(R. Dawkins:  eher verhalten)
 S. Blackmore: Beispiel des Körbeflechtens in Sammlergesellschaften
Evidenzen für die kulturelle Evolution
hier geht es weniger um Frage, ob es Entwicklung gab, sondern inwiefern die KE das
beste Erklärungsmodell ist:
Nichtreduzierbarkeit der KE auf biologische Evolution:
1) Neurogenetisches Argument (Plotkin)  warum wir neben BE auch KE benötigen:
Menschen haben zu wenig Gene, um ihre adulte neuronale Software festzulegen.
 Das Argument ist nicht hinreichend, denn man kann entgegenhalten:
(a) Rest wird durch anthropologisch konstante Interaktion mit Umwelt gelernt
(b) der kulturell variable Anteil ist auf unterschiedliche, nicht kulturell bedingte
Umweltbedingungen zurückzuführen.
Lumsden/Wilson: Gene halten Kultur an der Leine.
Dagegen Baldwin: Kultur hält Gene an der Leine.
39
40
40
2) Schnelligkeit der KE: Boyd/Richerson: KE evolviert viel schneller als Gene dies
jemals können.
Tomasello (1999): Menschen und Schimpansen teilen sich 98-99% ihrer Gene;
genetisch so ähnlich wie z.B. Mäuse und Ratten, Pferde und Zebras. Wie konnten
sich Menschen von Schimpansen in nur 2-3 Mio. Jahren so weit fortentwicklen, wenn
sie genetisch so ähnlich sind? - Erklärung. kumulative KE:
3)Diversität und Nichtdeterminiertheit kultureller Entwicklungen: die genetische
Reduktionsthese wird auch dadurch widerlegt, dass Menschengruppen von gleicher
genetischer
Ausstattung
in
derselben
ökologischen
Umgebung
nachhaltig
verschiedene Kulturen entwickeln.
Wilson's erweitere Soziobiologie: genetisch konstanter Möglichkeitsraum
kultureller Evolutionen. 
Aber: Hyperkomplexität dieses Möglichkeitsraums; Kreativität von Sprache und
Kognition
Nichtreduzierbarkeit der KE auf individuelle Einzelleistungen:
1) Unbegrenzte Kreativität von Sprache und Kognition:
syntaktische Kreativität (Chomsky)
semantische Kreativität (Frege, Russell)
Kreativität in bezug auf beantwortbare Fragestellungen (Gödel)
in komplexen Systemen (nicht analytisch lösbare Differentialgleichungen)
2) Gedankenexperiment: schlagartig würden alle Informationen und technischen
Geräte vernichtet werden. Wie lang würde Menschen brauchen, um wieder zur
heutigen Stufe zu gelangen?
41
3) Die Nichtintentionalität der KE  rekursive Selektion statt globaler Pläne:
Die Bevölkerungsexplosion, die PKW-Flut, die Zerstörung der Natur, die
Massenverdummung durch das Fernsehen  wer hat das alles gewollt?
Basalla (1988): technologische Evolution = simultane Produktion von neuen
Technologien und neuem Bedarf.
Beispiele:
Edisons
Phonograph:
Diktiergerät;
Internet:
schneller
Informationstransfer für Wissenschaftler; Erfinder des ersten Kühlschranks, PKWs,
usw.
Automobil: 1900: Spielzeug für Wohlhabende. 1900 wurden in USA 4912 Autos
produziert: 1681 Dampfautos, 1575 elektrische Autos, nur 936 Benzinautos.
Warum
haben
sich
die
Bezinautos
durchgesetzt?
Zunächst
kaum
Selektionsvorteil; Wirtschaft stellt sich darauf ein; Fortbewegungsmittel für längere
Entfernungen, LKW wird erfunden.
 Die Technologie wandelt nicht Notzustand in Luxus um, sondern umgekehrt (z.B.
das Handy)
4) Schwächen alternativer Theorien:
(i) teleologische Kulturerklärungen: doch es gibt keine globalen Ziele
(ii) handlungsbasiert-intentionale Erklärungen: doch niemad hat das gewollt
(iii) quasi-naturgesetzliche Erklärungen: übersehen das Wirken des subjektiven
Faktors (Poppers Historizismuskritik)
(iv) rein soziologistische Lerntheorien: Erklären nicht, warum es gerade zu den und
keinen anderen kulturellen Strukturen gekommen ist  es war "Zufall" (Problem des
Erklärungszirkels).
