Michael Klemm Schülerinnen mit Mukoviszidose in der allgemeinen Schule Referat, gehalten am 26.4.2002 bei der Fachtagung des vds “Das chronisch kranke Kind in der Schule” Teil 1: Problemstellung Ich beginne mit dem Beitrag einer Schülerin, den sie im Klinikunterricht für die Klinik-Rundschau1 geschrieben hat: Wie ich meiner Klasse die Mukoviszidose erklärte Mein Name ist Sandra, ich bin 13 Jahre alt und habe seit meiner Geburt Mukoviszidose (CF). Meine Mama hat mir erzählt, dass es schon im Kindergarten Probleme gab: Die Kinder hänselten mich, wie ich zu jeder Mahlzeit Tabletten nehmen musste. Zur Zeit bin ich in der 7. Klasse der Hauptschule. Meine Mitschüler akzeptierten mich nicht. Ich fühlte mich immer wie eine, die nicht zur Klasse gehört. Vielleicht liegt es daran, dass ich krank bin, sie aber überhaupt nicht wussten, worum es geht. Wenn ich zum Beispiel was zum Essen dabei hatte, fragten mich die Schüler, ob sie etwas bekommen. Ich wusste genau, ich muss zunehmen und sagte ”nein”. Die Schüler waren gleich eingeschnappt und meinten ich sei geizig. Als ich in der 5. Klasse war, meinte meine Klassenlehrerin, dass ich noch nicht über meine Krankheit Bescheid wüsste. So vermied sie ein Gespräch gegenüber der Klasse. Jetzt, in der 7. Klasse, fand sie es für nötig, nach dem in der Zeitung ein Artikel über CF stand, in der Schule über meine Krankheit zu sprechen und auch meine Klassenkameraden etwas aufzuklären. Sie hat mich davor gefragt, ob ich einverstanden damit sei, am nächsten Tag darüber zu sprechen. Ich war sofort damit einverstanden, ich las mir in der Zeitung nochmal diesen Artikel durch und am nächsten Tag bekam ich sofort von den Mitschülern und der Lehrerin Fragen gestellt. Zum Beispiel: “Wieviel Tabletten musst du am Tag einnehmen?” – “Geht viel Freizeit durch deine Krankheit weg?” – “Ist diese Krankheit heilbar?” Ich beantwortete diese Fragen so gut ich konnte. Dann war die große Pause. Die Mitschüler stellten mir noch in der Pause Fragen, so sehr waren sie daran interessiert. Ein paar von ihnen sagten mir, dass sie ab sofort nicht mehr so “wüeschd” (hässlich) zu mir sein wollen. (...) Von da an ging es mit dieser Klasse perfekt. Die Schüler sahen es jetzt auch ein, wenn ich einmal nichts zum Essen hergeben wollte. Jetzt geht es sogar anders herum: Wenn die anderen was zum Essen haben, bekomme ich immer als erstes davon ab, weil die Schüler immer sagen: ”Sandra muss zunehmen!” Seitdem gefällt mir die Schule sehr gut und ich freue mich jeden Tag, die Schüler wiederzusehen. Sandra spricht einige Probleme und Reaktionen von MitschülerInnen an, die in der folgenden Tabelle kursiv gedruckt sind. Ich habe diese ergänzt durch Aussagen anderer SchülerInnen mit Mukoviszidose – die bei einzelnen zutreffen können, aber nicht müssen! 1 Klinik-Rundschau, Die Zeitung von und für Kinder und Jugendliche der Kinderklinik Tübingen, Heft 50, Juli 1997 Situation/Problem Reaktion(en) der MitschülerInnen Reaktionen der SchülerInnen mit CF Tabletteneinnahme zu jedem Essen hänseln (schon im Kindergarten!) sich schämen / Tabletten “heimlich” einnehmen bzw. “vergessen” Blähungen (“stinken”) hänseln, sich wegsetzen “fühle mich nicht zur Klasse gehörig” Verheimlichen der Erkrankung; Lehrerin vermeidet Gespräch, um Schülerin zu schonen Unwissenheit und Fehlreaktionen der MitschülerInnen “die brauchen auch nichts zu wissen” hyperkalorische