Abteilung für transkulturelle und wissenschaftsgeschichtliche Forschungen in der Psychotherapie an der Sigmund-Freud-Privat Universität in Wien Beschreibung der Abteilung und ihrer Organisation Die Abteilung besteht aus einem inneren Kreis von Mitgliedern und einem äußeren Kreis von MitarbeiterInnen. Aus der Zusammensetzung der Gruppe, der Zusammenarbeit mit den anderen Abteilungen der Universität und ihren Verbindungen zu den Scientific Communities ergibt sich ihre Transdisziplinarität. Die leitenden Denkperspektiven der Abteilung, den Menschen als soziales, kulturelles und historisches Wesen in seinen bewussten und unbewussten Dimensionen, sowie die Geschichte der Psychotherapie und ihre unterschiedlichen lokalen Ausformungen wissenschaftlich zu erfassen, kommen in der Bezeichnung der Abteilung zum Ausdruck. Mit dem Holocaust und dem Ende des Kolonialismus wurde die Bedeutsamkeit von Geschichte und Kultur in der westlichen Psychotherapie bewusster wahrgenommen und in ihrer psychischen Repräsentanz erkennbar und erforschbar. Zentral für die Abteilung sind die regelmäßig stattfindenden Treffen, in denen sämtliche Lehre und Forschung betreffende Angelegenheiten besprochen werden (Diskussion von Forschungsprojekten und Einzelthemen, Lehrveranstaltungen, Einladung von Gästen und die Behandlung aller Fragen, die uns interessieren). Studierende sind bei diesen Treffen willkommen. Neben diesem Jour fix planen wir die Herausgabe eines regelmäßig erscheinenden elektronischen Rundbriefes. Mitglieder der Abteilung (innerer Kreis) Gerhard Kubik (Ethnologe, Kulturanthropologe, Psychoanalytiker), Moya Malamusi (Ethnologe, Kulturanthropologe), Elke Mühlleitner (Psychologin, Wissenschaftshistorikerin), Caroline Ouederrou (Germanistin, Soziologin), Johannes Reichmayr (Psychologe, Psychoanalytiker, Wissenschaftshistoriker), Stephan Steiner (Politikwissenschaftler, Historiker). MitarbeiterInnen und Freundeskreis der Abteilung (äußerer Kreis) Hubert Bergmann (Slawist, Sprachwissenschaftler, Historiker), Michael Giefer (Psychoanalytiker, Bad Homburg), Traute Hensch (Verlegerin, Freiburg i. Br.), Ruth Hoffer (Psychotherapeutin, Bamako/Mali & Frankfurt a.M.), Simon Inou (Journalist, Wien; www.afrikanet.info), Andrea Kaiser (Psychologin, Eisenstadt), Hans Peter Kotthaus (Politologe, Germanist, Diplomat i.R., Wien, Washington), Emilio Modena (Psychoanalytiker, Zürich; www.psychotherapie-stiftung.ch), Michael Molnar (Freud-Historiker, Slawist, London; www.freud.org.uk), Magatte Ndiaye (Germanist, Dakar/Senegal), Paul Parin (Schriftsteller, Psychoanalytiker), Michael Reichmayr (Slawist, Sprachwissenschaftler, Historiker), Brigitte Salanda (Buchhändlerin, Wien; www.apunktbuch.at), Bernhard Saltuari (Medientechniker, Graz), Traude Vetschera-Pillai (Ethnologin, Kulturanthropologin, Wien), Aleksandra Wagner (Psychoanalytikerin, New York), Ursula Wagner (Ethnologin, Kultur- und Sozialanthropologin), Erick Zott (Floridita, Wien; www.floridita.at). Arbeitskontakte – Institutionen (Auswahl) Abteilung für Sozialpsychologie, Ethnopsychoanalyse und Psychotraumatologie an der Universität Klagenfurt (Klaus Ottomeyer, Barbara Preitler, Klagenfurt) Bremer Institut für Kulturforschung (bik) (Maya Nadig, Bremen) http://www.kultur.uni-bremen.de/bik/ Institut Point Sud, Bamako, Mali (Mamadou Diawara, Bamako & Frankfurt a. M.) http://www.ziaf.de/images/Point%20Sud_Flyer_komprimierrt.pdf 