4. Folgen der Ehescheidung für Kinder

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Fachhochschule Fulda
Fachbereich Sozialwesen
Diplomarbeit
im Schwerpunkt Psychosoziale Beratung und Gesundheitsförderung
Ehescheidungen:
Auswirkungen und ewältigungsmöglichkeiten
Referent: Prof. Dr. Christian Schulte-Cloos
Korreferent: Prof. Dr. Michael Wolf
Vorgelegt von: Christiane Kehr
Inhaltsverzeichnis
1
1.Einleitung ................................................................................................................. 6
2. Ehescheidungen, Familien- und Lebensformen im Wandel der Zeit ................ 7
2.1 Zeitgeschichtlicher Anstieg von Ehescheidungen .............................................. 7
2.1.1 Demographische Daten.........................................................................................8
2.1.2 Bedingungsfaktoren für den Anstieg von Ehescheidungen ................................10
2.2 Von der modernen Kleinfamilie als familialer Normaltypus in der Moderne
zur postfamilialen Familie der Gegenwart........................................................ 13
2.2.1 Entwicklung der modernen Kleinfamilie nach dem Vorbild der bürgerlichen
Familie ................................................................................................................14
2.2.2 Entwicklung postfamilialer Familien- und Lebensformen .................................16
2.3 Bedeutungswandel von Ehescheidungen aus soziologischer Perspektive ....... 21
2.3.1 Frühere Sichtweise: das Desorganisationsmodell ..............................................21
2.3.2 Die heutige Sichtweise: das Reorganisationsmodell ..........................................24
3. Ehescheidungen als phasenhafter Prozeß .......................................................... 32
3.1 Vorscheidungsphase ......................................................................................... 33
3.1.1 Verschlechterung der Ehebeziehung ..................................................................34
3.1.2 Entscheidungskonflikte ......................................................................................35
3.1.3 Auswirkungen der Vorscheidungssituation für die intrapsychische
Entwicklung der Kinder .....................................................................................36
3.1.3.1 Beeinträchtigung des Ur-Vertrauens bei Kleinkindern im ersten
Lebensjahr .............................................................................................37
3.1.3.2 Beeinträchtigung der Individuation und der Entwicklung von
Objektbeziehungen des Kindes in der Wiederannäherungsphase .........38
3.1.3.3 Beeinträchtigung der ödipalen Entwicklung.........................................43
3.1.3.4 Beeinträchtigung der Entwicklungen in der Adoleszenz.......................45
3.2 Scheidungsphase .............................................................................................. 46
3.2.1 Die Trennung und die Zeit danach (Trennungsphase) .......................................46
3.2.2 Die gerichtliche Scheidung.................................................................................48
3.2.2.1 Sorgerechtsregelungen, die bis 01.07.1998 vom Familiengericht
getroffen wurden....................................................................................49
3.2.2.2 Sorgerechtsregelungen nach dem Kindschaftsreformgesetz.................50
3.2.3 Entwicklungsbedingungen und Auswirkungen derTrennungsphase auf die
intrapsychische Entwicklung der Kinder ...........................................................51
3.2.3.1 Auswirkungen einer Trennung auf die intrapsychische Entwicklung
der Kinder in den ersten drei Lebensjahren (Individuations- und
Loslösungsprozeß): ...............................................................................53
2
3.2.3.2 Auswirkungen einer Trennung auf die intrapsychische Entwicklung
der Kinder zwischen vier und sechs Jahren (ödipale Phase)................53
3.2.3.3 Auswirkungen der Trennung für die intrapsychische Entwicklung
der Kinder in der Latenzphase ..............................................................55
3.2.3.4 Auswirkungen der Trennung auf die intrapsychische Entwicklung
Jugendlicher in der Adoleszenz .............................................................55
3.3 Die Nachscheidungsphase ................................................................................ 56
3.3.1 Die psychische Scheidung der Geschiedenen
und deren Scheidungsbewältigung .....................................................................56
3.3.2 Beziehungsmuster zwischen Geschiedenen .......................................................60
3.3.3 Eltern-Kind-Beziehungen in der Nachscheidungsphase ....................................63
3.3.4 Auswirkungen der Entwicklungsbedingungen in der Nachscheidungsphase
auf die psychische Entwicklung der Kinder .......................................................69
4. Folgen der Ehescheidung für Kinder ................................................................. 72
4.1 Reaktionen der Kinder auf den Prozeß der Ehescheidung ............................... 72
4.1.1 Kindliche Emotionen auf die elterliche Scheidung ............................................75
4.1.2 Altersspezifische Reaktionen von Kindern auf die elterliche Scheidung ..........78
4.1.2.1 Geburt bis zum 2. Lebensjahr ...............................................................78
4.1.2.2 Zweites bis drittes Lebensjahr...............................................................79
4.1.2.3 Drittes bis fünftes Lebensjahr ...............................................................79
4.1.2.4 Fünftes bis sechstes Lebensjahr ............................................................80
4.1.2.5 Siebtes bis achtes Lebensjahr ...............................................................80
4.1.2.6 Neuntes bis dreizehntes Lebensjahr ......................................................81
4.1.2.7 Vierzehntes bis neunzehntes Lebensjahr ...............................................81
4.1.3 Geschlechtsspezifische Rektionen auf die elterliche Scheidung........................82
4.1.4 Langfristige Folgen der elterlichen Scheidung für Kinder .................................83
4.1.4.1 Erhöhtes Risiko psychischer Störungen und Entwicklung delinquenter
Verhaltensweisen ...................................................................................84
4.1.4.2 Gestaltung von Partnerschaften ............................................................85
4.1.5 Positive Folgen der elterlichen Scheidung für Kinder .......................................85
4.1.6 Intergenerative Transmission des Scheidungsrisikos .........................................87
4.1.7 Fazit zu den kindlichen Reaktionen auf die elterliche Scheidung......................88
4.2 Bedingungsfaktoren der kindlichen Reaktionen auf die elterliche Scheidung . 89
4.2.1 Die sozial-ökonomische Situation von Scheidungsfamilien ..............................89
4.2.2 Beziehung zwischen den Kindern und dem getrenntlebenden Elternteil ...........91
4.2.3 Beziehungen zwischen den Eltern vor und nach der Scheidung (familiales
Konfliktniveau) ..................................................................................................92
3
4.3 Familienformen nach der Ehescheidung .......................................................... 94
4.3.1 Mehrelternfamilien als Normalfamilien .............................................................95
4. 3.2 Offene Mehrelternfamilien ................................................................................97
4.3.3 Einelternfamilien, die kooperieren .....................................................................99
4.3.4 Einelternfamilien, die ausgrenzen ....................................................................100
4.3.5 Fazit ..................................................................................................................102
5. Bewältigungsmöglichkeiten und -hilfen im Prozeß der Ehescheidung ......... 103
5.1 Günstige Bewältigungsbedingungen .............................................................. 104
5.1.1 Positives Elternverhalten ..................................................................................104
5.1.2 Günstige sozio-ökonomische Bedingungen .....................................................107
5.2 Beratungsangebote im Scheidungsprozeß ...................................................... 108
5.2.1 Phasenspezifische Intervention ........................................................................110
5.2.1.1 Beratung in der Vorscheidungsphase .................................................111
5.2.1.2 Beratung in der Scheidungsphase .......................................................112
5.2.1.3 Beratung in der Nachscheidungsphase ...............................................114
5.2.2 Interventionsangebote für Kinder .....................................................................115
5.2.2.1 Das Freiburger Gruppeninterventionsprogramm für Kinder aus
Trennungs- und Scheidungsfamilien ...................................................117
5.2.2.2 Prävention innerhalb der Schule ........................................................122
5.2.3 Mediation..........................................................................................................123
5.2.3.1 Definition von Mediation im allgemeinen ...........................................124
5.2.3.2 Ziele der Scheidungsmediation ...........................................................125
5.2.3.3 Erfahrungen mit Mediation .................................................................127
5.2.3.4 Einbeziehung der Kinder in die Mediation .........................................129
5.2.4 Fazit zu den Scheidungsberatungsangeboten ...................................................130
6. Schlußbetrachtung ............................................................................................. 132
Literaturverzeichnis ............................................................................................... 133
Materialanhang ...................................................................................................... 189
4
5
1.Einleitung
In meiner Diplomarbeit möchte ich mich mit dem Thema „Ehescheidung“ auseinandersetzten. Anlaß
dafür ist meine Nebenbeschäftigung in einer Scheidungsfamilie. Im Umgang mit den einzelnen
Familienmitgliedern (Eltern und drei Kinder) stellten sich mir viele Fragen, auf die ich eine Antwort
suchte. Durch die Bearbeitung dieses Themas erlangte ich zu Erkenntnissen und Kompetenzen, die
meinen Umgang mit dieser Familie veränderten.
Außerdem ist es meiner Meinung nach dringend notwendig, sich dieser Thematik zu stellen, da in
unserer Gesellschaft, wie in Punkt 2.1.1 deutlich werden wird, Ehescheidungen keine Ausnahmen
mehr sind, sondern weitverbreitete gesellschaftliche Realität.
Fast jeder ist inzwischen mehr oder weniger intensiv berührt durch entsprechende Erfahrungen, die im
Kollegen-, Bekannten-, Freundes-, und Familienkreis gemacht werden (vgl. Faltermeier u. Fuchs,
1992, 7).
Gerade in der sozialpädagogischen Arbeit, wie in verschiedenen Beratungsstellen oder in der
sozialpädagogischen Familienhilfe werden Mitarbeiter auch vermehrt mit Scheidungsfamilien
konfrontiert werden. Dafür ist es von großer Bedeutung, daß diese kompetentes Wissen zu dieser
Thematik besitzen.
Ich werde in meiner Arbeit schwerpunktmäßig auf Familien, d.h. auf Eltern und Kinder, eingehen, die
eine Ehescheidung erleben. Dabei stehen vor allem die Kinder, deren Belastungen, Auswirkungen,
Folgen und Bewältigungsmöglichkeiten im Vordergrund. Allerdings berücksichtige ich auch immer
wieder die Erwachsenen bzw. Eltern, da das kindliche Scheidungserleben entscheidend mit dem
elterlichen Verhalten zusammenhängt.
Außerdem möchte ich darauf hinweisen, daß meine Ausführungen, die sich vor allem auf
Ehescheidungen beziehen, genauso gut Trennungen gelten können, da in unserer Gesellschaft
zunehmend mehr Paare ohne Trauschein zusammenleben.
Ziel meiner Arbeit ist, aufzuzeigen, daß Ehescheidungen nicht in jedem Fall zu langfristigen Störungen
für Eltern und Kinder führen müssen, wie lange Zeit angenommen wurde und manchmal auch heute
noch geglaubt wird.
Ich werde
verdeutlichen,
daß es Wege gibt, die eine positive
Scheidungsbewältigung ermöglichen, d.h. einen Umgang mit Scheidungen, der nicht zu andauernden
negativen Entwicklungen führen muß.
Zuerst werde ich Ehescheidungen und ihre Bedeutung im Kontext gesellschaftlichen Wandels
beleuchten. Danach schildere ich den phasenhaften Prozeß der Ehescheidungen mit den möglichen
Anfoderungen und Auswirkungen für alle Familienmitglieder der Kernfamilie. Die Situation der
Kinder im Ehescheidungsprozeß, deren mögliche Reaktionsweisen in Verbindung verschiedener
Bedingungsfaktoren wird im darauf folgenden Kapitel nochmals besonders herausgestellt. Außerdem
erläutere ich günstige und ungünstige nacheheliche Familienformen, in denen Kinder leben.
Abschließend gehe ich darauf ein, welche Bedingungen für eine positive Scheidungsbewältigung für
Kinder notwendig sind und was verschiedene professionelle Hilfen dabei leisten sollten.
6
____________________________________________________________________
Anmerkung: Für jegliche Personenangabe verwende ich die maskuline Schreibweise,
die aber auch die gedachte feminine Form miteinschließt.
2. Ehescheidungen, Familien- und Lebensformen im
Wandel der Zeit
In diesem Kapitel möchte ich darauf eingehen, wie häufig in unserer Gesellschaft Ehescheidungen
vorkommen und, unter welchen Bedingungen die Zahl der Ehescheidungen in den letzten 30 Jahren so
stark angestiegen ist. Weiterhin werde ich die sich veränderte soziologische Bedeutung von
Ehescheidungen im Kontext sich wandelnder Familien- und Lebensformen erläutern.
2.1 Zeitgeschichtlicher Anstieg von Ehescheidungen
Die Scheidungshäufigkeit der Ehen hat seit Mitte der sechziger Jahre stark zugenommen, steigt seit ein
paar Jahren aber nur noch wenig. Die Ehescheidungen scheinen sich wohl auf einem hohen Niveau zu
stabilisieren ( vgl. Engstler, 1997,75).
Im folgenden werde ich einen kurzen Überblick über aktuelle Zahlen geben und danach mögliche
Bedingungen für den zeitgeschichtlichen Anstieg der Scheidungszahlen aufzeigen.
7
2.1.1 Demographische Daten1
Gab es 1960 noch 48.878 Ehescheidungen und 1980 96.222, so liegt die Zahl der Scheidungen 1996
nun bei 152.798. Von 1960 aus gesehen hat sich die Häufigkeit der Scheidungen verdreifacht. 1996
wurde der bisher höchste Stand erreicht, der seit 1950 registriert wurde.
Die folgende Tabelle und Graphik sollen den Anstieg der Ehescheidungen verdeutlichen.
1
Jahr
Anzahl
Deutschland
1960
1965
1970
1975
1976
1977
1978
1979
1980
1981
1982
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1889
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
73418
85304
103927
148461
153061
117795
75758
124225
141016
158087
168348
170941
181064
179364
174882
180490
178109
176691
154786
136317
135010
156425
166052
169425
175550
Früheres
Bundesg.
48878
58728
76520
106829
108258
74658
32462
79490
96222
109520
118483
121317
130744
128124
122443
129850
128729
126628
125308
128187
125907
139157
145060
147945
152798
Neue
Länder
24540
26576
27407
41632
44803
43137
43296
44735
44794
48567
49865
49624
50320
51240
52439
50640
49380
50063
29478
8130
9103
17268
20992
21480
22752
je 10000 Einwohner
Neue
Früheres
Länder
Bundesg.
14,2
8,8
15,6
10
16,1
12,6
24,7
17,3
26,7
17,5
25,7
12,2
25,8
5,3
26,7
13
26,8
15,6
29
17,8
29,9
19,2
29,7
19,8
30,2
21,3
30,8
21
31,5
20,1
30,4
21,2
29,6
20,9
30,1
20,4
19,9
19,3
5,6
19,6
6,3
19
12
20,8
14,7
21,6
15,1
21,9
16
22,5
je 10000 bestehender Ehen
Neue Länder
Früheres
Bundesg.
35
60,9
39,2
63,9
50,9
98,8
67,4
106,5
68,8
102,6
47,7
102,8
20,8
106,3
51
106,3
61,3
115,9
72,3
120,2
78,4
120,3
80,6
122,4
87,1
125,1
86,1
128,5
82,6
124,3
87,6
121,1
86,6
122,8
84,6
78,4
81,1
22,1
81,9
25,1
79,7
48,3
87,3
59,4
90,6
61,5
92,3
65,8
95,2
Die Angaben stammen, soweit nicht anders angegeben, vom Statistischen Bundesamt, Hammes,
1997, 826-835.
Ich beschränke mich bei meinen Ausführungen auf Zahlen, wenn nicht andersangegeben, die den
Westen Deutschlands betreffen, da die neuen Bundeslände raufgrund unterschiedlicher
Entwicklungen gesondert zu betrachten wären.
8
200000
180000
160000
140000
120000
100000
Deutschland
Früheres Bundesg.
80000
Neue Länder
60000
40000
20000
1996
1994
1992
1990
1988
1986
1984
1982
1980
1978
1976
1970
1960
0
Tabelle 1 u. 2: Ehescheidungen in Deutschland, nach Hammes, 1997, 826
Zusammenfassend kann man feststellen, daß sich die Ehescheidungsziffer nach wie vor auf einem
hohen Niveau befindet, und es ist damit zu rechnen, daß vermutlich drei von zehn Ehen mit einer
Scheidung enden werden (vgl. Hammes, 1997, 827; Engstler 1997, 75).
Nun stellt sich die Frage, wieviel Kinder von einer Ehescheidung betroffen sind.
1996 waren 125.200 Kinder von der Scheidung ihrer Eltern betroffen, gegenüber 119.300 im Vorjahr.
Seit 1992 ist die Zahl der betroffenen Kinder wieder angestiegen, d.h. daß zunehmend mehr Kinder
die Scheidung ihrer Eltern erleben. 1996 betrug der Anteil der geschiedenen Ehen mit Kindern 52,9%,
bei der Hälfte aller Scheidungen sind demnach minderjährige Kinder mitbetroffen.
Folgende Tabelle und Graphik geben einen detaillierten Überblick über die durch die Ehescheidung
betroffenen Kinder.
Ehescheidungen - Deutschland
Jahr
1975
1980
1985
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
insgesamt
148461
141016
179364
174882
180490
178109
176691
154786
136317
135010
156425
166052
169425
175550
darunter mit Betroffene
Kindern (in%)
Kinder
62,3
58,5
57,5
55,9
56,3
54,8
54,0
52,1
49,3
50,4
52,3
53,7
54,7
55,0
154316
125047
148424
140604
146516
141696
139746
118340
99268
101377
123541
135318
142292
148782
Ehescheidungen - Alte Bundesl. Ehescheidungen - neue Bundesl.
insgesamt
darunter mit Betroffene
Kindern (in%)
Kinder
106829
96222
128124
122443
129850
128729
126628
125308
128187
125907
139157
145060
147945
152798
58,9
52,9
52,5
50,0
51,3
49,7
48,5
48,6
48,7
49,3
50,1
51,2
52,4
52,9
107216
78972
96991
87986
95740
92785
89552
89393
92298
92662
105431
113148
119348
125187
insgesamt
darunter mit
Kindern (in%)
Betroffene
Kinder
41623
44794
51240
52439
50640
49380
50063
29478
8130
9103
17268
20992
21480
22752
71,0
70,4
70,2
69,5
69,0
68,2
68,1
67,0
58,2
65,7
70,5
71,1
70,7
69,4
47100
46075
51433
52618
50776
48911
50194
28947
6970
8715
18110
22170
22944
23595
Tabelle 3: Geschiedene Ehen nach der Zahl der noch lebenden minderjährigen
Kinder dieser Ehe, nach Hammes, 1997, 832.
9
160000
140000
120000
100000
80000
Deutscland
Alte Bundesländer
Neue Bundesländer
60000
40000
20000
1996
1995
1994
1993
1992
1991
1990
1989
1988
1987
1986
1985
1980
1975
0
Tabelle 4: Anzahl der an Ehescheidungen betroffenen minderjährigrn
Kinder, nach Hammes, 1997, 832
Die Darlegung der demographischen Daten in diesem Abschnitt soll verdeutlichen, daß in unserer Zeit
Ehescheidungen keine Ausnahmen und Einzelschicksale mehr sind, sondern daß sie zu einem
vordringlichen Problem in der Familienpolitik geworden sind und viele Institutionen, die Ehen,
Familien und Kinder beraten, sich mit dieser Problematik zunehmend beschäftigen müssen (vgl.
Moch, 1994, 401).
2.1.2 Bedingungsfaktoren für den Anstieg von Ehescheidungen
Betrachtet man den Anstieg der Scheidungen seit den 60er und vor allem auch in den 80er Jahren, so
stellt sich die Frage, welche Einflüsse und Bedingungen diesen Anstieg und die mittlerweile
gleichbleibend hohe Instabilität der Ehe begünstigt und hervorgerufen haben.
Einführend möchte ich darauf hinweisen, daß diese Entwicklung nicht mit monokausalen
Zusammenhängen erklärbar ist, sondern viele verschiedene Faktoren (gesellschaftliche, kulturelle,
soziale, individuelle etc.) haben beeinflussenden Charakter und stehen außerdem noch gegenseitig in
Wechselwirkung.
Meine Ausführungen werden nicht alle möglichen Faktoren berücksichtigen, sondern sich auf die
wesentlichsten Bedingungen und Zusammenhänge beschränken.
Besonders geeignet, den zeitgeschichtlichen Anstieg von Ehescheidungen zu erklären, sind kulturelle
und gesellschaftliche Bedingungen (vgl. Burkart u. Kohli, 1992, 33).
Nach Meinung von Nave-Herz (1997, 117-118) ist die Zunahme der Ehescheidungen nicht, wie man
meinen könnte, die Folge eines gestiegenen Bedeutungsverlustes der Ehe, sondern vielmehr ist der
Anstieg der Scheidungen Folge ihrer hohen psychischen Bedeutung und Wichtigkeit für den einzelnen.
Partner ertragen heute weniger als früher unharmonische, unbefriedigende eheliche Beziehungen und
lösen ihre Ehe schneller auf, mit der Hoffnung auf eine spätere bessere Partnerschaft. Laut Nave-Herz
10
sind die gestiegenen Ansprüche an die Qualität der Partnerbeziehung eine Hauptursache für gestiegene
Scheidungszahlen.
Diese subjektive Sinnzuschreibung der Ehe bestand nicht immer so, sondern hat sich im Zuge von
gesamtgesellschaftlichen, ökonomischen und normativen Veränderungen entwickelt (vgl. Klages, 1984
in: Nave-Herz, 1997, 118), die ich nun kurz und vereinfacht erläutern möchte.
Während das Leben der Menschen früher, d.h. in der vormodernen Zeit (bis zum 18./19.Jhd.), durch
eine Vielzahl traditioneller Bindungen und gesellschaftlicher Vorgaben bestimmt war, z.B.
Familienwirtschaft, Dorfgemeinschaft, Heimat, Stand, Religion etc., begann mit der modernen
Gesellschaft, also mit der Industrialisierung und Modernisierung eine Entwicklung, die diese
traditionellen Bindungen immer mehr auflöste und den Menschen immer mehr Freiraum zu
individueller Lebensgestaltung ließ (vgl. Beck-Gernsheim, 1994a, 160).
Im Zuge dieses Individualisierungsprozesses veränderte sich auch die Bedeutung der Ehe.
Früher war die Ehe vor allem eine Versorgungsinstitution, die den Zweck hatte, den Frauen, die
gewöhnlich keine Berufsausbildung hatten, eine sinnvolle Lebensmöglichkeit, Sicherheit und
gesellschaftlichen Status zu bieten und gleichzeitig dem Mann eine Frau zu geben, die die Hausarbeit
machte und die Kinder versorgte (vgl. Burkart u. Kohli, 1992, 36 u. 245).
Diese Eheform war zweckbezogen gegründet und nicht sehr hoch emotional besetzt (vgl. Bien, 1996,
6).
Eine Ehe konnte zu dieser Zeit nur geschieden werden, wenn eine eheliche Pflichtverletzung, ein
schuldhaftes Verhalten eines Ehepartners vorlag, wie z.B. Trunksucht, Geschwätzigkeit, Faulheit etc.
(vgl. Burkhart u. Kohli, 1992, 36).
Die Versorgungsehe verlor allmählich an Bedeutung und es wurde zunehmend mehr aus Liebe
geheiratet, als die bürgerliche Ehevorstellung sich durchgesetzt hatte. Je mehr die Ehe auf Liebe
gegründet ist, desto wahrscheinlicher werden Scheidungen (vgl. ebd., 34).
„Je stärker der institutionelle Charakter der Ehe in den Hintergrund tritt und allein die
Beziehungsebene und damit Emotionen und Affekte bedeutsam werden, desto eher können
Enttäuschungen über den Partner die Auflösung der Ehe begünstigen, da keine weiteren wesentlichen
Funktionen der Ehe die aufgetretene Deprivation kompensieren können“ (Nave-Herz, 1997, 118).
Im Gegensatz zu früher, wo Scheidungen nur aus Gründen von schuldhaftem Vergehen eines Partners
stattfanden, müssen heute Trennungsgründe nicht mehr in schuldhaftem Verhalten des Partners
gesucht werden. Scheidungen können heute vollzogen werden, wo zwei Ehepartner die Sinnlosigkeit
ihrer
Ehe
feststellen
und
z.B.
erkennen,
daß
sich
Lebensentwürfe
und
Lebenspläne
auseinanderentwickelt haben (vgl. Burkhart u. Kohli, 1992, 36).
Neben dem institutionellen Wandel der Ehe kommt hinzu, daß sich durch die Abnahme traditioneller
Vorgaben in Bezug auf die Geschlechterrollen, die Barrieren für eine Ehescheidung verringert haben.
Immer mehr Frauen können sich durch eine gute Ausbildung und einen anspruchsvollen Beruf selbst
versorgen und sind somit nicht mehr ökonomisch von ihren Männern abhängig (vgl. Nave-Herz, 1997,
119; Burkart u. Kohli, 1992, 35). „Damit aber ist der quantitative Anstieg der Ehescheidungsziffern
auch auf die Abnahme bestehender Ehen aufgrund von zwanghafter Kohäsion zurückzuführen“
(Nave-Herz, 1997, 119).
11
Durch die Abnahme traditioneller Vorgaben, d.h. gesellschaftlich vorgegebener Leitbilder für die
Gestaltung von Ehe und Familie muß heute jeder einzelne selbst seine Beziehungssysteme gestalten
und konstruieren. „Der Deinstitutionalisierung gesellschaftlich vorgegebener Beziehungsmuster steht
idealerweise die Re-Institutionalisierung von Ehe und Familie bzw. deren äquivalenten Lebensformen
als selbstkonstruktiver Prozeß gegenüber - ein Prozeß, bei dem alle Beteiligten zu Architekten ihres
Beziehungssystems werden“ (Schneewind, 1995, 149).
Dies hat zur Folge, daß Ehepartner selbst ihre Rollen, Aufgaben, Erwartungen, Verantwortlichkeiten
individuell aushandeln müssen. Wiederum erfordert dies ein hohes Maß an Kommunikation. Manche
Liebe ist damit überfordert. Nicht selten führt die innereheliche Auseinandersetzung, die Freiheit der
Qual der Wahl der Dinge des Alltags, der Lebensweisen und auch die der Liebespartner nicht zur
besten aller Ehen, sondern geradewegs zum Ende der Liebe, zur Scheidung (vgl. Menne et al., 1997,
12).
Neben diesen hier grob skizzierten historisch-gesellschaftlichen Bedingungen, die zur Erhöhung der
Scheidungszahlen beitragen und beigetragen haben, möchte ich noch auf eine Theorie eingehen, die
den Aufwärtstrend des Ehescheidungsrisikos damit erklärt, daß es eine Eigendynamik der
Scheidungsentwicklung gibt.2
Diekmann und Heekerens unterscheiden fünf Mechanismen, die die Eigendynamik der
Scheidungsentwicklung erklären:
 Zwischen Erwerbstätigkeit und Scheidungsrisiko besteht ein wechselseitiger Zusammenhang. Auf
der einen Seite erhöht die Erwerbstätigkeit der Frauen das Scheidungsrisiko, wie schon in den
bereits ausgeführten Erläuterungen erwähnt. Andererseits tragen steigende Scheidungszahlen zum
Anstieg der Erwerbsquote von Frauen (nicht nur von geschiedenen) bei. Verheiratete Frauen
neigen in Anbetracht der vielen Scheidungsfälle dazu, eine Berufstätigkeit aufzunehmen, was
wiederum das Scheidungsrisiko wachsen läßt.
 „Die Wahrnehmung steigender Scheidungsrisiken kann die Wirkung sich ‘selbst erfüllender
Prognosen’ ausüben. Haben Ehepartner Zweifel an der Dauerhaftigkeit ihrer Verbindung, dann
wird sich die Skepsis in einer Verringerung ‘ehespezifischer Investitionen’ niederschlagen.
Dadurch aber steigt das Scheidungsrisiko“ (Diekmann u. Engelhard, 1995, 216).
Dies bedeutet, daß die Instabilität der Ehe umso größer ist, je größer die Zweifel sind. Bestehen
Zweifel an der Ehe, werden Ehepartner weniger Gemeinsamkeiten, wie z.B. ein gemeinsames
eigenes Haus, gemeinsame Kinder, aufbauen, damit im Falle einer Scheidung so wenig Barrieren
wie möglich vorhanden sind (vgl. Beck-Gernsheim, 1997, 23).
 Steigende Scheidungszahlen erleichtern die Partnersuche nach einer Ehescheidung. Ein höheres
Potential Geschiedener erhöht die faktische Chance einer Wiederheirat oder die Aufnahme einer
neuen Verbindung. Diese verbesserten Aussichten auf neue Partnerschaften begünstigen die
Neigung zur Auflösung einer unbefriedigten Ehe.
2
Soweit nicht anders angegeben beziehen sich folgende Ausführungen auf Diekmann, 1987, 1994;
Heekerens, 1987, in: Diekmann u. Engelhard, 1995, 215-216.
12
 In Gesellschaften, in denen Ehescheidungen die Ausnahme darstellen, sind Geschiedene
erheblichen Diskriminierungen ausgesetzt. Steigt die Zahl der Ehescheidungen, werden sie ein
möglicher Bestandteil der bürgerlichen Existenzform, so ist auch ein Abbau der Stigmatisierung
Geschiedener damit verbunden. Dieser Wandel im Sozialklima erleichtert die Scheidung und
erhöht somit das Scheidungsrisiko.
 Nach der Transmissionshypothese, auf die ich in Punkt 4.1.6. näher eingehen werde, wird das
Scheidungsrisiko
von
der
Eltern-
auf
die
Kindergeneration
übertragen.
Kinder
aus
Scheidungsfamilien weisen ein höheres Scheidungsrisiko in ihrer eigenen Ehe auf, als Ehepartner,
deren
„Mit
Eltern
der
intergenerativen
nicht
„Vererbung“
geschieden
des
Scheidungsrisikos
wurden.
reproduzieren
sich
Scheidungsraten in der Generationenfolge; ein Faktor, der die Scheidungsdynamik zusätzlich
stimuliert hat“ (Diekmann u. Engelhard, 1995, 216).
Anhand dieser Ausführungen wird deutlich, daß durch die hohen Scheidungsraten und die sich
wechselseitig bedingenden Effekte das traditionelle Familienmodell aus zusammenlebenden leiblichen
Vater, Mutter und Kind immer brüchiger wird. „Die „Normalisierung der Brüchigkeit“ wird die
Zukunft der Familie ausmachen“ (Beck-Gernsheim, 1996, 285).
Es werden sich zunehmend Muster ausbreiten, wie: Fortsetzungsehen, Mehreltern-Familien (leibliche
Eltern und Stiefeltern), Patchwork-Familien (Familien, die aus leiblichen Kindern und Elternteilen und
Stieffamilienmitgliedern bestehen). Im Bereich von Partnerschaft, Ehe und Familie werden nicht
Stabilität kennzeichnend sein, sondern fortschreitende Instabilität und mehr Wechsel. Die Familie (die
Ursprungsfamilie aus Vater, Mutter und Kind) wird zur Teilzeitgemeinschaft, d.h. sie wird viele
Menschen nicht mehr lebenslang binden, sondern nur noch über bestimmte Zeiträume und Phasen. Die
traditionelle Familie wird zwar nicht verschwinden, aber sie wird immer seltener werden, weil daneben
andere Lebens- und Beziehungsformen entstehen. Anstelle von selbstverständlich vorgegebener, oft
erzwungener Bindungen und festgefügter Formen treten freiere Wahlmöglichkeiten, die wechselnde
Lebens- und Familienformen mit sich bringen (vgl. ebd., 300-302).
Diese Entwicklungstendenzen und ihre Hintergründe werden im nächsten Kapitel noch deutlicher
werden, in dem ich auf den Wandel von Familien- und Lebensformen eingehen werde.
2.2 Von der modernen Kleinfamilie als familialer Normaltypus in
der
Moderne zur postfamilialen Familie der Gegenwart
13
Die moderne Kleinfamilie oder auch die privatisierte Kernfamilie, d.h. die selbständige
Haushaltsgemeinschaft eines verheirateten Paares mit seinen unmündigen Kindern, war bis zum Ende
der 50er und Anfang der 60er Jahre dieses Jahrhunderts der dominante Familientypus in Deutschland.
Sie war eine kulturelle Selbst-verständlichkeit und wurde von der Mehrheit der Bevölkerung gelebt
(vgl. Peuckert, 1996, 20).
Im Alltag war sie das anerkannte und allgemein angestrebte Lebensmodell. Sie galt als notwendig für
das Funktionieren von Staat und Gesellschaft. In der Bundesrepublik wurde sie im Grundgesetz
verankert (vgl. Art.6 GG) und unter den besonderen Schutz des Staates gestellt (vgl. Beck-Gernsheim,
1994b, 115).
Seit den späten 60er und frühen 70er Jahren begann jedoch ein grundlegender Wandel, der die
Monopolstellung dieser modernen Normalfamilie langsam auflöst.
In den nun folgenden zwei Kapiteln möchte ich zuerst die Entwicklung beschreiben, die zur
Entstehung des Leitbildes der modernen Kleinfamilie geführt hat und dann darauf eingehen, wie es zu
dem Wandel der modernen Kleinfamilie hin zu den heute existierenden veränderten Familien- und
Lebensformen, der postfamilialen Familie3, gekommen ist.
2.2.1 Entwicklung der modernen Kleinfamilie nach dem Vorbild der
bürgerlichen Familie
Die Entstehung des Familienmodells der modernen Kleinfamilie kann als Ergebnis eines langfristigen
strukturell-funktionalen Differenzierungsprozesses von Gesellschaft gesehen werden (vgl. Parsons,
1975; Rothenbacher, 1987, in: Peuckert, 1996, 20).
In der vorindustriellen Gesellschaft stellte die Familie eine Arbeits- und Wirtschaftsgemeinschaft dar
(vgl. Beck-Gernsheim, 1994b, 120).
Familien waren primär Produktionsstätten. Die typische Lebensweise für Bauern und Handwerker war
die Sozialform des „ganzen Hauses“, das viele gesellschaftliche Funktionen, z.B. Produktion,
Sozialisation, Alters- und Gesundheitsvorsorge erfüllte. Das zentrale Merkmal des „ganzen Hauses“
war die Einheit von Produktion und Familienleben. Knechte, Mägde, Gesellen, Lehrlinge gehörten
genauso zum Hausverband wie verwandte Familienmitglieder (vgl. Peuckert, 1996, 21).
In dieser Familienform gab es keine Distanzierung zwischen Familienmitgliedern und familienfremden
Personen, z.B. waren Kinder nicht bevorrechtigt vor Mägden und Knechten (vgl. Nave-Herz, 1994,
20).
Alle Mitglieder dieser Hausgemeinschaft, Männer und Frauen, Alte und Junge hatten je einen eigenen
Platz und Aufgabenbereich, wobei sie alle einem gemeinsamen Ziel dienten, und zwar dem Erhalt von
Hof oder Handwerksbetrieb. In dieser Familiengemeinschaft war wenig Raum für persönliche
Neigungen und Gefühle. Nicht die Einzelperson zählte, sondern die gemeinsamen Zwecke und Ziele
(vgl. Beck-Gernsheim, 1994b, 120). „Ohne Einbindung in eine Familie, in Verwandtschaft und
3
Diesen Begriff prägte Beck-Gernsheim, 1994b, 135. Nähere Erläuterungen unter Punkt 2.2.2.
14
Dorfgemeinschaft war der Mensch nahezu ein Nichts, ein Ohnmächtiger und dazu noch ein sozial
Degradierter (...) In diesem Geflecht von Abhänigkeiten standen die materiellen Interessen der
eigenen Familie, des Hofes und des Dorfes im Vordergrund, nicht die Freiheit des einzelnen. Auf
Gedeih und Verderb war jeder an diese Gemeinschaft gefesselt; sie war ihm Rettungsanker und
Bleigewicht zugleich“ (Borscheid, 1988, 271f., zit. in: ebd.).
In dieser Zeit standen gefühlsärmere Beziehungen im Vordergrund. Kinder galten als potentielle
Arbeitskräfte und die Beziehungen zu ihnen waren relativ gefühlsarm. Ausschlaggebende Momente für
eine Heirat waren damals weniger Emotionen, als vielmehr ökonomische Faktoren, wie z.B.
Arbeitskraft und Mitgift der Frau (vgl. Peuckert, 1996, 21).
Mit der Industrialisierung kam der wesentliche historische Einschnitt. Die Familie verlor ihre Funktion
als Arbeits- und Wirtschaftsgemeinschaft, Arbeits- und Wohnstätte wurden getrennt. Als Folge
gesellschaftlicher Differenzierungsprozesse (wie z.B. die Auslagerung der Produktion aus der Familie)
kristallisierte sich zuerst im gebildeten und wohlhabenden Bürgertum ansatzweise der Typ, der auf
emotional-intime Funktionen spezialisierten bürgerlichen Familie, als Vorläufermodell der modernen
Familienform heraus (vgl. Peuckert, 1996, 21-22; Beck-Gernsheim, 1994b, 121).
Besondere Kennzeichen dieser bürgerlichen Familie sind4:
 Wohnung und Arbeitsstätte sind getrennt, was eine maßgebliche Voraussetzung für die
Privatisierung des familialen Zusammenlebens darstellt;
 Gesinde und Dienstboten sind räumlich ausgegliedert (Trennung zwischen Familienmitgliedern
und Fremden);
 Die bürgerliche Familie bildet einen privatisierten, auf emotional-intime Funktionen spezialisierten
Teilbereich der Gesellschaft. Liebe wird zum Leitmotiv für eine Eheschließung.
 Mit der Entstehung der bürgerlichen Familie kommt es zu einer Polarisierung der
Geschlechtsrollen.
Dem
Mann
wird
die
Rolle
des
Ernährers
zugeschrieben.
Er ist für den Arbeitsbereich zuständig, der durch Zweckgebundenheit und Rationalität
gekennzeichnet ist. Die Frau wird vom Erwerbsleben ausgeschlossen und ist für den familialen
Innenraum
verantwortlich,
der
die
Aufgabe
hat,
die
emotionalen
Bedürfnisse
der
Familienmitglieder zu befriedigen (vgl. Nave-Herz, 1994, 22).
 Kindheit wird in dieser Zeit zu einer selbständigen, anerkannten Lebensphase, d.h. Kinder gelten
nicht länger als kleine Erwachsene, sondern ihnen werden eigene Bedürfnisse zugestanden. Die
Erziehung des Kindes wird zur ureigensten Aufgabe der Frau.
Dieser bürgerliche Familientyp wurde zunächst nur von einem kleinen Kreis priviligierter bürgerlicher
Schichten realisiert, da die schlechte sozioökonomische Lage (niedrige Löhne, Arbeitslosigkeit,
Frauen und Kinder müssen oft auch noch arbeiten) dem größten Teil der Bevölkerung dieses
Familienleben nicht erlaubt. Erst Mitte diesen Jahrhunderts konnte sich die moderne Kleinfamilie nach
dem Vorbild des bürgerlichen Familientyps etablieren. Ausschlaggebend waren die tiefgreifenden
Wandlungsprozesse der 50er und frühen 60er Jahre. Durch massive Lohnsteigerungen und den Ausbau
4
Die Aufzählung der Kennzeichen geschieht, soweit nicht anders angegeben, in Anlehnung an
Meyer, 1992, in: Peuckert, 1996, 22).
15
des sozialen Sicherungssystems kam es zu einer deutlichen Verbesserung aller Einkommensbezieher.
Außerdem propagierten zunehmend Parteien und Kirchen diesen Familientypus. Die moderne
Kleinfamilie wurde zur dominanten, massenhaft gelebten Lebensform (vgl. Peuckert, 1996, 22-23).
Dieses Leitbild der modernen Familie verlangte von jedem Menschen die lebenslange, monogame Ehe
(vgl. ebd., 23).
Ehe und Familie waren in dieser Zeit von Staat und Gesellschaft stark institutionalisiert, d.h.
Eheschließung und Familiengründung wurden den einzelnen als Normalverhalten nahegelegt. Jeder
Erwachsene ist dazu nicht nur berechtigt, sondern in gewisser Weise auch verpflichtet (vgl. ebd., 24).
Zu Beginn der 60er Jahre zeigte sich diese Berechtigung und Verpflichtung zur Eheschließung und
Familiengründung in hohen Heirats- und Geburtenziffern und niedrigen Scheidungsquoten (vgl. ebd.,
25).
Die moderne Kleinfamilie (lebenslange, monogame Ehe mit eigenen Kindern), die sich vor allem
durch intime emotional-affektive Beziehungen der Familienmitglieder und eine geschlechtsspezifische
Rollenzuteilung der Ehepartner (Ehefrau und Mutter ist für die emotional-affektiven Bereiche der
Familie und die Haushaltsführung zuständig und dem Vater, als Autoritätsperson obliegen die
Außenbeziehungen und die instrumentellen Aspekte des Familienlebens) auszeichnete, war in den 50er
und 60er Jahren das Monopol der Familienform (vgl. ebd., 23-24).
