Manuelle Medizin bei musculo

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Manuelle Medizin bei muskuloskelettalen Schmerzen im Kindesalter
W. Coenen
Zusammenfassung:
Muskel- und Gelenkschmerzen im Kindesalter können im Rahmen rheumatischer,
systemischer oder maligner Erkrankungen auftreten, habe aber viel häufiger ihre Ursache in
funktionellen Störungen an den Strukturen des Bewegungssystems, die ursächlich nicht immer
zu ermitteln sind. In Frage kommen Traumafolgen, posturale Veränderungen,
Fehlbelastungen oder Fehlentwicklungen muskuloskelettaler Strukturen und so weiter.
Typische Schmerzbilder werden kurz erläutert und die therapeutischen Grundsätze
aufgezeigt.
Schlüsselworte: Myofasziales Schmerzsyndrom - „Wachstumsschmerz“ - Rückenschmerz - Verkettungssyndrom
Dysfunktionelles Verkettungssyndrom
Reversible Funktionsstörungen des Bewegungsapparates in Form hypomobiler
segmentbezogener arthromuskulärer Dysfunktionen (6,8,10) können bei Kindern und
Jugendlichen ähnliche Symptome hervorrufen, wie sie unter dem juvenilen primären
Fibromyalgiesyndrom beschrieben sind. Segmentale Dysfunktionen an der Halswirbelsäule,
vor allem in der kraniozervicalen Übergangsregion, verursachen Kopfschmerzen (5) , die je
nach Lokalisation des gestörten Segmentes in den Hinterkopf, die Schläfe, die Augen oder die
Stirn ausstrahlen und nicht selten von vegetativen Symptomen begleitet werden: Müdigkeit,
Schlafstörungen,
Konzentrationsstörungen,
Abgeschlagenheit
und
körperlicher
Leistungsabfall. Die Kopfschmerzen treten oft am Vormittag auf und nehmen im Laufe des
Tages zu, häufig abhängig von Körperhaltung und bestimmten sportlichen Übungen.
Unspezifische Gelenk- und Rückenschmerzen können im weiteren Verlauf hinzukommen.
Diagnostik:
Arthromuskuläre Dysfunktionen verursachen keine laborchemischen Veränderungen;
Röntgenfunktionsaufnahmen können Hinweise auf eine Bewegungseinschränkung im
funktionsgestörten
Wirbelsäulensegment
geben.
Mit
manualmedizinischen
Untersuchungstechniken lassen sich nozireaktive Veränderungen an den Weichteilstrukturen
des betroffenen Wirbelsäulenabschnittes aufdecken. Bei reversiblen Funktionsstörungen der
oberen Halswirbelsäule, einer der häufigsten Ursachen für funktionelle Kopfschmerzen, findet
sich einseitig eine palpable und schmerzhafte Tonuserhöhung in der autochthonen Muskulatur
des betroffenen Segmentes sowie an den occipitalen Ansätzen des M. semispinalis capitis
bzw. splenius capitis (10). Die passive und aktive Beweglichkeit des funktionsgestörten
Wirbelgelenkes ist in eine oder mehrere Richtungen schmerzhaft eingeschränkt, die nicht
autochthon innervierte Nackenmuskulatur vielfach verspannt: betroffen sind dabei vor allem
der absteigende Trapeziusast, die Scalenusmuskulatur, der Levator scapulae und der
Sternocleidomastoideus mit typischen Triggerpunkten. Aufgrund der Konvergenz zervikaler
Afferenzen mit Hirnnervenafferenzen (1,7) sind bei länger bestehender Schmerzsymptomatik
auch regelmäßig Triggerpunkte an der trigeminusinnervierten Kaumuskulatur zu finden
(Temporalis, Masseter, Pterygoidei)mit Hinweisen auf eine kraniomandibuläre Dysfunktion.
Segmentale Störungen an bestimmten distal gelegenen Wirbelsäulenabschnitten und eine
funktionelle Beckenfehlstatik mit segmental zugeordneten Triggerpunkten sind häufige
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Begleitsymptome bei chronifizierter dysfunktioneller Schmerzsymptomatik (9) und
erschweren mitunter die Abgrenzung zum juvenilen primären Fibromyalgiesyndrom.
Therapie
Die Therapie besteht hier in der gezielten manualmedizinischen Behandlung der segmentalen
Dysfunktion mit geeigneten Techniken (6,8,10). Eine zusätzliche craniomandibuläre
Dysfunktionen verlangt die Kooperation mit dem gnathologisch erfahrenen Zahnmediziner.