Ernährung (konträr zur schulischen Gesundheitserziehung) (2) sind “eingeschnappt”; PatientIn wird für “geizig” gehalten; Neid (1) gibt nichts von ihrem besonders guten Vesper (Schokolade ...) her wenig Freizeit / viel Zeit für Therapien / manchmal auch schnellere Ermüdbarkeit “hat keine Zeit für uns” Vernachlässigung der Hausaufgaben oder gemeinsamer Aktivitäten Husten / Auswurf Angst vor Ansteckung / Ekel unterdrücken (wenn möglich) evtl. reduzierte Leistungsfähigkeit beim Sport bei Mannschaftsspielen als letzte(r) gewählt nimmt am Sport nicht mehr teil schnelleres Schwitzen / Schwitzhände körperliche Distanz, z.B. bei Kreisspielen mit Hände fassen “die lehnen mich ab” Unheilbarkeit der Erkrankung; begrenzte Lebenserwartung Unsicherheit; Mobilisierung eigener Ängste Distanz viele mögliche Reaktionen Eine Anmerkungen zur Tabletteneinnahme: Nach einer Befragung nehmen mehr als 30% der CFPatientInnen ihre Enzyme in der Schule nicht regelmäßig ein. Die Folge davon ist oft ein wesentlich gravierenderes Problem – die Blähungen, welches auch das Hänseln schon im Kindergarten wohl ausgelöst haben mag. Normalerweise erfährt man davon nur von erwachsenen CF-lern im Rückblick auf ihre Schulzeit. Bei einer Umfrage des Mukoviszidose e.V. im Jahr 2001 unter den Regionalgruppensprecherinnen wurden die folgenden weiteren Probleme in der Schule genannt (zitiert nach W. Klümpen, Mukoviszidose e.V., der die Aussagen gesammelt und zusammengefasst hat): Infekte und Fehlzeiten, Infekte anderer Schüler Hygienische Verhältnisse - Toiletten Sportunterricht, Duschen beim Sport, Schwimmunterricht Klassenreisen: kaum Zeit zu inhalieren, Probleme mit der Hygiene, Teilnahme allein oder mit Begleitung durch einen Elternteil (Konflikt: Sonderstellung) / Auslandsreisen Überbelastung durch (Physio-)Therapie und Hausaufgaben / Schlafmangel wegen nächtlichem Husten: keine Konzentration in der Schule Sehr hoher Ehrgeiz des Kindes, dadurch Überlastung Speziell die Reaktionen der Lehrer betreffend wurden in der Umfrage folgende Probleme genannt: Kinder werden als “gesund” angesehen. Daher ist es sehr schwer, Erleichterung bzw. Unterstützung von den Lehrern zu bekommen. Ignoranz gegenüber der Krankheit. Entschuldigungen für nicht erbrachte Hausaufgaben werden z.T. nicht akzeptiert. Hilfestellung und Rücksicht (von Lehrern und Mitschülern) sind eher weniger vorhanden. Ängste der Lehrer vor Unbekanntem Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass die Lehrer sowie alle, die die Betroffenen beraten, diese Probleme kennen und wissen, dass sie auftreten können, um ihnen frühzeitig zu begegnen, also im sozialpsychologischen Sinn präventiv tätig zu werden. Einige Maßnahmen, um diesen Problemen vorzubeugen, habe ich hier zusammen gestellt: Teil 2: Maßnahmen zur Vorbeugung von Problemen Schulleitungen sollten vor Aufnahme in die jeweilige Schule informiert werden - zur Besprechung notwendiger Maßnahmen: Lehrereinteilung, Klassengröße, Schulweg, Hygiene, Klassenraumklima, ...) Informationen für die MitschülerInnen sind notwendig: - zur Einsicht in krankheitsbedingte Besonderheiten und Ausnahmen, z.B. Vesper, Sportnote, Begleitperson bei Schullandheim, Toilettengang ... - zum Abbau von Ängsten (Ansteckung, begrenzte Lebenserwartung ...) - zur Richtigstellung von Fehlinformationen aus den Medien (Lebenserwartung ...) Die Informationen müssen sich an der