Alternative Formen des Zusammenlebens (z.B. Geschiedene, Nichteheliche Lebensgemeinschaften,
Alleinlebende) wurden in dieser Zeit als Notlösungen toleriert oder diskriminiert (vgl. ebd., 23).
Diese Situation hat sich seit Mitte der 60er Jahre in der Bundesrepublik grundlegend gewandelt (vgl.
ebd., 25).
Wie dieser Wandel aussieht und welche Hintergründe zu diesen Veränderungen beitragen und
beigetragen haben beschreibe ich nun im nächsten Punkt.
2.2.2 Entwicklung postfamilialer Familien- und Lebensformen
Der Typus der modernen Kleinfamilie nimmt seit 1965 zahlen- und anteilsmäßig ab und wird ergänzt
durch eine Vielzahl anderer familialer und insbesondere nichtfamilialer Lebensformen (vgl. Peuckert,
1996, 38). Folgende Tabelle soll die verschiedenen heute möglichen Lebensformen, die von dem
Leitmodell der modernen Kernfamilie abweichen, verdeutlichen.
Merkmale der Normalfamilie
Abweichungen von der Normalfamilie
verheiratet
Alleinlebende („Singels“); Nichteheliche Lebensgemeinschaft
16
mit Kind/Kindern
gemeinsamer Haushalt
2 leibliche Eltern im Haushalt
lebenslange Ehe
exklusive Monogamie
heterosexuell
Mann als Haupternährer
Haushalt mit 2 Erwachsenen
Kinderlose Ehe
Getrenntes Zusammenleben („living-apart-together“)5
Ein-Eltern-Familie; Binukleare Familie6; Stief- u.
Adoptivfamilie; Heterologe Inseminationsfamilie7
Fortsetzungsehe (sukzessive Ehe)
Nichtexklusive Beziehungsformen8
Gleichgeschlechtliche Paargemeinschaft
Egalitäre Ehe9, Ehe mit Doppelkarriere10; Commuter-Ehe11,
Hausmänner-Ehe
Haushalt mit mehr als 2 Erwachsenen (Drei- u. mehrGenerationenhaushalt; Wohngemeinschaft)
Tabelle 5: nach Peukert, 1996, 29.
Die moderne Kleinfamilie verschwindet allerdings nicht, sie löst sich nicht auf, sondern sie verliert
offensichtlich das Monopol als einziges Leitmodell. Ihre quantitative Bedeutung nimmt ab, da sich
neue Lebensformen, wie z.B. Alleinleben, Nichteheliche Lebensgemeinschaften, kinderlose Ehen,
Alleinerziehende, Stieffamilien, gleichgeschlechtliche Paare etc. ausbreiten. „Es entstehen mehr
Zwischenformen und Nebenformen, Vorformen und Nachformen: Das sind die Konturen der
„postfamilialen Familie““ (Beck-Gernsheim, 1994, 135).
Dieser Veränderungsprozeß der Familien- und Lebensformen ist nicht, wie schon bei dem
zeitgeschichtlichen Anstieg der Ehescheidungen erwähnt, auf einen Faktor allein zurückzuführen,
sondern er ist Teil epochaler gesamtgesellschaftlicher Wandlungsprozesse (vgl. Rerrich, 1990, 176).
Für die Entstehung dieser differenzierten und vielfältigen Formen des Zusammen- und Alleinlebens
liegt bis heute kein überzeugender, empirisch abgesicherter Erklärungsansatz vor. Die bisher
geeignetsten Theorien sind die Individualisierungstheorie nach Beck12 und die Theorie der
gesellschaftlichen Differenzierung auf die ich nun eingehen werde (vgl. Peuckert, 1996, 251-266,
wenn nicht anders angegeben).
Individualisierungstheorie:
5
Damit ist eine Lebensform gemeint, bei der die Partner eigenständige Haushalte führen, d.h. zwar
eine feste Partnerschaft leben, aber ohne gemeinsame Wohnung und Wirtschaftsgemeinschaft
(vgl. Peuckert, 1996, 92).
6
Binukleare Familien sind Familien mit zwei Haushalten und zwar einem Mutter- und
Vaterhaushalt, die anläßlich von Ehescheidungen entstehen, wenn beide Elternteile sich weiterhin
um die Kinder kümmern (vgl. Ahrons, 1997,11).
7
Familien, die entweder durch künstliche Befruchtung der Samenzelle der Frau mit der Samenzelle
eines anderen als des Ehemannes oder durch eine fremde Eizelle, die mit dem Samen des
Ehemannes befruchtet, der Ehefrau eingepflanzt und von dieser ausgetragen wurde, entstehen.
8
Darunter versteht man Partnerschaften, bei denen mindestens ein Partner sexuelle Kontakte zu
Personen außerhalb der Partnerschaft unterhält (vgl. Peuckert, 1996,34).
9
Damit sind Ehen gemeint, die die Gleichheit und die persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten beide
Ehepartner betont (Verbot geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung und Autoritätsausübung)
(vgl. Peuckert, 1996, 34).
10
Beide Ehepartner streben in dieser Eheform eine berufliche Karriere an (vgl. Peuckert, 1996, 33).
11
Damit sind Ehen gemeint, bei denen die Partner aufgrund der Verfolgung ihrer beruflichen
Karriereambitionen getrennte, räumlich weit entfernt liegende Haushalte gründen, so daß ein
Zusammenleben nur an Wochenenden oder in größeren zeitlichen Abständen möglich ist
(vgl. Peuckert, 1996, 33-34).
12
Vgl. auch Beck, 1986; 1994.
17
Der demographische Wandel und die familialen Veränderungen in der Bundesrepublik ab den 60er
Jahren dieses Jahrhunderts kann als Ergebnis eines neuen gesellschaftlichen Individualisierungsschubs
gedeutet werden.
Auf
dem
Hintergrund
eines
hohen
materiellen
Lebensstandards
durch
starke
Einkommensverbesserungen und weit vorangetriebener sozialer Sicherheiten und durch die
Bildungsexpansion der 60er und 70er Jahre wurden die Menschen immer mehr aus traditionellen
Klassenbindungen, Vorgaben und Versorgungsbezügen der Familie herausgelöst und wurden
gezwungen, ihr Leben individuell zu planen und zu gestalten.
Individualisierung bedeutet in diesem Kontext, daß Menschen in ihrem individuellen Lebenslauf
zunehmend unabhängiger werden von Instanzen, wie Geschlecht, Alter, soziale und regionale
Herkunft, die das Eintreten bestimmter biographischer Ereignisse und Übergänge, wie z.B. die Geburt
des ersten Kindes, die Eheschließung, den Eintritt in das Berufsleben, in der Vergangenheit gesteuert
haben (vgl. Strohmeier, 1993, in: Peuckert, 1996, 252).
Aus der sogenannten „Normalbiographie13“ wird die „Wahlbiographie“ (Ley, 1984, zit. in: Peuckert,
1996, 253), d. h. Menschen können und müssen sich zwischen verschiedenen Wahlmöglichkeiten
(Optionen) entscheiden.
Außerdem wird durch den Ausbau des Sozialstaatssystems in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts
die Entwicklung individueller Lebensentwürfe gefördert und die Bindung an die Familie gelockert,
denn
wo
kollektive
Unterstützungsleistungen,
staatliche
Hilfen
und
Absicherungen
(zB.
Krankenversicherung, Altersrente, Sozialhilfe, Ausbildungsbeihilfe, etc.) beginnen, wird ein
Existenzminimum jenseits der Familie sichergestellt, d.h. Familienmitglieder sind nicht mehr
bedingungslos auf Unterordnung verwiesen, sondern sie können ausweichen (vgl. BeckGernsheim,1994b, 121-122).
„Insoweit der Staat Individuen zu Empfängern seiner Gaben macht und nicht die Familie, zu denen
sie gehören, wird es wahrscheinlicher, daß Jugendliche mit Ausbildungsbeihilfen ihre Familien
verlassen, daß größere Haushalte mehrerer Generationen sich aufspalten, daß erwerbstätige
Verheiratete sich scheiden lassen“ (Mayer u. Müller, 1994, 291).
Vor allem seit der 60er Jahre hat sich der Individualisierungsprozeß auch auf den weiblichen
Lebensverlauf ausgeweitet. Die biographische Selbstverständlichkeit von Ehe und Mutterschaft hat
nachgelassen. Die berufliche Karriere als konkurrierender Wert zur Familie ist für zahlreiche Frauen
immer wichtiger geworden, insbesondere in Folge der Bildungsexpansion und der Angleichung der
Bildungschancen der Frauen und des stark gestiegenen Anteils qualifizierter Berufsarbeit. Dies hat zur
Folge, daß in Bezug auf die Gestaltung von Familien- und Lebensformen nun verstärkt die
Vorstellungen zweier selbständiger Individuen mit jeweils eigenen Lebensplänen koordiniert werden
müssen. Es müssen neue Arrangements von Familie und Beruf gefunden werden. In diesem
Zusammenhang gewinnen solche Lebensformen an Bedeutung, die es gestatten, den selbständigen
Interessen von Mann und Frau nachzugehen, z.B. kinderlose Ehen, Ein-Eltern-Familien, Getrenntes
13
Normalbiographie ist zu verstehen als den in den 60er Jahren allgemein gelebten Lebenzyklus, der
darin bestand, daß man nach dem Ausstritt aus der Herkunftsfamilie eine lebenslange, monogame
Ehe einging und eine moderne Kleinfamilie gründete.
18
Zusammenleben (living-apart-together), etc. oder, als konsequentester Ausdruck eines der modernen
Gesellschaft angepaßten Lebensstils, das Alleinleben (Single-Leben) (vgl. Peuckert, 1996, 39-40).
Familie wird im Rahmen dieser gesellschaftlichen Bedingungen, der zunehmenden Individualisierung
der Einzelbiographien, immer mehr zu einer Art Kleinunternehmen, in dem die Interessen, Bedürfnisse
und Verantwortlichkeiten der einzelnen Familienmitglieder ausgehandelt, organisiert und aufeinander
abgestimmt werden müssen. Der Familienalltag wird zunehmend schwieriger, es treten oft
Unstimmigkeiten auf, die meist unter großen psychischen Anstrengungen ausbalanciert und
ausgeglichen
werden
müssen.
Der
Familienverband
wird
brüchiger,
d.h.
wenn
diese
Abstimmungsleistungen nicht gelingen, droht die Familie auseinanderzubrechen (vgl. BeckGernsheim, 1994b, 123-125; 134-135).
Diese Individualisierungsprozesse wurden in den 60er und 70er Jahren dieses Jahrhunderts von einem
sozialen Wertewandel begleitet, der auch dazu beitrug, daß die traditionelle Kleinfamilie ihre
Monopolstellung verloren hat.
Nach Klages (1985, in: Peuckert, 1996, 254) wirkte sich dieser Wertewandel negativ auf die
Eheschließungsbereitschaft, die Bindungskraft der Ehe und die Bereitschaft, Kinder in die Welt zu
setzen aus.
Der Wertewandel bestand in einer Abnahme der traditionellen Pflicht- und Akzeptanzwerte (Betonung
von Ordnung, Leistung, Pflichterfüllung, Zurückstellen eigener Interessen zugunsten der Einordnung
in eine Gemeinschaft, Erfüllen von Außenanforderungen, wie z.B. gesellschaftliche Normen, etc.) und
einer
Zunahme
von
Selbstentfaltungswerten
(Autonomie,
Selbstverwirklichung,
Kreativität,
Unabhängigkeit, etc.) (vgl. Klages, 1984, in: Peuckert, 1996, 253-254; Klages, 1984, in: Nave-Herz et
al., 1990, 38-39).
Da nach Meinung von Bertram (1992, zit. in: Peuckert, 1996, 255) für selbstentfaltungsorientierte
Menschen Ehe und Familie als Lebenssinn von untergeordneter Bedeutung sind, kann davon
ausgegangen werden, daß dieser Wertewandel zur Veränderung von Ehe und Familie beigetragen hat.
Zur Selbstwertorientierung, die Unabhängigkeit, Autonomie und Selbstverwirklichung zum Ziel hat,
passen auf Dauer angelegte, traditionelle Lebens- und Familienformen nur mit Schwierigkeiten.
Eheschließungen nehmen zugunsten von leichter reduzierbaren Paarbeziehungen (nichteheliche
Lebensgemeinschaften) ab, anstelle von lebenslangen Paarbeziehungen treten z.B. befristete
Zweierbeziehungen, die sogenannten Lebensabschnittsbegleiter (vgl. Peuckert, 1996, 272).
Diese Entwicklungen machen deutlich, daß sich das in den 60er Jahren relativ einheitliche moderne
Familienmodell immer mehr in verschiedene Lebensformen ausdifferenziert. Dieses Phänomen
beschreibt die Theorie der gesellschaftlichen Differenzierung, die ich nun kurz erläutern werde.
Theorie der gesellschaftlichen Differenzierung14:
Nach dieser Theorie kann der familiale Wandel als eine Ausdifferenzierung der Privatheit verstanden
werden.
Aufgrund von Anpassungserfordernissen der modernen Industriegesellschaft, wie Mobilität,
Flexibilität, persönliche Leistung, Bildung und Konkurrenz vor allem im Bereich des heutigen
14
Ausführlicher in Meyer, 1993, 23-40.
19
Arbeitsmarktes15
und
Selbstwertorientierungen,
wie
zuvor
beschrieben,
entstehen
immer
ausdifferenziertere Typen der privaten Lebensformen, die mit der komplexer werdenden Umwelt
besser fertig werden als die moderne Kleinfamilie.
Neben
die
moderne
Kleinfamilie,
als
dem
kindorientierten
Privatheitstyp,
sind
der
partnerschaftsorientierte Privatheitstyp (nichteheliche Lebensgemeinschaft, kinderlose Ehen) und der
individualistische Privatheitstyp (freiwilliges Alleinleben, Wohngemeinschaften, Partnerschaften mit
getrennten Haushalten (living-apart-together)) getreten.
Diese Ausdifferenzierung kann nach Meyer (1993, in: Peuckert, 1996, 265) als Steigerung der
Anpassungsfähigkeit an die moderne Gesellschaft verstanden werden. Meyer betont, daß die
alternativen Privatheitstypen mehr Unabhängigkeit und Reversibilität garantieren, als die auf Dauer
angelegte, geschlechtsspezifisch strukturierte moderne Kleinfamilie.
Abschließend läßt sich zusammenfassen, daß in unserer heutigen Zeit viele verschiedene
Lebensformen nebeneinander gelebt werden. Oft leben Menschen in ihrem gesamten Lebenslauf
verschiedene Lebensformen im Wechsel.
Nicht mehr die Kontinuität der Lebensform ist die alleinige Norm, d.h. die lebenslange Einheitsfamilie
wird zum Grenzfall, sondern die Regel wird eher ein Hin und Her zwischen verschiedenen Familien
auf Zeit und nicht-familialen Formen des Zusammenlebens (vgl. Prokop, 1994, 36).
Beck formuliert diesen Sachverhalt folgendermaßen: „Zwischen die Extreme Familie oder
Nichtfamilie gestellt, beginnt sich eine wachsende Zahl von Menschen für einen dritten Weg: einen
widerspruchsvollen, pluralistischen Gesamtlebenslauf im Umbruch zu ‘entscheiden’ ..., zu einem
Wechsel zwischen Familie gemischt mit und unterbrochen durch andere Formen des Zusammen- oder
Alleinlebens“ (Beck, 1990, 51, zit. in: Peuckert, 1996, 272).
Allerdings ist festzustellen, daß trotz vieler Veränderungen in Bezug auf die Lebensformen das
Phänomen konstant bleibt, daß die meisten Menschen nach wie vor in Beziehungen leben werden, d.h.
die dyadische Partnerbeziehung ist als konstantes Muster zu erkennen (vgl. Schneider et al, 1998, 19).
Denn gerade die Individualisierung, die die Menschen zwingt ihr Leben selbst, ohne traditionelle
Vorgaben und Orientierungsmuster, zu gestalten und die die Menschen aus traditionellen Bindungen,
die auch Sicherheit vermittelt haben, gelöst hat, fördert das Bedürfnis nach Nähe, Intimität und
Geborgenheit, das seine Befriedigung in Beziehungen sucht, die heute allerdings in ihrer Art , was
Verpflichtungscharakter und Dauer angeht anders gestaltet werden als die traditionelle Ehe- und
Familienform (vgl. Beck-Gernsheim, 1994b, 134-135).
In Anbetracht dieser sich veränderten und immer weiter verändernten gesellschaftlichen Situation und
des Wandels der Familien- und Lebensformen, wird deutlich, daß sich auch die Bedeutung von
Ehescheidungen gewandelt haben muß, worauf ich im nächsten Abschnitt eingehen werde.
15
Vgl. dazu auch Beck, 1994, 46-48.
20
2.3 Bedeutungswandel von Ehescheidungen aus soziologischer
Perspektive
In der Zeit, als die monogame, lebenslange Ehe und die moderne Kleinfamilie das gesellschaftliche
Leitbild darstellten, wie in Punkt 2.2.1 beschrieben, wurde die Ehescheidung anders bewertet, als
heute, wo viele verschiedene Formen des familialen Zusammenlebens existieren und es viele
Ehescheidungen gibt.
Ich möchte nun die frühere (60er/70er Jahre) und die heutige soziologische Interpretation der
Ehescheidungen erläutern und dabei aufzeigen, daß durch eine veränderte Sichtweise sich auch die Art
und Weise der Bewältigung der Ehescheidung und der Umgang mit ihr geändert hat. Es wird deutlich
werden, daß das heutige soziologische Verständnis eine optimistischere Haltung darstellt und dadurch
hoffnungsvolle Wege im Umgang und in der Bewältigung der Ehescheidung eröffnet werden.
Scheidungen führen nach heutigen Erkenntnissen nicht, wie früher vermutet, automatisch, per se zu
traumatischen
Erfahrungen,
die
langandauernde
Entwicklungsstörungen
und
psychische
Beeintächtigungen zur Folge haben, sondern sie können so bewältigt werden, daß es nicht zu
langfristigen Störungen, vor allem bei betroffenen Kindern, kommen muß. Scheidungen können eine
Chance zum Neubeginn sein.
2.3.1 Frühere Sichtweise: das Desorganisationsmodell
In den 50er/60er Jahren dieses Jahrhunderts war, wie schon beschrieben, die moderne Kleinfamilie das
dominante Familienmodell, die Norm des Zusammenlebens. Zu dieser Zeit wurde eine Ehescheidung
als Abbruch des normalen Familienzyklus16 und als von der Norm abweichendes Fehlverhalten
betrachtet (vgl. Thery, 1988, zit. in: Fthenakis et al., 1997, S. 261).
In dieser Zeit war eine Scheidung auch nur möglich, wenn einem Ehepartner schuldhaftes Vergehen,
z.B. ein ehelicher Fehltritt, vorgeworfen werden konnte (vgl. Punkt 2.1.2). Es wurde nach dem
sogennanten Schuldprinzip geschieden (vgl. Burkhart u. Kohli, 1992, 36).
Derjenige, der die Ehescheidung durch seine Schuld verursacht hatte, konnte nicht das Sorgerecht für
die Kinder bekommen und hatte auch keinen Anspruch auf Unterhaltszahlungen (vgl. Horst, 1994).
16
Mit Familienzyklus sind die Formen der zeitlichen Abfolge der verschiedenen
Beziehungsstrukturen in der Familie, von Liebespaar über Ehepaar ohne Kinder, Elternpaar mit
Kindern, Ehepaar nach der Selbständigkeit der Kinder, gemeint
(vgl. Fuchs-Heinritz et al., 1994,200).
Siehe dazu auch: Schneewind, 1995, 136; Textor, 1991a, 123-124.
21
Wie man an diesen Schilderungen erkennt, waren Ehescheidungen zu dieser Zeit nur sehr erschwert
möglich und für die Betroffenen, besonders für die „Schuldigen“, mit gravierenden negativen
gesellschaftlichen und sozialen Auswirkungen verbunden (z.B. starke Diskriminierung, in vielen
Fällen Ausschluß aus der Familie, wie im folgenden noch deutlich werden wird).
Soziologisch vertrat man die Sichtweise, daß sich mit einer Ehescheidung die Kernfamilie auflöst, d.h.
familiale Beziehungen, die familiale Entwicklung werden beendet und das Kind muß mit seiner
eigenen Geschichte brechen. An die Stelle des verlorenen Zuhauses trat ein neues Zuhause und zwar
bei einem der beiden Elternteile und möglicherweise mit dessen neuem Partner. Diese Ersatzfamilie
bzw. ihre Stabilität durfte nicht durch den nicht sorgeberechtigten Elternteil gestört werden, der somit
ausgegrenzt wurde. Dieses Modell der Ehescheidung nannte Thery das „Desorganisationsmodell“ (vgl.
Thery, 1990, 92-94).
Interventionen, die sich nach diesem Modell richteten, hatten das Ziel, das familiale System möglichst
problemfrei aufzulösen und den nichtsorgeberechtigten Elternteil auszugrenzen (vgl. Fthenakis et al.,
1997, S. 261).
In der Reduktion des familialen Systems und der Stärkung der Restfamilie wurde die Lösung für die
bei der Scheidung anstehenden Probleme gesucht. Die Restfamilie wurde als hinreichende Bedingung
zur Überwindung der Folgen scheidungsbedingter familialer Instabilität angesehen (vgl. Lempp, 1983,
in: Fthenakis u. Kunze, 1992, 40).
Dieses Verständnis hatte automatisch zur Folge, daß ein Elternteil aus der elterlichen Verantwortung
entlassen wurde, und das Sorgerecht auf einen Elternteil übertragen wurde (vgl. Napp-Peters, 1992a,
14). Das Desorganisationsmodell beeinflußte bis in die 80er Jahre die Regelung des Sorgerechts nach
einer Scheidung (vgl. Balloff, 1997, 119). Auf die Sorgerechtsregelungen werde ich in Punkt 3.2.2
genauer eingehen.
Diese Entscheidung, daß nach der Ehescheidung nur ein Elternteil die elterliche Sorge haben sollte,
wurde auch durch Annahmen vor allem von Goldstein, Freud und Solnit17 beeinflußt (vgl. Fthenakis u.
Kunze, 1992, 40-41).
Diese Annahmen möchte ich kurz erläutern und beziehe mich hierzu auf Eckert-Schirmer, 1996, 206208).
Zentrale Annahmen von Goldstein, Freud und Solnit:
Goldstein, Freud und Solnit gehen davon aus, daß für die gesunde Entwicklung eines Kindes dauernde
Gefühlsbindungen, dauernde Umwelteinflüsse und stabile äußere Verhältnisse unerläßlich seien. Sie
betonen weiter, daß ein Kind Bindungen hauptsächlich an eine spezifische Person entwickelt, die seine
Hauptbindungsperson wird. Daneben kann es noch andere Nebenfiguren geben, die die
Hauptbindungsperson jedoch nicht ersetzen können. Für die Entwicklung eines Kindes ist es nach
deren Vorstellungen wesentlich, die Bindung zu dieser Hauptbindungsperson zu erhalten und diese
17
Joseph Goldstein, Jurist; Anna Freud, Psychoanalytikerin; Albert J. Solnit, Psychiater; bilden ein
interdisziplinäres Autorenteam. Sie vertreten eine bestimmte Version der Bindungstheorie.
Die Bindungstheorie geht ursprünglich auf Bowlby zurück (vgl. Bowlby 1959; 1980).
Die Theorien über die Bindungen eines Kindes, die Goldstein, Freud und Solnit vertreten, haben
allerdings mit dem Konzept von Bowlby nicht mehr sehr viel gemein.
Ihre Thesen sind ausführlich nachzulesen in: Goldstein, Freud, Solnit, 1974.
22
durch möglichst stabile und klare Verhältnisse zu schützen. Aus diesem Verständnis heraus sollte die
elterliche Sorge nach einer Scheidung einem Elternteil allein zugesprochen werden.
Im Rahmen des Desorganisationsmodells galt das Forschungsinteresse vor allem Fragen nach den
Wirkungen, die die Auflösung einer Familie auf die soziale und intellektuelle Reife und
Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes ausübt (vgl. Napp-Peters, 1992b, 14). Die Forschung
versuchte direkte Zusammenhänge zwischen dem Ereignis der Ehescheidung und kindlichen
Reaktionen aufzudecken. Die Ehescheidung wurde als ein einmaliges traumatisches Ereignis bewertet
und die Verhaltensauffälligkeiten der Kinder als zwangsläufige Folge davon (vgl. Fthenakis, 1995,
128; Fthenakis et al., 1997, 261).
Forscher konzentrierten sich auf die negativen Folgen der Ehescheidung für Erwachsene und Kinder,
und Eheberater sahen die Scheidung als Mißerfolg ihrer Klienten an (vgl. Textor, 1991b, 10).
Forschungen über Scheidungsfamilien, wie z.B. die Studie von Napp-Peters (vgl. Napp-Peters, 1988;
Napp-Peters, 1992b, 15-19) zeigen, daß dieser Umgang mit Scheidungsfamilien, der sich an dem
Desorganisationsmodell orientiert und Familienbeziehungen nach einer Ehescheidung, vor allem zu
dem nicht sorgeberechtigten Elternteil als beendet ansieht, und die daraus resultierende Folge, daß
viele Kinder nach der Scheidung somit keinen oder nur sehr seltenen Kontakt zu einem ihrer
Elternteile haben, zu langfristigen negativen Auswirkungen führen kann. Ich möchte auf diese Studie
von Napp-Peters kurz eingehen.
Napp-Peters führte in den 80er Jahren eine Studie durch (vgl. ebd.), die das Ziel hatte, über
nacheheliche Familienbeziehungen und elterliche Kooperation nach der Scheidung Auskunft zu geben.
Anhand einer repräsentativen Stichprobe von 150 Scheidungsfamilien in Norddeutschland sollten die
Scheidungsfolgen für Eltern und Kinder herausgearbeitet werden und der Einfluß unterschiedlicher
nachehelicher Interaktionsmuster auf die kindliche Entwicklung untersucht werden. Die Ergebnisse der
Studie zeigen, daß die meisten Kinder nach der Scheidung unmittelbare Reaktionen, wie z.B.
Trennungsängste, Depressionen, Schuldgefühle, Wutanfälle etc. (auf die psychischen Folgen einer
Scheidung bei Kindern werde ich in Kapitel 4 näher eingehen) zeigten, die aber nach ein bis zwei
Jahren abgeklungen waren, wenn sie sich auf die neue Familiensituation eingestellt hatten. Nur bei
etwa jedem vierten Kind wurden längerfristige Verhaltensstörungen festgestellt. Die Mehrheit der
Kinder mit andauernden Störungen stammte aus Familien, in denen die Eltern keinen Kontakt mehr
untereinander hatten oder in denen die Konflikte nach der Scheidung anhielten und die Eltern durch
ihre eigenen Gefühle,z.B. des Verletztseins und des Zorns, so in Anspruch genommen waren, daß sie
den Bedürfnissen ihrer Kinder nicht gerecht werden konnten. Bei Kindern, die den Kontakt zum
getrennt lebenden Elternteil verloren hatten, waren Verhaltensauffälligkeiten und psychosomatische
Störungen am stärksten ausgeprägt. Kinder dagegen, deren Eltern es gelungen war, auch nach der
Trennung ihre Elternrolle gemeinsam oder in Absprache miteinander wahrzunehmen, hatten am
wenigsten Schwierigkeiten, sich auf die veränderte Situation einzustellen.
Die Studie macht deutlich, daß eine Scheidung nicht in allen Fällen zu langfristigen Störungen und
psychischen Beeinträchtigungen führen muß, und daß langfristige Auswirkungen nicht unmittelbare
Folgen der Ehescheidung an sich sind, sondern daß vielmehr bestimmte familiale Bedingungen, wie
23
z.B. der Kontaktabbruch zum nicht sorgeberechtigten Vater, gravierende negative Auswirkungen auf
die kindliche Entwicklung haben können. Das Desorganisationsmodell der Ehescheidung, das
Familienbeziehungen als abgebrochen sieht, wird also nach Erkenntnissen von neueren Forschungen
(vgl. auch: empirische Arbeiten in den USA aus den 70er und 80er Jahren: Ahrons, 1981;
Hetherington u. Cox u. Cox, 1982, 1985 und viele andere zit. in: Fthenakis et al., 1997, 261) dem
Scheidungsgeschehen und den Scheidungsfamilien nicht gerecht und ist nicht mehr geeignet, als Basis
für die Arbeit mit Scheidungsfamilien herangezogen zu werden.
In den 80er Jahren, in denen die Ehescheidungen stark zugenommen haben, veränderte sich nun
langsam die soziologische Sichtweise in Bezug auf Scheidungen und es etablierte sich ein neues
Scheidungsmodell. Im nächsten Punkt gehe ich auf diese neue Scheidungsperspektive ein.
2.3.2 Die heutige Sichtweise: das Reorganisationsmodell
Wie in Kapitel 2.1 deutlich wurde, ist die Scheidung durch ihre Häufigkeit in unserer Zeit zu einem
Bestandteil gesellschaftlicher Wirklichkeit geworden. Sie stellt ein Stück Normalität und nicht
Außergewöhnlichkeit von Familienbiographien dar (vgl. Faltermeier, 1992, 141).
Sie ist nicht mehr eine von der Norm abweichende Lebensform, da die alleinige Norm der modernen
Kleinfamilie, wie in Kapitel 2.2.2 dargelegt wurde, nicht mehr existiert.
Nach Ahrons (1997, 52) ist eine Ehescheidung eine normale Reaktion auf das Zusammenspiel
vielschichtiger gesellschaftlicher, sozialer, politischer, wirtschaftlicher und persönlicher Faktoren. Für
sie ist die Scheidung eine Art, wie sich Familien an eine veränderte Realität anpassen (vgl. ebd., 87).
Scheidung kann heute verstanden werden als ein möglicher Verlauf familialer Entwicklung (vgl.
Faltermeier u. Fuchs, 1992, 7), da nach Meinung von Beck-Gernsheim die Normalität der Brüchigkeit
die Zukunft der Familie ausmachen wird (vgl. Kapitel 2.1.2).
Die Scheidung wird nicht mehr als eine Störung oder eine Abweichung von einem dominanten
Familienmodell gesehen, sondern als eine der möglichen Entwicklungsformen von Ehebeziehungen
(vgl. Napp-Peters, 1992a, 13-14). Die geschiedene Familie ist als eine eigenständige Familienform zu
sehen, die nicht a priori als defizitär zu betrachten ist (vgl. Fthenakis et al., 1997, 277).
Scheidung wird nicht mehr, wie dies bis in die 80er Jahre der Fall war, als pathologisch, als
persönliches Scheitern, als moralisches Versagen der Ehegatten und als Katastrophe für die
betroffenen Kinder gesehen. Sie wird als Ausweg aus einer nicht länger tolerierbaren Ehesituation, als
legitime Form ehelicher Konfliktlösung akzeptiert (vgl. Textor, 1991b, 10).
Nach der heutigen Sichtweise wird bei der Ehescheidung zwar das Ehepaar geschieden, aber nicht die
Familie. Die Familie wird bei einer Scheidung nicht aufgelöst, sondern verändert.
Diese Sicht resultierte vor allem aus Untersuchungen, die die Familie unter systemischen und
entwichlungspsychologischen Gesichtspunkten betrachteten.
24
Ich möchte nun Erkenntnisse aus der Familiensystemtheorie und der Familienentwicklungstheorie
erläutern, insofern sie für das Verständnis des heutigen Scheidungsmodells notwendig sind und aus
diesem Hintergrund heraus die heutige Sichtweise der Ehescheidungen darstellen.
Familiensystemtheorie und Familienentwicklungstheorie:18
Mit der Verbreitung der allgemeinen Systemtheorie19 wurde der Systemgedanke auch vermehrt in den
Familienwissenschaften aufgegriffen. Die Familie wird nach systemtheoretischem Verständnis als ein
System von Personen (soziales System), die untereinander durch Kommunikation in Beziehung und
Interaktion stehen, gesehen und das wiederum in Wechselwirkung mit anderen Systemen in seiner
Umwelt steht (vgl. Schneewind, 1995, 131).
18
19
Ausführlicher nachzulesen in Schneewind, 1995, 131-138.
Als Begründer der allgemeinen Systemtheorie gilt heute von Bertalanffy (vgl. Bertalanffy, 1956;
1972, in:von Schlippe, 1995, 21).
„Die grundlegende Idee der Theorie ist, daß Gesetzmäßigkeiten in verschiedenen
Wissensgebieten zu finden seien, die sich glichen, wenn man ihre Strukturen beobachtete. Mittels
einer solchen Sichtweise ist es möglich, atomare, molekulare, zellulare, organismische,
persönliche, soziale und gesellschaftliche Phänomene als Systeme zu betrachten, deren
Charakteristika sich auf jeder Organisationsstufe herausarbeiten lassen“ (von Schlippe, 1995, 21).
Anders formuliert bedeutet das, daß die Systemtheorie davon ausgeht, daß alles und jedes als
System betrachtet, d.h. unter dem Aspekt seiner inneren Organisation und seiner Interaktion mit
der Umwelt analysiert werden kann (vgl. Fuchs-Heinritz et al., 1994, 666).
Die Systemtheorie ist ein Teilgebiet der Kybernetik (Bezeichnung für die wissentschaftliche
Beschäftigung mit selbstregulierenden Systemen. Diese Systeme können durch
Rückkopplungsvorgänge bestimmte Gleichgewichtszustände gegenüber äußeren Einflüssen
aufrecht erhalten oder durch Selbstorganisation ihre Struktur und Anpassungsfähigkeit erhöhen
und lernen, sich selbst zu entwickeln, vgl. ebd., 1994, 387), das in sehr allgemeiner Weise die
Zustandsänderungen undProzeßabläufe in unterschiedlichen Systemen analysiert und die
Zusammenhängezwischen der Struktur und Funktionsweise von Systemen zum Gegenstand hat.
Die Aussagen der Systemtheorie lassen sich auf eine Vielzahl von Wissenschaften, darunter auch
die Psychologie, anwenden (vgl. Becker, 1995, 56).
Ein System ist eine Menge von untereinander abhängigen Elementen und Beziehungen.
Der Systembegriff geht davon aus, daß alle Systemteile interdependent (wechselseitig abhängig)
sind. Veränderungen einzelner Systemelemente wirken mittelbar oder unmittelbar auf alle anderen
Systemelemente ein und verändern so den Zustand des Gesamtsystems. Systemveränderungen
folgen einer Struktur, die durch das Prinzip der Systemerhaltung und / oder des
Systemgleichgewichts bestimmt ist (vgl. Fuchs-Heinritz et al., 1994, 661).
25
Im Familiensystem kann jedes einzelne Mitglied alle anderen Familienmitglieder bzw. das System als
Ganzes beeinflussen, und umgekehrt wird das einzelne Familienmitglied von den anderen Mitgliedern
und dem Gesamtsystem beeinflusst (vgl. Bronfenbrenner, 1986, in: Oberndorfer, 1991, 9).
Das System der Familie besteht aus mehreren Subsystemen (untergeordnete Systeme) und ist integriert
in verschiedenen Suprasystemen (übergeordnete Systeme) (vgl. Schneewind, 1995, 131).
Bronfenbrenner (1981, in: Schneewind, 1995, 131-132) gliedert die Suprasysteme in das Mikro-,
Meso-, Exo- und Makrosystem. Unter dem Mikrosystem versteht er die Familie und ihre einzelnen
Mitglieder, die eingebettet ist in übergreifende Systeme, wie das Mesosystem (z.B. Bekanntschafts-,
Freundschafts-
und
Verwandtschafts-beziehungen),
das
Exosystem
(z.B.
Schulsystem,
Gemeindeorganisation) sowie das Makrosystem (z.B. die kulturelle, politische, rechtliche oder
wirtschaftliche Orientierung einer Gesellschaft).
Innerhalb des Mikrosystems Familie lassen sich folgende Subsysteme identifizieren: das
Partnersubsystem, das Eltern-Kind-Subsystem (genauer: das Vater-Kind-Subsystem, das Mutter-KindSubsystem) und das Geschwistersubsystem. Außerdem stellt jedes Mitglied für sich ebenfalls ein
Subsystem dar (vgl. Textor, 1991a, 75).
Die einzelnen Subsysteme sind jeweils durch spezifische Interaktions- und Beziehungsmuster
gekennzeichnet, die auch jeweils von außen mitbeeinflußt werden. So kann z.B. die Beziehung
zwischen der Mutter und dem Kind (Mutter-Kind-Subsystem) durch den Vater oder durch Geschwister
mitbeeinflußt werden. Dies ist auch dann der Fall, wenn diese Personen abwesend sind (vgl.
Bronfenbrenner, 1986, in: Oberndorfer, 1991, 9).
Die systemische Sicht der Familie, die die Komplexität der Interaktionsprozesse in der Familie betont,
nimmt Abschied von einem Forschungsansatz, der vor allem dyadische Beziehungen innerhalb einer
Familie untersucht und analysiert hat, z.B. die Mutter-Kind- bzw. die Vater-Kind-Beziehung. Sieht
man die Familie allerdings als interagierendes Ganzes, so muß die dyadische Betrachtungsweise durch
eine triadische oder auch multiple ersetzt werden. Es muß z.B. beachtet werden, daß die Interaktionen
der Eltern, wie sie miteinander umgehen, Einfluß auf das Verhalten des Kindes hat, und daß
umgekehrt das kindliche Verhalten die Interaktionen der Eltern beeinflußt (vgl. Fthenakis, 1982, 13;
51-54; 88-92). Nach der systemischen Sichtweise weist das Interaktionsgeschehen nämlich keine
lineare, sondern eine zirkuläre Kausalität auf, d.h. Verhaltensweisen von Familienmitgliedern stehen in
einer komplexen wechselseitigen Beeinflussung und sind somit nicht einseitig gerichtet zu betrachten,
d.h. daß das Verhalten eines Familienmitgliedes Ursache für das Verhalten eines anderen wäre (vgl.
Schneewind, 1995, 133).
Ein Merkmal von sozialen Systemen, wie Familien es darstellen, ist, daß sie einem ständigen Wandel
in der Zeit unterworfen sind (vgl. Oberndorfer, 1991, 9). Dieser Wandel innerhalb des familialen
Systems läßt sich mit Erkenntnissen aus der Familienentwicklungstheorie erläutern.
Nach der Familienentwicklungstheorie ist die Familie ein System von Rollenträgern, 20 wobei sich die
Rollen der einzelnen Familienmitglieder mit der Familienentwicklung ändern (vgl. Schneewind, 1995,
136).
20
In der Rollentheorie wird als Rolle ein Bündel normativer Verhaltenserwartungen
26
Die Familienentwicklung verläuft in verschiedenen Phasen und wird als Familienlebens- oder
Familienzyklus bezeichnet. Idealtypisch lassen sich die Phasen der Partnersuche und Heirat, der ersten
Ehejahre, der Familie mit Kleinkindern, der Familie mit Schulkindern, der Familie mit Jugendlichen
im Prozeß der Ablösung, der Familie ohne abhängige Kinder und der Familie im Alter unterscheiden
(vgl. Textor, 1991a, 123-124).
In den unterschiedlichen Phasen des Familienzyklus haben die einzelnen Familienmitglieder
verschiedene Rollen, z.B. die Ehegattenrolle, die Mutterrolle, die Kindergartenkindrolle etc. Jede
Phase beinhaltet bestimmte Aufgaben und Anforderungen an die gesamte Familie. Folgende Tabelle
soll die verschiedenen Familienzyklusstadien und die speziellen Entwicklungsaufgaben für die Familie
deutlich machen.
Stadien im Familienlebenszyklus
1. Verlassen des Elternhauses:
alleinstehende junge Erwachsene
2. Die Verbindung von Familien
durch Heirat
3. Familien mit jungen Kindern
Für die weitere Entwicklungerforderliche
Veränderungen im Familienstatus
a. Selbstdifferenzierung in Beziehungen zur
Herkunftsfamilie
b. Entwicklung intimer Beziehungen zu
Gleichaltrigen
c. Eingehen eines Arbeitsverhältnisses und
finanzielle Unabhängigkeit
a. Bildung des Ehesystems
b. Neuorientierung der Beziehungen mit den
erweiterten Familien und Freunden, um
den Partner einzubeziehen
a. Anpassung des Ehesystems, um Raum
für ein Kind bzw. Kinder zu machen
b. Koordinieren von Aufgaben der
Kindererziehung, des Umgangs mit Geld
bezeichnet, die an den Inhaber einer mit bestimmten Funktionen, Rechten und
Pflichten verbundenen Position gestellt werden. Es gibt z.B. Alters-, Geschlechts-,
Familien-, Berufsrollen etc. Jedes Individuum vereinigt eine Vielzahl von Rollen. In
einer Familie übernehmen Familienmitglieder je nach Alter und Geschlecht
bestimmte Familienrollen, wie die des Ehepartners, der Mutter, des Kleinkindes,
des älteren Bruders, des Onkels etc. Diesen Rollen sind unterschiedliche
Funktionen, Aufgaben, Rechte und Pflichten zu eigen, die sich vielfach mit dem
Alter und den Bedürfnissen der Betroffenen ändern (vgl. Textor, 1991a, 71-72).
