Inhaltliche Ergänzungen zur Präsentation "Von der Scham zur Selbstachtung" Disability Pride Tagung „Die Scham ist vorbei! Verstecken war gestern – Aufbruch ist heute – Vielfalt ist morgen! Vortrag: Petra Stephan (Dipl.-Psych.) Folie 1 "Von der Scham zur Selbstachtung" heißt mein Beitrag zu dieser Veranstaltung, bei dem ich mich mit einem Gefühl befasse, welches von uns im Laufe unseres Lebens erworben wird. Gefühle der Scham werden wir in dem einen oder anderen Ausmaß nie verlieren. Es wird uns immer begleiten und unsere persönlichen Ressourcen herausfordern. Schamgefühle erinnert uns an die eigenen Grenzen und die Empfindlichkeit. Besonders sehr schmerzliche Erlebnisse in unserer Entwicklung fordern es heraus. Das Schamgefühl kann uns "klein machen" und von daher ist es wichtig, einmal zu schauen, welche Fähigkeiten wir diesem entgegensetzen können. Folie 2 Wenn wir uns fragen, in welchen Situationen ein Schamgefühl aufkommt; dann denken die meisten Menschen zuerst an Sexualität, - an sexuell-intime Situationen. Aber auch an Nacktheit in medizinischen Untersuchungssituationen. Intim sind alle Bereich eines Menschen, die ihm besonders schützenswert erscheinen. Bereiche des Körpers, die wir vor Anblicken der Öffentlichkeit schützen. Krankheiten, die wir der Öffentlichkeit lieber verschweigen möchten und seelische Momente in denen wir lieber allein wären und nicht öffentlich; z.B. beim Trauern. Scham und Intimität gehören zusammen, denn besonders in intimen Situationen werden wir Schamgefühle wahrnehmen. Was als intime Situationen aufgefasst wird, ist kulturell und individuell sehr unterschiedlich. Unsere Reaktionen darauf ebenso. 1 Folie 3 Das Schamgefühl bezieht sich nicht nur auf unser Erleben, sondern auch auf unser Denken, unsere Vorstellungen, unser Verhalten und auf sprachliche Äußerungen. In dieser Übersicht habe ich es einmal zusammengefasst. Folie 4 Scham ist ein erworbenes Gefühl: das heißt Scham wird durch Erziehung von Eltern und anderen wichtigen Beziehungspersonen vor allem in der Kindheit geprägt. Etwa mit 2 1/2 Jahren können wir Scham empfinden. Das hat damit zutun, dass wir uns in diesem Alter schon als Einzelperson getrennt von unseren Eltern wahrnehmen können und immer mehr Lernen, was aus der Sicht von Erwachsenen richtig oder falsch ist. Wir lernen Verbote oder Gebote, Wissen schon was Lob und Tadel ist, so dass wir unser seelisches Erleben immer mehr erweitern. Neben der Scham gibt es noch andere Gefühle, die in dieser Zeit gelernt werden: das sind z.B. Neid, Eifersucht, Verachtung aber auch Stolz. Allen ist gemeinsam, dass wir mit zunehmender Fähigkeit des Denkens immer mehr zu unterschiedlichen Einschätzungen dieser Gefühle kommen. Wir können uns dabei bewusst machen, wann wir diese Gefühle erleben und in welchen sozialen Situationen. Gleichzeitig können wir dabei uns selbst besser kennen lernen, wenn wir wissen, in welchen Situationen wir schon einmal geschämt haben. Vielleicht erinnern wir uns auch daran, wie wir uns verhalten hatten. Es gibt von Seiten der Eltern, Erzieher und Lehrer bewusste und unbewusste Erziehungsmethoden. Manche von ihnen verwenden Erklärungen und gute Argumente, um uns Normen, Gebote oder Verbote zu vermitteln; so lange wir dies auch hinterfragen dürfen und es bei gegenseitiger Achtung auch verschiedene Meinungen geben kann, ist die 2 Gefahr niedrig, nicht zu sehr beschämt zu werden - das können wir dann auch seelisch gute verarbeiten. Eine andere auch oft angewandt Erziehungsweise ist die „Machtausübung“ mit massiver sprachlicher und/oder sogar seelischer und körperlicher Gewalt. Besonders seelische oder körperliche Gewalt – also massive Verbote, Verletzungen und Demütigungen führen zu massiven Ängsten – Ängste, die unsere seelischen Energien binden und das Denken und Handeln von Menschen bestimmen. Langfristig kann uns dies in einen Kreislauf von seelischer Schwäche bringen, aus