Word - European Committee for the Prevention of Torture

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EUROPARAT
CPT/Inf/E (2002) 1 - Rev. 2010
Deutsch / German / Allemand
Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe
(CPT)
CPT-Standards
3
INHALTSVERZEICHNIS
Seite
Das CPT in Kürze ............................................................................... 4
I.
Polizeigewahrsam ...................................................................... 6
II.
Gefängnisse .............................................................................. 17
Gefängnishaft ..................................................................................... 17
Gesundheitsdienste in Gefängnissen .................................................. 31
III. Psychiatrische Einrichtungen................................................. 43
Unfreiwillige Unterbringung in psychiatrischen Einrichtungen ........ 43
Zwangsmaßnahmen in psychiatrischen Einrichtungen
für Erwachsene ................................................................................... 54
IV.
Ausländerrechtliche Haft ....................................................... 61
Angehörige fremder Staaten in ausländerrechtlicher Haft ................. 61
Schutzvorkehrungen für Angehörige fremder Staaten
in ausländerrechtlicher Haft ............................................................... 67
Abschiebung ausländischer Staatsangehöriger auf dem Luftwege .... 75
V.
Jugendliche, denen die Freiheit entzogen ist ........................ 82
VI.
Frauen, denen die Freiheit entzogen ist ................................ 90
VII. Straflosigkeit bekämpfen ........................................................ 95
VIII. Elektroimpulswaffen ............................................................. 102
4
Das CPT in Kürze
Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher
oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) wurde durch die gleichnamige
Europaratskonvention von 1987 (im folgenden: "die Konvention") eingesetzt.
Gemäß Art. 1 der Konvention:
“[Es] wird ein Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe ... errichtet.
Das Komitee prüft durch Besuche die Behandlung von Personen, denen die
Freiheit entzogen ist, um erforderlichenfalls den Schutz dieser Personen vor
Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe zu
verstärken.”
Die Arbeit des CPT ist konzipiert als integraler Bestandteil des Systems
zum Schutz der Menschenrechte des Europarates, indem sie dem existierenden
reaktiven gerichtlichen Mechanismus des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte einen proaktiven nichtrichterlichen Mechanismus zur Seite stellt.
Das CPT erfüllt seine im wesentlichen präventive Funktion durch zwei
verschiedene Arten von Besuchen – periodische Besuche und ad-hoc-Besuche.
Periodische Besuche werden in allen Vertragsstaaten der Konvention regelmäßig
durchgeführt. Ad-hoc-Besuche werden in diesen Staaten durchgeführt, wenn sie dem
Komitee als “nach den Umständen erforderlich” erscheinen.
Nach der Konvention genießt das CPT bei der Durchführung eines Besuchs
umfassende Befugnisse: Zugang zum Gebiet des betroffenen Staates und
unbeschränkte Reisefreiheit; uneingeschränkten Zugang zu jedem Ort, an dem
Personen die Freiheit entzogen ist, einschließlich des Rechts, sich innerhalb solcher
Örtlichkeiten frei zu bewegen; Zugang zu vollständiger Information über die Orte,
an denen Personen die Freiheit entzogen ist, sowie zu anderen dem Staat
verfügbaren Informationen, die für das Komitee erforderlich sind, um seine Aufgabe
zu erfüllen.
Das Komitee ist gleichfalls berechtigt, Personen, denen die Freiheit
entzogen ist, unter vier Augen zu befragen und frei mit jeder Person in Verbindung
zu treten, die ihm nach seiner Einschätzung relevante Informationen liefern kann.
5
Besuche können an jedem Ort ausgeführt werden, “wo Personen durch eine
öffentliche Behörde die Freiheit entzogen ist”. Das Mandat des CPT geht folglich
über Gefängnisse und Polizeiwachen hinaus und umfasst zum Beispiel
psychiatrische Einrichtungen, Haftbereiche in Militärkasernen, Hafteinrichtungen
für Asylsuchende oder andere Ausländerkategorien und Orte, an denen jungen
Menschen auf gerichtliche oder administrative Anordnung die Freiheit entzogen
werden kann.
Zwei grundlegende Prinzipien leiten die Beziehungen zwischen dem CPT
und den Vertragsstaaten der Konvention – Kooperation und Vertraulichkeit. In
dieser Hinsicht sollte betont werden, dass es nicht die Aufgabe des Komitees ist,
Staaten zu verurteilen, sondern sie vielmehr dabei zu unterstützen, die Misshandlung
von Personen, denen die Freiheit entzogen ist, zu verhüten.
Nach jedem Besuch verfasst das CPT einen Bericht, der seine Erkenntnisse
darlegt und, falls notwendig, Empfehlungen und andere Ratschläge enthält, auf
deren Grundlage sich ein Dialog mit dem betroffenen Staat entwickelt. Der
Besuchsbericht des Komitees ist im Prinzip vertraulich; jedoch haben fast alle
Staaten sich entschlossen, auf die Vertraulichkeit zu verzichten und den Bericht zu
veröffentlichen.
Das CPT hat jedes Jahr einen Jahresbericht über seine Aktivitäten zu verfassen, der
veröffentlicht wird.
In einer Reihe seiner Jahresberichte hat das CPT einige der inhaltlichen Anliegen
beschrieben, die es verfolgt, wenn es Besuche an Orten des Freiheitsentzugs
durchführt. Das Komitee hofft, hierdurch den nationalen Behörden im voraus
eindeutige Hinweise über seine Ansicht im Hinblick darauf zu geben, wie Personen,
denen die Freiheit entzogen ist, behandelt werden sollten, und allgemein eine
Diskussion über solche Fragen anzuregen.
Die bisher verfassten “inhaltlichen” Abschnitte werden in diesem Dokument
zusammengefasst.
6
I.
Polizeigewahrsam
Auszug aus dem 2. Jahresbericht [CPT/Inf (92) 3]
36.
Das CPT hält für Personen in Polizeigewahrsam drei Rechte für besonders wichtig:
das Recht der betroffenen Person darauf, dass eine dritte Partei ihrer Wahl von der Tatsache
ihrer Inhaftierung benachrichtigt wird (Familienmitglied, Freund, Konsulat), das Recht auf
Zugang zu einem Rechtsanwalt und das Recht, um eine Untersuchung durch einen Arzt ihrer
Wahl zu ersuchen (zusätzlich zu einer etwaigen ärztlichen Untersuchung durch einen von den
Polizeibehörden hinzugezogenen Arzt). 1 Diese Rechte sind nach Ansicht des CPT drei
grundlegende Schutzvorkehrungen gegen die Misshandlung inhaftierter Personen; sie sollten
sofort von Beginn des Freiheitsentzuges an angewendet werden ungeachtet seiner
Bezeichnung in dem jeweiligen Rechtssystem (Ergreifung, Festnahme etc.).
37.
Personen, die in Polizeigewahrsam genommen worden sind, sollten ausdrücklich
und ohne Verzögerung über alle ihre Rechte - einschließlich der in Ziffer 36 aufgeführten aufgeklärt werden. Darüber hinaus sollte jede Möglichkeit der Behörden, die Ausübung eines
dieser Rechte zum Schutz von Interessen der Rechtspflege aufzuschieben, klar festgelegt und
ihre Anwendung zeitlich genau begrenzt werden. Soweit das Recht auf Zugang zu einem
Anwalt und auf das Ersuchen um eine ärztliche Untersuchung durch einen nicht von der
Polizei hinzugezogenen Arzt betroffen sind, sollten Verfahren existieren, wonach
ausnahmsweise Anwälte und Ärzte aus einer zuvor - im Einverständnis mit den betroffenen
Berufsorganisationen - festgelegten Liste ausgewählt werden können. Solche Verfahren
sollten jedes Bedürfnis nach einem Aufschub der Ausübung dieser Rechte ausschließen.
38.
Der Zugang zu einem Rechtsanwalt sollte für Personen in Polizeigewahrsam
sowohl das Recht enthalten, zu ihm Kontakt aufzunehmen und von ihm besucht zu werden (in
beiden Fällen unter Bedingungen, die die Vertraulichkeit der Gespräche gewährleisten), als
auch grundsätzlich das Recht der betroffenen Person auf Anwesenheit des Rechtsanwalts
während der Vernehmung.
Ärztliche Untersuchungen von Personen in Polizeigewahrsam sollten außer
Hörweite und vorzugsweise außer Sicht von Polizeibeamten vorgenommen werden. Darüber
hinaus sollten die Ergebnisse jeder Untersuchung ebenso wie alle dazugehörigen Äußerungen
der inhaftierten Person und die Schlussfolgerungen des Arztes von diesem formell
aufgenommen und der inhaftierten Person und ihrem Anwalt zugänglich gemacht werden.
1
Dieses Recht wurde später wie folgt umformuliert: das Recht auf Zugang zu einem Arzt
einschließlich des Rechts der inhaftierten Person, auf Wunsch durch einen Arzt eigener Wahl untersucht
zu werden (zusätzlich zu einer etwaigen ärztlichen Untersuchung durch einen von den Polizeibehörden
hinzugezogenen Arzt).
7
39.
Zum Vernehmungsvorgang: das CPT ist der Auffassung, dass eindeutige Regeln
oder Richtlinien über die Art und Weise, in der polizeiliche Vernehmungen durchgeführt
werden, bestehen sollten. Sie sollten unter anderem die folgenden Gegenstände ansprechen:
die Mitteilung der Identität der bei der Vernehmung Anwesenden (Name und/oder Nummer)
an die inhaftierte Person; die zulässige Länge einer Vernehmung; Ruhephasen zwischen den
Vernehmungen und Pausen während einer Vernehmung; Orte, an denen Vernehmungen
stattfinden dürfen; ob die inhaftierte Person verpflichtet werden darf, während der
Vernehmung zu stehen; die Vernehmung von Personen unter dem Einfluss von Drogen,
Alkohol etc. Ebenso sollte systematisch eine Niederschrift geführt werden über die Zeiten, zu
denen Vernehmungen beginnen und enden, über jedes Ersuchen der inhaftierten Person
während einer Vernehmung und über die Personen, die bei jeder Vernehmung anwesend
waren.
Das CPT fügt hinzu, dass die elektronische Aufzeichnung polizeilicher
Vernehmungen eine weitere nützliche Schutzvorkehrung gegen die Misshandlung inhaftierter
Personen darstellt (wie sie auch für die Polizei bedeutsame Vorteile hat).
40.
Nach Auffassung des CPT würden die grundlegenden Schutzvorkehrungen für
Personen in Polizeigewahrsam gestärkt (und die Arbeit der Polizeibeamten möglicherweise
durchaus erleichtert werden), wenn eine einzige und umfassende Haftakte für jede inhaftierte
Person bestehen würde, welche alle Aspekte der Haft und hierzu ergriffenen Maßnahmen
festhalten sollte (Beginn des Freiheitsentzuges und Gründe für diese Maßnahme; wann sie
über ihre Rechte aufgeklärt wurde; Anzeichen für Verletzungen, Geisteskrankheit etc.; wann
nahe Angehörige/das Konsulat und der Anwalt kontaktiert wurden und wann sie von diesen
besucht wurde; wann Speisen angeboten wurden; wann sie befragt wurde; wann sie verlegt
oder entlassen wurde etc.). In verschiedenen Angelegenheiten sollte die Unterschrift der
inhaftierten Person eingeholt werden (zum Beispiel in bezug auf Gegenstände im Besitz der
Person, darüber, dass sie über ihre Rechte aufgeklärt worden ist und ob sie sich auf sie
berufen oder auf sie verzichtet hat) und, wenn nötig, das Fehlen der Unterschrift erklärt
werden. Zudem sollte der Anwalt der inhaftierten Person Zugang zu dieser Haftakte erhalten.
41.
Darüber hinaus ist die Existenz einer unabhängigen Einrichtung für die
Untersuchung von Beschwerden über die Behandlung in Polizeigewahrsam eine wichtige
Schutzvorkehrung.
8
42.
Polizeigewahrsam ist grundsätzlich von relativ kurzer Dauer. Folglich kann nicht
erwartet werden, dass die physischen Haftbedingungen in Polizeieinrichtungen ebenso gut
sind wie an anderen Haftorten, an denen Personen über längere Zeiträume festgehalten
werden. Es sollten jedoch bestimmte elementare materielle Anforderungen beachtet werden.
Alle Polizeizellen sollten für die Zahl der für gewöhnlich untergebrachten Personen
ausreichend groß sein, über angemessene Beleuchtung (d. h. genügend, um dabei lesen zu
können, ausgenommen zu den Schlafenszeiten) und Belüftung verfügen; vorzugsweise über
natürliches Licht. Darüber hinaus sollten die Zellen mit Sitzgelegenheiten ausgestattet sein
(zum Beispiel mit einem befestigten Stuhl oder einer Bank), und Personen, die über Nacht in
Haft bleiben müssen, sollten saubere Matratzen und Decken zur Verfügung gestellt werden.
Personen in Haft sollte erlaubt werden, ihren natürlichen Bedürfnissen, sobald
nötig, unter sauberen und ordentlichen Bedingungen nachzukommen, und es sollten ihnen
ausreichend Waschgelegenheiten angeboten werden. Sie sollten zu angemessenen Zeiten
etwas zu essen erhalten, darunter wenigstens eine vollständige Mahlzeit (d. h. etwas
Gehaltvolleres als ein Sandwich) am Tag. 1
43.
Schwierig zu beantworten ist die Frage, welche Größe für eine Polizeizelle (oder für
jede andere Unterkunft inhaftierter/gefangener Personen) angemessen ist. Für diese
Einschätzung müssen viele Faktoren berücksichtigt werden. Jedoch sahen die Delegationen
des CPT Bedarf für eine grobe Richtlinie auf diesem Gebiet. Gegenwärtig wird folgendes
Kriterium verwendet (zu sehen mehr als ein wünschenswertes Niveau denn als ein
Minimalstandard), um Polizeizellen zu bewerten, die in Einzelbelegung für Aufenthalte von
mehr als einigen Stunden Dauer vorgesehen sind: 7 Quadratmeter, 2 Meter oder mehr
zwischen den Wänden, 2,5 Meter zwischen Fußboden und Decke.
1
Das CPT tritt überdies dafür ein, dass Personen, die 24 Stunden oder länger in
Polizeigewahrsam festgehalten werden, möglichst jeden Tag Bewegung an der frischen Luft angeboten
werden sollte.
9
Auszug aus dem 6. Jahresbericht [CPT/Inf (96) 21]
14.
Das CPT begrüßt die Unterstützung, die für seine Arbeit in der Empfehlung 1257
(1995) der Parlamentarischen Versammlung über die Haftbedingungen in den Mitgliedstaaten
des Europarates zum Ausdruck gebracht wurde. Es hat gleichfalls mit großer Befriedigung der
Antwort auf Empfehlung 1257 entnommen, dass das Ministerkomitee die Behörden der
Mitgliedstaaten aufgefordert hat, die im 2. Jahresbericht des CPT (vgl. CPT/Inf (92) 3, Ziffern
36 bis 43) niedergelegten Richtlinien über den Polizeigewahrsam zu befolgen.
In diesem Zusammenhang sollte bemerkt werden, dass einige Vertragsstaaten der
Konvention kaum bereit sind, bestimmte Empfehlungen des CPT über Schutzvorkehrungen
gegen Misshandlung von Personen in Polizeigewahrsam vollständig umzusetzen,
insbesondere die Empfehlung, solchen Personen sofort von Beginn des Gewahrsams an das
Recht auf Zugang zu einem Rechtsanwalt zu gewähren.
15.
Das CPT möchte betonen, dass nach seiner Erfahrung im Zeitraum unmittelbar nach
Beginn des Freiheitsentzuges das Risiko von Einschüchterung und körperlicher Misshandlung
am größten ist. Folglich ist für Personen, die in Polizeigewahrsam genommen worden sind,
die Möglichkeit, in diesem Zeitraum Zugang zu einem Rechtsanwalt zu erhalten, eine
grundlegende Schutzvorkehrung gegen Misshandlung. Das Bestehen dieser Möglichkeit wird
eine abschreckende Wirkung auf diejenigen haben, die geneigt sind, inhaftierte Personen zu
misshandeln; darüber hinaus ist ein Rechtsanwalt gut geeignet, angemessene Schritte zu
unternehmen, wenn es tatsächlich zu Misshandlungen kommt.
Das CPT erkennt an, dass es zum Schutz der Interessen der Rechtspflege ausnahmsweise
notwendig sein kann, den Zugang einer inhaftierten Person zu einem bestimmten von ihr
ausgewählten Rechtsanwalt für einen gewissen Zeitraum aufzuschieben. Jedoch sollte dies nicht
zur Folge haben, dass das Recht auf Zugang zu einem Rechtsanwalt während des fraglichen
Zeitraums vollständig verweigert wird. In solchen Fällen sollte der Zugang zu einem anderen
unabhängigen Rechtsanwalt veranlasst werden, bei dem darauf vertraut werden kann, dass er nicht
die legitimen Interessen der polizeilichen Untersuchung gefährdet.
16.
Das CPT betonte gleichermaßen in seinem 2. Jahresbericht, dass es wichtig ist,
Personen, die in Polizeigewahrsam genommen worden sind, unverzüglich über alle ihre
Rechte ausdrücklich zu belehren.
Um dies sicherzustellen, sollte nach Auffassung des CPT ein Vordruck, der diese
Rechte klar darstellt, routinemäßig den von der Polizei festgehaltenen Personen sofort zu
Beginn des Gewahrsams übergeben werden. Darüber hinaus sollten die betroffenen Personen
aufgefordert werden, eine Erklärung zu unterschreiben, die bestätigt, dass sie über ihre Rechte
belehrt wurden.
Die oben aufgeführten Maßnahmen wären einfach umzusetzen, kostengünstig und
effektiv.
10
Auszug aus dem 12. Jahresbericht [CPT/Inf (2002) 15]
33.
Für ein funktionierendes Zusammenleben in der Gesellschaft ist es unbedingt
erforderlich, dass die Polizei befugt ist, Straftatverdächtige und andere Kategorien von
Personen festzunehmen, zeitweilig festzuhalten und zu befragen. Jedoch bringen diese
Befugnisse ein ihnen innewohnendes Risiko von Einschüchterung und körperlicher
Misshandlung mit sich. Die Arbeit des CPT liegt im wesentlichen darin, Wege zu finden, um
dieses Risiko auf das absolute Minimum zu reduzieren, ohne die Polizei bei der
ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Pflichten ungebührlich zu behindern. In einer Reihe von
Ländern konnten im Bereich des Polizeigewahrsams ermutigende Entwicklungen beobachtet
werden; jedoch werfen die Erkenntnisse des CPT nur allzu oft ein Schlaglicht auf die
Notwendigkeit, anhaltend wachsam zu bleiben.
34.
Die Befragung von Tatverdächtigen ist eine Aufgabe für Spezialisten, die eine
spezifische Ausbildung erfordert, wenn sie in zufriedenstellender Weise erfüllt werden soll.
Zuerst und vor allem muss das genaue Ziel einer solchen Befragung völlig klar gemacht
werden: dieses Ziel sollte sein, richtige und verlässliche Informationen zu erlangen, um die
Wahrheit über die zu untersuchenden Angelegenheiten herauszufinden, nicht, von jemandem
ein Geständnis zu erhalten, dessen Schuld nach Auffassung der vernehmenden Beamten zu
vermuten ist. Die Befolgung dieses Zieles durch die Gesetzesvollzugsbeamten lässt sich
leichter sicherstellen, wenn – über die Bereitstellung geeigneter Ausbildungsmaßnahmen
hinaus – ein Verhaltenskodex für die Befragung von Straftatverdächtigen ausgearbeitet wird.
35.
Im Laufe der Jahre haben Delegationen des CPT mit einer beachtlichen Anzahl von
inhaftierten Personen in verschiedenen Ländern gesprochen, die glaubhaft behaupteten, durch
Polizeibeamte im Verlauf von Vernehmungen zur Erlangung von Geständnissen körperlich
misshandelt oder auf andere Weise eingeschüchtert oder bedroht worden zu sein. Es ist
selbstverständlich, dass ein Strafjustizsystem, das großen Wert auf Geständnisse als
Beweismittel legt, einen Anreiz für die an der Ermittlung beteiligten Beamten schafft – die
häufig unter dem Druck stehen, Ergebnisse erzielen zu müssen – physischen oder psychischen
Zwang auszuüben. Im Kontext der Verhütung von Folter und anderer Arten von
Misshandlung ist es von fundamentaler Wichtigkeit, Ermittlungsmethoden zu entwickeln, mit
denen die Notwendigkeit, sich zur Erlangung einer Verurteilung auf Geständnisse und andere
durch Vernehmungen erlangte Beweismittel und Informationen zu stützen, verringert werden
kann.
11
36.
Die elektronische (d.h. Ton- und/oder Video-) Aufzeichnung polizeilicher
Vernehmungen stellt eine wichtige zusätzliche Schutzvorkehrung gegen die Misshandlung
inhaftierter Personen dar. Erfreulicherweise wird nach der Beobachtung des CPT die
Einführung solcher Systeme in einer wachsenden Anzahl von Ländern erwogen. Eine solche
Vorrichtung kann eine vollständige und authentische Aufzeichnung des Vernehmungsablaufs
liefern, was die Untersuchung etwaiger Beschwerden über Misshandlung stark erleichtert.
Dies ist sowohl im Interesse der Personen, die von die Polizei misshandelt worden sind, als
auch im Interesse der Polizeibeamten, die mit unbegründeten Anschuldigungen konfrontiert
sind, körperliche Misshandlung oder psychischen Druck eingesetzt zu haben. Auch macht es
die elektronische Aufzeichnung polizeilicher Vernehmungen für Beschuldigte schwieriger,
später fälschlicherweise zu bestreiten, bestimmte Einlassungen gemacht zu haben.
37.
Das CPT hat bei mehr als einer Gelegenheit und in mehr als einem Land
Vernehmungsräume höchst einschüchternder Natur entdeckt: zum Beispiel Räume, die
völlig in Schwarz gehalten waren und mit Scheinwerfern ausgestattet, die direkt auf den
Sitzplatz der zu befragenden Person gerichtet waren. Für Einrichtungen dieser Art ist kein
Platz im Polizeidienst.
Vernehmungsräume sollten angemessen beleuchtet, beheizt und belüftet sein und
allen an der Vernehmung Beteiligten gestatten, auf Stühlen ähnlicher Art und von
vergleichbarem Komfort zu sitzen. Der vernehmende Beamte sollte im Verhältnis zur
verdächtigen Person nicht in einer dominanten (z.B. erhöhten) oder weit entfernten Position
platziert werden. Des weiteren sollte die Farbgebung neutral sein.
38.
In bestimmten Ländern ist das CPT auf die Praxis getroffen, Personen in
Polizeigewahrsam – insbesondere während der Dauer der Befragungen – die Augen zu
verbinden. Delegationen des CPT haben unterschiedliche – und oft widersprüchliche –
Erklärungen von Polizeibeamten im Hinblick auf den Zweck dieser Praxis erhalten. Aufgrund
der über die Jahre hinweg gesammelten Informationen besteht für das CPT Klarheit darüber,
dass in vielen, wenn nicht den meisten Fällen Personen die Augen verbunden werden, um
ihnen die Möglichkeit zu nehmen, Gesetzesvollzugsbeamte zu identifizieren, die ihnen
Misshandlungen zufügen. Auch in den Fällen, in denen es zu keinen körperlichen
Misshandlungen kommt, ist das Verbinden der Augen einer festgehaltenen Person –
insbesondere einer Person, die einer Befragung unterzogen wird – ein repressives Verhalten,
das in seinen Auswirkungen gegenüber der betroffenen Person häufig einer psychischen
Misshandlung gleichkommt. Das CPT empfiehlt, dass ausdrücklich verboten werden sollte,
Personen in Polizeigewahrsam die Augen zu verbinden.
39.
Es ist für das CPT nichts Außergewöhnliches, verdächtige Gegenstände in
Polizeigebäuden vorzufinden, wie Holzstöcke, Besenstiele, Baseballschläger, Metallstangen,
Stücke dicker Elektrokabel, Schusswaffenimitate oder Messer. Das Vorhandensein solcher
Objekte hat bei mehr als einer Gelegenheit Beschwerden gegenüber Delegationen des CPT
Glaubwürdigkeit verliehen, wonach die in der betroffenen Einrichtung festgehaltenen
Personen mit Gegenständen dieser Art bedroht und/oder geschlagen worden sind.
12
Eine übliche Erklärung der Polizeibeamten im Hinblick auf solche Gegenstände ist,
dass sie bei Verdächtigen beschlagnahmt worden sind und als Beweismittel verwendet
werden sollen. Die Tatsache, dass die betroffenen Gegenstände ausnahmslos nicht etikettiert
sind und häufig in den Gebäuden verstreut aufgefunden werden (gelegentlich hinter Gardinen
oder Schränken), kann nur Skepsis im Hinblick auf diese Erklärungen hervorrufen. Um
Spekulationen über unzulässiges Verhalten auf Seiten der Polizeibeamten zu zerstreuen und
mögliche Gefahrenquellen sowohl für das Personal als auch für die inhaftierten Personen zu
beseitigen, sollten Gegenstände, die als Beweismittel beschlagnahmt werden, stets
ordnungsgemäß etikettiert, verzeichnet und in einer dafür vorgesehenen Asservatenkammer
aufbewahrt werden. Alle anderen Gegenstände der oben bezeichneten Art sollten aus den
Polizeigebäuden entfernt werden.
40.
Von Beginn seiner Aktivitäten an hat das CPT eine Trias von Rechten für Personen
in Polizeigewahrsam befürwortet: das Recht auf Zugang zu einem Rechtsanwalt, das
Recht auf Zugang zu einem Arzt und das Recht darauf, dass ein Verwandter oder eine
dritte Partei eigener Wahl von der Tatsache ihrer Inhaftierung benachrichtigt wird. In
vielen Staaten sind im Lichte der Empfehlungen des CPT Schritte unternommen worden, um
diese Rechte einzuführen oder zu verstärken. Insbesondere das Recht auf Zugang zu einem
Rechtsanwalt während des Polizeigewahrsams ist nunmehr in den vom CPT besuchten
Ländern weithin anerkannt; in den wenigen Ländern, in denen dieses Recht noch nicht
existiert, gibt es Pläne für seine Einführung.
41.
Jedoch gibt es in einer Anzahl von Ländern ein erhebliches Widerstreben, der
Empfehlung des CPT zu folgen, dass das Recht auf Zugang zu einem Rechtsanwalt sofort
von Beginn des Gewahrsams an garantiert sein soll. In einigen Ländern steht Personen in
Polizeihaft dieses Recht erst zu, nachdem sie einen bestimmten Zeitraum im Gewahrsam
verbracht haben; in anderen kann sich die inhaftierte Person auf dieses Recht erst dann
berufen, wenn sie formell zum “Verdächtigen” erklärt wird.
Das CPT hat wiederholt betont, dass nach seiner Erfahrung im Zeitraum unmittelbar
nach Beginn des Freiheitsentzuges das Risiko von Einschüchterung und körperlicher
Misshandlung am größten ist. Folglich ist für Personen, die in Polizeigewahrsam genommen
worden sind, die Möglichkeit, in diesem Zeitraum Zugang zu einem Rechtsanwalt zu erhalten,
eine grundlegende Schutzvorkehrung gegen Misshandlung. Das Bestehen dieser Möglichkeit
wird eine abschreckende Wirkung auf diejenigen haben, die geneigt sind, inhaftierte Personen
zu misshandeln; darüber hinaus ist ein Rechtsanwalt gut geeignet, angemessene Schritte zu
unternehmen, wenn es tatsächlich zu Misshandlungen kommt. Das CPT erkennt an, dass es
zum Schutz der legitimen Interessen der polizeilichen Ermittlungen ausnahmsweise
notwendig sein kann, den Zugang einer inhaftierten Person zu einem Rechtsanwalt ihrer Wahl
für einen bestimmten Zeitraum aufzuschieben. Jedoch sollte dies nicht zur Folge haben, dass
das Recht auf Zugang zu einem Rechtsanwalt während des fraglichen Zeitraums vollständig
verweigert wird. In solchen Fällen sollte der Zugang zu einem anderen unabhängigen
Rechtsanwalt veranlasst werden.
13
Das Recht auf Zugang zu einem Rechtsanwalt muss das Recht einschließen, mit
ihm unter vier Augen zu sprechen. Die betroffene Person sollte prinzipiell auch ein Recht auf
Anwesenheit eines Rechtsanwalts bei jeder polizeilichen Befragung haben. Natürlich sollte
dies weder die Polizei daran hindern, die Befragung einer inhaftierten Person über dringende
Angelegenheiten auch in Abwesenheit eines Rechtsanwaltes (der möglicherweise nicht sofort
verfügbar ist) vorzunehmen, noch die Auswechslung eines Rechtsanwaltes ausschließen, der
die ordnungsgemäße Durchführung einer Befragung behindert.
Das CPT hat gleichermaßen betont, dass das Recht auf Zugang zu einem
Rechtsanwalt nicht nur Straftatverdächtigen zustehen sollte, sondern auch jeder Person, die
rechtlich verpflichtet ist, eine Polizeieinrichtung aufzusuchen – und dort zu bleiben – , z.B. als
ein “Zeuge”.
Darüber hinaus sollten, um dem Recht auf Zugang zu einem Rechtsanwalt praktisch
zu voller Wirksamkeit zu verhelfen, angemessene Vorkehrungen für Personen getroffen
werden, die nicht in der Lage sind, einen Rechtsanwalt zu bezahlen.
42.
Personen in Polizeigewahrsam sollten ein formell anerkanntes Recht auf Zugang zu
einem Arzt haben. Mit anderen Worten, ein Arzt sollte immer ohne Verzögerung gerufen
werden, wenn die Person eine ärztliche Untersuchung verlangt; Polizeibeamte sollten nicht
bestrebt sein, solche Begehren zu filtern. Darüber hinaus sollte das Recht auf Zugang zu
einem Arzt das Recht einer Person in Gewahrsam einschließen, auf Wunsch von einem Arzt
ihrer Wahl untersucht zu werden (zusätzlich zu einer etwaigen ärztlichen Untersuchung durch
einen von der Polizei hinzugezogenen Arzt).
Alle ärztlichen Untersuchungen von Personen in Polizeigewahrsam müssen außer
Hörweite der Gesetzesvollzugsbeamten und außer Sicht dieser Beamten durchgeführt werden,
es sei denn, der betroffene Arzt wünscht es im Einzelfall anders.
Gleichermaßen wichtig ist es, dass Personen, die aus dem Polizeigewahrsam
entlassen werden, ohne vor einen Richter gebracht worden zu sein, das Recht haben,
unmittelbar eine ärztliche Untersuchung/Bescheinigung eines anerkannten Gerichtsmediziners
zu verlangen.
43.
Das Recht einer inhaftierten Person, eine dritte Partei über die Tatsache ihrer
Inhaftierung zu benachrichtigen, sollte grundsätzlich sofort von Beginn des
Polizeigewahrsams an garantiert sein. Natürlich erkennt das CPT an, dass für die Ausübung
dieses Rechts bestimmte Ausnahmen bestehen, um die legitimen Interessen der polizeilichen
Ermittlungen zu schützen. Jedoch sollten solche Ausnahmen klar definiert und zeitlich genau
begrenzt werden, und der Rückgriff auf sie sollte von angemessenen Schutzvorkehrungen
begleitet sein (z.B. jede Verzögerung der Benachrichtigung über den Gewahrsam muss
schriftlich mit Begründung aufgezeichnet werden, und bedarf der Zustimmung eines
höherrangigen Polizeibeamten, der nicht mit dem Fall befasst ist, oder eines Staatsanwalts).
14
44.
Rechte von Personen, deren Freiheit entzogen ist, haben wenig Wert, wenn die
betroffenen Personen ihre Existenz nicht kennen. Folglich ist es unerlässlich, dass Personen,
die in Polizeigewahrsam genommen werden, ohne Verzögerung und in einer für sie
verständlichen Sprache ausdrücklich über ihre Rechte belehrt werden. Um sicherzustellen,
dass dies getan wird, sollte ein Vordruck, der diese Rechte klar darstellt, systematisch den von
der Polizei festgehaltenen Personen sofort zu Beginn des Gewahrsams übergeben werden.
Darüber hinaus sollten die betroffenen Personen aufgefordert werden, eine Erklärung zu
unterschreiben, die bestätigt, dass sie über ihre Rechte belehrt wurden.
45.
Das CPT hat bei verschiedenen Gelegenheiten die Rolle der Gerichte und der
Strafverfolgungsbehörden bei der Bekämpfung von Misshandlungen durch die Polizei
betont.
Beispielsweise sollten Personen in Polizeigewahrsam, die in eine
Untersuchungshafteinrichtung überstellt werden sollen, physisch dem Richter vorgeführt
werden, der darüber entscheidet; es gibt nach wie vor gewisse Länder, die vom CPT besucht
werden, in denen dies nicht geschieht. Wenn die Personen regelmäßig dem Richter vorgeführt
werden, bietet sich misshandelten Straftatverdächtigen eine zeitnahe Gelegenheit,
Beschwerde zu erheben. Darüber hinaus ist es dem Richter auch ohne ausdrückliche
Beschwerde möglich, rechtzeitig aktiv zu werden, wenn andere Anzeichen für
Misshandlungen vorliegen (z.B. sichtbare Verletzungen; die allgemeine Erscheinung oder das
Verhalten einer Person).
Natürlich muss der Richter geeignete Schritte unternehmen, wenn es Anzeichen für
polizeiliche Misshandlungen gibt. Im Hinblick darauf sollte der Richter, wann immer ihm
Straftatverdächtige, die ihm im Anschluss an den Polizeigewahrsam vorgeführt werden, sich
über Misshandlung beschweren, die Beschwerden schriftlich festhalten, sofort eine
gerichtsärztliche Untersuchung anordnen und alle notwendigen Schritte unternehmen, um
sicherzustellen, dass die Beschwerden ordnungsgemäß untersucht werden. Dieser Ansatz
sollte stets verfolgt werden, gleichviel ob die betroffene Person äußerlich sichtbare
Verletzungen aufweist oder nicht. Darüber hinaus sollte der Richter auch ohne Vorliegen
einer ausdrücklichen Beschwerde über Misshandlung eine gerichtsärztliche Untersuchung
veranlassen, wenn es andere Gründe für die Annahme gibt, dass eine ihm vorgeführte Person
Opfer einer Misshandlung geworden sein könnte.
Wenn Gerichte und andere zuständige Behörden alle Beschwerden über
Misshandlungen durch Gesetzesvollzugsbeamte sorgfältig prüfen und, wo es angebracht ist,
eine angemessene Strafe verhängen, so wird dies eine in starkem Maße abschreckende
Wirkung haben. Wenn hingegen diese Stellen auf ihnen vorgebrachte Beschwerden keine
wirksamen Aktivitäten entfalten, werden Gesetzesvollzugsbeamte, die geneigt sind, Personen
in ihrem Gewahrsam zu misshandeln, schnell zu der Annahme kommen, dass sie dies straflos
tun können.
15
46.
Zusätzliche polizeiliche Befragungen von Personen in Untersuchungshaft
können gelegentlich notwendig sein. Nach Ansicht des CPT wäre es unter dem Aspekt der
Misshandlungsprävention bei weitem vorzuziehen, solche Befragungen in der
Gefängniseinrichtung vorzunehmen und nicht in Polizeigebäuden. Die Rückführung von
Untersuchungshäftlingen in Polizeigewahrsam für weitere Befragungen sollte nur beantragt
und genehmigt werden, wenn es absolut unvermeidbar ist. Wenn solche außergewöhnlichen
Umstände eintreten und ein Untersuchungshäftling in den Polizeigewahrsam zurückgebracht
wird, sollten ihm selbstverständlich die drei in den Ziffern 40-43 beschriebenen Rechte
zustehen.
47.
Polizeigewahrsam ist von relativ kurzer Dauer (oder sollte es zumindest sein).
Trotzdem müssen die Haftbedingungen in Polizeizellen bestimmten Grundanforderungen
genügen.
Alle Polizeizellen sollten sauber und für die Zahl der für gewöhnlich
untergebrachten Personen ausreichend groß1 sein, über angemessene Beleuchtung verfügen
(d.h. genügend, um dabei lesen zu können, ausgenommen zu den Schlafenszeiten);
vorzugsweise über natürliches Licht. Darüber hinaus sollten die Zellen mit Sitzgelegenheiten
ausgestattet sein (zum Beispiel mit einem befestigten Stuhl oder einer Bank), und Personen,
die über Nacht in Haft bleiben müssen, sollten saubere Matratzen und Decken zur Verfügung
gestellt werden. Personen in Polizeigewahrsam sollten Zugang zu einer normalen
Sanitäreinrichtung unter annehmbaren Bedingungen haben, und ihnen sollten angemessene
Mittel angeboten werden, sich zu waschen. Sie sollten leichten Zugang zu Trinkwasser haben
und zu angemessenen Zeiten etwas zu essen erhalten, darunter wenigstens eine vollständige
Mahlzeit (d.h. etwas Gehaltvolleres als ein Sandwich) am Tag. Personen in
Polizeigewahrsam, die 24 Stunden oder länger festgehalten werden, sollte möglichst
mindestens einmal am Tag Bewegung unter freiem Himmel angeboten werden.
Viele von den Delegationen des CPT besuchte Polizeihafteinrichtungen entsprechen
diesen Minimalstandards nicht. Dies ist besonders schädlich für Personen, die anschließend
vor einem Gericht erscheinen; nur zu häufig werden Personen einem Richter vorgeführt,
nachdem sie einen oder mehrere Tage in unzulänglichen und verschmutzten Zellen verbracht
haben, ohne dass ihnen angemessene Ruhe, Nahrung und Waschgelegenheit angeboten
wurden.
1
Im Hinblick auf die Größe von Polizeizellen siehe auch Ziffer 43 des 2. Jahresberichts
(CPT/Inf (92) 3).
16
48.
Die Fürsorgepflicht, die der Polizei gegenüber Personen in ihrem Gewahrsam
obliegt, umfasst die Verantwortung dafür, ihre Sicherheit und körperliche Unversehrtheit zu
garantieren. Daraus folgt, dass die hinreichende Überwachung der Gewahrsamsbereiche einen
integralen Bestandteil der polizeilichen Fürsorgepflicht darstellt. Es müssen angemessene
Schritte unternommen werden, um sicherzustellen, dass Personen in Polizeigewahrsam stets
in der Lage sind, umgehend Kontakt zum Wachpersonal aufzunehmen.
Bei mehreren Gelegenheiten haben Delegationen des CPT festgestellt, dass die
Polizeizellen sich weit entfernt von den Büros oder Arbeitsplätzen befanden, an denen
Polizisten sich normalerweise aufhalten, und es mangelte auch an jeder Möglichkeit (z.B. an
einem Rufsystem) für die inhaftierten Personen, die Aufmerksamkeit eines Polizeibeamten
auf sich zu ziehen. Unter diesen Bedingungen besteht ein beachtliches Risiko, dass auf
Vorfälle verschiedenster Art (Gewalt unter Häftlingen, Selbstmordversuche, Feuer etc.) nicht
rechtzeitig reagiert wird.
49.
Das CPT hat außerdem Bedenken gegenüber der in bestimmten Ländern
beobachteten Praxis geäußert, wonach jede operative Abteilung (Betäubungsmittel,
Organisierte Kriminalität, Terrorismusabwehr) in einer Polizeieinrichtung über eigene
Hafträume verfügt, für die Beamte dieser Abteilung zuständig sind. Das Komitee meint, dass
dieser Ansatz zugunsten eines zentralen Haftbereichs aufgegeben werden sollte, der mit einer
anderen Einheit von Polizeibeamten zu besetzen ist, die speziell für eine solche Funktion
ausgebildet sind. Dies würde sich für die Misshandlungsprävention mit höchster
Wahrscheinlichkeit positiv auswirken. Außerdem könnte sich die Entlastung der einzelnen
operativen Abteilungen von Bewachungspflichten aus der Perspektive der Verwaltung und
der Logistik als vorteilhaft erweisen.