27
4. Familien mit Jugendlichen
5. Entlassen der Kinder und
nachelterliche Phase
6. Familien im letzten Lebensabschnitt
und der Haushaltsführung
c. Neuorientierung der Beziehungen mit der
erweiterten Familie, um Eltern- und
Großelternrolle mit einzubeziehen
a. Veränderungen der Eltern-KindBeziehungen um Jugendlichen zu ermöglichen, sich innerhalb und außerhalb
des Familiensystems zu bewegen
b. Neue Fokussierung auf die ehelichen und
beruflichen Themen der mittleren Lebensspanne
c. Hinwendung auf die gemeinsame Pflege und
Sorge für die ältere Generation
a. Neuaushandeln des Ehesystems als Zweierbeziehung
b. Entwicklung von Beziehungen mit
Erwachsenenqualität zwischen Kindern und
Eltern
c. Neuorientierung der Beziehungen, um
Schwiegersöhne/ -töchter und Enkelkinder
einzubeziehen
d. Auseinandersetzung mit Behinderungen und
Tod von Eltern (Großeltern)
a. Aufrechterhalten des Funktionierens als
Person und als Paar angesichts körperlichen
Verfalls. Erkundung neuer familiärer und
sozialer Rollenoptionen
b. Unterstützung einer zentralen Rolle der
mittleren Generation
c. Im System Raum schaffen für die Weisheit
und Erfahrung der Alten; Unterstützung der
älteren Generation, ohne sich zu stark für sie
zu engagieren
d. Auseinandersetzung mit dem Tod des
Partners, dem Tod von Geschwistern und
anderen Gleichaltrigen sowie Vorbereitung
auf den eigenen Tod. Lebensrückschau und
Integration
Tabelle 6:Stadien des Familienlebenszyklus und Familienentwicklungsaufgaben, nach
Carter u. McGoldrick, 1988, 15, zit. in: Schneewind, 1995, 137.
Ein Wechsel von einer Familienzyklusphase in eine andere ist, wie aus Tabelle 6 ersichtlich wird, mit
erheblichen Veränderungen innerhalb der Familie verbunden. Die gesamte Struktur des familialen
Systems ändert sich. Mit der Geburt eines Kindes erweitert sich z.B. das gesamte familiale System,
indem zum Ehepaarsubsystem das Eltern-Kind-Subsystem hinzukommt. Außerdem müssen die Rollen
und Aufgaben der Familienmitglieder, die Beziehungen untereinander und die Beziehungen zu
außerfamilialen Systemen (z.B. Arbeitsplatz) neu gestaltet und organisiert werden. Eine solche
Familienentwicklung erfordert viele Anpassungsleistungen an die veränderte Situation. Der Wechsel
von einer Phase in die nächste kann als Übergangsphase bezeichnet werden. Diese Übergänge von
einer Familiensituation in eine andere stellen, wie schon beschrieben, neue Anforderungen an die
Familienmitglieder. Sie werden vielfach als Krisen erlebt, da das gesamte Familiensystem aus dem
Gleichgewicht gerät und große Veränderungen notwendig werden. Familien können bei der
Bewältigung dieser Krisen auch scheitern und es kann zu pathologischen, negativen Entwicklungen
28
innerhalb der Familie kommen, d.h., daß z.B. Familienmitglieder Verhaltensauffälligkeiten oder
psychische Störungen entwickeln können (vgl. Schneewind, 1995, 136; Fthenakis et al., 1992, 15-16;
Textor, 1991a, 123-124; Oberndorfer, 1991, 9-10).
Welche Bedeutung haben nun diese familiensystem- und familienentwicklungs-theoretischen
Erkenntnisse im Hinblick auf das Verständnis der Ehescheidung?
Nach der Familiensystemtheorie stellt die Familie eine Einheit dar, in der die einzelnen Mitglieder
durch Interaktion und Kommunikation, wie bereits beschrieben, miteinander in Beziehung stehen. Aus
diesem Hintergrund heraus sind für die Entwicklung der einzelnen Mitglieder die Beziehungen aller
Mitglieder zueinander von Bedeutung und nicht primär nur eine bevorzugte Bezugsperson, wie dies
von Goldstein, Freud und Solnit (siehe Punkt 2.3.1) betont wurde. Demnach ist der Erhalt der
Beziehungen und Bindungen zu beiden Elternteilen und allen nahen Bezugspersonen auch nach einer
Ehescheidung zu erhalten.
Aus heutiger Sichtweise bedeutet eine Ehescheidung nunmehr nicht eine Auflösung der ursprünglichen
Familie, sondern eine mehr oder weniger tiefgreifende Veränderung des Familiensystems. Die
Ehescheidung wird dabei als Übergangsphase im Familienentwicklungsprozeß, wie z.B. auch die
Geburt eines Kindes, wie zuvor beschrieben, gesehen (vgl. Fthenakis et al., 1997, 262). Wie alle
anderen Übergangsphasen in der Familienentwicklung macht auch die Ehescheidung eine
Neustrukturierung, eine Neugestaltung, eine Reorganisation des familialen Systems notwendig. Die
Reorganisation betrifft die Rolle des einzelnen in der Familie, die Beziehungen der Familienmitglieder
untereinander, die Aufgabenteilung, die Gestaltung der Freizeit, die Beziehungen zum sozialen Netz
und vieles mehr.
Diesen neuen Ansatz zur Bewertung der Ehescheidung nennt man das Reorganisations-Modell.
Die dauerhafte Etablierung dieses Terminus in der modernen Scheidungsforschung geht auf Fthenakis
und Mitarbeiter (1982) zurück, obwohl der Begriff „reorganization“ schon 1979 in einem Aufsatz von
Kraus zu finden ist (vgl. Kardas u. Langenmayr, 1996, 45).
Das wesentliche Merkmal dieses Modells ist, daß trotz einer Scheidung die Kontinuität der familialen
Beziehungen erhalten bleiben soll, während der gemeinsame Haushalt aufgelöst wird (vgl. NappPeters, 1992b, 15). Durch die Scheidung geht das Familiensystem, das ürsprünglich aus einem
Haushalt bestand, in ein System mit zwei Haushalten, und zwar dem mütterlichen und dem väterlichen
Haushalt, über (vgl. Napp-Peters, 1988, 14). Ein solches Zwei-Haushalte-Familiensystem nennt
Ahrons eine binukleare Familie (vgl. Ahrons, 1997, 11).
Vater und Mutter stellen somit keine alternativen, sondern komplementäre Entwicklungsbedingungen
für das Kind dar (vgl. Napp-Peters, 1992b, 15).
Diese Sichtweise brachte eine Diskussion in Gang, daß zukünftig die gemeinsame elterliche Sorge
nach einer Scheidung zum Regelfall werden soll, da diese am ehesten fördert, daß beide Elternteile
auch nach der Scheidung gemeinsam die elterliche Verantwortung für die Kinder beibehalten und
somit für die Kinder verfügbar bleiben (vgl. Jopt, 1987, 875-885). Ab 1.Juli diesen Jahres ist diese
Situation des Beibehalts des gemeinsamen Sorgerechts nach einer Scheidung nun eingetroffen (vgl.
Punkt 3.2.2.2).
29
Wie schon erwähnt, sind Übergangsphasen in der Familienentwicklung, zu denen Ehescheidungen
zählen, als Krisen oder kritische Lebensereignisse zu sehen (vgl. Fthenakis et al., 1992, 16). Somit
stellen Ehescheidungen kritische Lebensereignisse für betroffenen Familien dar. Was bedeuten nun
kritische Lebensereignisse?
Unter kritischen Lebensereignissen werden Ereignisse im Leben einer Person verstanden, die eine
mehr oder weniger abrupte Veränderung in der Lebenssituation der Person mit sich bringen. Sie sind
durch raumzeitliche punktuelle Verdichtungen eines Geschehensablaufes, die die Person in zentralen
Bedürfnissen, Interessen und Überzeugungen treffen, gekennzeichnet. Ein weiteres Merkmal der
kritischen Lebensereignisse ist ihre affektive Bedeutsamkeit und emotionale Nicht-Gleichgültigkeit für
die betroffene Person. Es muß sich nicht nur um negative Erfahrungen handeln, wie z.B. Tod eines
Ehepartners, Ehescheidung, Krankheit etc., sondern auch positive Erlebnisse können kritische
Lebensereignisse darstellen, wie z.B. Heirat, Geburt eines Kindes etc. Kritische Lebensereignissse sind
außerdem charakterisiert durch ein Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen, die an eine Person
gestellt werden und ihren bisherigen Lebensumständen und Bewältigungsmöglichkeiten, d.h. das
Person-Umwelt-System befindet sich nicht mehr im Gleichgewicht. Es wird eine Neuorganisation
dieses Systems erforderlich. Diese Neuorganisation, d.h. die wechselseitige Anpassung von Person
und veränderter Lebensumstände, nennt man den Bewältigungsprozeß. An der Art der Bewältigung
entscheidet sich, ob die kritischen Lebensereignisse zur Weiterentwicklung der Person, zur
persönlichen Chance werden oder zur Fehlentwicklung, zu langfristigen physischen und/oder
psychischen Störungen führen. Kritische Lebensereignisse bergen nämlich nicht nur eine Gefahr für
die Betroffenen in sich, sondern sie stellen immer zugleich auch Chancen für Persönlichkeitsentfaltung
und individuelle Weiterentwicklung dar (vgl. Filipp, 1982, 769-788).
Entscheident für die Bewältigung der kritischen Lebensereignisse ist das Verhältnis von Belastungen
auf der einen Seite und den Kompetenzen, Handlungsfähigkeiten und den Ressourcen auf der anderen
Seite.
In Bezug zu Ehescheidungen bedeuten diese Erkenntnisse über kritische Lebensereignisse nun, daß
Ehescheidungen zwar einschneidende, belastende, schmerzvolle Erlebnisse darstellen, die mit vielen
familialen Veränderungen und Belastungen verbunden sind, die aber nicht automatisch zu langfristigen
Fehlentwicklungen und Störungen führen müssen. Entscheidend dafür, daß Ehescheidungen zur
Weiterentwicklung der einzelnen Familienmitglieder führen können, ist die Art, wie Familien diese
Krise bewältigen.
Die Bewältigung und die Anpassung an die neue Lebenssituation ist von vielen Faktoren, auf die ich in
Kapitel 4 und 5 eingehen werde, abhängig. Eine Hauptaufgabe der heutigen Scheidungsintervention
muß deshalb sein, die Kompetenzen für die Bewältigung der Ehescheidung zu fördern und Familien zu
helfen, günstige Bewältigungsbedingungen, vor allem für ihre Kinder zu schaffen.
Die heutigen Erkenntnisse zeigen nämlich, daß vermutlich das Scheidungsereignis, d.h. die Trennung
an sich, nicht für mögliche anhaltende Verhaltensauffälligkeiten für Kinder verantwortlich und nicht
die entscheidente Belastung für Kinder ist, sondern vielmehr die Art und Weise wie Eltern im
30
gesamten Scheidungsprozeß, vor, während und nach der Scheidung, miteinander und mit dem Kind
umgehen, wie sie ihre Konflikte bewältigen und auch die materiellen und sozialen Bedingungen, unter
denen Kinder nach der Scheidung leben (vgl. Niesel, 1995, 156; Stein-Hilbers, 1996, 22).
Welche Bedingungen die positive Bewältigung der Ehescheidung, d.h. eine Ehescheidung ohne
gravierende langfristige Folgen, vor allem für Kinder begünstigen können, wird im Laufe dieser Arbeit
deutlich werden.
Vom Hintergrund des Desorganisationsmodells, das ich in Kapitel 2.3.1 beschrieben habe, setzten
Interventionen für Scheidungsfamilien erst nach der Scheidung, d.h. nach dem als traumatisch
definierten Ereignis, ein und vor allem mit dem Ziel, Verhaltensauffälligkeiten und psychische
Störungen der Betroffenen zu therapieren. Somit galten die Hilfsangebote vor allem klinisch
auffälligen Familien. Heute steht zunehmend die „ganz normale“ Scheidungsfamilie im Vordergrund,
der es gilt, bei der Bewältigung der Neu-bzw. Reorganisation des familialen Systems zu helfen, sie
dabei zu unterstützen, so daß alle Beteiligten ohne längerfristige negative Folgen diesen Prozeß
erleben können (vgl.Fthenakis et al., 1997, 277ff.).
Anstelle der Negativsicht von Scheidung tritt eine Sichtweise, die Entlastungen sucht und positive
Potentiale erkennt, stärkt und aufbaut. Damit werden präventive Interventionen immer wichtiger,
damit der Familienentwicklungsprozeß, der bei einer Scheidung notwendig wird, gut bewältigt werden
kann (vgl. ebd., 279).
Zum Maßstab für eine gelungene Reorganisation familialer Beziehungen wird die Minimierung der
Auswirkungen der Ehescheidung auf das Kind und die übrigen Familienmitglieder genommen (vgl.
Fthenakis u. Kunze, 1992, 50).
Im Reorganisationsmodell wird eine Ehescheidung auch nicht mehr als ein einmaliges singuläres
Ereignis angesehen, wie dies im Desorganisationsprozeß der Fall war, sondern als ein komplexes
prozeßhaftes Geschehen in der familialen Gesamtentwicklung, das die Situationen vor, während und
nach der Scheidung mit einbezieht (vgl. ebd., 49).
„Eine Scheidung bzw. Trennung ist nicht als ein einmaliges traumatisches, in einem engen zeitlichen
Rahmen
ablaufendes
Geschehen
zu
verstehen,
sondern
vielmehr
als
‘ein
familiärer
Entwicklungsprozeß innerhalb eines (meist) langfristig konfliktgeladenen Zusammenlebens’“ (Kardas
u. Langenmayr, 1996, 26).
Ich möchte nun im nächsten Kapitel auf den Prozeß der Ehescheidung, den man heute in verschiedene
Phasen einteilt, eingehen.
Dieses Phasenmodell der Ehescheidung ermöglicht es, die einzelnen Aufgaben und Anforderungen,
die in den einzelnen Phasen an die Betroffenen gestellt werden, zu formulieren und entsprechend zu
erkennen, welche gezielten Interventionen zur Bewältigung dieser Belastungen notwendig sind (vgl.
Fthenakis et al., 1997, 264).
31
3. Ehescheidung als phasenhafter Prozeß
Aus sozialwissenschaftlicher und therapeutischer Sicht handelt es sich bei der Ehescheidung um einen
komplexen, mehrdimensionalen und dynamischen Veränderungsprozeß (vgl. Textor, 1991 b, 13).
Eine Scheidung verändert grundlegend viele Lebensbereiche der Betroffenen und sie läuft in ganz
unterschiedlichen Ebenen ab. Auf juristischer Ebene müssen Lösungen für wirtschaftliche,
versorgungsrechtliche und eventuell sorgerechtliche Fragen, wenn das gemeinsame Sorgerecht nicht
beibehalten wird, gefunden werden. Auf individueller Ebene müssen der emotionale Verlust des
Partners, Gefühle von Schuld, Wut, Versagen und Trauer verarbeitet werden. Auf der Ebene der
Partnerbeziehung muß die gefühlsmäßige, soziale und finanzielle Ablösung vom Partner vollzogen
werden. Für Eltern gilt es außerdem, die Ehebeziehung zu beenden, aber die Elternbeziehung zu den
Kindern weiterzuführen (vgl. Schneewind et al., 1995, 1101-1102).
Dieser komplexe Prozeß kann über mehrere Jahre andauern. Innerhalb dieses Scheidungsprozesses
können mehrere Phasen unterschieden werden (vgl. Textor, 1991b, 13).
In der Fachliteratur gibt es verschiedene Klassifizierungsmodelle hinsichtlich der Unterteilung des
Trennungsprozesses (vgl. Schmitt, 1997, 21-22). Im Rahmen meiner Arbeit möchte ich allerdings
nicht auf diese unterschiedlichen Modelle eingehen, sondern nur ein Drei-Phasen-Modell beschreiben,
welches für die Arbeit mit Scheidungsfamilien eine große Bedeutung hat.
Wichtig ist daraufhinzuweisen, daß jegliche Modelle nur idealtypische Darstellungen sind, da jeder
Betroffene die Ehescheidung auf individuelle Art und Weise erlebt und der Verlauf des gesamten
Prozesses bei allen Betroffenen unterschiedlich ablaufen kann. Die Phasen können in den jeweiligen
Familien von unterschiedlicher Dauer sein, sich wiederholen oder manche Phasen auch wegfallen (vgl.
Fthenakis et al., 1997, 264; Textor, 1991b, 13). Außerdem erleben einige Betroffene die Scheidung als
Befreiung und Chance, während für andere der Ehescheidungsprozeß vorwiegend mit negativen
Ergebnissen verbunden ist und zum traumatischen, stark belastenden Prozeß wird (vgl. Textor, 1991 b,
10-11).
Allerdings
kann
das
Drei-Phasenmodell
Orientierung
geben
und
verdeutlichen,
daß
in
unterschiedlichen Stadien der Scheidung unterschiedliche Probleme, Bedürfnisse, Emotionen,
Belastungen und Aufgaben im Vodergrund stehen, die bewältigt werden und im Umgang mit
Betroffenen berücksichtigt werden müssen. Jede Phase bringt neue Probleme und Anforderungen mit
32
sich, und sie führt zu einer erneuten Reorganisation der Familienstruktur, der Beziehungen
untereinander, der Umweltkontakte, zu Veränderungen des Denkens, Fühlens und Handelns, sowie der
Persönlichkeit der betroffenen Personen (vgl. ebd., 13-14).
Ich möchte nun das Drei-Phasen-Modell beschreiben und beziehe mich, wenn nicht anders angegeben,
auf Ausführungen von Textor, der die einzelnen Phasen sehr ausführlich dargelegt hat (vgl. Textor,
1991b, 13-94).
Das Drei-Phasen-Modell beinhaltet die Vorscheidungs- oder Ambivalenzphase, die Scheidungsphase
und die Nachscheidungsphase.
Innerhalb dieser einzelnen Phasen beschreibe ich zuerst deren spezifische Veränderungen, Aufgaben,
Konflikte und Beziehungsmuster zwischen den Betroffenen und gehe dann darauf ein, welche
Entwicklungsbedingungen und Belastungen daraus für die Kinder resultieren.
3.1 Vorscheidungsphase
Den Beginn dieser Phase kann man in der Regel nicht festlegen.
Erste Anzeichen einer zu Ende gehenden Beziehung sind nämlich schwer zu erkennen, da es in allen
Paarbeziehungen Schwierigkeiten gibt und den Betroffenen oft nicht klar ist, ob die Probleme nur
vorübergehend sind oder ob es auf Dauer zu einer Trennung führen kann (vgl. Framo, 1980, in:
Schmitt, 1997, 22).
Der Anfang dieser Phase läßt sich deshalb kaum an bestimmten Krisenzeichen festmachen und es ist
auch theoretisch höchst problematisch, aufgrund irgendwelcher Verstimmungen oder Probleme einer
Beziehung auf eine Gefährdung der Ehe zu schließen. Den Betroffenen ist es eher in der Rückschau
möglich, die ersten Anzeichen einer Zerrüttung zu ermitteln (vgl. Schmitt, 1997, 22).
Nach Textor beginnt die Vorscheidungsphase in dem Zeitraum, in dem die zur Scheidung führenden
Prozesse mit einer gewissen Konstanz auftreten.
Das Ende der Vorscheidungsphase läßt sich allerdings genau bestimmen und liegt in der Trennung der
Ehepartner. Die Vorscheidungsphase kann von sehr unterschiedlicher Dauer sein. Es gibt z.B.
plötzliche Trennungen, die unvorbereitet stattfinden oder Trennungsabsichten, die sich über einen
langen Zeitraum hinziehen können, bis es zur endgültigen Trennung kommt. Die Vorscheidungsphase
kann also zwischen einigen Wochen und fünf oder mehreren Jahren dauern.
Sie läßt sich grob aufteilen in einen Zeitraum der Verschlechterung der Ehe und in einen Zeitabschnitt
der Entscheidungskonflikte, in dem ein Ehepartner oder beide sich über eine Trennung Gedanken
machen, aber sie noch nicht beschlossen haben.
33
3.1.1 Verschlechterung der Ehebeziehung
In den meisten Fällen verschlechtert sich die Ehe allmählich in einem über mehrere Monate und Jahre
erstreckenden Prozeß. Ehezufriedenheit und Ehequalität, d.h. positive Gefühle wie Liebe, Zuneigung,
Vertrauen, Achtung nehmen ab. In dieser Zeit sehen Ehegatten oft nur noch die negativen Aspekte
ihrer Beziehung und übersehen die positiven, was den Verschlechterungsprozeß noch verstärkt.
Die Verschlechterung der Ehebeziehung kann sich auf unterschiedliche Weise zeigen:
 In manchen Fällen ist eine Zunahme der Konflikthaftigkeit und eine Abnahme der
Problemlösefähigkeit, der Geduld und Kompromißfähigkeit festzustellen. Die Situation ist oft
durch ungelöste und immer wieder auftretende Konflikte stark spannungsgeladen.
Gefühle von Frustration und Ablehnung führen zu einer wachsenden Bereitschaft, den Partner für
die schwindende Beziehungsqualität verantwortlich zu machen, persönlich anzugreifen und zu
verletzen, möglicherweise auch mit Mitteln der Gewalt.
Nach einer Untersuchung, die Nave-Herz et al. 1987 und 1989 in der Bundesrepublik zum Thema
„Ursachen von Ehescheidungen“ durchgführt haben (vgl. Nave-Herz et al., 1990), berichteten ein
Viertel der Befragten von Gewaltanwendungen ihres Partners gegen Ende der Ehe, wenn es zu
einem Konflikt kam (vgl. ebd., 122).
 In anderen Fällen wird versucht, vorhandene Konflikte zu vermeiden und Auseinandersetzungen
aus dem Weg zu gehen, oft aus Angst vor einer Eskalation.
 Bei anderen Ehepartnern zeigt sich eine Verschlechterung der Ehebeziehung dadurch, daß sie sich
langsam voneinander zurückziehen. Sie haben sich nicht mehr viel zu sagen und zu geben. Sie
haben sich mit der Zeit in verschiedene Richtungen entwickelt. Ihre Interessen gehen zunehmend
auseinander und sie verbringen viel Zeit in einem jeweils separaten Freundeskreis. Es kommt so zu
einem langsamen Entfremdungsprozeß.
Viele Faktoren können zu einer Verschlechterung der Ehebeziehung führen.
Von den vielen Bedingungsfaktoren sollen hier nur einige dargestellt werden:
 Ein außereheliches Verhältnis kann, wenn es vom Partner entdeckt wird, zu einer plötzlichen
Verschlechterung der Ehe und unter Umständen, z.B. bei fehlender Versöhnung und starken
verletzten Emotionen, zu einer schnellen Trennung kommen.

Zu einer Verschlechterung der Ehebeziehung kann es auch durch Krisen, wie z.B. Arbeitslosigkeit,
schwere chronische Krankheit, kommen.
 Auch Übergangsphasen im Familienzyklus, wie z.B. die Geburt eines Kindes, Auszug des letzten
Kindes, Pensionierung etc., können zu Ehekrisen und zu einer Verschlechterung der Beziehung
führen, wenn die neuen Lebensphasen und deren Anforderungen nicht befriedigend bewältigt
werden können.
 Wenn Ehepartner zu hohe, unerfüllbare Erwartungen aneinander haben, daß z.B. der Partner alle
Bedürfnisse erfüllen und den anderen glücklich und zufrieden machen soll, kommt es oft zur
34
Eheunzufriedenheit, weil diese Ansprüche nicht erfüllt werden können. Meist kommt es zur Suche
nach einem neuen Partner, von dem dann diese Bedürfnisbefriedigung erhofft wird.
 Zur Verschlechterung einer Beziehung können auch zu unterschiedliche Werte und Ziele der
Partner beitragen. Vielleicht erwartet der Ehemann, daß seine Ehefrau die traditionelle
Hausfrauenrolle ausüben soll, während sie Gleichberechtigung in Beruf und Haushalt leben will
oder einer der beiden ist nur auf seine Selbstverwirklichung bedacht und nimmt zu wenig
Rücksicht auf die Bedürfnisse des andern.
 Im Laufe der Ehe kann es zu einer Auseinanderentwicklung der Partner kommen, da sie immer
mehr unterschiedliche Lebensstile entwickeln und Gemeinsamkeiten immer mehr zurückgehen,
was zu einer Instabilität der Ehe führen kann.
 Weiterhin können finanzielle und berufliche Probleme negative Auswirkungen auf die Ehe haben.
In der Regel hat die Verschlechterung der Ehebeziehung negative Folgen für das Wohlbefinden und
die seelische Gesundheit der Partner. Es kann z.B. zu psychischen und psychosoamatischen Störungen,
zu Alkohol-, Drogen- oder Medikamenten-mißbrauch kommen. Meist werden auch die Kinder in
Mitleidenschaft gezogen, worauf ich in Punkt 3.1.2 näher eingehen werde.
Der Verschlechterung der Ehebeziehung folgen in der Regel Gedanken an eine Trennung. Erwägt
einer der Partner ernsthaft eine Trennung, so beginnt die Zeit der Entscheidungskonflikte.
3.1.2 Entscheidungskonflikte
Diese Zeit der Vorscheidungsphase ist von einer starken Ambivalenz, einem ständigen Hin und Her,
einer inneren Zerissenheit geprägt. Die Ehepartner schwanken oft zwischen Trennungsabsichten und
Versöhnungswünschen.
Sie befinden sich in einer zermürbenden Unsicherheit und Unentschlossenheit hinsichtlich einer
Trennung (vgl. Reich, 1993, 67).
In den meisten Fällen ziehen sich die Entscheidungskonflikte über eine lange Zeit hin, oft sogar über
Jahre.
Entgegen der oft meist verbreiteten Vorstellung geben nämlich die meisten Paare, besonders
diejenigen mit Kindern, die Ehe nicht leichten Herzens oder aus geringfügigen Gründen auf. Oft
trennen sich Paare mehrmals und kommen wieder zusammmen, bevor es zur endgültigen Trennung
kommt (vgl. Furstenberg u. Cherlin, 1993, 40-41).
Mögliche Gründe dafür, daß dieser Entscheidungsprozß so lange dauern kann und sich in den meisten
Fällen sehr schwierig gestaltet, sieht Textor darin, das eine Trennung eine sehr komplexe, mit
weitreichenden, oft nur schwer abschätzbaren Folgen verbundene Entscheidung ist. Viele Ehepartner
haben Angst vor dem endgültigen Entschluß und den daraus resultierenden Konsequenzen (vgl.
Textor, 1991b, 21).
35
Natürlich verläuft jede Trennung auf ihre individuelle Weise ab. Es gibt z.B. auch Paare, die sich
schnell trennen und bei denen diese Ambivalensphase kaum auftritt.
Die Art der Trennung hat allerdings Auswirkungen darauf, wie hart die Scheidung die Betroffenen
trifft, und wie sie die Scheidung bewältigen.
In manchen Fällen wollen beide die Trennung und eine offene und sachliche Diskussion und
Auseinandersetzung ist möglich. In anderen Fällen, in denen nur ein Partner Trennungsabsichten
erwähnt, kann dies für den anderen sehr überraschend kommen und starke negative Emotionen (Wut,
Schmerz, Haß Angst, Verzweiflung, Apathie) auslösen. Diese Gefühle können eine positive
Scheidungsbewältigung erschweren. Manche Partner werden über die Trennungsabsichten ihrer
Partner nicht einmal informiert, sondern durch den Auszug vor vollendete Tatsachen gestellt.
Allerdings muß an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, daß der Entschluß zur Trennung noch
nicht zur Ehescheidung führen muß. Manche Trennungen werden z.B. auch vollzogen, um den Partner
ins Nachdenken zu bringen, ihm zu signalisieren, daß eine Veränderung der Beziehung notwendig ist,
um damit die Ehe zu retten.
In der Zeit der Entscheidungskonflikte ist die Atmosphäre oft gekennzeichnet durch wachsende
Spannungen, Ängste, Gefühle von Schuld, Verzweiflung und Ausweglosigkeit, die je nach
Persönlichkeitsstruktur eher aggressive oder eher depressive, rückzugsorientierte Reaktionsmuster
aktivieren. Partner hören in vielen Fällen auf, sich gegenseitig zu vertrauen, d.h. Mißtrauen und
Ablehnung gegenüber dem Ehepartner nimmt zu. Die Vorscheidungsphase endet mit der endgültigen
Trennung (vgl. Schmitt, 1997, 24).
Welche Auswirkungen haben nun die Ehekrisen und die konflikthafte Beziehung der Eltern auf die
Entwicklungsbedingungn der Kinder?
Zuerst möchte ich die Situation (die Beziehungserfahrungen), in der sich die Kinder befinden, kurz
beschreiben, um dann vor allem aus psychoanalytischer Sicht Konsequenzen dieser Bedingungen für
die psychische Entwicklung der Kinder zu erläutern.
Nach Ansichten von Figdor (1991, 87) scheint es nämlich so zu sein, daß ein Teil der seelischen
Vorgänge, welche die endgültige Trennung der Eltern bei den Kindern in Gang setzt, nicht allein
Folge der Trennung an sich sind, sondern mit dem konfliktgeladenen Familienklima in der
Vorscheidungsphase zusammenhängt. Oft werden durch die Scheidung der Eltern nur die früheren
Entwicklungsstörungen der Kinder sichtbar. Figdor vertritt ebenfalls die Meinung, daß die Scheidung
von den Kindern umso schlechter verarbeitet und bewältigt werden kann, je größer die
innerpsychischen Konflikte des Kindes schon vor der Scheidung waren (vgl. Figdor, 1998, 31).
3.1.3 Auswirkungen der Vorscheidungssituation für die intrapsychische
Entwicklung der Kinder
36
Kinder befinden sich in der Vorscheidungsphase oft in einer Situation permanenter Verunsicherung
und drohender Gefahr, verlassen zu werden (vgl. Bauers, 1997, 43).
Dies ist auch der Fall, wenn ihnen die Eltern, oft mit der Absicht die Kinder zu schonen, eine intakte
Ehe vorspielen. Die Kinder spüren die Spannungen ihrer Eltern und fürchten um den Bestand der
Familie (vgl. Bernhardt, 1988, 127).
Viele Eltern ziehen ihre Kinder in ihre Ehekonflikte mit hinein. Die Kinder bekommen so im
Familiensystem besondere Rollen. Sie werden z.B. zu Bündnispartnern, d.h. es entstehen Koalitionen
zwischen Kindern und einem Elternteil jeweils gegen den anderen Partner. Geschwister werden so oft
gespalten in welche, die zur Mutter und welche, die zum Vater halten. Kinder werden in Ehekrisen oft
zu existenziellen, emotionalen Stützen für die Eltern. Oft dienen sie auch als Partnerersatz,
Kummerkasten, Geheimnisträger oder Vermittler. Diese Einbeziehung der Kinder stellt für die Eltern
eine Entlastung dar, während sie die Kinder in hohem Maße überfordert. Diese Erfahrungen können
für die Kinder weitreichende Folgen haben, indem sie die Entwicklung ihrer Beziehungen zu sich
selbst und zu anderen, auf die ich in den folgenden Ausführungen näher eingehen werde, gefährden
können (vgl. Schmitt, 1997, 24-25).
Manche Kinder versuchen auch z.B. durch die Entwicklung von Symptomen die Eltern von ihren
Konflikten abzulenken und die Familie zusammenzuhalten (vgl. Textor, 1991b, 20-21).
Diese Beziehungserfahrungen, die Kinder in der konfliktgeladenen Vorscheidungs-phase machen,
haben je nach Alter der Kinder Auswirkungen auf ihre intrapsychische Entwicklung (vgl. Bauers,
1997, 44), die ich nun beschreiben werde.
3.1.3.1 Beeinträchtigung des Ur-Vertrauens bei Kleinkindern im ersten Lebensjahr
Nach der Theorie der psychosozialen Entwicklung von Erikson21, macht jeder Mensch in seinem
Leben
eine
Persönlichkeitsentwicklung
durch,
die
psychosexuelle
und
psychosoziale
Entwicklungsschritte beinhaltet. Erikson teilt sie in acht Phasen ein, wobei jede Phase durch
spezifische Formen der Sexualität, bzw. der sozialen Interaktion gekennzeichnet ist. Jede Phase
beinhaltet psychosoziale Aufgaben, die gelöst werden müssen. Angemessene Lösungen führen zur
gesunden Persönlichkeitsentwicklung. Die erste Phase, die ein Säugling im ersten Lebensjahr
durchläuft, nennt Erikson „Ur-Vertrauen versus Ur-Mißtrauen“. Ur-Vertrauen kann dann entstehen,
wenn auf die Bedürfnisse des Säuglings angemessen eingegangen wird und seine Äußerungen bei
Hunger, Durst, Kälte, Unwohlsein verstanden und adäquat beantwortet werden, er eine stetige, stabile
und liebevolle Beziehung zu seinen Bezugspersonen erfährt. Das Kleinkind entwickelt Vertrauen in
die soziale Umwelt und Vertrauen in die eigene Person. Bleiben dagegen stabile soziale Beziehungen
aus, dann entsteht Ur-Mißtrauen. Das Kleinkind erfährt, daß es weder seiner Umwelt noch sich selbst
trauen kann. Angst, Hemmungen und mangelndes Selbstvertrauen werden langfristige Folgen sein
(vgl. Langfeldt, 1993, 76-81).
21
Nähere Ausführungen sind enthalten in: Erikson, 1971; 1989).
37
Ehekrisen der Vorscheidungsphase, die die Eltern stark belasten, führen oft dazu, daß die Eltern mit
ihren eigenen seelischen Problemen so stark beschäftigt sind und unter großen Anspannungen stehen,
daß sie weniger in der Lage sind, angemessen und einfühlsam auf die Bedürfnisse der Kinder zu
reagieren (vgl. Figdor, 1991, 85). Das langandauernde und zum Beziehungsmuster werdende
Auseinanderklaffen zwischen den Bedürfnissen des Kindes und den Handlungen der Eltern kann die
Entwicklung des Ur-Vertrauens beeinträchtigen (vgl. ebd., 83).
Natürlich legen die frühesten Lebenserfahrungen des Kindes nicht schon das spätere Leben des Kindes
fest, aber sie bilden das Fundament der künftigen Entwicklung. Die Erlebnisse, die ein Kind mit seinen
Bezugspersonen erfahren hat, hat es als Erfahrungs- und Reaktionsmuster verinnerlicht. Mit diesem
Erfahrungshintergrund wird ein Kind auf spätere Situationen reagieren, gerade auch in
Krisensituationen. Kinder, deren frühe Erfahrungen mit seinen Bezugspersonen mit massiven
Konflikten belastet sind, deren Ur-Vertrauen beeinträchtigt ist, neigen auch später verstärkt zu
Liebesverlustängsten, zu depressivem Rückzug angesichts äußerer oder innerer Beziehungskonflikte,
und es mangelt ihnen in Krisensituationen an Zuversicht, an Überzeugung der eigenen Kraft und
Stärke und an neugieriger Offenheit für neue Erfahrungen. Machen solche Kinder nun die Erfahrung
einer Scheidung ihrer Eltern, sind sie vermutlich für die Bewältigung der damit verbundenen
Belastungen besonders schlecht gerüstet (vgl. ebd., 86-87).
3.1.3.2 Beeinträchtigung der Individuation und der Entwicklung von Objektbeziehungen des Kindes in der Wiederannäherungsphase
Im Laufe des ersten Lebensjahres lernen die Kinder Vater und Mutter als getrennte Personen zu
erkennen, die in unterschiedlicher Weise mit ihnen umgehen. Das Kind entwickelt Beziehungen zu
Vater und Mutter, die sich gegenseitig beeinflussen. Diese Dreierbeziehung zwischen Vater, Mutter
und Kind nennt man in der psychoanalytischen Entwicklungstheorie die Triangulierung. Besondere
Bedeutung hat sie in dem psychischen Prozeß, in dem sich das Kleinkind aus der engen Beziehung,
der sogenannten Symbiose22, mit seiner Bezugsperson, in den meisten Fällen die Mutter, löst und sich
als eigenständiges Selbst (Subjekt) erlebt (vgl. Figdor, 1991, 88-89).
22
Mit Symbiose ist die erlebte Einheit zwischen Säugling und der primären, ihn versorgenden und
38
Diesen Prozeß nennt Mahler den Loslösungs- und Individuationsprozeß23. Sie teilt ihn in vier Phasen
ein, auf die ich hier im einzelnen nicht näher eingehen werde. Der Prozeß dauert in der Regel bis zum
Abschluß des dritten Lebensjahres und ist dann erfolgreich abgeschlossen, wenn das Kind
intrapsychische Autonomie, d.h. innere Selbst- und Objektrepräsentanzen, d.h. innere Vorstellungen
von sich und von seinen Bezugspersonen, aufgebaut hat. Das Kind ist nun in der Lage, unabhänig von
der Anwesenheit anderer Menschen das Selbstgefühl und die Vorstellung von Objekten aufrecht zu
erhalten (vgl. Overbeck, 1994, Kap.III, 34-98).
Der Höhepunkt der Loslösung und Individuation liegt in der Wiederannäherunsphase, der dritten von
Mahler formulierten Phase. Sie liegt etwa zwischen dem 14. Lebensmonat und zwei Jahren.
Welche Entwicklung vollzieht sich nun normalerweise in dieser Phase24?
Körperliche Reifung und Ich-Entwicklung sind in der zweiten Hälfte des zweiten Lebensjahres eines
Kleinkindes soweit fortgeschritten, daß Mutter und Kind sich langsam aus der symbiotischen Einheit
lösen. Das Kind kann laufen und beginnt langsam sich verbal zu äußern, was seine Autonomie fördert
und es zur weiteren Individuation drängt. Es verfügt immer mehr über eine innere Vorstellung von sich
selbst und von den Objekten, zu denen es Beziehungen hat. In dieser erworbenen Unabhängigkeit wird
dem Kind gleichzeitig schmerzlich das Getrenntsein von der Mutter bewußt. In der
Wiederannäherungsphase findet ein doppelter Kampf statt, einerseits gegen die Verschmelzung mit
der Mutter und andererseits gegen die Isolierung. Das Kind pendelt zwischen seinem Bedüfnis nach
Anklammern an die Mutter, nach Festhalten an der sicherheitsspendenden Abhängkeit und nach
Autonomie und Selbständigkeit hin und her. In diesem Konflikt erlebt es große Ambivalenz gegenüber
der Mutter. Es reagiert oft wütend und aggressiv, wenn seine Wünsche und die der Mutter
unterschiedlich sind. Eine wichtige Entwicklungsaufgabe des wachsenden Ichs des Kindes besteht nun
darin, mit dieser Aggression zur Mutter umzugehen. Gelingt die Bewältigung des Konfliktes der
Wiederannäherungsphase, so kann das Kind gleichzeitig die Wut, den Haß und die Liebe zur Mutter
integrieren. Das Kind kann sich innerlich von der Mutter lösen und verinnerlicht ein Selbstbild und ein
Objektbild, in dem jeweils positive und negative Anteile integriert sind (vgl. Rotmann, 1978, 11151116).
Das Kind erwirbt die sogenannte Objektkonstanz, d.h. das Wissen um das Getrenntsein von Selbst und
Objekt. Es kann unterscheiden zwischen eigenen Gefühlen und solchen, die es am Objekt erlebt.
Außerdem weiß das Kind nun, daß die Mutter es auch dann liebt und schützt, wenn sie etwas verbietet
oder schimpft und wieder zurückkommt, wenn sie gerade abwesend ist. Das Kind kann also
bemutternden Bezugsperson, in der Regel der Mutter, gemeint.
In den ersten Monaten erlebt sich der Säugling nicht als getrenntes Subjekt, sondern in
Verbindung mit dieser Bezugsperson (psychologisches Einssein von Mutter und Kind). Es nimmt
keine von sich unabhängig vorhandene Personen wahr (vgl. Overbeck, 1994, Kap.III, 2-33).
23
Nähere Ausführungen über diese psychoanalytische Entwicklungstheorie sind zu
finden in: Mahler, 1972.
24
Die folgenden Ausführungen gehen von der üblichen, traditionellen Rollenverteilung in
vollständigen Familien, d.h., daß die Mutter primär für das Kind verantwortlich ist, aus.
Im Rahmen dieser Arbeit können andere alternative Beziehungsformen im Kontext dieser
frühkindlichen Entwicklung nicht berücksichtigt werden. Erläuterungen zur
Entwicklungsbedingung von Kindern in alternativen Familienformen sind zu finden in:
Rauchfleisch, 1997.