1 Oral Literature Research Programme, Chileka, Malawi (Moya Malamusi, Chileka, Malawi, Wien) Stiftung für Psychotherapie und Psychoanalyse Zürich (Emilio Modena) www.psychotherapie-stiftung.ch/ Unsere Abteilung bietet den Studierenden eine kontinuierliche Begleitung in Lehre und Forschung und eine intensive Betreuung der Abschlussarbeiten. Themen und Fragestellungen für Bakkalaureats- und Masterarbeiten können im Rahmen der weiter unten angeführten Forschungsund Themenschwerpunkten der Abteilung entwickelt werden. Es stehen weltweit eine Reihe von betreuten (transkulturellen) Praktikumsplätzen in verschiedenen psychosozialen Einrichtungen zur Verfügung, in Afrika zum Beispiel in Dakar (Senegal), Bamako (Mali) und in Chileka (Malawi). Studentische Arbeiten im Rahmen von Lehre und Forschung sollen als Beiträge für die freie Enzyklopädie Wikipedia im Internet genutzt werden. Lehre Von der Abteilung werden transkulturelle und wissenschaftsgeschichtliche Lehrveranstaltungen, z.B. „Grundbegriffe transkultureller psychotherapeutischer und beraterischer Arbeit“, „Kulturkonzepte und die Frage der kulturellen Differenz“, „Die Bedeutung kultureller Unterschiede in verschiedenen psychotherapeutischen Schulen“, „Geschichte der Psychotherapie in kulturvergleichender Perspektive“ angeboten. Forschungs- und Themenschwerpunkte (Auswahl) Geschichte der Psychoanalyse und Psychotherapie in Afrika, Aufbau einer Kontaktdatenbank als Teil des bereits existierenden Onlinelexikons (www.chambre.at/lex-epsa) (Reichmayr, Ouederrou, Kubik). Angestrebt wird neben der Aktualisierung und Erweiterung des bestehenden Online-Lexikons der Aufbau einer Kontaktdatenbank. Diese soll es KollegInnen aus dem Süden und dem Norden erlauben, sich auf kasuistisch-klinischer Ebene auszutauschen. Es soll eine Intervision im Hinblick auf Patienten ermöglicht werden, deren kulturelle Differenz zu dem des behandelnden Psychotherapeuten groß ist; ein Psychotherapeut, der einen Patienten mit einem ihm fremden kulturellen Hintergrund behandelt, soll die Möglichkeit haben, die fachliche Qualifikation von KollegInnen in Anspruch zu nehmen, die Erfahrungen mit Patienten mit dem entsprechenden kulturellen Kontext gesammelt haben. Ein weiterer Teil des Projektes ist der Recherche und Dokumentation zur Geschichte und aktuellen Lage der Psychotherapie und Psychoanalyse in afrikanischen Ländern gewidmet (http://www.snag.at/circ1.htm). Traditionelle Heil- und Hexereipraxis in Südostafrika (Kubik, Malamusi). Moya Malamusi forscht seit vielen Jahren gemeinsam mit Gerhard Kubik zur traditionellen Heilpraxis und zum Phänomen der Hexerei in Ostafrika. Auch im Sommer 2005 sind die beiden auf Feldforschung. Aus einem Brief von Gerhard Kubik vom 25. August 2005: „Wir waren in Ndamera, an der Südspitze von Malawi und haben dort einen weiblichen Heilpraktiker video-dokumentiert. Die Frau ist sehr berühmt und ziemlich furchterregend aufgeputzt, wenn sie öffentlich bei einer GeistBesessenheits-Zeremonie auftritt. In der Hand hat sie ein Maschinengewehr (aus Moçambique, längst außer Betrieb). Diese Heilpraktikerin gehört zu jener Gruppe (siehe Moya’s Diplomabeit), die sich mit jenen Fällen psychischer Probleme beschäftigt, die – nach lokaler Weltanschauung – auf krankmachende spirituelle Wesen (azimu) zurückzuführen sind. Diese azimu sind unzufriedene Ahnen oder auch Natur-Geister etc. Man kann das alles relativ leicht in psychoanalytische bzw. psychodynamische Theorie-Sprache übersetzen.