50.
Schließlich kann die Inspektion von Polizeieinrichtungen durch eine
unabhängige Behörde einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Misshandlungen polizeilich
festgehaltener Personen zu verhüten, und allgemein der Sicherung zufriedenstellender
Haftbedingungen förderlich sein. Um optimale Wirksamkeit zu erreichen, sollten die Besuche
einer solchen Behörde sowohl regelmäßig als auch unangekündigt stattfinden, und die
Behörde sollte befugt sein, inhaftierte Personen unter vier Augen zu befragen. Sie sollte ferner
alle Aspekte im Zusammenhang mit der Behandlung von Personen in Gewahrsam
untersuchen: das Haftprotokoll; die Information der inhaftierten Personen über ihre Rechte
und die tatsächliche Ausübung dieser Rechte (insbesondere die drei in den Ziffern 40-43
beschriebenen Rechte); die Einhaltung der Regeln über die Vernehmung von
Straftatverdächtigen; und die materiellen Haftbedingungen.
Die Feststellungen dieser Behörde sollten nicht nur der Polizei zugeleitet werden,
sondern auch einer anderen, von der Polizei unabhängigen Behörde.
17
II.
Gefängnisse
Gefängnishaft
Auszug aus dem 2. Jahresbericht [CPT/Inf (92) 3]
44.
Einleitend ist zu betonen, dass das CPT viele Fragen untersuchen muss, wenn es ein
Gefängnis besucht. Selbstverständlich wendet es etwaigen Beschwerden über Misshandlung
durch das Gefängnispersonal besondere Aufmerksamkeit zu. Jedoch sind alle Aspekte der
Haftbedingungen in einem Gefängnis von Interesse für den Auftrag des CPT. Misshandlung
kann in zahlreichen Formen auftreten, von denen viele nicht absichtlich geschehen mögen,
sondern eher das Ergebnis organisatorischer Mängel oder unzureichender Ressourcen
darstellen. Die allgemeine Lebensqualität in einer Einrichtung hängt sehr stark von den
Aktivitäten ab, die den Gefangenen angeboten werden, und von dem Allgemeinzustand der
Beziehungen zwischen Gefangenen und Personal.
45.
Das CPT achtet sehr sorgfältig auf das vorherrschende Klima in einer Einrichtung.
Die Förderung konstruktiver und nicht konfrontativer Beziehungen zwischen Gefangenen und
Personal trägt dazu bei, die jeder Gefängnisumgebung innewohnende Spannung abzubauen
und gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit gewaltsamer Vorfälle und damit verbundener
Misshandlungen zu verringern. Kurz, das CPT wünscht, dass Kontroll- und
Verwahrmaßnahmen durch einen Geist von Kommunikation und Fürsorge begleitet werden.
Solch ein Ansatz ist weit davon entfernt, die Sicherheit in der Einrichtung zu untergraben; er
könnte sie sogar erhöhen.
46.
Überfüllung ist ein Problem von unmittelbarem Belang für den Auftrag des CPT.
Alle Dienste und Aktivitäten in einem Gefängnis werden nachteilig beeinflusst, wenn es
notwendig ist, mehr Gefangene zu versorgen als ursprünglich geplant war; die gesamte
Lebensqualität in der Einrichtung wird sich möglicherweise in signifikantem Maße
verschlechtern. Darüber hinaus ist denkbar, dass die Überfüllung in einem Gefängnis - oder
einem bestimmten Teil davon - ein solches Maß erreicht, dass sie schon für sich genommen
aus physischer Sicht unmenschlich oder erniedrigend ist.
47.
Ein zufriedenstellendes Aktivitätenprogramm (Arbeit, Bildung, Sport etc.) ist von
herausragender Bedeutung für das Wohlbefinden der Gefangenen. Dies gilt für alle
Einrichtungen, ob sie für bereits verurteilte Gefangene oder für Untersuchungshäftlinge
vorgesehen sind. Das CPT hat beobachtet, dass die Betätigungsmöglichkeiten in vielen
Untersuchungsgefängnissen äußerst begrenzt sind. Die Organisation eines Aktivitätenregimes
in solchen Einrichtungen - mit ihrer ziemlich hohen Insassenfluktuation - ist sicher nicht
einfach. Es ist klar, dass individualisierte Behandlungsprogramme, wie sie in einer
Einrichtung für verurteilte Gefangene erstrebt werden mögen, nicht in Frage kommen.
18
Jedoch kann man die Gefangenen nicht einfach in verschlossenen Zellen wochenoder sogar monatelang schmachten lassen, und dies unabhängig davon, wie gut die
materiellen Bedingungen in den Zellen sein mögen. Nach Auffassung des CPT sollte man
erstreben, sicherzustellen, dass die Gefangenen in Untersuchungshafteinrichtungen einen
angemessenen Teil des Tages (8 Stunden oder mehr) außerhalb ihrer Zellen verbringen und
sich mit verschiedenartigen sinnvollen Aktivitäten beschäftigen können. Selbstverständlich
sollte das Regime in Einrichtungen für verurteilte Gefangene noch günstiger sein.
48.
Besonders zu erwähnen ist die Bewegung an der frischen Luft. Das Gebot, den
Gefangenen jeden Tag zumindest eine Stunde Bewegung unter freiem Himmel zu gestatten, ist
als eine grundlegende Schutzvorkehrung weithin anerkannt (vorzugsweise sollte sie einen Teil
eines breiteren Aktivitätenprogramms bilden). Das CPT möchte hervorheben, dass allen
Gefangenen ohne Ausnahme (auch denjenigen, die zur Strafe in Einzelhaft einsitzen) die
Möglichkeit der täglichen Bewegung an der frischen Luft gegeben werden sollte. Gleichfalls ist
selbstverständlich, dass die Anlagen für die Bewegung an der frischen Luft eine angemessene
Größe aufweisen und, wenn möglich, Schutz vor schlechtem Wetter bieten sollten.
49.
Ungehinderter Zugang zu sauberen Toiletten und die Einhaltung guter
Hygienestandards sind wesentliche Komponenten einer menschenwürdigen Umwelt.
In diesem Zusammenhang muss das CPT seine Missbilligung über die in einigen
Ländern vorgefundene Praxis zum Ausdruck bringen, wonach die Gefangenen sich ihrer
Notdurft in ihrer Zelle in Eimer entledigen müssen (welche später zu festgelegten Zeiten
ausgeleert ["slopped out"] werden). Entweder sollte sich eine Toilette in der Zelle selbst
befinden (vorzugsweise in einem sanitären Annex), oder es sollte möglich sein, dass die
Gefangenen, die das Bedürfnis haben, eine Toilette aufzusuchen, zu jeder Zeit (auch nachts)
ohne unnötige Verzögerung aus ihrer Zelle gelassen werden.
Darüber hinaus sollten die Gefangenen angemessenen Zugang zu Dusch- oder
Bademöglichkeiten haben. Es ist gleichfalls wünschenswert, dass fließendes Wasser in der
Zelle verfügbar ist.
50.
Das CPT möchte hinzufügen, dass es besonders besorgt ist, wenn es in ein und
derselben Einrichtung eine Kombination aus Überfüllung, fehlenden Aktivitäten und
unzureichendem Zugang zu Toiletten und Waschgelegenheiten vorfindet. Der kumulative
Effekt solcher Bedingungen kann sich als extrem nachteilig für die Gefangenen erweisen.
51.
Für die Gefangenen ist es ebenfalls sehr wichtig, angemessenen Kontakt zur
Außenwelt zu behalten. Vor allem muss einem Gefangenen ermöglicht werden, die
Beziehungen zu seiner Familie und seinen engen Freunden aufrecht zu erhalten. Das
Leitprinzip sollte die Förderung der Kontakte mit der Außenwelt sein; jede Begrenzung
derartiger Kontakte sollte ausschließlich aufgrund beachtlicher Sicherheitsbedenken oder aus
Gründen begrenzter Ressourcen vorgenommen werden.
19
Das CPT möchte in diesem Zusammenhang betonen, dass eine gewisse Flexibilität
vonnöten ist, wenn die Regeln über Besuche und Telefonkontakte gegenüber Gefangenen,
deren Familienangehörigen weit entfernt leben (was regelmäßige Besuche impraktikabel
macht), angewandt werden. Beispielsweise könnte solchen Gefangenen erlaubt werden,
Besuchszeit anzusammeln, und/oder es könnte ihnen vermehrt Gelegenheit zu
Telefonkontakten mit ihren Familien angeboten werden.
52.
Selbstverständlich achtet das CPT auch auf die besonderen Probleme, die
bestimmten spezifischen Kategorien von Gefangenen begegnen können, zum Beispiel Frauen,
Jugendlichen und Ausländern.
53.
Das Gefängnispersonal wird gelegentlich Gewalt anwenden müssen, um
gewalttätige Gefangene zu kontrollieren, und in Ausnahmefällen sogar auf Mittel
körperlichen Zwanges zurückgreifen. Dies sind eindeutig sehr gefährliche Situationen, soweit
die mögliche Misshandlung von Gefangenen betroffen ist, und sie machen besondere
Schutzvorkehrungen notwendig.
Ein Gefangener, gegen den irgendein Zwangsmittel eingesetzt worden ist, sollte das
Recht haben, sofort von einem Arzt untersucht und, wenn nötig, behandelt zu werden. Diese
Untersuchung sollte außer Hörweite und vorzugsweise außer Sicht des nichtmedizinischen
Personals stattfinden, und das Ergebnis der Untersuchung (einschließlich etwaiger relevanter
Äußerungen des Gefangenen und der Schlussfolgerungen des Arztes) sollte formell
dokumentiert und dem Gefangenen zugänglich gemacht werden. In den seltenen Fällen, in
denen es erforderlich ist, auf Mittel körperlichen Zwanges zurückzugreifen, sollte der
betroffene Gefangene unter ständige und angemessene Überwachung gestellt werden.
Darüber hinaus sollten diese Mittel bei frühester Gelegenheit wieder entfernt werden; zur
Bestrafung sollten sie niemals angewendet oder ihre Anwendung verlängert werden.
Schließlich sollte eine Niederschrift über jeden Fall der Gewaltanwendung gegen Gefangene
erstellt werden.
54.
Wirksame Beschwerde- und Inspektionsverfahren sind grundlegende
Schutzvorkehrungen gegen Misshandlung in Gefängnissen. Gefangenen sollten
Beschwerdewege innerhalb und außerhalb des Gefängnissystems offen stehen, einschließlich
der Möglichkeit vertraulichen Zugangs zu einer geeigneten Behörde. Das CPT hält es für
besonders wichtig, dass jede Gefängniseinrichtung regelmäßig durch ein unabhängiges
Gremium besucht wird (z.B. einen Besucherausschuss oder einen aufsichtführenden Richter),
das die Befugnis hat, Beschwerden der Gefangenen entgegenzunehmen (und, wenn nötig,
angemessene Maßnahmen zu ergreifen) und die Räumlichkeiten der Einrichtung zu
inspizieren. Solche Gremien könnten unter anderem eine wichtige Rolle dabei spielen,
Meinungsverschiedenheiten zwischen der Gefängnisverwaltung und einem bestimmten
Gefangenen oder den Gefangenen allgemein zu überbrücken.
20
55.
Es ist weiterhin im Interesse der Gefangenen und des Gefängnispersonals, dass
klare Disziplinarverfahren sowohl formell eingerichtet als auch in der Praxis angewandt
werden; jede Grauzone in diesem Bereich bringt das Risiko mit sich, dass sich inoffizielle
(und unkontrollierte) Systeme entwickeln. Das Disziplinarverfahren sollte für die Gefangenen
das Recht auf Anhörung über den Gegenstand der Vergehen vorsehen, derer sie beschuldigt
werden, und das Recht, gegen etwaige verhängte Sanktionen eine höhere Instanz anrufen zu
können.
Häufig bestehen neben dem formellen Disziplinarverfahren noch andere Verfahren,
die einen Gefangenen gegen seinen Willen aus Disziplinar-/Sicherheitsgründen von den
anderen Insassen trennen können (z.B. im Interesse der „Aufrechterhaltung der Ordnung" in
der Einrichtung). Auch diese Verfahren sollten von wirksamen Schutzvorkehrungen begleitet
werden. Der Gefangene sollte über die Gründe für die gegen ihn ergriffene Maßnahme
informiert werden, wenn nicht Sicherheitserwägungen Gegenteiliges gebieten 1; er sollte eine
Gelegenheit erhalten, seine Ansicht zu der Sache vorzutragen, und die Massnahme bei einer
geeigneten Stelle angreifen können.
56.
Das CPT wendet besondere Aufmerksamkeit denjenigen Gefangenen zu, die, aus
welchem Grunde auch immer (aus Disziplinargründen; aufgrund ihrer „Gefährlichkeit" oder
ihrer „schwierigen" Verhaltensweise; im Interesse der strafrechtlichen Ermittlungen; auf ihren
eigenen Wunsch), unter isolationsähnlichen Bedingungen inhaftiert sind.
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert, dass ein Ausgleich geschaffen
wird zwischen den Anforderungen des Falles und der Anwendung eines Regimes der
Isolationshaft, eines Schrittes, der sehr schädliche Folgen für die betroffene Person haben
kann. Isolationshaft kann unter bestimmten Umständen eine unmenschliche und erniedrigende
Behandlung bedeuten; in jedem Fall sollten alle Formen der Isolationshaft so kurz wie
möglich gehalten werden.
Für den Fall, dass ein solches Regime einem Gefangenen auferlegt oder auf sein
Ersuchen hin angewendet wird, liegt eine wesentliche Schutzvorkehrung darin, dass, wann
immer der betroffene Gefangene, oder ein Gefängnisbeamter in seinem Auftrag, nach einem
Arzt verlangt, ein solcher ohne Verzug gerufen werden sollte, um den Gefangenen ärztlich zu
untersuchen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung, einschließlich einer Darstellung über den
physischen und psychischen Zustand des Gefangenen sowie, falls notwendig, die
voraussehbaren Folgen einer fortgesetzten Isolation, sollten in einer schriftlichen
Stellungnahme niedergelegt und an die zuständigen Stellen weitergeleitet werden.
1
Dieses Erfordernis wurde anschließend wie folgt umformuliert: der Gefangene sollte
schriftlich über die Gründe für die gegen ihn ergriffene Maßnahme informiert werden (es versteht sich,
dass die gegebene Begründung möglicherweise keine Einzelheiten umfasst, bei denen
Sicherheitserfordernisse es rechtfertigen, sie dem Gefangenen vorzuenthalten).
21
57.
Die Verlegung schwieriger Gefangener ist eine weitere Praxis von Interesse für das
CPT. Der Umgang mit manchen Gefangenen ist äußerst schwierig, und die Verlegung eines
solchen Gefangenen in eine andere Einrichtung kann sich zuweilen als notwendig erweisen.
Wird jedoch ein Gefangener fortwährend von einer Einrichtung zu einer anderen gebracht, so
kann dies sehr schädliche Auswirkungen auf sein psychisches und physisches Wohlbefinden
haben. Überdies wird es für den Gefangenen in dieser Lage schwierig sein, ausreichende
Kontakte zu seiner Familie und seinem Anwalt zu halten. Die Gesamtwirkung
aufeinanderfolgender Verlegungen für den Gefangenen kann unter bestimmten Umständen
eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung bedeuten.
***
59.
Schließlich möchte das CPT die große Bedeutung hervorheben, die es der Aus- und
Fortbildung des Gesetzesvollzugspersonals1 beimisst (zu der auch Ausbildung in Fragen der
Menschenrechte gehören sollte - vgl. auch Art. 10 der Konvention der Vereinten Nationen
gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder
Strafe). Es spricht einiges dafür, dass es keine bessere Garantie gegen die Misshandlung einer
Person gibt, der die Freiheit entzogen ist, als ein gut ausgebildeter Polizei- oder
Gefängnisbeamter. Erfahrene Beamten sind fähig, ihre Pflichten erfolgreich zu erfüllen, ohne
auf Misshandlungen zurückzugreifen; und sie können mit der Existenz grundlegender
Schutzvorkehrungen für Häftlinge und Gefangene umgehen.
60.
In diesem Zusammenhang ist das CPT davon überzeugt, dass die Befähigung zu
zwischenmenschlicher Kommunikation ein bedeutender Faktor im Verfahren der Einstellung
von Gesetzesvollzugspersonal sein sollte, und dass während der Ausbildung auf die
Entwicklung von Fertigkeiten in zwischenmenschlicher Kommunikation, basierend auf der
Achtung der Menschenwürde, besonderer Wert gelegt werden sollte. Der Besitz derartiger
Fertigkeiten wird einen Polizei- oder Gefängnisbeamten häufig dazu befähigen, eine Situation
zu entschärfen, die anderenfalls zur Anwendung von Gewalt führen könnte, und – allgemeiner
- zu einer Abnahme der Spannung und zur Steigerung der Lebensqualität in Polizei- und
Gefängniseinrichtungen führen.2
Der Ausdruck „Gesetzesvollzugspersonal" in diesem Bericht umfasst sowohl Polizei- als auch
Gefängnisbeamte.
2
Das CPT ermutigt nationale Behörden, Menschenrechtskonzepte möglichst in die praktische
Ausbildung über den Umgang mit Hochrisikosituationen wie etwa die Festnahme und Vernehmung von
Straftatverdächtigen zu integrieren; dies wird sich als wirksamer erweisen als separate
Menschenrechtskurse.
1
22
Auszug aus dem 7. Jahresbericht [CPT/Inf (97) 10]
12.
Im Verlauf einiger seiner Besuche im Jahre 1996 begegnete das CPT einmal mehr
dem Übel der Gefängnisüberfüllung, ein Phänomen, von dem Justizvollzugssysteme in ganz
Europa befallen sind. Überfüllung ist oft besonders akut in Gefängnissen, in denen
Untersuchungshäftlinge untergebracht sind (d.h. Personen, die auf ihren Prozess warten);
jedoch hat sich nach den Feststellungen des CPT dieses Problem in einigen Ländern auf das
gesamte Gefängnissystem ausgeweitet.
13.
Wie das CPT in seinem 2. Jahresbericht ausführte, ist Gefängnisüberfüllung ein
Problem von unmittelbarem Belang für das Mandat des Komitees (vgl. CPT/Inf (92) 3, Ziff. 46).
Ein überfülltes Gefängnis zieht eine beengte und unhygienische Unterbringung nach
sich, einen permanenten Mangel an Privatsphäre (selbst beim Vollzug menschlicher
Bedürfnisse wie der Benutzung einer sanitären Einrichtung), verminderte Aktivitäten
außerhalb der Zelle aufgrund einer Nachfrage, die das verfügbare Personal und die
vorhandenen Möglichkeiten übersteigt, überlastete Gesundheitsdienste, verstärkte
Anspannung und daher mehr Gewalt unter Gefangenen und zwischen Gefangenen und
Personal. Diese Aufzählung ist bei weitem nicht erschöpfend.
Das CPT ist bei mehr als einer Gelegenheit zu dem Schluss gekommen, dass die
nachteiligen Wirkungen der Überfüllung im Ergebnis zu unmenschlichen und erniedrigenden
Haftbedingungen geführt haben.
14.
Um das Problem der Überfüllung anzugehen, haben einige Länder den Weg
eingeschlagen, die Zahl der Haftplätze zu erhöhen. Das CPT ist seinerseits bei weitem nicht
überzeugt davon, dass die Schaffung zusätzlicher Räumlichkeiten allein eine dauerhafte
Lösung bietet. Tatsächlich haben einige europäische Staaten umfangreiche Programme für
den Gefängnisbau in Angriff genommen, nur um festzustellen, dass die Anzahl der Insassen
parallel zu den erhöhten Gefängniskapazitäten ansteigt. Im Kontrast dazu hat in bestimmten
Staaten die Existenz einer Politik, die Zahl der Personen, die ins Gefängnis geschickt werden,
zu begrenzen oder anzupassen, einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, die Gefängnisbelegung
auf einem zu bewältigenden Niveau zu halten.
15.
Das Problem der Gefängnisüberfüllung ist so ernst, dass es nach einer
Zusammenarbeit auf europäischer Ebene verlangt, um Gegenstrategien zu entwerfen. Daher
begrüßt das CPT die Nachricht, dass die Arbeit zu diesem Thema kürzlich im Rahmen des
Europäischen Strafrechtslenkungsausschusses (European Committee on Crime Problems –
CDPC) aufgenommen wurde. Das CPT hofft, dass es als eine Priorität angesehen wird, diese
Arbeiten erfolgreich abzuschließen.1
1
Am 30. September 1999 nahm das Ministerkomitee des Europarates die Empfehlung
Nr. R (99) 22 betreffend Gefängnisüberfüllung und Anstieg der Gefängnispopulation an.
23
Auszug aus dem 11. Jahresbericht [CPT/Inf (2001) 16]
Beziehungen zwischen Personal und Gefangenen
26.
Der Eckpfeiler eines menschlichen Gefängnissystems wird immer das sorgfältig
ausgewählte und ausgebildete Gefängnispersonal sein, das weiß, wie es eine angemessene
Haltung gegenüber den Gefangenen einnehmen kann und seine Arbeit mehr als eine Berufung
denn als einen bloßen Job betrachtet. Positive Beziehungen zu den Gefangenen aufzubauen,
sollte als ein Schlüsselmerkmal dieses Berufsbildes anerkannt werden.
Bedauerlicherweise stellt das CPT oft fest, dass die Beziehung zwischen Personal
und Gefangenen formell und distanziert ist, wobei das Personal eine reglementierende
Haltung gegenüber den Gefangenen einnimmt und verbale Kommunikation mit ihnen als
marginalen Aspekt seiner Arbeit ansieht. Die folgenden Praktiken, die das CPT häufig erlebt,
sind symptomatisch für diesen Ansatz: Gefangene müssen mit dem Gesicht zur Wand stehen,
um auf Gefängnispersonal zu warten, das sich mit ihnen befasst, oder während Besucher
vorbei geführt werden; Gefangene werden verpflichtet, ihre Köpfe zu senken und die Hände
hinter dem Rücken gefaltet zu halten, wenn sie sich innerhalb der Einrichtung bewegen; das
Wachpersonal trägt seine Schlagstöcke sichtbar und sogar in provokativer Weise. Solche
Praktiken sind unter dem Aspekt der Sicherheit nicht erforderlich und tragen nichts zu
positiven Beziehungen zwischen Gefängnispersonal und Gefangenen bei.
Wirkliche Professionalität der Mitglieder des Gefängnispersonals erfordert, dass sie in
der Lage sind, mit Gefangenen in einer annehmbaren und menschlichen Weise umzugehen und
gleichzeitig auf Fragen der Sicherheit und Ordnung zu achten. In dieser Hinsicht sollte die
Gefängnisleitung das Personal dazu ermutigen, ein vernünftiges Maß an Vertrauen und Erwartung
zu haben, dass die Gefangenen gewillt sind, sich korrekt zu benehmen. Die Entwicklung
konstruktiver und positiver Beziehungen zwischen Gefängnispersonal und Gefangenen wird nicht
nur das Misshandlungsrisiko verringern, sondern auch Kontrolle und Sicherheit verbessern. Solche
Beziehungen tragen stark dazu bei, die Arbeit des Gefängnispersonals lohnender zu machen.
Die Sicherstellung positiver Personal-Insassen-Beziehungen hängt ebenfalls sehr davon
ab, dass jederzeit Personal in hinreichender Stärke in Haftbereichen und in Einrichtungen, die von
den Gefangenen für Aktivitäten genutzt werden, anwesend ist. Delegationen des CPT stellen oft
fest, dass dies nicht der Fall ist. Eine allgemein geringe Personalausstattung und/oder besondere
Personalschichtsysteme, die die Möglichkeit des direkten Kontaktes mit Gefangenen verringern,
behindern gewiss die Entwicklung positiver Beziehungen; allgemein schaffen sie eine unsichere
Umgebung sowohl für das Personal als auch für die Gefangenen.
Es sollte auch beachtet werden, dass bei unzureichender Personalausstattung
Überstunden in erheblicher Anzahl notwendig werden können, um ein Grundniveau an
Sicherheit und organisierten Aktivitäten in der Einrichtung zu gewährleisten. Dieser Zustand
kann beim Personal leicht zu hohem Stress und zu einem frühzeitigen “Burnout” führen, eine
Situation, die die jeder Gefängnisumgebung innewohnende Spannung leicht verschärfen kann.
24
Gewalt unter Gefangenen
27.
Die Fürsorgepflicht des Wachpersonals gegenüber den Personen in ihrer Obhut
schließt auch die Verantwortung ein, sie vor anderen Insassen zu schützen, die ihnen Schaden
zufügen wollen. Tatsächlich sind gewaltsame Zwischenfälle unter Gefangenen eine normale
Erscheinung in allen Gefängnissystemen; sie umfassen eine große Bandbreite an Phänomenen
von subtilen Formen der Belästigung bis hin zu unverhüllter Einschüchterung und schweren
körperlichen Angriffen.
Um das Phänomen der Gewalt unter Gefangenen anzugehen, muss das
Gefängnispersonal – auch im Hinblick auf die Personalausstattung – in die Lage versetzt
werden, seine Autorität und seine Aufsichtsaufgaben in angemessener Weise auszuüben. Das
Gefängnispersonal muss aufmerksam auf Anzeichen für derartige Probleme achten und
sowohl entschlossen als auch adäquat ausgebildet dafür sein, im Bedarfsfall einzuschreiten.
Die Existenz guter Beziehungen zwischen Personal und Gefangenen basierend auf den
Konzepten des sicheren Gewahrsams und der Fürsorge ist ein entscheidender Faktor in
diesem Zusammenhang; dies wird weithin davon abhängen, ob das Personal über
ausreichende Fertigkeiten in zwischenmenschlicher Kommunikation verfügt. Darüber hinaus
muss die Leitung bereit sein, das Personal bei der Ausübung seiner Befugnisse in vollem
Umfang zu unterstützen. Spezifische Sicherheitsmaßnahmen, die den Eigenheiten der
jeweiligen Lage angepasst sind (einschließlich wirksamer Durchsuchungsprozeduren),
können sehr wohl erforderlich sein; jedoch können solche Maßnahmen niemals mehr sein als
eine Ergänzung der genannten Grunderfordernisse. Darüber hinaus muss sich das
Gefängnissystem mit der Frage sachgerechter Klassifizierung und Verteilung der Gefangenen
befassen.
Für Gefangene, die einer Sexualstraftat verdächtig sind oder wegen einer solchen
Tat verurteilt wurden, besteht ein besonders hohes Risiko, von anderen Gefangenen
angegriffen zu werden. Die Verhütung derartiger Handlungen stellt stets eine schwierige
Herausforderung dar. Häufig wird die Lösung gewählt, solche Gefangene vom Rest der
Gefängnisinsassen zu trennen. Jedoch haben die betroffenen Personen möglicherweise einen
hohen Preis für ihre – relative – Sicherheit zu bezahlen: in Form eines viel begrenzteren
Aktivitätenprogramms als unter dem normalen Haftregime. Ein anderer Ansatz ist, die
Gefangenen, die einer Sexualstraftat verdächtig sind oder wegen einer solchen Tat verurteilt
wurden, über das ganze betroffene Gefängnis zu verteilen. Wenn solch ein Ansatz erfolgreich
sein soll, muss das notwendige Umfeld für eine gute Integration solcher Gefangener in die
allgemeinen Zellblöcke gewährleistet sein; insbesondere muss sich das Gefängnispersonal
ernsthaft verpflichtet fühlen, mit Festigkeit auf jedes Anzeichen einer Feindseligkeit oder
Verfolgung zu reagieren. Ein dritter Ansatz kann darin bestehen, Gefangene in eine andere
Einrichtung zu verlegen, begleitet von Maßnahmen, die darauf abzielen, die Art ihrer Straftat
zu verbergen. Jede dieser Vorgehensweisen hat ihre Vor- und Nachteile, und das CPT erstrebt
nicht, für einen Ansatz im Gegensatz zu einem anderen zu werben. In der Tat wird die
Entscheidung über die Vorgehensweise hauptsächlich von den jeweiligen Umständen des
Einzelfalles abhängen.
25
Gefängnisüberfüllung
28.
Das
Phänomen
der
Gefängnisüberfüllung
beeinträchtigt
weiterhin
Justizvollzugssysteme in ganz Europa und untergräbt in schwerwiegender Weise
Bemühungen, die Haftbedingungen zu verbessern. Die negativen Auswirkungen der
Gefängnisüberfüllung sind bereits in früheren Jahresberichten aufgezeigt worden. 1 Im Zuge
der Ausweitung des Tätigkeitsfelds des CPT über den ganzen europäischen Kontinent ist das
Komitee immens hohen Inhaftierungsraten und sich daraus ergebender schwerwiegender
Überfüllung begegnet. Die Tatsache, dass der Staat so viele seiner Bürger einsperrt, kann mit
einer hohen Kriminalitätsrate nicht überzeugend erklärt werden; die allgemeine Einstellung
der Gesetzesvollzugsbehörden und der Justiz muss teilweise dafür verantwortlich sein.
Unter solchen Umständen wird keine Lösung darin liegen, wachsende Geldbeträge
in die Gefängnisse zu stecken. Statt dessen müssen das geltende Recht und die Praxis im
Hinblick auf Untersuchungshaft und Strafzumessung sowie die Bandbreite verfügbarer
Alternativen zur Freiheitsentziehung überprüft werden. Dies ist genau der Ansatz, für den das
Ministerkomitee in seiner Empfehlung Nr. R (99) 22 über Gefängnisüberfüllung und Anstieg
der Gefängnispopulation eintritt. Das CPT hofft sehr, dass die Mitgliedstaaten die Prinzipien
aus diesem wichtigen Text tatsächlich anwenden werden; die Umsetzung dieser Empfehlung
verdient es, vom Europarat genau überwacht zu werden.
Große Schlafsäle
29.
In einer Reihe von Ländern, die das CPT besucht hat – insbesondere in Mittel- und
Osteuropa – bestehen die Insassenunterkünfte häufig aus großen Schlafsälen, welche alle oder
die meisten der von den Gefangenen täglich zu nutzenden Einrichtungen enthalten, Schlafund Aufenthaltsbereiche ebenso wie Sanitäranlagen. Das CPT hat prinzipielle Einwände
gegen diese Art der Unterbringung in geschlossenen Haftanstalten, und diese Einwände sind
umso stärker, wenn es, wie so häufig, feststellen muss, dass die Gefangenen in den fraglichen
Schlafsälen unter extrem beengten und ungesunden Bedingungen festgehalten werden.
Zweifellos können es verschiedene Faktoren – etwa kultureller Natur – in bestimmten
Ländern vorzugswürdig erscheinen lassen, den Gefangenen eher Mehrbetträume zur
Verfügung zu stellen als Einzelzellen. Es spricht jedoch wenig für und viel gegen
Unterkünfte, in denen Dutzende von Gefangenen in einem Saal leben und schlafen müssen.
1
2. Jahresbericht – CPT/Inf (92) 3, Ziff. 4, und 7. Jahresbericht – CPT/Inf (97) 10, Ziff. 12–15.
26
Große Schlafsäle bringen unvermeidlich einen Mangel an Privatsphäre für die
Gefangenen in ihrem Alltag mit sich. Darüber hinaus ist das Risiko von Einschüchterungen
und Gewalt hoch. Bei dieser Unterkunftsgestaltung kommt es leicht dazu, dass sich
Subkulturen des Verbrechens entwickeln und der Zusammenhalt krimineller Organisationen
aufrecht erhalten wird. Auch können sie eine ordnungsgemäße Kontrolle durch das Personal
extrem erschweren oder vereiteln; insbesondere im Falle von Unruhen im Gefängnis sind
Interventionen von außen unter Anwendung beträchtlicher Gewalt schwer zu vermeiden. Bei
dieser Art der Unterbringung wird auch eine sachgemäße, auf eine fallspezifische Risiko- und
Bedarfseinschätzung gestützte Verteilung der einzelnen Gefangenen zu einer nahezu
unmöglichen Aufgabe. All diese Probleme verschärfen sich, wenn die Belegungszahl ein
vernünftiges Maß überschreitet; häufig führen in dieser Situation auch die übermäßige
Beanspruchung der Gemeinschaftseinrichtungen wie z.B. Waschbecken und Toiletten und die
für eine so große Zahl von Personen nicht ausreichende Belüftung zu beklagenswerten
Haftbedingungen.
Das CPT muss gleichwohl betonen, dass die Umstellung von großen Schlafsälen
hin zu kleineren Wohneinheiten durch Maßnahmen begleitet werden muss, die sicherstellen,
dass die Gefangenen einen ausreichenden Teil des Tages außerhalb ihrer Wohneinheit
zubringen und sich mit sinnvollen Aktivitäten unterschiedlicher Art beschäftigen.
Zugang zu natürlichem Licht und frischer Luft
30.
Das CPT begegnet häufig Vorrichtungen wie Metallfensterläden, Leisten oder in die
Zellfenster eingebaute Platten, die den Gefangenen den Zugang zu natürlichem Licht
versperren und den Zustrom frischer Luft in die Unterkunft verhindern. Sie sind besonders
häufig in Einrichtungen für Untersuchungshäftlinge anzutreffen. Das CPT erkennt in vollem
Umfang an, dass spezifische Sicherheitsmaßnahmen zur Verhütung von Verdunkelungsgefahr
und/oder krimineller Aktivitäten im Hinblick auf bestimmte Gefangene sehr wohl erforderlich
sein können. Jedoch sollte die Anwendung derartiger Maßnahmen eher die Ausnahme als die
Regel sein. Folglich müssen die zuständigen Behörden den Fall jedes einzelnen Gefangenen
prüfen, um festzustellen, ob spezifische Sicherheitsmaßnahmen in seinem/ihrem Fall wirklich
gerechtfertigt sind. Darüber hinaus sollten solche Maßnahmen, auch wenn sie notwendig sind,
niemals damit verbunden sein, den betroffenen Gefangenen natürliches Licht und frische Luft
zu entziehen. Es handelt sich hierbei um Grundelemente des Lebens, deren Genuss jeder
Gefangene beanspruchen kann; überdies führt das Fehlen dieser Elemente zu
Haftbedingungen, die die Verbreitung von Krankheiten und insbesondere Tuberkulose
begünstigen.
Das CPT erkennt an, dass die Schaffung von annehmbaren Lebensbedingungen in
Justizvollzugseinrichtungen sehr kostenintensiv sein kann und Verbesserungen in vielen
Ländern durch Geldmangel behindert werden. Jedoch sollte die Entfernung von
Vorrichtungen, die die Fenster von Gefangenenunterkünften versperren, (und, falls
ausnahmsweise notwendig, die Anbringung angemessen gestalteter alternativer
Sicherheitsvorrichtungen) keine größeren Investitionen mit sich bringen; sie wäre gleichzeitig
für alle Beteiligten von großem Nutzen.
27
Übertragbare Krankheiten
31.
Die Ausbreitung übertragbarer Krankheiten und insbesondere von Tuberkulose,
Hepatitis und HIV/Aids ist in einer Reihe europäischer Länder zu einem bedeutenden
öffentlichen Gesundheitsanliegen geworden. Diese Krankheiten betreffen die
Gesamtbevölkerung, haben aber in bestimmten Gefängnissystemen dramatische Ausmaße
angenommen. In diesem Zusammenhang hat das CPT bei einer Reihe von Gelegenheiten
seine Besorgnis über die inadäquaten Maßnahmen äußern müssen, die zur Bewältigung dieses
Problems ergriffen werden. Darüber hinaus ist häufig festzustellen, dass die Gefangenen unter
materiellen Bedingungen festgehalten werden, die die Ausbreitung dieser Krankheiten nur
begünstigen können.
Das CPT ist sich bewusst, dass in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten – wie sie
heute in vielen der vom CPT besuchten Ländern anzutreffen sind – auch in
Justizvollzugsanstalten Opfer erbracht werden müssen. Jedoch zieht der Akt, einer Person ihre
Freiheit zu entziehen, ungeachtet der zu einer bestimmten Zeit bestehenden Schwierigkeiten
eine Fürsorgepflicht nach sich, die wirksame Methoden zur Prävention, Untersuchung und
Behandlung erfordert. Die Erfüllung dieser Pflicht durch die öffentlichen Behörden ist um so
wichtiger, wenn es um die Frage der Behandlung lebensbedrohlicher Krankheiten geht.
Der Gebrauch zeitgemäßer Untersuchungsmethoden, die regelmäßige Versorgung
mit Medikamenten und dazugehörigen Materialien, das Vorhandensein von Personal, welches
sicherstellt, dass die Gefangenen die verschriebenen Medikamente in der richtigen Dosis
erhalten und in den richtigen Zeitabständen einnehmen, und bei Bedarf die Verpflegung mit
spezieller Kost bilden Grundelemente einer wirksamen Strategie, die oben genannten
Krankheiten zu bekämpfen und den betroffenen Gefangenen angemessene Fürsorge
zukommen zu lassen. Gleichfalls müssen die materiellen Bedingungen in Unterkünften für
Gefangene mit übertragbaren Krankheiten der Verbesserung ihres Gesundheitszustandes
dienlich sein; zusätzlich zu natürlichem Licht und guter Belüftung muss der Hygienestandard
zufriedenstellend sein, und es darf keine Überfüllung vorliegen.
Darüber hinaus sollten die betroffenen Gefangenen, solange es nicht aus
medizinischen oder anderen Gründen absolut notwendig ist, nicht vom Rest der Gefangenen
abgesondert werden. In diesem Zusammenhang möchte das CPT besonders betonen, dass es
keine medizinische Rechtfertigung für eine Absonderung von Gefangenen nur aufgrund der
Tatsache gibt, dass sie HIV-positiv sind.
28
Um Fehlvorstellungen über diese Fragen zu beseitigen, obliegt es den nationalen
Behörden sicherzustellen, dass ein vollständiges Bildungsprogramm über übertragbare
Krankheiten sowohl für Gefangene als auch für das Gefängnispersonal besteht. Ein solches
Programm sollte Übertragungswege und Schutzvorkehrungen sowie auch die Anwendung
angemessener Präventionsmaßnahmen ansprechen. Insbesondere sollte das Risiko der
Ansteckung mit HIV oder Hepatitis B/C durch Sexualkontakte und intravenöse
Drogeneinnahme hervorgehoben und die Rolle der Körperflüssigkeiten als Träger von HIVund Hepatitisviren erläutert werden.
Es muss gleichfalls betont werden, dass ausreichende Informationen und Beratung
vor und – im Falle eines positiven Ergebnisses – nach jeder Testuntersuchung zur Verfügung
stehen sollten. Darüber hinaus ist es unbedingt erforderlich, dass patientenbezogene
Informationen durch ärztliche Vertraulichkeit geschützt werden. Prinzipiell sollten alle
Eingriffe in diesem Bereich auf der informierten Einwilligung der betroffenen Personen
basieren.
Überdies muss eine bestmögliche Koordination der Anstrengungen aller Ministerien
und Behörden, die in einem bestimmten Land auf diesem Gebiet arbeiten, sichergestellt sein,
um die oben genannten Krankheiten wirksam unter Kontrolle zu halten. In Hinblick darauf
möchte das CPT betonen, dass die Fortsetzung der Behandlung nach der Entlassung aus dem
Gefängnis gewährleistet sein muss.1
1
Siehe auch “Gesundheitsdienste in Gefängnissen”, Abschnitt “übertragbare Krankheiten”.
29
Hochsicherheitstrakte
32.