39
Trennungen erleben, ohne Angst vor Selbstverlust. Weiterhin hat es die Fähigkeit zur Ambivalenz
erworben, d.h. es akzeptiert, daß ein und dasselbe Objekt befriedigende und frustrierende Seiten hat,
welches von ihm geliebt und gehaßt werden kann. Es erkennt, daß es durch eigene Wut und
Frustrationen nicht gleich Angst haben muß, die Beziehung zum Objekt zu verlieren. Die
Objektkonstanz gehört zu den unerläßlichen Erwerbungen für eine gesunde psychische Entwicklung
(vgl. Figdor, 1991, 82).
Laut Figdor ist die Bewältigung dieser Wiederannäherungsphase von großer Bedeutung in Bezug auf
die Bewältigung der Nach-Scheidungskrise für Kinder, da sie hier Fähigkeiten hinsichtlich
Trennungserlebnissen erwerben, die ihnen vermutlich helfen, die belastende Situation einer Trennung
von einem Elternteil leichter verarbeiten zu können. Die Wiederannäherungsphase ist hinsichtlich des
Scheidungserlebnisses auch nach Meinung Figdors deshalb bedeutend, da viele jüngeren Kinder (bis
ca. sechs, sieben Jahre) durch eine Trennung von einem Elternteil bevorzugt in diese Phase
regredieren und dann die phasentypischen Konflikte oft ohne den Vater erleben müssen (vgl. ebd., 89).
Gelingt die Verselbständigung in der Wiederannäherungsphase nicht, kann sich das Kind auf Dauer
von der Mutter in seiner Autonomie bedroht fühlen und versucht sich deshalb häufig mit Hilfe von
aggressiv verzweifelten Auseinandersetzungen gegen das „Verschlungenwerden“ zu wehren (vgl.
Rotmann, 1978, 1116).
Damit
die
Bewältigung
der
Wiederannäherungsphase
gelingen
kann,
sind
bestimmte
Entwicklungsbedingungen notwendig.
Besondere Bedeutung hat der Prozeß der Triangulierung, d.h. eine bestimmte Dreier-Beziehung, die
dem Kind hilft, sich von der Mutter zu lösen.
Der Vater, den das Kind im ersten Lebensjahr schon als von der Mutter unterschiedliches Objekt
wahrgenommen hat, wird im Loslösungsprozeß zum dritten Objekt, der dem Kind eine unabhängige,
getrennte Beziehung zur Mutter vorlebt. In der Identifikation mit dem Vater kann das Kind die
Trennung mit der Mutter wagen. Das Kind benötigt die Beziehung zu einem dritten Objekt, es braucht
die Verinnerlichung der Beziehung zu zwei getrennten Objekten, um sich aus der Verschmelzung mit
der Mutter lösen und sich als selbständiges Selbst wahrnehmen zu können (vgl. ebd.,1117-1118).
Wie schon beschrieben erlebt das Kind in der Wiederannäherungsphase oft Wut und Haß gegenüber
der Mutter, von der es sich lösen will. Diese Erfahrung der Aggression bedroht das Kind, weil es
fürchtet, die Mutter und ihre Liebe dadurch zu verlieren. Das Kind kann sich den Haß gegenüber der
Mutter eigentlich nicht leisten, da es die Mutter braucht, von ihr abhängig ist (vgl. ebd.,1106).
Das Kind hat in dieser Zeit zwei völlig konträre Vorstellungen von der Mutter. Zum einen das Bild der
ganz guten, schützenden, Befriedigung gebenden Mutter und zum anderen der ganz bösen,
zurückweisenden Mutter, die bedrohlich erlebt wird (vgl. Figdor, 1991, 90).
Zur Bewältigung dieses Konfliktes und zur Verinnerlichung einer Muttervorstellung, die sowohl
negative als auch positive Seiten hat, ist die Beziehung zu einem dritten Objekt besonders wichtig.
Diese Beziehung gibt dem Kind die Möglichkeit, mit dem Frustrationshaß auf die Mutter umzugehen,
den Haß zu integrieren. Die Beziehung zum Vater, als drittem Objekt, bietet dem Kind
40
Entlastungsmöglichkeit und Sicherheit, da es erlebt, daß dieser ein Getrenntsein von der Mutter lebt
und trotzdem ein liebevolle Beziehung zu ihr hat. Diese Erfahrung eröffnet dem Kind die Möglichkeit
einer neuartigen, nicht-symbiotischen Liebesbeziehung zur Mutter. Es kann sich als getrenntes Subjekt
erleben, ohne die Angst haben zu müssen, die Beziehung zur Mutter zu verlieren, und kann ein
Mutterbild mit negativen und positiven Anteilen integrieren. Aus diesen Erläuterungen wird deutlich,
daß für die Ablösung des Kindes nicht nur die Beziehung des Kindes zu zwei verschiedenen Personen,
zu Vater und Mutter, wichtig ist, sondern auch die Beziehung, die zwischen den beiden Personen
herrscht. Mit der Hinwendung zum Vater identifiziert sich das Kind gleichzeitig auch mit dessen
Beziehung zur Mutter. Besteht eine enge, liebevolle Beziehung zwischen Vater und Mutter, so kann
sich das Kind ohne Angst, ohne die Gefahr vollständiger Trennung, von der Mutter lösen, da es über
die Identifikation mit dem Vater die Beziehung zur Mutter nicht verliert, sondern in reiferer Form
entwickeln kann. Wichtig ist auch, daß die Mutter, d.h. die erste Bezugsperson, die dritte Person als
Mittler anerkennt und wertschätzt, und daß diese Person für das Kind emotional verfügbar sein muß
(vgl. Rotmann, 1978, 1105-1147).
Unter diesen günstigen Entwicklungsbedingungen verfügt das Kind mit etwa drei Jahren über
mindestens zwei eigenständige verinnerlichte Objekte, zu denen es jeweils eine eigenständige
Beziehung halten kann, d.h. es hat die Fähigkeit erworben, gleichzeitig zu mehreren Objekten reife,
autonome Beziehungen zu führen (vgl. Figdor, 1991, 110).
Wie können sich nun Ehekonflikte in der Vorscheidungsphase möglicherweise auf diese Entwicklung
der Individuation des Kindes auswirken?
Wie schon beschrieben, kann es in Ehekonflikten zu Koalitionsbildungen kommen. Kinder werden von
einem Partner zur Unterstützung gegen den anderen gebraucht. Diese Kinder erfahren häufig ein
sogenanntes „Triangulierungsverbot“. Diese Kinder müssen nämlich als Koalitionspartner den anderen
Elternteil ablehnen, wodurch die dyadische Beziehung zum Koalitionselternteil stabilisiert wird und
die Entwicklung der Drei-Personen-Beziehung, die für die Verselbständigung des Kindes und die
Entwicklung mehrerer reifer Objektbeziehungen notwendig wäre, behindert wird. Somit wird
einerseits die Loslösung von einer symbiotischen Zweierbeziehung zwischen dem Kind und seiner
Bezugsperson behindert und das Kind erwirbt vermutlich andererseits nicht die Fähigkeit, zu mehreren
Personen gleichwertige Beziehungen nebeneinander führen zu können, ohne diese als Verrat gegen
seine symbiotische Beziehung zur Bezugsperson erleben zu müssen. Solche Kinder verinnerlichen oft
ein vorwiegend dyadisches Beziehungsmuster, häufig mit dem Bedürfnis nach einer exklusiven
Zweierbeziehung, verbunden mit der Sehnsucht nach Vollkommenheit und Harmonie. Diese Wünsche
können vermutlich alle weiteren Beziehungen des Kindes und später des Erwachsenen bestimmen (vgl.
Bauer, 1997, 45; Rotmann, 1978, 1142).
Weiterhin ist in der Vorscheidungsphase in den meisten Fällen keine liebevolle Beziehung mehr
zwischen den Eltern vorhanden. Entweder haben sie sich voneinander zurückgezogen oder sie
befinden
sich
z.B.
sehr
oft
im
gegenseitigen
Streit
und
Kampf.
In einer solchen Situation, in der sich ein Ehepartner zurückzieht und die lebendige Liebesbeziehung
zwischen Vater und Mutter nicht mehr existiert, kann zwar das Kind zu beiden Personen eine
41
Objektbeziehung erfahren und zwischen mütterlichen und väterlichen Objekt unterscheiden, aber ihm
fehlt das positive, angstfreie Modell einer nicht-symbiotischen Liebesbeziehung zur Mutter. Die
Loslösung von der Mutter-Symbiose würde in diesem Fall zum Synonym für Beziehungslosigkeit
werden. Unter solchen Umständen schaffen es Kinder vermutlich nicht, sich genügend von der Mutter
zu individuieren. Solange der Vater für das Kind verfügbar bleibt, kann die unvollständige
Individuation des Kindes von der Mutter oft gut kompensiert werden und es kann sein psychisches
Gleichgewicht aufrechterhalten, ohne daß sich psychische Störungen entwickeln müssen. Die
Beziehung zum Vater bietet dem Kind die Möglichkeit, genügend Distanz zur Mutter halten zu
können. Käme es in diesem Falle zu einer Scheidung, bei der der Vater für das Kind nicht mehr
verfügbar wäre, so fiele die Entlastungsfunktion des Vaters weg. Das Kind würde sich der Macht der
Mutter ausgeliefert fühlen und müßte sich durch z.B. massive aggressive Auseinandersetzungen vor
einem „Verschlungenwerden“ wehren. Da das Beziehungsband zwischen den Eltern fehlt, entwickelt
das Kind oft auch nicht die Fähigkeit, mit zwei Objekten gleichzeitig eine Beziehung zu haben, wie
bereits schon bei den Koalitionsbildungen beschrieben, da es meist entweder nur mit der Mutter oder
dem Vater umgeht und sich beide Beziehungen geradezu ausschließen. Außerdem muß es stets um die
Beziehung des anderen fürchten und es kommt in große, schwer erträgliche Loyalitätskonflikte 25. Das
Kind möchte zu beiden Elternteilen eine liebevolle Beziehung, fürchtet aber durch die Liebe zu dem
Elternteil, der vom anderen abgelehnt wird, jeweils diesen Elternteil zu verraten und seine Liebe zu
verlieren (vgl. Figdor, 1991, 96-97; 102).
Im Falle, daß zwischen den Eltern eine vorwiegend aggressive Beziehung herrscht, besteht die
Möglichkeit, daß dem Kind damit signalisiert wird, daß mit der Loslösung von der Mutter die Gefahr
besteht, die Mutter als Liebesobjekt zu verlieren, da der von der Mutter getrennte Vater dem Kind
keine Liebesbeziehung zur Mutter vorlebt, was Kinder massiv beängstigen und bedrohen würde (vgl.
ebd., 93).
Außerdem kann auch die Gefahr bestehen, wenn Kinder eine überwiegend aggressive Beziehung ihrer
Eltern erleben, daß sie diese Beziehung als Modell ihrer Ablösung von der Mutter nehmen. Der
aggressive Vater wird zum Vorbild der Loslösung von der Mutter. Durch die Identifikation mit ihm
gewinnt das Kind die Stärke, sich mit Aggressionen von der Mutter abzugrenzen. Bei solchen Kindern
nehmen Aggressionen wohl dann einen hohen Stellenwert in ihrer psychischen Struktur ein. Allerdings
verhindert diese Aggressivierung der Objektbeziehung zur Mutter die Individuation des Kindes, da es
die Mutter nicht als Objekt erleben kann, das positive und negative Anteile besitzt und das geliebt und
gehaßt werden kann (vgl. ebd., 105), weil es nur die negativen Anteile der Mutter sieht.
25
Sprachlich kommt das Wort „Loyalität“ von dem französischen Begriff „loi“ (= Gesetz) und
bedeutet somit gesetzestreues Verhalten.Auf der Ebene des Familiensystems läßt sich Loyalität als
die Erwartung der Einhaltung bestimmter Regeln verstehen, bei deren Mißachtung Sanktionen
drohen. Es stellt ein Gefühl der Verbundenheit und Verpflichtung gegenüber der
Familienmitglieder dar (vgl. Simon u. Stierlin, 1993, 222-224).
42
3.1.3.3 Beeinträchtigung der ödipalen Entwicklung
Etwa im vierten Lebensjahr kommt es zur ödipalen Entwicklung des Kindes, die dessen Beziehung zu
Vater und Mutter wiederum verändert. Jungens richten ihre zärtlichen, sexuellen und
besitzergreifenden Strebungen auf die Mutter, die Mädchen dagegen auf den Vater. Angesichts der
Liebesbeziehung zu den Eltern erleben die Kinder den gleichgeschlechtlichen Elternteil als Rivale. Die
gleichgeschlechtliche Beziehung ist deshalb mit massiven psychischen Konflikten verbunden, die die
Kinder bedrohen und beunruhigen. Unter günstigen Umständen gelingt es den Kindern, durch die
Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil, diesen Konflikt zu lösen. Durch diese
Identifizierung mit dem als Rivalen erlebten Elternteil sichern sich die Kinder die Beziehung zum
ödipalen Liebesobjekt (vgl. Figdor, 1991, 110).
Die Identifikation ermöglicht den Kindern außerdem eine sexuelle Identität zu erlangen. Mit der
Bewältigung der ödipalen Phase erwirbt das Kind die psychischen Strukturen, die ihm später als
Heranwachsenden die innere und äußere Ablösung von seinen primären Objekten (Bezugspersonen)
und das Eingehen reifer Objektbeziehungen ermöglicht. Für das Gelingen der ödipalen Phase, für die
Entwicklung stabiler Objektbeziehungen ist die Erfahrung einer konstanten, überwiegend liebevollen
Beziehung zwischen den Eltern wichtig (vgl. Bauers, 1997, 46).
Durch die Lösung des Ödipuskonfliktes lernen Kinder, zwischen dem vierten und siebten Lebensjahr,
den Generationenunterschied zwischen den Eltern und sich selbst zu akzeptieren. Sie können jetzt die
Überlegenheit der Eltern, die sie vorher noch ängstigte, für sich nutzen, indem sie die Sicherheit und
Geborgenheit genießen, die von der elterlichen Stärke ausgeht. Außerdem beginnen Kinder, die die
ödipale Phase bewältigt haben, sich vermehrt Beziehungen außerhalb der Familie, z.B. Lehrern,
Gleichaltrigen zu zuwenden. Mißlingt allerdings die Lösung des Ödipuskonfliktes, kann die Eroberung
des außerfamilialen Lebensbereiches erschwert werden. Es kann z.B. sein, daß die Beziehungen zu
den Eltern soviel Aufmerksamkeit und Energie kosten, daß für Kinder kaum mehr Freiraum für
außerfamiliale Beziehungen bleibt. Außerdem werden die Erfahrungen, die ein Kind in seiner frühen
Kindheit mit seinen Bezugspersonen macht, verinnerlicht und beeinflussen seinen weiteren Umgang
mit Beziehungen. So kann die Gestaltung neuer Beziehungen zu Erwachsenen und Kindern für Kinder,
deren ödipale Entwicklung sehr problematisch verlief, sehr schwierig werden (vgl. Figdor, 1991, 111112).
Welche möglichen problematischen Beziehungsmuster in der ödipalen Phase aufgrund von
Ehekonflikten der Eltern in der Vorscheidungsphase herrschen können, möchte ich nun kurz erläutern.
Zwischen schwer zerstrittenen Eltern herrscht z.B. in vielen Fällen große Eifersucht gegenüber den
jeweiligen Beziehungen zu den Kindern und jeder Elternteil versucht, die Kinder für sich zu gewinnen.
Kinder geraten durch ein solches Elternverhalten oft in große Loyalitätskonflikte, wie bereits in der
Wiederannäherungsphase beschrieben. Kinder, deren frühe Beziehungen zu ihren Bezugspersonen
durch Loyalitätskonflikte belastet waren, die nicht gelernt haben, mit Dreier-Beziehungen umzugehen,
d.h. zu verschiedenen Personen gleichwertige Beziehungen nebeneinander leben zu können, ohne das
Gefühl haben zu müssen, eine dritte Person dadurch zu verraten, neigen vermutlich dazu, Menschen zu
werden, die permanent das Gefühl haben, sich zwischen zwei oder mehreren Personen entscheiden zu
43
müssen und den abwesenden „Dritten“ dadurch zu verletzen oder seine Sympathie zu verlieren. Diese
Menschen befinden sich in einer großen inneren Zerrissenheit. Außerdem können Loyalitätskonflikte,
die durch die aggressive Beziehung der Eltern zueinander hervorgerufen werden, verhindern, daß sich
die Kinder in der ödipalen Phase mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil identifizieren. Für die
Kinder würde nämlich eine Identifizierung mit dem gleichgeschlechlichen Elternteil, der den anderen
Elternteil ablehnt, bedeuten, ebenfalls den gegengeschlechtlichen Elternteil hassen zu müssen. Um
diesem Konflikt auszuweichen, findet vermutlich eine teilweise Identifizierung mit dem
gegengeschlechtlichen Elternteil statt, um sich dadurch das „ödipale Liebesobjekt“ zu erhalten. Dies
kann allerdings zu einer Beeinträchtigung der sexuellen Identitätsentwicklung für die Kinder führen.
Eine aggressive Beziehung zwischen den Eltern muß aber nicht immer eine gleichgeschlechtliche
Identifikation des Kindes verhindern, sondern sie kann auch dazu führen, daß das Kind sich trotzdem
mit dem gleichgeschlechlichen Elternteil identifiziert und gleichzeitig dessen Haß auf den anderen mit
verinnerlicht. Dadurch wird aber die ödipale Liebesbeziehung und damit wohl auch die spätere
Fähigkeit zur heterosexuellen Liebe stark beeinträchtigt. Aus diesen Ausführungen wird deutlich, daß
aggressive Auseinandersetzungen zwischen den Eltern, ihr eifersüchtiger Kampf um die Liebe der
Kinder die Lösung des ödipalen Konfliktes erschweren, nämlich die Identifikation mit dem
gleichgeschlechtlichen Elternteil und somit die reife Entwicklung von autonomen Liebesbeziehungen
zu Mutter und Vater. Dies kann zur Folge haben, daß Kinder in ihrer geschlechtlichen Identität und in
der Gestaltung und dem Umgang mit Dreierbeziehungen beeinträchtigt werden (vgl. Figdor, 1991,
114-118).
Bei manchen Kinder, die in den ersten sechs Jahren massive psychische Konflikte aufgrund der
Partnerschaftskonfikte ihrer Eltern erleben, d.h. die zusätzlich zu den entwicklungstypischen
psychischen Aufgaben und Anforderungen noch weitere Belastungen aufgrund der Ehekrise ihrer
Eltern bewältigen müssen, kann es zur Entwicklung neurotischer Symptome26, wie z.B. Bettnässen,
hysterische Angstanfälle und Phobien (d.h. einer konstanten, irrationalen Furcht vor bestimmten
Tieren, Menschen, Plätzen, Orten, vor Dunkelheit, vor dem Einschlafen etc.), zu charakterlichen
Veränderungen, z.B. eine starke allgemeine aggressive Reaktionsbereitschaft, Ängstlichkeit und
Scheuheit, Unterwürfigkeit, Neigung zu depressiven Verstimmungszuständen, Affekt- und/oder
Phantasiearmut kommen. Viele Eltern erkennen diese Verhaltensauffälligkeiten nicht als Zeichen
seelischer Konflikte und sehen sie nicht in Zusammenhang mit ihren Partnerschaftskonflikten. Sie
verstehen sie vielmehr als reines Fehlverhalten, das sie den Kindern zum Vorwurf machen (vgl.
Figdor, 1991, 115-116).
26
Neurotische Symptome entstehen nach psychoanalytischem Verständnis, wenn massive psychische
Konflikte ins Unbewußte verdrängt werden müssen, da sie das Bewußtsein zu sehr bedrohen.
Neurotische Symptome sind sich zwingend durchsetzende und wiederkehrnde Wahrnehmungs-,
Verhaltensweisen, Gefühlszustände oder Wünsche. Sie sind durch willentliche Anstrengung kaum
veränderbar, weil sie eine wichtige psychische Funktion erfüllen, und zwar unerträgliche
44
3.1.3.4 Beeinträchtigung der Entwicklungen in der Adoleszenz
Eine weitere Ablösungsphase von den primären Bezugspersonen, den Eltern, geschieht in der
Adoleszenz, der Zeit der Pubertät27. In dieser Entwicklungsphase muß der Jugendliche zu einer
eigenen Identität finden, d.h. eigene Lebensziele und Werte entwickeln, sich mit seiner
Geschlechtsrolle auseinandersetzen, und sich von den Eltern intrapsychisch ablösen, um sich Peers
(Gruppe der Gleichaltrigen und Gleichgesinnten, vgl. Langfeld, 1993, 94) zuzuwenden und später eine
gegengeschlechtliche Patnerschaft eingehen zu können. Diese Phase ist mit großer Verunsicherung
und Erschütterung der psychischen Strukturen verbunden. In dieser Zeit wird die fehlende
Unterstützung der Eltern als besonders enttäuschend erlebt. Durch eigene Ehekonflikte schaffen es
viele Eltern z.B. nicht, ihren adolszenten Kindern ein notwendiges, Halt und Orientierung gebendes
Gegenüber für die in dieser Zeit üblichen oft aggressiv gefärbten Auseinandersetzungen zu sein.
Andere Eltern brauchen ihre Kinder zur psychischen Unterstützung in ihren Ehekonflikten und können
so eine Loslösung der inneren Bindungen der Jugendlichen an sie nicht zulassen. Viele Jugendliche
ziehen sich immer mehr innerhalb der Familie zurück, da sie oft unfähig sind, hoffnungsvolle und
gelingende altersentsprechende Beziehungen zu knüpfen. Jugendliche entwickeln oft das Gefühl,
weder die Angst vor den alten abhängigen Bindungen, noch die Angst vor den neu ersehnten
Bindungen überwinden zu können. Sie leiden deshalb oft unter dem Gefühl, nirgends dazuzugehören.
Dies kann sie in schwere Selbstwertkrisen und zu Suicidgedanken führen. Brauchen die Eltern ihre
jugendlichen Kinder weiterhin ich-stützend zur Bewältigung ihrer Ehekrise und behinderte die
Einbeziehung in den Ehekonflikt auch schon die frühe Loslösung in den vergangenen
Entwicklungsphasen, bleiben die Kinder vermutlich intrapsychisch an die Eltern gebunden, was eine
Gestaltung einer eigenen Partnerschaft wahrscheinlich wiederum krisen- und konflikthaft machen
kann, ähnlich wie die Beziehung der Eltern (vgl. Bauers, 1997, 47).
Diese Erläuterungen zeigen, daß bereits vor der Scheidung für einige Kinder die Entwicklung
psychischer Beeinträchtigungen beginnt, d.h. Störungen in ihren Objektbeziehungen und in ihrer IchEntwicklung, und die nach der Scheidung auftretenden Symptome und Reaktionen, auf die ich in
Kapitel 4 meiner Arbeit eingehen werde, durch diese Vorscheidungserfahrungen mitbegründet sind
und
nicht
mit
der
Scheidung
allein
in
Verbindung
gebracht
werden
dürfen.
Viele
Entwicklungsbeeinträchtigungen bestehen schon vor der Scheidung und sind Folge der
Entwicklungsbedingungen der Konfliktfamilie (vgl. Figdor, 1991, 118) und zeigen sich z.B. auch bei
Kindern, deren konflikthafte Familien nicht geschieden werden (vgl. Bauers, 1997, 47).
Zur Problematik der Konfliktfamilien versus Scheidungsfamilien siehe Punkt 4.2.3.
27
psychische Konflikte im Unbewußten verdrängt halten (vgl. Figdor, 1991, 31-33).
Zur Entwicklungsphase der Adoleszenz bzw. Pubertät vgl.: Bourne u. Ekstrand, 1992, 340-345;
Langfeld, 1993, 89-94).
45
3.2 Scheidungsphase
Die Scheidungsphase beginnt mit der endgültigen Trennung der Ehepartner und endet mit dem
Scheidungsurteil. Sie dauert aufgrund gesetzlicher Vorschriften in der Regel mindestens ein Jahr, da
laut BGB §1565 - §1566 eine Ehe geschieden werden kann, wenn sie gescheitert ist und dies
angenommen wird, wenn die Ehepartner seit einem Jahr getrennt leben. Generell läßt sich die
Scheidungsphase in den Zeitraum nach der endgültigen Trennung und in den Zeitraum um die
gerichtliche Scheidung herum unterteilen.
3.2.1 Die Trennung und die Zeit danach (Trennungsphase)
Die Trennung bedeutet für die Ehepartner eine Vielzahl von Veränderungen im psychischen, sozialen,
finanziellen und beruflichen Bereich. Vielfach müssen in Folge einer Trennung Lebensweisen,
Gewohnheiten, die wahrzunehmenden Rollen und damit das eigene Selbstbild neu definiert und
gestaltet werden. Die einzelnen Betroffenen reagieren ganz individuell auf diese Veränderungen, was
von einer Vielzahl von Faktoren abhängt. Ich möchte im Rahmen meiner Arbeit nicht ausführlich auf
Bewältigungsstrategien der Ehepartner in Bezug auf die Trennung eingehen, sondern hier nur auf
einige Bedingungen hinweisen, die den Umgang der Ehepartner mit der Trennung beeinflussen
können. Einen starken Einfluß auf den Umgang mit der Trennung hat die Art und Weise, wie es zu ihr
kommt. So ist bedeutend, ob die Trennung von beiden Partnern gewollt und initiiert wird, ob sie
plötzlich und unerwartet oder nach langer konflikthafter Zeit eintritt und ob z.B. ein außereheliches
Verhältnis des Ehepatners bei der Trennung eine Rolle spielt. Die unterschiedlichen Reaktionsweisen
auf die Trennung hängen außerdem ganz entscheident davon ab, wie die Trennung im Hinblick auf die
eigene Gegenwart und Zukunft von den Betroffenen subjektiv bewertet wird.
„Sieht ein Getrenntlebender die Scheidung in erster Linie als Chance des Neubeginns, so wird er
relativ schnell über sie hinwegkommen. Betrachtet er sie hingegen als Verstoß gegen Gottes Ordnung,
als Folge des eigenen Versagens oder als Zeichen, daß er unattraktiv ist und nicht liebenswert ist, so
wird er lang an der Trennung leiden“ (Textor, 1991b, 28).
Weiterhin hängt die Art der Bewältigung der Trennung davon ab, über welche persönlichen
Ressourcen Betroffene im Hinblick auf den Umgang mit kritischen Lebenssituationen verfügen, ob sie
z.B. schon viele erfolgreich angegangen sind. Eine große Rolle spielt auch, inwieweit die
Trennungssituation als Verbesserung und Erleichterung gegenüber der Ehe erlebt wird. In manchen
Fällen können z.B. die in der Vorscheidungsphase erlebten psychischen und psychosomatischen
Störungen mit der Trennung verschwinden, da Ehekonflikte oder Angst vor dem Partner sich nun
reduzieren können. Manche Getrenntlebende finden auch in einer neuen intimen Beziehung
Zufriedenheit und Glück. Andere Personen, die z.B. viel in ihre Ehe investiert haben, die durch sie
46
einen großen Statuswert erlebt haben oder die mit der neuen Situation des Alleinlebens nicht fertig
werden, leiden oft unter den negativen Folgen der Trennung. Besonders bedeutsam im Erleben der
Trennung ist auch, welche soziale Unterstützung die Betroffenen von Freunden, Verwandten und
Bekannten, d.h. von ihrem sozialen Netzwerk, bekommen. Entscheident ist, ob sie z.B. Kontakte
haben, die ihnen Hilfe, Verständnis und Rückhalt im Umgang mit der neuen Situation bieten oder ob
Freunde ihre Trennung ablehnen und sich von ihnen distanzieren. Manche Getrenntlebende
verheimlichen auch selbst ihre neue Situation vor Freunden oder Bekannten und verhindern so selbst,
daß sie Unterstützung bekommen. Sie fühlen sich dadurch oft sehr einsam und allein gelassen, was
eine positive Bewältigung der Trennung erschwert. Welche Faktoren für eine positive
Scheidungsbewältigung der Erwachsenen entscheidend sein können, erläutere ich in Punkt 3.3.1.
Je nach Situation der Betroffenen kann die Trennung zu einer Verschlechterung oder einer
Verbesserung ihres physischen und psychischen Zustandes führen. Betroffene berichten z.B. von
Gefühlen
wie
Schmerz,
Trauer,
emotionaler
Erstarrung,
Selbstmitleid,
Depressivität,
Hoffnungslosigkeit, Aggressivität, Wut, Haß, Verbitterung, Rachegefühle, Minderwertigkeitsgefühle,
Selbstzweifel, Schuldgefühle etc. Manche leiden auch unter psychischen und psychosomatischen
Störungen, wie Schlafstörungen, Depressionen, Apathie, Nervosität, Kopfschmerzen etc. Andere
berichten von Drogen- und Medikamentenmißbrauch, erhöhtem Alkohol- und Nikotingenuß etc.
Allerdings gibt es auch Ehepartner, die nach einer Trennung über eine Zunahme ihres
Selbstwertgefühls,
eine
Verbesserung
ihres
Gesundheitszustandes,
einen
Rückgang
von
Schlafstörungen und Depressionen berichten (vgl. Spanier u. Thompson, 1984 in: Textor, 1991b, 2728; Simenauer u. Carroll, 1982, in: Textor, 1991b, 27 u. 28). Auf genauere Erläuterungen der
psychischen und physischen Auswirkungen einer Trennung für die Ehepartner möchte ich in meiner
Arbeit verzichten, da, wie in der Einleitung beschrieben, der Schwerpunkt meiner Ausführungen auf
den Auswirkungen der Trennung und Scheidung für Kinder liegt.
Besonders wichtig ist vor allem für Ehepartner, die Kinder haben, wie sie ihre Beziehung nach einer
Trennung zueinander gestalten.
Haben sie keine Kinder, können sie sich oft einfach aus dem Weg gehen und ihre Beziehung muß nicht
unbedingt umstrukturiert werden. Im Falle, daß sie Kinder haben, müssen sie ihre Ehegatten- und
Elternrolle trennen, d.h. sich als Ehepaar voneinander lösen und als Elternpaar weiterhin für die
Kinder verfügbar bleiben (vgl. Schmitt, 1997, 25).
Zu welchen unterschiedlichen Beziehungsmustern es zwischen den Ex-Partnern kommen kann
erläutere ich in Punkt 3.3.2.
Haben sich Ehepartner gemeinsam zur Trennung entschlossen, so gelingt es vielen, nach der Trennung
eine wenig belastende Beziehung zueinander aufzubauen und ihre Angelegenheiten, z.B. Aufteilung
des Eigentums, Unterhalts- und Sorgerechts-regelungen auf rationale Weise zu klären. In anderen
Fällen kann es nach der Trennung zu häufigen Auseinandersetzungen zwischen den Ehepartnern
kommen. Oft brechen heftige negative Emotionen hervor und eine sachliche Klärung der Dinge ist
nicht möglich. In vielen Fällen kommt es zu Machtkämpfen und zu einer Eskalation von Konflikten.
47
Viele Partner mißtrauen dem anderen, denken nur noch Schlechtes von ihm und weisen ihm die Schuld
für die Trennung zu. Können sich die ehemaligen Ehepartner in ihren Angelegenheiten nicht einigen,
werden oft Rechtsanwälte, Gerichte und Jugendämter eingeschaltet, was die Konfliktlage in den
meisten Fällen noch verstärkt. In vielen Fällen werden die Kinder in die Konflikte mit hinein gezogen
und auf ihre Kosten werden diese ausgetragen, z.B. wenn die Mutter den Kontakt zum Vater verbietet,
weil dieser keinen Unterhalt bezahlt oder weil sie sich an ihm rächen will.
3.2.2 Die gerichtliche Scheidung28
Nach einer einjährigen Trennungszeit kann in der Regel eine Scheidung beim Familiengericht
beantragt werden. Der Antrag muß über einen Anwalt gestellt werden.
In dieser Phase des Scheidungsprozesses wird nun das Scheidungsverfahren vorbereitet und am Ende
dieser
Phase
wird
das
Scheidungsurteil
von
einem
Familiengericht
ausgesprochen.
Im
Scheidungsverfahren werden die Scheidungsfolgen geregelt. Während des Scheidungsverfahrens
besteht Anwaltszwang für beide Ehepartner.
Zu den Scheidungsfolgen gehören: Regelung des Nachnamens, falls ein Partner diesen ändern will,
Sorgerechts-
und
Umgangsrechtsregelungen,
Unterhaltsregelungen,
Versorgungs-
und
Zugewinnausgleich und Wohnungs- und Hausratsteilung (vgl. Horst, 1994). Das Familiengericht
mußte seither, bis 01.07.1998, ohne Antrag der Ehepartner die elterliche Sorge für gemeinsame Kinder
regeln und über den Versorgungsausgleich (Klärung des Rentenanspruchs der Ehegatten) entscheiden.
Über die weiteren oben genannten Folgesachen entscheidet das Gericht nur auf Antrag (vgl. Deutscher
Verein für öffentliche und private Fürsorge, 1993, 252-253).
In der Scheidungsphase beauftragt in der Regel jeder der getrenntlebenden Partner einen
Rechtsanwalt, seine Rechte zu vertreten. Diese Trennungs- und Scheidungsregelungen über Anwälte
führen in vielen Fällen aus unterschiedlichen Gründen zu einer zusätzlichen Verschlechterung und
konfliktverschärfenden Beziehung zwischen den ehemaligen Ehepartnern. So sind Rechtsanwälte
meistens darauf aus, die bestmöglichen Ergebnisse für ihren Mandanten zu erzielen, ohne Rücksicht
auf das Wohl der gesamten Familie und vor allem der Kinder. Viele ehemaligen Ehepartner wollen
sich auch im Scheidungsverfahren am anderen rächen, ihn erniedrigen, um selber zu gewinnen und das
verlorene Selbstwertgefühl wieder zu erlangen. So werden oft überzogene Forderungen an die andere
Partei gestellt, die dann im Gegenzug ebenso reagiert. Außerdem verhindern Rechtsanwälte oft, daß
sich die ehemaligen Ehepartner miteinander auseinandersetzen, sich austauschen, miteinander
Kompromisse finden, vielleicht auch zu einer Versöhnung gelangen, da sie die Partner jeweils
anhalten, nur über sie mit der anderen Partei beziehungsweise deren Rechtsanwalt in Kontakt zu
treten.
Eine günstigere Alternative zu diesen Anwaltsregelungen bietet die sogenannte Mediation oder
Scheidungsfolgenvermittlung,
die
Betroffenen
48
hilft,
gemeinsam,
einvernehmlich
und
selbstverantwortlich die notwendigen Scheidungsvereinbarungen zu treffen und vertraglich
festzulegen, auf die ich in Kapitel 5 näher eingehen werde.
Auf die rechtlichen Fragen, Folgen und den genauen verfahrensrechtlichen Ablauf der Ehescheidung,
mit Ausnahme der Sorgerechtsregelung, möchte ich in meiner Arbeit nicht näher eingehen und
verweise deshalb auf folgende Literatur: Große-Boymann, 1998.
Ab 01.07.1998, mit der Einführung des Kindschaftsreformgesetzes, wird nun nicht mehr vom Gericht
über die Regelung der elterlichen Sorge entschieden, es sei denn, die Eltern beantragen ein
gerichtliches Verfahren. Die Regel besteht darin, daß nun Eltern nach der Scheidung weiterhin die
gemeinsame Sorge für ihr Kind behalten und der Staat nur eingreift, wenn dies von den Eltern verlangt
wird (vgl. Sozialmagazin, 1997, 16). Da dieses Gesetz erst am 01.07. diesen Jahres in Kraft getreten
ist, kann ich in meiner Arbeit noch nichts darüber schreiben, wie sich die Situation der Kinder in
Bezug auf das Sorgerecht nun gestalten wird, d.h. wieviel Prozent der Eltern nun die gemeinsame
Sorge beibehalten werden und welche Auswirkungen dies auf ihren Umgang mit den Kindern haben
wird. Ich werde lediglich auf mögliche Auswirkungen hinweisen können, die diese neue gesetzliche
Regelung vermutlich haben kann (vgl. Punkt 3.3.3). An dieser Stelle möchte ich nun einen kurzen
Überblick über die möglichen Sorgerechtsregelungen geben, die ein Gericht hat, wenn es zu einer
gerichtlichen Entscheidung kommt und wie die bisherige Verteilung nach altem Recht aussah.
3.2.2.1 Sorgerechtsregelungen, die bis 01.07.1998 vom Familiengericht getroffen
wurden
Seit 1982 gibt es für das Familiengericht vier Alternativen bei der Regelung des elterlichen
Sorgerechts nach einer Scheidung (vgl. Textor, 1991b, 63; Fthenakis et al., 1982, 190). Die jeweils
angegebenen Zahlen zu der Verteilung der einzelnen Sorgerechtsregelungen stammen aus einer
bundesweiten Sondererhebung im Rahmen der Justizstatistik vom 01.Juli 1994 - 30.Juni 1995 (vgl.
Bundestagsdrucksache, 13/4899, 1996, 37).
a) Alleiniges Sorgerecht:
In der Regel wurde bisher einem Elternteil (in 82,93% der Fälle) das Sorgerecht übergeben. In
74,64% der Fälle haben die Mütter und in 8,29% der Fälle die Väter das Sorgerecht.
b) Geteiltes Sorgerecht:
In seltenen Fällen werden ein oder mehrere Kinder der Mutter und die übrigen dem Vater
zugesprochen. Jeder Elternteil erhält das Sorgerecht für die bei ihm lebenden Kinder.
c) Gemeinsames Sorgerecht:
Beide geschiedene Elternteile behalten das Sorgerecht für ihre Kinder. Dies war bei 17,07% der
Fall. Voraussetzungen hierfür waren, daß beide Elternteile weiterhin die Verantwortung für ihre
Kinder gemeinsam tragen wollen, beide voll erziehungsfähig sind, und das Kindeswohl die
28
vgl. Textor, 1991b, 58-72.
49
Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil nicht angezeigt erschienen ließ. Beide Elternteile
sollten während der Trennungsphase eine positive Beziehung zu den Kindern haben.
d) Keiner der beiden Eltern erhält das Sorgerecht, sondern ein Dritter, d.h. ein Pfleger oder Vormund
(vgl. Fthenakis et al., 1982, 190). Dieser Fall tritt nur selten auf, wenn z.B. beide Eltern keine
Gewähr dafür bieten, daß das Kind bei ihnen ohne Schaden zu nehmen aufwachsen kann, oder
wenn beide Eltern durch Krankeit oder Abwesenheit nicht zur Verfügung stehen.
Der jeweils nicht sorgeberechtigte Elternteil erhielt ein Umgangsrecht. Er war allerdings nicht
verpflichtet, dieses auszuüben.
Ab 01.07.1998 ist nun das Kindschaftsreformgesetz in Kraft getreten. Ich möchte nun kurz auf die nun
geltenden Regelungen in Bezug auf das Sorgerecht bei Trennung und Scheidung eingehen (vgl.
Schwab, 1998, 457-472).
3.2.2.2 Sorgerechtsregelungen nach dem Kindschaftsreformgesetz
Im Falle einer Scheidung wird keine gerichtliche Entscheidung von Amts wegen mehr vorgesehen.
Eine gerichtliche Sorgerechtsregelung im Falle einer Ehescheidung setzt einen Antrag eines Elternteils
voraus.
Im Normalfall bleibt die elterliche Sorge bei beiden Eltern, ohne daß darüber vom Gericht entschieden
wird.
Dem Antrag auf alleinige Sorge eines Elternteils ist vom Gericht stattzugeben, wenn der andere
Elternteil diesem Antrag zustimmt oder zu erwarten ist, daß eine Aufhebung des gemeinsamen
Sorgerechts und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, bleibt es beim gemeinsamen Sorgerecht (vgl. BGB, §1671
neue Fassung).
Das gemeinsame Sorgerecht nach der Scheidung hat eine gesetzlich festgelegte Struktur. Der
Elternteil, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, hat die Befugnis zu alleinigen Entscheidungen in
Angelegenheiten des täglichen Lebens, d.h. Entscheidungen, die oft vorkommen und die keine schwer
abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben (z.B. Freizeitgestaltung,
Behandlung leichterer Erkrankungen üblicher Art). In Entscheidungen oder Angelegenheiten, deren
Regelung von erheblicher Bedeutung für das Kind sind, ist das gegenseitige Einvernehmen der Eltern
erforderlich (z.B. Operationen, Schulwechsel) (vgl. BGB §1687).
Außerdem ist das Umgangsrecht nicht mehr zuerst ein Recht der Eltern auf Umgang mit ihren
Kindern, sondern ein Recht des Kindes auf Umgang mit beiden Eltern (vgl. BGB §1684).
Welchen Entwicklungsbedingungen sind nun Kinder in dieser Scheidungsphase möglicherweise
ausgesetzt und welche Auswirkungen können diese auf die intrapsychische Entwichlung der Kinder
haben?