individuellen Krankheitssituation orientieren und die speziellen Wünsche und Bedürfnissen der Schülerin berücksichtigen. Die Schule benötigt unabhängige fachliche Informationen zum jeweiligen Patienten zusätzlich zur Information durch die Eltern oder die Patienten selbst. Die meisten Eltern und ältere Patienten sind ohne Zweifel auch gute “Fachleute” in eigener Sache. Sie sind jedoch zugleich emotional stark involviert, und die Lehrer können nicht einschätzen, ob Informationen und Verhaltensregeln auf einer überbehütenden Einstellung beruhen oder - im Gegenteil - eher Ausdruck einer Verleugnung der Schwere der Erkrankung darstellen. Aus dieser Unsicherheit entstehen häufig gravierende Missverständnisse, die sich über Jahre hinziehen können. Beratungs- und Unterstützungsstrukturen für alle chronisch erkrankten Kinder, deren Eltern und die Heimatschulen sind erforderlich. Die Aufgabe der Beratung, Begleitung und individuellen Unterstützung könnte den Schulen für Kranke als pädagogische Fachzentren zukommen, und zwar ständigem Kontakt mit den entsprechenden Ambulanzen, die die Eltern schon vor Schuleintritt des Kindes über die Beratungsmöglichkeit unterrichten und in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Selbsthilfegruppen. Herr Polzer weist in seinen Ausführungen ausführlich darauf hin. Teil 3 : Informationsbesuche in der Klasse und der Lehrerkonferenz (“Heimatschulbesuche”) Die intensivste Form der Aufklärung von Lehrerkollegium und Mitschülern sind Heimatschulbesuche, die wir Lehrer der Klinikschule Tübingen zusammen mit den erkrankten Schülern und teilweise auch mit dem zuständigen Klinikarzt durchführen. Bei krebskranken Kindern und Jugendlichen gehören sie inzwischen zum Standard der klinischen Behandlung und schulischen Förderung durch die Klinikschule, nicht nur in Tübingen (vgl. Lilo Bär). Auch bei chronisch kranken Schülerinnen haben wir damit inzwischen sehr gute Erfahrungen gemacht – und es wäre außerordentlich wünschenswert, wenn dieses Angebot allen gemacht werden könnte, auch den Patientinnen, die nur noch ambulant behandelt werden, also eigentlich gar nicht Schülerinnen der Schule für Kranke sind. Zu Vorbereitung und Durchführung der Besuche zunächst eine Übersicht: Ablauf eines Informations- und Beratungsbesuchs in der Schule 1. Angebot - von Kliniklehrer direkt an Schülerin (bei stationärem Aufenthalt) - von Arzt / psychosozialem Mitarbeiter der CF-Ambulanz an Eltern 2. Vorbereitung a) mit Eltern bzw. Mutter: Einverständniserklärung / Entbindung von der Schweigepflicht Anliegen der Eltern an MitschülerInnen und LehrerInnen familiär gültige Hygieneregeln Umgang in der Familie mit der begrenzten Lebenserwartung Einladung der Elternvertreterin in die Klasse? Information auch im Elternabend? b) mit Schülerin: Inhalte besprechen, Folie und Info-Blatt entsprechend verändern, evtl. eigenen Tagesablauf dazu schreiben Ablauf und Materialien (Inhalator, Flutter, Medikamente, Infusion, Sauerstoffgerät ...) Welche Literatur/Videos werden eingesetzt bzw. empfohlen? Wer wird in die Klasse eingeladen? (Arzt, Beratungslehrer, Schulleiter ...) Welche Sonderbedingungen sind erforderlich? (Klo, Sport, Schullandheim...) Anliegen an die LehrerInnen 3. Unterricht in der Klasse (2 Stunden) mit Schülerin, evtl. Arzt/Ärztin und ggf. Klassenelternvertreterin Inhalte entsprechend der mit Schülerin erarbeiteten Folie 4. Klassenkonferenz (1 - 1,5 Std.) mit Schulleiterin und Beratungslehrerin Das Vorbereitungsgespräch mit den Eltern führe ich in der Regel zusammen mit der betroffenen Schülerin. Habe ich den Eindruck – oder die Information von der CF-Ambulanz – dass die Lebenserwartung bisher eher tabuisiert wurde, spreche ich dies zunächst mit den Eltern allein an. Bei der Vorbereitung mit der Schülerin gehe ich mit ihr ein Informationsblatt durch, das ich dann auch in der Klasse als Tageslichtfolie einsetzen möchte und wandle es gleich am PC mit ihr auf ihre Wünsche und ihre Situation hin ab. Das beginnt mit der Frage, wie das Kind selbst seine Erkrankung nennt: sagt es CF (das klingt ja sehr “flott”, “Cystische Fibrose” dagegen können sich Mitschüler kaum merken), muss dies durch Mukoviszidose ergänzt werden, weil dieser Name in der Öffentlichkeit bekannter ist und er außerdem die Krankheit besser erklärt. Ursprünglich enthielt die Folie in ihrem oberen Teil folgende Erklärung2: dieselbe Krankheit – 2 Namen CF = Cystische Fibrose / Mukoviszidose mukos = Schleim / viskös = zähflüssig zähflüssiger Schleim vgl.: Michel Klemm: “Ich huste, aber ich beiße nicht!” Pädagogische Begleitung mukoviszidosekranker Schülerinnen und Schüler. In: Ursula Pfeiffer u.a. (Hrsg.): Klinik macht Schule. Die Schule für Kranke als Brücke zwischen Klinik und Schule. Tübingen 1998, Seite 129 ff. 2 verstopft die Bauchspeicheldrüse und die Lunge Eine 17-jährige Jugendliche, die kurz “Muko” zu ihrer Erkrankung sagte, war allerdings entsetzt, dass “mukos” “Schleim” bedeute (was sie bis dahin nicht wusste). Das klinge so eklig. So kam die folgende Abwandlung hier zustande, die sicher auch anderen Patienten gefallen wird, auch wenn sie rein medizinisch gesehen nicht ganz korrekt ist. Im weiteren Verlauf des Vorgesprächs werden die Themen, die dem Kind oder Jugendlichen wichtig sind, zunächst im freien Gespräch erarbeitet und dann mit dem unteren Teil der Folie verglichen, die entsprechend abgewandelt wird. Der untere Teil des Informationsblattes erhielt dann nach Absprache mit der 17-jährigen Schülerin folgende Fassung: Mukoviszidose (kurz: “Muko”) ist eine chronische Erkrankung. Sie ist nicht heilbar, die Auswirkungen können aber sehr gelindert werden: durch Therapien, Medikamente, reichlich gutes Essen, Bewegung - und wenn es einem gut geht (z.B. durch nette Menschen um einen herum, Schulausflüge, schönen Urlaub an der See usw.). Mukoviszidose hat man entweder von Geburt an (durch einen Gendefekt) oder gar nicht: man kann sie nicht durch Ansteckung bekommen. Auch das Husten ist nicht ansteckend – die Krankheitskeime (“Pseudomonas”) sind für gesunde Menschen völlig ungefährlich. Menschen mit Mukoviszidose brauchen Zeit für ihre Therapien, werden oft schneller müde, brauchen oft mehr Pausen, sind anfälliger für Infektionen und müssen besondere Hygienevorschriften beachten (Abwässer, Waschbecken, Toilette, Dusche ...). Sie haben aber gelernt, mit ihrer Erkrankung zu leben (sie haben sie ja “schon immer”) und wollen ganz normal wie alle anderen behandelt werden – sie sind es ja auch (wenn man bedenkt, dass jeder Mensch etwas ganz Besonderes ist!). Diese Vorbesprechungen – die bei stationär aufgenommenen Schülerinnen meist mehrere Stunden in Anspruch nehmen – bedeuten für die Betroffenen eine ganz intensive Auseinandersetzung mit ihrer Erkrankung. Sie müssen daher behutsam geführt