41
42
42
Parallelitäten zwischen BE und KE:
Über die grundlegende BE-KE-Parallelen hinausgehend spezielle Parallelitäten:
1) Aussterben kultureller 'Spezies':
z.B. Technologie: ausgestorbenen Vorfahren von noch existierenden technischen
Abstammungslinien: frühere Vorfahren des Autos, Glühbirne, Eisschranks, versus
ganz ausgestorbenen Abstammungslinien: Wasserkrafträdern bzw. Mühlrädern,
Dampfmaschinen, Ritterrüstungen, landwirtschaftliche Geräten wie Egge, Pflug,
Heugabel, usw., Kerzenlicht- und Gaslichtutensilien, befeuerten Herden bis hin zu
Pumpbrunnen, Waschtrögen, Zinkbadewannen, usw.
z.B. Sprache: Pagel (2000, 395) schätzt: Evolution von Homo sapiens hat ca.
500 000 verschiedene Sprachen hervorgebracht, die gegenwärtig auf ca. 6 000
dezimiert worden sind.
Religion: Wilson (1998, 325) schätzt: es gab in Geschichte der Menschheit etwa
100 000 verschiedene religiöse Glaubenssysteme, während es heute, abgesehen von
kleiner Stammesreligionen, nur mehr die fünf „Weber’schen“ Weltreligionen des
Christentums, Konfuzianismus, Hinduismus, Buddhismus und Islams sowie einige
verwandte Formen wie jüdische Religion, Taoismus und Bahai gibt.
Reduktion von Sprachen und Religionen erfolgte meist durch großräumige
Kolonialisierungen; knapp 15 % aller heute noch lebenden Sprachen sind allein auf
Neuguinea angesiedelt.
43
2) Parallelismen zwischen Teildisziplinen der BE und der KE (Mesoudi, Whiten und
Laland 2006, 333 f):
BE
KE
Makroevolution
Systematik
Komparative Anthropologie und Ethnologie
Paläobiologie
Evolutionäre Archäologie
Biogeografie
Kulturelle Anthropologie und Humangeografie
Mikroevolution
Populationsgenetik
Evolutionäre Spieltheorie
(experimentell: Biologie)
(experimentell: Psychologie, Ökonomie)
Evolutionäre Ökologie
Verhaltensökologie (ökologische Psychologie)
Molekulargenetik
Memetik und Neurowissenschaft
43
44
44
3) Anwendung der Methode der Ähnlichkeitsreihen (Fossilien) auf technologische
Evolution  Abstammungsbaum australischer Aborigineswaffen (Basalla 1988, 19):
45
4) Anwendung kladistischer Methoden auf Evolution von Sprachen:
Vermuteter zeitlicher Abstammungsbaum menschlicher Sprachen, entwickelt von
Ruhlen (1994) und Cavalli-Sforza (2001), basierend auf der Übereinstimmung von
genetischem und linguistischem Abstammungsbaum nach Cavalli-Sforza et al. (1988,
6002-6006).
45
46
46
Probleme der Memtheorie
Memetik: Blackmore (Dennett) Meme als "Viren des Geistes". Popper: 3. Welt
Platonismus
Kritik
Aunger
(2000),
Gardner
(2000):
empirisch
kaum
gehaltvolles
Forschungsprogramm, als problematische Terminologie.
 Kritik an der Memetik als eigene Wissenschaft
Lokalisation und Identität von Memen:
Zwei Auffassungen zur Lokalisation:
1) Meme im Gehirn (neuronale bzw. mentale Strukturen): Dawkins, Gabora (1997),
Delius (1989). Vorteil: Unterscheidung von Memotypen und Phänotypen
(Verhaltensweisen & Artefakte)
Problem: Information kann auch außerhalb der Köpfe von Menschen
abgespeichert werden; Meme können so Generationen überspringen. (Analogie wäre
das 'Einfrieren' menschlicher Gene)
2) Meme als beliebige (tradierbare) Informationseinheiten innerhalb oder ausserhalb
des Gehirns (Dennett 1995, Durham 1991, Blackmore: z.B. Suppenrezept; Gatherer
1998: behavioristischer Membegriff.)
Nachteil: Identität von Memen und Abgrenzung von Phänen schwierig.
Zur vagen Identität von Memen:
(i) es gibt keinen strukturell-physikalischen Membegriff (vgl. zum DNS-Code); und
(ii) es gibt keine kleinsten bedeutungstragenden Memeinheiten (vgl. zu einem Codon)
ausser evtl. bei der Sprache (Kritik an Dennett oder Wilkins)
(iii) es gibt nur den funktionalen Membegriff: Meme bedeuten etwas; sind
semantische (nicht physikalisch definierte) Einheiten (Dennett), die lernbar/imitierbar
sind.