50
3.2.3 Entwicklungsbedingungen und Auswirkungen derTrennungsphase auf die
intrapsychische Entwicklung der Kinder
Für viele Kinder ist die Trennung ihrer Eltern eine verwirrende und verunsichernde Situation. Für die
Kinder, die wenig Ehekonflikte miterlebt und die Beziehung ihrer Eltern als stabil eingeschätzt haben,
ist die Trennung ein großer Schock. Kinder erleben eine Trennung zunächst nicht als Chance für einen
Neubeginn, wie manche Erwachsene, sondern als Verlust eines Elternteils, als Verlust an Liebe,
Zuneigung, Hilfe und Zugehörigkeit (vgl. Textor, 1991b, 48-49).
Viele Kinder werden von ihren Eltern im Unklaren gelassen und erfahren manchmal bis zum letzten
Tage nichts von der bevorstehenden endgültigen Trennung. Dies verstärkt die Verunsicherung und die
Ängste der Kinder und erschüttert das Vertrauen zu ihren Eltern (vgl. Schmitt, 1997, 26).
Diese mangelnde Information kommt häufig daher, daß die Eltern sich selbst oft nicht sicher sind, ob
die Ehe zerbricht oder nicht. So zögern sie lange, bis sie das Thema der Trennung ansprechen (vgl.
Furstenberg u. Cherlin, 1993, 45).
Viele Kinder werden vielfach auch nicht über die Hintergründe und Ursachen der Trennung
aufgeklärt. Auch erhalten sie kaum genügend Informationen, wie es weitergehen wird, welche
Veränderungen in Zukunft zu erwarten sind. Ältere Kinder haben oft kein Mitspracherecht, was z.B.
die zukünftigen Lebensverhältnisse, ob sie weiterhin bei Vater oder Mutter leben werden, angeht. So
sind viele Kinder in dieser unsicheren Zeit mit ihren vielen Fragen allein gelassen. Sie entwerfen sich
deshalb ihr eigenes Erklärungsmodell für die Scheidung ihrer Eltern. Sie befürchten dann eine
negative Zukunft und entwickeln große Ängste, z.B. daß sie nicht mehr geliebt werden, daß ihre
Bedürfnisse nicht mehr befriedigt werden und daß sie auch noch den anderen Elternteil verlieren
werden. Diese Ängste werden dadurch noch verstärkt, daß Eltern durch ihre eigene emotionale
Belastung kaum Zeit und Kraft haben, sich um das Befinden ihrer Kinder zu kümmern und oft gereizt
und ungeduldig reagieren (vgl. Textor, 1991b, 49).
Viele Eltern fühlen sich außerdem schuldig, ihren Kindern eine Scheidung zuzumuten und ihnen damit
Leid anzutun. Um mit diesen Schuldgefühlen fertig zu werden, um sie abzuwehren, hoffen sie deshalb,
daß die Trennung den Kindern nicht allzuviel ausmachen möge. Mit dieser Hoffnung stehen Eltern
allerdings in der Gefahr, auftretende Probleme ihrer Kinder zu übersehen oder zu verleugnen. Sie
nehmen die kleinen Zeichen nicht wahr, die die Kinder über ihr Unglück oder ihre Angst senden.
Außerdem kann ein solches Elternverhalten, das Probleme verleugnet anstatt bewußt anzugehen, bei
den Kindern ebenfalls dazu führen, daß diese ihre Gefühle und Probleme hinsichtlich der Trennung
ebenfalls wegschieben. Es gibt daher auch Kinder, die nach einer Trennung scheinbar keinerlei
Reaktionen zeigen. Kinder können oft ihrem Schmerz erst dann Ausdruck verleihen, wenn ihnen dafür
Raum gelassen wird. Der offenbarte Schmerz ist aber der einzige Schmerz, der auch bewältigt werden
kann. Wird er allerdings weggeschoben, kann er nicht verarbeitet werden und belastet so die
psychische Struktur des Kindes. Eine Trennung der Eltern ist nämlich für alle Kinder schmerzvoll, die
51
zu ihren beiden Eltern Liebesbeziehungen aufbauen konnten, auch wenn diese konfliktbelastet waren
(vgl. Figdor, 1998, 20-21).
Diese Schilderungen zeigen, daß Eltern aufgrund ihrer eigenen Situation, ihrer eigenen mit der
Trennung verbundenen Gefühle des Versagens, Verletztseins, der Enttäuschungswut und Abwehr von
Schuldgefühlen, für ihre Kinder oft keine ausreichende psychische Stütze sein können und ihnen bei
der Verarbeitung des Verlusterlebnisses kaum helfen können. Diese für die Entwicklung der Kinder
ungünstigen Bedingungen bestehen in der Regel vom Beginn der Scheidungsphase bis zu einem Jahr
danach (vgl. Schmitt, 1997, 26). Auch Lehmkuhl, die 1984-1985 eine Untersuchung von
Scheidungsfamilien durchführte, mit dem Ziel herauszufinden, wie Kinder und Eltern die ersten 18
Monate nach der Trennung erlebten, kam zu dem Ergebnis, daß die Familien in den ersten Wochen
und Monaten nach der Trennung am irritiertesten sind. Nach ihrer Meinung brauchen Eltern und
Kinder in dieser Phase Beratung, um die akute Krise zu überwinden, ohne daß ein Familienmitglied
zum Symptomträger werden muß, um auf die Not in der Familie aufmerksam machen zu müssen (vgl.
Lehmkuhl, 1988, 138).
In der Scheidungsphase kann es zu ganz unterschiedlichen Beziehungen zwischen den Eltern und den
Kindern kommen, was meist damit zusammenhängt, wie die Eltern die Trennung erlebt haben und wie
sie weiterhin zu ihrem ehemaligen Ehepartner stehen.
Können die Ehepartner die Trennung akzeptieren, erkennen sie weiterhin an, daß beide elterliche
Rechte haben, dann fördern sie meist den Kontakt der Kinder zu beiden Elternteilen. In anderen
Fällen, in denen die Eltern sich z.B. tief gekränkt und verletzt fühlen und dem jeweils anderen die
Schuld für die Trennung geben, werden oft die Kontakte der Kinder zu dem abwesenden Elternteil
erschwert. Außerdem wird hier den Kindern meist auch verboten, Gefühle des Schmerzes über die
Abwesenheit des anderen Elternteils zu äußern, oder überhaupt von ihm zu reden Dieses
Elternverhalten verursacht bei den Kindern oft schwere Loyalitätskonflikte, da die Kinder beide lieben
und zu beiden eine Beziehung behalten wollen. Nähere Erläuterungen zu der Gestaltung der
nachehelichen Beziehungen zwischen den Eltern und den Kindern erfolgen in den Punkten 3.3.2 und
3.3.3.
Viele Kinder übernehmen in der Scheidungsphase, wie möglicherweise auch schon in der
Vorscheidungsphase, bestimmte Rollen, wie z.B. Bündnispartner, Vermittler, Informant. Manche
Kinder werden auch zum Partnerersatz oder zum parentifizierten Kind, indem sie z.B. eine Art
Elternrolle für jüngere Geschwister einnehmen. Diese Rollen können die kindliche Entwicklung
beschleunigen, die Kinder überfordern und verhindern, daß Kinder an altersentsprechenden
Aktivitäten teilnehmen (vgl. Textor, 1991b, 43-44).
In der Scheidungsphase erleben viele Kinder auch eine familiäre Atmosphäre von Bitterkeit, Rache
und Haß und werden oft als Spielball im gegenseitigen Kampf ihrer Eltern benutzt, wenn diese keine
einvernehmlichen Regelungen der Scheidungsfolgen, wie z.B. des Sorge- und Umgangsrechts, der
Unterhaltszahlungen treffen können. Auch diese Situation stürzt viele Kinder in schwere
Loyalitätskonflikte, da sie oft gezwungen sind, im Kampf ihrer Eltern sich für einen Elternteil zu
entscheiden (vgl. Bauers, 1997, 48).
52
Die zentrale Entwicklungsbedingung für Kinder in der Scheidungsphase ist das Erleben der Trennung
von einem Elternteil. Ich möchte kurz erläutern, welche Auswirkungen diese aus psychoanalytischer
Sicht auf die intrapsychische Entwicklung der Kinder haben kann. Hierbei geht es vermehrt um die
Trennung vom Vater, da in den meisten Fällen die Kinder nach der Trennung, bzw. Scheidung, bei der
Mutter bleiben, wie die Sorgerechtsregelungen (vgl. Punkt 3.2.2.1) belegen.
3.2.3.1 Auswirkungen einer Trennung auf die intrapsychische Entwicklung der
Kinder
in den ersten drei Lebensjahren (Individuations- und Loslösungsprozeß)29:
Wie bereits in der Vorscheidungsphase beschrieben, ist für die Individuation eines Kindes, d.h. die
Loslösung von der engen Mutter-Kind-Beziehung und für seine gesunde psychische Entwicklung, die
frühe Triangulierung, d.h. die komplexe Beziehung zwischen Vater, Mutter und Kind, in den ersten
drei Lebensjahren sehr wichtig.
Verliert das Kind nun durch die Trennung den Vater als triangulierendes Objekt, wird die Tendenz zur
Loslösung von der Mutter gehemmt. Kinder regredieren oft und zeigen Verhaltensweisen früherer
Entwicklungstufen, wie z.B. Daumenlutschen und Wieder-Einnässen. Kinder zeigen auch häufig ein
stark anklammerndes Verhalten an die Mutter, weil sie Angst haben, auch diese zu verlieren. (vgl.
Bauers, 1997, 50).
Können sich Kinder innerpsychisch nicht genügend von ihrer Mutter trennen, führt dies oft zu sehr
konflikthaften Beziehungen zwischen ihnen, da die Kinder durch aggressives Verhalten gegenüber der
Mutter gegen eine zu starke innerpsychische Abhängigkeit von ihr und gegen die Bedrohung ihrer IchAutonomie ankämpfen müssen (vgl. Rotmann, 1978, 1116).
Weiterhin kann bei einer Trennung der Eltern das Kind die entlastende und ausgleichende Funktion
der Beziehung zum Vater verlieren. Lebt ein Kind mit Vater und Mutter zusammen, so kann es
nämlich zwischen beiden Elternteilen hin- und herpendeln und sich von jedem das notwendige Maß an
Befriedigung holen. Erlebt ein Kind z.B. eine sehr überbehütende ängstliche Mutter, so kann ein
Vater, der Selbstständigkeit zulassen kann, für das Kind eine starke kompensatorische Funktion zur
Mutter-Kind-Beziehung darstellen. Bei einer Trennung kann nun diese kompensatorische Beziehung
zum Vater wegfallen und das Kind ist vollständig der Beziehung zur Mutter ausgeliefert, was nun zu
Konflikten führen kann (vgl. Figdor, 1991, 106-109).
3.2.3.2 Auswirkungen einer Trennung auf die intrapsychische Entwicklung der
Kinder
zwischen vier und sechs Jahren (ödipale Phase)30
29
vgl. Punkt 3.1.3.2
53
In der ödipalen Phase wird der gleichgeschlechtliche Elternteil von dem Kind als Rivale abgelehnt und
in der Phantasie oft besiegt und weggewünscht. Verläßt dieser Elternteil nun aufgrund der Trennung
die Familie kann das Kind aufgrund seiner magischen Vorstellungswelt die Überzeugung haben, die
Trennung selbst verursacht zu haben. Dies kann starke Schuldgefühle und Ängste auslösen. Kinder
versuchen oft, diese Situation wieder gut machen zu wollen, indem sie verzweifelt bemüht sind, ihre
Eltern wieder zusammenzubringen, ihnen zu helfen, was sie maßlos überfordert. Folge kann z.B. sein,
daß Kinder Konzentrations- und Lernstörungen und angstgetriebenes aggressives Verhalten
entwickeln (vgl. Bauers, 1997, 50).
Weiterhin kann eine Trennung von dem gleichgeschlechtlichen Elternteil, mit dem sich das Kind in
dieser Phase identifiziert und somit seine Geschlechtsrollenidentität entwickelt, diese Identifikation
erschweren und zu einer Unsicherheit der eigenen geschlechtlichen Identität führen, da ein adäquates
Nachahmungsmodell
fehlt.
Dieser
Zusammenhang
zwischen
der
Geschlechtsrollenidentitätsentwicklung und dem Fehlen der Identifikationsfigur ist in der Literatur
meistens nur für den Fall beschrieben, wenn der Vater die Familie verläßt, was in der Mehrheit der
Fälle zutrifft, wie bereits beschrieben.
So wird angenommen, daß für den Jungen im Fall einer Trennung vom Vater das männliche
Identifikationsobjekt fehlt und somit seine Geschlechtsrollenentwicklung beeinträchtigt werden kann,
da die Lösung von der Mutter als primären Identifikationsobjekt und die Annahme männlicher
Geschlechtsidentität erschwert sind (vgl. Fthenakis et al., 1982, 79). Eine Metaanalyse mit 67 Studien
zu väterlicher Abwesenheit und Geschlechtsrollenentwicklung ergab, daß Jungen im Vorschulalter
geringere Geschlechtstypisierungen, z.B. in der Wahl des Spielzeugs oder Spielaktivitäten, als
vergleichbare Altersgenossen aus Zwei-Eltern-Familien zeigten. Dagegen agierten ältere vaterlose
Jungen auf der Verhaltensebene geschlechtsstereotyper, vor allem im Bereich Aggression, als Jungen
aus vaterpräsenten Familien (vgl. Stevenson u. Black, 1988, in: Kardas u. Langenmayr, 1996, 104).
Allerdings wird von Hutson (1983, in: Kardas u. Langenmayr, 1996, 104) darauf hingewiesen, daß zur
Erklärung des Geschlechtsrollenverhaltens von Jungen im Vorschulalter mit abwesendem Vater, die
Tatsache des fehlenden männlichen Rollenmodells allein nicht für ausreichend gehalten wird.
Eine weitere Annahme, die Anna Freud und Dorothy Burlingham äußerten, wie sich die Trennung vom
Vater auf die Identitätsentwicklung der Jungen auswirken kann, ist, daß „... weniger die fehlende
Identifikationsfigur die weitere Entwicklung des Kindes behindere, als vielmehr die Tendenz des
alleinerziehenden Elternteils, das Kind in die Rolle des abwesenden Partners zu drängen; die daraus
resultierenden
positiven
und
negativen
Rollenprojektionen
müßten
zu
massiven
Identitätsschwierigkeiten führen“ (Kardas u. Langenmayr, 1996, 104). In vielen Fällen werden
Jungen, die nach der Trennung bei ihren Müttern leben, nämlich als Repräsentant, als Modell des
abgelehnten Partners von ihren Müttern gesehen und somit mit diesem negativen Partner-/Vaterbild
identifiziert.
Auch gibt es klinische Studien, die Zusammenhänge zwischen früher Vaterabwesenheit durch
Scheidung und der Ausbildung weiblicher Identität untersuchten (vgl. Lohr; Legg; Mendell; Riemer,
30
vgl. Punkt 3.1.3.3
54
1989, in: Kardas u. Langenmayr, 1996, 103). Sie fanden heraus, daß Mädchen, deren Eltern sich in der
ödipalen Phase scheiden ließen, spezielle Bewältigungsmechanismen aus der Abwesenheit des Vaters
heraus entwickelten, die die Ausbildung der weiblichen Identität erschwerten.
Die beeinträchtigte weibliche Identität zeigt sich nicht in einem äußerlich unweiblichen
Erscheinungsbild, sondern vielmehr in einem angegriffenen weiblichen Selbstwertgefühl. Diese
Mädchen haben die Einstellung, sie seien für Männer unattraktiv, bei gleichzeitigem Verlangen nach
deren Liebe und Anerkennung. Die Tatsache, daß der Vater gegangen ist, wird als Zurückweisung,
nicht liebenswert oder hübsch genug gewesen zu sein, interpretiert (vgl. Kardas u. Langenmayr, 1996,
103).
3.2.3.3 Auswirkungen der Trennung für die intrapsychische Entwicklung der Kinder
in der Latenzphase
Nach psychoanalytischer Entwicklungstheorie befinden sich Kinder vom sechsten Lebensjahr bis zum
Beginn der Pubertät in der Latenzphase. In dieser Phase liegt die Grundschulzeit und damit verbunden
die Aufgabe der Kinder, kognitive und soziale Fähigkeiten zu erwerben, die sie auf das
Erwachsenenalter vorbereiten (vgl. Bourne u. Ekstrand, 1992, 314).
Kinder in dieser Phase orientieren sich in ihren Aktivitäten oft außerhalb der Familie und erleben ihre
Situation, in einer Scheidungsfamilie leben zu müssen, oft als beschämender Mangel. Diese
Schamgefühle können z.B. durch die Konzentration auf den Leistungsbereich, z.B. auf schulische
Leistungen oder außerschulische Leistungen, wie besondere Hobbies, kompensiert werden. Gelingt
dies nicht, können diese Schamgefühle auch zu einem Rückzug aus Sozialkontakten führen. Außerdem
können sich Kinder in diesem Alter in ihrem Bedürfnis, soziale Kompetenz und soziale Anerkennung
zu erlangen, beeinträchtigt fühlen, da ihre Eltern durch die Trennung als Vorbild für sie gescheitert
sind (vgl. Bauers, 1997, 50-51).
3.2.3.4 Auswirkungen der Trennung auf die intrapsychische Entwicklung
Jugendlicher
in der Adoleszenz31
Jugendliche erleben die Trennung ihrer Eltern in der für sie sehr kritischen Phase der Pubertät als
Verlust einer sicherheits- und haltgebenden Familienstruktur. Wie bereits in Punkt 3.1.2.4 erwähnt,
sind in der adoleszenten Entwicklung, in der Jugendliche ihre eigenen Lebensweg finden wollen und
zwischen dieser Unabhängigkeit und noch vorhandener kindlicher Abhängigkeit hin- und herpendeln,
unterstützende und verständnisvolle Eltern sehr hilfreich, um die Entwicklungsaufgaben dieser Phase
31
vgl. Punkt 3.1.3.4
55
zu meistern. Trennen sich die Eltern in dieser Zeit, fühlen sich die Jugendlichen im Stich und allein
gelassen, worauf sie oft mit Wut, Haß aber auch Angst reagieren können. Folgende
Entwicklungsverläufe können in der Adoleszenz im Zusammenhang einer Trennung der Eltern
auftreten: zum einen ein emotianaler Rückzug in die Regression, d.h. eine Vermeidung der
Bewältigung der adoleszenten Entwicklungsaufgaben, vor allem der altersgemäßen Ablösung von der
Familie und ein Zurückfallen in frühere Entwicklungsstufen, z.B. wieder in eine größere Abhängigkeit
zu den Eltern zu verfallen, zum anderen ein beschleunigter Entwicklungsablauf mit sexueller Frühreife
und pseudo-adoleszentem Verhalten, in vielen Fällen verbunden mit einem frühen Verlassen des
Elternhauses. Manche Jugendliche versuchen auch ihre durch die Trennungskrise stark belasteten
Eltern zu entlasten, indem sie, unter Vernachlässigung ihrer eigenen Bedürfnisse, Entscheidungen und
Verantwortung übernehmen, die „normalerweise“ Elternaufgabe sind. Dieses verfrühte pseudoerwachsene Verhalten verhindert allerdings das Durchlaufen entwicklungsangemessener Aufgaben, die
für die Persönlichkeitsentwicklung wichtig sind. Jugendliche in der Spätadoleszenz, die z.B. in
Verbindung mit der eigenen beruflichen Identitätsfindung Trennungwünsche von der Familie haben,
können dadurch in Loyalitätskonflikte kommen, da sie sich oft verantwortlich fühlen, ihren Eltern in
ihrer Trennungskrise helfen zu müssen (vgl. Bauers, 1997, 51).
Ist die Ehe nun juristisch durch das Scheidungsurteil aufgelöst, beginnt die Nachscheidungsphase, auf
die ich nun eingehen werde.
3.3 Die Nachscheidungsphase
Sie beginnnt mit der juristischen Scheidung und dauert bis zur psychischen, bzw. emotionalen
Scheidung der Partner. Für manche Paare endet diese Phase nie, da die Partner innerlich nicht
voneinander loskommen (vgl. Reich, 1993, 19).
In der Nachscheidungsphase ist es also wichtig, daß die ehemaligen Ehepartner sich innerlich
voneinander lösen und daß sich die Familie nach der Scheidung an die veränderten sozialen und
ökonomischen Bedingungen anpaßt. Welche sozio-ökonomischen Veränderungen eine Scheidung für
die betroffenen Familien bringen kann, wird in Kapitel 4 deutlich werden.
3.3.1 Die psychische Scheidung der Geschiedenen und deren
Scheidungsbewältigung
Unter der psychischen Scheidung versteht man, daß sich die ehemaligen Ehegatten mit ihrer
gescheiterten Ehe auseinandersetzen und sich innerlich von ihrem Partner lösen. Dafür ist es
notwendig, um den Verlust der Ehe, z.B. um Hoffnungen und Wünsche, die nicht in Erfüllung
gegangen sind, zu trauern, Gefühle des Versagens und der Schuld zu verarbeiten, die eigenen Anteile
56
am Scheitern der Ehe zu akzeptieren und ein der Realität entsprechendes Bild vom früheren Partner
zurückzugewinnen, d.h. negative und positive Seiten an ihm zu sehen und die in der Trennnungszeit
oft angenommene einseitige negative Haltung, die häufig mit Wut, Haß und Verachtung verbunden ist,
loszulassen. Es ist wichtig, daß sich die Ex-Partner von dem Einfluß ihres Partners auf ihr eigenes
psychisches Leben befreien. Dafür ist es notwendig, die Gefühle, die mit der Trennung und Scheidung
entstanden sind, zu verarbeiten. Eine Ehe, um die nicht getrauert wurde, ist nach der Meinung von
Wallerstein und Blakeslee psychisch nicht beendet. (vgl. Textor, 1991b, 75; Wallerstein u. Blakeslee,
1989, 329-330). „Nur wenn der Mensch trauert, ist er in der Lage, das, was er verloren hat, nach
einiger Zeit angemessen zu beurteilen und eine distanziertere Haltung zur Vergangenheit
einzunehmen“ (Wallerstein u. Blakeslee, 1989, 329).
Nach einer amerikanischen Studie von Spanier und Thompson 1984 gelang es 90% der Geschiedenen
ca. zwei Jahre nach der Trennung das Ende ihrer Ehe zu akzeptieren. Nur 9% waren noch auf ihren
früheren Partner wütend (vgl. Textor, 1991b, 75).
Viele Betroffene erholen sich im Laufe der Nachscheidungsphase. Negative Gefühle, wie
Selbstmitleid, Verzweiflung, Angst, Einsamkeit und vorhandene Symptome, wie Depressionen,
Schlafstörungen oder andere psychische oder psychosomatische Störungen, nehmen in der Regel
innerhalb von einem Zeitraum von sechs Monaten bis zu vier Jahren nach der Scheidung ab und
verschwinden schließlich ganz.
Nach der bereits genannten Studie von Spanier und Thompson ergab sich, daß sich zwei Jahre nach
der Scheidung etwa 4/5 der Befragten wieder wohl fühlten (vgl. ebd., 73).
Nach einer Scheidung müssen die ehemaligen Ehepartner ihr Leben, ihre Identität, ihre Rollen ganz
neu definieren und gestalten. Damit haben viele Geschiedene zuerst einmal Schwierigkeiten,
besonders mit der Tatsache des Alleinlebens. Viele berichten, daß das Leben nach der Scheidung erst
einmal viel schwieriger als erwartet war.
Da meine Arbeit nicht das Ziel hat, die Scheidungsbewältigung der ehemaligen Ehepartner
darzustellen, sondern vielmehr auf die Situation der betroffenen Kinder einzugehen, möchte ich hier
nur kurz aufzeigen, welche Bedingungsfaktoren eine positive Bewältigung der Ehescheidung für
Ehepartner ermöglichen können. Eine positive Scheidungsbewältigung der Eltern trägt nämlich unter
anderem dazu bei, daß die Kinder unter der Scheidung nicht langfristig leiden müssen. Dazu gibt es
zahlreiche Studien, die belegen, daß gut an die Scheidung angepaßte Elternteile, insbesondere der
Elternteil, bei dem die Kinder leben, Kinder positiv unterstützen und die Wirkung von
scheidungsbedingten Belastungen, wie z.B. eine schlechtere finanzielle Situation vermindern können.
Außerdem korrelliert der Grad des mütterlichen Selbstwertgefühls negativ mit Problemen der Kinder,
d.h. Kinder haben weniger Probleme, wenn ihre Mütter ein gutes Selbstwertgefühl nach der Scheidung
entwickeln können. Psychisch eingeschränkte Eltern können dagegen weniger adäquat auf die
Bedürfnisse ihrer Kinder eingehen und kindliche Entwicklungsstörungen können so leichter entstehen.
Eine
gelungene
Scheidungsanpassung
der
Eltern
kann
also
Kinder
vor
ungünstigen
Entwicklungsbedingungen schützen (vgl. Kardas u. Langenmayr, 1996, 110-111).
Die Aufzählung der positiven Bedingungsfaktoren einer guten Scheidungsbewältigung bezieht sich auf
eine Analyse des amerikanischen Soziologen Veevers, der anhand einer Zusammenschau der
57
verfügbaren Literatur Bedingungsfaktoren identifizierte, die eine positive Bewältigung der Scheidung
im Sinne einer inneren Reifung, einer Weiterentwicklung und eines inneren Wachstums für
Geschiedene ermöglichen (vgl. Veevers, 1991, in: Kardas u. Langenmayr, 1996, 55-56).
Positive Bedingungsfaktoren sind:32
 eine normale Scheidung, d.h. die Scheidung wird als normales Ereignis akzeptiert und nicht als
persönliches Scheitern und Schuld;
 die Person verfügt über Persönlichkeitseigenschaften, wie Ich-Stärke, Selbstsicherheit und
Willensstärke;
 die Person ist bei der Scheidung eher jünger;
 Frauen verarbeiten die Trennung und regenerieren sich in der Regel besser, als Männer (vgl.
Bojanovsky, 1983; Chadwick, 1989, in: Kardas u. Langenmayr, 1996, 60);
 die Ehe war eher schlechter als durchschnittlich und eher kürzer als länger;
 selbst aktiv die Scheidung initiiert zu haben;
 die Trennung kam nicht überraschend, sondern man konnte sich darauf vorbereiten;
 nach der Scheidung eher eine schwächere Bindung an den Ex-Partner zu haben;
 nach der Scheidung eine befriedigende Beziehung zum Ex-Partner zu haben;
 Zugang zu adäquaten finanziellen Ressourcen zu besitzen;
 eine höhere Bildung zu haben;
 besser nicht-traditionelle Geschlechts- und Partnerrollen zu leben;
Nach einer Scheidung bewältigen die Personen besser ihre neue Lebenssituation, die in der Ehe die
Aufgaben nicht nach traditionellen Geschlechtsrollen verteilt hatten, sondern beide Verantwortung
übernahmen, die nicht der traditionellen Rollenverteilung entsprachen (z.B. Männer, die
Hausarbeit durchführten und Kinderbetreuung übernahmen, Frauen, die sich nicht nur um Haus
und Familie kümmerten, sondern auch außerhäusliche Verantwortung und Organisationen,
Aktivitäten
übernahmen).
Diese
Personen
haben
mehr
Handlungsspielraum,
mehr
Handlungskompetenzen in der Bewältigung der Krisensituation nach der Scheidung. Sie sind durch
den Verlust des Partners nicht so hilflos im Umgang mit den alltäglichen Anforderungen des
Lebens nach der Scheidung (vgl. Studien in: Fthenakis et al., 1982, 102).
 Stützende Netzwerk-Bindungen, d.h. hilfreiche soziale Kontakte zu haben, die bei der Bewältigung
der neuen Situation mit emotionaler Unterstützung und praktischer Hilfe zur Verfügung stehen;
Bei viel Unterstützung durch das Netzwerk fühlen sich Geschiedene in der Regel wohler und haben
ein positiveres Selbstkonzept (vgl. Textor, 1991b, 77).
 Zugang zu professionellen Beratungsangeboten zu haben;
 intime- und/oder Freundschafts-Beziehungen zu haben;
So stellten Coysh und Mitarbeiter (1989, in: Textor, 1991b, 78-79) fest, daß sich eine neue
befriedigende Beziehung positiv auf das Wohlbefinden Geschiedener auswirkt.
32
Eine genauere Diskussion und Bewertung dieser Bedingungsfaktoren ist nachzulesen in Kardas u.
Langenmayr, 1996, 45-67).
58
Dieser Hinweis auf eine positive Bewältigung einer Scheidung soll das Erleben einer Scheidung nicht
bagatellisieren und nicht den Eindruck erwecken, daß diese Erfahrung gar nicht so schwierig und ernst
zu nehmen sei. In vielen Fällen wird eine Scheidung nämlich als sehr schmerzhaft und sehr belastend
erlebt (vgl. Veevers, 1991, zit. in: Kardas u. Langenmayr, 1996, 56).
Klinisch-empirische Studien zeigen nämlich übereinstimmend, daß Männer und Frauen die
getrenntlebend oder geschieden sind, eine höhere Vulnerabilität, d.h. eine größere Bereitschaft
besitzen, psychische und physische Beeinträchtigungen zu entwickeln. Die Bandbreite physischer und
psychischer Beeinträchtigungen ist sehr vielfältig und reicht von vermehrten psychosomatischen
Beschwerden und ernsten bis lebensbedrohlichen somatischen Erkrankungen über die Entwicklung
von Suchtproblematiken, einer erhöhten Unfall- und Suizidrate bis zu manifesten psychiatrischen
Zustandsbildern, vor allem schwere Depressionen, die allerdings häufig bei kürzlich Getrenntlebenden
beobachtet wurden (vgl. verschiedene Studien in: Kardas u. Langenmayr, 1996, 56-57). Bojanovsky
(1983, in: Textor, 1991b, 74) kam auch zu der Beobachtung, daß Geschiedene in psychiatrischen
Kliniken überrepräsentiert sind und auch häufig ambulant behandelt werden. Allerdings muß man
dabei bedenken, daß die psychischen Probleme häufig schon vor der Scheidung auftraten.
Mit der Schilderung der positiven Bedingungsfaktoren hinsichtlich der Scheidungsbewältigung soll
darauf aufmerksam gemacht werden, daß eine Scheidung nicht per se und in jedem Fall eine
ausschließlich negative und stark beeinträchtigende Erfahrung sein muß, sondern daß sie unter
bestimmten Umständen eine stärkende Erfahrung sein kann, eine Chance zum Neubeginn und zur
Weiterentwicklung. Für die Scheidungsinterventionen ist dies ein Hinweis, welche Bedingungen
geschaffen werden können, welche Faktoren, welche Ressourcen genutzt werden können, um
Betroffenen zu helfen, diese positive Scheidungsbewältigung zu erreichen (vgl. Veevers, 1991, zit. in:
Kardas u. Langenmayr, 1996, 56).
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die individuelle Entwicklung Geschiedener in der
Nachscheidungsphase besser verläuft, wenn sie bereits vor der Trennung relativ wenig psychische
Probleme erlebten, wenn die Trennung mit relativ wenig Streß verbunden war, wenn Betroffene viel
Unterstützung von Freunden und Bekannten fanden oder bald wieder eine neue Partnerbeziehung
eingingen (vgl. Textor, 1991b, 75).
Wie bereits beschrieben erholen sich die Mehrzahl der Geschiedenen nach ca. zwei bis vier Jahren und
beginnen dann die positiven Seiten ihrer Situation zu erkennen und zu nutzen. Sie entdecken z.B. neue
Seiten ihrer Persönlichkeit, erleben eine große innere Weiterentwicklung, ein Gefühl von Freiheit und
Ungebundensein. Sie experimentieren mit neuen Lebensstilen, gehen z.B. neuen Freizeitaktivitäten
nach, verändern ihr äußeres Erscheinungbild, entwickeln eine neue Identität und neue Lebensziele und
haben zu einer neuen Zufriedenheit gefunden (vgl. Textor, 1991b, 74-75).
Gelingt den Geschiedenen die psychische Scheidung, d.h. das Loslassen des Partners und eine
angemessene Vergangenheits- und Scheidungsbewältigung, so kann sich eine konfliktarme, neutral
oder positiv distanzierte Beziehung zum Ex-Partner entwickeln, was für eine positive
Weiterentwicklung der Kinder nach der Scheidung von großer Bedeutung ist, wie in Kapitel 4 noch
59
deutlich werden wird (vgl. Textor, 1991b, 75). Dazu schreiben Menne et al.: „Nur wer sich nach der
Scheidung als Person wieder intakt fühlt, kann als Vater und Mutter intakt sein“ (vgl. Menne et al.,
1997, 20).
Nach einer Scheidung kann es zu ganz unterschiedlichen Beziehungsmustern zwischen den ehemaligen
Ehepartnern kommen, was unter anderem auch mit der Art der Scheidungsbewältigung der
Geschiedenen zusammenhängt. Diese Beziehungsmuster haben dann Auswirkungen darauf, wie sich
die Beziehungen zwischen den Kindern und ihren Elternteilen nach der Scheidung ihrer Eltern
gestalten werden, ob und wie sich die von Ahrons benannte Zweikernfamilie (nach ihrer Meinung geht
nach einer Scheidung eine Kernfamilie, bei der Vater, Mutter und Kinder in einem Haushalt leben, in
eine Zweikernfamilie über, d.h. Kinder leben in einer Familie mit einem getrennten Mutter- und VaterHaushalt, vgl. Ahrons, 1997, 11) reorganisieren wird, worauf ich in Punkt 4.3 näher eingehen werde.
Ich werde nun zuerst die verschiedenen Beziehungsformen zwischen geschiedenen Ehepartner
beschreiben und dann die unterschiedlichen Eltern-Kind-Beziehungen nach einer Scheidung
darstellen.
Die nun folgenden Beziehungsmuster zwischen Geschiedenen stellen keine statischen Kategorien dar,
sondern die Beziehungsmodelle sind dynamisch, d.h. Betroffene können von einem Muster in ein
anderes wechseln. Oft verändern sich im Laufe der Zeit nach der Scheidung die Beziehungen der ExPartner zueinander. In vielen Fällen nimmt der Kontakt mit den Jahren ab (vgl. Napp-Peters, 1995,
27).
3.3.2 Beziehungsmuster zwischen Geschiedenen33
Noch immer gibt es die gesellschaftliche Vorstellung, daß geschiedene Paare sich feindselig begegnen
müssen, daß sich alle Beziehungen des Paares mit der Scheidung auflösen, daß sich gemeinsame
Freunde für den einen und gegen den anderen entscheiden. Man nimmt an, daß sich die Partner
entweder hassen oder überhaupt keine Beziehung mehr zueinander haben. Allerdings gibt es zwischen
den Möglichkeiten erbitterte Gegner oder Entzweite zu sein noch weitere Alternativen. Es ist wichtig,
daß Geschiedene solche verschiedene Möglichkeiten im Umgang miteinander kennenlernen, damit sie
ihnen Anregungen für einen konstruktiven Umgang miteinander geben können.
33
Folgende Ausführungen beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf Textor, 1991b, 82 und
Ahrons, 1997, 94-107. Ahrons führte in den 80er Jahren eine Längsschnittuntersuchung an 98
Scheidungsfamilien im Mittleren Westen Amerikas durch, um familiale Beziehungen und
Beziehungen zwischen den Ex-Partnern nach einer Scheidung zu untersuchen. Die Betroffenen
wurden ein, drei und fünf Jahre nach der Scheidung interviewt.
60
In unserer Gesellschaft existieren hinsichtlich der Scheidungen nämlich noch keine vorgegebenen
Modelle, wie ehemalige Partner miteinander umgehen können. Viele Geschiedene sind in diesem
Punkt auf sich allein gestellt und erfahren darin kaum gesellschaftliche Unterstützung, was eine
Scheidungsbewältigung erschweren kann (vgl. Oberndorfer, 1991, 10).
Ahrons unterscheidet fünf verschiedene Beziehungsmuster:
1. Gute Freunde:
Die früheren Ehepartner sind Freunde geworden. Sie haben weiterhin Interesse am Leben des
anderen und helfen sich gegenseitig, wie Freunde dies tun. In manchen Fällen verkehren sie nach
wie vor mit den gleichen Freunden. Sie halten Kontakt zur Familie und bleiben im
verwandtschaftlichen Umfeld des anderen integriert. Sie zeigen viel gemeinsame Interaktion und
Kommunikation. Außerdem herrscht gegenseitiges Vertrauen zwischen ihnen. Ihre Scheidung ist
ohne große Feindseligkeit und Aggression verlaufen.
Diese Paare übernehmen nach der Scheidung weiterhin gemeinsame Verantwortung für ihre Kinder
und ihre Erziehung und kümmern sich beide viel um sie. Oft unternehmen solche geschiedenen
Paare mit ihren Kindern als Zweikernfamilie gemeinsame Freizeitbeschäftigungen.
Allerdings gelingt dies nur einer sehr kleinen Gruppe von Geschiedenen. In der Studie von Ahrons
gelang dies 12% der Paare. Auch muß man anmerken, daß dieses Beziehungsmuster am ehesten in
einem frühen Stadium nach der Scheidung gelebt wird, bevor sich die Lebenswelten der beiden
unterschiedlich entwickeln, was mit der Zeit der Fall ist, z.B. wenn neue Partner ins Spiel kommen.
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang nämlich, daß in der Studie von Ahrons die Partner,
die auch fünf Jahre nach der Scheidung noch gute Freunde waren, keine festen neuen Beziehungen
hatten. „Offensichtlich ist es schwierig, wenn nicht gar schädlich für die neue Beziehung, wenn die
Exehepartner weiterhin mit der gleichen Häufigkeit, Intensität und Intimität Umgang miteinander
pflegen“ (vgl. Ahrons, 1997, 99).
2. Kooperative Partner:
Die größte Gruppe in der Untersuchung von Ahrons bildeten die kooperativen Partner (38%).
Diese Partner sehen sich nicht mehr als Vertraute, als gute Freunde, aber in Fragen der
Kindererziehung und in der elterlichen Verantwortung kooperieren sie. Sie zeigen im Vergleich zu
der Gruppe der guten Freunde, nur eine gemäßigte Interaktion, aber ebenfalls eine hohe
Kommunikation. Die gemeinsamen Gespräche beschränken sich allerdings auf kinderbezogene
Absprachen oder auf unpersönliche Themen und engere Kontakte zwischen den Ex-Partner gibt es
kaum. Konfliktträchtige Themen versuchen diese Partner zu bewältigen, ohne ihre Kinder mit
hineinzuziehen. Sie versuchen auch, sich nicht zu konflikthaften Streitereien hinreißen zu lassen,
sondern sie versuchen ihre Streitfragen zu klären oder sie vermeiden diese ganz. Gemeinsame
Aktivitäten der Ex-Partner und den gemeinsamen Kindern sind eher selten und beschränken sich
auf besondere Gelegenheiten, wie Kindergeburtstage, Schulveranstaltungen etc. Aktivitäten finden
eher getrennt mit den Kindern statt. Die Kinder haben auf jeden Fall regelmäßigen Kontakt zu dem
abwesenden Elternteil.
„Ein gemeinsamer Nenner für die kooperativen Partner war die Fähigkeit, ihre Beziehung in
61
bestimmte Bereiche aufzuteilen: Sie trennten die Bereiche, die mit der ehelichen Beziehung zu tun
hatten, von denen, die mit ihrere elterlichen Beziehung zusammenhingen. Ihr Wunsch, das Beste
für ihre Kinder zu tun, hatte Vorrang vor ihren persönlichen Problemen. Anders als die guten
Freunde gaben die meisten kooperativen Partner an, daß sie kaum oder gar keinen Kontakt mit
dem Exehepartner hätten, wenn die Kinder nicht wären“(vgl. Ahrons, 1997, 102).
In der Studie von Ahrons waren nach fünf Jahren nach der Scheidung noch immer 75% der
kooperativen Partner solche geblieben, auch wenn sie mittlerweile wieder verheiratet oder feste
Beziehungen eingegangen waren.
3. Erzürnte Partner:
Sie machten etwa 25% der untersuchten Paare aus. Sie zeigen im Vergleich zu den beiden
vorherigen Gruppen eine gemäßigte Interaktion und nur eine schwache Kommunikation. Diese
Partner geraten fast bei jedem Gespräch in Wut und Zorn. Sie reden in der Regel nur dann
miteinander, wenn etwas hinsichtlich der Kinder entschieden oder geplant werden muß, vor allem,
wenn es sich um wichtige Entscheidungen handelt. Diese Partner schaffen es in der Regel nicht,
ihren Zorn und ihre Wut auf bestimmte Streitpunkte zu beschränken, sondern sie verstricken sich
häufig in feindselige Streitereien. Allerdings hielt der abwesende Elternteil weiterhin Kontakt zu
den Kindern. Die Kinder erleben dadurch, daß ihre Eltern sich oft mit negativen Gefühlen
begegnen und sich feindselig streiten, häufig Loyalitätskonflikte. In der Untersuchung von Ahrons
äußerten die Mütter und Väter die erzürnte Partner geworden waren, daß sie mit dieser Situation
unzufrieden waren. Vielleicht hätten sie es mit professioneller Unterstützung geschafft, zu einem
befriedigenderen Umgang miteinander zu finden.