werden und zu einem Zeitpunkt, zu dem des ihnen möglichst gut geht. Krisensituationen, etwa eine akute Verschlechterung der Erkrankung, sind dazu nicht geeignet. Ein vollständiges Informationsblatt, das auch als Folie im Unterricht diente, findet sich im Anhang. Es wurde mit einem Berufsschüler zusammen verändert, dessen Lungenfunktion schon relativ stark eingeschränkt ist. Der Ablauf in der Klasse ist ähnlich wie das Vorbereitungsgespräch: nach der Grundinformation stellen die MitschülerInnen Fragen, die nach Möglichkeit von der erkrankten Schülerin, von mir oder von Arzt oder Ärztin - sofern sie dabei sind - beantwortet werden. Im Mittelpunkt steht die Schülerin, und erst am Schluss mache ich anhand der Folie eine Zusammenfassung und schließlich wird diese als kurzes Informationsblatt den MitschülerInnen mit nach Hause geben – auch zur Information für die Eltern. Sehr beeindruckend für die Mitschüler ist auch immer der Tagesablauf des betroffenen Kindes oder Jugendlichen, aus dem die mit der Erkrankung verbundenen Belastungen unmittelbar sichtbar werden. Nun zu den Themen im Einzelnen: Das schwierigste Thema für das CF-kranke Kind ist sicherlich die Unheilbarkeit und die begrenzte Lebenserwartung. Sie darf aber nicht ausgeklammert werden: die Kinder bekommen heute Informationen darüber aus den Medien oder aus dem Internet. Bei meinem letzten Heimatschulbesuch in einer 5. Klasse Gymnasium, bei dem die Patientin selbst nicht dabei sein wollte, sagte ein Mitschüler, der ansonsten gut Bescheid wusste: “Kinder mit Muko werden nur 12 oder 13 Jahre alt.” Von ähnlichen Aussagen, sogar in der direkten Begegnung, berichten Eltern immer wieder3 – und darauf müssen die Betroffenen schon im Grundschulalter vorbereitet werden, um angemessen reagieren zu können. Die schwierige Phase der Pubertät wäre denkbar ungeeignet, sich erstmals damit auseinander setzen zu müssen. Im übrigen gilt hier wie für jede Aufklärung, den richtigen Zeitpunkt und die richtigen Worte zu finden. Mit dem Nachsatz “wenn es einem gut geht” wird auf die Bedeutung der psychischen Gesundheit hingewiesen, und wie wichtig daher gemeinsame Freizeitaktivitäten, Wandertage, Schullandheimaufenthalte usw. sind. Ich erzähle dabei aber auch gern von einer Mutter, die ihre 14jährige Tochter bei einem erstmaligen Pseudomonas-Nachweis drei Wochen vom Schulbesuch abgemeldet hat, sie aber am Nachmittag und Abend zu ihren liebsten Freizeitaktivitäten gehen ließ was die Mitschüler nur durch die gute Information, die sie hatten, ohne Neid einsehen konnten4. Der letzte Punkt dieser Zusammenfassung ist allen Patienten ganz wichtig, und oft ist es leichter, den MitschülerInnen als den Betroffenen selbst zu erklären, dass beides möglich ist: Sonderregelungen, die sich auf die Krankheit beziehen, und ansonsten ganz normal wie alle anderen zu sein und behandelt zu werden! Zum Schluss der beiden Schulstunden appelliere ich an die Klassenkameraden, Schülerinnen aus anderen Klassen, mit ihrem nun besseren Wissen über die Mukoviszidose entgegenzutreten, wenn sie einmal etwas Falsches sagen oder sich unangemessen verhalten. 