“ 2 Die Bedeutung der kulturellen Differenz in Theorie und Praxis verschiedener psychotherapeutischer Schulen (Reichmayr). Die Ethnopsychoanalyse als ethnozentrisch aufgeklärte Psychoanalyse kann als ein Produkt ihrer Auseinandersetzung mit kulturellen Unterschieden in Theorie und Praxis angesehen werden. Bei anderen psychotherapeutischen Methoden harren sowohl die Geschichte ihrer Auseinandersetzung mit dem kulturell Fremden als auch die Frage der aktuellen Bedeutung kultureller Differenzen der wissenschaftlichen Aufarbeitung und Aufklärung. Archiv Paul Parin. Sichtung, Aufnahme und Bearbeitung des wissenschaftlichen, literarischen und biographischen Archivs von Paul Parin in Zürich (Reichmayr). Paul Parin ist einer der Pioniere der Ethnopsychoanalyse und als Psychoanalytiker, Schriftsteller und politisch engagierter Bürger zu einem aktiven Zeitzeugen nahezu eines Jahrhunderts geworden. In seinem Archiv, das für die wissenschaftliche Bearbeitung geordnet und aufbereitet werden soll, spiegelt sich diese Geschichte wieder, die insbesondere auch für die Psychotherapiegeschichte von hohem Interesse und Erkenntniswert ist. Psychoanalysegschichte am Beispiel des Freud-Jubiläumsjahr 2005 (Mühlleitner). Nicht nur das klassische Archiv ist ein Datenspeicher für die Wissenschaftsgeschichte, auch die Beobachtung und Datenaufnahme in der Gegenwart generiert Wissen. 2006 werden Wien und andere Städte ganz im Zeichen des 150. Geburtstages von Sigmund Freud stehen, Anlass für genaue Beobachtungen im „eigenen Feld“. Wir werden verschiedene Methoden der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung und Datenerhebung für das Seminar kennen lernen, am Ende des Jahres wollen wir Wissenschaftsgeschichte und Eventkultur gegenüber stellen (Mühlleitner). Mentalitätsgeschichte (Steiner): Im Gegensatz zur traditionellen Geschichtsschreibung, die sich an „bedeutenden“ Personen und „dramatischen“ Ereignissen orientiert, konzentriert sich Mentalitätsgeschichte auf die das Alltagsleben einer Epoche prägenden Einstellungen von Menschen. Zentrale Fragestellungen betreffen den Lebenszyklus des Individuums, etwa „Wie hat sich die Eltern-Kind-Beziehung über die Jahrhunderte verändert?“, „Welche Bedeutung haben Sterben und Tod in religiösen und in säkularisierten Gesellschaften?“, „Gibt es psychische Konstanten oder stehen wir den Menschen früherer Zeiten vollkommen fremd gegenüber?“. Das Erleben der „eigenen“ kulturellen Wurzeln als fremd, eröffnet einen Schlüssel zum Verständnis anderer Kulturen. Historische Migrationsforschung unter besonderer Berücksichtigung der Deportationen (Steiner): Das 20. Jahrhundert ist geprägt von der „Verschickung“ von Menschen (Armenierpogrom, Judenvernichtung, stalinistische Umsiedelungen etc.). Während diese Ereignisse relativ gut dokumentiert sind, soll nun nach den Ursprüngen dieser Zwangsmethode gefragt werden, die im 17. und 18. Jahrhundert ihre direkten Vorläufer besitzt. Religiöse Abweichler, politische Aktivisten, Querulanten oder schlicht und einfach Arme und Ausgegrenzte wurden zu „Objekten“ staatlicher Repression. Genozidforschung (Steiner): Der Holocaust ist ein Zentralereignis der europäischen Geschichte, das in seiner weltgeschichtlichen Dimension verstanden werden muß. Eine isolierte Betrachtung der Ereignisse führt allerdings zum Fehlschluss