(iv) was einfache Meme vs. Memkomplexe sind, ist bereichsabhängig.
47
Reproduktion (Transmission) von Memen:
Cavalli-Sforza
&
(intergenerationale)
Feldman:
horizontale
Transmission
=
(intragenerationale)
kulturelle
und
Tradition:
vertikale
Letztere
ist
Voraussetzung für nachhaltige KE.
Boyd & Richerson: kulturelle Eltern-Kind-Beziehungen. Kulturelle Vererbung mulitparental.
Memreproduktion involviert Re-interpretation.->Daher Mischvererbung (blending
inheritance) möglich.
Karl
Marx
vereinigte
Hegelsche
Dialektik,
Smith-Ricardosche
Ökonomie,
naturwissenschaftlichen Materialismus und utopischen Frühsozialismus.
Kulturelle
Abstammungslinien
kein
reiner
Verzweigungsbaum,
sondern
Verzweigungsgraph: Wiedervereinigung bzw. Einschmelzungen von Linien möglich.
Es gibt keine strengen intrinisischen Reproduktionsbarrieren zwischen kulturellen
Memkomplexen  nur geographische oder sprachliche Barrieren.
 daher nur kulturelle Quasi-Spezies, keine echten Spezies. Begriffs der
gemeinsamen Vorfahren nicht mehr eindeutig. Daher nur mehr partielle Homologien.
47
48
48
1
2
3
1
2
3
1*
(a)
4
(b)
4
5
5
(a) Biologischer Abstammungsbaum und (b) kultureller Abstammungsgraph.
IE
Griech.
Latein
PG
Skand.
.
Deutsch
Chin.
Franz.
Ital.
Span.
Portug.
AE
ME
ModE
Uto-Aztek.
Algonqian
Wiedervereinigung von Stammlinien in der Evolution des Englischen. IE =
Indogermanisch, PG = Protogermanisch, AE = Altenglisch, ME = Mittelenglisch,
ModE = modernes Englisch (Fox 1995, 124).
49
Mechanismen der Memtransmission: Imitation (Blackmore) & Lernen.
Individuelles Lernen (zB trial und error) versus
soziales Lernen 
Soziales Lernen ermöglicht Memtransmission. Vorteil: lange Lerngeschichte des
anderen wird übersprungen!
Blackmore: Nachhaltige & kumulative KE nur durch echte Imitation möglich
Formen des sozialen Lernens, die nach Blackmore keine Imitation sind:
Zielsimulation  dabei wird bereits angeborenes oder anderswärtig (z.B. individuell)
erlerntes Verhalten auf neues Ziel/Reiz/Situation hin konditioniert; aber Verhalten
wird nicht durch Imitation übernommen. Nach Blackmore sind nur Menschen sind
echte Imitierer  genuine KE nur beim Menschen.
Kritik an Blackmore: (1.) Millikan: die meisten Formen sozialen Nachahmens
involvieren neben Blackmore-Imitation auch individuelles Lernens (z.B. Verstehen).
(2.) KE schon bei Tieren: Schimpansen (Tomasello), japanische Makkaken
(Sommer), Singvögel (Wickler).
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Typen der Reproduktion bzw. Repronentransmission (sukzessive weiter gefasst)
1) Replikation = physikalisch/syntaktischer Kopiervorgang. Bei DNS. Entsprechung
in KE wäre gegeben, wenn Gehirn-Software direkt übertragen werden würde
("Scannen" von neuronalen Verschaltungen und Erregungsmustern)
2) Semantische Reproduktion  diverse Abbildungen in andere Medien; im Effekt
keine isomorphe Kopie, sondern nur semantische Ähnlichkeit.
Vgl. iteriertes Abzeichnen von bedeutungslosem Gekritzel vs. bedeutungsvoller
Zeichnung. Im letzteren Fall Fehlerbehebung (Sperber).
 Dawkins: Variationsrate darf nicht hoch sein (zB 1:5), sonst kommt Evolution
nicht zustande; vererbter Anteil wird randomisiert. Bei DNA-Replikation
Reparaturenzyme.  Variationsrate darf auch nicht null oder zu gering sein (zB
1:109), sonst steht Evolution still.
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 Informationsübertragung: Boyd/Richerson: statistisches soziales Lernen 
Durchschnitt wird nachgeahmt. Informationsübertragung genügt für KE.
Noch weiter gefaßt:
4) Retention (Campbell): Beibehalten gewisser (begünstigter) Eigenschaften.
Zeitliche Stabilität von gewissen Varianten. Setzt keine Reproduktion in Form von
Generationenfolgen voraus. Auch Kristallwachstum ist Campbell-Evolution. Ich
spreche hier lediglich von Prä-Evolution.