3 4 vgl. M. Klemm: “Wann ist mein Kind reif für die Wahrheit? ”in: Mukoviszidose aktuell Heft 3/99 S.10 ff. a.a.O. S. 12 Zur anschließenden Lehrerkonferenz bitten wir alle in der Klasse unterrichtenden LehrerInnen sowie die Schulleitung und nach Möglichkeit den Beratungslehrer der Schule, die auch bei Lehrerwechsel für eine Kontinuität der Informationsweitergabe sorgen sollen. Auf Wunsch der Eltern der Betroffenen werden auch die Elternvertreter eingeladen. Die in der Klasse angesprochenen Themen werden dabei vertieft und erweitert. Die besonders heiklen Themen Auswurf und Blähungen werden meist nur hier erörtert, als Lösung das jederzeitige Verlassen des Klassenraumes ohne Meldung vorgeschlagen. Die Berücksichtigung der Mukoviszidose schon bei der Planung von Ausflugszielen und Schullandheimaufenthalten wird noch einmal betont. Besonders erörtert wird hier auch der Balanceakt zwischen notwendiger Berücksichtigung der Erkrankung und dem Bedürfnis nach Normalität - der sich in einem guten Klassenklima, in dem die Besonderheiten jeder Schülerin und jedes Schülers gesehen und akzeptiert und in Vorbereitung und Durchführung des Unterrichts einbezogen werden, so gar nicht zu stellen braucht. Dies vor allem dann, wenn die individuellen Lebenssituationen und Probleme aller Schülerinnen in den Unterricht der Klasse einbezogen werden - etwa mit der Methode “Kind der Woche”, bei der die Besonderheiten aller Kinder im Laufe des Schuljahres einmal Unterrichtsgegenstand sind. Auf diese Weise wird deutlich, dass jedes Kind etwas Einmaliges ist – das Besondere wird das Normale ... Teil 4: Informationsmaterialien für Eltern sowie Lehrerinnen und Mitschülerinnen Handreichungen für Lehrerinnen, die die Selbsthilfeverbände herausgeben, sind sicher hilfreich. Sie sollten durch Hinweise für Eltern zum Schulbesuch ergänzt werden. Ein großer Vorteil wäre allerdings, wenn beides als Dokumente im Internet abrufbar wäre. Dies hätte den Vorteil, dass die Texte vor der Weitergabe jeweils auf die regionalen Gegebenheiten sowie auf die individuelle Situation des Kindes oder Jugendlichen - insbesondere auf seine Wünsche und Bedürfnisse hin – verändert werden könnten. Die regionale Anpassung kann bereits - je nach Strukturen - z.B. durch die Schulen für Kranke, durch die Mukoviszidose-Ambulanzen, durch Beratungsstellen für kranke und behinderte Schülerinnen erfolgen. Die individuelle Anpassung sollte durch die Betroffenen selbst und - je nach Alter - mit ihren Eltern sowie mit Unterstützung durch die genannten Stellen erfolgen. Die Erstellung immer abänderbarer Handreichungen und der Verzicht auf fertig gedruckte Broschüren und hat folgende Vorteile: Die Mukoviszidose ist hinsichtlich Ausprägungsgrad, befallener Organe, Lebenserwartung usw. jeweils so unterschiedlich, dass mit allgemeinen Informationen oft mehr Unsicherheit erzeugt wird als wirkliches Verständnis für die individuelle Situation des Betroffenen. Der Umgang mit einer chronischen Erkrankung variiert von Familie zu Familie erheblich. Die Auseinandersetzung damit sowie die bereits vorhandene Akzeptanz sind aber Grundlage für die Weitergabe von Informationen an Erzieherinnen, Lehrerinnen und ggf. auch Mitschülerinnen. Die Betroffenen und ihre Eltern müssen daher die Möglichkeit haben, ihrem individuellen Maß der Auseinandersetzung entsprechend zu informieren. Broschüren, Bücher oder Videofilme, die “zu viel” preisgeben, werden erfahrungsgemäß nicht weiter gegeben. Ganz wichtig dabei ist auch, dass den Familien auf diese Weise nichts “übergestülpt” wird - das kann die Bereitschaft zur Offenheit erheblich hemmen. Hier eine kleine - ergänzungsbedürftige - Übersicht