In jedem Land wird es eine bestimmte Anzahl von Gefangenen geben, die als
besonders hohes Sicherheitsrisiko angesehen werden und deshalb besondere Haftbedingungen
erfordern. Die Einschätzung solcher Gefangener als hohes Sicherheitsrisiko kann sich aus der
Art der Straftaten ergeben, die sie begangen haben, aus der Art, wie sie auf die
Einschränkungen
des
Gefängnislebens
reagieren,
oder
aus
ihrem
psychologischen/psychiatrischen Profil. Nur ein kleiner Anteil aller Gefangenen wird zu
dieser Gruppe gehören (zumindest sollte es so sein, wenn das Klassifizierungssystem
zufriedenstellend funktioniert). Jedoch ist diese Gruppe von besonderer Bedeutung für das
CPT, da die Notwendigkeit, gegenüber solchen Gefangenen außergewöhnliche Maßnahmen
zu ergreifen, ein größeres Risiko unmenschlicher Behandlung mit sich bringt.
Gefangene, die ein besonders hohes Sicherheitsrisiko darstellen, sollten innerhalb
der Begrenzungen ihres Gefängnistraktes ein relativ gelockertes Regime als Kompensation
für ihre strengen Haftbedingungen genießen. Insbesondere sollte es ihnen möglich sein, ihre
Mitgefangenen in ihrem Trakt zu treffen, und es sollte ihnen eine Reihe von Aktivitäten zur
Auswahl stehen. Besondere Anstrengungen sollten darauf verwendet werden, eine gute
interne Atmosphäre innerhalb von Hochsicherheitstrakten zu entwickeln. Das Ziel sollte sein,
positive Beziehungen zwischen Personal und Gefangenen aufzubauen. Dies ist nicht nur der
menschlichen Behandlung der Bewohner des Traktes förderlich, sondern auch der
Aufrechterhaltung wirksamer Kontrolle und allgemeiner Sicherheit sowie der persönlichen
Sicherheit des Personals.
Die Existenz eines zufriedenstellenden Aktivitätenprogramms ist in einem
Hochsicherheitstrakt ebenso wichtig wie unter normalen Bedingungen – wenn nicht noch
wichtiger. Ein solches Programm kann viel dazu beitragen, den für die Persönlichkeit des
Gefangenen nachteiligen Wirkungen des Lebens in der abgekapselten Atmosphäre eines
solchen Trakts entgegenzuwirken. Die verfügbaren Aktivitäten sollten so vielseitig wie
möglich sein (Bildung, Sport, Arbeit berufsausbildenden Charakters etc.). Insbesondere im
Hinblick auf Arbeitsaktivitäten ist klar, dass Sicherheitserwägungen viele Typen von Arbeit
ausschließen, die unter normalen Haftbedingungen zu finden sind. Trotzdem sollte dies nicht
bedeuten, dass den Gefangenen nur öde Arbeiten angeboten werden.
Es ist unbedingt erforderlich, dass Gefangene zeitlich nicht länger einem
besonderen Sicherheitsregime unterworfen werden, als es das von ihnen dargestellte Risiko
notwendig macht. Folglich müssen Unterbringungsentscheidungen regelmäßig überprüft
werden. Solche Überprüfungen sollten sich stets auf die kontinuierliche Beurteilung des
einzelnen Gefangenen stützen, die durch für derartige Beurteilungen speziell ausgebildetes
Personal vorgenommen wird. Zudem sollten die Gefangenen so umfassend wie möglich über
die Gründe für ihre Unterbringung und über ihre etwa notwendige Verlängerung informiert
werden; dies wird sie unter anderem in den Stand versetzen, wirksamen Gebrauch von
Beschwerdemöglichkeiten gegen diese Maßnahme zu machen.
30
Zu lebenslanger Haft Verurteilte und andere Langzeitgefangene
33.
In vielen europäischen Staaten ist die Zahl der zu lebenslanger Haft Verurteilten
und anderer Langzeitgefangener ansteigend. Bei einigen seiner Besuche stellte das CPT fest,
dass die Lage solcher Gefangener im Hinblick auf die materiellen Haftbedingungen,
Aktivitäten und Möglichkeiten zu menschlichem Kontakt viel zu wünschen übrig ließ.
Darüber hinaus unterlagen viele dieser Gefangenen besonderen Einschränkungen, die
tendenziell die der Langzeithaft schädlichen Wirkungen verschärfen; Beispiele solcher
Einschränkungen sind die dauernde Trennung von den restlichen Gefängnisinsassen, das
Anlegen von Handschellen bei jeder Führung aus der Zelle, das Verbot der Kommunikation
mit anderen Gefangenen und begrenzte Besuchsrechte. Das CPT sieht keine Rechtfertigung
dafür, Beschränkungen unterschiedslos auf alle Gefangenen anzuwenden, die zu einer
bestimmten Art der Strafe verurteilt worden sind, ohne angemessen das individuelle Risiko zu
berücksichtigen, das sie möglicherweise darstellen (oder auch nicht).
Langzeithaft kann eine Reihe entsozialsierender Wirkungen auf die Insassen haben.
Über das Institutionalisiertwerden hinaus können Langzeitgefangene viele psychische
Probleme entwickeln (etwa Verlust der Selbstachtung und Abbau sozialer Fertigkeiten) sowie
die Tendenz, sich immer mehr von der Gesellschaft abzulösen, in die die meisten von ihnen
letztlich zurückkehren werden. Aus Sicht des CPT sollten die Haftregimes für
Langzeitgefangene anstreben, diese Auswirkungen in positiver und proaktiver Weise
auszugleichen.
Die betroffenen Gefangenen sollten Zugang zu einer großen Bandbreite sinnvoller
Aktivitäten unterschiedlicher Art haben (Arbeit, vorzugsweise mit berufbezogenem Wert;
Bildung; Sport; Erholung/Geselligkeit). Überdies sollten sie eine gewisse Auswahl über die
Art und Weise, wie sie ihre Zeit verbringen wollen, ausüben können und so ein Gefühl für
Autonomie und persönliche Verantwortung entwickeln. Zusätzliche Schritte sollten
unternommen werden, um ihrer Haftzeit einen Sinn zu verleihen; insbesondere können diesen
Gefangenen individualisierte Vollzugspläne und geeignete psychosoziale Unterstützung dabei
helfen, mit der Dauer ihrer Inhaftierung zurechtzukommen und sich, wenn es soweit ist, auf
die Entlassung vorzubereiten. Darüber hinaus ist die negative Wirkung der
Institutionalisierung auf Langzeitgefangene weniger ausgeprägt und sie sind besser für die
Entlassung gerüstet, wenn es ihnen möglich ist, nachhaltig Kontakt mit der Außenwelt zu
bewahren.
31
Gesundheitsdienste in Gefängnissen
Auszug aus dem 3. Jahresbericht [CPT]/Inf (92) 3]
30.
Die Gesundheitsfürsorge für Personen, denen die Freiheit entzogen ist, ist ein
Thema von direkter Relevanz für das Mandat des CPT. 1 Ein inadäquates Niveau der
Gesundheitsfürsorge kann schnell zu Situationen führen, die in den Bereich des Begriffs
„unmenschliche und erniedrigende Behandlung" fallen. Darüber hinaus kann der
Gesundheitsdienst einer bestimmten Einrichtung bei der Bekämpfung der Zufügung von
Misshandlungen sowohl in dieser Einrichtung als auch anderswo (insbesondere in
Polizeieinrichtungen) potentiell eine wichtige Rolle spielen. Überdies ist er in der Lage, eine
positive Wirkung auf die allgemeine Lebensqualität in der Einrichtung auszuüben, in der er
tätig ist.
31.
In den folgenden Abschnitten werden einige der Hauptpunkte beschrieben, die
Delegationen des CPT bei der Prüfung von Gesundheitsdiensten in Gefängnissen verfolgen.
Jedoch möchte das CPT zu Beginn die Wichtigkeit deutlich machen, die es dem allgemeinen
Grundsatz beimisst - der bereits in den meisten, wenn nicht allen der von dem Komitee bisher
besuchten Länder anerkannt ist -, dass Gefangene einen Anspruch auf dasselbe Niveau
medizinischer Fürsorge haben wie Personen in Freiheit. Dies ist ein Prinzip, das den
Grundrechten des Individuums innewohnt.
32.
Die Überlegungen, die das CPT während seiner Besuche bei
Gefängnisgesundheitsdiensten geleitet haben, können unter den folgenden Überschriften
dargelegt werden:
a. Zugang zu einem Arzt
b. Gleichwertigkeit der Fürsorge
c. Einwilligung des Patienten und Vertraulichkeit
d. Präventive Gesundheitsfürsorge
e. Humanitärer Beistand
f. Berufliche Unabhängigkeit
g. Berufliche Kompetenz
1
Hinzuweisen ist auch auf Empfehlung Nr. R (98) 7 über die ethischen und organisatorischen
Aspekte der Gesundheitsfürsorge im Gefängnissen, angenommen durch das Ministerkomitee des
Europarates am 8. April 1998.
32
a.
Zugang zu einem Arzt
33.
Alle Gefangenen sollten bei ihrer Ankunft im Gefängnis ohne Verzögerung von
einem Mitglied des Gesundheitsdienstes der Einrichtung empfangen werden. In seinen
Berichten hat das CPT bisher empfohlen, dass jeder neu eingetroffene Gefangene nach seiner
Aufnahme so schnell wie möglich von einem Arzt gründlich befragt und, wenn nötig,
körperlich untersucht wird. Es sei hinzugefügt, dass in einigen Ländern die medizinische
Eingangsuntersuchung von einer voll ausgebildeten Krankenschwester vorgenommen wird,
die dem Arzt Bericht erstattet. Dieser Ansatz könnte als eine effizientere Nutzung
vorhandener Ressourcen betrachtet werden.1
Wünschenswert ist des weiteren, dass den Gefangenen bei ihrer Ankunft ein
Merkblatt oder eine Broschüre ausgehändigt wird, die sie über Existenz und Funktionsweise
des Gesundheitsdienstes informiert und ihnen grundlegende Maßnahmen der Hygiene in
Erinnerung ruft.
34.
Während der Haft sollten Gefangene in der Lage sein, jederzeit Zugang zu einem
Arzt zu erhalten, und zwar unabhängig von ihrem Haftregime (im Hinblick auf den Zugang zu
einem Arzt für Gefangene in Isolationshaft siehe Ziffer 56 des zweiten Jahresberichts des
CPT: CPT/ Inf (92) 3). Der Gesundheitsdienst sollte so organisiert sein, dass Ersuchen um die
Konsultation eines Arztes ohne übermäßige Verzögerung entsprochen werden kann.
Gefangene sollten in der Lage sein, an den Gesundheitsdienst auf vertraulicher
Basis heranzutreten, zum Beispiel mittels einer Nachricht in einem verschlossenen
Briefumschlag. Darüber hinaus sollten die Ersuchen um die Konsultation eines Arztes nicht
einer Überprüfung durch Gefängnisbeamte unterliegen.
35.
Der Gesundheitsdienst eines Gefängnisses sollte zumindest in der Lage sein,
regelmäßige ambulante Konsultationen und Notfallbehandlung anzubieten (selbstverständlich
mag es häufig zusätzlich eine krankenhausähnliche Einheit mit Betten geben). Die Dienste
eines qualifizierten Zahnarztes sollten jedem Gefangenen zur Verfügung stehen. Darüber
hinaus sollten die Gefängnisärzte die Möglichkeit haben, die Dienste eines Spezialisten
anzufordern.
Für die Notfallbehandlung sollte stets ein Arzt auf Abruf bereit stehen. Darüber
hinaus sollte jederzeit eine Person im Gefängnis anwesend sein, die Erste Hilfe leisten kann,
vorzugsweise jemand mit einer anerkannten Qualifikation in der Krankenpflege.
1
Dieses Erfordernis wurde anschließend wie folgt umformuliert: jeder neu angekommene
Gefangene sollte so bald wie möglich nach seiner Ankunft durch einen Arzt ordnungsgemäß befragt und
körperlich untersucht werden; wenn keine außergewöhnlichen Umständen vorliegen, sollte die
Befragung/Untersuchung am Tag der Ankunft durchgeführt werden, insbesondere, soweit
Untersuchungshaftanstalten betroffen sind. Solche medizinischen Untersuchungen bei der Ankunft
können auch durch eine voll ausgebildete Krankenschwester, die dem Arzt Bericht erstattet, durchgeführt
werden.
33
Die ambulante Behandlung sollte in geeigneter Weise durch das medizinische
Personal überwacht werden; in vielen Fällen reicht es nicht aus, die Durchführung einer
Folgebehandlung davon abhängig zu machen, dass der Gefangene die Initiative ergreift.
36. Die direkte Unterstützung eines voll ausgestatteten Krankenhausdienstes sollte zur
Verfügung stehen, entweder in einem Allgemein- oder einem Gefängniskrankenhaus.
Wenn auf ein Allgemeinkrankenhaus zurückgegriffen wird, so stellt sich die Frage
der Sicherheitsvorkehrungen. Hierzu möchte das CPT betonen, dass Gefangene, die zur
Behandlung in ein Krankenhaus überstellt worden sind, nicht aus Bewachungsgründen
körperlich mit ihrem Krankenbett oder anderen Möbelstücken verbunden werden sollten. Es
können und sollten andere Mittel gefunden werden, um den Anforderungen der Sicherheit zu
entsprechen; die Schaffung einer geschlossenen Abteilung in solchen Krankenhäusern ist eine
mögliche Lösung.
37.
Wenn für Gefangene ein stationärer Aufenthalt oder eine Spezialuntersuchung in
einem Krankenhaus notwendig wird, so sollten sie dorthin stets mit der Schnelligkeit und in
der Art und Weise überführt werden, die ihre gesundheitliche Verfassung erfordert.
b.
Gleichwertigkeit der Fürsorge
i) Allgemeinmedizin
38.
Der Gesundheitsdienst in einem Gefängnis sollte in der Lage sein, unter
vergleichbaren Bedingungen, wie sie Patienten in Freiheit genießen, medizinische Behandlung
und Pflegedienste ebenso wie geeignete Diäten, Physiotherapie, Rehabilitationsmaßnahmen oder
andere notwendige besondere Behandlungsmethoden zur Verfügung zu stellen. Die Ausstattung
im Hinblick auf ärztliches, pflegerisches und technisches Personal wie auf Räumlichkeiten,
Installationen und Ausrüstung sollte darauf abgestimmt sein.
Die Apotheke und die Verteilung von Medikamenten sollten angemessen überwacht
werden. Ferner sollte die Zubereitung von Medikamenten stets qualifiziertem Personal
anvertraut werden (Apotheker/Krankenschwester etc.).
39.
Für jeden Patienten sollte eine eigene Krankenakte angelegt werden, die sowohl
Informationen über die Diagnose als auch einen fortlaufenden Bericht über die Entwicklung
und etwaige besondere Untersuchungen des Patienten enthält. Im Falle einer Verlegung sollte
die Krankenakte an die Ärzte der übernehmenden Einrichtung weitergeleitet werden.
Darüber hinaus sollten durch das Personal des Gesundheitsdienstes Tagesregister
geführt werden, in denen besondere Vorkommnisse in bezug auf die Patienten niedergelegt
werden. Solche Berichte sind nützlich, indem sie einen Gesamtüberblick über die Situation
der Gesundheitsfürsorge in dem Gefängnis verschaffen und gleichzeitig eventuell auftretende
spezifische Probleme hervorheben.
34
40.
Der reibungslose Ablauf eines Gesundheitsdienstes setzt voraus, dass die Ärzte und
das Pflegepersonal in der Lage sind, regelmäßige Zusammenkünfte durchzuführen und unter
der Führung eines für den Dienst verantwortlichen leitenden Arztes ein Team zu bilden.
ii) Psychiatrische Betreuung
41.
Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung treten bei Gefangenen häufig
psychiatrische Symptome auf. Folglich sollte ein in Psychiatrie qualifizierter Arzt an den
Gesundheitsdienst jedes Gefängnisses angeschlossen sein, und einige der dort beschäftigten
Krankenschwestern sollten auf diesem Gebiet ausgebildet worden sein.
Die Ausstattung an ärztlichem und pflegerischem Personal sollte ebenso wie die
Gestaltung des Gefängnisses derart sein, dass regelmäßige pharmakologische,
psychotherapeutische und beschäftigungstherapeutische Programme durchgeführt werden
können.
42.
Das CPT möchte die Rolle hervorheben, die die Gefängnisverwaltung dabei spielt,
Gefangene mit einem psychiatrischen Leiden (zum Beispiel Depressionen, reaktiver Zustand
etc.) früh zu erkennen, um gegebenenfalls in ihrer Umgebung geeignete Anpassungen
vornehmen zu können. Das Bewachungspersonal kann hierzu angeregt werden, indem für
einige seiner Mitglieder geeignete medizinische Fortbildungsmaßnahmen vorgesehen werden.
43.
Ein geisteskranker Gefangener sollte in einer Krankeneinrichtung untergebracht und
versorgt werden, die angemessen ausgerüstet ist und über hinreichend qualifiziertes Personal
verfügt. Diese Einrichtung kann eine allgemeine psychiatrische Klinik oder eine besonders
ausgestattete psychiatrische Einrichtung innerhalb des Strafvollzugssystems sein.
Es wird einerseits häufig vorgebracht, dass es aufgrund ethischer Gesichtspunkte
angemessen sei, dass geisteskranke Gefangene außerhalb des Strafvollzugssystems in
Einrichtungen untergebracht werden, für die der allgemeine Gesundheitsdienst zuständig ist.
Auf der anderen Seite mag argumentiert werden, dass innerhalb des Strafvollzugssystems die
Betreuung in psychiatrischen Einrichtungen unter optimalen Sicherheitsvorkehrungen
stattfinden kann und die Aktivitäten der medizinischen und sozialen Dienste intensiviert
werden können.
Welche Richtung auch immer eingeschlagen wird, die Unterbringungskapazität der
fraglichen psychiatrischen Einrichtung sollte adäquat sein; zu häufig gibt es eine längere
Wartezeit, bevor eine notwendige Verlegung vorgenommen wird. Die Verlegung der
betroffenen Person in eine psychiatrische Einrichtung sollte als eine Sache von höchster
Priorität behandelt werden.
35
44.
Ein geistesgestörter und gewalttätiger Patient sollte durch strenge Überwachung und
pflegerischen Beistand behandelt werden, kombiniert, wenn es angebracht ist, mit Sedativen.
Der Rückgriff auf Mittel körperlichen Zwanges sollte nur selten gerechtfertigt sein und stets
entweder ausdrücklich von einem Arzt angeordnet oder diesem sofort zur Kenntnis gebracht
werden, um seine Zustimmung zu erlangen. Mittel körperlichen Zwanges sollten bei frühester
Gelegenheit wieder entfernt werden. Zur Bestrafung sollten sie niemals angewendet oder ihre
Anwendung verlängert werden.
Wenn auf Mittel körperlichen Zwanges zurückgegriffen wird, sollte dies sowohl in
die Patientenakte als auch in ein geeignetes Register eingetragen werden, unter Angabe von
Anfangs- und Endzeitpunkt der Maßnahme sowie der Umstände des Falles und der Gründe
für die Anwendung solcher Mittel.
c.
Einwilligung des Patienten und Vertraulichkeit
45.
Die Entscheidungsfreiheit und die Achtung der Vertraulichkeit sind grundlegende
Rechte des Einzelnen. Sie sind gleichfalls wesentlich für die vertrauensvolle Atmosphäre, die
einen notwendigen Bestandteil des Arzt/Patient-Verhältnisses darstellt, insbesondere in
Gefängnissen, wo der Gefangene sich seinen Arzt nicht frei aussuchen kann.
i) Einwilligung des Patienten
46.
Den Patienten sollten alle relevanten Informationen (bei Bedarf in Form eines
ärztlichen Berichts) über ihren Gesundheitszustand, den Behandlungsverlauf und die
verordneten Medikamente zur Verfügung gestellt werden. Vorzugsweise sollten die Patienten
das Recht haben, den Inhalt ihrer Gefängniskrankenakte zu konsultieren, es sei denn, dass
dies aus therapeutischen Gründen nicht ratsam ist.
Sie sollten darum ersuchen dürfen, diese Informationen an ihre Familien und
Anwälte oder an einen außenstehenden Arzt übermitteln zu lassen.
47.
Jeder Patient mit Urteilsvermögen ist frei, die Behandlung oder jeden anderen
medizinischen Eingriff abzulehnen. Jede Abweichung von diesem grundlegenden Prinzip
sollte sich auf eine gesetzliche Grundlage stützen und sich auf klar und eng definierte
Ausnahmefälle beziehen, die auch für die Gesamtbevölkerung gelten.
Eine klassischerweise schwierige Situation tritt auf, wenn die Entscheidung des
Patienten mit der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arztes im Widerspruch steht. Dies kann
geschehen, wenn der Patient durch seinen persönlichen Glauben beeinflusst wird (z.B.
Verweigerung einer Bluttransfusion) oder wenn er die Absicht hat, seinen Körper zu
gebrauchen oder sogar sich zu verstümmeln, um seine Forderungen durchzusetzen, gegen eine
Behörde zu protestieren oder seine Unterstützung für eine Sache zu demonstrieren.
36
Im Falle eines Hungerstreiks werden in einigen Ländern die öffentlichen Behörden
oder Berufsorganisationen den Arzt verpflichten, zur Verhinderung des Todes einzuschreiten,
sobald das Bewusstsein des Patienten schwer beeinträchtigt ist. In anderen Ländern ist es die
Regel, klinische Entscheidungen dem verantwortlichen Arzt zu überlassen, nachdem er um
Rat ersucht und alle erheblichen Tatsachen abgewogen hat.
48.
Was die Frage der medizinischen Forschung mit Gefangenen betrifft, ist klar, dass
angesichts des Risikos, dass das Einverständnis der Gefangenen zur Teilnahme durch ihre
strafrechtliche Situation beeinflusst sein könnte, ein sehr vorsichtiger Ansatz verfolgt werden
muss. Es sollten Schutzvorkehrungen bestehen, die sicherstellen, dass jeder betroffene
Gefangene seine freiwillige und aufgeklärte Einwilligung gegeben hat.
Die anzuwendenden Bestimmungen sollten diejenigen sein, die in der Gemeinschaft
vorherrschen, unter Beteiligung einer Ethikkommission. Das CPT möchte hinzufügen, dass es
Forschungsaktivitäten begrüßt, die der Gefängnispathologie, Epidemiologie oder anderen
spezifischen Aspekten des Gesundheitszustandes von Gefangenen gewidmet ist.
49.
Gefangene sollten nur mit ihrem Einverständnis in Lehrveranstaltungen für
Studierende einbezogen werden.
ii) Vertraulichkeit
50.
Das Arztgeheimnis sollte im Gefängnis in gleicher Weise beachtet werden wie
außerhalb. Die Führung der Patientenakten sollte in der Verantwortung des Arztes liegen.
51.
Jede ärztliche Untersuchung Gefangener (ob bei der Ankunft oder zu einem
späteren Zeitpunkt) sollte außer Hörweite und - wenn der betroffene Arzt nichts anderes
verlangt - außer Sicht der Gefängnisbeamten durchgeführt werden. Darüber hinaus sollten die
Gefangenen einzeln untersucht werden, nicht in Gruppen.
37
d.
Präventive Gesundheitsfürsorge
52.
Die Arbeit der Gefängnisgesundheitsdienste sollte sich nicht auf die Behandlung
kranker Patienten beschränken. Sie sollten auch mit Aufgaben im Bereich der Sozial- und
Präventivmedizin betraut werden.
i) Hygiene
53.
Es ist Aufgabe des Gefängnisgesundheitsdienstes - gegebenenfalls in
Zusammenwirken mit anderen Stellen -, die Nahrungsversorgung (Quantität, Qualität,
Zubereitung und Austeilung des Essens) und die hygienischen Verhältnisse (Sauberkeit von
Kleidung und Betten; Zugang zu fließendem Wasser; Sanitäreinrichtungen) ebenso wie
Beheizung, Beleuchtung und Belüftung der Zellen zu überwachen. Auch die Möglichkeiten
zur Arbeit und zur Bewegung an der frischen Luft sollten in Betracht gezogen werden.
Gesundheitsschädliche Verhältnisse, Überfüllung, längere Isolationshaft und
Inaktivität können entweder ärztlichen Beistand für einzelne Gefangene oder auch ärztliche
Maßnahmen allgemeiner Natur gegenüber der verantwortlichen Stelle notwendig machen.
ii) Übertragbare Krankheiten 1
54.
Der Gesundheitsdienst eines Gefängnisses sollte sicherstellen, dass Informationen
über übertragbare Krankheiten (insbesondere Hepatitis, AIDS, Tuberkulose, dermatologische
Infektionen) sowohl den Gefangenen als auch dem Gefängnispersonal regelmäßig zur
Kenntnis gebracht werden. Wo es angemessen erscheint, sollte eine ärztliche Kontrolle
derjenigen, die regelmäßigen Kontakt zu einem bestimmten Gefangenen haben
(Mitgefangene, Gefängnispersonal, häufige Besucher) stattfinden.
55.
Im besonderen Blick auf AIDS sollte sowohl vor und, falls notwendig, auch nach
jedem Test eine geeignete Beratung vorgesehen werden. Das Gefängnispersonal sollte
kontinuierlich über notwendige Präventionsmaßnahmen und den Umgang mit HIV-Positivität
fortgebildet werden, und es sollte angemessene Dienstanweisungen betreffs
Nichtdiskriminierung und Vertraulichkeit erhalten.
56.
Das CPT möchte hervorheben, dass es keine medizinische Rechtfertigung für die
Absonderung eines HIV-positiven Gefangenen gibt, solange er sich gesund fühlt.2
Siehe auch “Gefängnishaft”, Abschnitt “Übertragbare Krankheiten”.
Anschließend wie folgt umformuliert: es gibt keine medizinische Rechtfertigung für die
Absonderung eines Gefangenen nur aufgrund der Tatsache, dass er HIV-positiv ist.
1
2
38
iii) Suizidprävention
57.
Suizidprävention ist ein weiteres Thema, das in den Aufgabenbereich eines
Gefängnisgesundheitsdienstes fällt. Er sollte sicherstellen, dass in der Einrichtung ein
ausreichendes Bewusstsein zu diesem Thema vorhanden ist, und dass angemessene
Vorkehrungen getroffen wurden.
58.
Die medizinischen Untersuchungen bei der Ankunft und die Aufnahmeformalitäten
insgesamt spielen eine wichtige Rolle in diesem Zusammenhang; wenn sie in geeigneter
Weise vorgenommen werden, können sie wenigstens einen Teil der gefährdeten Häftlinge
identifizieren und einige Personen von der Beklemmung befreien, die alle neu ankommenden
Gefangenen fühlen.
Darüber hinaus sollten den Mitgliedern des Gefängnispersonals, was auch immer
ihr jeweiliger Aufgabenbereich ist, die Anzeichen für eine Suizidgefährdung bewusst gemacht
werden (dies impliziert, dass sie in der Erkennung solcher Anzeichen ausgebildet werden
sollten). In diesem Zusammenhang sollte berücksichtigt werden, dass die Zeiträume kurz vor
und nach dem Gerichtsverfahren und in einigen Fällen auch die Phase vor der Entlassung ein
höheres Suizidrisiko mit sich bringen.
59.
Eine Person, bei der ein Suizidrisiko festgestellt worden ist, sollte, so lange es
erforderlich ist, unter besondere Beobachtung gestellt werden. Darüber hinaus sollten solche
Personen keinen leichten Zugang zu Gegenständen haben, mit denen sie sich töten könnten
(Fenstergitter, zerbrochenes Glas, Gürtel oder Krawatten etc.).
Zusätzlich sollten Schritte unternommen werden, um einen funktionierenden
Informationsfluss über Personen, die als potentiell gefährdet erkannt worden sind,
sicherzustellen - innerhalb einer bestimmten Einrichtung, und, wenn angebracht, zwischen
verschiedenen
Einrichtungen
(und
insbesondere
zwischen
ihren
jeweiligen
Gesundheitsdiensten).
iv) Verhütung von Gewalt
60.
Gefängnisgesundheitsdienste können zur Verhütung von Gewalt gegen inhaftierte
Personen beitragen, indem sie Verletzungen systematisch registrieren und, wenn angebracht,
die zuständigen Stellen allgemein informieren. Auch Informationen über besondere
Einzelfälle können weitergeleitet werden, wobei dies jedoch in der Regel nur mit
Einwilligung der betroffenen Gefangenen geschehen sollte.
61.
Wenn ein Gefangener bei seiner Ankunft in einer Einrichtung ärztlich untersucht
wird, sollte jedes vorgefundene Anzeichen für Gewalt zusammen mit etwaigen relevanten
Äußerungen des Gefangenen und den Schlussfolgerungen des Arztes vollständig
dokumentiert werden. Diese Information sollte dem Gefangenen zugänglich gemacht werden.
39
Ebenso sollte verfahren werden, wenn ein Gefangener nach einem mit Gewalt
verbundenen Vorfall innerhalb des Gefängnisses ärztlich untersucht wird (siehe auch Ziffer
53 des zweiten Jahresberichts des CPT: CPT/Inf (92) 3), oder bei der erneuten Ankunft im
Gefängnis, nachdem er vorübergehend zu Ermittlungszwecken in die Polizeihaft
rücküberstellt worden war.
62.
Der Gesundheitsdienst könnte für Zwecke der Gefängnisverwaltung, für das
Justizministerium etc. periodische Statistiken über vorgefundene Verletzungen
zusammenstellen.
v) Soziale und familiäre Bindungen
63.
Der Gesundheitsdienst kann auch dabei helfen, die Zerrüttung der sozialen und
familiären Bindungen zu begrenzen, die für gewöhnlich mit einer Gefängnishaft Hand in
Hand geht. Er sollte - in Verbindung mit den zuständigen sozialen Diensten - Maßnahmen
unterstützen, die den Kontakt der Gefangenen mit der Außenwelt fördern, wie zum Beispiel
gut ausgestattete Besuchsbereiche, Familien- oder Ehe/Partner-Besuche unter angemessenen
Bedingungen, und Urlaub in familiären, beruflichen, bildenden oder sozio-kulturellen
Zusammenhängen.
Je nach den Umständen kann ein Gefängnisarzt Maßnahmen ergreifen, um für die
Gefangenen und ihre Familien die Zahlung von einmaligen oder fortlaufenden
Sozialversicherungsleistungen zu erwirken.
e.
Humanitärer Beistand
64.
Es lassen sich bestimmte Kategorien besonders verletzlicher Gefangener feststellen.
Gefängnisgesundheitsdienste sollten ihren Bedürfnissen besondere Beachtung schenken.
i) Mutter und Kind
65.
Es ist ein allgemein anerkanntes Prinzip, dass Kinder nicht in Gefängnissen geboren
werden sollten, und nach der Erfahrung des CPT wird dieses Prinzip geachtet.
66.
Mutter und Kind sollte erlaubt sein, zumindest für eine gewisse Zeitdauer
zusammen zu bleiben. Wenn Mutter und Kind gemeinsam im Gefängnis sind, sollten ihre
Haftbedingungen so sein, dass ihnen eine einer Kinderkrippe vergleichbare Einrichtung und
die Unterstützung durch Personal, das auf postnatale Betreuung und Kinderpflege spezialisiert
ist, zur Verfügung stehen.
Langfristige Entscheidungen, insbesondere die mit der Trennung von seiner Mutter
verbundene Überführung des Kindes in die Gemeinschaft außerhalb des Gefängnisses, sollten
in jedem einzelnen Fall im Lichte kinderpsychiatrischer und sozialmedizinischer
Stellungnahmen getroffen werden.
40
ii) Jugendliche
67.
Die Jugend ist ein Lebensabschnitt, der durch eine gewisse Neuordnung der
Persönlichkeit gekennzeichnet ist; sie erfordert eine besondere Anstrengung, um die Risiken
einer langanhaltenden sozialen Fehlanpassung zu verringern.
Während der Haft sollte es den Jugendlichen gestattet sein, an einem festen Platz zu
bleiben, umgeben von persönlichen Gegenständen und in sozial günstigen Gruppen. Das auf
sie angewandte Regime sollte sich auf intensive Aktivität gründen, darunter
sozialerzieherische Treffen, Sport, Bildung, Berufsausbildung, begleitete Ausgänge und die
Verfügbarkeit geeigneter freiwilliger Betätigungsmöglichkeiten.
iii) Gefangene mit Persönlichkeitsstörungen
68.
Unter den Patienten eines Gefängnisgesundheitsdienstes befindet sich immer ein
gewisser Anteil unausgeglichener, marginalisierter Personen, die eine Geschichte familiärer
Traumata, langjähriger Drogenabhängigkeit, von Autoritätskonflikten oder anderen sozialen
Benachteiligungen mitbringen. Sie können gewalttätig, suizidgeneigt oder durch
inakzeptables Sexualverhalten charakterisiert sein und sind die meiste Zeit nicht in der Lage,
sich selbst zu kontrollieren und für sich zu sorgen.
69.
Die Bedürfnisse dieser Gefangenen sind nicht wirklich medizinischer Art, aber der
Gefängnisarzt kann dafür eintreten, dass für sie sozialtherapeutische Programme entwickelt
werden, in Gefängniseinheiten, die nach den Grundsätzen der Gemeinschaft organisiert sind
und sorgfältig überwacht werden.
Solche Einheiten können die Demütigung, Selbstverachtung und den Hass der
Gefangenen verringern, ihnen Verantwortungsgefühl geben und sie auf die
Wiedereingliederung vorbereiten. Ein anderer direkter Vorteil von Programmen dieser Art ist,
dass sie die aktive Teilnahme und das Engagement des Gefängnispersonals mit sich bringen.
iv) Gefangene, die ungeeignet für fortdauernde Haft sind
70.
Typische Beispiele für diese Art Gefangener sind diejenigen, die nur noch eine
kurze Lebenserwartung haben, die an einer sehr schweren Krankheit leiden, welche unter
Gefängnisbedingungen nicht angemessen behandelt werden kann, die schwerstbehindert oder
fortgeschrittenen Alters sind. Die fortdauernde Haft solcher Personen in einer
Gefängnisumgebung kann eine unerträgliche Situation schaffen. In Fällen dieser Art ist es
Sache des Gefängnisarztes, der verantwortlichen Stelle Bericht zu erstatten, damit geeignete
andere Vorkehrungen getroffen werden können.
41
f. Berufliche Unabhängigkeit
71.
Das Gesundheitspersonal in jedem Gefängnis ist potentiell gefährdet. Ihre Pflicht,
für die Patienten (kranke Gefangene) zu sorgen, kann häufig in einen Konflikt mit
Erwägungen der Verwaltung und Sicherheit des Gefängnisses treten. Dies kann zu
schwierigen ethischen Fragen und Entscheidungen führen. Um seine Unabhängigkeit in
Fragen der Gesundheitsfürsorge zu gewährleisten, betrachtet es das CPT als wichtig, dass
derartiges Personal so eng wie möglich an die Hauptströmung der Gesundheitsversorgung in
der allgemeinen Gesellschaft angeschlossen sein sollte.
72.
In welcher formellen Stellung ein Gefängnisarzt seine Tätigkeit auch ausübt, seine
klinischen Entscheidungen sollten einzig durch medizinische Kriterien bestimmt werden.
Die Qualität und Wirksamkeit der ärztlichen Tätigkeit sollte durch eine qualifizierte ärztliche
Stelle beurteilt werden. Ebenso sollten die verfügbaren Ressourcen durch eine solche Stelle
verwaltet werden, nicht durch Sicherheits- oder Administrativorgane.
73.
Ein Gefängnisarzt handelt als persönlicher Arzt eines Patienten. Folglich sollte er
zum Schutze des Verhältnisses zwischen Arzt und Patient nicht darum ersucht werden, zu
bescheinigen, dass ein Gefangener straftauglich ist. Ebensowenig sollte er Leibesvisitationen
oder -untersuchungen durchführen, die von einer Behörde verlangt werden, es sei denn im
Notfall, wenn kein anderer Arzt gerufen werden kann.
74.
Es sollte auch beachtet werden, dass die berufliche Freiheit des Gefängnisarztes
durch die Gefängnissituation selbst begrenzt ist: er kann sich seine Patienten nicht frei
aussuchen, wie auch den Gefangenen keine andere ärztliche Option zur Verfügung steht.
Seine berufliche Verpflichtung bleibt auch dann bestehen, wenn der Patient die ärztlichen
Maßregeln nicht einhält oder zu Drohungen oder Gewalt greift.
42
g.
Berufliche Kompetenz
75.
Gefängnisärzte und Pflegepersonal sollten Fachkenntnisse besitzen, die sie
befähigen, mit den besonderen Arten von Krankheitsbildern in Gefängnissen umzugehen und
ihre Behandlungsmethoden den Bedingungen anzupassen, die durch die Inhaftierung auferlegt
werden.
Insbesondere sollten berufliche Verhaltensweisen entwickelt werden, die dazu
dienen, Gewalt zu verhüten und, wo nötig, zu kontrollieren.
76.
Um die Präsenz einer ausreichenden Personalstärke sicherzustellen, werden
Krankenschwestern und -pfleger häufig durch Pflegehelfer unterstützt, von denen einige aus
der Gruppe der Gefängnisbeamten rekrutiert werden. Auf den unterschiedlichen Ebenen
sollten die erforderlichen Sachkenntnisse durch das qualifizierte Personal weitergegeben und
regelmäßig aufgefrischt werden.
Zuweilen wird den Gefangenen selbst erlaubt, als Pflegehelfer tätig zu werden.
Zweifellos kann ein solcher Ansatz den Vorteil haben, einer gewissen Zahl von Gefangenen
eine sinnvolle Arbeit zu verschaffen. Gleichwohl sollte dies als letzte Möglichkeit gesehen
werden. Darüber hinaus sollten Gefangene niemals bei der Verteilung von Medikamenten
mitwirken.
77.
Schließlich möchte das CPT anregen, dass die besonderen Anforderungen der
Gesundheitsfürsorge in einer Gefängnisumgebung die Einführung einer anerkannten
beruflichen Spezialisierung sowohl für Ärzte als auch für das Krankenpflegepersonal auf der
Grundlage einer Postgraduiertenausbildung und regelmäßiger beruflicher Fortbildung
rechtfertigen könnten.
43
III.
Psychiatrische Einrichtungen
Unfreiwillige Unterbringung in psychiatrischen
Einrichtungen
Auszug aus dem 8. Jahresbericht [CPT/Inf (98) 12]
A.
Vorbemerkungen
25.
Das CPT ist dazu aufgerufen, die Behandlung aller Kategorien von Personen zu
untersuchen, denen die Freiheit durch eine öffentliche Behörde entzogen ist, einschließlich
Personen mit Problemen der geistigen Gesundheit. Folglich ist das Komitee ein häufiger
Besucher von psychiatrischen Einrichtungen verschiedenster Art.
Zu den besuchten Einrichtungen gehören psychiatrische Krankenhäuser, die neben
freiwilligen Patienten Personen beherbergen, die aufgrund eines zivilrechtlichen Verfahrens
zwangsweise für eine psychiatrische Behandlung dorthin eingewiesen worden sind. Das CPT
besucht ebenfalls Einrichtungen (Spezialkliniken, gesonderte Abteilungen in allgemeinen
Krankenhäusern etc.) für Personen, deren Einlieferung in eine psychiatrische Einrichtung in
Zusammenhang mit einem strafgerichtlichen Verfahren angeordnet wurde. Psychiatrische
Einrichtungen für Gefangene, die im Verlauf ihrer Inhaftierung geistig erkranken - ob
innerhalb des Gefängnissystems oder in allgemeinen psychiatrischen Institutionen - sind
ebenfalls Gegenstand genauer Aufmerksamkeit des CPT.
26.
Das CPT hat sich in seinem 3. Jahresbericht mit dem Thema der
Gefängnisgesundheitsdienste befasst (vgl. CPT/ Inf (93) 12, Ziffern 30 bis 77) und dort eine
Anzahl allgemeiner Kriterien angegeben, die seine Arbeit leiten (Zugang zu einem Arzt;
Gleichwertigkeit der Fürsorge; Einwilligung des Patienten und Vertraulichkeit;
Vorsorgemaßnahmen; berufliche Unabhängigkeit und berufliche Kompetenz). Diese Kriterien
gelten gleichermaßen für die unfreiwillige Unterbringung in psychiatrischen Einrichtungen.