4. Erbitterte Gegner:
Zu dieser Gruppe gehörten 25% der Befragten der Studie von Ahrons. Partner dieser Gruppe
zeigen schwache Interaktion und schwache Kommunikation. Die geschiedenen Partner bleiben
miteinander verfeindet. Ihren Ärger, ihre Wut und Enttäuschung zeigen sie in zahlreichen
Konflikten, Machtkämpfen, dem häufigen Einschalten von Rechtsanwälten und Gerichten, da sie
meist nicht in der Lage sind, ihre Angelegenheiten, ihre Meinungsverschiedenheiten selbst zu
klären. Absprachen hinsichtlich der Kinder können sie nicht treffen, ohne sich zu streiten. Kinder
werden meist zu Bündnispartnern gemacht und Besuchskontakte werden versucht zu unterbinden.
Kinder sind in dieser Situation oft gezwungen, sich für einen Elternteil zu entscheiden und somit
den anderen zu verlieren.
Die erbitterten Gegner sind außerstande, sich an die guten Zeiten ihrer Ehe zu erinnern und geben
oft dem Partner alle Schuld am Scheitern der Ehe. Solche Partner haben die psychische Scheidung
noch nicht bewältigt.
Über die Jahre gehen die Kontakte zu dem abwesenden Elternteil häufig gravierend zurück und
viele Partner haben keinen Kontakt mehr zueinander.
Allerdings schaffte es ein kleiner Teil (weniger als ein Drittel dieser Gruppe) in der Studie von
Ahrons nach drei bis fünf Jahren nach der Scheidung, sich zu kooperativen Partnern zu entwickeln,
oft dann, wenn beide wieder neue zufriedene Partnerschaften gefunden hatten.
62
5. Entzweite:
In der Untersuchung von Ahrons kam diese Gruppe nicht vor, da hier nur Geschiedene teilnehmen
durften,
die
noch
irgendwie
Kontakt
zueinander
haben
mußten.
Zu dieser Gruppe gehören ehemalige Partner, die keinen Kontakt mehr miteinander haben. Der
abwesende Elternteil kümmert sich nicht oder nur sehr selten um die gemeinsamen Kinder.
Familien, die nach der Scheidung zu dieser Gruppe gehören, stellen keine Zweikernfamilie dar,
sondern sind zu Familien geworden mit einem alleinerziehenden Elternteil. Der ehemalige
Ehepartner ist nur noch in der Phantasie und Erinnerung gegenwärtig.
Nach den Studien von Ahrons gelingt es der Hälfte der geschiedenen Ehepartner nach der Scheidung
eine konstruktive Beziehung aufzubauen, d.h. in Bezug auf die Kinder sind sie fähig
zusammenzuarbeiten (vgl. Ahrons, 1997, 31).
Wie kann sich nun die Eltern-Kind-Beziehung in der Nachscheidungsphase gestalten?
3.3.3 Eltern-Kind-Beziehungen in der Nachscheidungsphase
Wie schon beschrieben leben die Mehrheit der Kinder nach der Scheidung bei ihren Müttern, die das
alleinige Sorgerecht haben (vgl. Punkt 3.2.2.1). Das Erziehungs-verhalten einiger Mütter und die
Beziehungen zwischen Müttern und Kindern verbessern sich, laut verschiedener Studien, in einigen
Familien mit der Zeit nach der Scheidung wieder. Einige Mütter werden wieder verständnisvoller,
gehen verantwortungsbewußter mit ihren Kindern um, d.h. sehen wieder mehr deren Bedürfnisse, was
in der Trennungszeit und in der ersten Zeit nach der Trennung durch die eigene Belastung weniger
möglich war (vgl. Textor, 1991b, 83-84). Nach einer Befragung von Napp-Peters (1987, 124)
berichteten ein Drittel der alleinerziehenden Mütter über eine Verbesserung des Kontaktes zu ihren
Kindern, der vor der Scheidung durch eheliche Auseiandersetzungen belastet war.
Allerdings dauert in vielen Scheidungsfamilien der Zustand an, daß Elternteile nur wenig Zeit für ihre
Kinder haben, daß diese vernachlässigt werden und für sich selbst sorgen müssen. Der
sorgeberechtigte Elternteil ist oft dadurch überlastet, daß er die bisher mit seinem Ehepartner geteilten
Aufgaben alleine bewältigen muß. Häufig muß er versuchen, seine Berufstätigkeit, die viele nach einer
Scheidung beginnen, die Haushaltsführung und die Kinderbetreuung miteinander zu vereinbaren.
Außerdem möchten auch viele noch Zeit haben, sich einen neuen Partner zu suchen. Durch diese
Mehrfachbelastungen kommen viele Kinder mit ihren Bedürfnissen zu kurz. Ältere Kinder müssen
z.B. in vielen Fällen die fehlende Elternrolle einnehmen (sie werden parentifiziert) und sich vermehrt
um den Haushalt und jüngere Geschwister kümmern. Andere Kinder werden als Partnerersatz oder
63
Verbündete mißbraucht, wie schon erwähnt wurde (vgl. Textor, 1991, 84). Alle diese Rollen hindern
Kinder daran, ihre eigene Entwicklung, ihre Lösung vom Elternhaus zu praktizieren, da sie verstärt
von ihrem Elternteil gebraucht werden.
Wie sieht nun die Beziehung der Kinder zum nichtsorgeberechtigten, bzw. zum getrenntlebenden
Elternteil aus?
Ob und wie der Kontakt zu dem nichtsorgeberechtigten Elternteil gestaltet wird, hängt in der Regel
davon ab, welche Beziehung die geschiedenen Eltern zueinander gefunden haben.
Viele Studien zeigen, daß sich ein bestimmtes Muster hinsichtlich des Kontaktes des
nichtsorgeberechtigten Elternteils, in der Mehrheit der Fälle der Vater, zu seinen Kindern abzeichnet.
Sind kurz nach der Scheidung noch viele Väter gewillt, regelmäßig ihre Kinder zu sehen, so nimmt
dieser anfangs noch mehr oder weniger regelmäßige Kontakt mit der Zeit drastisch ab (vgl.
Furstenberg u. Cherlin, 1993, 60 u. 62). Nach einer schon in Punkt 2.3.1 erwähnten Studie von NappPeters (1988, 43-44) gibt es nur in 17% der Scheidungsfamilien ein festes Besuchsschema für den
nichtsorgeberechtigten Elternteil (in der Regel ein Besuchstag in der Woche oder alle 14 Tage ein
Wochenende), 38% haben keine feste Regelungen getroffen, was in vielen Fällen dazu beigetragen
hat, daß die Besuchstendenz zurückgegangen ist und in 45% der Familien ist der Kontakt zwischen
den Kindern und dem nichtsorgeberechtigten Elternteil abgebrochen.
Woran kann es liegen, daß so viele Elternteile sich von ihren Kindern distanzieren?
Bisher liegen noch keine befriedigenden Erklärungen vor, warum sich die meisten Männer mit der Zeit
aus ihren väterlichen Verpflichtungen zurückziehen (vgl. Furstenberg u. Cherlin, 1993, 65). Ich
möchte lediglich auf mögliche Zusammenhänge hinweisen, die dieses Verhalten mitbedingen können.
Napp-Peters
beschreibt
in
ihrer
Studie
folgende
Gründe
für
den Kontaktabbruch des
nichtsorgeberechtigten Elternteils (vgl. Napp-Peters, 1988, 36-37 u. 44-45):
Manche geschiedenen Ehepartner leiden so sehr unter der Scheidung, daß dieser Schmerz sie daran
hindert, ihre elterlichen Pflichten auszuüben. Um dem Schmerz aus dem Weg zu gehen, vermeiden es
viele, den Kontakt zur Familie zu halten. Dieses Verhalten wird auch oft durch den sorgeberechtigten
Elternteil, manchmal auch von Rechtsanwälten unterstützt, indem geraten wird, zuerst einmal von
Besuchskontakten abzusehen, damit sich das Kind auf die neue Situation der Trennung einstellen und
ihre Realität akzeptieren kann.
Einige Eltern in dieser Studie bedauerten es z.B., daß sie in ihrer Situation niemanden hatten, der
ihnen erklärt hat, warum ein Kontakt der Kinder zu beiden Eltern nach der Scheidung so wichtig ist,
und daß ihre mangelnde Bereitschaft, mit dem geschiedenen Partner auch nach der Scheidung Kontakt
zu halten, von vielen Bekannten und Freunden verstanden und von Anwälten, Lehrern und Ärzten
unterstützt wurde. „Viele dieser Ratgeber waren der Meinung, daß die vollkommene Trennung auch
für Kinder das beste wäre, eine „klare Lösung““ (Napp-Peters, 1988, 50).
Ein anderer Grund, warum der Kontakt zu dem nichtsorgeberechtigten Elternteil abgebrochen wird, ist
das Bestreben der sorgeberechtigten Elternteile nach der Scheidung mit den Kindern eine neue
Kernfamilie aufzubauen. Durch Besuchserschwernisse wird der getrennt lebende Elternteil auf Distanz
gehalten. Er hat dadurch keinen Anteil mehr am Alltagsleben seiner Kinder, was ihn zu einem
entfernten Verwandten werden läßt.
64
Außerdem gibt es auch sorgeberechtigte Elternteile, die nachwievor durch die Scheidung noch stark
verletzt und wütend auf ihren Ex-Ehemann sind, d.h. die die psychische Scheidung noch nicht
vollzogen haben, und sich durch das Erschweren der Besuchskontakte am anderen rächen, ihn
bekämpfen und verletzen wollen.
Des weiteren kann auch sein, daß Besuchskontakte mit der Zeit abbrechen, weil viele
nichtsorgeberechtigte Elternteile die Besuchskontakte als sehr unbefriedigend erleben. Für viele Väter
sind z.B. die Besuchstage sehr anstrengend, da sie es nicht gewohnt sind, rund um die Uhr für die
Kinder zu sorgen. Ferner erleben die nicht-sorgeberechtigten Eltern die Kinder oft nur am
Wochenende, wenn diese sie in ihrem eigenen Haushalt besuchen. Dort fehlt aber meist das gewohnte
Spielzeug der Kinder, die vertraute Nachbarschaft und die Freunde des Kindes. Viele Elternteile
erleben diese Besuche als besondere Situationen und nicht mehr als ein Stück Alltag mit den Kindern.
Oft unternehmen sie in dieser Zeit auch nur besondere Dinge, wie Kinobesuch, Essen gehen, Ausflüge
machen etc. anstatt väterliche und mehr alltägliche Dinge zu erledigen, wie z.B. Hilfe bei den
Hausaufgaben. Viele Elternteile erleben sich deshalb nicht mehr als „richtige“ Eltern. Dieses Gefühl
wird auch noch dadurch verstärkt, wenn der sorgeberechtigte Elternteil, den Nichtsorgeberechtigten
nicht mehr am Alltagsgeschehen der Kinder und an den Entscheidungen, die die Kinder betreffen,
beteiligt, sondern die gemeinsamen Gespräche und Absprachen ganz einstellt (vgl. Furstenberg u.
Cherlin, 1993, 59-66).
Kontakte zu den Kinder gehen oft auch dann zurück, wenn die nicht sorgeberechtigten Väter oder die
sorgeberechtigten Mütter wieder heiraten. Im ersten Fall nehmen die Kontakte zu den eigenen
Kindern, mit denen der Elternteil nicht zusammenlebt, ab, da dieser durch eine Heirat und durch
möglicherweise hinzugekommene Stiefkinder neue familiäre Verpflichtungen eingeht. Im zweiten Fall
fühlen sich die nichtsorgeberechtigten Väter oft zurückgestoßen und unerwünscht, oder sie sehen sich
durch die neue Heirat ihrer Ex-Frau von der Verantwortung ihrer Kinder befreit (vgl. ebd., 64-65).
Auch die durch einen Umzug bedingte räumliche Entfernung zwischen dem nichtsorgeberechtigten
Elternteil und der Familie kann zu einem Nachlassen des Besuchskontaktes führen (vgl. ebd., 65).
Furstenberg und Cherlin vermuten außerdem, daß wohl manche Männer Elternschaft und Ehe
aneinander gekoppelt sehen und demnach aufhören Vater zu sein, wenn die Ehe zerbricht (vgl. ebd.,
65).
Wie sieht nun aber in den Fällen, wo nach der Scheidung noch Kontakt beider Eltern zu den Kindern
besteht, der Kontakt aus?
Je nach dem, welche Beziehung die Ex-Ehepartner zueinander haben, wie schon beschrieben, so
gestaltet sich auch die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern. Im Falle, daß die Eltern gute Freunde
oder kooperative Partner bleiben, kann es nach der Scheidung in Bezug zu den Kindern zu einer
kooperativen ko-elterlichen Interaktion kommen.
Kooperative ko-elterliche Interaktion:
Darunter versteht man, daß Eltern sich auch nach der Scheidung elterliche Aufgaben teilen, daß beide
am Leben der Kinder weiterhin aktiv teilnehmen können. Nach der schon mehrmals erwähnten Studie
von Napp-Peters (1988, 45) schafften es allerdings nur 27% der Eltern diese Form der Elternschaft
auch nach der Scheidung zu leben. Diese Eltern versuchen z.B. ihre Wohnsitze nah beieinander zu
65
wählen, so daß die Kinder beide Haushalte leicht erreichen können. In beiden Wohnungen hat das
Kind seinen eigenen Raum und seine Spielsachen. In manchen Fällen kann das Kind selbst
entscheiden, wann es sich wo aufhalten will, in anderen Fällen gibt es eine feste Regelung.
Entscheidentes Merkmal dieser elterlichen Kooperation ist, daß die Eltern alle Dinge, die das Kind
betreffen, persönlich und gemeinsam besprechen. Diese Tatsache kann z.B. verhindern, daß der
getrenntlebende Elternteil sich allmählich von den Kindern entfremdet, da er keine alltäglichen
Belange der Kinder mehr erfährt, sondern nur noch alle vierzehn Tage die Kinder bei ihrem Besuch
bei ihm erlebt, sich deshalb nicht mehr als richtiger Vater fühlt, wie bereits beschrieben, und mit der
Zeit den Kontakt ganz abbricht. Eltern, die nach der Scheidung diesen kooperativen Umgang wählen,
schaffen es in der Regel auch, daß verschiedene Anlässe mit der ganzen Familie erlebt werden, wie
z.B. Geburtstage, Schulveranstaltungen etc.
Diese ko-elterliche Interaktion wirkt sich positiv auf die Qualität der Beziehung des Kindes zum
getrenntlebenden Elternteil aus. Während 63% der Kinder, deren Eltern diese Form der nachehelichen
Elternschaft durchführten, eine herzliche und enge Beziehung zu ihrem getrenntlebenden Elternteil
haben, haben dies nur 38% der Kinder, deren Eltern sich aus dem Weg gehen und nur 5% der Kinder,
deren Eltern entzweit sind, d.h. keinen Kontakt mehr zueinander haben (vgl. Napp-Peters, 1988, 4647).
Die ko-elterliche Kooperation erspart den Kindern auch die für sie oft unerträglichen
Loyalitätskonflikte, da sie zu beiden Eltern Kontakt halten dürfen, ohne daß ein Elternteil sich dadurch
gekränkt fühlt. Sie können weiterhin beide lieben und müssen sich nicht für einen entscheiden (vgl.
Oelkers u. Kasten, 1993, 19).
Verschiedene Autoren, z.B. Furstenberg und Cherlin (1993, 72), Figdor (1998, 213) sind der
Meinung, daß durch die Einführung der gemeinsamen Sorge nach der Scheidung als Regelfall, wie sie
ab Juli diesen Jahres gilt, diese elterliche Kooperation bei noch mehr Eltern ins Bewußtsein gerückt
werden kann und sich deshalb die Zahl der Eltern vermutlich erhöhen könnte, die versuchen zum Wohl
des Kindes auch nach der Scheidung zusammenzuarbeiten. Der Regelfall der gemeinsamen Sorge
weist nämlich Eltern darauf hin, daß sie auch nach einer Scheidung beide für ihre Kinder
verantwortlich bleiben.
Eine Untersuchung von Balloff und Walter (1990, 445-454; 1991, 81-95) zeigt z.B., daß Kinder, deren
Eltern auch nach der Scheidung die gemeinsame Sorge behielten, mehr Kontakt zu ihren
getrenntlebenden Elternteilen pflegten, als diese, deren Eltern die alleinige Sorge hatten. Außerdem
gab es zwischen den Kindern und dem getrenntlebenden Elternteil, der Teilhaber der gemeinsamen
elterlichen Sorge war, nach zwei bis drei Jahren nach der Scheidung keinen Kontaktabbruch, während
es bei 41,5% der Fälle, bei denen Elternteile die alleinige Sorge hatten, einen Kontaktabbruch zum
nichtsorgeberechtigten Elternteil gab. Die gemeinsame elterliche Sorge kann nach diesen Ergebnissen
also auch die Möglichkeit, daß Kinder nach der Scheidung zu beiden Eltern Kontakt behalten,
erhöhen.
Allerdings möchte ich daraufhinweisen, daß die gemeinsame elterliche Sorge allein noch nicht
garantiert, daß Kinder nach der Scheidung günstige Eltern-Kind-Beziehungen erleben werden, da dies
vor allem von der Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern abhängt. Die gemeinsame Sorge
66
ist lediglich ein Rechtsinstrument, das diese Kooperation vermutlich fördern und unterstützen, aber
nicht von vornherein garantieren kann (vgl. Figdor, 1998, 195). Nach der Meinung von Figdor sind
Beratungsangebote wichtig, die den Eltern helfen, diese gemeinsame Sorge zu praktizieren (vgl. ebd.,
234). Sie müssen Hilfestellungen bekommen, wie die Beziehungen nach der Scheidung gelebt werden
können, welche Bedingungen für die Kinder günstig sind, wie z.B. das Heraushalten der Paarkonflikte
aus den Beziehungen zu den Kindern. Außerdem müssen die geschiedenen Eltern regeln, wo die
Kinder leben sollen, wer sich wann und wie um sie kümmern soll. Es gibt drei verschiedene Modelle,
wie diese Beziehungen gelebt werden können, die ich kurz nennen möchte (vgl. Balloff u. Walter,
1991,83; Oelkers u. Kasten, 1993, 20-21):
Das Residenzmodell:
Kinder haben bei einem Elternteil ihren Lebensmittelpunkt, leben hier die meiste Zeit und haben zum
anderen Elternteil kontinuierlichen Besuchskontakt.
Das Pendelmodell:
Kinder pendeln zwischen dem Haushalt der Mutter und des Vaters annähernd zeitgleich hin und her.
Das Nestmodell:
Die Kinder leben an einem Wohnort und die Eltern ziehen wechselweise in diese Wohnung ein.
Die günstigste Form für die Kinder stellt in der Regel das Residenzmodell dar. Häufige
Wohnortwechsel, die bei dem Pendelmodell notwendig wären, können, nach Untersuchungen von
Wallerstein und Blakeslee (1989, 303-323), für einen Teil der Kinder nämlich eine große
Überforderung darstellen. Sie erleben vielfach ein Hin und Her zwischen manchmal ganz
unterschiedlich organisierten Haushalten, in denen es unterschiedliche Regeln gibt. Kinder brauchen
oft mehrere Stunden, um sich wieder auf die jeweilige Situation einzustellen und sind ängstlich und
verunsichert. Nach der Meinung von Figdor brauchen Kinder das Gefühl, an einem Ort zu Hause zu
sein (vgl. Figdor, 1998, 218). Für Kinder, besonders ab dem Schulalter, haben auch das soziale
Umfeld, die Freunde und Nachbarn für Kinder eine große Bedeutung. Ein ständiger Wohnortwechsel
würde aber diese kontinuierlichen Kontakte verhindern, was von den Kindern selbst als negativ
bewertet wurde (vgl. Abarbanel, 1979; Steinmann, 1981, in: Balloff u. Walter, 1991, 84).
Nach der bereits oben erwähnten Untersuchung von Balloff und Walter lebten etwa 2/3 der Kinder
nach diesem Residenzmodell, während nur ca. 1/4 der Kinder nach dem Pendelmodell lebten. Das
Nestmodell wird nach Angaben von Limbach, 1989, in: Balloff u. Walter, 1991, 83) in Deutschland
nicht praktiziert (vgl. Balloff u. Walter, 1991, 88).
Zu dem Sachverhalt der gemeinsamen elterlichen Sorge nach der Scheidung gibt es kontroverse
Diskussionen, die ich im Rahmen meiner Arbeit nicht ausführlicher behandeln kann. Ich verweise
lediglich auf folgende Literatur: Balloff u. Walter, 1990; 1991; 1992; Stein-Hilbers, 1992; Figdor,
1998, 209-233; Jopt, 1992.
Festzuhalten gilt, daß die gemeinsame Sorge wohl dazu beiträgt, daß der Kontakt zum
getrenntlebenden Elternteil eher erhalten bleibt, als bei der alleinigen Sorge. Diese Tatsache spricht
vor allem für die gemeinsame Sorge, da sie dadurch das völlige Verschwinden des Vaters, was für
67
Kinder mit sehr großen psychischen Belastungen verbunden wäre, wie bisher schon deutlich wurde,
verhindern kann.
Wie sich allerdings die Sorgerechtsform auf die psychische Befindlichkeit der Kinder, auf ihre
Beziehungen zu den Eltern, auf die Beziehungen zwischen den Eltern auswirkt muß noch genauer
untersucht werden. Hier liegt noch ein großer Bedarf an empirischer Forschung (vgl. Figdor, 1998,
213-215).
Weiterhin kann durch die gemeinsame elterliche Sorge vermutlich verhindert werden, daß der
getrenntlebende Elternteil sich zurückgesetzt und aus der Familie ausgeschlossen fühlt, weil er kaum
mehr Einfluß auf die Kinder haben kann, und möglicherweise in einen verbitterten Kampf gegenüber
seinem Ex-Ehepartner gerät, um sich ein wenig Mitspracherecht zu erobern oder sich völlig von der
Familie distanziert. Praktizieren Eltern das gemeinsame Sorgerecht, so sind sie im Hinblick auf
wichtige Entscheidungen gleichberechtigt (siehe Punkt 3.2.2) (vgl. Figdor, 1998, 212).
Allerdings muß noch erwähnt werden, daß das gemeinsame Sorgerecht eine große Anforderung an die
geschiedenen Eltern stellt. Soll eine gemeinsame Sorge gelingen, so müssen sie viele Absprachen
treffen, viel gemeinsam verhandeln und trotz ihrer Trennung den Kindern zuliebe kooperieren. Sie
müssen es schaffen, ihre möglicherweise noch konflikthafte Paarbeziehung von ihrer elterlichen
Verantwortung zu trennen. Hier ist zu fragen, ob es die Mehrheit der geschiedenen Paare schafft,
deren Bedürfnis es oft ist, sich endgültig von ihrem Partner zu trennen, wegen der Kinder weiterhin
zusammenzuarbeiten. Viele sind auch zu verletzt und zerstritten, daß keine Einigkeit hinsichtlich der
Elternverantwortung mehr besteht. Furstenberg und Cherlin bezweifeln, daß das kooperative Muster
zwischen Ehepartner jemals zum typischen Muster nach einer Ehescheidung wird. Sie sind der
Ansicht, daß Eltern, die als Ehepartner nicht miteinander auskommen, es nicht schaffen werden als
Geschiedene diese Differenzen beizulegen. Sie bezweifeln außerdem, daß Beratungsangebote Eltern
zu einer engen und kooperativen Zusammenarbeit dauerhaft befähigen können. Allerdings sehen sie,
daß die Beratungsstellen eine hohe soziale Funktion haben, in dem sie mit ihrem Angebot den
Gedanken verbreiten, daß Eltern, die geschieden sind, im Interesse ihrer Kinder zusammenarbeiten
können und sollen. Durch diese Erwartungshaltung an die Eltern, die realistischerweise als sehr
hochgegriffen bewertet werden muß, wird ihnen signalisiert, daß eine Kooperation wünschenswert und
möglich ist. Nach der Meinung von Furstenberg und Cherlin wird nur eine Minderheit die kooperative
Elternschaft leben und eine große Zahl wird vermutlich nur zu einer sogenannten parallelen
Elternschaft fähig sein, während vielleicht in der Mehrheit der Fälle die getrenntlebenden Elternteile
auf alle Verantwortung verzichten (vgl. Furstenberg u. Cherlin, 1993, 36-37; 72-75).
Parallele Elternschaft:
Mit paralleler Elternschaft meinen Furstenberg und Cherlin, daß Vater und Mutter separate und
festumrissene Beziehungen zu den Kindern unterhalten und sich jeweils nicht in die Angelegenheiten
des anderen einmischen und nicht mehr miteinander Absprachen treffen. Die Ex-Ehepartner haben in
diesen Fällen keinen oder nur noch sehr minimalen Kontakt zueinander. In den Augen vieler Eltern ist
dies die beste Möglichkeit, nacheheliche Konflikte und Streit zu vermeiden. Für die Kinder hat diese
parallele Elternschaft allerdings den Nachteil, daß sie in den beiden Familien zwei völlig getrennte
Existenzen führen müssen. Sie dürfen z.B. in den verschiedenen Haushalten jeweils nicht
68
weitererzählen, was sie dort erlebt haben. Oft erleben sie in den zwei Haushalten auch völlig
unterschiedliche Regeln und Erwartungen. Klar ist allerdings noch nicht, ob diese Art der elterlichen
Verantwortung für das Kind schädlich ist oder ob sich das Kind besser entwickeln könnte, wenn die
Eltern engen Kontakt hätten, allerdings weiterhin sehr konfliktträchtigen. Hier ist nämlich darauf
aufmerksam zu machen, daß, wie in Punkt 4.2.3 erläutert werden wird, die ehelichen Konflikte wohl
das kindliche Befinden mehr beeinträchtigen als die Trennung der Eltern. Die parallele Elternschaft
kann auch, wie schon beschrieben, dazu führen, daß der getrenntlebende Elternteil mit der Zeit seinen
Kontakt abbricht, da er nicht mehr viel vom Alltag seiner Kinder mitbekommt und sich ausgeschlossen
fühlen kann (vgl. ebd., 66-70).
Nach der Meinung von Balloff wäre die parallele Elternschaft ein Modell für nachhaltig zerstrittene
Ex-Ehepartner, die beide Kontakte zu den Kinder halten können, ohne daß Absprachen und
Kooperation von ihnen verlangt werden muß (vgl. Balloff, 1997, 133).
3.3.4 Auswirkungen der Entwicklungsbedingungen in der Nachscheidungsphase
auf die psychische Entwicklung der Kinder34
Wie in den Ausführungen deutlich wurde, ist der Verlauf der Nachscheidungsphase unter anderem
abhängig davon, wie die Eltern die Scheidung verarbeiten und wie sie ihre nacheheliche Beziehung
hinsichtlich der Kinder gestalten.
Bleibt der Vater nach der Scheidung für das Kind nicht kontinuierlich verfügbar, d.h. so daß die
bestehende Beziehung gehalten werden kann, so fehlt dieser als Identifikationsmodell. Ein Kind
bezieht nämlich seine eigene Identität in der Identifikation mit beiden Eltern, die durch einen Verlust
des Vaters beeinträchtig werden kann. Während ein Kind beim Tod seines Vaters sich mit dem
verlorenen Vater, der oft vom Kind idealisiert wird, weiterhin identifizieren kann, ist diese
Identifikation bei einer Scheidung in manchen Fällen nicht oder nur sehr erschwert möglich. Dies
erklärt unter anderem auch warum Kinder den Tod eines Elternteils besser verarbeiten können, als eine
Trennung von einem Elternteil bei einer Scheidung. Bei einer Scheidung, bei der Eltern weiterhin sehr
zerstritten bleiben, sich gegenseitig ablehnen und dem Kind den Kontakt zum getrenntlebenden
Elternteil möglicherweise verbieten, stehen Kinder in der Gefahr, wenn sie sich weiterhin mit dem
geschiedenen Elternteil identifizieren wollen, von dem Elternteil, mit dem sie zusammenleben, als den
bösen Partner angesehen zu werden, von dem er sich getrennt hat. Die Kinder befürchten von daher,
auch von diesem Elternteil abgelehnt zu werden. Oft müssen sie sich Bemerkungen anhören, wie: „Du
bist wie deinVater oder wie deine Mutter“, was Kinder als Abwertung ihres Selbstwertgefühls erleben
können. Um sich vor dieser Ablehnung zu schützen, sind die Kinder oft gezwungen, einen Teil ihrer
auf den weggeschiedenen Elternteil gestützten Identität zu verleugnen. Ein Elternteilverlust durch
Scheidung bedeutet für Kinder auch eine große Ambivalenz, die im Falle eines Todes nicht vorhanden
ist. Bei einer Scheidung empfinden Kinder die Abwesenheit ihres Vaters häufig als narzißtische
34
Soweit nicht anders angegeben beziehen sich die Ausführungen auf Bauers, 1997, 52-60.
69
Kränkung, d.h. das Gefühl nicht mehr geliebt zu werden, nicht mehr liebenswert, sondern wertlos zu
sein, zu verspüren, da der Vater noch real existiert, aber sich nicht mehr um sie kümmert. Außerdem
quält sie oft die Sehnsucht nach Anerkennung und Zuneigung und die Hoffnung, den verlorenen Vater
wieder zu gewinnen.
Außerdem fehlt im Fall, daß der Vater nach der Scheidung sich ganz von der Familie zurückzieht, ein
Regulativ für die durch die Scheidung oft enger werdende Mutter-Kind-Beziehung. Die
kompensatorische und ausgleichende Wirkung des Vaters, die im Falle einer Trennung wegfallen
kann, habe ich bereits in Punkt 3.2.3.1 beschrieben. Ich möchte nur noch daraufhinweisen, daß die
Wut und Enttäuschung, die ein Kind bei einer Scheidung erleben kann, sich im Falle eines Rückzugs
des Vaters oft einseitig auf die Mutter richtet, während der verschwundene Vater eher idealisiert wird.
Die Beziehung zur Mutter kann dadurch sehr aggressiv gefärbt sein, was bei den Kindern wiederum
mit der Angst einhergehen kann, verlassen zu werden. Andererseits brauchen sie auch die Aggression,
um sich vor zu viel Abhänigkeit und Nähe zu schützen. Für viele Kinder wird dadurch die MutterKind-Beziehung nach der Scheidung ebenfalls problematisch.
Zusammenfassend, bezüglich der Auswirkungen der Entwicklungsbedingungen der verschiedenen
Phasen im Scheidungsprozeß auf die innerpsychische Entwicklung der Kinder, möchte ich nun
folgendes festhalten:
Im Laufe des Lebens muß jeder Mensch, um zu einer eigenen selbständigen Persönlichkeit zu werden,
sich immer mehr von seinen primären Bezugspersonen lösen.
Diese Ablösungsprozesse beziehen sich, kurz zusammengefaßt, auf folgende Entwicklungsphasen (vgl.
Mentzos, 1987, in: Bauers, 1997, 58-59):
 Der Säugling muß sich aus der Dualunion oder anders ausgedrückt aus der Mutter-Kind-Symbiose,
in der er sich als Einheit mit der Mutter erlebt, ablösen und erreicht allmählich die Differenzierung
von Subjekt und Objekt;
 in der Trennungs-und Individuationsphase muß das Kind sich aus der absoluten Abhängigkeit
lösen und eine autonome Entwicklung beginnen, d.h. Bindungen leben und gleichzeitig selbständig
bleiben zu können;
 in der ödipalen Phase lernt das Kind, im Umgang mit Vater und Mutter und in der Lösung des
Ödipuskonfliktes, wie in Punkt 3.1.3.3 näher beschrieben, reife Dreierbeziehungen zu leben und
die Grundlage für spätere reife Liebesbeziehungen zu bilden;
 in der Latenzzeit muß das Kind seine Interessen über den engen Familienkreis hinaus richten und
seine Abhängigkeit von den primären Bezugspersonen lockern, um mehr Selbständigkeit und
soziale Kompetenz in der Gruppe der Gleichaltrigen zu erwerben;
 in der Adoleszens muß der Jugendliche die Trennung von seinen kindlichen Bindungen an die
Eltern bewältigen, eine eigene Identität entwickeln und eine reife heterosexuelle Bindung an einen
Partner seiner Generation eingehen.
70
Bauers schreibt in Bezug zu Kindern, die den Scheidungsprozeß ihrer Eltern erleben und ebenfalls
diese Entwicklungsaufgaben zu lösen haben folgendes:
„Meines Erachtens kann ein Kind gerade diese auf allen Entwicklungsstufen in Variationen
wiederkehrenden intrapsychischen Trennungs- und Loslösungsschritte nicht bewältigen, wenn es bei
schwerer Ehekrise und Scheidung seiner Eltern einerseits übermäßig von einem oder beiden
Elternteilen zu deren Konfliktentlastung als Bündnispartner, Tröster oder Partnerersatz gebunden
wird, andererseits durch das Erleben von realer Trennung und der nachfolgenden Ängste, auch noch
den anderen Elternteil zu verlieren, sich in seiner emotionalen oder gar existentiellen Situation
bedroht fühlt“ (vgl. Bauers, 1997, 59).
Kinder, die schwere Ehekrisen ihrer Eltern und eine Scheidung erlebt haben, entwickeln oft eine große
Trennungsangst und ihre Fähigkeit, reife gefühlsmäßige Bindungen einzugehen und aufrechtzuerhalten
wird beeinträchtigt. Da Scheidungskinder sich auch oft verpflichtet fühlen, ihren Eltern in ihrer Krise
zu helfen, opfern sie außerdem ein großes Stück eigener Selbstentwicklung und bleiben intrapsychisch
stärker an sie gebunden. Vermehrt verhindert diese große familiäre Abhängigkeit die Entwicklung von
Sozialkontakten, woraus eine Vereinsamung des Kinder resultieren kann, was das Kind wiederum
verstärkt an seine Familie bindet. Auch in der Adoleszenz wird die notwendige Ablösung von den
Eltern verhindert, was den Aufbau einer von der Herkunftsfamilie abgegrenzten eigenen
Familieneinheit erschwert.
Allerdings möchte ich erneut darauf hinweisen, daß eine Scheidungserfahrung für Kinder nicht
automatisch und in jedem Fall zu langfristigen Beeinträchtigungen führen muß. Viele verschiedene
Faktoren beeinflussen die Art und Weise, wie Kinder die Scheidung verarbeiten können. In Punkt 4.2
werde ich auf verschiedene Bedingungsfaktoren eingehen, die dabei eine Rolle spielen, ob Kinder
langfristige Beeinträchtigungen entwickeln oder nicht. Die verschiedenen Faktoren können sich
außerdem gegenseitig beeinflussen und sich z.B. verstärken aber auch wieder aufheben.
Scheidungsreaktionen der Kinder dürfen nie monokausal, d.h. als Folge eines bestimmten Wirkfaktors,
gesehen werden, sondern müssen immer in einem multifaktoriellen Bedingungsgefüge betrachtet
werden. Nicht nur die Vorscheidungs- und Scheidungsphase und deren Entwicklungsbedingungen für
die Kinder beeinflussen die Art und Weise, wie Kinder auf die Scheidung reagieren, sondern auch wie
es nach der Scheidung für die Kinder weitergeht, wie sich dann ihre Familienform gestaltet, wie ihre
geschiedenen Eltern miteinander umgehen, wie ihre finanzielle und soziale Situation aussieht. In
Kapitel 4 werde ich auf diese Folgen der Scheidung eingehen und außerdem zeigen, zu welchen
möglichen
kindlichen Reaktionen es kommen kann, die allerdings immer im Kontext vieler
verschiedener Bedingungsfaktoren zu sehen sind (vgl. Bauers, 1997, 52; Figdor, 1991, 124).
Nachdem ich nun den Scheidungsprozeß mit seinen verschiedenen Phasen und den jeweils
spezifischen Veränderungen, Entwicklungen und Anforderungen für die Erwachsenen und die Kinder
beschrieben habe, möchte ich im nächsten Kapitel nochmals näher auf die Situation von
Scheidungskindern eingehen.
71
4. Folgen der Ehescheidung für Kinder
In diesem Kapitel werde ich zuerst mögliche Reaktionsweisen von Kindern auf das Scheidungserlebnis
schildern und mögliche Bedingungsfaktoren dieser Folgen erläutern. Danach zeige ich verschiedene
Familienformen auf, in denen Kinder nach einer Scheidung leben können und welche eher positive
oder negative Bewältigungsbedingungen darstellen.
4.1 Reaktionen der Kinder auf den Prozeß der Ehescheidung
Nachdem im dritten Kapitel deutlich wurde, welche Auswirkungen die Bedingungen in den einzelnen
Phasen im Scheidungsprozeß für die innerpsychische Entwicklung vor allem aus psychoanalytischer
Sicht für Kinder haben können, möchte ich nun mehr auf die Reaktionsweisen und Symptome
eingehen, die Kinder im Zuge einer Scheidung ihrer Eltern entwickeln können.
72
Einleitend dazu möchte ich zuerst einige Anmerkungen machen, wie diese Scheidungsfolgen zu
bewerten sind und welche Schwierigkeiten dabei auftreten.
Die Scheidungsforschung ist ein sehr junges Forschungsgebiet, das aus den USA stammt, wo diese
Forschung Ende der 60er Jahre begann und erst etwa 20 Jahre später in den deutschsprachigen
Ländern aufgegriffen wurde (vgl. Riehl-Emde, 1992, 415). Allerdings existieren im deutschsprachigen
Gebiet nach wie vor immer noch sehr wenige Untersuchungen, die sich mit Auswirkungen von
Trennung und Scheidung auf die Entwicklung des Kindes befassen (vgl. Fthenakis, 1995, 128). Trotz
hoher
Scheidungszahlen
muß
mit
Verwunderung
festgestellt
werden,
daß
die
deutsche
Scheidungsforschung noch immer als defizitär eingestuft werden muß und sich viele Erkenntnisse in
der deutschen Literatur auf vorwiegend US-amerikanische Untersuchungen und damit verbunden USamerikanische Rahmenbedingungen berufen, die nicht ohne weiteres auf deutsche Verhältnisse
übertragen werden können (vgl. Kardas u. Langenmayr, 1996, 68-69).
Außerdem sind die Ergebnisse, die im Bereich der Scheidungsauswirkungen für Kinder vorliegen, sehr
vielfältig und auch sehr widersprüchlich, wodurch sich eine Bewertung der Studien als sehr schwierig
erweist (vgl. Riehl-Emde, 1992, 416).
„Vielleicht gibt es kein Forschungsgebiet, das nicht zugleich so wichtig und noch dazu so verwirrend
ist, wie die Literatur zu Kindern und Scheidung“ (Kanoy u. Cunningham, 1984 zit. in: Kardas u.
Langenmayr, 1996, 70).
Außerdem muß im Bereich der Scheidungsforschung beachtet werden, daß sich die Ergebnisse in
Abhänigkeit von der Zeit, in der die Studien durchgeführt wurden, wandeln. Man kann z.B.
beobachten, daß die Ergebnisse der späteren Jahre geringere Effekte zeigen, als frühere Studien, was
darauf zurückgeführt wird, daß vermutlich die neueren Studien differenzierter, mit höherem
methodologischem Standard angelegt werden und diese zu geringeren negativen Auswirkungen
kommen. Außerdem spielt hierbei auch eine Rolle in welchem gesellschaftlichen Kontext eine Studie
durchgeführt wird, d.h. unter welchen zeitbedingten Norm- und Wertvorstellungen wissentschaftlich
gearbeitet und geforscht wird. Vermutlich wird nämlich auch die wissentschaftliche Urteilsbildung von
gesellschaftlichen Normen bestimmt (vgl. Riehl-Emde, 1992, 420-421; 429). So leuchtet ein, daß bis
zum Beginn der 80er Jahre die negativen Folgen im Vordergrund der Forschung standen, da die
Ehescheidung bis dahin vermehrt als Abweichung von der allgemeinen Lebensnorm gesehen wurde
und per se negativ bewertet wurde.
Die neuere Forschung, wie z.B. die bisher umfangreichste statistische Meta-Analyse von Amato und
Keith (1991a in: Riehl-Emde, 1992, 415-432), die Ergebnisse aus 92 Studien über Scheidungsfolgen
für Kinder statistisch analysiert haben, zeigt, daß die negativen Auswirkungen überschätzt wurden. Die
Meta-Analyse zeigt zwar, daß Scheidungskinder in vielen Bereichen schlechter abschneiden, als
Kinder in intakten Familien, aber der Unterschied relativ gering ist.