über geeignete Materialien: A. Materialien für Lehrerinnen zur schulischen Situation und Behandlung im Unterricht, wenn eine Schülerin mit Mukoviszidose in der Klasse ist CF-Selbsthilfe: Mukoviszidose - Informationen für Lehrer und Erzieher. Faltblatt Mukoviszidose e.V.: Informationen für Erzieher und Lehrer - Faltblatt Beide Faltblätter eignen sich als kurze Erstinformation. Die individuell sehr unterschiedliche Ausprägung der Erkrankung wird mehrfach betont, die Ergänzung, wie es sich nun beim betroffenen Schüler tatsächlich verhält, ist also notwendig. Wichtige Themen wie Klassenreisen und Hygiene fehlen angesichts der Kürze notwendigerweise. Hermann Schumacher, Heike Diekmann: Das Kind mit Mukoviszidose in Kindergarten und Schule. Broschüre des Mukoviszidose e.V., Düsseldorf 1997 Diese 33-seitigen Broschüre stellt eine wichtige Hilfestellung für Erzieherinnen und LehrerInnen dar. Sie enthält übersichtlich und gut zusammengefasst die wesentlichsten Informationen, die Erzieherinnen und LehrerInnen beim Eintritt des Kindes in Kindergarten oder Schule brauchen. Sie kann aber ebenso die individuelle Information nicht ersetzen, manche Hinweise können sogar irreführend sein: Wenn beispielsweise gesagt wird, “Kinder mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung werden oft überbehütet” (S. 25), so kann dies dazu führen, dass von Eltern mitgeteilte Maßnahmen von den Lehrern nicht umgesetzt werden, weil sie denken, diese würden der überbehütenden Haltung der Eltern entspringen, nicht der medizinischen Notwendigkeit. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Chronische Erkrankungen als Problem und Thema in Schule und Unterricht, Köln o.J. Diese 2001 erstmals erschienene Broschüre ist eine sehr gelungene Arbeitshilfe zum Verständnis aller chronisch erkrankten Kinder, auch wenn sie konkrete Materialien “nur” für Allergien, Asthma, Hauterkrankungen, Diabetes, Herzfehler, Epilepsien und ADHS enthält. Zusammen mit den anderen Materialien lässt sich aber das meiste auch auf Kinder mit Mukoviszidose übertragen - besonders auch die Unterrichtsvorlage auf Seite 56 “Jeder ist ein bisschen anders ...” - genau damit wird erreicht, dass die Besonderheiten bei Mukoviszidose zu etwas “Normalem” wird. Ein kleiner Mangel der Broschüre: es fehlen Hinweise, dass Unterstützungen bzw. Beratungen von dritter Seite her hilfreich und oft notwendig sind. Joachim Schröder, Ingeborg Hiller-Ketterer, Werner Häcker, Michael Klemm, Eva Böpple: “Liebe Klasse, ich habe Krebs!” Pädagogische Begleitung lebensbedrohlich erkrankter Kinder und Jugendlicher. Attempto Verlag, Tübingen, 2. Aufl. 1999 Die Ergebnisse des ersten Teiles eines wissenschaftlichen Projekts der Schule für Kranke Tübingen in Zusammenarbeit mit der Fakultät für Sonderpädagogik Reutlingen der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, gefördert von der Stiftung Bildung und Behindertenförderung, Stuttgart. Primär als Handreichung für Lehrerinnen an Regelschulen konzipiert und vielfach zum Wohle krebskranker Schülerinnen eingesetzt. Mit beispielhaften Erfahrungsprotokollen der schulisch-pädagogischen Begleitung der Betroffenen und ihrer Mitschülerinnen. Ursula Pfeiffer, Doris Knab, Werner Häcker, Michael Klemm, Eva Böpple: Klinik macht Schule. Die Schule für Kranke als Brücke zwischen Klinik und Schule. Darstellung - Analyse - Bewertung des Projekts Heimatschulbesuche. Attempto