In den folgenden Abschnitten werden einige der besonderen Probleme beschrieben,
die das CPT in Zusammenhang mit Personen verfolgt, die unfreiwillig in psychiatrischen
Einrichtungen untergebracht sind.1 Das CPT hofft, hierdurch den nationalen Behörden im
voraus eindeutige Hinweise über seine Ansicht bezüglich der Behandlung solcher Personen zu
geben; Kommentare zu diesem Abschnitt seines Jahresberichts wären dem Komitee
willkommen.
1
Im Hinblick auf die psychiatrische Betreuung von Strafgefangenen sei auch auf Ziffern 41 bis
44 des 3. Jahresberichts des Komitees hingewiesen.
44
B.
Prävention von Misshandlung
27.
Im Hinblick auf sein Mandat muss es die erste Priorität des CPT bei Besuchen in
psychiatrischen Einrichtungen sein, festzustellen, ob es irgendwelche Anzeichen für die
absichtliche Misshandlung von Patienten gibt. Solche Anzeichen werden selten gefunden.
Allgemein möchte das CPT ausdrücklich die Hingabe bei der Patientenbetreuung festhalten,
die es bei der überwältigenden Mehrheit des Personals in den meisten von seinen
Delegationen besuchten psychiatrischen Einrichtungen beobachtet hat. Diese Haltung ist in
manchen Fällen besonders löblich angesichts des Personalmangels und der Knappheit der
dem Personal zur Verfügung stehenden Ressourcen.
Dennoch weisen die eigenen Beobachtungen des CPT vor Ort und Berichte aus
anderen Quellen darauf hin, dass von Zeit zu Zeit absichtliche Misshandlungen von Patienten
in psychiatrischen Einrichtungen vorkommen. Eine Reihe von Fragen werden im folgenden
angesprochen, welche eng mit dem Problem der Prävention von Misshandlung
zusammenhängen (z.B. Zwangsmittel; Beschwerdeverfahren; Kontakt mit der Außenwelt;
externe Überwachung). Jedoch sollen an dieser Stelle einige Bemerkungen in Bezug auf die
Auswahl und Überwachung des Personals gemacht werden.
28.
Die Arbeit mit Geisteskranken und geistig Behinderten wird für alle beteiligten
Personalkategorien immer eine schwierige Aufgabe sein. In diesem Zusammenhang ist
festzustellen, dass das Gesundheitsfürsorgepersonal in psychiatrischen Einrichtungen häufig
bei ihrer täglichen Arbeit durch Pflegehelfer unterstützt wird; ferner ist in einigen
Einrichtungen eine beachtliche Anzahl von Mitgliedern des Personals mit
sicherheitsbezogenen Aufgaben betraut. Die dem CPT zur Verfügung stehenden
Informationen legen nahe, dass etwaige absichtliche Misshandlungen durch Personal in
psychiatrischen Einrichtungen eher solchem Hilfspersonal als ärztlichem oder qualifiziertem
pflegerischem Personal zur Last zu legen ist.
In Anbetracht der anspruchsvollen Natur seiner Arbeit ist es von entscheidender
Bedeutung, dass die Mitglieder des Hilfspersonals sorgfältig ausgesucht werden und dass sie
angemessene Bildungsmaßnahmen sowohl vor der Aufnahme ihrer Tätigkeit als auch zur
Fortbildung absolvieren. Darüber hinaus sollten sie bei der Durchführung ihrer Aufgaben
durch qualifiziertes Gesundheitsfürsorgepersonal genau beaufsichtigt werden und seiner
Weisungsbefugnis unterliegen.
29.
In einigen Ländern ist das CPT der Praxis begegnet, bestimmte Patienten oder
Insassen benachbarter Gefängniseinrichtungen als Hilfspersonal für psychiatrische
Einrichtungen einzusetzen. Das Komitee hat starke Bedenken gegenüber diesem Ansatz; er
sollte nur als letzter Ausweg gesehen werden. Wenn solche Anstellungen unvermeidbar sind,
sollten die Aktivitäten der betroffenen Personen durchgehend von qualifiziertem
Gesundheitsfürsorgepersonal beaufsichtigt werden.
45
30.
Es ist ebenfalls unabdingbar, dass angemessene Vorkehrungen bestehen, um
bestimmte Psychiatriepatienten vor anderen Patienten zu schützen, die sie verletzen könnten.
Dies erfordert unter anderem eine angemessene Personalpräsenz zu jeder Zeit, auch nachts
und am Wochenende. Darüber hinaus sollten spezielle Vorkehrungen für besonders
verletzliche Patienten getroffen werden; zum Beispiel sollten geistig behinderte und/oder
geistesgestörte Jugendliche nicht zusammen mit erwachsenen Patienten untergebracht
werden.
31.
Angemessene Kontrolle aller Personalkategorien durch die Anstaltsleitung kann
ebenfalls in bedeutendem Maße zur Misshandlungsprävention beitragen. Es ist offensichtlich,
dass die klare Botschaft ausgesprochen werden muss, dass die physische oder psychische
Misshandlung von Patienten nicht geduldet und streng geahndet wird. Generell sollte die
Leitung sicherstellen, dass die therapeutische Rolle des Personals in psychiatrischen
Einrichtungen nicht als zweitrangig gegenüber Sicherheitsüberlegungen betrachtet wird.
Gleichfalls sollten Regeln und Praktiken, die ein gespanntes Klima zwischen
Personal und Patienten erzeugen können, entsprechend überarbeitet werden. Die Verhängung
von Geldstrafen an das Personal bei Ausbruch eines Patienten ist genau die Art von
Maßnahme, die eine negative Wirkung auf das Ethos innerhalb einer psychiatrischen
Einrichtung haben kann.
C.
Lebensbedingungen und Behandlung der Patienten
32.
Das CPT untersucht die Lebensbedingungen und die Behandlung der Patienten
eingehend. Unzulänglichkeiten in diesen Bereichen können schnell zu Situationen führen, die
unter den Begriff „unmenschliche und erniedrigende Behandlung" fallen. Ziel sollte es sein,
materielle Bedingungen zu bieten, die der Behandlung und dem Wohlergehen der Patienten
förderlich sind; in psychiatrischen Begriffen: eine positive therapeutische Umgebung. Dies ist
nicht nur für die Patienten wichtig, sondern auch für das in psychiatrischen Einrichtungen
tätige Personal. Darüber hinaus muss den Patienten eine adäquate Behandlung und
Versorgung sowohl psychiatrischer als auch somatischer Natur zur Verfügung gestellt
werden; in Anbetracht des Prinzips der Gleichwertigkeit der Fürsorge sollten ärztliche
Behandlung und pflegerische Betreuung der unfreiwillig in einer psychiatrischen Einrichtung
untergebrachten Personen der Behandlung und Betreuung der sich dort freiwillig aufhaltenden
psychiatrischen Patienten vergleichbar sein.
33.
Die Qualität der Lebensbedingungen und der Behandlung der Patienten hängt
zwangsläufig in erheblichen Maße von den vorhandenen Mitteln ab. Das CPT erkennt an,
dass
in
Situationen
erheblicher
ökonomischer
Schwierigkeiten
auch
in
Gesundheitseinrichtungen Opfer gebracht werden müssen. Das Komitee möchte jedoch
angesichts der Fakten, die es bei einigen seiner Besuchen vorgefunden hat, betonen, dass die
Versorgung mit gewissen grundlegenden Lebensnotwendigkeiten in Institutionen, in denen
der Staat Personen betreut und/oder in Gewahrsam hält, immer garantiert sein muss. Hierzu
gehören ausreichende Nahrung, Beheizung und Kleidung ebenso wie - in
Gesundheitseinrichtungen - angemessene Medikation.
46
Lebensbedingungen
34.
Die Schaffung einer positiven therapeutischen Umgebung umfasst in erster Linie,
für ausreichenden Lebensraum pro Patient und angemessene Beleuchtung, Beheizung und
Belüftung zu sorgen, die Einrichtung in einem zufriedenstellenden Allgemeinzustand zu
erhalten und den hygienischen Erfordernissen eines Krankenhauses zu entsprechen.
Besondere Aufmerksamkeit sollte der Gestaltung der Patientenzimmer und der
Aufenthaltsräume geschenkt werden, um den Patienten eine visuelle Stimulation zu geben.
Die Bereitstellung von Nachttischen und Kleiderschränken ist sehr wünschenswert, und den
Patienten sollte gestattet sein, bestimmte persönliche Gegenstände zu behalten (Fotos, Bücher
etc.). Es sei ebenfalls betont, dass es sehr wichtig ist, den Patienten abschließbare Orte, in
denen sie ihre Gegenstände aufbewahren können, zur Verfügung zu stellen; das Fehlen einer
solchen Einrichtung kann sich auf den Sinn für Sicherheit und Autonomie eines Patienten
auswirken.
Sanitäreinrichtungen sollten den Patienten ein gewisses Maß an Privatheit gestatten.
Darüber hinaus sollten die Bedürfnisse älterer und/oder behinderter Patienten in diesem
Zusammenhang gebührend berücksichtigt werden. Beispielsweise sind Toiletten, die es dem
Benutzer nicht ermöglichen zu sitzen, ungeeignet für diese Patienten. Gleichfalls müssen die
Gegenstände der Krankenhausgrundausstattung vorhanden sein, die dem Personal
ermöglichen, bettlägerigen Patienten adäquate Betreuung (einschließlich persönlicher
Hygiene) zuteil werden zu lassen; das Fehlen solcher Ausrüstungsgegenstände kann zu
erbärmlichen Zuständen führen.
Ebenfalls sei erwähnt, dass die in einigen psychiatrischen Einrichtungen
beobachtete Praxis, Patienten ständig mit Pyjama/Nachthemd zu bekleiden, der Stärkung der
Persönlichkeit und des Selbstbewusstseins nicht förderlich ist. Individualisierung der
Bekleidung sollte einen Teil des therapeutischen Prozesses ausmachen.
35.
Das Essen der Patienten ist ein anderer Aspekt ihrer Lebensbedingungen, der dem
CPT ein besonderes Anliegen ist. Das Essen muss nicht nur angemessen in Quantität und
Qualität sein, sondern auch unter zufriedenstellenden Bedingungen angeboten werden. Es
sollte die notwendige Ausrüstung vorhanden sein, um das Essen mit der richtigen Temperatur
servieren zu können. Darüber hinaus sollten die Umstände der Nahrungsaufnahme korrekt
sein; in diesem Zusammenhang sei betont, dass die Möglichkeit der Vornahme von
Handlungen des täglichen Lebens - wie das Essen mit richtigem Besteck an einem Tisch einen integralen Teil von Programmen für die psychosoziale Rehabilitation von Patienten
darstellt. Die Präsentation des Essens ist gleichfalls ein Faktor, der nicht übersehen werden
sollte.
Die besonderen Bedürfnisse behinderter Personen bei der Nahrungsaufnahme
sollten ebenfalls Berücksichtigung finden.
47
36.
Das CPT möchte ebenfalls seine Unterstützung deutlich machen für den in einigen
Ländern zu beobachtenden Trend, große Schlafsäle in psychiatrischen Einrichtungen zu
schließen; solche Räumlichkeiten sind kaum vereinbar mit den Standards der modernen
Psychiatrie. Unterbringungsstrukturen, die auf Kleingruppen basieren, sind ein entscheidender
Faktor in der Erhaltung/Wiederherstellung der Patientenwürde und darüber hinaus ein
Schlüsselelement jeder Politik zur psychologischen und sozialen Wiedereingliederung der
Patienten. Strukturen dieses Typs erleichtern es ebenfalls, die Patienten für therapeutische
Zwecke in passende Kategorien einzuteilen.
In ähnlicher Weise bevorzugt das CPT den zunehmend verfolgten Ansatz, den
Patienten, die es wünschen, tagsüber Zugang zu ihrem Zimmer zu gestatten und sie nicht zu
verpflichten, zusammen mit anderen Patienten in Gemeinschaftsbereichen zu verbleiben.
Behandlung
37.
Psychiatrische Behandlung sollte auf einem individualisierten Ansatz beruhen, was
bedeutet, dass für jeden Patienten ein eigener Behandlungsplan ausgearbeitet wird. Er sollte
ein großes Angebot rehabilitativer und therapeutischer Aktivitäten enthalten, darunter Zugang
zu Beschäftigungstherapie, Gruppentherapie, Einzelpsychotherapie, Kunst, Theater, Musik
und Sport. Die Patienten sollten regelmäßig Zugang zu passend eingerichteten
Aufenthaltsräumen haben und täglich die Möglichkeit haben, sich an der frischen Luft zu
bewegen. Es ist gleichfalls wünschenswert, dass ihnen Unterricht und passende Arbeit
angeboten wird.
Viel zu oft stellt das CPT fest, dass diese grundlegenden Bestandteile einer
effektiven psychosozialen Rehabilitierungsbehandlung unterentwickelt sind oder sogar
gänzlich fehlen und dass die den Patienten angebotene Behandlung hauptsächlich aus
medikamentöser Therapie besteht. Diese Situation kann auf das Fehlen ausreichend
qualifizierten Personals und angemessener Einrichtungen oder auf eine noch bestehende
Philosophie der Verwahrung von Patienten zurückzuführen sein.
38.
Sicher stellt die psychopharmakologische Medikation häufig einen notwendigen
Teil der Behandlung geistesgestörter Patienten dar. Es muss organisatorisch gewährleistet
sein, dass verordnete Medikamente auch tatsächlich verabreicht werden und eine regelmäßige
Versorgung mit den geeigneten Medikamenten sichergestellt ist. Das CPT achtet gleichfalls
auf etwaige Anzeichen für Medikamentenmissbrauch.
39.
Die Elektrokonvulsivtherapie (ECT) ist eine anerkannte Form der Behandlung von
Psychiatriepatienten, die unter bestimmten Störungen leiden. Jedoch sollte dafür Sorge
getragen werden, dass ECT in den Behandlungsplan des Patienten passt und dass ihre
Vornahme von angemessenen Schutzvorkehrungen begleitet wird.
Das CPT ist besonders besorgt, wenn es der Vornahme von ECT in unmodifizierter
Form begegnet (d. h. ohne Anästhesie und Muskelrelaxans); diese Methode kann nicht länger
in der modernen psychiatrischen Praxis als akzeptabel angesehen werden. Abgesehen von
48
dem Risiko von Frakturen und anderer ungünstiger medizinischer Folgen ist das Verfahren als
solches schon erniedrigend sowohl für die Patienten als auch für das betroffene Personal.
Folglich sollte ECT immer in modifizierter Form vorgenommen werden.
ECT muss außerhalb des Sichtfeldes anderer Patienten (vorzugsweise in einem
Raum, der für diesen Zweck reserviert und ausgestattet ist) durch Personal, das für diese
Behandlung besonders ausgebildet worden ist, vorgenommen werden. Darüber hinaus sollte
die Inanspruchnahme von ECT in einem besonderen Register detailliert festgehalten werden.
Nur auf diesem Wege können unerwünschte Praktiken durch die Krankenhausleitung klar
erkannt und mit dem Personal besprochen werden.
40.
Regelmäßige Überprüfungen des Gesundheitszustandes eines Patienten und jeder
verordneten Medikation sind ein anderes grundsätzliches Erfordernis. Dies ermöglicht unter
anderem, dass im Hinblick auf eine mögliche Entlassung oder Verlegung in eine weniger
restriktive Umgebung informierte Entscheidungen getroffen werden.
Eine persönliche und vertrauliche medizinische Akte sollte für jeden Patienten
angelegt werden. Die Akte sollte sowohl diagnostische Informationen (darunter die
Ergebnisse jeder besonderen Untersuchung, der sich der Patient unterzogen hat) als auch
einen fortlaufenden Bericht über den psychischen und physischen Gesundheitszustand des
Patienten und seiner Behandlung enthalten. Der Patient sollte seine Akte einsehen können, es
sei denn, dies ist aus therapeutischer Sicht nicht ratsam, und verlangen können, dass die in ihr
enthaltenen Informationen seiner Familie oder seinem Anwalt zugänglich gemacht werden.
Darüber hinaus sollte im Falle einer Verlegung die Akte an die Ärzte der übernehmenden
Einrichtung weitergeleitet werden; im Falle der Entlassung sollte die Akte - mit Einwilligung
des Patienten - an einen behandelnden Arzt außerhalb der Einrichtung weitergeleitet werden.
41.
Es ist eine Prinzipienfrage, dass die Patienten in der Lage sein sollten, ihre freie und
informierte Einwilligung zur Behandlung zu erteilen. Die unfreiwillige Einlieferung einer
Person in eine psychiatrische Einrichtung sollte nicht als eine Ermächtigung verstanden
werden, sie ohne ihre Einwilligung zu behandeln. Daraus folgt, dass jedem urteilsfähigen
Patienten, ob freiwillig oder unfreiwillig eingewiesen, die Möglichkeit gegeben werden sollte,
die Behandlung oder jeden anderen medizinischen Eingriff abzulehnen. Jede Abweichung von
diesem grundlegenden Prinzip sollte sich auf eine gesetzliche Grundlage stützen und nur in
klar und eng definierten Ausnahmefällen Anwendung finden.
Selbstverständlich kann die Einwilligung zu einer Behandlung nur als frei und
informiert qualifiziert werden, wenn sie auf vollständigen, richtigen und verständlichen
Informationen über den Zustand des Patienten und die vorgeschlagene Behandlung basiert; die
Beschreibung von ECT als einer „Schlaftherapie" ist ein Beispiel für eine nicht vollständige und
richtige Information über die Behandlung. Folglich sollten allen Patienten systematisch
einschlägige Informationen über ihren Zustand und die für sie vorgeschlagene Behandlung zur
Verfügung gestellt werden. Einschlägige Informationen (Untersuchungsergebnisse etc.) sollten
ihnen auch im Anschluss an die Behandlung mitgeteilt werden.
49
D.
Personal
42.
Die personellen Ressourcen sollten adäquat sein im Hinblick auf Anzahl,
Kategorien des Personals (Psychiater, Allgemeinmediziner, Krankenschwestern,
Psychologen, Beschäftigungstherapeuten, Sozialarbeiter etc.), Erfahrung und Ausbildung.
Mängel bei den personellen Ressourcen werden häufig alle Versuche, Aktivitäten der in Ziffer
37 beschriebenen Art anzubieten, ernsthaft unterlaufen; darüber hinaus können sie ungeachtet
der guten Absichten und der ernsthaften Bemühungen des vorhandenen Personals zu
Situationen hohen Risikos für die Patienten führen.
43.
Das CPT war in einigen Ländern besonders beeindruckt von der geringen Anzahl
qualifizierter Psychiatriekrankenschwestern unter dem Krankenpflegepersonal in den
psychiatrischen Einrichtungen und dem Mangel an qualifiziertem Personal für die
Durchführung sozialtherapeutischer Aktivitäten (insbesondere Beschäftigungstherapeuten).
Die Entwicklung einer spezialisierten psychiatrischen Krankenpflegeausbildung und eine
größere Betonung der Sozialtherapie würde eine beachtliche Wirkung auf die Qualität der
Fürsorge entfalten. Insbesondere würde dies zu der Entstehung eines therapeutischen
Umfeldes führen, das sich in geringerem Maße auf medikamentöse und körperliche
Behandlungen konzentriert.
44.
Eine Reihe von Bemerkungen über Personalangelegenheiten und insbesondere das
Hilfspersonal wurden bereits in einem früheren Abschnitt gemacht (vgl. Ziffern 28 bis 31).
Jedoch achtet das CPT ebenso genau auf die Haltung der Ärzte und des Pflegepersonals.
Insbesondere richtet das Komitee seinen Blick darauf, ob ein ernsthaftes Interesse erkennbar
ist, mit Patienten eine therapeutische Beziehung aufzubauen. Es wird gleichfalls verifizieren,
dass Patienten, die als belastend empfunden werden oder deren Rehabilitationspotential als
mangelhaft eingeschätzt wird, nicht vernachlässigt werden.
45.
Wie in anderen Gesundheitsfürsorgediensten ist es wichtig, dass die verschiedenen
Kategorien des Personals einer psychiatrischen Abteilung sich regelmäßig treffen und unter
der Verantwortung eines leitenden Arztes ein Team bilden. Dies wird gestatten, tägliche
Probleme zu erkennen und zu diskutieren, und Anleitungen zu geben. Das Fehlen einer
derartigen Möglichkeit kann leicht Frustration und Ärger unter den Personalmitgliedern
erzeugen.
46.
Externe Anregungen und Unterstützung sind gleichermaßen wichtig, um
sicherzustellen, dass das Personal psychiatrischer Einrichtungen nicht zu sehr isoliert wird. In
diesem Zusammenhang ist es für solches Personal äußerst wünschenswert, dass ihm sowohl
Fortbildungsmöglichkeiten außerhalb der Einrichtung angeboten werden als auch
Gelegenheiten zu einer vorübergehenden Abordnung. Gleichfalls sollte die Anwesenheit
unabhängiger Personen (z.B. von Studenten und Forschern) und externer Gremien (vgl. Ziffer
55) in psychiatrischen Einrichtungen gefördert werden.
50
E.
Zwangsmittel
47.
In jeder psychiatrischen Einrichtung kann es gelegentlich notwendig werden, gegen
erregte und/oder gewalttätige Patienten Zwangsmittel einzusetzen. Dies ist ein Gebiet von
besonderem Interesse für das CPT in Anbetracht des Potentials für Missbrauch und Misshandlung.
Zwangsmaßnahmen gegenüber Patienten sollten Gegenstand eindeutig definierter
Grundsätze sein. Diese Grundsätze sollten deutlich machen, dass erste Versuche, erregte oder
gewalttätige Patienten zurückzuhalten, so weit wie möglich nichtkörperlicher Art sein sollten
(z.B. durch mündliche Anordnungen) und dass körperlicher Zwang, wenn er notwendig wird,
prinzipiell auf manuelle Kontrolle begrenzt sein sollte.
Das Personal in psychiatrischen Einrichtungen sollte sowohl in nichtkörperlichen als
auch in manuellen Kontrolltechniken für die Anwendung gegenüber erregten oder gewalttätigen
Patienten ausgebildet werden. Der Besitz derartiger Fertigkeiten wird das Personal befähigen, in
schwierigen Situationen die angemessenste Antwort zu finden, wodurch das Risiko von
Verletzungen für die Patienten und das Personal signifikant vermindert wird.
48.
Der Rückgriff auf Mittel körperlichen Zwanges (Riemen, Zwangsjacken etc.) sollte
nur sehr selten gerechtfertigt sein und stets entweder ausdrücklich von einem Arzt angeordnet
oder diesem sofort zur Kenntnis gebracht werden, um seine Zustimmung zu erlangen. Wenn
ausnahmsweise auf Mittel körperlichen Zwanges zurückgegriffen werden muss, sollten sie bei
frühester Gelegenheit wieder entfernt werden. Zur Bestrafung sollten sie niemals angewendet
oder ihre Anwendung verlängert werden.
Gelegentlich sind dem CPT Psychiatriepatienten begegnet, bei denen Mittel
körperlichen Zwanges über Tage hinweg angewendet wurden. Das Komitee muss betonen,
dass ein solcher Tatbestand keiner therapeutischen Rechtfertigung fähig ist und nach seiner
Auffassung eine Misshandlung bedeutet.
49.
In diesem Zusammenhang soll auch auf die Absonderung (d. h. die
Einzelunterbringung in einem Raum) gewalttätiger oder auf andere Weise „nicht-steuerbarer"
Patienten eingegangen werden, ein Verfahren, das eine lange Geschichte innerhalb der
Psychiatrie hat.
Es gibt einen klaren Trend in der modernen psychiatrischen Praxis, die
Absonderung von Patienten zu vermeiden; und das CPT nimmt erfreut zur Kenntnis, dass
diese Maßnahme in vielen Ländern ausläuft. Solange aber Absonderung noch angewendet
wird, sollte sie Gegenstand detaillierter Grundsätze sein, die insbesondere festlegen: in
welchen Fällen sie angewendet werden kann, welche Ziele durch sie angestrebt werden, die
Dauer und die Notwendigkeit regelmäßiger Überprüfungen, die Existenz von angemessenem
menschlichen Kontakt, die Notwendigkeit der besonderen Aufmerksamkeit des Personals.
Absonderung sollte niemals als eine Bestrafung eingesetzt werden.
51
50.
Jeder Fall körperlichen Zwanges gegen einen Patienten (manuelle Kontrolle, der
Gebrauch von Mitteln körperlichen Zwanges, Absonderung) sollte in einem besonderen
Register für solche Zwecke aufgezeichnet werden (und gleichfalls in der Patientenakte). Die
Eintragung sollte den Anfangs- und den Endzeitpunkt der Maßnahme enthalten, die Umstände
des Falles, die Gründe für die Anwendung der Maßnahme, den Namen des Arztes, der diese
angeordnet oder ihr zugestimmt hat und eine Aufzählung aller Verletzungen, die Patienten
oder Mitglieder des Personals erlitten haben.
Dies wird den Umgang mit solchen Vorkommnissen und den Überblick über das
Ausmaß ihres Auftretens stark erleichtern.
F.
Schutzvorkehrungen im Zusammenhang mit Zwangseinweisungen
51.
Infolge ihrer Verletzlichkeit verdienen Geisteskranke und geistig Behinderte große
Aufmerksamkeit, um jede Verhaltensweise zu verhüten - oder jede Unterlassung zu
vermeiden - die ihrem Wohlbefinden schadet. Daraus folgt, dass Zwangseinweisungen in eine
psychiatrische Einrichtung stets von angemessenen Schutzvorkehrungen begleitet sein sollten.
Eine der wichtigsten dieser Schutzvorkehrungen - die freie und informierte Einwilligung in
die Behandlung - wurde bereits hervorgehoben (vgl. Ziffer 41).
Die Entscheidung über die erstmalige Unterbringung
52.
Das Verfahren, in dem über die Zwangseinweisung entschieden wird, sollte
Garantien bieten in Bezug auf Unabhängigkeit und Unparteilichkeit sowie auf objektive
ärztliche Fachkenntnis.
Soweit insbesondere die zivile Zwangseinweisung betroffen ist, muss in vielen
Ländern die Unterbringungsentscheidung durch ein gerichtliches Organ getroffen (oder durch
ein solches Organ innerhalb einer kurzen Frist bestätigt) werden, und zwar im Lichte
psychiatrischer Gutachten. Die automatische Einbeziehung eines gerichtlichen Organs in die
erstmalige Entscheidung über die Unterbringung ist jedoch nicht in allen Ländern vorgesehen.
Die Empfehlung des Ministerkomitees Nr. R (83) 2 über den rechtlichen Schutz von
Personen, die unter einer Geistesstörung leiden und unfreiwillig untergebracht sind, gestattet
beide Ansätze (wobei sie allerdings besondere Schutzvorkehrungen für den Fall festlegt, dass
die Unterbringungsentscheidung einem nichtgerichtlichen Organ anvertraut ist). Die
Parlamentarische Versammlung hat gleichwohl die Debatte zu diesem Thema wieder
aufgenommen; mit ihrer Empfehlung 1235 (1994) über Psychiatrie und Menschenrechte tritt
sie dafür ein, dass Entscheidungen über Zwangseinweisungen von einem Richter zu treffen
sind.
In jedem Fall muss eine Person, die in eine psychiatrische Einrichtung durch ein
nichtgerichtliches Organ zwangseingewiesen worden ist, das Recht haben, ein Verfahren
anzustrengen, durch welches über die Rechtmäßigkeit ihrer Freiheitsentziehung unverzüglich
durch ein Gericht entschieden wird.
52
Schutzvorkehrungen während der Unterbringung
53.
Eine einführende Broschüre über die Abläufe der Einrichtung und die Rechte der
Patienten sollte sowohl jedem Patienten bei seiner Ankunft als auch seiner Familie übergeben
werden. Alle Patienten, die die Broschüre nicht verstehen können, sollten geeigneten Beistand
erhalten.
Darüber hinaus ist ein wirksames Beschwerdeverfahren in psychiatrischen
Einrichtungen - wie an jedem Ort einer Freiheitsentziehung - eine grundlegende
Schutzvorkehrung gegen Misshandlung. Besondere Vorkehrungen sollten existieren, die es
den Patienten ermöglichen, formelle Beschwerden bei einem genau benannten Gremium
einzureichen und auf vertraulicher Basis mit einer geeigneten Behörde außerhalb der
Einrichtung zu kommunizieren.
54.
Die Aufrechterhaltung von Kontakten mit der Außenwelt ist überaus wichtig nicht
nur für die Misshandlungsprävention, sondern auch aus therapeutischer Sicht.
Den Patienten sollte es möglich sein, Korrespondenz zu verschicken und zu
empfangen, Zugang zu einem Telefon zu haben und Besuche von ihrer Familie und ihren
Freunden zu erhalten. Des weiteren sollte vertraulicher Zugang zu einem Anwalt
gewährleistet sein.
55.
Das CPT misst gleichfalls erhebliche Bedeutung regelmäßigen Besuchen durch ein
unabhängiges externes Gremium (z.B. einen Richter oder ein Überwachungskomitee) bei,
welches für die Inspektion der Betreuung der Patienten verantwortlich ist. Dieses Gremium
sollte insbesondere ermächtigt sein, vertrauliche Gespräche mit den Patienten zu führen, ihre
etwa vorhandenen Beschwerden entgegenzunehmen und alle notwendigen Empfehlungen
auszusprechen.
Entlassung
56.
Die unfreiwillige Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung sollte enden,
sobald der Geisteszustand des Patienten sie nicht mehr erfordert. Folglich sollte die
Notwendigkeit einer derartigen Unterbringung in regelmäßigen Abständen überprüft werden.
Eine solche Überprüfung ergibt sich bereits aus den Unterbringungsbedingungen,
wenn die unfreiwillige Unterbringung für eine bestimmte Dauer mit der Möglichkeit einer
Verlängerung im Lichte psychiatrischer Erkenntnisse festgesetzt ist. Jedoch kann die
unfreiwillige Unterbringung auf unbestimmte Dauer festgesetzt sein, insbesondere im Falle
von Personen, die infolge eines Strafverfahrens zwangsweise in eine psychiatrische
Einrichtung eingewiesen worden sind und als gefährlich erachtet werden. Wenn keine
bestimmte Dauer der unfreiwilligen Unterbringung festgesetzt ist, sollte über die
Notwendigkeit der weiteren Unterbringung in regelmäßigen Abständen eine automatische
Überprüfung stattfinden.
53
Zusätzlich sollte der Patient selbst in angemessenen Zeitabständen darum ersuchen
können, dass die Notwendigkeit der Unterbringung durch ein gerichtliches Organ geprüft
wird.
57.
Auch wenn die unfreiwillige Unterbringung eines Patienten nicht mehr erforderlich
ist, kann er gleichwohl einer Behandlung und/oder einer geschützten Umgebung außerhalb
der Einrichtung bedürfen. In diesem Zusammenhang hat das CPT in einer Anzahl von
Ländern festgestellt, dass Patienten, deren Geisteszustand es nicht länger erforderte, in einer
psychiatrischen Einrichtung festgehalten zu werden, gleichwohl in solchen Einrichtungen
verblieben, weil es außerhalb keine angemessene Betreuung/Unterbringung gab. Wenn
Personen in Freiheitsentzug bleiben müssen, weil geeignete externe Einrichtungen fehlen, so
ist dies eine höchst bedenkliche Sachlage.
G. Schlussbemerkungen
58.
Die organisatorische Struktur der Gesundheitsfürsorgedienste für Personen mit
psychischen Störungen variiert von Land zu Land, und ihre Festlegung ist sicherlich Sache
jedes Staates. Dennoch möchte das CPT die Aufmerksamkeit auf die in einer Reihe von
Ländern bestehende Tendenz lenken, die Bettenzahl in großen psychiatrischen Einrichtungen
zu senken und gemeinschaftsbezogene Einheiten zur Pflege der geistigen Gesundheit zu
entwickeln. Das Komitee betrachtet dies als eine sehr positive Entwicklung, vorausgesetzt,
dass diese Einheiten eine zufriedenstellende Betreuungsqualität bieten.
Es ist nunmehr weithin anerkannt, dass große psychiatrische Einrichtungen ein
signifikantes Risiko der Institutionalisierung für den Patienten und das Personal darstellen,
und dies um so mehr, wenn sie sich an isolierten Orten befinden. Dies kann einen nachteiligen
Effekt auf die Behandlung der Patienten haben. Betreuungsprogramme, die sich auf die
gesamte Bandbreite psychiatrischer Behandlung stützen, sind leichter in kleinen Einheiten
umzusetzen, die nahe an den zentralen städtischen Zentren gelegen sind.
54
Zwangsmaßnahmen in psychiatrischen Einrichtungen für
Erwachsene
Auszug aus dem 16. Jahresbericht [CPT/Inf (2006) 35]
Vorbemerkungen
36.
In seinem 8. Jahresbericht für das Jahr 1997 beschäftigte sich das CPT mit der
Frage der Zwangseinweisung in psychiatrische Einrichtungen für Erwachsene. In diesem
Zusammenhang machte das Komitee eine Reihe von Feststellungen bezüglich der Frage, wie
erregte und/oder gewalttätige Patienten unter Kontrolle gebracht werden. In den vergangenen
neun Jahren erregte die Diskussion über die Anwendung von Zwangsmaßnahmen die
Gemüter, wobei es unterschiedliche psychiatrische Praktiken gibt, die für Alternativen bei der
Behandlung solcher Patienten eintreten.
In vielen psychiatrischen Einrichtungen kann die Einschränkung der
Bewegungsfreiheit erregter und/oder gewalttätiger Patienten gelegentlich notwendig sein.
Angesichts der Möglichkeit des Missbrauchs und der Misshandlung geben solche
Zwangsmaßnahmen dem CPT weiterhin Anlass zur Besorgnis. Daher prüfen
Besuchsdelegationen sorgfältig in psychiatrischen Krankenhäusern die Verfahren und
Praktiken sowie die Häufigkeit der Anwendung von Zwangsmaßnahmen. Bedauerlicherweise
scheint es, dass in vielen besuchten Einrichtungen Zwangsmaßnahmen in
unverhältnismässiger Weise angewendet werden.
Das CPT ist der Auffassung, dass es nun an der Zeit ist, auf seine früheren
Feststellungen zurückzugreifen und diese weiterzuentwickeln. Es würde Stellungnahmen von
Ärzten zu diesem Teil des Jahresberichts begrüßen. Die folgenden Anmerkungen werden
abgegeben im Sinne eines konstruktiven Dialogs, um Pflegekräfte dabei zu unterstützen, ihre
schwierige Aufgaben zu erfüllen und Patienten angemessen zu pflegen.
55
Anwendung von Zwangsmaßnahmen im Allgemeinen
37.
Grundsätzlich sollten Krankenhäuser sichere Orte sowohl für Patienten als auch für
das Personal sein. Psychiatrische Patienten sollten mit Respekt und Würde und in einer
sicheren und humanen Weise behandelt werden, die sowohl ihre Entscheidungen als auch ihre
Selbstbestimmung achtet. Eine Mindestanforderung ist, dass keine Gewalt und kein
Missbrauch gegen Patienten ausgeübt wird – weder untereinander noch von den Mitarbeitern.
Gelegentlich kann jedoch die Anwendung physischen Zwangs gegen einen
Patienten unvermeidlich sein, um die Sicherheit der Mitarbeiter und Patienten gleichermaßen
zu gewährleisten. Zur Schaffung und Aufrechterhaltung guter Lebensbedingungen für
Patienten sowie eines entsprechenden therapeutischen Klimas, das eine der Hauptaufgaben
des Klinikpersonals ist, gilt als Voraussetzung, dass keine Gewalt und Aggression gegen
Patienten und Mitarbeiter ausgeübt wird. Aus diesem Grunde ist es wichtig, dass die
Mitarbeiter eine entsprechende Schulung und Anleitung erhalten, damit sie in der Lage sind,
ethisch angemessen mit einem erregten und/oder gewalttätigen Patienten umzugehen.
38.
Wenn ein gewalttätiger Patient unter Kontrolle gebracht werden soll, kann die
Trennlinie zwischen einer verhältnismässigen Anwendung physischen Zwangs und einer
Ausübung von Gewalt sehr fein sein. Wenn diese Grenze überschritten wird, dann oft eher
aufgrund von Unachtsamkeit und Unvermögen als aus böser Absicht. In vielen Fällen sind die
Mitarbeiter einfach nicht richtig vorbereitet, wenn sie mit erregten und/oder gewalttätigen
Patienten konfrontiert werden.
Die Delegationen des CPT haben festgestellt, dass wenn die Krankenhausleitung
eine aktive und wachsame Rolle beim Einsatz der Zwangsmaßnahmen spielt, dies meist dazu
führte, dass diese Zwangsmaßnahmen seltener eingesetzt wurden.
Arten von Zwangsmaßnahmen
39.
Das CPT hat verschiedene Methoden zur Kontrolle erregter und/oder gewalttätiger
Patienten beobachtet, die einzeln oder in Kombination verwendet werden können: eine
ständige Aufsicht (wenn ein Mitarbeiter sich ständig an der Seite eines Patienten aufhält und
gegebenenfalls in seine Handlungen eingreift), manuelle Kontrolle, mechanische Fixierung
wie Gurte, Zwangsjacken oder geschlossene Betten, chemische Zwangsmittel (Medikamente
gegen den Willen des Patienten, um sein Verhalten zu kontrollieren) und Absonderung
(zwangsweise Einzelunterbringung eines Patienten in einem abgeschlossenen Raum). Als
generelle Regel sollte von den verfügbaren Methoden stets diejenige gewählt werden, die für
den jeweiligen Patienten in der gegebenen Situation am meisten angemessen ist. Zum Beispiel
ist ein automatischer Einsatz von mechanischen oder chemischen Zwangsmitteln nicht nötig,
wenn eine kurze Zeit der manuellen Kontrolle in Kombination mit dem Einsatz
psychologischer Mittel zur Beruhigung der Person ausreichend wäre.
56
Natürlich ist die mündliche Überzeugung (d.h. Gespräche mit dem Patienten, um
ihn zu beruhigen) die Technik, die das CPT vorziehen würde, aber manchmal kann es
notwendig sein, andere Maßnahmen zu ergreifen, die direkt die Bewegungsfreiheit des
Patienten einschränken.
40.
Bestimmte mechanische Zwangsmittel, die in einigen psychiatrischen
Krankenhäusern, die das CPT besuchte, noch zu finden sind, sind für einen solchen Zweck
völlig ungeeignet und können als erniedrigend eingestuft werden. Handschellen, Metallketten
und Gitterbetten fallen sicherlich in diese Kategorie; sie haben keinen Platz in der
psychiatrischen Praxis und sollten unverzüglich eingestellt werden.
Der Einsatz von Netzbetten, der in einer Reihe von Ländern bis vor einigen Jahren
noch weit verbreitet war, scheint nun stetig zurückzugehen. Selbst in den wenigen Ländern, in
denen diese noch verwendet werden, werden Netzbetten immer seltener eingesetzt. Dies ist
eine positive Entwicklung, und das CPT ermuntert die Staaten, sich weiterhin dafür
einzusetzen, die Zahl der Netzbetten weiter zu reduzieren.
41.
Wenn chemische Zwangsmittel wie Sedativa, Psychopharmaka, Hypnotika und
Beruhigungsmittel eingesetzt werden, sollten diese den gleichen Schutzvorkehrungen wie
mechanische Zwangsmaßnahmen unterliegen. Die möglichen Nebenwirkungen einer solchen
medikamentösen Behandlung für einen Patienten müssen immer berücksichtigt werden,
insbesondere wenn diese in Kombination mit einer mechanischer Zwangsmaßnahme oder
einer Absonderung angewendet wird.