Verallgemeinerter Lamarckismus:
Findet statt, wenn Resultate individuellen Lernens in die Repronen einer Art von
Evolution einfließen.
In der BE ist dies nicht der Fall: Erlerntes geht nicht in die Gene.
In der KE ist dies der Fall: neue, individuell erlernte/erworbene Ideen bzw.
Fähigkeiten können Kulturgut werden (Newton: "wir stehen auf Schultern von
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Giganten").
Variation in der KE
1) Gerichtete Variation: kulturelle Variationen nicht 'blind', sondern (oftmals)
zielintendiert und rational geplant (Boyd and Richerson: "guided variation", sowie
biased transmission). Aber: jede Idee und geplante Handlung ist fehlerhaft, inperfekt,
und daher einer systematisch optimierenden Selektion fähig.
Campbell: gerichtete Variation = induktive Abkürzung des evolutionären trial-underror Prozesses aufgrund höherer kognitiver Mechanismen. Auf höchster Ebene ist
Variation immer blind (unabhängig von 'Zielen', bzw. von Selektionsparametern (?).
Kulturelle Variationsfreudigkeit ist der jungen Generation angeboren.
2) Gerichtete Makromutationen, simultane Variationen von Repronenkomplexen in
gleicher intendierter Richtung, sind in KE (eher) möglich (Paradigmenwechsel).
3) Variationen häfiger und effektiver: Resultat  KE viel schneller als BE.
Tomasello: Unterschied Mensch Schimpanse durch 200.000 Jahren BE nicht
erklärbar; nur durch KE.
4) Zu hohe Variationsrate? Selbst wenn Selektionskriterien einigermaßen stabil sind,
erfordert nachhaltig gerichtete Evolution gewisse Reproduktionsgenauigkeit.
Gibt es im Bereich der Philosophie /Geisteswissenschaften weniger Fortschritt als in
Naturwissenschaften & Technik, weil Variation durch Re-Interpretation zu hoch ist?
 analytisches versus postmodernes Methodenparadigma von Interpretation.
Es gibt "Hegel-Schulen", "Kafka-Interpretationen", aber keine "Newton-Interpretationen" bzw. "-Schulen".
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Selektionsprozesse in der KE:
Selektion bzw. Fitness von Memen besteht um allgemeinen darin, dass gewisse
kulturelle Merkmale öfter imitiert werden und sich daher stärker ausbreiten als
andere.
Details der Selektionsmechanismen sind stark bereichsabhängig: vgl. z.B.
Wissenschaft, Technik, Religion und Weltanschauung, Recht & Politik, Kunst, Mode,
Sprache.
1) Fertilitätsfitness vs. Vitalitätsfitness in der KE:
Ziel der Fertilitätsfitness: hohe Verbreitung (Massenmedien etc.)
jemand betreibt viel Werbung, aber niemand übernimmt Inhalt  höhe Fertilität von
Memen, geringe Vitalität.
Fertilität in BE vs. KE: es gibt in KE keine Memfresser, aber mentale und praktische
Memfilter (Informationsflut, Massenmedien  was nimmt man auf?).
jemand zeugt nachhaltigen Schülerkreis: hohe Vitalitätsfitness.
 Im Gegensatz zur BE sind die Ziele der Vitalitätsfitness (was für Überleben eines
Mems im Kopf eines Menschen wichtig ist) nicht allgemein bestimmbar.
Wissenschaft: Einfachheit & Erklärungskraft einer Idee; Technik: Nützlichkeit eines
Produktes; Kunst: ästhetische Faszination, usw.
2) Immunisierungsmechanismen  Fundamentalismus vs. Aufklärung:
Fundamentalistische Religionen und Weltanschauungen  deren Meme erzeugen die
informationelle Aussperrung konkurrierender Meme aus dem Gehirn, in das sie
eingedrungen sind.
Schaffen sachlich unbegründetes Selbstvertrauen:  die Kraft des puren Glaubens
und der verallgemeinerte Placebo-Effekt.
Aufklärung, Meinungsfreiheit, Zulassung von Kritik, Übung von Kritikfähigkeit:
eine selbstgesetzte Regel des 'fair play' zwecks besserer Memevolution der ganzen
Menschheit. Sozusagen eine altruistische Norm für Meme: so können Meme besser
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der Wahrheit näherkommen. Fundamentalistische Meme sind egoistische Meme.
3) Autoselektion, kulturelle Nischenkonstruktion und Umweltinduktion:
Autoselektion:
dieselben
Individuen,
welche
bestimmte
Memvariationen
herbeiführen, selektieren Variationen  Beispiel: technische Produkte in der
Konstruktionsphase (Toumin, Cohen, Hull). 