dem wir nur schwer selbst herauskommen. Wer als Jugendlicher oder erwachsener Mensch viele Ängste hat, bei dem können wir davon ausgehen, dass er von viele Erlebnissen von Erniedrigung und Beleidigung hatte. Auch Bemerkungen spielen dabei eine Rolle, die scherzhaft oder verharmlosend/ironisch gemeint sind. Folie 5 Zu den wesentlichen seelischen Erlebensweisen bei Scham gehören: Das Erleben von Unzulänglichkeit, Wertlosigkeit, Abgelehnt-Sein, Hilflosigkeit, Versagt-zu-Haben, Ausgestoßen-zu-Seins Folie 6 Einige Verhaltensweisen, die bei Scham auftreten sehen Sie jetzt, diese könnten Sie individuell ergänzen. Schamreaktion im Körper können auf Dauer wie Stressoren wirken. 3 Stressoren führen dann in unserem Körper zu Veränderungen im Stoffwechsel. Im Stoffwechsel auch des Gehirns - Sie können dort körperliche und seelische Krankheiten hervorrufen. Massive andauernde Erniedrigung und Demütigung – wie es häufig bei Menschen mit Folter- Erfahrungen vorkommt, entwickeln oft eine Schmerzerkrankung, aber auch chronische Angststörungen und Depressionen können die Folge sein. Folie 7 Umgang mit Scham Öffentliches Eingeständnis hilft Scham zu bewältigen – mit vertrauter Person sprechen; „Beichte“ wird zum 'Akt der Erlösung' – man wird aktiv und bleibt nicht passiv mit seiner Scham und seinen Bewertungen allein. Die Projektion auf andere Personen ermöglicht, dass wir von der Scham, die uns unangenehm ist, ablenken und diese für uns unangenehme Gefühl bei anderen Personen verstärkt wahrnehmen. Durch andere Gefühle, die immer noch leichter zu ertragen sind als Scham, könnte man mit Wut/Zorn eine Gegenreaktion bilden, die es einem leichter macht, die Scham zu ertragen. Das Leugnen oder Vergessen der Scham besetzten Situation ist ein Schutz der Seele – man will nicht mehr daran denken und sollte jemand einen erinnern wollen, könnte es abgewehrt werden. Eine gutes Gleichgewicht zwischen Auseinandersetzung auf der einen Seite und Abwehr auf der anderen Seite ermöglicht uns, seelisch im Gleichgewicht zu bleiben. Folie 8 Intime Scham (1) In unserem Leben als behinderte Menschen erleben wir viele medizinische Untersuchungen. Professionelle stellen uns viele Fragen an vielen verschiedenen 4 Zeitpunkten zu über intimen Bereichen unseres Körpers und zu unserem Erleben. zu Lebenszielen, Interessen und Motiven – nicht selten mit negativen Kommentierungen seitens dieser Berufs-Experten. Viele negative Bewertungen, die den Selbstwert gering schätzen: Das kannst Du nicht!, „Das schaffst Du sowieso nicht! „So etwas darfst Du nicht!“ – Killersätze eben, die besonders uns das Leben, unsere Durchsetzung von Bedürfnissen sehr erschweren. Soziale Scham (2) Leider habe Geringschätzungen, die aus unsere Umwelt, als auch aus einem unmittelbaren Kulturkreis und von einzelnen Personen kommen, eine langfristige Wirkung auf unser Selbstwertgefühl. Wenn unser Selbstwert vor allem von Schamgefühlen überwältigt wird, fehlt uns langfristige die Selbstachtung und ohne positives Selbstwertgefühl und damit steigende Selbstachtung geraten wir in Hilflosigkeit, eigene Geringschätzung, verstärken Ängste und provozieren depressive seelische Entwicklungen bis zur Selbstaufgaben und Selbsttötungsneigung. Folie 9 Wege zur Selbstachtung Wie erreichen wir auf dem Hintergrund unserer lebensgeschichtlichen Erfahrungen, die Stärkung unseres Selbstwertes und bekommen mehr Selbstachtung. Mit dem Wort "Selbst" ist immer die eigene Person gemeint; Selbstachtung heißt damit: Ich achte mich als Mensch, fühle mich wertvoll – auch für meine Mitmenschen und bin es wert, in Würde zu leben. Wir könnten uns nacheinander mit den Gefühle der Scham als Problembereiche auseinandersetzen. Nach ihre Schwere, dem Belastungsgrad, der Häufigkeit im Auftreten in unserem Leben und den Situationen, in denen sie vorkam, beschäftigen – schon, wenn wir das noch einmal lesen, fühlen wir uns unbehaglich, belastet und würden in ein „Jammertal der Scham“ geraten. 