42.
Die Absonderung ist nicht unbedingt eine angemessene Alternative zum Einsatz
mechanischer, chemischer oder anderer Zwangsmittel. Wenn ein Patient abgesondert wird,
kann das kurzfristig eine beruhigende Wirkung haben, jedoch auch zu Desorientierung und
Angstzuständen führen, zumindest bei einigen Patienten. Mit anderen Worten, die
Absonderung in einem abgeschlossenen Raum ohne angemessene begleitende
Schutzvorkehrungen kann einen gegenteiligen Effekt haben. Das CPT ist besorgt über die in
einigen psychiatrischen Krankenhäusern beobachtete Tendenz, routinemäßig die
Absonderung gegenüber anderen Zwangsmaßnahmen zu bevorzugen.
57
Wann Patienten zu fixieren sind
43.
Generell sollte eine Fixierung von Patienten nur als letzter Ausweg erfolgen, als
eine extreme Maßnahme, die angewendet wird, um eine unmittelbaren Verletzung
abzuwenden oder eine akute Erregung und /oder Gewalt zu reduzieren.
In der Praxis stellt das CPT fest, dass Patienten oft fixiert werden (meist mit
mechanischen Mitteln) als Sanktion für ein Fehlverhalten oder um eine Verhaltensänderung
herbeizuführen.
In vielen psychiatrischen Einrichtungen, die das CPT besuchte, wird die Fixierung
als bequemste Lösung für die Mitarbeiter, um schwierige Patienten unter Kontrolle zu halten,
während zur gleichen Zeit andere Aufgaben erledigt werden. Die übliche Rechtfertigung
gegenüber dem CPT ist, dass ein bestehender Personalmangel einen stärkeren Rückgriff auf
Zwangsmaßnahmen unumgänglich macht.
Eine solche Begründung ist nicht stichhaltig. Eine korrekte und angemessene
Anwendung von Zwangsmaßnahmen erfordert mehr und nicht weniger Pflegepersonal, da bei
jeder Fixierung eines Patienten ein Mitarbeiter nötig ist, der diesen direkt, persönlich und
ständig überwacht (siehe Ziffer 50).
Freiwillige Patienten sollten nur mit ihrer Zustimmung fixiert werden. Wenn die
Fixierung bei einem freiwilligen Patienten als notwendig erachtet wird und dieser aber nicht
zustimmt, sollte der rechtliche Status des Patienten überprüft werden.
44.
Was kann getan werden, um den Missbrauch oder übermäßigen Gebrauch von
Zwangsmaßnahmen zu verhindern? Zunächst hat die Erfahrung in vielen psychiatrischen
Einrichtungen gezeigt, dass der Einsatz insbesondere von mechanischen Zwangsmitteln
beträchtlich reduziert werden kann. Die Programme, die in einigen Ländern zu diesem Zweck
geschaffen wurden, scheinen erfolgreich gewesen zu sein, ohne dass dies zu einem
verstärkten Einsatz von chemischen Zwangsmitteln oder einer manueller Kontrolle geführt
hätte. Die Frage stellt sich daher, ob eine vollständige (oder fast vollständige) Abschaffung
von mechanischen Zwangsmaßnahmen nicht längerfristig ein realistisches Ziel sein könnte.
Es ist absolut notwendig, dass jeder Fall von Fixierung von einem Arzt genehmigt
oder zumindest unverzüglich einem Arzt zur Genehmigung vorgelegt wird. Nach Erfahrung
des CPT wird die Fixierung häufiger angewendet, wenn eine Blankogenehmigung vom Arzt
im Voraus erteilt wird, als wenn die Entscheidung von Fall zu Fall getroffen wird (je nach
Situation).
45.
Wenn eine Akutsituation, die zur Fixierung führte, nicht länger besteht, sollte diese
unverzüglich beendet werden. Gelegentlich trifft das CPT auf Patienten, deren mechanische
Fixierung tagelang andauerte. Eine solche Praxis ist durch nichts zu rechtfertigen und stellt
nach Ansicht des CPT eine Form von Misshandlung dar.
58
Einer der Hauptgründe, warum solche Praktiken weiter existieren, ist, dass nur sehr
wenige psychiatrische Einrichtungen klare Regeln für die Dauer der Fixierung entwickelt
haben. Psychiatrische Einrichtungen sollten eine Dienstanweisung erlassen, nach der die
Genehmigung zur Anwendung mechanischer Zwangsmaßnahmen wie der Fixierung nach
einer bestimmten Zeit verfällt, wenn sie nicht ausdrücklich von einem Arzt verlängert wird.
Für einen Arzt wird eine solche Anordnung ein guter Anreiz sein, den fixierten Patienten
persönlich zu besuchen und so seinen geistigen und körperlichen Zustand zu prüfen.
46.
Wenn die Fixierung entfernt wurde, ist es wichtig, mit dem Patienten eine
Nachbesprechung zu führen. Dem Arzt gibt dies die Gelegenheit, die Maßnahme zu
begründen und so das psychologische Trauma der Erfahrung zu verringern sowie eine
Arzt/Patienten-Beziehung wiederherzustellen. Dem Patienten gibt eine solche
Nachbesprechung die Gelegenheit, seine Gefühle vor der Fixierung zu erklären, was sowohl
das Verständnis des Patienten für sich selbst als auch das Verständnis des
Gesundheitspersonals für sein Verhalten verbessern kann. Der Patient und die Mitarbeiter des
Gesundheitspersonals können gemeinsam versuchen, für diesen Alternativen zu finden, um
sich selbst unter Kontrolle zu halten und so möglicherweise künftige Ausbrüche von Gewalt
und eine daraus resultierende Fixierung zu vermeiden.
Wie eine Fixierung eingesetzt werden sollte
47.
Viele Patienten haben in den letzten Jahren mit CPT-Delegationen über ihre
Erfahrungen mit Fixierung gesprochen. Die Patienten sagten wiederholt, dass sie die Prozedur
als erniedrigend empfanden, ein Gefühl, das durch die Art, wie die Fixierung vorgenommen
wurde, noch verstärkt wurde.
Dem Personal eines psychiatrischen Krankenhauses sollte besonders daran gelegen
sein, dass die Bedingungen und Umstände bei der Fixierung nicht die geistige und körperliche
Gesundheit des fixierten Patienten verschlimmern. Dies bedeutet unter anderem, dass eine
vorher verschriebene therapeutische Behandlung so weit wie möglich nicht unterbrochen
werden sollte und dass drogenabhängige Patienten eine angemessene Behandlung gegen die
Entzugserscheinungen erhalten sollten. Ob diese Symptome durch den Entzug von illegalen
Drogen, Nikotin oder anderen Substanzen hervorgerufen werden, sollte hier keinen
Unterschied machen.
48.
Im Allgemeinen sollte der Ort, an dem ein Patient fixiert wird, speziell für diesen
Zweck vorgesehen sein. Er sollte sicher sein (z.B. ohne zerbrochenes Glas oder Fliesen),
entsprechend beleuchtet und geheizt sein, und eine beruhigende Umgebung für den Patienten
darstellen.
Außerdem sollte ein fixierter Patient angemessen bekleidet und nicht den Blicken
anderer Patienten ausgesetzt sein, es sei denn, er fordert dies ausdrücklich, oder bei einem
Patienten ist bekannt, dass er das Zusammensein mit anderen vorzieht. Es muss unter allen
Umständen garantiert sein, dass fixierte Patienten nicht von anderen Patienten verletzt
werden. Natürlich sollte sich das Personal nicht von anderen Patienten helfen lassen, wenn es
einen Patienten fixiert.
59
Wenn Zwangsmaßnahmen angewendet werden, sollten diese fachgerecht und
vorsichtig vorgenommen werden, um nicht die Gesundheit des Patienten zu gefährden oder
ihm Schmerzen zu verursachen. Lebenswichtige Funktionen des Patienten wie Atmung, die
Fähigkeit zu kommunizieren, zu essen und zu trinken, dürfen nicht beeinträchtigt werden.
Wenn der Patient dazu tendiert zu beißen, zu saugen oder zu spucken, sollte ein möglicher
Schaden auf andere Weise vermieden werden als den Mund abzudecken.
49.
Die richtige Fixierung eines erregten oder gewalttätigen Patienten ist keine einfache
Aufgabe für das Personal. Hierzu ist nicht nur eine Schulung nötig, sondern auch regelmäßige
Fortbildung. In diesem Zusammenhand sollte nicht nur das Pflegepersonal angeleitet werden,
wie die Zwangsmaßnahmen vorzunehmen sind, sondern auch sichergestellt werden, dass sie
die Folgen der Maßnahmen für den Patienten verstehen und wissen, wie mit einem fixierten
Patienten umzugehen ist.
50.
Die Fixierung erfordert beträchtliche Personalressourcen. Nach Auffassung des
CPT muss, wenn die Gliedmaßen eines Patienten mit Gurten oder Riemen festgeschnallt
werden, ständig ein geschulter Mitarbeiter anwesend sein, um therapeutische Hilfe zu leisten.
Eine solche Hilfe kann darin bestehen, den Patienten zur Toilette zu begleiten oder in
Ausnahmefällen, wenn die Fixierung nicht innerhalb von Minuten beendet werden kann, ihm
zu helfen, Essen zu sich zu nehmen.
Die Videoüberwachung kann jedenfalls nicht die ständige Anwesenheit des
Personals ersetzen. In Fällen, in denen ein Patient abgesondert wird, kann sich ein Mitarbeiter
außerhalb des Raumes des Patienten aufhalten, vorausgesetzt, der Patient kann den
Mitarbeiter sehen und letzterer kann den Patienten ständig beobachten und hören.
Die Festlegung umfassender Richtlinien zur Anwendung von Zwangsmaßnahmen
51.
Jede psychiatrische Einrichtung sollte über umfassende, sorgfältig ausgearbeitete
Richtlinien zur Anwendung von Zwangsmaßnahmen verfolgen. Die Beteiligung und
Unterstützung des Personals und der Krankenhausleitung ist bei der Ausarbeitung dieser
Richtlinien wesentlich. In diesen Richtlinien sollten die Art und Weise, wie
Zwangsmaßnahmen angewendet werden, festegelegt werden, ebenso die Umstände, die zu
deren Anwendung führen, sowie die erforderliche Überwachung und die Schritte, die zu
ergreifen sind, nachdem die Maßnahme beendet ist.
Die Richtlinien sollten auch eine Reihe anderer wichtiger Fragen umfassen:
Mitarbeiterschulung, Beschwerdepolitik, interne und externe Berichterstattungsmechanismen
und Nachbesprechung. Nach Auffassung des CPT ist eine solche umfassende Politik nicht nur
eine große Unterstützung für die Mitarbeiter, sondern auch hilfreich, damit die Patienten und
deren Vormund oder Vertreter den Grund für die angewendete Zwangsmaßnahme verstehen.
60
Aufzeichnung von angewendeten Zwangsmaßnahmen
52.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine detaillierte und genaue Aufzeichnung von
Zwangsmaßnahmen der Krankenhausleitung einen Überblick darüber geben kann, wie oft
diese angewendet werden, und es ihr ermöglicht, gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen,
um die Häufigkeit deren Anwendung zu reduzieren.
Am besten sollte ein spezielles Register eingerichtet werden, um alle Schritte der
Anwendung von Zwangsmaßnahmen zu dokumentieren, und zwar zusätzlich zu den
Aufzeichnungen, die in der Krankenakte des Patienten enthalten sind. Dokumentiert werden
sollten Zeitangaben über den Beginn und das Ende der Anwendung der Maßnahmen, die
Umstände des Falles, die Gründe, die zur Anwendung führten, der Name des Arztes, der diese
anordnete oder bewilligte und ein Hinweis auf allfälliger Verletzungen, die der Patient oder
Angehöhrige des Personals erlitten haben. Die Patienten sollten berechtigt sein, dem Register
Bemerkungen hinzuzufügen und darüber unterrichtet werden. Auf Anfrage sollten sie eine
Kopie der gesamten Eintragung erhalten.
53.
Auch eine regelmäßige Berichterstattung bei einem externen Kontrollorgan, zum
Beispiel einer Gesundheitsinspektion, sollte erwogen werden. Der offensichtliche Vorteil
einer solchen Berichterstattung ist, dass der nationale oder regionale Überblick über
Fixierungspraktiken erleichtert würde und es einfacher wäre, den Einsatz besser zu verstehen
und daher zu handhaben.
Abschließende Bemerkungen
54.
Es ist anzuerkennen, dass die Anwendung von Zwangsmaßnahmen offenbar von
außerklinischen Faktoren wie der Selbstwahrnehmung der Mitarbeiter hinsichtlich ihrer Rolle
und des Bewußtseins der Patienten hinsichtlich ihrer Rechte wesentlich beeinflusst wird.
Vergleichsstudien haben gezeigt, dass die Häufigkeit von Zwangsmaßnahmen, einschließlich
der Absonderung, nicht nur vom Personalstand, der Diagnose von Patienten oder den
materiellen Bedingungen auf der Station abhängt, sondern auch von der “Arbeitskultur und
Arbeitseinstellung” des Krankenhauspersonals.
In vielen psychiatrischen Einrichtungen muss sich die Kultur ändern, damit die
Zwangsmaßnahmen auf ein Minimum reduziert werden können. Die Rolle der
Krankenhausleitung ist hierbei wesentlich. Wenn die Krankenhausleitung das Personal nicht
ermutigt und ihnen Alternativen bietet, wird die vorherrschende Praxis der häufigen
Anwendung solcher Maßnahmen wahrscheinlich fortbestehen.
61
IV.
Ausländerrechtliche Haft
Angehörige fremder Staaten in ausländerrechtlicher Haft
Auszug aus dem 7. Jahresbericht [CPT/Inf (97] 10]
A.
Vorbemerkungen
24.
Die Besuchsdelegationen des CPT begegnen häufig ausländischen
Staatsangehörigen, denen ihre Freiheit nach ausländerrechtlichen Vorschriften entzogen wird
(im folgenden „Immigrationshäftlinge"): Personen, denen die Einreise in das betreffende
Land verweigert wurde; Personen, die illegal in das Land eingereist sind und anschließend
durch die Behörden identifiziert wurden; Personen, deren Aufenthaltsgenehmigung
abgelaufen ist; Asylsuchende, deren Inhaftierung durch die Behörden als notwendig
angesehen wird etc.
In den folgenden Abschnitten werden einige Hauptprobleme beschrieben, die das
CPT in Zusammenhang mit solchen Personen verfolgt. Das CPT hofft, hierdurch den
nationalen Behörden im voraus eindeutige Hinweise über seine Ansicht bezüglich der
Behandlung von Immigrationshäftlingen zu geben, und allgemein eine Diskussion in Bezug
auf diese Kategorien von Personen, denen die Freiheit entzogen ist, anzuregen. Kommentare
zu diesem Abschnitt seines Jahresberichts wären dem Komitee willkommen.
B.
Hafteinrichtungen
25.
Die Besuchsdelegationen des CPT haben Immigrationshäftlinge in einer Vielfalt
von Verwahrungsorten angetroffen; von Hafteinrichtungen an Einreisestellen bis hin zu
Polizeiwachen, Gefängnissen und besonderen Haftzentren. Soweit insbesondere Transitzonen
und „internationale" Zonen an Flughäfen betroffen sind, ist der genaue rechtliche Status von
Personen, denen die Einreise in ein Land verweigert worden ist und die in solchen Zonen
untergebracht werden, Gegenstand einiger Kontroversen. Bei mehr als einer Gelegenheit
wurde das CPT mit dem Argument konfrontiert, dass solchen Personen nicht „die Freiheit
entzogen" ist, da es ihnen freisteht, die Zone jederzeit mit einem internationalen Flug ihrer
Wahl zu verlassen.
Das CPT hat seinerseits immer den Standpunkt vertreten, dass der Aufenthalt in
einer Transitzone oder einer „internationalen" Zone je nach den Umständen eine
Freiheitsentziehung im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 lit. f der Europäischen
Menschenrechtskonvention bedeuten kann und folglich solche Zonen unter das Mandat des
Komitees fallen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 25. Juni
1996 im Fall Amuur gegen Frankreich kann als Bestätigung dieser Ansicht gesehen werden.
62
In diesem Fall, der vier Asylsuchende betraf, die 20 Tage in der Transitzone des Flughafens
Paris-Orly festgehalten wurden, stellte der Gerichtshof fest, dass „die bloße Tatsache, dass es
Asylsuchenden möglich ist, das Land, in dem sie Zuflucht suchen, freiwillig zu verlassen,
nicht das Vorliegen einer Beschränkung („atteinte") ihrer Freiheit ausschließen" kann, und
entschied, dass „das Festhalten der Beschwerdeführer in der Transitzone ... im Hinblick auf
die ihnen auferlegten Beschränkungen praktisch einer Freiheitsentziehung gleichwertig war".
26.
Hafteinrichtungen an Einreisestellen haben sich schon häufig als inadäquat
herausgestellt, insbesondere für längere Aufenthalte. Insbesondere haben Delegationen des
CPT in mehreren Fällen Personen angetroffen, die tagelang unter Behelfsbedingungen in
Flughafenwarteräumen festgehalten wurden. Es ist unabdingbar, dass solchen Personen
passende Schlafgelegenheiten zur Verfügung gestellt werden, dass ihnen Zugang zu ihrem
Gepäck und zu angemessen ausgestatteten Sanitär- und Waschgelegenheiten gewährt wird,
und dass ihnen gestattet wird, sich täglich an der frischen Luft zu bewegen. Darüber hinaus
sollten ihnen Speisen und, falls notwendig, medizinische Fürsorge zur Verfügung gestellt
werden.
27.
In bestimmten Ländern haben die Delegationen des CPT Immigrationshäftlinge
vorgefunden, die für einen längeren Zeitraum (Wochen, in manchen Fällen auch Monate) in
Polizeiwachen festgehalten wurden, mäßigen materiellen Haftbedingungen ausgesetzt, von
jeder Art von Aktivität ausgeschlossen und gelegentlich genötigt, die Zelle mit
Straftatverdächtigen zu teilen. Solch eine Situation ist unhaltbar.
Das CPT erkennt an, dass von der Natur der Sache her Immigrationshäftlinge
möglicherweise einige Zeit in einer normalen Polizeihafteinrichtung verbringen müssen.
Jedoch werden die Bedingungen in Polizeiwachen häufig - wenn nicht immer - für einen
längeren Aufenthalt ungeeignet sein. Folglich sollte der Zeitraum, den Immigrationshäftlinge
in solchen Einrichtungen verbringen, auf das absolute Minimum beschränkt bleiben.
28.
Gelegentlich haben die Delegationen des CPT Immigrationshäftlinge vorgefunden,
die in Gefängnissen festgehalten wurden. Selbst wenn die tatsächlichen Haftbedingungen für
diese Personen in den betroffenen Einrichtungen angemessen waren - was nicht immer der
Fall war - betrachtet das CPT einen solchen Ansatz dennoch für grundlegend falsch. Ein
Gefängnis ist per definitionem kein passender Ort, um jemanden festzuhalten, der weder
strafrechtlich verurteilt noch einer Straftat verdächtig ist.
Zugegebenermaßen kann es in gewissen Ausnahmefällen angemessen sein, einen
Immigrationshäftling aufgrund seines bekannten Gewaltpotentials in einem Gefängnis
festzuhalten. Darüber hinaus kann ein Immigrationshäftling, der einer stationären Behandlung
bedarf, zeitweise in einer Gefängniskrankenstation untergebracht werden müssen, falls keine
andere sichere Krankenhauseinrichtung verfügbar ist. Jedoch sollten solche Häftlinge auf
jeden Fall getrennt von Gefangenen untergebracht werden, ganz gleich ob diese sich in
Untersuchungshaft befinden oder bereits verurteilt sind.
63
29.
Nach Ansicht des CPT sollten in den Fällen, in denen es als notwendig erachtet
wird, Personen aufgrund ausländerrechtlicher Vorschriften die Freiheit für längere Zeit zu
entziehen, diese in speziell für diesen Zweck vorgesehenen Zentren untergebracht werden,
in denen die materiellen Bedingungen und das Regime ihrem rechtlichen Status angemessen
und die mit hinreichend qualifiziertem Personal besetzt sind. Das Komitee nimmt mit
Befriedigung zur Kenntnis, dass diesem Ansatz in den Vertragsstaaten der Konvention
zunehmend gefolgt wird.
Offenkundig sollten solche Zentren über Unterbringungsmöglichkeiten verfügen,
die ausreichend möbliert, sauber und in einem guten Erhaltungszustand sind und genügend
Wohnraum für die Zahl der Insassen bieten. Darüber hinaus sollte bei dem Entwurf und der
Gestaltung der Räumlichkeiten dafür Sorge getragen werden, dass, soweit möglich, jeder
Eindruck einer Gefängnisumgebung vermieden wird. Zum Aktivitätenregime sollte
Bewegung an der frischen Luft gehören, ebenso Zugang zu einem Tagesraum und zu einem
Radio/Fernseher, zu Zeitungen/Zeitschriften, sowie zu anderen geeigneten Freizeitartikeln
(z.B. Brettspiele, Tischtennis). Je länger der Zeitraum ist, für den Personen festgehalten
werden, desto weiter sollten die Betätigungsmöglichkeiten entwickelt sein, die ihnen
angeboten werden.
Das Personal in Zentren für Immigrationshäftlinge hat eine besonders schwere
Aufgabe. Zum einen werden zwangsläufig Kommunikationsschwierigkeiten aufgrund von
Sprachbarrieren auftreten. Zum zweiten wird es für viele inhaftierte Personen schwierig sein,
die Tatsache zu akzeptieren, dass ihnen die Freiheit entzogen wird, obwohl sie keiner Straftat
verdächtigt werden. Drittens besteht das Risiko von Spannungen zwischen Häftlingen
verschiedener Nationalitäten oder ethnischer Gruppen. Folglich legt das CPT besonders Wert
darauf, dass das Aufsichtspersonal in solchen Zentren sorgfältig ausgesucht wird und eine
angemessene Ausbildung erhält. Die Mitglieder des Personals sollten gut entwickelte
Qualitäten im Bereich zwischenmenschlicher Kommunikation besitzen sowie mit den
verschiedenen Kulturen der Inhaftierten vertraut sein, und zumindest einige von ihnen sollten
über einschlägige Sprachkenntnisse verfügen. Darüber hinaus sollten sie darin unterrichtet
werden, mögliche Symptome von Stressreaktionen, die inhaftierte Personen zeigen, zu
erkennen (seien sie nun post-traumatisch oder durch soziokulturelle Veränderungen
verursacht) und geeignete Maßnahmen zu ergreifen.
64
C.
Schutzvorkehrungen während der Haft
30.
Immigrationshäftlinge sollten - ebenso wie andere Kategorien von Personen, denen
die Freiheit entzogen ist - berechtigt sein, von Beginn ihrer Haft eine Person ihrer Wahl über
ihre Situation zu informieren und Zugang zu einem Anwalt und einem Arzt zu erhalten.
Darüber hinaus sollten sie ausdrücklich ohne Verzug und in einer ihnen verständlichen
Sprache über alle ihre Rechte und das für sie anwendbare Verfahren informiert werden.
Das CPT hat beobachtet, dass diesen Anforderungen in einigen Ländern
entsprochen wird, in anderen hingegen nicht. Insbesondere haben die Besuchsdelegationen in
vielen Fällen Immigrationshäftlinge angetroffen, die offensichtlich nicht vollständig in einer
ihnen verständlichen Sprache über ihren rechtlichen Status informiert wurden. Um solche
Schwierigkeiten zu überwinden, sollten Immigrationshäftlinge systematisch ein Schriftstück
erhalten, das ihnen das für sie anwendbare Verfahren erklärt und ihre Rechte darstellt. Dieses
Schriftstück sollte in den bei den Betroffenen gebräuchlichsten Sprachen verfügbar sein, und,
falls erforderlich, sollten die Dienste eines Dolmetschers in Anspruch genommen werden.
31.
Das Recht auf Zugang zu einem Anwalt sollte die gesamte Haftzeit hindurch gelten
und sowohl das Recht, mit dem Anwalt vertraulich zu sprechen, als auch das Recht auf
Anwesenheit des Anwalts während der Befragungen durch die beteiligten Stellen
einschließen.
Alle Hafteinrichtungen für Immigrationshäftlinge sollten Zugang zu medizinischer
Versorgung bieten. Besondere Aufmerksamkeit sollte dem physischen und psychischen
Zustand von Asylsuchenden geschenkt werden, von denen einige in den Ländern, aus denen
sie gekommen sind, gefoltert oder auf andere Weise misshandelt worden sein können. Das
Recht auf Zugang zu einem Arzt sollte das Recht enthalten - falls es der Häftling so wünscht durch einen Arzt seiner Wahl untersucht zu werden; jedoch könnte von dem Häftling erwartet
werden, die Kosten solch einer zweiten Untersuchung zu tragen.
Im allgemeinen sollten die Immigrationshäftlinge das Recht haben, während ihrer
Haft den Kontakt mit der Außenwelt aufrecht zu erhalten, und insbesondere Zugang zu einem
Telefon zu erhalten und Besuche von Verwandten und Vertretern relevanter Organisationen
zu empfangen.
65
D.
Das Risiko einer Misshandlung nach der Abschiebung
32.
Das Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder
Strafe schließt die Verpflichtung ein, eine Person nicht in ein Land zu schicken, in dem es
stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass sie einem realen Risiko ausgesetzt wäre,
Folter oder Misshandlung unterworfen zu werden. Es ist selbstverständlich von
beträchtlichem Interesse für das CPT, ob die Vertragsparteien der Konvention dieser
Verpflichtung nachkommen. Welche genaue Rolle sollte das Komitee in Zusammenhang mit
dieser Frage anstreben?
33.
Alle an das CPT in Straßburg gerichteten Mitteilungen von Personen, die
behaupten, dass sie in ein Land geschickt werden sollen, in dem sie einem Folter- oder
Misshandlungsrisiko ausgesetzt wären, werden sofort der Europäischen Kommission für
Menschenrechte1 zur Kenntnis gebracht. Die Kommission ist besser als das CPT in der Lage,
solche Behauptungen zu untersuchen und, falls es angebracht ist, präventive Maßnahmen zu
ergreifen.
Falls bei einer Befragung im Verlauf eines Besuchs ein Immigrationshäftling (oder
eine andere Person, der die Freiheit entzogen ist) behauptet, dass er in ein Land
zurückgeschickt werden soll, in dem er einem Folter- oder Misshandlungsrisiko ausgesetzt
wäre, so wird die Besuchsdelegation des CPT überprüfen, ob dieses Vorbringen den
zuständigen nationalen Stellen zur Kenntnis gebracht wurde und in gebührender Weise
Berücksichtigung findet. In Abhängigkeit von den Umständen wird die Delegation darum
ersuchen, weiter über die Lage der inhaftierten Person informiert zu werden, und/oder die
Person über die Möglichkeit informieren, die Angelegenheit vor die Europäische Kommission
für Menschenrechte zu bringen (und im letzten Fall überprüfen, ob sie in der Lage ist, ein
Gesuch bei der Kommission einzureichen).
34.
Im Hinblick auf die im wesentlichen präventive Funktion des CPT neigt das
Komitee allerdings dazu, den Schwerpunkt seiner Aufmerksamkeit auf die Frage zu
konzentrieren, ob der Entscheidungsprozeß als ganzes angemessene Garantien dagegen
enthält, dass Personen in Länder geschickt werden, in denen sie einem Folter- oder
Misshandlungsrisiko ausgesetzt sind. In diesem Zusammenhang geht es dem CPT darum, zu
untersuchen, ob das anwendbare Verfahren den betroffenen Personen eine wirkliche
Möglichkeit bietet, ihren Fall darzulegen, und ob die Bediensteten, die mit der Behandlung
solcher Fälle betraut sind, angemessen ausgebildet wurden und Zugang zu objektiven und
unabhängigen Informationen über die Menschenrechtssituation in anderen Ländern haben.
Darüber hinaus ist das CPT im Hinblick auf das potentielle Gewicht der betroffenen
Interessen der Ansicht, dass es möglich sein sollte, eine Entscheidung, die die Entfernung
einer Person von dem Territorium des Staates mit sich bringt, bei einem anderen Gremium
unabhängiger Natur anzufechten, bevor sie vollzogen wird.
1
Seit dem 1. November 1998: "Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte"
66
E.
Zwangsmittel im Zusammenhang mit Abschiebungsverfahren
35.
Schließlich muss das CPT darauf hinweisen, dass es beunruhigende Berichte aus
mehreren Ländern über Zwangsmittel erhalten hat, die während des Vorganges der
Abschiebung von Immigrationshäftlingen eingesetzt werden. Diese Berichte enthalten
insbesondere Aussagen über Schläge, Fesselungen und Knebelungen und die Verabreichung
von Beruhigungsmitteln gegen den Willen der betroffenen Personen.
36.
Das CPT erkennt an, dass es häufig eine schwierige Aufgabe ist, eine
Abschiebungsanordnung in Bezug auf einen Ausländer zu vollziehen, der entschlossen ist, auf
dem Territorium eines Staates zu bleiben. Gesetzesvollzugsbeamte mögen gelegentlich
Gewalt anzuwenden haben, um eine solche Abschiebung zu bewirken. Es sollte jedoch nicht
mehr Gewalt als notwendig angewandt werden. Insbesondere wäre es völlig inakzeptabel,
dass Personen, gegen die eine Abschiebungsanordnung besteht, physisch angegriffen werden
als eine Form der Überredung, ein Transportmittel zu besteigen, oder als eine Bestrafung
dafür, dass sie es nicht getan haben. Darüber hinaus muss das CPT hervorheben, dass die
Knebelung einer Person eine sehr gefährliche Maßnahme ist.
Das CPT möchte gleichfalls betonen, dass jede Verabreichung von Medikamenten
an Personen, gegen die eine Abschiebungsanordnung besteht, nur auf der Grundlage einer
ärztlichen Entscheidung und in Übereinstimmung mit der ärztlichen Ethik vorgenommen
werden darf.
67
Schutzvorkehrungen für Angehörige fremder Staaten in
ausländerrechtlicher Haft
Auszug aus dem 19. Jahresbericht [CPT/Inf (2009) 27]
Einleitung
75.
Im inhaltlichen Abschnitt seines 7. Jahresberichts, der 1997 veröffentlicht wurde,
beschreibt das Komitee zur Verhütung von Folter (CPT) seine Position hinsichtlich der
Schutzmaßnahmen und Bedingungen für Ausländer, denen gemäß Ausländergesetz die
Freiheit entzogen wurde („Immigrationshäftlinge“), sowie seine Ansichten bezüglich der
Abschiebung dieser Personen.1 In der Zwischenzeit hat das CPT zahlreiche Besuche in
ausgewiesenen Abschiebehaftanstalten sowie in Polizeistationen und Gefängnissen
durchgeführt, in denen Immigrationshäftlinge in einer Reihe von Staaten inhaftiert sind. Diese
Besuche haben viel zu häufig die Meinung des Komitees bestärkt, dass Immigrationshäftlinge
besonders schutzbedürftig im Hinblick auf zahlreiche Formen der Misshandlung sind, sei es
zum Zeitpunkt der Festnahme, während der Abschiebehaft oder während der Abschiebung.
Angesichts der Schutzbedürftigkeit dieser Personengruppe hat das CPT im Verlauf
seiner vielen Besuche seine Aufmerksamkeit besonders auf die Behandlung der
Immigrationshäftlinge gelegt. Des Weiteren hat das Komitee weiter an der Entwicklung
eigener Standards gearbeitet; so hat es z. B. im Rahmen des 13. Jahresberichts die
Formulierung von Richtlinien zur Abschiebung von Ausländern per Flugzeug, einschließlich
von Immigrationshäftlingen, formuliert.2
76.
In seinem 19. Jahresbericht legt das CPT seine Ansichten zu den Schutzmaßnahmen
dar, die auf Immigrationshäftlinge angewendet werden sollten, unter besonderer
Berücksichtigung der Lage der Kinder.3 „Immigrationshäftlinge” ist der Terminus, der zur
Bezeichnung von Personen dient, denen laut Ausländergesetz die Freiheit entzogen wurde,
entweder weil sie illegal in ein Land eingereist sind (oder dies versucht haben) oder weil ihre
Aufenthaltsgenehmigung im fraglichen Land abgelaufen ist.
Es sei darauf hingewiesen, dass Asylsuchende keine Immigrationshäftlinge sind,
obwohl die Betroffenen zu Immigrationshäftlingen werden können, wenn ihr Asylantrag
abgelehnt wird und sie in ihr Heimatland abgeschoben werden. Asylsuchenden, denen die
Freiheit entzogen wird, während ihr Asylantrag geprüft wird, sollten Schutzmaßnahmen
gewährt werden, die über die für Immigrationshäftlinge hinausgehen. Diese sind in den
nachstehenden Absätzen beschrieben.4
1
Siehe Absätze 24 bis 36 von Dok. CPT/Inf (97) 10.
Siehe Absätze 27 bis 45 von Dok. CPT/Inf (2003) 35.
3
Dies soll nicht heißen, dass Kinder die einzige schutzbedürftige Gruppe sind. Ältere Menschen
und z. B. Frauen ohne Begleitung sind ebenfalls schutzbedürftig.
4
Für Asylsuchende stammen bestimmte internationale Schutzbestimmungen von der Genfer
Flüchtlingskonvention von 1951 und deren Zusatzprotokoll von 1967. Des Weiteren hat die EUGesetzgebung, insbesondere die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003, in der die
2
68
Entzug der Freiheit bei Immigrationshäftlingen
77.
Im Verlauf der Besuche hat das CPT festgestellt, dass sich einige Mitgliedsstaaten
des Europarats gezielt bemüht haben, die Haftbedingungen für Immigrationshäftlinge zu
verbessern. Allerdings gibt es nach wie vor immer noch zu viele Fälle, in denen das CPT
Gewahrsamseinrichtungen für Immigrationshäftlinge und manchmal auch für Asylsuchende
gesehen hat, die vollkommen ungeeignet waren. Als negatives Beispiel sie hier z. B. ein leer
stehendes Lagerhaus angeführt, mit wenigen oder keinen sanitären Anlagen, vollgestopft mit
Betten oder Matratzen, die auf dem Boden liegen, und in dem bis zu hundert Personen über
Wochen oder sogar Monate untergebracht sind, ohne Beschäftigung, ohne Möglichkeiten
sportlicher Aktivitäten und unter schlechten hygienischen Bedingungen. Die CPTDelegationen finden auch weiterhin Immigrationshäftlinge, die in Polizeistationen
festgehalten werden, unter Bedingungen, die kaum für 24 Stunden, geschweige denn für
Wochen akzeptabel sind.
In einigen Staaten werden Immigrationshäftlinge in Gefängnissen festgehalten.
Nach Meinung des CPT ist ein Gefängnis per definitionem kein geeigneter Ort, um jemanden
festzuhalten, der weder einer Straftat bezichtigt noch für eine Straftat verurteilt wurde.
Interessanterweise bestätigen die Gefängnisleiter und die Mitarbeiter in den verschiedenen
Einrichtungen, die vom CPT aufgesucht wurden, oft, dass sie nicht entsprechend ausgestattet
oder ausgebildet sind, um sich um Immigrationshäftlinge zu kümmern. In diesem Kontext
möchte das CPT erneut unterstreichen, dass die Mitarbeiter, die in Gewahrsamseinrichtungen
für Immigrationshäftlinge arbeiten, eine besonders belastende Aufgabe haben.
Dementsprechend sollten sie sorgfältig ausgewählt werden und ein entsprechendes Training
erhalten.
78.
Trotz der Existenz vieler Gewahrsamseinrichtungen für Immigrationshäftlinge in
den Mitgliedsstaaten des Europarats gibt es immer noch kein umfassendes Instrument, das
den gesamten europäischen Kontinent abdeckt1 und das Mindeststandards und
Schutzmaßnahmen für Immigrationshäftlinge gemäß den besonderen Bedürfnissen dieser
besonderen Personengruppe enthält.
Mindeststandards für die Aufnahme von Asylsuchenden niedergelegt wurde, eine Reihe von Garantien
geschaffen; allerdings beschränkt sich die Anwendbarkeit dieser Gesetze auf die EU-Staaten. Verwiesen
sei auch auf die Richtlinien zum Schutz der Menschenrechte im Kontext beschleunigter Asylverfahren,
die am 1. Juli 2009 vom Ministerkomitee des Europarats verabschiedet wurden.
1
Richtlinie 2008/115/EC des Europäischen Parlaments und des EU-Rates vom 16. Dezember
2008 über gemeinsame Standards und Verfahren in den Mitgliedsstaaten für die Rückführung illegal
eingereister Bürger aus Drittstaaten enthält u.a. Standards in Bezug auf Immigrationshäftlinge. Die
Richtlinie ist auf die meisten EU-Mitgliedsstaaten und einige weitere Staaten anwendbar und sollte bis
Ende 2010 in die nationale Gesetzgebung übernommen werden.
69
Die Europäischen Strafvollzugsbestimmungen aus dem Jahr 2006 finden
Anwendung auf jene Immigrationshäftlinge, die sich in Gefängnissen befinden. Es wird
jedoch im Kommentar zu diesen Bestimmungen betont, dass Immigrationshäftlinge
grundsätzlich nicht in Gefängnissen inhaftiert werden sollten. Aus diesem Grund befassen
sich die Bestimmungen nicht mit den besonderen Bedürfnissen und dem Status
Immigrationshäftlinge, wie z. B. jenen Fragen, die sich auf die Vorbereitung und
Durchführung der Abschiebeverfahren beziehen. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen,
dass gemäß Artikel 5 (1)f der Europäischen Menschenrechtskonvention Immigranten die
Freiheit entzogen werden kann, wenn entweder Maßnahmen im Hinblick auf eine
Abschiebung ergriffen werden oder um eine unerlaubte Einreise in das Land zu verhindern.
Der Zweck des Freiheitsentzugs bei diesen Migranten unterscheidet sich daher signifikant von
dem Zweck bei Personen, die in Untersuchungshaft sitzen oder verurteilte Straftäter sind.
79.
Die Haftbedingungen für Immigrationshäftlinge sollte die Natur ihres
Freiheitsentzuges widerspiegeln, mit wenigen Einschränkungen und vielfältigen Aktivitäten.
So sollten Immigrationshäftlinge z. B. die Möglichkeit haben, in wesentlichem Umfang
Kontakte mit der Außenwelt zu pflegen (was häufige Gelegenheiten, Telefonate zu führen
oder Besucher zu empfangen, beinhaltet) und sollten so wenig wie möglich in ihrer
Bewegungsfreiheit innerhalb der Hafteinrichtung eingeschränkt sein. Selbst wenn die
Haftbedingungen in Gefängnissen diese Auflagen erfüllen - und dies ist sicherlich nicht
immer der Fall - hält das CPT die Inhaftierung von Immigrationshäftlingen in Gefängnissen,
aus bereits erwähnten Gründen, grundsätzlich für fragwürdig.
80.
Allgemeiner gesprochen, greifen in bestimmten Ländern die Behörden bei
Immigrationshäftlingen, deren Abschiebung ansteht, regelmäßig auf Verwaltungshaft zurück;
manchmal ohne zeitliche Begrenzung oder gerichtliche Überprüfung. Es ist offensichtlich,
dass eine automatische Verwaltungshaft unter diesen Bedingungen Gefahr läuft, u.a. mit der
Europäischen Menschenrechtskonvention in Widerspruch zu stehen. Nach Ansicht des CPT
sollten die Staaten vorsichtig sein, wenn sie ihre Befugnis ausüben, Immigranten die Freiheit
zu entziehen; die Inhaftierung sollte nach sorgfältiger Prüfung jedes Einzelfalls nur das letzte
Mittel sein.
Verfahrensgarantien zu Beginn des Freiheitsentzugs
81.