einer Singularität derselben. Erst das InBeziehung-Setzen mit anderen Völkermorden (z.B. mit dem in Ruanda) kann einer Historisierung 3 entgegenwirken. Nicht um eine Gleichsetzung geht es, sondern um Vergleiche, die erst das Verständnis für die jeweiligen Besonderheiten zu schärfen vermögen. Interkulterelle Begegnungen in literarischen Texten (Steiner): Wie geht die Literatur mit dem Aufeinandertreffen von Menschen verschiedener Herkunft um? Zeigt sie zwischen „Multi-Kulti“ und einem „Clash of Civilizations“ einen dritten Weg? Begleitforschung Schulwohnheim für Mädchen in Bamako/Mali. Das „Haus der Hoffnung Nr. 1“ ist das erste Projekt des gemeinnützigen Vereines „Häuser der Hoffnung – Schulbildung für die Dritte Welt“. Was passiert mit 20 Mädchen im Alter von 10 bis 18 Jahren, die erstmals die Möglichkeit haben, eine Schule zu besuchen, neue Phantasien und Perspektiven für ihr Leben zu entwickeln und mit ihren Herkunftsfamilien in Kontakt zu bleiben? Durch Gespräche mit den Mädchen, der Gruppe, dem Team und den Familien soll ein Einblick gewonnen werden, welche Wünsche und Ängste entstehen, welche Veränderungen, Dynamiken und Konflikte ausgelöst werden und wie produktive und kreative Potentiale mobilisiert und umgesetzt werden können (Hoffer, Ouederrou, Reichmayr). www.haeuser-der-hoffnung.org Kurzbeschreibung und Links zu den Mitgliedern der Abteilung Gerhard Kubik, geb. 1934, studierte Ethnologe in Wien, Feldforschungen ab 1959 kontinuierlich in 18 afrikanischen Ländern, in Brasilien seit 1974, in den Vereinigten Staaten seit 1981. www.chambre.at/lex-epsa Moya Malamusi, geb. studierte Ethnologie, Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien, Leiter des Oral Literature Research Programme, Chileka, Malawi, Lehrbeauftragen an den Universitäten Wien und Salzburg, Forschungsschwerpunkt traditionelle Heilpraktiken und Hexerei in Ost- und Südostafrika. [email protected] Elke Mühlleitner, 1966, studierte Psychologie an der Universität Wien und absolvierte das Psychoanalytic Studies Program an der New School for Social Research in New York, Veröffentlichungen zur Wissenschaftsgeschichte der Psychologie, Psychoanalyse und Psychotherapie. [email protected] Caroline Ouederrou, geb. 1976, studierte Germanistik und Soziologie an der Universität Freiburg i.Br., Tätigkeit als Lektorin beim Psychosozial-Verlag, Absolventin des Universitätslehrganges „Fernsehjournalismus“ an der Donau-Universität Krems. Arbeitsschwerpunkte Migrationssoziologie, Frauenbilder und Sexualität im Islam, Beschäftigung mit zeitgenössischer arabischer Literatur, Mitautorin des biographischen Lexikons „Psychoanalyse und Ethnologie“ (2003). [email protected] Johannes Reichmayr, geb. 1947, studierte Psychologie an der Universität Salzburg, Ausbildung zum Psychoanalytiker in Salzburg, Zürich und Wien, Mitarbeiter von Igor A. Caruso an der Universität Salzburg und von Klaus Ottomeyer an der Uni Klagenfurt, Arbeiten zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung und zur Ethnopsychoanalyse. www.chambre.at/lex-epsa 4 [email protected] Stephan Steiner, geb. 1963, studierte Deutsche Philologie und Politikwissenschaften an der Universität Wien. Promovierter Historiker. Literaturkritiker. Essayist. Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Deportation; Holocaust; Literatur nach 1945. Herausgeber des 7. Bandes der Werkausgabe von Jean Améry. [email protected] 5