Außerdem weisen Amato und Keith ebenfalls darauf hin, daß es je nach Art der Studien zu
unterschiedlichen
Ergebnissen
kommen
kann.
Klinische
Studien
zeigen
gravierendere
Scheidungsfolgen als soziologische Studien. Das Klientel klinischer Studien stammt oft aus sehr
problembeladenen Familien, wo die Scheidung als ein zusätzlicher Belastungsfaktor noch
73
hinzukommt. Die Studien lassen sich deshalb nicht ohne weiteres auf alle Scheidungskinder übertragen
(vgl. ebd., 421).
In der heutigen Forschung werden die negativen Reaktionen der Kinder nicht mehr als direkte Folge
des Ereignisses der Ehescheidung der Eltern interpretiert; d.h. eine Scheidung wird nicht mehr per se
als negative Beeinträchtigung der Kinder, als Ursache für langfristige negative Auswirkungen gesehen.
Ob eine Ehescheidung langfristige Beeintächtigungen bei Kindern hervorruft hängt, wie schon
erwähnt, von vielen Faktoren ab (vgl. Fthenakis, 1995, 128-129).
Eine Scheidung bedeutet für Kinder zwar eine große Belastung, die bei allen Kindern kurzfistige
Symptome hervorruft, aber sie muß nicht zu einer Erfahrung mit langfristigen Beeinträchtigungen
werden. „... langfristig ist es nicht allein der Scheidungsverlauf, der darüber bestimmt, ob Kinder
später als Erwachsene zu Intimität, Nähe und stabilen Beziehungen fähig sind. Ausschlaggebend sind
vielmehr der Familienstil, der Umgang der Familienmitglieder untereinander, und hier vor allem die
Beziehungen und elterlichen Aktivitäten nach der Scheidung, die es jedem Partner erlauben,
verantwortlich am Leben seiner Kinder teilzunehmen“ (Napp-Peters, 1995, 12).
Auf diese Bedingungsfaktoren werde ich in Punkt 4.2 und 4.3 noch ausführlicher eingehen. Sie sollten
hier lediglich schon einmal erwähnt werden, um darauf aufmerksam zu machen, daß die
Scheidungsreaktionen, die in diesem Punkt beschrieben werden, nicht als Folge der Scheidung an sich
mißverstanden werden dürfen, sondern als mögliche Auswirkungen von vielen mit der Scheidung
verbundenen Bedingungen, die aber nicht bei allen Scheidungen gegeben sein müssen.
Fthenakis stellt fest, daß es der überwiegenden Mehrzahl der Kinder aus geschiedenen Familien
gelingt, das Scheidungsgeschehen ohne Beeinträchtigungen ihrer Entwicklung zu bewältigen, aber daß
etwa 1/3 der Kinder mittel- und langfristig einen problematischen Entwicklungsverlauf aufweisen (vgl.
Fthenakis, 1995, 129).
Napp-Peters (1992a, 16) konnte in ihrer Studie über 150 Scheidungsfamilien feststellen, daß die
meisten Reaktionen der Kinder nach der elterlichen Scheidung unmittelbare Reaktionen auf das
Erleben von gravierenden Veränderungen ihrer Lebensbedingungen sind, wie z.B. der Auszug eines
Elternteils aus der gemeinsamen Wohnung, der dadurch nicht mehr so präsent ist, wie früher.
Für jedes Kind ist eine Scheidung ein erschütterndes Erlebnis und es ist normal, daß Kinder darauf
reagieren (vgl. Figdor, 1991, 38). Bedenklich ist eher eine zu große Angepaßtheit und Unauffälligkeit
der Kinder, da der Grund hierfür möglicherweise ein Verdrängen der Gefühle und Probleme darstellen
kann, um z.B. die durch die Scheidung belastete Mutter nicht noch mehr zu fordern und sie zu
schützen. Mit dieser Verantwortung überfordern sich allerdings die Kinder und berauben sich einer
Kindheit, dem Freiraum nach unbeschwerten kindlichen Bedüfnissen (vgl. Jopt, 1997, 18).
In der Regel klingen die Reaktionen nach ein bis zwei Jahren ab, wenn sich das Kind auf die neue
Familiensituation eingestellt hat. Diese unmittelbaren Reaktionen sind zu unterscheiden von
andauernden Anpassungsschwierigkeiten, zu denen es unter Beeinflussung vieler verschiedener
Faktoren (vgl. Punkt 4.2) kommen kann (vgl. Napp-Peters, 1992a, 16).
Außerdem möchte ich auch noch darauf hinweisen, daß es weder das „Scheidungssyndrom“ noch das
„Scheidungskind“ gibt, sondern, daß die Kinder je nach Bedingungsfaktoren sehr individuell reagieren
(vgl. Lehmkuhl, 1988, 138).
74
Die Einführung zum Kapitel der Scheidungsfolgen für Kinder schließe ich mit folgenden Hinweisen
ab:
Die neuere Scheidungsforschung weist unmißverständlich darauf hin, daß „... die bis heute in
vorwissenschaftlichen Publikationen anzutreffende Behauptung, die Mehrheit der Scheidungskinder
sei bis ins Erwachsenenalter deutlich gestört, als unzutreffend zurückgewiesen werden (kann).
Langfristige Beeinträchtigungen scheinen im Mittel eher gering auszufallen und sind keineswegs
zwangsläufige Folge der elterlichen Scheidung“ (Klein-Allermann u. Schaller, 1992, 282).
Die Scheidung allein hat langfristig weder für die Partner noch die Kinder die negativen
Auswirkungen, die oft in der allgemeinen gesellschaftlichen Meinung herrschen. Die meisten
Probleme resultieren aus Begleiterscheinungen der Trennung, z.B. ungenügender finanzieller
Absicherung der Familie nach der Scheidung, anhaltender Konflikte zwischen den Partnern,
mangelndes Verständnis der Umwelt und fehlende soziale Unterstützung (vgl. ebd., 288).
Die nun folgenden Ausführungen der Scheidungsreaktionen der Kinder müssen immer mit dem eben
erläuterten Hintergrund betrachtet werden.
Ich werde die kindlichen Reaktionen untergliedern in:
-kindliche Emotionen auf die elterliche Scheidung;
-altersspezifische Reaktionen;
-geschlechtsspezifische Reaktionen;
-langfristige Folgen;
-positive Folgen.
Abschließend werde ich noch auf die intergenerative Transmissionshypothese hinsichtlich des
Scheidungsrisikos eingehen.
4.1.1 Kindliche Emotionen auf die elterliche Scheidung35
a) Trauer:
Viele Kinder reagieren auf die Trennung ihrer Eltern mit Trauer, was sie viel Kraft kostet, die dann
in anderen Lebensbereichen und bei der Erfüllung anstehender Entwicklungsaufgaben fehlt. Die
Trauer kann auch zur Depressivität führen, insbesondere, wenn die Eltern selbst auch depressiv
sind, wenn sich das Kind zurückgewiesen und verlassen fühlt oder wenn es die Wut, die es
aufgrund der Trennung gegenüber der Eltern empfinden kann, gegen sich selbst richtet, weil es die
Wut nicht zeigen darf.
b) Wut:
Viele Kinder erleben nach der Trennung ihrer Eltern Gefühle der Wut und des Zorns. Sie sind
ärgerlich, weil sie sich abgelehnt fühlen, da beide Elternteile mehr mit sich selbst beschäftigt sind
75
und die Kinder oft vernachlässigen. Die Eltern, die selbst durch die Trennung stark belastet sind,
übersehen in dieser Zeit oft die Bedürfnisse ihrer Kinder, während ihre eigenen mehr im
Vordergrund
stehen.
Außerdem verursacht die häufig von Kindern erlebte Ohnmacht, nichts gegen die Trennung
unternehmen zu können, Wut (vgl. Figdor, 1991, 34). Manche Kinder zeigen ihre Wut gegenüber
dem abwesenden Elternteil, der die Familie verlassen hat. Andere zeigen ihre Wut gegenüber dem
anwesenden Elternteil, der den anderen vertrieben hat oder wiederum andere richten ihre Wut auf
beide Eltern. Manche Kinder unterdrücken sie auch, oder die Wut zeigt sich indirekt z.B. in
zwanghaftem Verhalten, Depressionen, Alpträumen etc.
c) Schuldgefühle:
Nach Erfahrungen von Figdor (1998, 23-24) geben sich fast alle Kinder ein Stück Schuld an der
Scheidung ihrer Eltern. Je kleiner sie sind, desto häufiger fühlen sie sich schuldig. Dies hängt zum
Teil mit dem Entwicklungsstand der Kinder zusammen. Laut der kognitiven Entwicklungstheorie
von Piaget (vgl. Bourne u. Ekstrand, 1992, 322-329) haben Kinder bis etwa sieben Jahre eine
egozentrische Erlebnisweise, d.h. sie fühlen sich als Mittelpunkt der Welt und können sich im
Grunde genommen nicht vorstellen, daß irgend etwas ohne ihr Zutun geschieht. Sie sind außerdem
unfähig, Sachverhalte aus der Perspektive anderer zu betrachten. Diese kindliche Denkweise trägt
also dazu bei, daß sich Kinder für die Trennung ihrer Eltern verantwortlich fühlen.
Schuldgefühle können aber auch dadurch entstehen, daß Kinder in Familienkonflikten als
Vermittler auftreten und versuchen, ihre Eltern wieder zu versöhnen. Klappt dies nicht, dann
erleben Kinder die Trennung der Eltern als ein Scheitern ihrer Bemühungen (vgl. Figdor, 1998,
23). Oft bekommen Kinder aber auch mit, daß sich die Konflikte ihrer Eltern immer wieder um
Fragen der Erziehung drehen, daß die Eltern sich ihretwegen streiten. Kinder können deshalb
annehmen, daß sie der Grund für die Trennung seien, was schwere Schuldgefühle auslösen kann.
Schuldgefühle zählen zu den Emotionen, die Menschen nach der Meinung von Figdor besonders
schlecht aushalten und deshalb gerne unterdrücken und verdrängen. Ein Teil der Aggressionen, die
bei Scheidungskindern zu beobachten ist, muß daher nicht nur Folge von Wut sein, sondern kann
auch aus verdrängten Schuldgefühlen resultieren.
d) Niedriges Selbstwertgefühl:
Die Trennung der Eltern führt bei vielen Kindern zur Ausbildung niedriger Selbstwertgefühle. Sie
erklären sich das Weggehen eines Elternteils mit ihrer eigenen Wertlosigkeit, halten sich für nicht
liebenswert und entwickeln ein negatives Selbstbild. Dieses negative Selbstbild kann auch daraus
resultieren, daß sie die Ehe ihrer Eltern nicht retten konnten. Ein negatives Selbstbild kann sich
auch infolge besonderer Rollen, die ein Kind im Scheidungsprozeß einnehmen kann, entwickeln.
Wird das Kind z.B. zum Bündnispartner eines Elternteils so muß es sich oft illoyal gegenüber dem
anderen Elternteil verhalten, wofür es sich sehr schlecht fühlen und schämen kann. Nehmen Kinder
z.B. die Rolle des Ersatzpartners ein, so erleben sie vermutlich das Gefühl, diese Rolle nicht
35
Wenn nicht anders angegeben beziehen sich folgende Ausführungen auf Textor, 1991b, 49-52.
76
befriedigend ausfüllen zu können, was negative Auswirkungen auf ihr Selbstwertgefühl haben
kann.
e) Angst:
Viele Kinder haben nach der Trennung von einem Elternteil Angst, auch den anderen zu verlieren.
Dies wird damit erklärt, daß Kinder die Erfahrung machen, daß Eltern sich trennen, weil sie sich
streiten und sich nicht mehr lieben. Dies führt bei vielen Kindern zu dem Schluß, daß sie der
verbleibende Elternteil auch noch verlasssen könnte, da es zwischen dem Kind und dem
gebliebenen Elternteil ja auch Streit gibt und Streit unter anderem der Grund war, warum die Eltern
sich nicht mehr mögen und sich getrennt haben. Viele Kinder versuchen deshalb nach der
Scheidung, Konflikte möglichst zu vermeiden. Sie verdrängen oft eigene Aggressionen, versuchen
brav und angepaßt zu leben, um der Gefahr des Verlassenwerdens zu entgehen. Dieses
Verhaltensmuster steckt vermutlich mit dahinter, wenn Kinder nach der Scheidung angepaßter und
gehorsamer sind, als vor der Scheidung (vgl. Figdor, 1991, 38). Besonders problematisch ist, daß
ein solches Verhalten häufig nicht als auffällig erkannt wird (vgl. Textor 1991b, 51).
Viele Scheidungskinder haben auch Angst vor einer ungewissen Zukunft. Sie fragen sich, ob sie
den weggegangenen Elternteil wiedersehen werden, machen sich Sorgen, wie es in ihrer Familie
weitergehen wird, ob sie z.B. umziehen und damit Freunde verlassen müssen etc. (vgl. Figdor,
1991, 37).
Diese beschriebenen Gefühle können bei Kindern sehr unterschiedlich und individuell ausgeprägt sein.
Diese Gefühle stellen typische und normale Reaktionen auf die Scheidung der Eltern dar (vgl. Figdor,
1991, 38).
Jedes psychisch gesunde Kind muß auf eine solche Krise wie die Scheidung seiner Eltern reagieren,
und alle Hoffnungen der Eltern, das Kind möge nicht reagieren, gehen eigentlich in die falsche
Richtung. „Denn nur jenen Kindern wird dieser Einschnitt im Leben gar nichts ausmachen, deren
frühe Beziehungen zu den engsten Personen, zu den Eltern, bereits gestört waren, sodaß die
Unterbrechung oder Veränderung dieser Beziehungen eher eine Entlastung als eine Belastung
darstellt“ (Figdor, 1998, 24).
Diese Gefühle gehören zum seelischen Reaktionsinventar jedes Kindes. Sie stellen nicht nur eine
Erschütterung des seelischen Gleichgewichtes dar, sondern sie sind zugleich auch ein Mittel, die
Erschütterung zu bewältigen und das Gleichgewicht wieder herzustellen. Diese Gefühle bedeuten
zwar, daß das Kind eine Belastung erlebt, aber sie sind noch kein Anzeichen für eine existenzielle
Bedrohung und langfristige Beeinträchtigung (vgl. Figdor, 1991, 38-39).
Schaffen es Eltern angemessen auf diese Gefühle ihrer Kinder einzugehen, müssen Kinder vermutlich
keine langfristigen Verhaltensauffälligkeiten entwickeln und können eine Scheidung gut bewältigen.
Wie positives Elternverhalten aussehen kann, wird in Punkt 5.1.1 deutlich werden.
Im nächsten Abschnitt werde ich nun einen Überblick über mögliche altersspezifische
Reaktionsweisen und Verhaltensauffälligkeiten geben, die Kinder im Zusammenhang der Scheidung
ihrer Eltern zeigen können. Gegenwärtig ist man nämlich der Auffassung, daß Kinder in
77
unterschiedlichen Entwicklungstufen, d.h. auch in unterschiedlichem Alter unterschiedliche
Reaktionsweisen zeigen (vgl. Fthenakis, 1995, 130). Ich möchte die Reaktionsweisen nicht mehr näher
erläutern, da im dritten Kapitel meiner Arbeit schon deutlich wurde, welche innerpsychischen Prozesse
in den einzelnen Scheidungsphasen bei Kindern ablaufen können. Die folgende Übersicht soll
lediglich verdeutlichen, zu welchen Reaktionen es kommen kann, da es für die Beratungsarbeit von
Scheidungsfamilien
wichtig
ist,
auch
darüber
Bescheid
zu
wissen,
welche
vielfältigen
Verhaltensweisen Kinder auf die Scheidung zeigen können.
4.1.2 Altersspezifische Reaktionen von Kindern auf die elterliche Scheidung
Der Überblick geschieht in Anlehnung an Fthenakis, 1995, 130-132.
4.1.2.1 Geburt bis zum 2. Lebensjahr
Für diese Entwicklungsstufe liegt nur wenig Forschungsevidenz vor.
Reaktionen in diesem Alter können sein:
 Nachtangst: Einschlafschwierigkeiten, Aufwachen in der Nacht mit Erschrecken, Desorientierung
und Hilferufe;
 Müssen Kinder diesen Alters institutionell betreut werden, was wegen einer Scheidung häufig der
Fall sein kann, kann es bei institutioneller Betreuung schlechter Qualität zu folgenden Symptomen
kommen:
a) generelle Retardierung der Entwicklung u.a. im sprachlischen Bereich,
b) vermindertes Interesse an Spielzeug, an der äußeren Umgebung sowie an
sozialen Kontakten.
Säuglinge bemerken vermutlich kaum die Abwesenheit des Vaters. Für sie besteht wohl die größte
Gefahr darin, daß die Mutter, durch die aus der Trennung resultierenden Probleme, Belastungen und
Konflikte, die Säuglinge nicht mehr angemessen versorgen kann. Nach McNamara und Morrison 1982
reagieren Säuglinge auf jede Veränderung in ihrer Routine mit Verärgerung oder Kummer. Sie sind
empfänglich für die Gefühle und das Verhalten des sie versorgenden Elternteils und tendieren dazu,
Befürchtungen, Ängste wahrzunehmen, die ihr Elternteil empfindet. Sie entwickeln dann manchmal
Schlaf- oder Eßstörungen, werden reizbar oder lassen sich kaum beruhigen (vgl. Textor, 1991b, 53).
78
4.1.2.2 Zweites bis drittes Lebensjahr
Folgende Symotome können in diesem Alter auftreten:
 Regressionen (z.B. Rückschritte in der Sauberkeitserziehung, Trennungsängste, Gebrauch von
Ersatzobjekten, wie z.B. Puppen oder Decken zur Rückversicherung bezüglich bestimmter
Objekte);
 Irritierbarkeit, Furchtsamkeit, Weinen;
 Allgemeine Angstzustände;
 Gesteigerte Aggressivität und Trotz;
 Besitzergreifendes Verhalten;
 Schlafstörungen;
 Probleme im Trennungs- und Individuationsprozeß (wie im 3. Kapitel beschrieben);
 Vermehrtes Verlangen nach physischem Kontakt in Verbindung mit schneller Hinwendung zu
Fremden.
4.1.2.3 Drittes bis fünftes Lebensjahr
In diesem Alter können Kinder folgende Reaktionen zeigen:
 Aggressiv-destruktives Verhalten und Angst vor Aggressionen;
 Irritiertbarkeit;
 Weinerliches Verhalten;
 Traurigkeit;
 Vermindertes Selbstwertgefühl;
 Gehemmtheit im Spiel, im Verhalten und in der Phantasie;
 Hilfsbedürftigkeit;
 Gestörtes Vertrauen in die Zuverlässigkeit menschlicher Beziehungen;
 Einsamkeit;
 Selbstbeschuldigungen wegen des Zerbrechens der Familie.
Kinder in diesem Alter zeigen großes Bemühen, die Veränderungen in den Beziehungen zu ihren
Eltern zu erfassen und zu verstehen und suchen nach Erklärungen für das Weggehen eines Elternteils,
wobei Selbstanschuldigungen häufig geäußert werden, was wie schon beschrieben mit ihrem
egozentrischen Weltbild zusammenhängt. Kinder in diesem Alter geben ihr Verlangen nach dem
getrenntlebenden Elternteil deutlich Ausdruck (vgl. Fthenakis et al., 1982, 145).
79
4.1.2.4 Fünftes bis sechstes Lebensjahr
Die kindlichen Reaktionen in dieser Entwicklungsphase sind ähnlich wie in der vorhergehenden. Es
können folgende Reaktionen auftreten:
 Aggressives Verhalten;
 Ängstlichkeit;
 Ruhelosigkeit;
 Erhöhte Irritierbarkeit und Weinen;
 Trennungsprobleme und -ängste;
 Wutanfälle;
 Kindheitsdepressionen, Verweigerungsverhalten, Gefühl der Zurückweisung;
 Schlafstörungen;
 Phobien;
 Zwanghaftes Essen;
 Abhängiges Verhalten;
 Schlechte Beziehungen zu Mitschülern;
 Ausgeprägte Tagträume;
 Weiterhin Schuldgefühle wegen der Elterntrennung.
4.1.2.5 Siebtes bis achtes Lebensjahr
Folgende Reaktionen können in diesem Alter beobachtet werden:
 Anhaltende Traurigkeit als erste Reaktion auf die Trennung;
Kinder in diesem Alter sind sich ihres Kummers voll bewußt und können nur schwer Erleichterung
finden (vgl. Fthenakis et al., 1982, 147).
 Die Auflösung der Familie wird als Bedrohung der eignen Existenz angesehen;
 Die Schuldgefühle treten zurück, d.h. das Gefühl der Verantwortung für die Scheidung der Eltern
ist in diesem Alter nicht mehr dominant (vgl. Fthenakis et al., 1982, 147).
 Beeinträchtigung der schulischen Leistung;
 Depressionen, die eher mit Rückzugsverhalten als mit Weinen verbunden sind;
 Starker Wunsch nach Wiedervereinigung der Familie;
 Loyalitätskonflikte.
80
4.1.2.6 Neuntes bis dreizehntes Lebensjahr
Folgende Symptome können in diesem Alter auftreten:
 Psychosomatische Krankheiten oder Depressionen;
In einer Studie von Napp-Peters (1988, 39) klagten Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren häufig
über Kopfschmerzen, fühlten sich schlapp, litten unter chronischen Magenschmerzen oder anderen
Krankheitssymptomen.
 Pseudoreife;
 Bewußter, intensiver Zorn auf den Elternteil, der als Initiator der Scheidung gesehen wird;
 Angst, verlassen zu werden;
 Soziale Scham;
 Identitätsprobleme;
 Loyalitätskonflikte;
 Selbstwertprobleme;
 Schulschwierigkeiten;
 Angst vor einer ungewissen Zukunft;
 Gefühl der Einsamkeit und Ohnmacht.
4.1.2.7 Vierzehntes bis neunzehntes Lebensjahr
Kinder dieser Entwicklungsstufe reagieren zunächst äußerst heftig auf die elterliche Trennung und
Scheidung und zwar mit:
 Zorn, Trauer, Schmerz;
 dem Gefühl, verlassen und betrogen worden zu sein.
Nach relativ kurzer Zeit entwickeln sie aber die Fähigkeit zur realistischen Einschätzung der
Scheidungsursachen und leisten konstruktive Beiträge zur Situationsbewältigung. Sie helfen z.B. mit
bei der Neuorganisation des Haushaltes, bei der Betreuung jüngerer Geschwister und reagieren meist
einfühlsam und unterstützend auf den Kummer ihrer Eltern (vgl. Fthenakis et al., 1982, 150).
Jugendliche suchen häufig auch Hilfe und Rat außerhalb der Familie, z.B. bei Freunden und Lehrern.
Oft nutzen sie Aktivitäten außerhalb der häuslichen Umgebung als wichtige Möglichkeit, Konflikten
aus dem Weg zu gehen und Erleichterung zu finden (vgl. ebd.).
Allerdings zeigen manche Jugendliche auch folgende Reaktionen:
 Zweifel an den eigenen Fähigkeiten, eine positive Partnerbeziehung zu haben;
 Abrupte und destruktive Ablösung vom Elternhaus, meist verbunden mit einem Vermeiden von
Kontakt mit den Eltern;
81
 Vernachlässigung einer Auseinandersetzung mit den Problemen der Gegenwart, indem sie sich fast
ausschließlich mit zukünftigen Plänen und Zielen auseinandersetzen.
Die unterschiedlichen alterspezifischen Probleme führt Longfellow (1979, in: Fthenakis et al., 1982,
144-151 und in: Jaede, 1992, 108-110) auf die entwicklungsspezifisch unterschiedlichen
sozialkognitiven Kompetenzen der Kinder zurück, das Scheidungsgeschehen zu verarbeiten und zu
bewältigen.
Ich möchte diese Zusammenhänge kurz darstellen und beziehe mich auf die eben angegebene
Literatur.
Kinder bis etwa sechs Jahre haben ein ich-zentriertes Weltbild, die eigene Person steht im Mittelpunkt
eines Erklärungsversuches der elterlichen Trennung. Außerdem sind Kinder in diesem Alter nicht in
der Lage, die eigene Wahrnehmung von einer anderen zu unterscheiden. Erhalten Kinder in dieser Zeit
nicht genügend Information über die Scheidungshintergründe, dann kann es vermehrt zu
Schulgefühlen kommen.
Kinder zwischen sieben und acht Jahren haben nun die Fähigkeit, zwischen ihrer Sicht der Dinge und
der Perspektive anderer zu unterscheiden. Das Kind beginnt nun, ein Verständnis für unterschiedliche
innere Motive bei beiden Elternteilen zu entwickeln. Schuldgefühle treten in diesem Alter deshalb
vermehrt zurück. Allerdings sind Kinder in diesem Alter noch vom Werturteil beider Eltern abhängig
und stehen deshalb in der Gefahr Loyalitäts- und Solidaritätskonflikte zu erleben.
Kinder in der Vorpubertät (ca. 9-12 Jahre) zeigen ausgeprägte Fähigkeiten zur Selbstreflexion. Sie
haben die kognitive Fähigkeit entwickelt, sich selbst zu sehen, wie andere sie sehen könnten und sind
ebenso in der Lage, sich vorzustellen, wie ihre Familie mit ihren Konflikten von anderen
wahrgenommen wird. Aus diesem Verständnis heraus wird deutlich, warum Kinder in diesem Alter
vermehrt Schamgefühle entwickeln.
Im Jugendalter (ca. 12-18 Jahre) besitzen Jugendliche die Fähigkeit, komplexe Beziehungen zu
erfassen und eine eigene Beziehung zu ihren Eltern, unabhängig von deren Beziehung zueinander, zu
entwickeln. Loyalitätskonflikte treten von daher in den Hintergrund. Außerdem verfügen Jugendliche
über ein differenzierter werdendes Verständnis der Beziehungsproblematik und besitzen die
Möglichkeit, sich mehr zu distanzieren und aktiver Probleme zu lösen. In diesem Alter besteht auch
die Möglichkeit der Abgrenzung und der Zukunftsorientierung außerhalb der Kernfamilie. Jugendliche
zeigen außerdem häufig das Bedürfnis, die Trennung der Eltern zu verarbeiten.
Neben
den
alterspezifischen
Reaktionen
auf
die
Trennung
der
Eltern
können
auch
geschlechtsspezifische Verhaltensweisen beobachtet werden, auf die ich nun kurz eingehen werde.
4.1.3 Geschlechtsspezifische Rektionen auf die elterliche Scheidung
Kindliche Reaktionen auf die Scheidung der Eltern sind nach Forschungsergebnissen (z.B. Zaslow,
1988, 1989, in: Fthenakis, 1995, 133) geschlechtsspezifisch determiniert. Allerdings ist die frühere
Sichtweise, daß Jungen anfälliger sind für die negativen Auswirkungen der Scheidungserfahrung als
82
Mädchen und daß sie stärker beeinträchtigt wären, wie z.B. Hetherington et al. (1982, in: SchmidtDenter et al., 1991, 46) in einer Studie ermittelten, überholt. Man geht heute davon aus, daß Jungen
und Mädchen beide auf die Scheidung reagieren, jedoch in unterschiedlicher Art und Weise, wobei die
unterschiedlichen Reaktionen nicht unbedingt ein unterschiedliches Maß an emotionaler Betroffenheit
bedeuteten müssen (vgl. Schmidt-Denter et al., 1991, 46).
Jungens zeigen vorwiegend ausagierendes, aggressives (externalisierendes) Verhalten. Sie zeigen oft
heftigere
unmittelbare
Reaktionen
und
weisen
Defizite
in
der
sozialen
Entwicklung,
Konzentrationsschwierigkeiten, verminderten Optimismus und Leistungsdefizite auf. Mädchen neigen
mehr zu internalisierenden Verhaltensweisen, wie z.B. Rückzug, Angst und Depression. Außerdem
zeigen viele Mädchen bis in die Pubertät ein überangepaßtes Verhalten. Auch läßt sich bei ihnen
häufig pseudoerwachsenes Verhalten beobachten (vgl. Fthenakis, 1995, 131 u. 133).
Die Gefahr der Reaktionsweisen der Mädchen liegt darin, daß ihre emotionale Betroffenheit durch die
Scheidung oft übersehen wird, da ihre Verhaltensweisen weniger auffällig und in der belastenden
Situation der Ehescheidung besonders für die Eltern bequemer sind. Vermutlich wird ihr Verhalten
auch als wünschenswert und angenehm erlebt (vgl. Niesel, 1995, 166).
Dieser Sachverhalt erklärt vielleicht auch, daß früher angenommen wurde, daß Jungens mehr unter der
Scheidung der Eltern leiden, da ihre Reaktionen auffälliger sind.
Manche Studien zur Scheidungsproblematik geben Hinweise darauf, daß bei Mädchen die nach außen
problematischeren Reaktionen, wie z.B. aggressive Verhaltensweisen, erst in der Pubertät oder im
jungen Erwachsenenalter deutlich werden können (vgl. Hetherington, 1991, in: Niesel, 1995, 166).
Ich möchte nicht näher auf die geschlechtsspezifischen Reaktionen eingehen, sondern verweise auf
eine Dokumentation von Zaslow (1988, 1989), die Fthenakis (1995, 133) in seinen Ausführungen
erwähnt hat.
Bevor ich nun auf die Schilderung längerfristiger Folgen eingehe, möchte ich nochmals daran
erinnern, daß bei den meisten Kindern die geschilderten Symptome nach ca. zwei Jahren verschwinden
und deshalb nur unmittelbare Reaktionen auf die Scheidung darstellen und keineswegs andauernde
Beeinträchtigungen sein müssen.
4.1.4 Langfristige Folgen der elterlichen Scheidung für Kinder36
Langfristige Folgen von Trennung und Scheidung können sich für Kinder in einem erhöhten Risiko
der Entwicklung psychischer Störungen einschließlich erhöhtem Suizidrisiko, in delinquenten
Verhaltensweisen und in Problemen bei der Gestaltung von Partnerschaft und Ehe zeigen.
36
Wenn nicht anders angegeben beziehen sich die folgenden Erläuterungen auf
Fthenakis, 1995, 140-147.
83
4.1.4.1 Erhöhtes Risiko psychischer Störungen und Entwicklung delinquenter
Verhaltensweisen
Kalter (1977), Kalter und Rembar (1981) fanden heraus, daß das Risiko, daß ein Kind mit
geschiedenen Eltern bis fünf Jahre nach der Scheidung einem Psychologen oder Psychiater vorgestellt
wird, bis zu viermal größer ist, als bei einem Kind aus einer nicht geschiedenen Familie (vgl.
Fthenakis, 1995, 141).
Die häufigsten Probleme, die von professionellen Helfern genannt werden sind: Verhaltensstörungen,
Aggressionen,
fehlende
Impulskontolle,
offensichtliche
Fehlhaltungen
in
der
moralischen
Entwicklung, sowie vermehrt Depressionen.
Reich stellte aufgrund seiner Studie folgende langfristigen Probleme bei Kindern und Jugendlichen
fest (vgl. Reich, 1993, 82):
 ca. 30% der Betroffenen zeigten dissoziale Verhaltensweisen;
 ca. 25% der Betroffenen zeigten schwere Kontaktarmut;
 ca. 20% der Betroffenen zeigten Lern-und Leistungsstörungen;
 ca. 13,5% der Betroffenen zeigten psychosomatische Beschwerden.
Napp-Peters stellt in ihrer Studie folgende Problemverteilungen fest (vgl. Napp-Peters, 1988, 40-41):
 36% der Kinder mit langfristigen Störungen zeigten aggressives Verhalten, das mit anderen
Verhaltensauffälligkeiten, wie Tierquälerei, Tobsucht, häufige Wutanfälle einhergeht. Dieses
Verhalten war überwiegend bei Jungen zu erkennen.
 36% der Kinder zeigten konfliktreiche und depressive Verhaltensmuster, die überwiegend bei
Mädchen zu beobachten waren. Diese Verhaltensmuster traten in den meisten Fällen zusammen
mit Disziplinschwierigkeiten, Unkonzentriertheit und Schulproblemen auf.
 In 19% der Fälle zeigten sich langfristige Störungen in wiederholtem Bettnässen, Einkoten,
überängstlichem Verhalten und Suizidversuche.
 Bei 9% der Kinder wurden Verhaltensauffälligkeiten wie Lügen, Diebstahl oder Weglaufen
genannt.
Abgesicherte Zusammenhänge zwischen dem Erleben der elterlichen Trennung in der Kindheit und
delinquenten Verhalten im Jugend- und Erwachsenenalter lassen sich kaum noch feststellen, wenn in
Untersuchungen zusätzlich alle Variablen berücksichtigt werden, die ebenfalls beeinflussenden
Charakter haben können. Dennoch liegen einige Studien vor, die von delinquentem Verhalten bei
Jugendlichen aus Scheidungsfamilien berichten.
So konnte bei älteren männlichen Jugendlichen festgestellt werden, daß sie zu 30% in schwerwiegende
Vergehen, wie Gewalttätigkeit, Einbruch, Drogenhandel Vehrkehrsdelikte verwickelt waren. Bei
Mädchen wurden weniger delinquente Handlungen festgestellt, wohl aber eine gewisse sexuelle
84
Unbekümmertheit, was sich in einer geringeren Sorgfalt bei der Auswahl von Sexualpartnern und in
einem hohen Prozentsatz von Abtreibungen manifestierte.
Bei Mädchen aus geschiedenen Familien konnten im Teenageralter mit größerer Wahrscheinlichkeit
Auffälligkeiten, wie promiskuitives Verhalten, Drogenmißbrauch und Weglaufen von zu Hause,
gezeigt werden, als bei Altersgenossinnen aus nicht geschiedenen Familien.
4.1.4.2 Gestaltung von Partnerschaften
Reich konnte in seiner Studie beobachten, daß die wesentliche Langzeitfolge ungelöster
Scheidungskonflikte eine Beeinträchtigung des Vertrauens in Bindungen und in die konstruktive
Lösbarkeit zwischenmenschlicher Konflikte ist. Freundschaften, insbesondere Bindungen an
gegengeschlechtliche Partner sind immer wieder von untergründiger Trennungsangst begleitet. Dieser
Angst wird durch verstärktes Anklammern an den Partner begegnet, der daraufhin nicht selten mit
Rückzug reagiert, was die Trennungsbefürchtungen dann bestätigt. Andere versuchen der
Trennungsangst, der Angst, verlassen zu werden, zu entgehen, indem sie selbst abrupte
Beziehungsabbrüche durchführen (vgl. Reich, 1993, 83).
Verschiedene Studien, auf die Fthenakis die Schilderung der Langzeitfolgen stützt, zeigen, daß viele
Jugendliche, die die Scheidung ihrer Eltern erlebten, die Befürchtung äußern, die gleichen Fehler ihrer
Eltern zu wiederholen und unfähig zu sein, eine positive Beziehung aufrechtzuerhalten. Allerdings gibt
es auch Studien, die zeigen, daß es Jugendliche aus Scheidungsfamilien gibt, die sich wenig von den
elterlichen Fehlern beeinflußt fühlen und zuversichtlich sind, was die eigene Zukunft betrifft. Sie
suchen meist aktiv nach positiven außerfamilialen Rollenmodellen, an denen sie sich orientieren. In
der Gestaltung von Partnerbeziehungen kann man außerdem Unterschiede zwischen den weiblichen
und männlichen Jugendlichen aus Scheidungsfamilien feststellen. Während Mädchen eher aktiv die
Beziehung zu Gleichaltrigen suchen und übermäßig schnell Verabredungen und sexuelle Beziehungen
eingehen, zeigen Jungen häufig eine beträchtliche Vorsicht und Zurückhaltung vor heterosexuellen
Beziehungen und eine Reserviertheit der Gefühle (vgl. Fthenakis, 1995, 141-143).
Auch bei den langfristigen Folgen muß darauf hingewiesen werden, daß Amato und Keith aufgrund
ihrer Meta-Analyse zu der Erkenntnis kommen, daß die oft schwerwiegenden Befunde differenziert
betrachtet und relativiert werden müssen. Die Effektstärken hinsichtlich langfristiger Folgen sind nur
gering, d.h. es bestehen nur kleine Unterschiede zwischen Erwachsenen aus geschiedenen und
vollständigen Herkunftsfamilien (vgl. Amato u. Keith, 1991b in: Riehl-Emde, 1992, 421-422).
4.1.5 Positive Folgen der elterlichen Scheidung für Kinder
In den letzten Jahren werden häufiger auch mögliche positive Entwicklungen von Scheidungskindern
erwähnt (vgl. Offe, 1992, 34).
85
Kinder, die die Scheidung ihrer Eltern positiv bewältigen konnten, zeigen im Vergleich zu ihren
Altersgenossen große psychische Reife und Stabilität. Sie haben erfahren, daß eine Ehescheidung nicht
nur einen schmerzlichen Verlust bedeutet, sondern auch eine konstruktive Lösung sein kann, scheinbar
ausweglose, konflikthafte Beziehungen abzubrechen und einen neuen Weg zu suchen (vgl.
Rauchfleisch, 1997, 31).
Oggenfuss (1984, 71-83) konnte in seiner Analyse einer Langzeituntersuchung von 2000 Schülern im
Kanton Zürich in Bezug auf Jugendliche aus Scheidungsfamilien feststellen, daß bei ihnen keine
vermutete Tendenz zu Gefühlen der Ohnmacht festzustellen war, sondern eher eine Wahrnehmung von
Eigenverantwortlichkeit, die sogar über jener der Kinder aus Zweielternfamilien lag. Außerdem stellte
Oggenfuss fest, daß Jugendliche aus geschiedenen Familien, im Vergleich zu Jugendlichen aus nicht
geschiedenen Familien, bezüglich politischer Fragestellungen doppelt so häufig die Meinung vertreten,
daß sie hinsichtlich von Weltereignissen nicht bloß das Opfer unkontollierter Abläufe sind. Dieser
Sachverhalt kann unterschiedlich interpretiert werden. Zum einen kann es sein, daß Scheidungskinder
das Gefühl des Ausgeliefertseins an die Ehescheidung der Eltern verdrängen und dort Verantwortung
übernehmen, wo sie eigentlich Opfer sind. Andererseits besteht die Möglichkeit, daß sie durch die
Verarbeitung einer schwierigen Situation gelernt haben, mit Schwierigkeiten umzugehen, Probleme zu
meistern, wodurch sie ein großes Selbstvertrauen gewinnen konnten. Nach außen erweckten die
Jugendlichen aus Scheidungsfamilien ein Bild hohen Selbstvertrauens und Zuversicht, sie glaubten aus
ihrem Leben das machen zu können, was sie wollen und Probleme lösen zu können, wenn sie diese nur
richtig anpacken. Kritisch muß hierzu aber angemerkt werden, daß aus der Analyse von Oggenfuss
nicht hervorgeht, ob diese Jugendlichen wirklich ein inneres gestärktes Selbstvertrauen besitzen oder
ob sie ihre Gefühle der Machtlosigkeit nur verleugnen.
Wallerstein macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, daß die bei Scheidungskindern
häufig feststellbare große Selbständigkeit und Eigenverantwortung aber auch eine Überforderung sein
und sich hinter dem Stolz auf diese Selbständigkeit das Bedauern verbergen kann, nicht genügend
Unterstützung gehabt zu haben und nicht hinreichend versorgt worden zu sein (vgl. Wallerstein, 1987
in: Offe, 1992, 34).
Als positive Auswirkung wird bei Scheidungskindern auch häufig genannt, daß sie eine wenig starre
Orientierung an Geschlechtsrollen zeigen (vgl. Offe, 1992, 34). Diesen Zusammenhang konnte
Oggenfuss in seiner Analyse ebenfalls feststellen. Jugendliche aus Scheidungsfamilien zeigen z.B. in
Bereichen, in denen im allgemeinen Männer für fähiger gehalten werden (z.B. politisches Verständnis,
logisches Denken), eine Tendenz zur Gleichverteilung dieser Eigenschaften. Auch haben diese
Jugendlichen ein stärkeres Bewußtsein bezüglich der Diskriminierung der Frau in Beruf und Politik.
Sie fordern mehr, als Jugendliche aus nicht geschiedenen Familien, eine Angleichung der
Geschlechtsrollen (vgl. Oggenfuss, 1984, 79-80). Diese flexibleren Einstellungen hinsichtlich der
Geschlechtsrollen können daraus resultieren, daß die meisten Scheidungskinder nach der Scheidung
mit alleinerziehenden Müttern zusammenleben, die, wenn sie die Scheidung gut bewältigt haben,
häufig selbstbewußt, unabhängig, ökonomisch selbständig sind und im Alltag oft sogenannte
„Männerrollen“ übernehmen. Kinder, die nach der Scheidung bei ihrem Vater leben, was nur einen
kleinen Teil der Scheidungskinder ausmacht, erleben Männer, die sich mit ihrer täglichen Versorgung
86
und ihren Problemen beschäftigen, was laut wissenschaftlichen Untersuchungen (vgl. Notz, 1991 in:
Gutschmidt, 1997, 303) in Zweielternfamilien noch immer eher die Ausnahme darstellt. Kinder aus
Scheidungsfamilien können so ein breites Spektrum von Geschlechtsrollen-kompetenzen erfahren (vgl.