Kulturelle Nischenkonstruktion: Population erzeugt
kulturelle Umwelt, die
bestimmte Varianten fördert  z.B. kriegsorientierte Kultur, Agrarkultur, etc. (Laland
und Odling-Smee). Guglielmino (1995): Mehrzahl afrikanischer kultureller
Variationen korreliert nicht mit ökologischen Umweltvariablen.
Umweltinduktion  das Gegenstück gerichteter Variation:
die selektive Umwelt
beeinflusst die variantenerzeugenden Individuen in ihrem Sinne. Ist in BE nicht der
Fall: wäre so, als ob die flache Steppe die Füsse dazu bewegen würde, Hufe zu
bilden; oder das Wasser die Gliedmaßen, um zu Flossen zu werden.

 alle diese Effekte sind solange kein Problem für gerichtete Evolution, solange
Selektionskriterien stabil sind (kulturelle Nischenkonstruktion erzeugt allerdings
leicht Häufigkeitsabhängigkeit)
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4) Kopplung von Variation und Selektion: Häufigkeitsabhängige Fitness
 hier kann das Constraint der Umgebungsstabilität verletzt sein; die
Selektionskriterien können instabil werden.
4.1) Interaktive Häufigkeitsabhängigkeit: Fitness einer Variante hängt von der
Häufigkeit anderer Varianten ab.
Z.B. in der soziale Kooperation (evolutionäre Spieltheorie; John Maynard-Smith etc).
 Nutzen eines Korbes hängt nicht davon ab, wie die anderen ihre Nahrung sammeln
 Nutzen einer kollektiven Jagdstrategie (Treibjagd) hängt davon ab, ob die und wie
gut die anderen mitmachen
Allgemein: Nutzen kooperativen/altruistischen Verhaltens hängt negativ von der
Häufigkeit von Egoisten in der Population, und positiv von der Häufigkeit der
Altruisten ab (und umgekehrt).
Resultat: schwer voraussagbare Entwicklungen; nur manchmal gerichtet; evtl.
chaotisch.
4.2) Reflexive Häufigkeitsabhängigkeit:
Fitness einer Variante hängt von ihrer
eigenen Häufigkeit nab.
(a) Positiv: Z.B. durch starken sozialen Konformismus. Variante schiesst ab gewisser
Häufigkeitsschwelle schnell gegen 100%. Gefahr des evolutionären Deadlock.
Resultat: diskontinuierliche Schwankungen, evtl. chaotisch..
(b) Negativ: Beispiel Mode: Variante umso attraktiver, je seltener sie ist; verliert an
Attraktivität, wenn verbreitet.  Resultat: periodische Pendelbewegungen.
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Zusammenfassung der Unterschiede zwischen BE und KE:
1. Ad Memidentität und Reproduktion:
1.1 Memidentität schwer charakterisierbar. Lokalisiert im Gehirn/Geist. Die den
Memen zugehörigen Phäne außerhalb.
1.2 Als Konsequenz von 1.1  Memreproduktion kann Generationen überspringen.
1.3 Keine Replikation, nur (semantische) Reproduktion, Informationsübertragung.
1.4 Kontextabhängig, Bereichsspezifität der Art von Memtransmission.
1.5 Im Zusammenhang mit multiparentaler Struktur: Mischvererbung möglich.
1.6 Keine intrinsischen, nur extrinsische Separationen; daher nur 'Quasi-Species'.
1.7 Im Zusammenhang mit 1.3-6: keine evolutionären Verzweigungsbäume, nur
Verzweigungsgraphen (Wiedervereinigungen von Linien).
2. Ad Variation
2.1 Hohe Variationsrate
2.2 Gerichtete Variation und echte Intentionalität
2.3 Im Zusammenhang mit 2.2  gezielte 'Makromutation'.
2.4 Verallgemeinerter Lamarckismus
3. Ad Selektion:
3.1 Autoselektion
3.2 Im Zusammenhang mit 3.1  Umweltinduktion
3.3 Im Zusammenhang mit 3.1  mehr Möglichkeiten der häufigkeitsabhängigen
Fitness als in der BE.
3.4 Im Zusammenhang mit hoher Variationsrate, 2.1, 2.2 und 3.1-3  größere
Schnelligkeit der KE, höhere Wahrscheinlichkeit des temporären Wegfalls des
Constraints der Umgebungsstabilität, der 'kulturellen Explosionen' sowie sonstiger
irregulärer und chaotischen Entwicklungen.
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