Das CPT ist der Ansicht, dass Immigrationshäftlinge bereits zu Beginn ihres
Freiheitsentzugs fundamentale Verfahrensgarantien genießen sollten, die auch auf andere
Kategorien inhaftierter Personen Anwendung finden. Diese Rechte sind: (1) Zugang zu einem
Anwalt, (2) Zugang zu einem Arzt und (3) die Möglichkeit, einen Verwandten oder Dritten
von der Inhaftierung in Kenntnis zu setzen.
82.
Das Recht auf einen Anwalt sollte das Recht beinhalten, unter vier Augen mit
einem Anwalt zu sprechen, sowie den Zugang zu einer Rechtsberatung bei Fragen, die sich
auf Aufenthaltsort, Haft und Abschiebung beziehen. Dies impliziert, dass, wenn
Immigrationshäftlinge nicht in der Lage sind, selbst für einen Anwalt zu zahlen, sie
Rechtsbeihilfe erhalten sollten.
70
Des Weiteren sollten alle neu eingetroffenen Häftlinge unverzüglich von einem
Arzt untersucht werden, oder von einer qualifizierten Krankenschwester, die wiederum einem
Arzt Bericht erstattet. Das Recht auf Zugang zu einem Arzt sollte das Recht einschließen,
wenn ein Immigrationshäftling dies wünscht, von einem Arzt seiner/ihrer Wahl untersucht zu
werden; allerdings kann von dem Häftling erwartet werden, die Kosten einer solchen
Untersuchung zu zahlen.
Die Benachrichtigung eines Angehörigen oder einer anderen Person eigener Wahl
hinsichtlich der Inhaftierung wird erheblich erleichtert, wenn den Immigrationshäftlingen
gestattet wird, ihre Handys während des Freiheitsentzugs zu behalten oder diese zumindest zu
benutzen.
83.
Zusätzlich zu diesen drei fundamentale Verfahrensgarantien erkennen internationale
Verträge das Recht eines inhaftierten Immigrationshäftlings an, um konsularische
Unterstützung zu bitten. Da jedoch nicht alle Immigrationshäftlinge ihre nationalen Stellen
kontaktieren möchten, sollte die Entscheidung, ob sie dieses Recht wahrnehmen möchte, bei
der betreffenden Person liegen.
84.
Es ist unerlässlich, dass neu eingetroffene Immigrationshäftlinge unverzüglich
Informationen zu diesen Rechten in einer Sprache erhalten, die sie verstehen. Zu diesem
Zweck sollten sie routinemäßig ein Dokument erhalten, in dem in klarer und einfacher
Sprache das auf sie anwendbare Verfahren erklärt und ihre Rechte dargelegt werden. Dieses
Dokument sollte in den gängigsten Sprachen der Häftlinge abgefasst sein und, wenn
erforderlich, sollte auf einen Übersetzer zurückgegriffen werden.
Allgemeine Verfahrensgarantien während des Freiheitsentzugs
85.
Jeder Fall von Freiheitsentzug sollte durch einen ordnungsgemäßen
personenbezogenen Haftbefehl gedeckt sein, der leicht zugänglich in der Einrichtung
hinterlegt wird, in die die betreffende Person gebracht wird; und der Haftbefehl sollte bereits
vor dem Freiheitsentzug oder so rasch wie möglich nach dem Freiheitsentzug vorliegen. Diese
Grundvoraussetzung findet in gleicher Weise Anwendung auf Immigrationshäftlinge, denen
die Freiheit entzogen wurde. Des Weiteren werden die grundsätzlichen Schutzmaßnahmen für
Personen, die von den Strafverfolgungsbehörden verhaftet werden, verstärkt, wenn eine
einzige und umfassende Akte für diese Person geführt wird, in der alle Aspekte seiner/ihrer
Inhaftierung sowie alle Maßnahmen protokolliert sind, die diesbezüglich erfolgt sind.
86.
Immigrationshäftlinge sollte ein wirksames Rechtsmittel zur Verfügung stehen, mit
denen sie die Rechtmäßigkeit ihres Freiheitsentzugs unverzüglich durch eine gerichtliche
Stelle prüfen zu lassen. Diese gerichtliche Prüfung sollte eine mündliche Anhörung mit
Unterstützung eines Anwalts, der für bedürftige Personen kostenlos zur Verfügung gestellt
werden sollte, sowie eines Dolmetschers (falls erforderlich) einschließen. Darüber hinaus
sollten inhaftierte Immigrationshäftlinge ausdrücklich über dieses Rechtsmittel informiert
werden. Die Voraussetzung für eine Fortdauer der Haft sollte regelmäßig durch eine
unabhängige Stelle geprüft werden.
71
87.
Es sollten Vorkehrungen getroffen werden, die es Immigrationshäftlingen
ermöglichen, regelmäßig einen Anwalt oder Arzt zu konsultieren und Besuche von Vertretern
von NRO, Angehörigen oder anderen Personen ihrer Wahl zu empfangen und telefonisch mit
ihnen in Kontakt zu stehen.
Wenn Angehörigen derselben Familie gemäß Ausländergesetz die Freiheit entzogen
wurde, muss alles unternommen werden, damit diese nicht voneinander getrennt werden.
88.
Es liegt im Interesse der Immigrationshäftlinge und des Personals, dass es eine
Hausordnung in allen Gewahrsamseinrichtungen für Immigrationshäftlinge gibt, und Kopien
dieser Regeln sollten in mehreren Sprachen zur Verfügung stehen. Die Hausordnung sollte
vorwiegend informativer Natur sein und in größtmöglichem Umfang Themen, Rechte und
Pflichten abdecken, die für den Alltag der Inhaftierten relevant sind. Die Hausordnung sollte
auch Disziplinarverfahren enthalten und den Inhaftierten das Recht geben, bei Verstößen, die
man ihnen vorwirft, angehört zu werden, sowie das Recht, eine Beschwerde gegen eine
verhängte Sanktionen bei einer unabhängigen Stelle einzulegen. Ohne diese Regeln besteht
die Gefahr, dass sich ein inoffizielles (und nicht kontrolliertes) Disziplinarsystem entwickelt.
Im Fall der Anwendung getrennten Unterbringung aus Sicherheitsgründen oder zum
eigenen Schutz eines Immigrationshäftlings sollten diese Verfahren von wirksamen
Schutzmaßnahmen begleitet werden. Die betreffende Person sollte über die Gründe für die
gegen sie ergriffene Maßnahme informiert werden. Vor der Umsetzung der Maßnahme sollte
sie die Gelegenheit erhalten, Stellung zu beziehen und die Möglichkeit haben, die Maßnahme
vor einer geeigneten Stelle anzufechten.
89.
Die
unabhängige
Überwachung
von
Gewahrsamseinrichtungen
für
Immigrationshäftlinge ist ein wichtiges Element bei der Prävention von Misshandlungen und
für
die
allgemeine
Sicherstellung zufriedenstellender Haftbedingungen.
Die
Überwachungsbesuche sollten regelmäßig und ohne Ankündigung erfolgen, damit sie
wirksam sind. Des Weiteren sollten Überwachungsstellen ermächtigt werden,
Immigrationshäftlinge ungestört zu befragen, und sie sollten alle Probleme bezüglich ihrer
Behandlung untersuchen (Haftbedingungen, Haftakten und andere Dokumente, die
Wahrnehmung der Rechte der inhaftierten Person, medizinische Versorgung, etc.).
Medizinische Schutzmaßnahmen
90.
Die Beurteilung des Gesundheitszustands von Immigrationshäftlingen während
ihres Freiheitsentzugs ist eine wichtige Verantwortung in Bezug auf jeden Inhaftierten und in
Bezug auf eine Gruppe Immigrationshäftlinge als Ganzes. Die psychische und körperliche
Gesundheit Immigrationshäftlinge kann durch vorausgegangene traumatische Erlebnisse
beeinträchtigt sein. Des Weiteren kann der Verlust vertrauter Menschen und der kulturellen
Umgebung und die Unsicherheit über die eigene Zukunft zu einer psychischen
Beeinträchtigung führen, einschließlich der Verstärkung bereits bestehender Symptome von
Depression, Angst und einer posttraumatischen Störung.
72
91.
Zumindest eine Person mit einer anerkannten Qualifikation als Krankenschwester
muss täglich in allen Gewahrsamseinrichtungen für Immigrationshäftlinge vor Ort sein. Diese
Person sollte insbesondere die erste medizinische Untersuchung aller Neuankömmlinge
durchführen (insbesondere auf übertragbare Krankheiten, inkl. Tuberkulose), Anträge auf
Konsultation eines Arztes entgegennehmen, die Bereitstellung und Ausgabe von
rezeptpflichtigen Medikamenten sicherstellen, Krankenakten führen und die allgemeinen
Hygienebedingungen überwachen.
92.
Natürlich sollte die ärztliche Schweigepflicht wie im zivilen Leben gewahrt bleiben;
insbesondere die Krankenakten der Immigrationshäftlinge sollten für nichtmedizinisches
Personal nicht zugänglich sein, sondern im Gegenteil von der Krankenschwester oder einem
Arzt an einem abgeschlossenen Ort aufbewahrt werden. Darüber hinaus sollten alle
medizinischen Untersuchungen außer Hörweite und außer Sichtweite des Wachpersonals
erfolgen, es sei denn, der Arzt bittet in besonderen Fällen darum, dass das Personal in
Sichtweite bleibt.
Wenn die Mitarbeiter des medizinischen und/oder betreuenden Personals aufgrund
von Sprachproblemen nicht in der Lage sind, eine ordnungsgemäße Diagnose zu stellen,
sollten Sie unverzüglich einen qualifizierten Dolmetscher hinzuziehen können. Außerdem
sollte den inhaftierten Immigrationshäftlinge umfassend die angebotenen Behandlungen
erklärt werden.
Drei weitere wichtige Verfahrensgarantien
93.
Das Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder
Strafe schließt die Verpflichtung ein, keine Person in ein Land zu schicken, für das ein
begründeter Verdacht besteht, dass diese Person dort der realen Gefahr ausgesetzt sein
könnte, Folter oder anderen Formen von Misshandlungen unterworfen zu werden.
Dementsprechend sollten Immigrationshäftlinge Zugang zu einem Asylverfahren haben (oder
anderen Aufenthaltsverfahren), die sowohl Vertraulichkeit als auch eine objektive und
unabhängige Analyse der Menschenrechtslage in anderen Staaten garantieren; eine
Einzelbeurteilung der Risiken für Misshandlungen im Fall einer Abschiebung in das
Herkunftsland oder ein Drittland sollte durchgeführt werden. Das CPT ist besorgt, dass in
bestimmten Ländern die Frist für die Einreichung eines Asylantrags gesetzlich auf einige
Tage ab dem Ankunftstag im Land oder im Gewahrsam begrenzt ist; Anträge, die nach dieser
Frist eingereicht werden, werden nicht bearbeitet. Ein solcher Ansatz steigert die
Wahrscheinlichkeit, dass Personen in ein Land abgeschoben werden, in dem sie einer realen
Gefahr ausgesetzt sind, Folter oder anderen Formen von Misshandlungen ausgesetzt zu
werden.
94.
In diesem Kontext hat das CPT schwerste Bedenken in Bezug auf die von einigen
Ländern praktizierte Politik, auf See Boote mit „illegalen Migranten“ abzufangen, und diese
Personen nach Nord- oder Nordwestafrika zurückzubringen. Eine Praxis mit ähnlichen Folgen
gibt es laut Berichten auch an den Landgrenzen einiger bestimmter europäischer Staaten.
73
Staaten, die diese Politik oder Praktiken anwenden, könnten Gefahr laufen, gegen
den Grundsatz der Nichtzurückweisung („Non-refoulement-Prinzip“) zu verstoßen, einen
Grundsatz, der Bestandteil der internationalen Menschenrechte sowie von EU-Recht ist. Dies
trifft insbesondere zu, wenn Ausländer in Staaten zurückgeschickt werden, die die Genfer
Flüchtlingskonvention von 1951 nicht ratifiziert haben oder dieser nicht beigetreten sind.
95.
Gemäß den 20 Leitlinien zur Zwangsrückführung, die am 4. Mai 2005 vom
Ministerkomitee verabschiedet wurden, sollten Abschiebungsanordnungen in jedem Einzelfall
auf einer Entscheidung gemäß nationalem Recht und nationaler Verfahren beruhen und in
Einklang
mit
internationalen
Menschenrechtsverpflichtungen
stehen.
Die
Abschiebungsanordnung sollte der betreffenden Person schriftlich übergeben werden.
Darüber hinaus sollte es die Möglichkeit geben, Einspruch gegen diese Anordnung
einzulegen, und die Abschiebung sollte nicht erfolgen, bevor eine Entscheidung zu diesem
Einspruch ergangen ist. Die Unterstützung durch einen Anwalt und einen Dolmetscher sollte
ebenfalls zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens gewährleistet werden.
96.
Darüber hinaus empfiehlt das CPT regelmäßig, in Bezug auf alle Orte, an denen
Personen durch staatliche Behörden ihre Freiheit entzogen wird, dass jedes Anzeichen einer
Verletzung einer Person, das auf eine Misshandlung hindeuten könnte, ordnungsgemäß vom
Arzt auf einem speziellen Formular protokolliert werden sollte; das Formular sollte die
relevanten Aussagen der betroffenen Person und die Schlussfolgerungen des Arztes
(hinsichtlich der Übereinstimmung der Aussage der Person und der festgestellten
Verletzungen einhalten). Ein ähnliches Protokoll sollte auch bei Nichtvorliegen einer
konkreten Anschuldigung erstellt werden, wenn es triftige Gründe für die Annahme einer
Misshandlung gibt. Es sollten Verfahren eingeführt werden, die sicherstellen, dass, wann
immer ein Arzt Verletzungen protokolliert, die mit den Behauptungen einer Misshandlung
durch die betroffene Person übereinstimmen (oder die, selbst bei Ausbleiben einer
Anschuldigung, eindeutig auf eine Misshandlung hindeuten), dieses Protokoll regelmäßig den
zuständigen gerichtlichen Stellen oder Strafverfolgungsbehörden vorgelegt wird.
Zusätzliche Schutzmaßnahmen für Kinder
97.
Das CPT erklärt, dass alles Erdenkliche unternommen werden sollte, um den
Freiheitsentzug eines minderjährigen „illegalen Migranten“ zu vermeiden.1 Nach dem
Grundsatz des „besten Kindeswohls“, wie in Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention
formuliert, ist der Freiheitsentzug bei Kindern, einschließlich unbegleiteten und getrennt
reisenden Kindern,2 selten gerechtfertigt und kann, nach Meinung des Komitees, sicherlich
nicht allein mit dem Fehlen einer Aufenthaltsgenehmigung gerechtfertigt werden.
1
Falls nicht klar ist, ob ein bestimmter illegaler Migrant minderjährig ist (i.e. jünger als 18
Jahre), sollte die betreffende Person so behandelt werden, als sei sie minderjährig, bis das Gegenteil
bewiesen ist.
2
„Unbegleitete Kinder” (auch unbegleitete Minderjährige) sind Kinder, die von den Eltern oder
anderen Verwandten getrennt wurden und die nicht von einem Erwachsenen versorgt werden, der laut
Gesetz oder Brauch dafür verantwortlich ist. „Getrennt reisende Kinder” sind Kinder, die von beiden
74
Wenn ein Kind ausnahmsweise inhaftiert wurde, sollte der Freiheitsentzug
möglichst kurz sein; alle erdenklichen Schritte müssen durchgeführt werden, um die
umgehende Freilassung von unbegleiteten oder getrennt reisenden Kindern aus der
Hafteinrichtung und die Unterbringung an einem geeigneteren Ort zu bewirken. Des Weiteren
sollten, angesichts der Schutzbedürftigkeit eines Kindes, zusätzliche Schutzmaßnahmen
angewendet werden, wenn ein Kind inhaftiert ist, insbesondere in jenen Fällen, in denen
Kinder von ihren Eltern oder anderen Betreuern getrennt wurden oder ohne Eltern, Betreuer
oder Verwandte reisen.
98.
Sobald den Behörden bekannt wird, dass ein Kind betroffen ist, sollte eine beruflich
qualifizierte Person in der Sprache, die das Kind versteht, ein erstes Gespräch mit dem Kind
führen. Er sollte eine Beurteilung über die speziellen Bedürfnisse des Kindes erstellt werden,
einschließlich im Hinblick auf Alter, Gesundheit, psychosoziale Faktoren und andere
Schutzbedürfnisse, einschließlich jenen, die sich aus Gewalt, Menschenhandel oder Traumata
ergeben. Unbegleitete oder allein reisende Kinder, denen die Freiheit entzogen wird, sollten
prompt freien Zugang zu einer rechtlichen oder anderen angemessenen Unterstützung
erhalten, einschließlich der Zuweisung eines Vormunds oder gesetzlichen Vertreters. Es
sollten außerdem Überprüfungsmechanismen eingeführt werden, um laufend die Qualität der
Vormundschaft zu überwachen.
99.
Es sollten Schritte unternommen werden, um in Einrichtungen, in denen Kindern
die Freiheit entzogen wird, die regelmäßige Anwesenheit eines Sozialarbeiters und eines
Psychologen und den persönlichen Kontakt mit diesen sicherzustellen. Eine
gemischtgeschlechtliche Zusammensetzung des Personals ist eine weitere Schutzmaßnahme
gegen Misshandlungen; die Anwesenheit von Frauen und Männern im Personal kann sich
positiv im Hinblick auf den Überwachungsethos auswirken und einen gewissen Grad von
Normalität in den Inhaftierungseinrichtungen schaffen. Kindern, denen die Freiheit entzogen
wurde, sollten konstruktive Aktivitäten angeboten werden (insbesondere im Hinblick auf die
schulische Ausbildung der Kinder).
100.
Um das Risiko von Ausbeutung zu begrenzen, sollten besondere Vorkehrungen für
die Unterkünfte getroffen werden, die für Kinder geeignet sind, z. B. durch eine von den
Erwachsenen getrennte Unterbringung, außer wenn zum Wohle des Kindes etwas Anderes
angeraten erscheint. Dies würde z. B. zutreffen, wenn Kinder von ihren Eltern oder anderen
engen Angehörigen begleitet werden. In diesem Fall sollte eine Trennung der Familie
unbedingt vermieden werden.
Elternteilen oder von ihrem vorherigen gesetzlichen oder gewohnheitsmäßigen Versorger getrennt
wurden, aber nicht notwendigerweise von anderen Verwandten. Diese können daher auch Kinder
einschließen, die von anderen erwachsenen Familienangehörigen begleitet werden.
75
Abschiebung ausländischer Staatsangehöriger auf dem
Luftwege
Auszug aus dem 13. Jahresbericht [CPT/Inf (2003) 35]
27.
Von Beginn seiner Aktivitäten an hat das CPT die Haftbedingungen von Personen
untersucht, denen ihre Freiheit nach ausländerrechtlichen Vorschriften entzogen wird, und
diese Problematik wurde in einem Abschnitt des 7. Jahresberichts des CPT behandelt
(CPT/Inf (97) 10, Ziffern 24 bis 36). Das CPT hat in jenem Bericht einige Grundregeln über
die Anwendung von Gewalt und Zwangsmitteln im Rahmen von Verfahren der Abschiebung
von Immigrationshäftlingen dargelegt.
28.
Die Besuche des CPT seit jenem Bericht haben es in die Lage versetzt, sein Wissen über
Praktiken bei der Abschiebung ausländischer Staatsangehöriger auf dem Luftwege inhaltlich
auszubauen. Bei seinen Besuchen hat sich das CPT konzentriert auf Verfahrensweisen bei
begleiteten Zwangsabschiebungen1 und auf eine Reihe von Fällen, auf die es aufmerksam gemacht
worden war, insbesondere wegen des Todes der zurückgeführten Person, des Ausmaßes der
angewandten Zwangsmittel und/oder aufgrund von Beschwerden über Misshandlung. Das CPT hat
seine Untersuchung nicht beschränkt auf die gegenüber der betroffenen Person angewandte
Verfahrensweise beim Besteigen des Flugzeuges und während des Fluges; es hat auch viele andere
Aspekte überprüft wie etwa die Haft vor der Abschiebung, Schritte zur Vorbereitung der Rückkehr
des Immigrationshäftlings in das Zielland, Maßnahmen zur Sicherstellung einer angemessenen
Auswahl und Schulung des Begleitpersonals, interne und externe Systeme zur Beobachtung des
Verhaltens des für Abschiebungsbegleitung verantwortlichen Personals, angewandte Maßnahmen
nach einem misslungenen Abschiebungsversuch usw.
29. Um eine detaillierte Untersuchung der bei Abschiebungsmaßnahmen angewandten
Verfahrensweisen und Mittel vornehmen zu können, hat sich das CPT die Texte der
einschlägigen Vorschriften und Richtlinien beschafft. Außerdem erhielt es Kopien zahlreicher
anderer Dokumente (Statistiken über Abschiebungsmaßnahmen, Begleitungsanordnungen,
Begleitungsberichte, Berichte über Zwischenfälle, Berichte im Rahmen von
Gerichtsverfahren, ärztliche Bescheinigungen usw.). Es hat zudem in diversen Ländern
eingehende Gespräche geführt mit den Leitern der für Abschiebungsmaßnahmen
verantwortlichen Stellen und mit vor Ort angetroffenen vor einer Abschiebung stehenden
Personen, von denen einige nach einem misslungenen Abschiebungsversuch in die
Hafteinrichtungen zurückgebracht worden waren.
1
Abschiebungsverfahren werden häufig nach einer Reihe von Faktoren klassifiziert, etwa nach
dem Ausmaß der anzuwendenden Gewalt, der eingesetzten Zwangsmittel und der Zahl der Personen, die
die abzuschiebende Person begleiten. Beispielsweise differenzierte eines der kürzlich besuchten Länder
zwischen Abschiebungen, bei denen kein Widerstand geleistet wurde, Zwangsabschiebungen ohne
Begleitung und Zwangsabschiebungen mit Begleitung. Im allgemeinen waren die problematischsten
Verfahren diejenigen, in denen Gewalt, mehrere Zwangsmittel und eine große Zahl von Begleitpersonen
bis zur Ankunft der abzuschiebenden Person im endgültigen Zielland kombiniert eingesetzt wurden.
76
30.
Nach seinen Besuchen verfasste das CPT eine Reihe von Richtlinien, die es den
betroffenen Ländern zur Befolgung empfahl. Um die generelle Anwendung dieser Richtlinien
in allen Vertragsstaaten der Konvention zu fördern, hat das Komitee beschlossen, im
folgenden die wichtigsten Prinzipien zusammenzustellen und zu kommentieren.
Selbstverständlich sind diese Prinzipien im Lichte der fundamentalen Verpflichtung
eines Staates zu verstehen, eine Person nicht in ein Land zu schicken, in dem stichhaltige
Gründe für die Annahme bestehen, dass sie einem realen Risiko ausgesetzt ist, Folter oder
Misshandlung unterworfen zu werden.
31.
Das CPT erkennt an, dass es häufig eine schwierige und anstrengende Aufgabe sein
kann, eine Abschiebungsentscheidung gegenüber einem ausländischen Staatsangehörigen
durchzusetzen, der entschlossen ist, auf dem Gebiet eines Staates zu bleiben. Im Lichte aller
Beobachtungen des CPT in unterschiedlichen Ländern – und besonders aufgrund der
Durchsicht einer Reihe von Abschiebungsakten, die Beschwerden über Misshandlung
enthielten – ist gleichfalls klar, dass Abschiebungsmaßnahmen auf dem Luftwege ein
offenkundiges Risiko unmenschlicher und erniedrigender Behandlung mit sich bringen.
Dieses Risiko besteht sowohl während der Vorbereitungen für die Abschiebung als auch
während des eigentlichen Fluges; es geht einher mit der Anwendung einiger bestimmter
Zwangsmittel/-methoden, und es erhöht sich, wenn solche Mittel/Methoden kombiniert zur
Anwendung kommen.
32.
Im Ausgangspunkt sollte in Erinnerung gerufen werden, dass es völlig
inakzeptabel ist, wenn Personen, gegen die eine Abschiebungsentscheidung vorliegt,
physisch angegriffen werden als eine Form der Überredung, ein Transportmittel zu
besteigen, oder als eine Bestrafung dafür, es nicht getan zu haben. Das CPT begrüßt die
Tatsache, dass sich diese Regel in vielen der einschlägigen Vorschriften in den besuchten
Ländern widerspiegelt. Beispielsweise verbieten einige der vom CPT untersuchten
Vorschriften die Anwendung von Zwangsmitteln, die dazu dienen sollen, den Ausländer
wegen Widerstandes zu bestrafen, oder die unnötigen Schmerz verursachen.
33.
Offensichtlich besteht, wenn eine Abschiebung vorgenommen wird, eines der
Hauptprobleme in der Anwendung von Gewalt und Zwangsmitteln durch Begleitpersonal.
Das CPT erkennt an, dass dieses Personal gelegentlich genötigt ist, Gewalt und Zwangsmittel
anzuwenden, um eine Abschiebung wirksam vorzunehmen; jedoch sollten nicht mehr
Gewalt und Zwangsmittel angewandt werden als vernünftigerweise erforderlich. Das
CPT begrüßt die Tatsache, dass in einigen Ländern die Anwendung von Gewalt und
Zwangsmitteln in Abschiebungsverfahren einer detaillierten Überprüfung im Lichte der
Prinzipien der Rechtmäßigkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Angemessenheit unterzogen
wird.
77
34.
Die Frage der Anwendung von Gewalt und Zwangsmitteln stellt sich von dem
Zeitpunkt an, in dem die betroffene inhaftierte Person aus der Zelle abgeholt wird, in der sie
während des Wartens auf die Abschiebung festgehalten wird (gleichgültig, ob sich diese Zelle
auf dem Flughafengelände, in einer Hafteinrichtung, einem Gefängnis oder einer
Polizeiwache befindet). Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Techniken, die das
Begleitpersonal anwendet, um die Person bewegungsunfähig zu machen, der gegenüber
Mittel des körperlichen Zwanges – wie etwa Stahlhandschellen oder Plastikstreifen –
eingesetzt werden sollen. In den meisten Fällen wird die inhaftierte Person im vollen Besitz
ihrer körperlichen Kräfte und fähig sein, sich gegen das Anbringen von Handschellen
gewaltsam zu wehren. In Fällen, in denen Widerstand geleistet wird, stellt das Begleitpersonal
üblicherweise die inhaftierte Person vollständig auf dem Boden ruhig, das Gesicht nach unten
gewendet, um Handschellen anzulegen. Wird eine inhaftierte Person in einer solchen Position
festgehalten, so bringt dies, insbesondere wenn das Begleitpersonal im Falle körperlichen
Widerstandes verschiedene Körperteile des Betroffenen mit seinem Gewicht belastet (Druck
auf den Brustkorb, Knie auf den Rücken, Ruhigstellung des Nackens), das Risiko
lagebedingter Erstickung1 mit sich.
Ein ähnliches Risiko besteht, wenn eine abzuschiebende Person sich körperlich
wehrt, nachdem sie auf einen Sitz im Flugzeug gebracht worden ist, und das Begleitpersonal
sie gewaltsam nötigt, sich nach vorne zu beugen und den Kopf zwischen die Knie zu nehmen,
wodurch der Brustkorb stark zusammengedrückt wird. In einigen Ländern ist die Anwendung
von Gewalt, um die Person auf diese Weise in ihrem Passagiersitz doppelt zu beugen, in der
Regel verboten; diese Methode der Ruhigstellung ist dort nur gestattet, wenn sie absolut
unabdingbar ist, um eine spezifische, kurze, autorisierte Maßnahme durchzuführen, wie etwa
das Anbringen, Überprüfen oder Abnehmen von Handschellen, und nur für die unbedingt zu
diesem Zweck benötigte Dauer.
Das CPT hat deutlich gemacht, dass die Anwendung von Gewalt und/oder
Zwangsmitteln, die zu lagebedingter Erstickung führen können, wann immer möglich
vermieden werden sollte, und dass eine etwaige Anwendung unter außergewöhnlichen
Umständen Gegenstand von Richtlinien sein muss, die darauf angelegt sind, die
Gesundheitsrisiken für die betroffene Person auf ein Minimum zu reduzieren.
Siehe insbesondere “Positional Asphyxia – Sudden Death”, US Department of Justice, Juni
1995, und die Materialien der Konferenz “Safer Restraint” in London, April 2002, unter der
Schirmherrschaft der UK Police Complaints Authority (vgl. www.pca.gov.uk).
1
78
35.
Das CPT hat mit Interesse die in bestimmten Ländern geltenden Richtlinien zur
Kenntnis genommen, denen zufolge Zwangsmittel während des Fluges entfernt werden
müssen (sobald der Abflugvorgang beendet ist). Wenn ausnahmsweise Zwangsmittel
beibehalten werden müssen, weil die abzuschiebende Person sich weiterhin aggressiv verhielt,
war das Begleitpersonal dort angewiesen, eine Decke über die Gliedmaßen des Ausländers zu
breiten (wie sie üblicherweise an Passagiere ausgegeben wird), um die Zwangsmittel vor den
anderen Passagieren zu verbergen.
Auf der anderen Seite können Vorschriften wie etwa diejenigen, die bis vor kurzem
in einem der besuchten Länder im Zusammenhang mit den problematischsten
Abschiebungsmaßnahmen praktiziert wurden, wonach die betroffenen Personen mit
Rücksicht auf ihre vermutete Gefährlichkeit Windeln tragen mussten und an der Benutzung
der Toilette während des Fluges gehindert wurden, nur zu einer erniedrigenden Situation
führen.
36.
Über die Vermeidung der oben erwähnten Risiken lagebedingter Erstickung hinaus
hat das CPT ein absolutes Verbot der Anwendung von Mitteln, die teilweise oder gänzlich
die Luftwege (Nase und/oder Mund) blockieren können, systematisch empfohlen.
Schwerwiegende Vorfälle, zu denen es im Verlauf von Abschiebungen in verschiedenen
Ländern während der letzten zehn Jahre gekommen ist, haben das beträchtliche Risiko für das
Leben der betroffenen Personen aufgezeigt, das mit der Anwendung dieser Methoden
verbunden ist (Knebeln des Mundes und/oder der Nase mit Klebeband, Pressen eines Kissens
oder eines gepolsterten Handschuhs auf das Gesicht, Drücken des Gesichts gegen die
Rückseite des Vordersitzes usw.). Das CPT wies bereits 1997 in seinem 7. Jahresbericht die
Vertragsstaaten der Konvention auf die Gefahren derartiger Methoden hin. Es stellt fest, dass
diese Praxis nunmehr in vielen Vertragsstaaten ausdrücklich verboten ist, und ersucht die
Staaten, die dies nicht bereits getan haben, ohne weitere Verzögerung dahingehende
bindende Vorschriften zu erlassen.
37.
Es ist von größter Bedeutung, dass bei einem Flugnotfall in der Luft die Rettung der
abzuschiebenden Person nicht behindert wird. Folglich muss es möglich sein, jegliche Mittel
zur Beschränkung der Bewegungsfreiheit der abzuschiebenden Person auf Anordnung
der Besatzung sofort zu entfernen.
Berücksichtigt werden sollten auch die mit dem sogenannten “Economy-classSyndrom” verbundenen gesundheitlichen Risiken für Personen, die sich lange Zeiträume auf
ihren Sitzen aufhalten müssen1.
Siehe insbesondere “Frequency and prevention of symptomless deep-vein thrombosis in longhaul flights: a randomised trial”, John Scurr et al, The Lancet, Vol. 357, 12. Mai 2001.
1
79
38.
Zwei bestimmte Punkte gaben dem CPT Anlass zur Sorge nach Besuchen in
bestimmten Ländern: Das Tragen von Masken durch Begleitpersonal und die Anwendung
handlungsunfähig machender oder reizender Gase, um Immigrationshäftlinge aus ihren Zellen
abzuführen und sie zum Flugzeug zu überstellen.
Nach Ansicht des CPT können Sicherheitserwägungen niemals dazu dienen, das
Tragen von Masken durch das Begleitpersonal bei Abschiebungsmaßnahmen zu
rechtfertigen. Diese Praxis ist unter keinen Umständen wünschenswert, da sie es sehr
schwierig machen könnte, im Falle von Beschwerden über Misshandlung die verantwortliche
Person festzustellen.
Das CPT hat gleichfalls sehr starke Vorbehalte im Hinblick auf die
Anwendung von handlungsunfähig machenden oder reizenden Gasen, um Widerstand
leistende Häftlinge unter Kontrolle zu bringen und sie sodann aus ihren Zellen
abzuführen und zum Flugzeug zu überstellen. Die Anwendung solcher Gase in sehr engen
Räumen wie etwa Zellen bringt offenkundige Risiken für die Gesundheit sowohl der
inhaftierten Person als auch des betroffenen Personals mit sich. Das Personal sollte in anderen
Kontrolltechniken ausgebildet werden (beispielweise manuellen Kontrolltechniken oder die
Anwendung von Schutzschilden), um einen Widerstand leistenden Häftling ruhigzustellen.
39.
Bestimmte Zwischenfälle, zu denen es bei Abschiebungsmaßnahmen gekommen
ist, haben aufgezeigt, wie wichtig es ist, Immigrationshäftlingen zu gestatten, sich ärztlich
untersuchen zu lassen, bevor die Abschiebungsentscheidung vollzogen wird. Diese
Vorkehrung ist besonders notwendig, wenn die Anwendung von Gewalt und/oder besonderen
Maßnahmen beabsichtigt werden.
Gleichfalls müssen alle Personen, deren Abschiebung fehlgeschlagen ist,
ärztlich untersucht werden, sobald sie in die Haft zurückgebracht werden (sei es in einer
Polizeiwache, einem Gefängnis oder einer besonderen Hafteinrichtung für Ausländer). Auf
diese Weise wird es möglich sein, den Gesundheitszustand der betroffenen Person zu
überprüfen und, falls nötig, eine Bescheinigung über etwaige Verletzungen auszustellen. Eine
solche Maßnahme könnte gleichermaßen das Begleitpersonal gegen unbegründete
Beschwerden schützen.
40.
Bei vielen Besuchen hat das CPT gehört, dass Immigrationshäftlingen
Medikamente mit beruhigender oder schmerzstillender Wirkung injiziert worden waren, um
sicherzustellen, dass ihre Abschiebung ohne Schwierigkeit vor sich gehe. Andererseits hat es
auch in bestimmten Ländern von Vorschriften erfahren, die die Verabreichung von
Beruhigungsmitteln oder anderen Medikamenten verbieten, um eine betreffende Person gegen
deren Willen unter Kontrolle zu bringen. Das CPT ist der Auffassung, dass die
Verabreichung
von
Medikamenten
an
Personen,
gegen
die
eine
Abschiebungsentscheidung vorliegt, immer auf der Grundlage einer im Einzelfall
getroffenen ärztlichen Entscheidung stattfinden muss. Außer unter klar und eng
definierten außergewöhnlichen Umständen sollten Medikamente nur mit der
informierten Einwilligung der betroffenen Person verabreicht werden.
80
41.
Der Abschiebung von Immigrationshäftlingen müssen Maßnahmen
vorausgehen, die den betroffenen Personen helfen, ihre Rückkehr insbesondere in
familiärer, beruflicher und psychologischer Hinsicht zu organisieren. Es ist sehr wichtig,
dass Immigrationshäftlinge hinreichend weit im voraus über ihre bevorstehende Abschiebung
informiert werden, so dass sie daran gehen können, sich auf die Situation psychisch
einzurichten, und imstande sind, die Personen zu informieren, deren Benachrichtigung sie für
erforderlich halten, und wieder an ihre persönliche Habe zu gelangen. Das CPT hat
beobachtet, dass eine über inhaftierten Personen dauernd schwebende Bedrohung
zwangsweiser Abschiebung ohne vorherige Benachrichtigung über das Abschiebungsdatum
geeignet ist, einen Angstzustand herbeizuführen, der während der Abschiebung den
Höhepunkt erreicht und häufig in einen gewaltsamen Erregungszustand übergehen kann. In
diesem Zusammenhang hat das CPT festgestellt, dass es in einigen der besuchten Länder
einen psychosozialen Dienst gab, der den für die Abschiebungsmaßnahmen verantwortlichen
Stellen angegliedert war, ausgestattet mit Psychologen und Sozialarbeitern, die insbesondere
dafür verantwortlich waren, Immigrationshäftlinge auf ihre Abschiebung vorzubereiten
(mittels eines andauernden Dialogs, Kontakten mit der Familie im Bestimmungsland usw.).
Das CPT begrüßt diese Initiativen und ersucht diejenigen Staaten, die dies nicht bereits
getan haben, solche Dienste einzurichten.
42.
Die angemessene Durchführung von Abschiebungsmaßnahmen hängt in
erheblichem Maße von der Qualität des Personals ab, das mit Begleitungsaufgaben betraut
wird. Das Begleitpersonal muss mit der größten Sorgfalt ausgewählt werden und eine
geeignete, spezifische Schulung erhalten, die dazu dient, das Risiko einer Misshandlung
auf ein Minimum zu reduzieren. Hiervon war die Praxis in den besuchten Vertragsstaaten
häufig weit entfernt. In einigen Ländern waren allerdings spezielle Schulungsmaßnahmen
organisiert worden (hinsichtlich Zwangsmethoden und -mittel, Stress- und
Konfliktmanagement usw.). Zudem hatten bestimmte Managementstrategien eine positive
Wirkung gezeigt: die Übertragung von Begleitungsaufgaben an freiwilliges Personal,
kombiniert mit obligatorischer Rotation (um das Syndrom beruflicher Erschöpfung und die
mit Routine verbundenen Risiken zu vermeiden, und um sicherzustellen, dass das betroffene
Personal eine gewisse gefühlsmäßige Distanz zu den Aktivitäten aufrecht erhielt, an denen es
beteiligt war) sowie auf Wunsch die Bereitstellung spezialisierter psychologischer Betreuung
für das Personal.
43.
Es kann nicht deutlich genug betont werden, wie wichtig es ist, in einem so
sensiblen Bereich wie dem der Abschiebungen auf dem Luftwege interne und externe
Beobachtungssysteme einzurichten. Das CPT hat festgestellt, dass spezifische
Beobachtungssysteme in vielen Ländern bedauerlicherweise erst nach besonders
schwerwiegenden Vorfällen wie etwa dem Tod abzuschiebender Personen eingeführt worden
waren.
81
44.
Abschiebungsmaßnahmen müssen sorgfältig dokumentiert werden. Die
Einrichtung einer umfassenden Akte und eines Abschiebungsregisters für alle Operationen
der betroffenen Stellen ist von grundlegender Bedeutung. Informationen über fehlgeschlagene
Abschiebungsversuche sollte besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden; und insbesondere
sollten die Gründe für den Abbruch einer Abschiebungsmaßnahme (eine Entscheidung des
Begleitteams aufgrund von Verwaltungsanordnungen, eine Weigerung des Flugkapitäns,
gewaltsamer Widerstand seitens der abzuschiebenden Person, ein Asylgesuch usw.)
systematisch aufgezeichnet werden. Die aufgezeichneten Informationen sollten jeden
Zwischenfall und jede Anwendung von Zwangsmitteln (Handschellen, Schellen an Füßen und
Knien, Anwendung von Selbstverteidigungstechniken; das Tragen der abzuschiebenden
Person an Bord usw.) umfassen.
Andere Mittel, beispielsweise audiovisueller Natur, können gleichfalls ins Auge
gefasst werden. Sie werden in einigen der besuchten Länder angewandt, insbesondere
bei Abschiebungen, bei denen ein problematischer Verlauf erwartet wird. Darüber hinaus
könnten in manchen Bereichen Überwachungskameras installiert werden (Zugangskorridore
zu den Zellen, die Route der Begleiter und der abzuschiebenden Person zu dem Fahrzeug, das
sie zum Flugzeug bringt usw.)