Bei der Behandlung der zervikookzipitalen Übergansregion hat sich dabei vor allem die
Atlastherapie nach Arlen bewährt, die im Gegensatz zur herkömmlichen chirotherapeutischen
Manipulation keine behandlungstypischen Risiken aufweist (2). Auch weiche manuelle
Techniken werden sinnvoll mit Impulstechniken kombiniert und sind in ihrer Wirksamkeit
nicht selten der herkömmlichen Physiotherapie überlegen. Analgetika werden nur
ausnahmsweise und kurzfristig bei akuter Schmerzsymptomatik eingesetzt.
„Wachstumsschmerz“
Beim sog. „Wachstumsschmerz“ fehlt gewöhnlich ein typisches manualmedizinisches
Korrelat, auch Labor- und Röntgendiagnostik bleiben stumm. Dieser Wachstumsschmerz ist
ein ätiologisch unklares Phänomen, das Kinder zwischen drei und zehn Jahren betrifft und
durch plötzlich auftretende, nächtliche Schmerzen gekennzeichnet ist (4). Kniegelenke,
Unterschenkel und Füße sind die häufigsten Schmerzlokalisationen, wobei die Seiten in der
Regel wechseln. Die Schmerzen dauern meist nicht länger als 20-30 Minuten, sie treten
schubweise und in unregelmäßigen Abständen auf und verschwinden gewöhnlich im
präpubertären Alter ohne weiteres Zutun und ohne Folgen zu hinterlassen. Die Therapie der
Wahl ist die Zuwendung durch die Mutter und sanfte Einreibung der schmerzhaften Region,
wobei neutrale Hautcremes und -öle die gleiche therapeutische Wirkung entfalten wie
antiphlogistische Salben. Die Gabe von Analgetika ist meist entbehrlich.
Cave: treten die Schmerzen konstant auf einer Seite auf, ist eine weiterführende Diagnostik
erforderlich zum Ausschluss einer organischen oder systemischen Erkrankung.
Literatur:
1. Christ, B. (1993): Anatomische Besonderheiten des Halses. Manuelle Medizin 31: 67-68
2. Graf-Baumann, T. (1998) Atlastherapie – eine risikoarme Alternative zur Manipulation?
Manuelle Medizin, 36: 45-47
3. Grim, M., Christ, B. (1993): Zur Innervation der langen Nackenmuskeln in Bezug auf die
sellschen Irritationspunkte. Manuelle Medizin 31: 33-33
4. Hefti, F. (1998): Kinderorthopädie in der Praxis. Springer Berlin Heidelberg, S. 297.298
5. Lewit, K. (1991): Dysterbance of function (blockage) in childhood. In: manipulative
therapy in rehabilitation of the locomotor system. Butterworth Heinemann, Oxford
6. Lewit, K. (1997): Manuelle Medizin. Johann Ambrosius Barth Verlag Heidelberg Leipzig,
S. 188
7 Neuhuber, W.J. (1998): Besonderheiten der Innervation des Kopf-Hals-Bereichs.
Orthopäde. 27: 794-801
8. Neumann, H.D. (1999): Manuelle Medizin. Springer Berlin Heidelberg New York, S. 9-23,
140, 159
9. Plato, G., Kopp, S. (1996): Das Dysfunktionsmodell. Gedanken zum Therapieansatz in der
Manuellen Medizin. Manuelle Medizin 43: 1-8
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10. Wolff, H.D. (1996): Neurophysiologische Aspekte des Bewegungssystems. Springer
Berlin Heidelberg New York
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Rückenschmerzen bei Kindern aus manualmedizinischer Sicht
Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen sind keine Seltenheit. Ob sie an Häufigkeit
zunehmen, wie in der Laienpresse immer wieder berichtet wird, lässt sich nicht feststellen, da
valide Daten und entsprechende Vergleichsstudien fehlen. Auch die Angaben zur Prävalenz
von Rückenschmerzen bei Kindern sind uneinheitlich und schwanken zwischen 7,8% und
51,2% (1,6,7,9,10)
Die weitaus häufigste Ursache für Rückenschmerzen im Wachstumsalter dürfte in
funktionellen arthromuskulären Störungen des Achsenorganes aufgrund einer reversiblen
muskulären Dysbalance zu suchen sein , gewöhnlich in Kombination mit einer vertebropelvinen, meist reversiblen Fehlstatik.
Die Charakteristika dieses Symptomenbildes entsprechen der Gruppe 4 in der Systematik
mukuloskelettaler Erkrankungen.