5 Aus einem Tal – wenn wir es uns bildlich vorstellen, kommen wir oft nur schwer heraus; von daher möchte ich vorschlagen, uns auf die Lösungsseite der Schamprobleme zu begeben: Im Folgenden sollen 4 wichtige Eigenschaften oder auch Persönlichkeitsressourcen vorstellen, von denen ich glaube, dass sie für die Stärkung unserer Selbstachtung von großer Bedeutung sind. Folie 10 Bindungsverhalten reguliert Nähe und Distanz – Explorationsverhalten und Bindung! Ein große Ressource ist die Nähe und zu Verlässigkeit zu mindestens einer Bezugsperson in meinem Leben! Die Bindungssicherheit hat einen gro0en Einfluss auf meine Fähigkeit mit Gefühlen – so auch Scham umzugehen; Bindungssichere Menschen haben oft Vertraute, denen sie auch peinliche, Scham besetzte Erlebnisse anvertrauen können und dadurch verstärken sie ihre Möglichkeit der Auseinandersetzung, der Reflexion mit sich selbst. Sie kommen damit auch in den Genuss von positiven Rückmeldung und emotionaler Unterstützung , verstärken sie ihre Selbstachtung. Ein sicher Bindungsmuster bedeutet, dass ein gutes Netzwerk zu eigenen Unterstützung aufgebaut werden kann. Menschen fällt es relativ leicht, enge Beziehungen/Bindungen zu anderen Menschen aufzubauen und es ist für sie auch in Ordnung, wenn sie auf auch einmal auf andere angewiesen bin oder dies auf Gegenseitigkeit besteht. Sie haben seltener das Problem sich alleingelassen zu fühlen oder von jemandem vereinnahmt zu werden. Ein "unsicher-vermeidendes Bindungsmuster" heißt, Angst vor Nähe und zu wenig Autonomie zu haben. Diesem Personenkreis fällt es ein wenig schwerer enge Beziehungen zu anderen Menschen zu haben. Es fällt ihnen schwer, anderen zu vertrauen. Es macht sie eher nervös, wenn ihnen jemand zu nahe kommt und sie fühlen sich schnell von anderen vereinnahmt. 6 Ein "unsicher – ambivalentes Bindungsmuster" bedeutet die Angst vor zu viel Autonomie und das starke Bedürfnis nach Nähe. Menschen, die dieses Bindungsmuster aufgebaut haben, machen häufiger die Erfahrung andere Menschen können ihnen nicht so nahe sein, wie sie es möchten. Sie begeben sich häufiger emotional in starke Abhängigkeit von anderen. Folie 11: Selbstwirksamkeit kann durch 4 Quellen unterstützt werden: 1. Direkte Erfahrung: erfolgreiche Ausführung einer Handlung/Aufgabe 2. Indirekte Erfahrung (Modell-Lernen): Beobachten eines erfolgreichen Modells 3. symbolische Erfahrung: Verbale Überzeugung von anderen (Du schafft das!) 4. Emotionale Erregung: aus der Erregung wird auf die Fähigkeit geschlossen Eine hohe Selbstwirksamkeit und auch die Erwartung darüber, stützt ebenso den Selbstwert und führt zu mehr Selbstachtung. Folie 12 Seelische Widerstandsfähigkeit (Resilienz) ist der Glaube an die Kontrolle über die eigene Lebenssituation. Es besteht eine hohe Aktivität für Pläne und Aufgaben und Menschen suche immer wieder nach Herausforderungen. Insgesamt besteht bei ihnen die Veränderungsbereitschaft und Überzeugung darüber, dass „Man niemals in den gleichen Fluss steigt.“ Resilienz ist eine erworbene Persönlichkeitsressource. Darüber hinaus beinhaltet sie die Fähigkeiten der Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung, der Problemlösefähigkeit und emotionalen und soziale Kompetenz. Folie 13 Eine weitere und für diesen Beitrag letzte Persönlichkeitsfähigkeit ist der Sinn für Lebenszusammenhänge oder das Kohärenzgefühl. Zu ihm gehören 3 wesentliche Grundvertrauensfähigkeiten: 7 1. Grundvertrauen eines Menschen, dass er die inneren und äußeren Lebensereignisse/-erlebensweisen strukturieren, vorhersehen und erklären kann. 2. Grundvertrauen, dass er genügend Ressourcen (persönlich, finanzielle, kulturell, Hilfeangebote) hat, die zur Bewältigung von stressreichen Situationen zu Verfügung stehen. 3. Grundvertrauen, dass die Herausforderungen dem Leben Sinn geben und für einen selbst einen Wert darstellen. 8