45.
Es ist gleichfalls nützlich, wenn jede Abschiebungsmaßnahme, bei der
Schwierigkeiten vorhersehbar sind, von einer Führungsperson der zuständigen Stelle
beobachtet wird, die die Operation zu jedem Zeitpunkt unterbrechen kann. In einigen
der besuchten Länder gab es nach den Feststellungen des CPT Stichproben sowohl während
der Vorbereitungen für die Abschiebung als auch beim Besteigen des Flugzeuges, die von
Mitgliedern interner Polizeiüberwachungsgremien vorgenommen wurden. Darüber hinaus
bestiegen in einer zugegebenermaßen begrenzten Zahl von Fällen Mitglieder der
Überwachungsgremien das Flugzeug incognito und beobachteten somit die abzuschiebende
Person und die Begleitung bis zur Ankunft am Bestimmungsort. Das CPT kann diese
Initiativen nur begrüßen, die es gegenwärtig in Europa noch viel zu selten gibt.
Darüber hinaus möchte das CPT die Rolle hervorheben, die externe (auch
gerichtliche) Überwachungsbehörden, ob national oder international, bei der Verhütung
von Misshandlung bei Abschiebungsmaßnahmen spielen. Diese Behörden sollten alle
Entwicklungen in diesem Bereich genau im Auge behalten, mit besonderem Blick auf die
Anwendung von Gewalt und Zwangsmitteln und den Schutz der Grundrechte der Personen,
die auf dem Luftwege abgeschoben werden.
82
V.
Jugendliche, denen die Freiheit entzogen ist
Auszug aus dem 9. Jahresbericht [CPT/Inf (99)12]
Einführende Bemerkungen
20.
In einigen seiner früheren Jahresberichte hat das CPT die Leitkriterien für seine
Arbeit an einer Vielzahl von Haftorten dargelegt, darunter Polizeiwachen, Gefängnisse,
Hafteinrichtungen für Immigrationshäftlinge und psychiatrische Einrichtungen.
Das Komitee wendet diese Kriterien, soweit sie angemessen sind, auch im Hinblick
auf Jugendliche (d. h. Personen unter 18 Jahre) an, denen die Freiheit entzogen ist. Jedoch sind
Jugendliche - ungeachtet der Gründe für ihre Freiheitsentziehung - von Natur aus verletzlicher
als Erwachsene. Folglich ist besondere Wachsamkeit vonnöten, um sicherzustellen, dass ihr
körperliches und seelisches Wohlbefinden adäquat geschützt ist. Um die Bedeutung
hervorzuheben, die es der Verhütung der Misshandlung Jugendlicher im Freiheitsentzug
beimisst, hat das CPT sich entschlossen, dieses Kapitel seines 9. Jahresberichts der
Beschreibung einiger der spezifischen Anliegen, die es in diesem Bereich verfolgt, zu widmen.
In den folgenden Abschnitten stellt das Komitee eine Reihe von Schutzvorkehrungen
gegen Misshandlung dar, welche seiner Auffassung nach allen Jugendlichen geboten werden
sollten, denen die Freiheit entzogen ist, bevor es sich den Bedingungen zuwendet, die in
Spezialhafteinrichtungen für Jugendliche vorherrschen sollten. Das Komitee hofft, hierdurch den
nationalen Behörden eindeutige Hinweise über seine Ansicht in Bezug auf die Art der
Behandlung solcher Personen zu geben. Wie in früheren Jahren würde das CPT Kommentare zu
diesem inhaltlichen Abschnitt seines Jahresberichts willkommen heißen.
21.
Das Komitee möchte zu Beginn betonen, dass alle von ihm entwickelten Standards
in diesem Bereich als eine Ergänzung derjenigen Standards gesehen werden sollten, die in
einem Gefüge anderer internationaler Instrumente festgelegt sind, darunter die Konvention
der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes von 1989, die Standardminimumregeln
der Vereinten Nationen für die Jugendgerichtsbarkeit (die Beijing Rules) von 1985, die
Regeln der Vereinten Nationen für den Schutz von Jugendlichen, denen die Freiheit entzogen
ist, von 1990 und die Richtlinien der Vereinten Nationen für die Verhütung von
Jugendkriminalität (die Riyadh Guidelines) von 1990.
Das Komitee möchte auch seine Zustimmung zu einem der Hauptprinzipien zum
Ausdruck bringen, die in den oben genannten Instrumenten enthalten sind: nämlich, dass
Jugendlichen ihre Freiheit nur als letzte Möglichkeit und für den kürzestmöglichen Zeitraum
entzogen werden sollte (vgl. Artikel 37 lit. b der Konvention über die Rechte des Kindes und
Regeln Nr. 13 und 19 der Beijing Rules).
83
Schutzvorkehrungen gegen die Misshandlung von Jugendlichen
22.
In Anbetracht seines Mandats ist es die erste Priorität des CPT bei Besuchen an
Orten, an denen Jugendlichen ihre Freiheit entzogen ist, festzustellen, ob sie absichtlicher
Misshandlung unterworfen werden. Die bisherigen Feststellungen des Komitees legen nahe,
dass dies in den meisten Einrichtungen, die es besucht, vergleichsweise selten vorkommt.
23.
Jedoch erscheint es - wie es bei Erwachsenen der Fall ist - dass Jugendliche eher
Gefahr laufen, in Polizeieinrichtungen absichtlich misshandelt zu werden, als an anderen
Haftorten. In der Tat haben Delegationen des CPT bei mehr als einer Gelegenheit glaubhaftes
Beweismaterial gesammelt, wonach Jugendliche unter den Personen waren, die durch
Polizeibeamte gefoltert oder auf andere Weise misshandelt wurden.
In diesem Zusammenhang hat das CPT betont, dass während des Zeitraums
unmittelbar nach Beginn des Freiheitsentzuges das Folter- und Misshandlungsrisiko am
größten ist. Folglich ist es wesentlich, dass alle Personen, denen die Freiheit entzogen ist
(einschließlich Jugendlicher), von dem Zeitpunkt an, in dem sie erstmalig verpflichtet sind,
bei der Polizei zu verbleiben, das Recht, einen Verwandten oder eine andere dritte Partei von
der Tatsache ihrer Inhaftierung zu benachrichtigen, das Recht auf Zugang zu einem
Rechtsanwalt und das Recht auf Zugang zu einem Arzt haben.
Über diese Schutzvorkehrungen hinaus erkennen einige Rechtsordnungen an, dass
die inhärente Verletzlichkeit Jugendlicher zusätzliche Vorsorgemaßnahmen erfordert. Zu
diesen gehört es, Polizeibeamte formell zu verpflichten, selbst sicherzustellen, dass eine
geeignete Person über die Tatsache verständigt wird, dass ein Jugendlicher festgenommen
worden ist (unabhängig davon, ob der Jugendliche darum ersucht hat). Die Lage kann auch so
sein, dass Polizeibeamte nicht berechtigt sind, einen Jugendlichen zu vernehmen, wenn nicht
solch eine geeignete Person und/oder ein Rechtsanwalt anwesend ist. Das CPT begrüßt diesen
Ansatz.
24.
In einer Reihe anderer besuchter Einrichtungen wurde den Delegationen des CPT
mitgeteilt, dass es für das Personal nicht unüblich war, Jugendlichen, die sich schlecht
betrugen, einen gelegentlichen „pädagogischen Klaps" zu geben. Das Komitee ist der
Auffassung, dass im Interesse der Misshandlungsprävention jede Form körperlicher
Züchtigung sowohl formell verboten als auch in der Praxis vermieden werden muss. Insassen,
die sich schlecht betragen, sollten nur in Übereinstimmung mit den vorgeschriebenen
Disziplinarverfahren behandelt werden.
84
25.
Die Erfahrung des Komitees legt auch nahe, dass Misshandlungen von
Jugendlichen, wenn sie auftreten, häufiger aus dem Fehlen adäquaten Schutzes der
betroffenen Personen vor Übergriffen resultieren als aus einer bewussten Absicht, Leid
zuzufügen. Ein wichtiges Element jeder Strategie, solche Übergriffe zu verhüten, ist die
Beachtung des Prinzips, dass inhaftierte Jugendliche in der Regel getrennt von Erwachsenen
untergebracht werden sollten.
Das CPT hat unter anderem folgende Beispiele für eine Missachtung dieses Prinzips
beobachtet: männliche erwachsene Gefangene wurden in Zellen für männliche Jugendliche
untergebracht, häufig in der Absicht, dass sie die Kontrolle über diese Zellen aufrecht
erhalten; weibliche Jugendliche wurden gemeinsam mit weiblichen erwachsenen Gefangenen
untergebracht; jugendliche Psychiatriepatienten teilten ihre Unterkunft mit chronisch kranken
erwachsenen Patienten.
Das Komitee räumt ein, dass es Ausnahmesituationen geben kann (z.B. wenn
Kinder und Eltern als Immigrationshäftlinge festgehalten werden), in denen es eindeutig im
besten Interesse der Jugendlichen ist, nicht von bestimmten Erwachsenen getrennt zu werden.
Jedoch bringt die gemeinsame Unterbringung von Jugendlichen mit nicht verwandten
Erwachsenen unvermeidlich die Möglichkeit von Beherrschung und Ausbeutung mit sich.
26.
Gemischtgeschlechtliches Personal ist eine andere Schutzvorkehrung gegen
Misshandlung in Hafteinrichtungen, insbesondere wenn Jugendliche betroffen sind. Die
Anwesenheit sowohl von männlichem als auch von weiblichem Personal kann sich sowohl im
Hinblick auf das Ethos der Verwahrung positiv auswirken als auch einen Grad an Normalität
in den Hafteinrichtungen begünstigen.
Gemischtgeschlechtliches
Personal
ermöglicht
auch
entsprechenden
Personaleinsatz, wenn geschlechtssensible Aufgaben wie etwa Durchsuchungen durchgeführt
werden müssen. In dieser Hinsicht möchte das CPT betonen, dass Personen, denen die
Freiheit entzogen ist, unabhängig vom ihrem Alter nur durch Personal des gleichen
Geschlechts durchsucht werden sollten und dass jede Durchsuchung, bei welcher der Insasse
sich ausziehen muss, nur außerhalb des Sichtfeldes von Bewachungspersonal des anderen
Geschlechts durchgeführt werden sollte; dieses Prinzip gilt a fortiori im Hinblick auf
Jugendliche.
27.
Schließlich haben die Delegationen des CPT in einer Reihe der besuchten
Einrichtungen Bewachungspersonal beobachtet, das in unmittelbaren Kontakt mit
Jugendlichen kam und offen Schlagstöcke trug. Eine derartige Praxis ist nicht dienlich, um
positive Beziehungen zwischen Personal und Insassen zu fördern. Vorzugsweise sollte das
Bewachungspersonal überhaupt keine Schlagstöcke tragen. Falls dies dennoch als
unabdingbar erachtet wird, empfiehlt das CPT, die Schlagstöcke verdeckt zu tragen.
85
Hafteinrichtungen für Jugendliche
1. Einführung
28.
Nach Ansicht des CPT sollten alle Jugendlichen, denen die Freiheit aufgrund einer
strafrechtlichen Anklage oder Verurteilung entzogen ist, in Hafteinrichtungen festgehalten
werden, die speziell für Personen dieses Alters vorgesehen sind, die ein Haftregime bieten,
das auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist, und deren Personal im Umgang mit Jugendlichen
geschult ist.
Überdies bedarf die Betreuung von Jugendlichen in Haft besonderer
Anstrengungen, um das Risiko einer langfristigen sozialen Fehlanpassung zu mindern. Dies
verlangt nach einem multidisziplinären Ansatz, der sich auf die Fertigkeiten einer Reihe von
Berufsgruppen stützt (darunter Lehrer, Ausbilder und Psychologen), um auf die individuellen
Bedürfnisse von Jugendlichen innerhalb einer sicheren erzieherischen und
sozialtherapeutischen Umgebung einzugehen.
2. Materielle Haftbedingungen
29.
Eine gute Jugendhafteinrichtung wird für positive und persönliche Haftbedingungen
von jungen Personen sorgen, denen die Freiheit entzogen ist. Die Schlaf- und Wohnbereiche
der Jugendlichen sollten eine angemessene Größe aufweisen, gut beleuchtet und belüftet sein;
zusätzlich sollten sie passend möbliert und in gutem Renovierungszustand sein und
angemessene visuelle Anregungen bieten. Sofern keine zwingenden Sicherheitsgründe
dagegen sprechen, sollte den Jugendlichen erlaubt sein, eine angemessene Menge
persönlicher Gegenstände zu behalten.
30.
Das CPT möchte hinzufügen, dass es in bestimmten Einrichtungen eine Tendenz
beobachtet hat, die persönlichen hygienischen Bedürfnisse weiblicher Häftlinge einschließlich
junger Mädchen zu ignorieren. Für diese Haftpopulation ist sowohl der leichte Zugang zu
Sanitär- und Waschanlagen als auch die Versorgung mit Hygieneartikeln wie etwa
Damenbinden von besonderer Wichtigkeit. Das Versäumnis, solche Grundnotwendigkeiten
zur Verfügung zu stellen, kann für sich genommen eine erniedrigende Behandlung bedeuten.
3. Aktivitätenregime
31.
Das Fehlen sinnvoller Aktivitäten ist für jeden Gefangenen schädlich; besonders
schädlich ist es für Jugendliche, die ein besonderes Bedürfnis nach körperlichen Aktivitäten
und intellektueller Anregung haben. Jugendlichen, denen die Freiheit entzogen ist, sollte ein
volles Programm von Erziehung, Sport, Berufsausbildung, Freizeit und anderer sinnvoller
Aktivitäten angeboten werden. Leibeserziehung sollte einen wichtigen Teil dieses Programms
bilden.
86
Es ist besonders wichtig, dass Mädchen und junge Frauen, denen die Freiheit
entzogen ist, gleichberechtigt mit ihren männlichen Mithäftlingen Zugang zu solchen
Aktivitäten haben. Allzu häufig hat das CPT weibliche Jugendliche angetroffen, denen
Aktivitäten angeboten werden, die stereotyp als „angemessen" für sie bezeichnet werden (wie
etwa Nähen oder Handarbeiten), während männlichen Jugendlichen Ausbildungsmaßnahmen
von weit mehr berufsbezogener Natur angeboten werden. In diesem Zusammenhang möchte
das CPT seine Zustimmung zu dem Prinzip äußern, das in der Regel 26.4 der Beijing Rules
festgelegt ist und besagt, dass jede Anstrengung unternommen werden muss, sicherzustellen,
dass weibliche Jugendliche, denen die Freiheit entzogen ist, „unter keinen Umständen
weniger Fürsorge, Schutz, Beistand, Behandlung und Ausbildung erhalten als junge
männliche Straftäter. Ihre faire Behandlung muss sichergestellt sein."
32.
Zu den Regimes einer Reihe von Jugendhafteinrichtungen, die das Komitee besucht
hat, gehörten allgemeine Systeme von Anreizen (incentives), welche den Jugendlichen
erlauben, als Gegenleistung für erwünschtes Verhalten zusätzliche Privilegien zu erlangen.
Es ist nicht Sache des CPT, eine Meinung über den sozialerzieherischen Wert
solcher Systeme zu äußern. Jedoch achtet es in besonderem Maße auf den Inhalt des
Grundregimes, das Jugendlichen in solchen Systemen geboten wird, und darauf, ob die Art, in
der sie innerhalb eines Systems vorrücken (und zurückfallen) können, adäquate
Schutzvorkehrungen gegen willkürliche Entscheidungen des Personals einschließt.
4. Personalfragen
33.
Die Bewachung und Betreuung von Jugendlichen, denen die Freiheit entzogen ist,
ist eine besonders herausfordernde Aufgabe. Die Personen zur Erfüllung dieser Aufgabe
sollten sorgfältig ausgewählt werden, im Hinblick sowohl auf ihre persönliche Reife als auch
auf ihre Fähigkeit zur Bewältigung der Herausforderung, mit dieser Altersgruppe zu arbeiten
und ihr Wohlergehen zu schützen. Insbesondere sollten sie sich der Arbeit mit jungen
Menschen verpflichtet fühlen und fähig sein, die Jugendlichen in ihrer Obhut anzuleiten und
zu motivieren. Alle Mitglieder des Personals einschließlich derjenigen, die reine
Bewachungsfunktionen ausüben, sollten sowohl in der Einführungsphase als auch
berufsbegleitend fachlich gebildet werden und bei der Ausübung ihrer Pflichten geeignete
externe Unterstützung und Aufsicht erhalten.
Überdies sollte die Leitung solcher Einrichtungen Personen mit großem
Führungsgeschick anvertraut werden, die über die Fähigkeit verfügen, wirksam auf die
komplexen und konkurrierenden Ansprüche einzugehen, die ihnen sowohl von den
Jugendlichen als auch vom Personal entgegengebracht werden.
87
5. Kontakt mit der Außenwelt
34.
Das CPT misst der Aufrechterhaltung eines guten Kontaktes mit der Außenwelt für
alle Personen, denen die Freiheit entzogen ist, beträchtliche Bedeutung bei. Das Leitprinzip
sollte die Förderung des Kontaktes mit der Außenwelt sein; jede Begrenzung derartiger
Kontakte sollte ausschließlich aufgrund beachtlicher Sicherheitsbedenken oder aus Gründen
begrenzter Ressourcen vorgenommen werden.
Die aktive Förderung solcher Kontakte kann besonders vorteilhaft für Jugendliche
sein, denen die Freiheit entzogen ist; viele von ihnen haben möglicherweise
Verhaltensprobleme im Zusammenhang mit emotionaler Deprivation oder einem Mangel an
Sozialkompetenz.
Das CPT möchte zudem betonen, dass der Kontakt eines Jugendlichen mit der
Außenwelt niemals als Disziplinarmaßnahme eingeschränkt oder verweigert werden sollte.
6. Disziplin
35.
Einrichtungen, in denen Jugendlichen die Freiheit entzogen werden kann, sehen
nahezu einheitlich Disziplinarmaßnahmen vor, die auf Insassen anzuwenden sind, die sich
schlecht betragen.
In diesem Zusammenhang ist das CPT besonders besorgt über die Verbringung von
Jugendlichen in isolationsähnliche Haft, eine Maßnahme, die ihre körperliche und/ oder
seelische Unversehrtheit beeinträchtigen kann. Das Komitee ist der Auffassung, dass der
Rückgriff auf eine solche Maßnahme als eine große Ausnahme betrachtet werden muss. Falls
Jugendliche getrennt von anderen festgehalten werden, sollte dies für den kürzestmöglichen
Zeitraum geschehen, und jedenfalls sollte ihnen ausreichend menschlicher Kontakt
gewährleistet sein, Zugang zu Lesestoff gewährt und jeden Tag mindestens eine Stunde
Bewegung an der frischen Luft angeboten werden.
Jedes Disziplinarverfahren, das auf Jugendliche angewendet wird, sollte von
formellen Schutzvorkehrungen begleitet und ordnungsgemäß schriftlich aufgenommen
werden. Insbesondere sollten die Jugendlichen das Recht haben, zu dem Gegenstand des
Vergehens, dessen sie verdächtigt werden, gehört zu werden, und gegen jede ihnen auferlegte
Sanktion eine höhere Behörde anrufen zu können; die genauen Einzelheiten aller solcher
Sanktionen sollten in ein Register aufgenommen werden, das in jeder Einrichtung, wo
Jugendlichen die Freiheit entzogen wird, zu führen ist.
88
7. Beschwerde- und Inspektionsverfahren
36.
Wirksame Beschwerde- und Inspektionsverfahren
Schutzvorkehrungen gegen Misshandlungen in Jugendeinrichtungen.
sind
grundlegende
Den Jugendlichen sollten Beschwerdewege sowohl innerhalb als auch außerhalb des
Verwaltungssystems der Einrichtungen offen stehen, und sie sollten einen Anspruch auf
vertraulichen Zugang zu einer geeigneten Behörde haben.
Das CPT hält es zudem für besonders wichtig, dass jede Jugendeinrichtung
regelmäßig durch ein unabhängiges Gremium besucht wird (z.B. ein Besucherausschuss oder
ein Richter), das die Befugnis hat, Beschwerden der Jugendlichen entgegenzunehmen - und,
falls notwendig, angemessene Maßnahmen zu ergreifen - und die Unterbringung und Anlagen
zu inspizieren.
8. Medizinische Fragen
37.
Bei der Erörterung der Probleme von Gefängnisgesundheitsdiensten in seinem
dritten Jahresbericht (vgl. CPT/Inf (93) 12, Ziff. 30 bis 77) hat das CPT eine Reihe
allgemeiner Kriterien dargelegt, die seine Arbeit leiten (Zugang zu einem Arzt,
Gleichwertigkeit der Fürsorge, Einwilligung des Patienten und Vertraulichkeit, präventive
Gesundheitsfürsorge, berufliche Unabhängigkeit und berufliche Kompetenz). Diese Kriterien
gelten mit gleicher Bedeutung für Jugendhafteinrichtungen.
38.
Selbstverständlich schenkt das CPT den spezifisch medizinischen Bedürfnissen von
Jugendlichen, denen die Freiheit entzogen ist, besondere Aufmerksamkeit.
Es ist besonders wichtig, dass der den Jugendlichen gebotene Gesundheitsdienst
einen integralen Bestandteil eines multidisziplinären (medizinisch-psychisch-sozialen)
Fürsorgeprogrammes darstellt. Dies impliziert unter anderem eine enge Koordination der
Arbeit des Gesundheitsfürsorgeteams der Einrichtung (Ärzte, Krankenschwestern,
Psychologen etc.) mit derjenigen der anderen Fachkräfte (darunter Sozialarbeiter und Lehrer),
die regelmäßigen Kontakt mit Insassen haben. Das Ziel sollte sein, sicherzustellen, dass
Gesundheitsfürsorge für Jugendliche, denen die Freiheit entzogen ist, einen Teil eines
lückenlosen Netzes aus Unterstützung und Therapie bildet.
Auch ist es wünschenswert, dass der Inhalt des Fürsorgeprogrammes einer
Hafteinrichtung schriftlich niedergelegt wird und allen Mitgliedern des Personals, die für die
Teilnahme daran in Frage kommen, zugänglich gemacht wird.
89
39.
Alle Jugendlichen, denen die Freiheit entzogen ist, sollten nach ihrer Aufnahme in
die Hafteinrichtung so schnell wie möglich von einem Arzt gründlich befragt und körperlich
untersucht werden; wenn keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen, sollte die
Befragung/Untersuchung am Tag der Aufnahme durchgeführt werden. Jedoch könnte der
erste Kontakt eines neu angekommenen Jugendlichen mit dem Gesundheitsdienst auch eine
voll ausgebildete Krankenschwester sein, die dem Arzt Bericht erstattet.
Bei
ordnungsgemäßer
Durchführung
sollte
diese
medizinische
Eingangsuntersuchung dem Gesundheitsdienst der Einrichtung ermöglichen, junge Personen
mit möglichen Gesundheitsproblemen (z.B. Drogenabhängigkeit, Suizidgefährdung) zu
identifizieren. Die Identifizierung solcher Probleme in einem hinreichend frühen Stadium
erleichtert die Ergreifung wirksamer Vorbeugemaßnahmen im Rahmen des
medizinisch-psychisch-sozialen Fürsorgeprogramms der Einrichtung.
40.
Ferner ist es selbstverständlich, dass es allen Jugendlichen, denen die Freiheit
entzogen ist, jederzeit möglich sein sollte, vertraulichen Zugang zu einem Arzt zu erhalten,
unabhängig von ihrem Haftregime (auch in Disziplinarhaft). Angemessener Zugang zu
unterschiedlicher fachärztlicher (insbesondere zahnärztlicher) Betreuung sollte gleichfalls
gewährleistet sein.
41.
Die Aufgabe des Gesundheitsdienstes an jedem Haftort sollte nicht auf die
Behandlung kranker Patienten begrenzt sein; er sollte auch mit der Verantwortung für Sozialund Präventivmedizin betraut sein. In diesem Zusammenhang möchte das CPT zwei Aspekte
von besonderem Interesse für Jugendliche, denen die Freiheit entzogen ist, hervorheben,
nämlich die Ernährung der Insassen und die Gesundheitserziehung.
Das Gesundheitsfürsorgepersonal sollte eine aktive Rolle bei der Kontrolle der
Qualität des Essens spielen, welches den Insassen angeboten wird. Dies ist besonders wichtig
für Jugendliche, die möglicherweise noch nicht ausgewachsen sind. In solchen Fällen können
die Konsequenzen mangelhafter Ernährung schneller offenkundig werden - und
schwerwiegender sein - als bei denjenigen, die bereits ihre volle körperliche Reife erreicht
haben.
Es ist gleichfalls allgemein anerkannt, dass Jugendliche, denen die Freiheit
entzogen ist, dazu neigen, sich auf risikoträchtiges Verhalten einzulassen, besonders im
Hinblick auf Drogen (einschließlich Alkohol) und Sex. Folglich ist die Durchführung von
Gesundheitserziehung abgestimmt auf junge Personen ein wichtiges Element eines
Programms zur vorbeugenden Gesundheitsfürsorge. Insbesondere sollte ein solches
Programm die Verbreitung von Informationen über die Risiken des Drogenmissbrauches und
übertragbare Krankheiten enthalten.
90
VI.
Frauen, denen die Freiheit entzogen ist
Auszug aus dem 10. Jahresbericht [CPT/Inf (2000) 13]
Vorbemerkungen
21.
In einigen seiner früheren Jahresberichte hat das CPT die Leitkriterien für seine Arbeit an
einer Vielzahl von Haftorten dargelegt, darunter Polizeiwachen, Gefängnisse, Hafteinrichtungen für
Immigrationshäftlinge, psychiatrische Einrichtungen und Hafteinrichtungen für Jugendliche.
Selbstverständlich wendet das Komitee diese Kriterien sowohl auf Männer als auch auf
Frauen an, denen die Freiheit entzogen ist. Jedoch sind weibliche Insassen in allen Staaten des
Europarates eine vergleichsweise kleine Minderheit der Personen, denen die Freiheit entzogen ist.
Dies kann es für die Staaten sehr kostspielig werden lassen, gesonderte Vorkehrungen für Frauen in
Haft zu treffen, mit dem Ergebnis, dass sie oft in einer kleinen Anzahl von Örtlichkeiten
festgehalten werden (gelegentlich weit entfernt von ihren Wohnorten und denen etwaiger
minderjähriger Kinder), in Gebäuden, die ursprünglich für männliche Gefangene konzipiert waren
(und womöglich mit solchen geteilt werden). Unter diesen Umständen muss besondere Sorgfalt
darauf verwandt werden, sicherzustellen, dass Frauen, denen die Freiheit entzogen ist, in einer
sicheren und annehmbaren Gewahrsamsumgebung festgehalten werden.
Um die Wichtigkeit zu unterstreichen, die es der Verhütung der Misshandlung von
Frauen beimisst, denen die Freiheit entzogen ist, hat das CPT sich dazu entschlossen, dieses
Kapitel seines 10. Jahresberichtes einigen spezifischen Anliegen zu widmen, die das CPT in
diesem Bereich verfolgt. Das Komitee hofft, hierdurch den nationalen Behörden eindeutige
Hinweise über seine Ansichten in bezug auf die Art der Behandlung von Frauen zu geben,
denen die Freiheit entzogen ist. Wie in früheren Jahren würde das CPT Kommentare zu
diesem inhaltlichen Abschnitt seines Jahresberichts begrüßen.
22.
Es sollte vorweg betont werden, dass die Anliegen des CPT im Hinblick auf die in
diesem Kapitel aufgezeigten Probleme unabhängig von der Art des Ortes der Freiheitsentziehung
Anwendung finden. Nichtsdestotrotz zeigt die Erfahrung des CPT, dass möglicherweise das Risiko
für die physische und/oder psychische Integrität von Frauen, denen die Freiheit entzogen ist, in dem
Zeitraum unmittelbar nach der Ergreifung erhöht ist. Folglich sollte besondere Aufmerksamkeit
darauf gerichtet sein, dass die im folgenden dargelegten Kriterien in dieser Phase beachtet werden.
Das Komitee möchte ferner hervorheben, dass jegliche Standards, die es in diesem
Bereich entwickeln mag, als Ergänzung gesehen werden sollten zu denjenigen anderer
internationaler Instrumente wie etwa der Europäischen Menschenrechtskonvention, der
Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, der Konvention der
Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau und des
Grundsatzkatalogs der Vereinten Nationen für den Schutz aller irgendeiner Form von Haft
oder Strafgefangenschaft unterworfenen Personen.
91
Gemischtgeschlechtliches Personal
23.
Wie das CPT in seinem 9. Jahresbericht betont hat, ist gemischtgeschlechtliches
Personal eine Schutzvorkehrung gegen Misshandlung in Hafteinrichtungen. Die Anwesenheit
von männlichem und weiblichem Personal kann sich sowohl im Hinblick auf das Ethos der
Verwahrung positiv auswirken als auch einen Grad an Normalität in den Hafteinrichtungen
begünstigen.
Gemischtgeschlechtliches
Personal
ermöglicht
auch
entsprechenden
Personaleinsatz, wenn geschlechtssensible Aufgaben wie etwa Durchsuchungen durchgeführt
werden müssen. In diesem Zusammenhang möchte das CPT nochmals betonen, dass
Personen, denen die Freiheit entzogen ist, nur durch Personal des gleichen Geschlechts
durchsucht werden sollten und dass jede Durchsuchung, bei der ein Insasse sich ausziehen
muss, außerhalb des Sichtfeldes von Bewachungspersonal des anderen Geschlechts
durchgeführt werden sollte.
Getrennte Unterbringung für Frauen, denen die Freiheit entzogen ist
24.
Die Sorgfaltspflicht eines Staates gegenüber Personen, denen die Freiheit entzogen
ist, schließt auch die Pflicht ein, sie vor anderen zu schützen, die ihnen möglicherweise
Schaden zufügen wollen. Das CPT hört gelegentlich Beschwerden von Frauen über
Misshandlung durch Frauen. Häufiger sind Beschwerden über Misshandlung festgehaltener
Frauen durch Männer (besonders über sexuelle Belästigung einschließlich verbaler
Beschimpfungen sexuellen Inhalts), insbesondere wenn der Staat für Frauen, denen die
Freiheit entzogen ist, keine getrennten Unterkünfte mit überwiegend weiblichem
Wachpersonal bereitstellt.
Prinzipiell sollten Frauen, denen die Freiheit entzogen ist, räumlich getrennt von
den mit Männern besetzten Unterkünften in derselben Einrichtung untergebracht werden.
Abgesehen davon haben einige Staaten begonnen, Vorkehrungen zu treffen, um Eheleute
(denen beide die Freiheit entzogen ist) gemeinsam unterzubringen, und/oder ein gewisses
Maß an gemischtgeschlechtlichem Umgang in Gefängnissen zu ermöglichen. Das CPT
begrüßt solche fortschrittlichen Arrangements, vorausgesetzt, die einbezogenen Gefangenen
nehmen freiwillig teil, werden sorgfältig ausgewählt und ausreichend überwacht.
92
Gleicher Zugang zu Aktivitäten
25. Frauen, denen die Freiheit entzogen ist, sollten gleichberechtigt mit ihren männlichen
Mithäftlingen Zugang zu sinnvollen Aktivitäten (Arbeit, Aus- und Fortbildung, Sport etc.)
haben. Wie das Komitee in seinem letzten Jahresbericht erwähnte, haben Delegationen des
CPT allzu häufig weibliche Insassen angetroffen, denen als für sie “angemessen” bezeichnete
Aktivitäten angeboten werden (wie etwa Nähen oder Handarbeiten), während männlichen
Gefangenen Ausbildungsmaßnahmen von weit mehr berufsbezogener Natur angeboten
werden.
Aus der Sicht des CPT kann ein derart diskriminierender Ansatz nur eine Stärkung
antiquierter Stereotypen über die soziale Rolle der Frau begünstigen. Frauen den
gleichberechtigten Zugang zum Aktivitätenregime zu verweigern, könnte überdies je nach den
Umständen als erniedrigende Behandlung eingestuft werden.
Geburtsvorsorge und –nachsorge
26.
Jede Anstrengung sollte unternommen werden, um den besonderen
Nahrungsbedürfnissen inhaftierter schwangerer Frauen nachzukommen; die ihnen angebotene
Kost sollte reich an Proteinen, frischen Früchten und Gemüse sein.
27.
Es ist selbstverständlich, dass Babys nicht in einem Gefängnis geboren werden
sollten, und es ist wohl normale Praxis in den Mitgliedstaaten des Europarates, zu einem
angemessenen Zeitpunkt die inhaftierten schwangeren Frauen in ein externes Krankenhaus zu
überführen.
Nichtsdestotrotz trifft das CPT von Zeit zu Zeit auf Fälle, in denen Schwangere
während der gynäkologischen Untersuchung und/oder der Entbindung an Betten oder andere
Möbelstücke angekettet oder anderweitig festgebunden werden. Ein derartiger Ansatz ist
völlig inakzeptabel und könnte gewiss als unmenschliche und erniedrigende Behandlung
qualifiziert werden. Andere Mittel zur Wahrung der Sicherheitserfordernisse können und
sollten gefunden werden.
28.
Viele Frauen im Gefängnis sind primäre Bezugspersonen von Kindern oder anderen
Personen, deren Wohlergehen durch ihre Haft nachteilig betroffen sein kann. 1
Eine besonders problematische Frage in diesem Zusammenhang ist, ob – und wenn
ja, für wie lange – es Babys und kleinen Kindern möglich sein sollte, bei ihren Müttern im
Gefängnis zu bleiben. Diese Frage ist schwierig zu beantworten, da auf der einen Seite
Gefängnisse offenkundig keine angemessene Umgebung für Babys und kleine Kinder
darstellen, während andererseits die zwangsweise Trennung von Müttern und Kleinkindern in
keinem Falle wünschenswert ist.
1
Siehe auch Empfehlung 1469 (2000) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
über Mütter und Babys im Gefängnis.
93
29.
Aus Sicht des CPT muss das Leitprinzip in allen Fällen das Wohl des Kindes sein.
Dies bedeutet insbesondere, dass jede in Haft vorgenommene Geburtsvorsorge und -nachsorge
den in der Außenwelt verfügbaren Leistungen gleichwertig sein sollte. Dort, wo Babys und
kleine Kinder in einer Haftumgebung untergebracht sind, sollte ihre Behandlung durch
Spezialisten für Sozialarbeit und Kindesentwicklung überwacht werden. Das Ziel sollte die
Herstellung einer kindgerechten Umwelt sein, frei von sichtbaren Zeichen der
Freiheitsentziehung wie etwa Uniformen und rasselnde Schlüssel.
Auch sollten Vorkehrungen getroffen werden, die sicherstellen, dass sich die
motorischen und kognitiven Fertigkeiten der Babys in Gefängnissen normal entwickeln.
Insbesondere sollten sie ausreichend Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten innerhalb des
Gefängnisses haben und, wann immer möglich, Gelegenheit bekommen, die Einrichtung zu
verlassen und Erfahrungen mit dem normalen Leben außerhalb der Mauern zu machen.
Wenn Familienmitgliedern außerhalb der Einrichtung erleichtert wird, sich um das
Kind zu kümmern, so kann dies dabei mithelfen, die Last der Kindererziehung zu teilen (z.B.
mit dem Vater des Kindes). Wo dies nicht möglich ist, sollte erwogen werden, Zugang zu
Einrichtungen nach Art einer Kinderkrippe zu ermöglichen. Solche Arrangements können die
weiblichen Gefangenen in die Lage versetzen, sich an der Arbeit oder anderen Aktivitäten
innerhalb des Gefängnisses in einem größeren Ausmaß als sonst möglich zu beteiligen.
Hygiene- und Gesundheitsfragen
30.
Das Komitee möchte gleichfalls die Aufmerksamkeit auf eine Reihe von Hygieneund Gesundheitsfragen lenken, hinsichtlich derer sich die Bedürfnisse von Frauen, denen die
Freiheit entzogen ist, bedeutend von denen der Männer unterscheiden.
31.
Die besonderen Hygienebedürfnisse von Frauen sollten in einer angemessenen
Weise berücksichtigt werden. Jederzeitiger Zugang zu Sanitär- und Wascheinrichtungen,
sichere Beseitigungsmöglichkeiten für blutbefleckte Gegenstände und die Bereitstellung von
Hygieneartikeln wie Binden und Tampons sind von besonderer Bedeutung. Das Versäumnis,
solche Dinge von grundlegender Notwendigkeit bereitzustellen, kann für sich genommen
einer erniedrigenden Behandlung gleichkommen.
94
32.
Es ist gleichermaßen wichtig, dass die Gesundheitsfürsorge für Personen, denen
die Freiheit entzogen ist, einen Standard aufweist, der demjenigen gleichwertig ist, den die
Patienten in Freiheit genießen.
Soweit Frauen betroffen sind, denen die Freiheit entzogen ist, verlangt das Prinzip
gleichwertiger Versorgung, dass die Gesundheitsfürsorge in den Händen von Ärzten und
Krankenschwestern liegt, die in Fragen der Frauengesundheit einschließlich Gynäkologie
besonders ausgebildet sind.
Überdies sollten besonders wichtige Vorsorgeuntersuchungen für Frauen, etwa im
Hinblick auf Brust- und Gebärmutterhalskrebs, soweit sie in Freiheit verfügbar sind, auch
Frauen angeboten werden, denen die Freiheit entzogen ist.
Gleichwertigkeit der Fürsorge erfordert auch, dass das Recht einer Frau auf
körperliche Integrität an Haftorten ebenso wie in Freiheit geachtet wird. Daher sollten dort,
wo Frauen in Freiheit die sogenannte “Pille danach” und/oder andere Arten der Abtreibung in
späteren Phasen der Schwangerschaft zur Verfügung stehen, sie den Frauen, denen die
Freiheit entzogen ist, unter denselben Bedingungen zur Verfügung gestellt werden.
33.
Prinzipiell sollte es Gefangenen, die vor ihrer Haft eine Behandlung begonnen
haben, ermöglicht werden, diese in der Haft fortzusetzen. In diesem Zusammenhang sollten
Bemühungen gemacht werden, um sicherzustellen, dass adäquate Vorräte an speziellen
Medikamenten, die für Frauen erforderlich sind, in Hafteinrichtungen erhältlich sind.
Im Hinblick insbesondere auf die Anti-Baby-Pille sollte man sich in Erinnerung
rufen, dass dieses Medikament auch aus anderen medizinischen Gründen als zur
Empfängnisverhütung verschrieben werden kann (z.B. zur Linderung von
Menstruationsbeschwerden). Die Tatsache, dass die Inhaftierung einer Frau – für sich gesehen
– die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis vermindert, ist kein ausreichender Grund für die
Versagung dieses Medikaments.
95
VII.
Straflosigkeit bekämpfen
Auszug aus dem 14. Jahresbericht [CPT/Inf (2004) 28]
25.
Hauptzweck des CPT ist die "Verhütung" von Folter und unmenschlicher oder
erniedrigender Behandlung oder Strafe; es richtet seinen Blick eher auf die Zukunft als auf die
Vergangenheit. Jedoch gehört als ein wesentlicher Bestandteil zum präventiven Mandat des
Komitees, die Wirksamkeit von Maßnahmen gegenüber geschehenen Misshandlungen zu
beurteilen, in Anbetracht der Auswirkungen solcher Maßnahmen auf zukünftiges Verhalten.
Die Glaubwürdigkeit des Verbots von Folter und anderen Misshandlungsformen
leidet mit jedem Fall, in dem Amtspersonen, die für solche Delikte verantwortlich sind, für
ihre Handlungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Wenn Informationen zutage treten,
die auf Misshandlung hindeuten, und darauf keine sofortige und wirksame Reaktion erfolgt,
werden diejenigen, denen der Sinn danach steht, Personen zu misshandeln, denen die Freiheit
entzogen ist, leicht zu dem Glauben kommen – und dies aus gutem Grunde – dass sie dies
straflos tun können. Alle Anstrengungen, Menschenrechtsprinzipien durch strikte
Einstellungspolitik und berufliche Aus- und Fortbildung zu fördern, werden untergraben.