Diagnostik:
Reversible athromuskuläre Dysfunktionen des Achsenorganes entziehen sich der
laborchemischen und röntgenologischen Diagnostik. Morphologische Veränderungen im
Röntgenbild wie Missbildungen, juvenile Ossifikationsstörungen (z.B. M. Scheuermann),
Assimilationsstörungen der dorsolumbalen und lumbosacralen Übergansregion, Skoliose,
Spondylolisthesis usw. verursachen für sich genommen keine Schmerzen. Dass sie aufgrund
ihrer strukturellen Normabweichung die Entstehung segmentaler Dysfunktionen
einschließlich der damit verbundenen Schmerzen begünstigen können, darf allerdings
angenommen werden.
Differentialdiagnose
Vor allem bei nächtlicher Schmerzzunahme müssen entzündliche und osteolytische Prozesse
ausgeschlossen werden wie Tumoren, Spondylodiszitis, subphrenischer Abszess, Pleuritis,
organische Nierenerkrankung usw. Hier sind von Laboruntersuchungen und bildgebenden
Verfahren richtungsweisende Befunde zu erwarten.
Radikuläre Schmerzen und neurologische Ausfälle aufgrund einer Diskushernie sind im
Kindesalter eher eine Rarität, während pseudoradikuläre Symptome im Rahmen einer iliolumbo-sakralen Funktionsstörung keine Seltenheit darstellen.. (2)
Dysfunktioneller Schmerztyp
Rückenschmerzen bei reversiblen segmentalen Dysfunktionen des Achsenorganes können
spontan im zeitlichen Zusammenhang mit Wachstumsschüben auftreten, aber auch nach
sportlicher Betätigung, körperlicher Belastung oder banalen Traumen. Oft ist auch kein
auslösender Faktor zu ermitteln. Die Rückenschmerzen sind gewöhnlich stellungs- und
belastungsabhängig, z.B. beim Sitzen, Stehen und Bücken. Sie mindern sich bei normaler
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körperlicher Bewegung und klingen unter Bettruhe meistens ab. Nächtliche Beschwerden sind
selten. Nach Wolff (1979, 1996) handelt es sich bei dieser Art von Rückenschmerzen um
einen nozizeptiven Rezeptorenschmerz.(12)
Untersuchung
Die Diagnostik ist funktionell-manualmedizinisch: geprüft werden Wirbelsäulen- und
Beckenstatik, Tonus und Balance der Rumpf- und Extremitätenmuskulatur und die
Viskoelastizität myofaszialer Strukturen. Es wird nach nozizeptiven segmentalen
Gewebsveränderungen gefahndet in Haut, Unterhaut, Muskulatur und Gelenkkapseln
einschließlich einer segmentalen Bewegungsprüfung und Kontrolle des Verhaltens der
genannten Strukturen bei passiver Stellungsänderung des untersuchten Skelettabschnittes
Der Beckenring bildet die anatomische und funktionelle Grundlage der Wirbelsäule (8,11),
weswegen die manualmedizinische Untersuchung auch bei Kindern beim Beckenring
beginnen sollte. Sehr oft sind hier schon Hinweise auf die Schmerzursache zu finden (3).
Symptomatologie
Rückenschmerzen im Kindesalter werden überwiegend in der Becken-Lendenregion
empfunden., pseudoradikuläre Begleitsymptome oder segmentale Schmerzprojektion sind
dabei nicht selten. So können dorsolumbale segmentale Störungen Schmerzen verursachen,
die in Unterbauch und Leistengegend ausstrahlen, oft mit ausgeprägter Druckdolenz an der
Innenseite der homolateralen Spina iliaca anterior superior.
Dysfunktionen in den Segmenten L2-L4 sind hingegen häufig für Knieschmerzen
verantwortlich im Sinne des peripatellären Schmerzsyndroms. Hier findet man (neben dem
wenig aussagefähigen Patelladruckschmerz und anderen bekannten Zeichen) schmerzhafte
Kiblerfalten an der Lateroventralseite des Oberschenkels entsprechend Dermatom L3 und 4 ,
außerdem typische Schmerzdruckpunkte an den medialen und lateralen Anteilen der
Kniegelenkskapsel sowie im Muskel-Sehnenübergang des Quadriceps femoris, oft auch eine
isolierte Verkürzung des Femoralis innervierten Musculus rectus femoris .
Bei
Knieschmerzen im Kindes- und Jugendalter, die über mehrere Wochen anhalten, ist eine
Röntgenuntersuchung angezeigt: auszuschließen sind ossäre Tumoren, Osteochondrosis dissecans, aseptische
Knochennekrosen (M. Larsen, M. Schlatter) u.s.w.. Auch darf bei akuten oder anhaltenden Knieschmerzen eine
Untersuchung der Hüftgelenke nicht fehlen, da sich mancher M. Perthes und auch die Epiphyseolysis capitis
femoris in projizierten Knieschmerzen manifestieren kann.