Verlag Tübingen 1998 Die Ergebnisse des zweiten Teiles des wissenschaftlich begleiteten Projekts der Schule für Kranke in Zusammenarbeit mit dem Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Tübingen. Die Übertragung des Modells auf andere, chronische Erkrankungen, ist hier bereits in zwei Beiträgen angedacht: Michael Klemm: “Ich huste, aber ich beiße nicht!” Pädagogische Begleitung mukoviszidosekranker Schülerinnen und Schüler (Seite 129-150) Rosemarie Rothmund-Timm: Klinikunterricht und Heimatschulbesuche bei Schülern mit Diabetes mellitus im Olgahospital Stuttgart (Seite 151-160) Michael Klemm: “Wann ist mein Kind reif für die Wahrheit?” In: Mukoviszidose aktuell, Heft 3/1999, Seite 10 ff. Ergebnisse von zwei Gesprächsgruppen mit Eltern und Fachleuten bei der Jahrestagung 1999 des Mukoviszidose e.V. in Duisburg. B. Materialien für mukoviszidosekranke Schülerinnen, ihre Freunde und Mitschülerinnen: Katrin Arnold und Renate Seelig: Anna macht mit. Ein Bilderbuch. Das für das letzte Kindergartenjahr und die ersten zwei Schuljahre ganz hervorragende Buch ist leider vergriffen. Eine schwarz-weiß-Kopie ist bei Klinikpädagogik e.V. (Hoppe-Seyler-Str. 1 in 72076 Tübingen) erhältlich. Eine Neuauflage wäre zu wünschen, evtl. - als Anregung - auch als ausdruckbare Farbkopie innerhalb der Website des Mukoviszidose e.V. Eine ausführliche Besprechung findet sich in Klinik macht Schule Seite 146 f. Brigitte Winklhofer-Roob (Hrsg.): Ich habe CF - und Du? Unser Leben mit Cystischer Fibrose. Rothenhäusler Verlag Stäfa (Schweiz) 1995. Dieses Buch, ebenfalls in Klinik macht Schule (S. 144) besprochen, eignet sich hervorragend für Betroffene und ihre Mitschülerinnen der Sekundarstufe 1. Durch die klare Gliederung können die Betroffenen auch sehr leicht das für sie selbst Zutreffende auswählen. Christiane Herzog (Hrsg.): Kraft zum Atmen. Gedanken, Texte und Bilder Mukoviszidose betroffener Kinder, Jugendlicher und Erwachsener. Lit Verlag Münster 1995. Siehe Klinik macht Schule Seite 146. Eddi Zauberfinger: CD Bewegungsspaß für Groß + Klein; mit dem Muko-Lied “Wie ein Pirat”. Best.Nr. EZM 0020, im Buchhandel ISBN 3-927635-40-5 oder über Mukoviszidose e.V. Videokassette “Wie ein Pirat” und “Trampolinlied” (über Mukoviszidose e.V.) CD und Video bieten sehr gute Möglichkeiten, über Musik, Bewegung und kurze, auch informative Filmsequenzen einen mehr emotionalen Zugang zum Thema Mukoviszidose zu finden. Vor allem für Betroffene und ihre Freunde im “Piratenalter”. C. Informationen für Lehrerinnen über medizinische und psychosoziale Fragen: Kommunikation zwischen Partnern: Mukoviszidose Schriftenreihe der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte e.V. Band 208. Düsseldorf, 7. Aufl. 1995. Bezug: BAGH e.V., Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf (nur Portokosten). Ausführliche Besprechung siehe in Klinik macht Schule Seite 148 f. Ullrich, Gerald: Psychosoziale Versorgung bei Mukoviszidose. In: Petermann, F.: Studien zur Jugend- und Familienforschung; Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 1993 Ullrich, Gerald: Mukoviszidose. Beiträge und Biographie zu psychosozialen Aspekten einer lebenslangen Erkrankung. Verlag für akademische Schriften, Frankfurt 1998 Anschrift des Verfassers: Michael Klemm Schule für Kranke, Univ.-Kinderklinik Hoppe-Seyler-Str. 1 72076 Tübingen E-Mail: [email protected]