Indem sie es unterlassen, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, tragen die betroffenen Personen
– Mitarbeiter, Vorgesetzte, Untersuchungsbehörden – letztlich zum Verfall der Werte bei,
welche die Fundamente einer demokratischen Gesellschaft bilden.
Wenn hingegen Amtspersonen, die Folter und Misshandlung anordnen,
genehmigen, dulden oder selbst vornehmen, für ihre Handlungen oder Unterlassungen vor
Gericht gebracht werden, liegt darin die unzweideutige Botschaft, dass solches Verhalten
nicht toleriert wird. Abgesehen von ihrer erheblichen Abschreckungswirkung wird diese
Botschaft der allgemeinen Öffentlichkeit die Bestätigung vermitteln, dass niemand über dem
Gesetz steht, auch nicht diejenigen, die für seine Wahrung verantwortlich sind. Das Wissen,
dass die für Misshandlung Verantwortlichen vor Gericht gestellt worden sind, wird gleichfalls
eine vorteilhafte Wirkung auf die Opfer haben.
26.
Die Bekämpfung von Straflosigkeit muss im eigenen Bereich, d.h. innerhalb der
betroffenen Dienststelle (Polizei- oder Justizvollzugsdienst, Militärbehörde etc.) beginnen.
Allzu oft führt Korpsgeist zur Bereitschaft, zusammenzuhalten und sich gegenseitig zu helfen,
wenn Beschwerden über Misshandlung erhoben werden, und sogar rechtswidrige Handlungen
von Kollegen zu verdecken. Erforderlich sind positive Maßnahmen, durch Aus- und
Fortbildung und vorbildhaftes Verhalten eine Kultur zu fördern, in der es als unprofessionell
erachtet wird – und als Risiko für die Karriere – mit Kollegen zu arbeiten und zu verkehren,
die zu Misshandlung greifen, und in der es als korrekt und beruflich lohnend empfunden wird,
zu einem Team zu gehören, das sich solcher Handlungen enthält.
96
Es muss eine Atmosphäre geschaffen werden, in der es als das Richtige gilt, von
Kollegen begangene Misshandlungen zu melden; es muss eine klare Verständigung
dahingehend bestehen, dass die Schuld für Misshandlung sich über die eigentlichen Täter
hinaus auf jeden erstreckt, der weiß oder wissen sollte, dass Misshandlungen geschehen, und
sie nicht verhütet oder meldet. Dies erfordert sowohl die Existenz einer klaren Berichtslinie
als auch das Ergreifen von Schutzmaßnahmen für Hinweisgeber.
27.
In vielen vom CPT besuchten Staaten stellen Folter und andere Taten wie
Misshandlung im Amt, Aussageerpressung, Amtsmissbrauch etc. spezifische Straftaten dar,
die von Amts wegen verfolgt werden. Das CPT begrüßt die Existenz derartiger
Rechtsvorschriften.
Gleichwohl hat das CPT festgestellt, dass die Strafverfolgungsbehörden in
bestimmten Ländern über einen erheblichen Ermessensspielraum im Hinblick auf die
Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen verfügen, wenn Informationen in Bezug auf die
mögliche Misshandlung von Personen, denen die Freiheit entzogen ist, ans Licht kommen.
Nach Ansicht des Komitees sollten solche Behörden auch bei Fehlen einer formellen
Beschwerde stets rechtlich verpflichtet sein, strafrechtliche Ermittlungen einzuleiten,
sobald sie aus beliebiger Quelle glaubhafte Informationen erhalten, dass es zur Misshandlung
von Personen, denen die Freiheit entzogen ist, gekommen sein könnte. In diesem
Zusammenhang werden die rechtlichen Rahmenbedingungen für Verantwortlichkeit gestärkt,
wenn Amtspersonen (Polizeibeamte, Gefängnisdirektoren etc.) formell verpflichtet werden,
die zuständigen Behörden immer sofort zu benachrichtigen, wenn ihnen Informationen zur
Kenntnis gelangen, die auf Misshandlung hindeuten.
28.
Die Existenz eines angemessenen rechtlichen Rahmens bietet für sich genommen
noch keine hinreichende Garantie dafür, dass geeignete Maßnahmen hinsichtlich möglicher
Misshandlungsfälle ergriffen werden. Es ist sorgfältig darauf zu achten, die zuständigen
Behörden für die wichtigen Verpflichtungen, die ihnen obliegen, zu sensibilisieren.
Wenn Personen, die von Gesetzesvollzugsbehörden festgehalten werden, vor
staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Organe gebracht werden, bietet ihnen dies eine
wertvolle Gelegenheit, anzugeben, ob sie misshandelt worden sind oder nicht. Zudem sind
diese Organe auch bei Fehlen einer ausdrücklichen Beschwerde in der Lage, rechtzeitig
Maßnahmen zu ergreifen, wenn es andere Indizien gibt (z. B. sichtbare Verletzungen, das
allgemeine Erscheinungsbild oder Verhalten einer Person), dass es zu Misshandlungen
gekommen sein könnte.
Im Verlauf seiner Besuche trifft das CPT allerdings häufig Personen an, die
behaupten, sich bei Staatsanwälten oder Richtern über Misshandlungen beschwert zu haben,
ihre Gesprächspartner jedoch daran nur geringes Interesse gezeigt hätten, selbst wenn sie
Verletzungen an sichtbaren Körperteilen aufwiesen. Die Existenz derartiger Vorkommnisse
konnte gelegentlich durch Feststellungen des CPT bestätigt werden. Beispielsweise hat das
CPT kürzlich eine gerichtliche Verfahrensakte überprüft, die über die Aufnahme von
Misshandlungsbeschwerden hinaus auch verschiedene Blutergüsse und Schwellungen im
97
Gesicht, auf den Beinen und auf dem Rücken der betroffenen Person vermerkte. Ungeachtet
der Tatsache, dass die in die Akte aufgenommenen Informationen als prima facie Beweis für
Misshandlung gedeutet werden könnten, leiteten die zuständigen Behörden keine Ermittlung
ein und waren nicht imstande, eine plausible Erklärung für ihre Untätigkeit zu geben.
Es ist gleichfalls nicht ungewöhnlich, dass Personen behaupten, sie hätten Angst
gehabt, sich über Misshandlung zu beschweren, weil bei der Anhörung vor dem Staatsanwalt
oder Richter genau dieselben Gesetzesvollzugsbeamten anwesend gewesen seien, die sie
vernommen hätten, oder dass ihnen ausdrücklich mit der Begründung, dies sei ihrem Wohl
nicht dienlich, von einer Beschwerde abgeraten worden sei.
Es ist unumgänglich, dass Strafverfolgungs- und Gerichtsbehörden entschlossen
tätig werden, wenn Informationen beliebiger Art zutage treten, die auf eine Misshandlung
hindeuten. Gleichfalls müssen sie Verfahren in einer Weise führen, die den betroffenen
Personen eine echte Gelegenheit bietet, eine Aussage über die Art und Weise ihrer
Behandlung zu machen.
29.
Beschwerden über Misshandlungen angemessen zu beurteilen, ist oft eine nicht
gerade einfache Angelegenheit. Bestimmte Misshandlungstypen (wie etwa Erstickung oder
Elektroschocks) hinterlassen keine offenkundigen Spuren, jedenfalls wenn sie mit einem
gewissen Geschick vorgenommen werden. Wenn Personen dazu veranlasst werden,
stundenlang in einer unbequemen Position zu stehen, zu knien oder zu hocken, oder ihnen der
Schlaf entzogen wird, wird dies vermutlich ebenfalls keine klar identifizierbaren Spuren
hinterlassen. Sogar Schläge auf den Körper hinterlassen möglicherweise nur leichte physische
Spuren, die schwer wahrzunehmen sind und schnell verblassen. Folglich sollten
Strafverfolgungs- und Gerichtsbehörden, wenn ihnen Beschwerden über derartige
Misshandlungsformen zur Kenntnis gelangen, besonders sorgfältig darauf achten, dem Fehlen
körperlicher Spuren keine übermäßige Bedeutung beizumessen. Dasselbe gilt a fortiori, wenn
die behauptete Misshandlung hauptsächlich psychischer Natur ist (sexuelle Demütigung,
Drohungen gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit der festgehaltenen Person
und/oder ihrer Familie, etc.). Um die Richtigkeit von Misshandlungsvorwürfen angemessen
beurteilen zu können, mag es durchaus erforderlich sein, alle betroffenen Personen zu
vernehmen und rechtzeitig einen Lokalaugenschein oder fachärztliche Untersuchungen
anzuordnen.
Immer wenn sich vor Strafverfolgungs- oder Gerichtsbehörden gebrachte
Straftatverdächtige über Misshandlung beschweren, sollten diese Beschwerden schriftlich
festgehalten werden, es sollte sofort eine rechtsmedizinische Untersuchung (ggfs. auch durch
einen forensischen Psychiater) angeordnet, und es sollten die notwendigen Schritte eingeleitet
werden, um eine ordnungsgemäße Prüfung der Beschwerden sicherzustellen. In dieser Weise
sollte verfahren werden, unabhängig davon, ob die betroffene Person sichtbare äußere
Verletzungen aufweist oder nicht. Auch bei Fehlen einer ausdrücklichen Beschwerde über
Misshandlung sollte immer dann um eine rechtsmedizinische Untersuchung ersucht werden,
wenn es andere Gründe für die Annahme gibt, dass eine Person das Opfer einer Misshandlung
geworden sein könnte.
98
30.
Es ist ebenfalls wichtig, dass keine Barrieren errichtet werden sollten zwischen
Personen, die sich über Misshandlungen beschweren (und die möglicherweise bereits
entlassen worden sind, ohne vor einen Staatsanwalt oder Richter gebracht worden zu sein),
und Ärzten, die von den Strafverfolgungs- und Gerichtsbehörden anerkannte
rechtsmedizinische Berichte anfertigen können. Beispielsweise sollte der Zugang zu einem
solchen Arzt nicht von der vorherigen Genehmigung einer Ermittlungsbehörde abhängig
gemacht werden.
31.
Das CPT hatte in zahlreichen Besuchsberichten die Gelegenheit, die Aktivitäten
derjenigen Behörden zu beurteilen, die in Fällen behaupteter Misshandlungen befugt sind,
amtliche Ermittlungen durchzuführen und strafrechtliche Anklage oder eine
Disziplinarbeschwerde zu erheben. Hierbei berücksichtigt das Komitee die Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ebenso wie die Maßstäbe, die in einem
Spektrum anderer internationaler Instrumente enthalten sind. Es ist nunmehr ein bewährter
Grundsatz, dass effektive Untersuchungen, die zur Identifikation und Bestrafung der für
Misshandlungen Verantwortlichen führen können, unbedingt erforderlich sind, um dem
Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe praktische
Bedeutung zu verleihen.
Wenn dieser Grundsatz respektiert werden soll, müssen die für Untersuchungen
verantwortlichen Behörden sowohl personell als auch materiell mit allen nötigen Ressourcen
ausgestattet werden. Ferner müssen Untersuchungen bestimmte grundlegende Kriterien
erfüllen.
32.
Wenn eine Untersuchung möglicher Misshandlung effektiv sein soll, ist es
unbedingt erforderlich, dass die für ihre Durchführung verantwortlichen Personen unabhängig
sind von denjenigen, die in die Ereignisse verwickelt sind. In bestimmten Rechtsordnungen
müssen alle Misshandlungsbeschwerden gegen die Polizei oder andere Amtspersonen einem
Staatsanwalt unterbreitet werden, und es ist letzterer – nicht die Polizei – der bestimmt, ob
strafrechtliche Ermittlungen bezüglich einer Beschwerde eröffnet werden sollen; das CPT
begrüßt eine solche Vorgehensweise. Allerdings ist es nicht ungewöhnlich, dass die laufende
Verantwortung für die operative Durchführung von Ermittlungen auf im Dienst stehende
Gesetzesvollzugsbeamte zurück übertragen wird. Die Beteiligung des Staatsanwalts erschöpft
sich dann darin, diese Beamten damit zu beauftragen, Nachforschungen anzustellen, den
Eingang des Ergebnisses zu bestätigen und zu entscheiden, ob strafrechtliche Anklagen
erhoben werden sollen oder nicht. Es ist wichtig sicherzustellen, dass die betroffenen
Beamten nicht demselben Dienst entstammen wie diejenigen, deren Verhalten untersucht
wird. Idealerweise sollten diejenigen, die mit der operativen Durchführung der Untersuchung
beauftragt sind, völlig unabhängig von der betroffenen Dienststelle sein. Des weiteren müssen
die Strafverfolgungsbehörden eine enge und wirksame Aufsicht über die operative
Durchführung von Ermittlungen ausüben, die sich auf eine mögliche Misshandlung durch
Amtspersonen richtet. Ihnen sollten klare Leitlinien gegeben werden im Hinblick auf die Art
und Weise, in der sie solche Ermittlungen zu überwachen haben.
99
33.
Eine Untersuchung möglicher Misshandlung durch Amtspersonen muss das
Kriterium der Gründlichkeit erfüllen. Sie muss geeignet sein, zu einer Entscheidung darüber
zu führen, ob Gewalt oder andere angewandte Methoden unter den jeweiligen Umständen
gerechtfertigt waren oder nicht, zur Identifizierung und in geeigneten Fällen zur Bestrafung
der Betroffenen. Diese Verpflichtung richtet sich nicht auf ein bestimmtes Ergebnis, sondern
auf die eingesetzten Mittel. Sie erfordert, dass alle vernünftigen Schritte unternommen
werden, um Beweise über den Vorfall zu sichern, so unter anderem die vorgeblichen Opfer,
Verdächtigen und Augenzeugen (z. B. Polizeibeamte im Dienst, andere inhaftierte Personen)
zu identifizieren und zu vernehmen, Instrumente zu beschlagnahmen, die möglicherweise für
Misshandlungen verwendet wurden, und Spuren zu sichern. Im gegebenen Fall sollte eine
Autopsie stattfinden, die die Verletzungen vollständig und genau feststellt und die klinischen
Befunde einschließlich der Todesursache objektiv analysiert.
Die Untersuchung muss gleichfalls in umfassender Weise durchgeführt werden. Das
CPT ist Fällen begegnet, in denen trotz zahlreicher behaupteter, mit möglicher Misshandlung
verbundener Vorfälle und Fakten der Umfang der Untersuchung unangemessen begrenzt war
und wesentliche Geschehnisse und Begleitumstände, die auf Misshandlung hindeuteten, außer
acht gelassen wurden.
34.
In diesem Zusammenhang möchte das CPT klarstellen, dass es starke Bedenken im
Hinblick auf die in vielen Ländern beobachtete Praxis hat, derzufolge Gesetzesvollzugs- oder
Gefängnisbeamte Masken oder Sturmhauben tragen, wenn sie Festnahmen vornehmen,
Vernehmungen durchführen oder mit Unruhen im Gefängnis zu tun haben; es ist klar, dass
hierdurch die Identifizierung möglicher Verdächtiger behindert wird, falls und sobald es zu
Beschwerden über Misshandlungen kommt. Diese Praxis sollte strikter Kontrolle unterliegen,
und von ihr sollte nur in hinreichend gerechtfertigten Ausnahmefällen Gebrauch gemacht
werden; sie wird kaum jemals, wenn überhaupt, im Gefängnisbereich gerechtfertigt sein.
Gleichfalls sollte die in bestimmten Ländern zu findende Praxis, Personen in
Polizeigewahrsam die Augen zu verbinden, ausdrücklich verboten werden; sie kann die
Einleitung strafrechtlicher Verfahren gegen diejenigen, die foltern oder misshandeln, in
schwerwiegender Weise behindern, und sie hat diese Wirkung in einigen dem CPT bekannten
Fällen gehabt.
35.
Um effektiv zu sein, muss die Untersuchung auch prompt und verhältnismäßig
zügig durchgeführt werden. Das CPT hat Fälle erlebt, in denen die notwendigen
Untersuchungshandlungen in ungerechtfertigter Weise verzögert wurden oder in denen den
Strafverfolgungs- oder Gerichtsbehörden nachweislich der erforderliche Wille fehlte, die
ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel zu nutzen, um auf Beschwerden oder
andere Anzeichen für Misshandlungen zu reagieren. Diese Untersuchungen wurden auf
unbestimmte Zeit ausgesetzt oder eingestellt, und den in Misshandlungen verwickelten
Gesetzesvollzugsbeamten gelang es, strafrechtlicher Verantwortlichkeit völlig zu entgehen.
Mit anderen Worten, die Reaktion auf zwingende Beweise für schwerwiegendes
Fehlverhalten bestand in einer "Untersuchung", die es nicht verdient, als eine solche
bezeichnet zu werden.
100
36.
Über die oben genannten Kriterien für eine effektive Untersuchung hinaus sollte ein
hinreichendes Element öffentlicher Kontrolle der Untersuchung oder ihrer Ergebnisse
vorhanden sein, um Verantwortlichkeit in der Praxis wie in der Theorie sicherzustellen. Das
Ausmaß an öffentlicher Kontrolle kann durchaus von Fall zu Fall unterschiedlich sein. In
besonders schwerwiegenden Fällen mag eine öffentliche Untersuchung angebracht sein. In
allen Fällen muss das Opfer (oder, je nach Lage des Falles, seine Angehörigen) in das
Verfahren in dem Ausmaß einbezogen werden, das zur Wahrung seiner legitimen Interessen
erforderlich ist.
37.
Disziplinarverfahren bieten eine zusätzliche Art der Wiedergutmachung bei
Misshandlungen und können parallel zu Strafverfahren stattfinden. Die disziplinarische
Verantwortung der betroffenen Amtspersonen sollte systematisch geprüft werden, unabhängig
von der Feststellung, ob das fragliche Fehlverhalten eine Straftat darstellt. Das CPT empfiehlt
eine Reihe verfahrensmäßiger Schutzvorkehrungen, die in diesem Zusammenhang beachtet
werden sollten; zum Beispiel sollten Entscheidungsgremien in polizeilichen
Disziplinarverfahren zumindest ein unabhängiges Mitglied enthalten.
38.
Ermittlungen möglicher disziplinarischer Verfehlungen von Amtspersonen können
durch eine separate interne Untersuchungsabteilung innerhalb der Organisationsstrukturen der
betroffenen Dienststellen vorgenommen werden. Allerdings unterstützt das CPT
nachdrücklich die Schaffung völlig unabhängiger Untersuchungsorgane. Ein solches Organ
sollte die Befugnis haben, die Einleitung von Disziplinarverfahren anzuordnen.
Ungeachtet der formalen Struktur des Untersuchungsorgans sollte seine Funktion
nach Auffassung des CPT in geeigneter Weise publik gemacht werden. Neben der
Möglichkeit, dass Personen sich direkt bei dieser Stelle beschweren, sollte es für öffentliche
Behörden wie die Polizei verpflichtend gemacht werden, alle Eingaben zu registrieren, die
eine Beschwerde darstellen könnten; zu diesem Zweck sollten geeignete Formblätter
eingeführt werden, die bestätigen, dass eine Beschwerde empfangen wurde und die
Angelegenheit verfolgt werden wird.
Wenn in einem bestimmten Fall festgestellt wird, dass das Verhalten der
betroffenen Amtspersonen strafbar sein könnte, sollte das Untersuchungsorgan stets – ohne
Verzug – die zuständigen Strafverfolgungsbehörden direkt benachrichtigen.
39.
Mit großer Sorgfalt sollte sichergestellt werden, dass Personen, die möglicherweise
Opfer einer Misshandlung durch Amtspersonen geworden sind, nicht davon abgehalten
werden, eine Beschwerde einzureichen. Regelmäßiger Überprüfung unterliegen sollten
beispielsweise die potentiell negativen Wirkungen der für solche Amtspersonen bestehenden
Möglichkeit, ein Verfahren wegen Verleumdung gegen eine Person einzuleiten, die sie
fälschlicherweise einer Misshandlung beschuldigt. Der Ausgleich zwischen widerstreitenden
legitimen Interessen muss in schonender Weise hergestellt werden. In diesem Zusammenhang
wird Bezug genommen auf einige Punkte, die bereits in Ziffer 28 hervorgehoben wurden.
101
40.
Jegliches Beweismaterial für eine Misshandlung durch Amtspersonen, die in
Zivilprozessen zutage treten, verdient gleichfalls sorgfältige Prüfung. Beispielsweise hat das
CPT in Fällen, in denen es aus Gründen, zu denen behauptete polizeiliche Übergriffe
gehörten, zu erfolgreichen Schadensersatzforderungen oder zu außergerichtlichen
Vergleichen kam, empfohlen, eine unabhängige Überprüfung vorzunehmen. Eine solche
Überprüfung sollte zu einer Entscheidung darüber führen, ob in Anbetracht der Natur und der
Schwere der Beschwerden gegen die betroffenen Polizeibeamten die Frage der Einleitung
eines Disziplinar- oder Strafverfahrens (erneut) erwogen werden sollte.
41.
Es ist selbstverständlich, dass eine Untersuchung, mag sie auch noch so effektiv
sein, von geringem Nutzen sein wird, wenn die für Misshandlung verhängten Sanktionen
inadäquat sind. Wenn Misshandlungen erwiesen sind, sollte eine angemessene Strafe folgen.
Dies wird eine sehr stark abschreckende Wirkung ausüben. Umgekehrt kann die Verhängung
von milden Strafen nur ein Klima der Straflosigkeit fördern.
Natürlich sind Gerichte unabhängig und daher frei darin, innerhalb der gesetzlichen
Rahmenbedingungen die Strafe in jedem Einzelfall festzulegen. Jedoch muss mittels dieser
Rahmenbedingungen die Absicht des Gesetzgebers klar gemacht werden, dass die
Strafgerichte hinsichtlich Folter und anderer Formen von Misshandlung eine strenge Haltung
einnehmen sollten. Gleichfalls sollten die Sanktionen, die der Feststellung disziplinarischer
Verantwortlichkeit folgen, der Schwere des Falles entsprechen.
42.
Schließlich darf niemand im geringsten Zweifel bezüglich des Engagements der
staatlichen Behörden für die Bekämpfung der Straflosigkeit gelassen werden. Dies wird die
Aktivitäten auf allen anderen Ebenen untermauern. Wenn nötig, sollten die Behörden nicht
zögern, durch eine förmliche Stellungnahme auf höchster politischer Ebene die klare
Botschaft zu übermitteln, dass es gegenüber Folter und anderen Formen von Misshandlung
"null Toleranz" geben darf.
102
VIII. Elektroimpulswaffen
Auszug aus dem 20. Jahresbericht [CPT/Inf (2010) 28]
Einleitung
65.
In den Ländern, die das Komitee gegen Folter (CPT) besucht, werden Polizisten
und andere Angehörige der Ordnungskräfte immer häufiger mit Elektroimpulswaffen (engl.
EDW = electrical discharge weapons) ausgestattet, und in einigen Ländern hat das CPT auch
beobachtet, dass solche Waffen an das Personal in Haftorten (insbesondere in Gefängnissen)
ausgegeben werden. Es gibt verschiedene Arten von Elektroimpulswaffen, die von
Elektroschlagstöcken und anderen Handgeräten, die einen direkten Kontakt mit der
Zielperson erfordern, bis zu Waffen reichen, die pfeilähnliche Projektile abfeuern, die einer
etwas entfernt stehenden Person einen Elektroschock zufügen.
66.
Der Einsatz von Elektroimpulswaffen durch Ordnungskräfte und andere Beamte
wird kontrovers diskutiert. Es gibt widerstreitende Ansichten sowohl im Hinblick auf die
konkreten Umstände, in denen ein Rückgriff auf diese Waffen gerechtfertigt ist, als auch die
potenziellen negativen Folgen auf die Gesundheit, die diese Waffen verursachen können.
Außerdem ist es eine Tatsache, dass Elektroimpulswaffen durch ihre Beschaffenheit zum
Missbrauch einladen. Das CPT hat bei mehreren Gelegenheiten glaubwürdige Beweise
gesammelt, dass diese Waffen missbraucht werden, um schwere Misshandlungen an Personen
vorzunehmen, denen die Freiheit entzogen wurde, und der Ausschuss hat häufig von
Behauptungen erfahren, dass inhaftierte Personen mit Misshandlungen durch
Elektroimpulswaffen bedroht wurden.
67.
Das CPT hat das Thema Elektroimpulswaffen bereits mehrmals in seinen
Besuchsberichten angesprochen. In den folgenden Absätzen wird das CPT seine derzeitige
Position hervorheben und auf einige Problembereiche aufmerksam zu machen. Das CPT
würde Kommentare zu diesem Abschnitt seines Jahresberichts begrüßen, damit es seine
eigene Standards in Bezug auf dieses komplexe Thema weiterentwickeln kann.
Allgemeine Grundsätze
68.
Das CPT versteht das Bestreben der nationalen Behörden, ihre Ordnungskräfte mit
Mitteln auszustatten, die eine abgestufte Reaktion in gefährlichen Situationen gestattet, mit
denen sie konfrontiert werden. Zweifelsohne kann der Besitz von weniger lebensgefährlichen
Waffen, z.B. einer Elektroimpulswaffe, es in bestimmten Fällen ermöglichen, den Einsatz von
Schusswaffen zu vermeiden. Allerdings können Elektroimpulswaffen akute Schmerzen
verursachen und sind, wie bereits erwähnt, leicht zu missbrauchen. Dementsprechend sollte die
Entscheidung, Ordnungskräften oder anderen Beamten Elektroimpulswaffen auszuhändigen,
nach einer gründlichen Diskussion auf Regierungsebene und im Parlament der Länder erfolgen.
Des Weiteren sollten die Kriterien für die Aushändigung von Elektroimpulswaffen durch Gesetz
sowie in speziellen Durchführungsvorschriften geregelt sein.
103
69.
Das CPT ist der Auffassung, dass für den Einsatz von Elektroimpulswaffen die
Grundsätze der Erforderlichkeit, Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit, Vorwarnung (sofern
möglich) und Vorsichtsmaßnahmen zur Anwendung kommen sollten. Diese Grundsätze
schließen u.a. ein, dass die Beamten, denen diese Waffen ausgehändigt werden, ein
angemessenes Training für deren Einsatz durchlaufen. Insbesondere sollten die Kriterien für
den Einsatz von Elektroimpulswaffen, die Projektile abschießen können, unmittelbar an die
Richtlinien zum Schusswaffengebrauch angelehnt werden.
70.
Nach Meinung des CPT sollte der Einsatz von Elektroimpulswaffen auf solche
Situationen begrenzt werden, in denen eine tatsächliche und unmittelbare Gefahr für Leib
oder Leben oder die Gefahr einer schweren Verletzung besteht. Der Einsatz dieser Waffen,
um lediglich die Befolgung eines Befehls durchzusetzen, ist inakzeptabel. Darüber hinaus
sollte der Rückgriff auf diese Waffen nur dann erlaubt sein, wenn andere, mildere Mittel
(Verhandlungen und Überzeugung, manuelle Kontrolltechniken, etc.) gescheitert sind, und sie
die einzige mögliche Alternative zu Maßnahmen darstellen, die eine größere Gefahr für Leib
oder Leben darstellen.
Die Anwendung dieser Grundsätze auf konkrete Situationen
71.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat sich das CPT klar gegen die
Ausstattung von Einheiten, die mit Abschiebungen von Ausländern beauftragt werden, mit
Elektroimpulswaffen ausgesprochen. In gleicher Weise hat das CPT größte Vorbehalte gegen
den Einsatz von Elektroimpulswaffen in Gefängnissen (und a fortiori in geschlossenen
Abteilungen psychiatrischer Einrichtungen). Nur außergewöhnliche Umstände (z. B. eine
Geiselnahme) könnten den Rückgriff auf Elektroimpulswaffen in diesen gesicherten
Einrichtungen rechtfertigen, unter der strikten Auflage, dass die betreffenden Waffen nur von
speziell ausgebildetem Personal eingesetzt werden dürfen. Auf keinen Fall sollten
Elektroimpulswaffen zur Standardausstattung von Mitarbeiten gehören, die direkt mit
Personen in Gefängnissen oder an anderen Orten, an denen ihre Freiheit entzogen wurde, in
Kontakt stehen.
72.
Elektroimpulswaffen werden immer häufiger bei Festnahmen eingesetzt, und es gibt
weit in den Medien verbreitete Beispiele über deren Missbrauch in diesem Kontext (z. B. die
wiederholte Anwendung von Elektroschocks an Personen, die bereits am Boden liegen). Es ist
klar, dass der Einsatz während der Festnahme strengstens eingegrenzt werden muss. In
einigen Ländern hat das CPT Richtlinien vorgefunden, die den Einsatz dieser Waffen
erlauben, wenn Ordnungskräfte mit Gewalt oder drohender Gewalt von solchem Ausmaß
konfrontiert sind, dass sie selbst Gewalt einsetzen müssten, um sich zu schützen. Solche
Richtlinien sind so weit angelegt, dass sie einer unverhältnismäßigen Reaktion Tür und Tor
öffnen. Wenn Elektroimpulswaffen vermehrt die Waffe der Wahl werden, wann immer man
bei einer Verhaftung auf Widerstand trifft, könnte dies eine grundlegende negative
Auswirkung auf die Wahrnehmung der Ordnungskräfte in der Öffentlichkeit haben.
104
73.
Angesichts seines begrenzten Mandats hat das CPT bisher gezögert, eine eindeutige
Position zum Einsatz von Elektroimpulswaffen im Kontext von Polizeieinsätzen zur
Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung zu vertreten (z. B.
Kontrolle von Demonstrationen). Dennoch ist – nach den in Absatz 70 ausgeführten
Grundsätzen – der Einsatz von Elektroimpulswaffen während solcher Operationen als
unangemessen einzustufen, wenn keine tatsächliche und unmittelbare Gefahr für Leib oder
Leben besteht. Den beteiligten Ordnungskräfte stehen andere Mittel zum Schutz und zum
Handeln zur Verfügung, die speziell auf solche Aufgaben abgestimmt wurden. Es ist
bemerkenswert, dass einige Polizeikräfte in Europa den Einsatz von Elektroimpulswaffen bei
Maßnahmen zur Kontrolle öffentlicher Demonstrationen ausgeschlossen haben.
74.
Besonders verwiesen sei hier auf so genannte „Stun Belts“ und ähnliche Geräte. Das
CPT hat seine Ablehnung bezüglich des Einsatzes dieser Geräte zur Kontrolle der
Bewegungen von Inhaftierten deutlich gemacht, sei es innerhalb oder außerhalb von Orten des
Freiheitsentzugs. Diese Geräte sind nach Meinung des Ausschusses inhärent entwürdigend für
die Person, die dieser Behandlung unterzogen wird, und der Spielraum für Missbrauch ist
besonders hoch. Alternative Mittel, Bewegungen von Inhaftierten gezielt zu kontrollieren,
können und sollten gefunden werden.
Anweisungen und Ausbildung
75.
Nach einer Entscheidung, Elektroimpulswaffen auszuhändigen, müssen die
betreffenden Stellen sicherstellen, dass detaillierte Anweisungen in den Einheiten verteilt
werden, die diese Waffen zur Verfügung gestellt bekommen. Außerdem müssen die Beamten,
die diese Waffen benutzen dürfen, gezielt ausgewählt werden, wobei ihre Belastbarkeit und
ihr Urteilsvermögen zu berücksichtigen sind, und angemessen ausgebildet werden. Es sollte
ein berufliches Fortbildungsprogramm zusammen mit regelmäßigen Prüfungen eingeführt
werden (siehe auch Absatz 80).
Technische Aspekte
76.
Wie bei jedem Waffensystem sollten Elektroimpulswaffen, bevor sie zur Verfügung
gestellt werden, einem technischen Genehmigungsverfahren unterzogen werden. Dieses
Verfahren sollte insbesondere sicherstellen, dass die Anzahl, die Dauer und die Intensität der
Elektrostöße auf eine sichere Stärke begrenzt werden. Das CPT weiß von Fällen, in denen
Personen, denen die Freiheit entzogen war, in rascher Folge mehreren Elektrostößen
ausgesetzt wurden; ein derartiger exzessiver und unnötiger Einsatz von Gewalt stellt
zweifelsfrei eine Misshandlung dar. Des Weiteren sollte es Regelungen für ein regelmäßiges
Wartung-/Reparaturverfahren geben.
105
77.
Die Elektrogeräte sollten mit einer Vorrichtung (in der Regel einer Speicherkarte)
ausgestattet sein, die eingesetzt werden kann, um verschiedene Informationen zu
protokollieren und Kontrollen über den Einsatz der Waffe durchzuführen (z. B. der genaue
Zeitpunkt des Einsatzes; Anzahl, Dauer und Intensität der Elektrostöße, etc.). Die auf dieser
Karte gespeicherten Daten müssen systematisch und in angemessenen Abständen von den
zuständigen Stellen ausgewertet werden (mindestens alle drei Monate). Des Weiteren sollten
die Waffen über eine eingebaute Laserziel- und Videoaufzeichnungsvorrichtung verfügen, die
ein sicheres Zielen und die Aufnahme der Umstände für den Einsatz der Waffen ermöglicht.
78.
Elektroimpulswaffen, die an Ordnungskräfte ausgegeben werden, weisen häufig
unterschiedliche Benutzungsmodi auf, insbesondere einen „Distanzmodus" und einen
„Kontaktmodus" (bewegungshemmend). Beim ersteren feuert die Waffe Projektile ab, die
sich in kurzem Abstand zueinander an die Zielperson heften und einen Elektrostoß generieren.
In der Mehrzahl der Fälle führt dieser Stromstoß zu einer allgemeinen Muskelkontraktion, die
eine temporäre Lähmung nach sich zieht und dazu führt, dass die Person zu Boden fällt. Im
Gegensatz dazu produzieren beim Kontaktmodus die Elektroden am Ende der Waffe einen
Lichtbogen, und dieser führt bei Kontakt mit einer Person zu starken, lokalen Schmerzen,
wobei es zu Verbrennungen der Haut kommen kann. Das CPT hat starke Vorbehalte gegen
diesen zuletzt beschriebenen Einsatz. Tatsächlich stehen ordnungsgemäß ausgebildeten
Ordnungskräften viele andere Kontrolltechniken zur Verfügung, wenn sie in Reichweite einer
Person sind, die unter Kontrolle gebracht werden muss.
Medizinische Aspekte
79.
Die potenziellen Auswirkungen von Elektroimpulswaffen auf die körperliche und
psychische Gesundheit von Personen, gegen die sie eingesetzt werden, werden heftig
diskutiert, wobei diese Debatte teilweise durch Berichte über mehrere Personen angefacht
wurde, die, kurz nachdem sie Ziel einer solchen Waffe waren, verstorben sind. Obwohl die
Forschung diesbezüglich noch keine abschließenden Erkenntnisse erbracht hat, ist es
unbestritten, dass der Einsatz von Elektroimpulswaffen spezielle Gesundheitsrisiken birgt,
wie z. B. die Möglichkeit einer Verletzung, wenn man nach dem Beschuss mit Projektilen zu
Boden fällt, oder von Verbrennungen im Fall eines dauerhaften Einsatzes einer solchen Waffe
im „Kontaktmodus". Angesichts fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse über die
potenziellen Folgen von Elektroimpulswaffen bei besonders gefährdeten Personen (u.a.
Ältere, Schwangere, kleine Kinder, Personen mit bestehender Herzkrankheit) vertritt das CPT
die Ansicht, dass ihr Einsatz gegenüber diesen Personen auf jeden Fall vermieden werden
sollte. Der Einsatz von Elektroimpulswaffen bei Menschen, die im Delirium oder alkoholisiert
sind, ist ein weiteres sensibles Thema; Personen in diesem Zustand verstehen ggf. nicht die
von den Polizisten geäußerte Warnung, dass die Waffe eingesetzt wird, und sie könnten in
einer solchen Situation noch renitenter werden. Es gibt Todesfälle bei Verhaftungen, die auf
diese medizinischen Zustände zurückgeführt wurden, insbesondere beim Einsatz von
Elektroimpulswaffen. Aus diesem Grund ist besondere Vorsicht angeraten und der Einsatz
von Elektroimpulswaffen sollte in einem solchen Fall und generell in Situationen vermieden
werden, in denen Elektroimpulswaffen das Sterberisiko oder die Gefahr von Verletzungen
erhöhen können.
106
80.
Die Ausbildung der Ordnungskräfte, denen Elektroimpulswaffen ausgehändigt
werden, sollte Informationen beinhalten, wann es aus medizinischer Sicht unangemessen ist,
diese Waffen einzusetzen, sowie das Vorgehen zur Notfallversorgung einschließen (für den
Fall eines Sturzes, bei Wunden durch die Projektile, Herzrhythmusstörungen, wahnhaftes
Delirium, etc.). Des Weiteren sollte eine Person, sobald sie durch Einsatz einer
Elektroimpulswaffe unter Kontrolle gebracht wurde, informiert werden, dass die Waffe nur
einen temporären Effekt hat.
81.
Das CPT vertritt die Meinung, dass jeder, gegen den eine Elektroimpulswaffe
eingesetzt wurde, einem Arzt vorgeführt und, wenn erforderlich, in ein Krankenhaus gebracht
werden sollte. Ärzte und Unfall-/Notfalldienste sollten darüber informiert werden, wie
Personen, gegen die eine solche Waffe eingesetzt wurde, reagieren können und welches die
relevanten Behandlungen sind, sowohl aus körperlicher wie auch aus psychologischer Sicht.
Darüber hinaus sollten die betroffenen Personen ein medizinisches Attest erhalten (und/oder
ihr Rechtsanwalt, auf Anfrage).
Meldeverfahren zum Zwischenfall
82.
Nach jedem Einsatz einer Elektroimpulswaffe sollte der Angehörige der
Ordnungskräfte, der die Waffe eingesetzt hat, einen Bericht schreiben. Außerdem sollte der
Zwischenfall Gegenstand eines detaillierten Berichts einer höhergestellten Behörde sein.
Dieser Bericht sollte die genauen Umstände beschreiben, die den Einsatz der Waffe
rechtfertigten, und den Einsatzmodus sowie alle weiteren relevanten Informationen anführen
(Anwesenheit von Zeugen, ob andere Waffen zur Verfügung standen, medizinische
Versorgung der Zielperson, etc.). Die technischen Informationen, die auf der Speicherkarte
sind, sowie die Videoaufzeichnung über den Einsatz der Elektroimpulswaffe sollten Teil des
Berichts sein.
83.
Dieses interne Verfahren sollte durch ein externes Monitoring begleitet werden.
Dieses könnte aus einer systematischen Berichterstattung in regelmäßigen Abständen bei
einer unabhängigen Stelle bestehen, die für Aufsicht der Nutzung von Elektroimpulswaffen
durch Ordnungskräfte zuständig ist.
84. Wann immer die Umstände den Schluss nahelegen, dass der Einsatz einer
Elektroimpulswaffe nicht in Übereinstimmung mit den relevanten Gesetzen oder Vorschriften
erfolgte, muss eine entsprechende Untersuchung (Disziplinaruntersuchung und/oder
strafrechtliche Prüfung) eingeleitet werden.
Weitere Informationen:
Sekretariat des CPT
Europarat
F-67075 Strasbourg Cedex
Frankreich
Internet: www.cpt.coe.int
E-mail: [email protected]
Tel.: +33 (0)3 88 41 39 39
Fax: +33 (0)3 88 41 27 72
Teile dieser Übersetzung sind bereits erschienen in:
Europäische Grundrechte-Zeitschrift 2000, S. 247-264
(N.P. Engel Verlag, D-77694 Kehl am Rhein, E-mail: [email protected])
Straßburg, November 2010
Umschlagfoto:  CICR / FEDELE, Cristina
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