Behandlungsweise
Zur manuellen Behandlung reversibler arthromuskulärer Funktionsstörungen der Wirbelsäule
werden gezielte segmentale Manipulationen und atraumatische Impulstechniken eingesetzt
(4), je nach Befund ergänzt durch mobilisierende Weichteilbehandlung.. Bei länger
vorbestandener muskulärer Dysbalance können eine ergänzende krankengymnastische
Behandlung und Haltungsschulung sinnvoll sein. Eine medikamentöse Analgesie ist bei dieser
Form von Rückenschmerzen nur ausnahmsweise erforderlich.
Literatur:
1. Balague, F., Nordin, M. (1992) : back pain in children and teenagers. Baillieres Clin
Rheumatol 6: 575-593
2. Beck-Föhn, M. (1999): Neurologische Ausfälle bei der Beckenringfunktionsstörung
(pelvic girdle dysfunction). Manuelle Medizin 37: 292-299
3. Bischoff, H.P. (1994): Chirodiagnostische und chirotherpeutische Technik. Perimed-Spitta
Balingen
4. Coenen, W. (2001): Manuelle Medizin bei Kindern - eine entwicklungsneurologische
E.Dat.Ref.doc.
Indikation. Manuelle Medizin 39: 195-201
5. Dvorak; J., Dvorak, V., Schneider, W., Spring, H., Tritschler, Th. (1997): Manuelle
Medizin: Therapie. Thieme Stuttgart - New York
6. Ebrall, P.S. (1994): The epidemiology of male adolescent low back pain in the north
suburban population of Melbourne, Australia. J. Manipulative Physiol. Ter. 17: 447-453
7. Friederich, N.F., Hefti, F. (1996): Rückenschmerzen bei Kindern und Jugendlichen. In:
Stücker R., Reichelt, A. (Hrsg.): Die kindliche Wirbelsäule. Symp. med. München, S. 4954
8. Kissling, R., Michel, B.A. (1997): Das Sacroiliacalgelenk: Grundlagen, Diagnostik und
Therapie. Bücherei des Orthopäden. Bd. 66, Enke Stuttgart
9. Sponseller, P.D. (1994): back pain in children. Curr Opin Pediatr 6: 99-103
10. Troussier, B. et al. (1994): back pain in scool children - a study among 1178 pupils.
Scand. J. Rehab. Med. 26: 143-146
11. Winkel, D. (Hrsg.) (1992): Das Sacroiliacalgelenk. Fischer Stuttgart Jena New York
12. Wolff, H.D. (1979): Lumbale Schmerz- und Störzustände aus chirotherapeutischer Sicht.
In: Junghanns, H. (Hrsg.): Die Wirbelsäule in Forschung und Praxis. Bd. 83, S. 175-181
Therapiemodule bei muskuloskelettalen Erkrankungen
Manuelle Medizin
In der Manuellen Medizin stehen zur neurophysiologischen Schmerzbehandlung
manipulative, myofasziale und muskelenergetische Techniken sowie eine spezielle
Impulsbehandlung der zervikookzipitalen Übergangsregion ( Atlastherrapie nach ARLEN)
zur Verfügung. Ziel der Therapie ist die Beseitigung nozizeptiver Reaktionen an den
kontraktilen und nicht-kontraktilen Wirbelsäulenstrukturen, die Normalisierung der
veränderten myofaszialen Viskoelastizität und die Wiederherstellung des gestörten
Gelenkspiels in den betroffenen Wirbelsäulensegmenten.
Die manuelle Behandlung bei dysfunktionellen Rückenschmerzen im Kindesalter ist keine
Dauertherapie: oft wird schon mit einer oder einigen wenigen Behandlungen
Beschwerdefreiheit erreicht. Zur Vermeidung von Rezidiven sind in vielen Fällen allerdings
weiterführende Maßnahmen sinnvoll: Bewegungsübungen, Haltungsschulung, zweckmäßige
Sitzmöbel, Vermeiden von belastenden Sportarten usw.
Die manualmedizinische Therapie gehört grundsätzlich in die Hand des Arztes, der nach den
wissenschaftlichen Vorgaben der Deutschen Gesellschaft für Manuelle Medizin (DGMM)
speziell chirotherapeutisch ausgebildet ist und über hinreichende Erfahrung in der manuellen
Diagnostik und Behandlung auch von Kindern verfügt.
Dr. med. Wilfrid Coenen
Institut für Manualmedizin und
Entwicklungstherapie (IMMET)
Waldstr. 35
D-78048 Villingen
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