Gutschmidt, 1997, 303).
Positive Auswirkungen kann eine Ehescheidung vor allem auch für die Kinder haben, die in stark
konflikthaften Familien leben, und die mit der Scheidung eine Reduktion ihrer Probleme erfahren. Für
sie kann die Scheidung eine Erleichterung bedeuten und ihr seelischer Zustand, der infolge der
Beziehungsprobleme ihrer Eltern sehr gelitten hatte, kann sich wieder stabilisieren (vgl. Cherlin et al.,
1991 in: Gutschmidt, 1997, 301). Allerdings kann es zu dieser positiven Entwicklung nur kommen,
wenn sich nach der Scheidung die konflikthafte Beziehung der Eltern verbessert. Amato und Keith
haben in ihrer Meta-Analyse nämlich festgestellt, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, daß Kinder
aus Scheidungsfamilien gegenüber Kindern in konflikthaften vollständigen Familien dann im Vorteil
sind, wenn sich nach der Scheidung die Konflikte zwischen den Eltern verringern (vgl. Amato u.
Keith, 1991a in: Riehl-Emde, 1992, 419).
4.1.6 Intergenerative Transmission des Scheidungsrisikos
Nach der Transmissionshypothese wird das Scheidungsrisiko von der Eltern- auf die Kindergeneration
übertragen. Demnach lassen sich Männer und Frauen, die in ihrer Herkunftsfamilie eine Scheidung
erlebt haben, in ihrem eigenen Leben deutlich häufiger scheiden, als Männer und Frauen, deren Eltern
nicht geschieden sind. Dieses Phänomen ist keine bloße Spekulation, sondern konnte bis jetzt in allen
empirischen Arbeiten, die diesen Effekt untersuchten, nachgewiesen werden. Allerdings besteht noch
keine Einigkeit darüber, wie dieses Phänomen erklärt werden kann. Die Erklärungsansätze werden
weiterhin kontrovers diskutiert (vgl. Diekmann u. Engelhardt, 1995, 216).
Diekmann und Engelhardt verweisen auf drei Erklärungshypothesen: die Streßhypothese, die
Hypothese ökonomischer Deprivation und die Sozialisationshypothese, die sich gegenseitig nicht
ausschließen, sondern vermutlich vielmehr alle einen Beitrag zur Erklärung bieten können (vgl.
Diekmann u. Engelhardt, 1995, 215-228). Ich möchte in meiner Arbeit nur kurz auf die
Sozialisationshypothese eingehen, um zu zeigen, daß Scheidungskinder vermutlich nach der Meinung
von Beck-Gernsheim einem individuellen Lerneffekt ausgesetzt sind, der in der Generationenfolge
dann zu weiteren Scheidungen führt (Beck-Gernsheim, 1997, 25).
Die Sozialisationshypothese:
Diese Hypothese geht davon aus, daß die Erfahrungen, die die Kinder in ihrer Scheidungsfamilie
gemacht haben, ihre Haltung gegenüber Ehe, Familie und Partnerschaft beeinflussen (vgl. BeckGernsheim, 1997, 24).
Helm-Stierlin weist darauf hin, daß Scheidungskinder häufig nicht lernen, Konflikte, die zu jeder
lebendigen Ehe gehören, zu lösen und konstruktiv zu bewältigen, sondern sie erfahren, daß
Beziehungen brüchig sind. Viele Scheidungskinder befürchten, wie schon erwähnt, daß ihre späteren
87
Liebesbeziehungen auch scheitern können. Diese negative Erwartung schafft nach Helm-Stierlin auch
eine negative Realität, da jede Eheschließung eine gewisse Unbekümmertheit und das Vertrauen
darauf, daß es klappt, bedarf. Bestehen zu große Zweifel, kann ein Prozeß einsetzen, der beide Partner
zu vorsichtig sein und ständig darauf lauern läßt, wann sich die Befürchtungen bestätigen (vgl. HelmStierlin, 1992, 83).
Außerdem könnte auch das von der alleinstehenden, geschiedenen Mutter präsentierte Rollenmodell
dazu beitragen, daß besonders die Mädchen in ihrem späteren Leben einen Lebensstil wählen, der das
Scheidungsrisiko im Falle einer Ehe erhöhen würde. So können Töchter alleinstehender, geschiedener
Mütter lernen, daß Frauen auch fähig sind, eine Familie alleine zu erhalten. Im Falle einer
unglücklichen Ehe entscheiden sich diese Töchter vermutlich häufiger für eine Scheidung, als Töchter
aus Zweielternfamilien (vgl. Ladner, 1971 in: Fthenakis, 1995, 146).
Ergebnisse einer empirischen Studie, in der die Lebensentwürfe junger Mädchen und Frauen
untersucht wurden, zeigen, daß Töchter alleinerziehender Mütter sich in ihrem Lebensentwurf deutlich
von Mädchen aus Zweielternfamilien unterscheiden. Sie legen mehr Wert auf Selbständigkeit, streben
nach beruflicher Eigenständigkeit und finanzieller Unabhängigkeit und wollen sich auf ihre eigenen
Anstrengungen verlassen. Zu den Themen Heirat und Mutterschaft sind sie eher reservierter
eingestellt. Dieser Lebensstil erhöht, wie in Punkt 2.1.2 deutlich wurde, im Falle einer Ehe das
Scheidungsrisiko (vgl. Beck-Gernsheim, 1997, 24).
Beck-Gernsheim weist darauf hin, daß die Erfahrung von Trennungsereignissen eine Sozialisation
eigener Art beinhaltet. „Wenn es Kindern gelingt, sich mit wechselnden Familienformen zu
arrangieren, so heißt dies, sie lernen, Bindungen aufzugeben, mit Verlust fertig zu werden. Sie
erfahren früh, was Verlassenwerden und Abschied bedeuten. Sie wissen aufgeklärt, daß die Liebe
nicht ewiglich währt, daß Beziehungen enden, daß Trennung ein Normalereignis im Leben darstellt.
Sie üben sich darin, mit dem Wechsel zu leben ... . (...) In der Generationenfolge werden Kinder zu
Experten des Wandels“ (Beck-Gernsheim, 1997, 25).
Diese Sozialisationseffekte können positiv oder negativ interpretiert werden. Positiv gedeutet, lernen
Kinder aus Scheidungsfamilien, insbesondere Mädchen, daß ein erfülltes und befriedigtes Leben auch
allein, ohne Partner möglich ist und daß das Glück nicht abhängig ist vom Gelingen einer
Zweierbeziehung. Sie lernen, sich auf ein selbständiges Leben vorzubereiten, statt ihre Identität nur in
der Familie zu sehen. Negativ gedeutet, bedeutet die Sozialisation von Scheidungskindern, daß es
ihnen an Bindungssicherheit, an Sozial- und Konfliktfähigkeit mangelt. Unabhängig, ob man nun die
positive oder negative Deutung wählt, wird durch die Scheidung „... ein individualistischer Lerneffekt
angelegt, was in der Generationenabfolge dann zu weiteren Scheidungen führt“ (ebd.).
4.1.7 Fazit zu den kindlichen Reaktionen auf die elterliche Scheidung
Liest man die vielen hier aufgeführten möglichen Reaktionsweisen und Folgen, die eine Ehescheidung
für Kinder auslösen kann, so kann leicht ein verzerrtes, stark negativ geprägtes Bild von
88
Scheidungskindern entstehen. Ich möchte deshalb nochmals betonen, daß viele Verhaltensweisen, die
Kinder nach der Scheidung ihrer Eltern zeigen können, unmittelbare Reaktionen sind, die unter
günstigen Bedingungen verschwinden, wenn sich die Kinder an die Veränderungen angepaßt haben.
Nicht alle Kinder leiden über Jahre unter der Scheidung ihrer Eltern. Langfristige Folgen werden, wie
schon beschrieben, bei einem Drittel der Scheidungskinder festgestellt. Heute geht man davon aus, daß
nicht das Ereignis der Ehescheidung an sich diese langfristigen Auswirkungen bedingt, sondern daß
viele ungünstigen Faktoren in einer Scheidungsfamilie zusammenwirken müssen, wenn es zu
anhaltenden Problemen kommt. Im folgenden werde ich auf mögliche Bedingunsfaktoren eingehen,
die die Reaktionsweisen der Kinder im Scheidungsprozeß beeinflussen.
4.2 Bedingungsfaktoren der kindlichen Reaktionen auf die elterliche
Scheidung
Es gibt viele verschiedene Faktoren, die hinsichtlich der Scheidungsbewältigung, d.h. der Art und
Weise der Scheidungsreaktionen von Kindern in der Scheidungsliteratur diskutiert (oftmals auch
widersprüchlich) werden. Ich kann im Rahmen meiner Arbeit diese Vielfalt der Studien und die
unterschiedlichen Ergebnisse nicht alle berücksichtigen. Einen Einblick in die Studienvielfalt bieten
Kardas und Langenmayr (1996, 109-130), auf deren Buch ich hinweisen möchte.
In meiner Arbeit gehe ich lediglich auf drei Hauptbereiche von Bedingungsfaktoren ein, die in der
Scheidungsliteratur häufig erwähnt werden und vermutlich mit dazu beitragen, daß Kinder, die eine
elterliche Scheidung erleben verhaltensauffällig werden oder bleiben. Die Ausführungen der
Bedingungsfaktoren soll verdeutlichen, daß sich langfristige Beeinträchtigungen nicht per se als Folge
des Scheidungsereignisses entwickeln, sondern in einem langfristigen Prozeß, in dem eine Vielzahl
ungünstiger Veränderungen auftreten (vgl. Textor, 1991b, 94).
Die Bedingunsfaktoren dürfen allerdings nicht als monokausale Verursacher bestimmter ungünstiger
kindlicher Entwicklungen gesehen werden, sondern müssen als Faktoren gesehen werden, die in
komplexen Wechselwirkungen sich gegenseitig beeinflussen, d.h. entweder in ihrer Wirkung
verstärken oder mindern können (vgl. Punkt 3.3.4).
Die drei Hauptbereiche, auf die ich nun eingehen werde, umfassen die sozio-ökonomische Situation
von Scheidungsfamilien, den Kontakt der Kinder zu dem getrenntlebenden Elternteil und die
Beziehungen zwischen den Eltern vor und nach der Scheidung, d.h. welches familiale Konfliktniveau
vorliegt.
4.2.1 Die sozio-ökonomische Situation von Scheidungsfamilien
89
In der schon mehrmals erwähnten repräsentativen Studie von Napp-Peters konnte festgestellt werden,
daß 40% der Kinder, die mittel- oder langfristige Störungen aufwiesen, mit ihren Eltern und
Geschwistern an der Armutsgrenze lebten (vgl. Napp-Peters, 1988, 42).
Viele Kinder erleben nach der Scheidung ihrer Eltern eine Einschränkung der finanziellen Ressourcen
und damit verbunden oft eine massive Verschlechterung ihres Lebensstandards (vgl. ebd., 21). Da , wo
vor der Scheidung ein Haushalt versorgt werden mußte, sind nun zwei Haushalte zu finanzieren (vgl.
Rauchfleisch, 1997, 17).
Außerdem lebt die Mehrzahl der Kinder nach einer Scheidung mit ihrer alleinerziehenden Mutter
zusammen, für die laut einer Analyse der Lebenslagen Alleinerziehender (vgl. Neubauer, 1994 in:
Schneider et al., 1998, 124) eine Scheidung in der Regel mit einem deutlichen materiellen und
sozialen Abstieg verbunden ist. Laut Neubauer ist jede dritte Mutter-Kind-Familie auf
Unterhaltszahlungen, Arbeitslosengeld/hilfe, Sozialhilfe oder sonstige Unterstützungen angewiesen
(vgl. Neubauer, 1994 in: Peuckert, 1996, 162). 1991 mußten rund 25% aller Alleinerziehenden mit
Kindern in den alten und 60% in den neuen Bundesländern mit einem Einkommen unterhalb der
Sozialhilfeschwelle auskommen (vgl. Schwarz, 1993-94b in: Peukert, 1996, 163). Mit zunehmender
Kinderzahl erhöht sich das Armutsrisiko von 18% bei einem Kind, auf 30% bei zwei Kindern und auf
60% bei drei und mehr Kindern (vgl. Walper, 1991 in: Peukert, 1996, 163).
Die schlechte ökonomische Situation kann auch Auswirkungen auf die sozialen Kontakte der
Scheidungsfamilien und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben. Der enge finanzielle
Spielraum führt oft zu einem sozialen Kontaktmangel, da in vielen Fällen kein Geld vorhanden ist, um
verschiedene Freizeitaktivitäten und gemeinsame Unternehmungen zu bezahlen (vgl. Stiehler, 1997,
209).
Oft sind Scheidungsfamilien aus finanziellen Gründen auch gezwungen, in kleinere und vielfach auch
schlechtere Wohnungen, in meist ungünstigeren Wohngebieten (Stadtrandgebiete mit schlechter
Infrastruktur), umzuziehen. Mit dem Umzug verlieren Kinder häufig vertraute Bezugspersonen und
Freunde (vgl. Rauchfleisch, 1997, 17).
Soziale Kontakte von Scheidungsfamilien verändern sich aber nicht nur durch Umzüge und schlechte
finanzielle Verhältnisse, sondern in vielen Fällen auch schon durch die Scheidung selbst. Kontakte, die
vom ehemaligen Ehegatten initiiert wurden und die zu seiner Verwandtschaft gehören, gehen in vielen
Fällen verloren, besonders dann, wenn die Ex-Ehegatten weiterhin zerstritten sind, sich voneinander
zurückziehen und sich gegenseitg die Schuld für die Scheidung geben. Mit der Scheidung schränken
sich somit die familiären Beziehungen ein (vgl. Fthenakis et al., 1982, 111).
Mit dieser Abnahme der sozialen Kontakte besteht die Gefahr der sozialen Isolation von
Scheidungsfamilien (vgl. Gutschmidt 1986, in: Oberndorfer, 1991, 26).
Mit der Scheidung besteht demnach das Risiko, daß wichtige soziale Ressourcen, die vor der
Trennung zur Verfügung standen, plötzlich nicht mehr erreichbar sind. Dies kann das Gefühl von
Einsamkeit und Hilflosigkeit, das viele Erwachsene und Kinder nach der Scheidung erleben, noch
verstärken (vgl. Krieger, 1997, 145). Dieser Verlust an sozialen Kontakten bedeutet eine
Einschränkung von sozialen Ressourcen, d.h. Verlust an emotionaler und praktischer Unterstützung,
was die Scheidungs-bewältigung negativ beeinflussen kann.
90
Gerade in der kritischen Zeit der Scheidung, die für alle Familienmitglieder viele Veränderungen und
Belastungen mit sich bringt, hat die Unterstützung von Angehörigen und Freunden für alleinstehende
Eltern und Kinder eine stabilisierende Wirkung. Trost, Wärme und zuverlässige Hilfe, die die
Scheidungsfamilien hier finden, helfen ihnen, die Veränderungen der Scheidung zu bewältigen und
sich an die neue Situation anzupassen (vgl. Napp-Peters, 1988, 48). Napp-Peters konnte in ihrer Studie
z.B. feststellen, daß die Eltern, die nach der Scheidung weiterhin gemeinsam Verantwortung für die
Familie und die Kinder übernahmen und kooperierten, solche waren, die über mehr freundschaftliche
und verwandschaftliche Beziehungen verfügten, als Eltern, die nicht zu einer kindorientierten
Interaktion fähig waren. Bei den kooperrierenden Eltern gingen durch die Scheidung weniger Kontakte
im sozialen Umfeld verloren, und diese Scheidungsfamilien werden von den Herkunftsfamilien beider
Partner unterstützt (vgl. Napp-Peters, 1988, 47). Dieser Sachverhalt weist vermutlich darauf hin, daß
Scheidungsfamilien eine Scheidung und die dadurch bedingten Veränderungen besser bewältigen
können, wenn die früheren Kontakte durch eine Trennung nicht kaputtgehen, sondern der veränderten
Familie weiterhin Unterstützung geben.
Eine weitere Belastung, der Familien nach einer Scheidung ausgesetzt sein können, und die die
Scheidungsbewältigung der Kinder negativ beeinflussen kann, ist die auftretende Mehrfachbelastung
der Elternteile, bei denen die Kinder nach der Scheidung leben. Durch die geringen finanziellen Mittel
sind viele alleinerziehende Elternteile gezwungen, berufstätig zu sein. Sie müssen nun
Kindererziehung, Berufstätigkeit und Haushaltsführung alleine bewältigen, was vor der Scheidung mit
dem Partner gemeinsam bewältigt werden konnte. Durch diese Mehrfachbelastung bleibt oft, im
Vergleich zu der Zeit vor der Scheidung, nur wenig Zeit für die Kinder (vgl. Napp-Peters, 1987, 92).
Durch diese Mehrfachbelastung fühlen sich viele Elternteile überfordert. Diese Überforderung macht
sich meistens auch im Erziehungsverhalten bemerkbar. Viele Eltern verhalten sich dadurch bedingt
autoritär, reagieren dann aber aufgrund von Schuldgefühlen mit übergroßer Nachsicht, so daß
insgesamt ein inkonsequenter Erziehungsstil praktiziert wird, der kindliches Verhalten negativ
beeinflussen kann (vgl. Weiß, 1979; Bartz/Witcher, 1978 in: Sander, 193, 424).
Viele alleinerziehende Elternteile verfallen in dieser, sie oft überfordernden Situation (finanzielle
Sorgen, Mehrfachbelastungen, wenig soziale Unterstützung), in Depressionen (vgl. Napp-Peters, 1987,
92). In verschiedenen Studien konnte festgestellt werden, daß ein beeinträchtigtes Selbstwertgefühl,
das Gefühl von Unzulänglichkeit, Depression und Ängstlichkeit des Elternteils, bei dem die Kinder
nach der Scheidung leben, eng verknüpft sind mit kindlichen Verhaltensauffälligkeiten (vgl. Fthenakis,
1995, 136).
Napp-Peters schreibt dazu: „...Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit werden als Haltung der Eltern
direkt auf die Kinder übertragen, schränken ihren Erfahrungsraum ein und entmutigen sie“ (NappPeters, 1988, 26).
4.2.2 Beziehung zwischen den Kindern und dem getrenntlebenden Elternteil
91
Napp-Peters stellte in ihrer Studie fest, daß bei jedem zweiten Kind mit andauernden Störungen kein
Kontakt mehr zu dem getrenntlebenden Elternteil bestand (vgl. Napp-Peters, 1988, 42).
Konsistent wird in vielen Studien berichtet, daß der primäre negative Aspekt der elterlichen Scheidung
der Verlust eines Elternteils für das Kind ist (vgl. Fthenakis, 1995, 137). Welche Konsequenzen die
Tatsache haben kann, daß nach einer Scheidung ein Elternteil, in der Regel der Vater, für die Kinder
völlig verschwindet, wurde bereits im dritten Kapitel meiner Arbeit deutlich (vgl. Punkte 3.2.3 u.
3.3.4).
Lowenstein und Koopmann (1978 in: Fthenakis, 1995, 137) fanden z.B. einen positiven
Zusammenhang zwischen dem Selbstwertgefühl der Kinder und der Umgangshäufigkeit mit dem
getrenntlebenden Elternteil. Allerdings ist hier anzumerken, daß nicht zuerst die Quantität
ausschlaggebend ist, sondern eher die Qualität der Beziehung zwischen dem Elternteil und den
Kindern (vgl. Klein-Allermann u. Schaller, 1992, 286). Dieser Zusammenhang läßt sich mit den aus
Kapitel drei gewonnenen Erkenntnissen vermutlich darauf zurückführen, daß die Kinder, die nach der
Scheidung weiterhin Kontakt zu beiden Elternteilen haben, sich nicht im Stich gelassen und von daher
nicht weniger liebenswert fühlen müssen.
Kurdek und Berg (1983 in: Fthenakis, 1995, 137) konnten ebenfalls feststellen, daß
Wechselwirkungen zwischen der Anpassung des Kindes, der Qualität der Vater-Kind-Beziehung und
der Zeit, die das Kind alleine mit dem Vater verbringen konnte, bestehen.
Beelmann und Schmidt-Denter machten in ihrer Studie an 34 deutschen Scheidungskindern die
Beobachtung, daß Kinder, die seltener, bzw. keinen Kontakt zum Vater haben, im Vergleich zu
Kindern, die ihren Vater häufiger sehen, eine negativere emotionale Beziehung zu Ihrer Mutter, bei
der sie leben, haben, d.h. diese Beziehung ist häufiger mit Gefühlen von Feindseligkeit und Abneigung
geprägt (vgl. Beelmann u. Schmidt-Denter, 1991, 184-185). Dieser Zusammenhang kann damit erklärt
werden, daß die ausgleichende Funktion des Vaters in der oft engen Beziehung zwischen Mutter und
Kindern fehlt, wie bereits in Kapitel 3 deutlich wurde (vgl. Punkte 3.2.3 u. 3.3.4).
4.2.3 Beziehungen zwischen den Eltern vor und nach der Scheidung
(familiales Konfliktniveau)
Wie bereits in Kapitel 3 deutlich wurde sind elterliche Konflikte generell mit schlechter Anpassung
von Kindern aus vollständigen und geschiedenen Familien verknüpft. Man vermutet von daher, daß
die Scheidungsreaktionen der Kinder eng mit der konflikthaften familialen Situation schon vor der
Scheidung und mit anhaltenden Konflikten nach der Scheidung verbunden sind.
So können die kindlichen Reaktionen, die in der Literatur oft als Folge der Ehescheidung beschrieben
werden, schon Reaktionen auf elterliche Konflikte vor der Scheidung sein (vgl. Fthenakis, 1995, 135).
Ergebnisse der Meta-Analyse von Amato und Keith (1991a in: Riehl-Emde, 1992, 419) weisen z.B.
darauf hin, daß Kinder aus vollständigen, aber sehr konflikthaften Familien ähnliche Probleme zeigen,
wie Kinder aus Scheidungsfamilien, und daß Scheidungskinder sogar im Vorteil sind, wenn sich nach
der Scheidung die elterlichen Konflikte verringern.
92
Block et al. (1981, 1986 in: Fthenakis 1995, 134) stellten fest, daß das Verhalten von Jungen bereits
bis zu elf Jahren vor der elterlichen Trennung nachhaltig von familialen Belastungen beeinflußt wurde.
Sie zeigten z.B. fehlende Impulskontrolle und Aggressionen bereits vor der Elterntrennung.
O’Leary und Emery (1984 in: Fthenakis 1995, 134-135) fanden ebenfalls signifikante
Zusammenhänge zwischen elterlichem Konflikt vor der Scheidung und kindlichen Fehlentwicklungen,
allerdings nur dann, wenn im familialen System weitere Stressoren vorhanden waren, wie
Depressionen eines Elternteils und inkonsistentes Elternverhalten. Dies weist daraufhin, daß nicht alle
Kinder, die elterlichen Konflikten ausgesetzt sind, mit Verhaltensauffälligkeiten reagieren müssen. Die
Entwicklung von Verhaltensstörungen darf demnach nicht monokausal auf elterliche Konflikte allein
zurückgeführt werden, sondern muß immer in Zusammenhang mit vielen verschiedenen ungünstigen
Bedingungen gesehen werden.
Bleiben die Konflikte, die schon vor der Scheidung vorhanden waren, auch nach ihr noch bestehen, so
sind die Kinder in einer solchen Situation eine der am stärksten betroffenen Risikogruppen bezüglich
der Entwicklung von andauernden Verhaltensauffälligkeiten (vgl. Johnston et al., 1985 in: Fthenakis,
1995, 135).
„Ein hohes Ausmaß elterlicher Konflikte in den Jahren nach der Scheidung ist konsistent mit
ausgeprägten Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen assoziiert“ (Fthenakis, 1995, 135).
In der Untersuchung von Hetherington, Cox u. Cox (1982, in: Niesel, 1995, 163) hatten sich die
Kinder etwa nach zwei Jahren von den Belastungen der Trennung ihrer Eltern und den damit
verbundenen Konflikten erholt, die sich nach der Scheidung in einer stabilen, konfliktarmen Situation
befanden. Hielten die Konflikte der Eltern jedoch an, waren die Verhaltensauffälligkeiten stärker als
die der Kinder in nicht geschiedenen Familien mit hoher Konfliktbelastung.
Diese Zusammenhänge lassen die These zu, daß das eigentliche Problem der Scheidungskinder mehr
im Miterleben der Auseinandersetzungen der Eltern und des Scheiterns deren Beziehung liegt, als in
der Tatsache der Scheidung als solcher (vgl. Koechel, 1995, 35).
Aus diesen Erkenntnissen läßt sich außerdem der Schluß ziehen, daß die These, eine Scheidung sei für
Kinder eine unzumutbare Belastung, die es zu vermeiden gilt, so nicht stimmt. Für eine Reihe von
Kindern wäre es vielleicht günstiger gewesen, hätte sich die Konfliktfamilie schon früher aufgelöst.
Allerdings wäre dies daran geknüpft, daß die Eltern es schaffen, nach der Scheidung günstigere
Entwicklungsbedingungen zu schaffen als davor (vgl. Figdor, 1991, 118).
Welche Auswirkungen elterliche Konflikte vor und nach der Scheidung für Kinder haben können
wurde bereits in Kapitel 3 deutlich. Ich möchte deshalb nur nochmals daraufhinweisen, daß Kinder in
Konflikten oft als Bündnispartner und Spielball von den Eltern benutzt werden. Kinder sind häufig
gezwungen, Partei für einen Elternteil zu ergreifen oder schlimmmstenfalls einen Elternteil sogar
abzulehnen, was sie in schwere Loyalitätskonflikte stürzen kann.
Napp-Peters konnte in ihrer Studie feststellen, daß die überwiegende Mehrheit der Scheidungskinder
mit langfristigen Störungen aus Familien stammt, in denen die Konflikte nach der Scheidung anhielten,
deren Eltern durch ihr Verletztsein, ihre Demütigung und ihren Zorn so in Anspruch genommen
93
wurden, daß sie den Bedürfnissen der Kinder nicht gerecht werden konnten und aus solchen, deren
Eltern keinen Kontakt mehr zueinander hatten (vgl. Napp-Peters, 1988, 42).
Wie in Punkt 3.3.2 schon erwähnt, können Kinder, deren Eltern keinen Kontakt mehr zueinander
haben und sich oft auch gegenseitig ablehnen, häufig nur unter starken Loyalitätkonflikten Kontakt zu
beiden Elternteilen halten. Außerdem ist der Kontakt zu beiden auch dadurch erschwert, daß Kinder,
wie schon in Punkt 3.3.3 hinsichtlich der parallelen Elternschaft erläutert, mit zwei völlig getrennten
Lebenswelten zurechtkommen müssen, die nicht mehr zueinander in Beziehung stehen.
Die Konflikthypothese, welche besagt, daß ein anhaltendes Konfliktniveau zwischen den Ehepartnern
für die kindliche Entwicklung schädlicher sei, als eine Trennung der Eltern, und daß die
Scheidungsfolgen zum größten Teil auf die erlebten elterlichen Konflikte zurückzuführen sind, wird in
den letzten Jahren zu Erklärung der Scheidungsfolgen favorisiert. Es wird immer mehr in Frage
gestellt, daß die Hauptursache für die Anpassungsprobleme der Kinder die Scheidung ist (vgl. RhielEmde, 1992, 419-420).
4.3 Familienformen nach der Ehescheidung
Kinder leben nach einer Scheidung laut Ahrons in einer Zweikernfamilie (vgl. Punkt 2.3.2). Wie
gestaltet sich nun diese Familienform? Kommt es in allen Fällen zu diesen binuklearen
Familienformen nach einer Scheidung?
Die schon mehrfach erwähnte Studie von Napp-Peters über Scheidungsfamilien wurde nach 12 Jahren
mit einer zweiten Erhebungsphase 1992/93 erweitert, um herauszufinden, in welchen Familienformen
Scheidungskinder nach einer Scheidung leben und welche Erfahrungen sie damit machen (vgl. NappPeters, 1995, 15).
Folgende Ausführungen zu den unterschiedlichen Familienformen beziehen sich auf diese Studie (vgl.
Napp-Peters, 1995).
Kinder leben nach der Scheidung entweder mit einem Elternteil in einer Einelternfamilie oder im Falle
einer Wiederheirat des Elternteils, bei dem sie leben, in einer in der Fachliteratur benannten
Stieffamilie. Napp-Peters verwendet anstelle des Begriffs „Stieffamilie“ den Begriff der
„Mehrelternfamilie“, da diese Bezeichnung die Struktur der Nachscheidungsfamilie besser
kennzeichnet, da Kinder im Falle einer Scheidung mehrere Eltern haben, die jeweils biologische oder
faktische Elternschaft leben, und außerdem kann der mit negativen Assoziationen und
gesellschaftlichen Vorurteilen belastete Begriff „Stieffamilie“ durch einen neutraleren ersetzt werden
(vgl. Napp-Peters, 1995, 26).
Napp-Peters unterscheidet vier verschiedenen Typen von Familienformen, in denen Kinder sich nach
einer Scheidung ihrer Eltern zurechtfinden müssen.
Ich möchte diese Formen kurz schildern und die Konsequenzen aufzeigen, die diese für die Kinder
haben können. Napp-Peters kam nämlich zu dem Schluß, daß die langfristige Entwicklung der
94
Scheidungskinder auch dadurch beeinflußt wird, in welcher Familienform sie nach der Scheidung
leben, bzw. wie sich die Familienbeziehungen und der Familienstil nach der Scheidung entwickelt
(vgl. ebd., 12).
Napp-Peters unterscheidet vier Familienformen:
-Mehrelternfamilien als Normalfamilien,
-Offene Mehrelternfamilien,
-Einelternfamilien, die kooperieren,
-Einelternfamilien, die ausgrenzen.
4.3.1 Mehrelternfamilien als Normalfamilien37
Kennzeichen dieser Mehrelternfamilie ist, so zu tun, als ob sie eine ganz normale Familie aus Mutter,
Vater und gemeinsamen Kindern wären. Die Kinder werden deshalb aufgefordert, den nicht
biologischen Elternteil Mutter oder Vater zu nennen. In dieser Familienform wird nicht differenziert
zwischen biologischer und faktischer Elternschaft, d.h. die Stiefeltern nehmen automatisch die Stelle
des nicht mehr in der Familie lebenden Elternteils ein. Dieser außerhalb lebende Elternteil und die
Verwandschaftsbeziehungen seinerseits werden in der Regel von der Familie ferngehalten und vom
Familiengeschehen ausgegrenzt. Oft ist diese Ausgrenzung mit einer Abwertung des getrenntlebenden
Elternteils und seiner Verwandtschaft verbunden. Eine solche Familie stellt somit kein binukleares
Familiensystem dar, da die Kinder keinen Kontakt mehr zu dem Haushalt des getrenntlebenden
Elternteils haben können.
Oft kommt es in diesen Familien auch zur Adoption der Kinder durch den Stiefelternteil, um der
Normalität noch mehr Ausdruck zu verleihen.
Das Ziel der Eltern dieser Mehrelternfamilien ist häufig die Vorstellung, den Kindern nach der
Scheidung mit dieser Familienform wieder eine intakte vollständige Familie zu bieten und damit ihr
Schuldgefühl, das sie aufgrund der Scheidung gegenüber ihren Kindern empfanden, wieder
loszuwerden.
In diesen Mehrelterfamilien muß die Vergangenheit verdrängt werden, damit die Normalität der
Familienbeziehungen betont werden kann. Alle Familienmitglieder müssen ihr Anderssein verbergen.
Kinder haben innerhalb dieser Familien keine Möglichkeit, ihre Gefühle, die mit der Trennung ihrer
Eltern zu tun haben, zuzulassen, auszusprechen und aktiv zu bewältigen. Sie sind dadurch häufig in der
Familie mit der Verarbeitung ihrer Vergangenheit völlig alleingelassen. Die Kinder leiden darunter,
daß sie nicht über ihre Vergangenheit reden dürfen. Die Verdrängung der Gefühle macht sich bei
ihnen nicht selten in der Entwicklung psychosomatischer Beschwerden bemerkbar.
Kinder aus diesen Familien äußerten in den Interviews der Studie von Napp-Peters oft, daß ihre
Kindheit und Jugend die unglücklichste Zeit in ihrem Leben war. Häufig sind diese Kinder depressiv
und mit ihrem Leben unzufrieden. Sie fühlen sich von dem weggeschiedenen Elternteil im Stich
95
gelassen. Ihr Wunsch, weiterhin Kontakt zu diesem Elternteil zu halten, wird in diesen Familien als
illoyal und kränkend empfunden und muß von den Kindern verleugnet werden.
In der Regel ist für Scheidungskinder die Erfahrung einer Wiederheirat sehr bedrohlich und mit
zahlreichen Schwierigkeiten verbunden. Den Kindern fällt es schwer, zu akzeptieren, daß ihr
Elternteil, bei dem sie nach der Scheidung leben, nun nicht mehr für sie alleine da ist, sondern der
neue Partner auch wichtig ist. Besonders schwierig ist diese Situation für die Kinder, die nach der
Scheidung eine Art Partnerersatz für ihr Elternteil waren, weil diese Rolle nun überflüssig wird. Viele
Kinder reagieren mit großer Eifersucht und sehen den neuen Partner als Konkurrenten um die Gunst
ihres Elternteils.
Zusätzlich wird diese problematische Situation noch verstärkt, indem die Mehrelternfamilien, die sich
als Normalfamilien verstehen, den weggeschiedenen Elternteil ausgrenzen und den neuen Partner als
Ersatzelternteil verstehen. Kinder müssen demzufolge den Elternteil, um dessen Verlust sie trauern,
verleugnen, was sie als Verrat am eigenen Elternteil empfinden.
Unter solchen Umständen entwickelt sich in den meisten Fällen keine gute emotionale Beziehung
zwischen den Kindern und dem Stiefelternteil. Stiefelternteile, die als Ersatzeltern fungieren, werden
von vielen Kindern abgelehnt, und es kann zu häufigen Spannungen und Streitereien kommen.
Diese Ablehnung der Kinder birgt die Gefahr in sich, daß der Stiefelternteil mit der Zeit auch von
seinem Partner abgelehnt und aus der Familie ausgestoßen wird.
Eine andere Folge dieser Spannungen und Streitereien kann sein, daß den Kindern dafür die Schuld
zugeschoben wird und sie bestraft werden. Viele Kinder reagieren unter diesen belastenden
Umständen häufig mit Verhaltensauffälligkeiten. Manche Kinder ergreifen auch sehr früh eine
Berufsausbildung, um das Elternhaus verlassen zu können.
Weiterhin besteht in diesen Familien das Risiko, daß die Kinder, die sich an diese neue Familienform
nicht anpassen können und weiterhin um den weggeschiedenen Elternteil trauern, aus der Familie
ausgegrenzt werden, da sie den Normalitätsanspruch dieser Familienform gefährden. Solche Kinder
werden z.B. zum geschiedenen Partner geschickt, zu Großeltern, ins Internat, in Pflegefamilien oder
Heime gegeben.
Die ausgegrenzten, von der Familie getrenntlebenden Elternteile, leiden in der Regel darunter, daß sie
keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben und wünschen, daß sie sich mehr um sie kümmern
könnten.
Kinder, die in dieser Nachscheidungsfamilienform leben, die ihnen den Kontakt zu ihren beiden
biologischen Elternteilen, zu denen sie eine Beziehung aufgebaut hatten, verwehrt, leiden oft bis ins
Erwachsenenalter unter dem Verlust eines Elternteils, fühlen sich nicht liebenswert und besitzen häufig
ein mangelndes Selbstwertgefühl.
Die Wiederheirat ist für viele Familien nach einer Scheidung, vor allem für finanziell schlecht gestellte
alleinerziehende Mütter, oft der Weg, die wirtschaftliche Lage zu verbessern.
Allerdings führt diese Familienform nicht zu einer Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehungen.
37
vgl. Napp-Peters, 1995, 30-67.
96
In der Studie von Napp-Peters hatte sich die Zahl der Eltern dieser Familienformen, die von
erheblichen Erziehungsschwierigkeiten berichteten, nach 12 Jahren (d.h. bei der zweiten Erhebung der
Studie, im Vergleich zur ersten), fast verdoppelt (vgl. Napp-Peters, 1995, 66). Kinder dieser
Familienformen zeigten in der Studie oft massive psychische Auffälligkeiten, Drogenmißbrauch,
übermäßigen Alkoholkonsum und sexuelle Probleme.
4. 3.2 Offene Mehrelternfamilien38
Kennzeichen dieser Mehrelternfamilien ist, daß sie sich ihrer Andersartigkeit im Vergleich zur
klassischen Kernfamilie stellen und nach neuen Wegen in der Gestaltung der Familienbeziehungen
suchen.
In diesen Familien werden der abwesendene Elternteil und der Stiefelternteil, jeweils in ihren
unterschiedlichen Rollen, ins Familiengeschehen integriert.
Voraussetzung für die Entwicklung dieser Familienform ist, daß die geschiedenen Partner die
Paarebene, d.h. ihre Konflikte, die sie als Ehepartner miteinander hatten und vielleicht noch haben,
von der Elternebene trennen und weiterhin als Mütter und Väter ihrer Kinder kooperieren. Diese
Kooperation ist auch vor allem dann möglich, wenn die Ex-Partner ihre Beziehung zueinander geklärt
und die psychische Scheidung, wie in Punkt 3.3.1 beschrieben, bewältigt haben.
Solche Familienformen stellen binukleare Familiensysteme dar, da die Kinder zum Vater- und
Mutterhaushalt Kontakt haben können.
Kinder gehen in der Regel meist relativ selbstbewußt und locker mit dem Faktum der Mehrelternschaft
um, wenn die Erwachsenen, wie dies in diesen offenen Mehrelternfamilien der Fall ist, sich in ihren
verschiedenen Elternrollen akzeptieren und den Kindern den positiven Umgang mit beiden leiblichen
Elternteilen und dem Stiefelternteil erlauben.
Stiefelternteile in diesen offenen Mehrelternfamilien erwarten nicht, daß sie von den Kindern als
Ersatzeltern gesehen und akzeptiert werden, sondern sie leben bewußt damit, daß sie nicht Vater oder
Mutter der Kinder sind. Sie verstehen sich eher als Freund oder als Partner des Elternteils der Kinder.
Sie müssen ihre eigenständige Rolle neben den biologischen Eltern finden, was oft nicht leicht ist, da
es dafür in unserer Gessellschaft keine verbindlichen Rollenmodelle und Verhaltensmuster gibt, an
denen sich Stiefeltern orientieren können.
In diesen offenen Mehrelternfamilien herrschen komplexe Familienbeziehungen, da keine früheren
Familien- und Verwandschaftsbeziehungen, wie dies „Mehrelternfamilien als Normalfamilien“ tun,
ausgegrenzt werden.
Es kann zu folgenden Beziehungsebenen kommen (vgl. Maier-Aichen u. Friedl, 1997, 311):
 die neuen Partner zueinander;
 Stiefelternteil zu Stiefkind;
 leiblicher Elternteil, bei dem das Kind nach der Scheidung lebt, zu eigenem Kind;
97
 Kind zu außerhalb lebendem leiblichen Elternteil und eventuell zu dessen neuem Partner/Familie;
 die ehemaligen Partner zueinander;
 Stiefelternteil zu außerhalb lebendem leiblichen Elternteil (Ex-Ehepartner seines neuen Partners);
 neues Elternpaar zu gemeinsamem Kind;
 Geschwister/Stiefgeschwister/Halbgeschwister zueinander;
 Stieffamilienmitglieder zur erweiterten Familie (Großeltern und Verwandte).
Das Zurechtfinden in diesen komplexen Beziehungsstrukturen stellt hohe Anforderungen an alle
Familienmitglieder. Es erfordert Toleranz, Kooperationsbereitschaft und Konfliktfähigkeit. In diesen
Familien muß viel kommuniziert werden, um Verantwortlichkeiten der unterschiedlichen
Familienmitglieder zu regeln. Wie schon erwähnt sind diese Familien in ihrer Gestaltung völlig auf
sich gestellt, da es noch keine verbindlichen Muster und Normen für diese Familienformen gibt.
Die positiven Auswirkungen dieser Familienstrukturen liegen für Kinder darin, daß sie ohne
Loyalitätskonflikte weiterhin zu allen Personen, zu denen sie Beziehungen leben wollen, Kontakt
halten können. Außerdem müssen sie die Erfahrung der Scheidung nicht verdrängen, sondern können
offen damit umgehen. Sie müssen die Andersartigkeit ihre Familienbeziehungen nicht verschweigen,
sondern lernen, sie aktiv zu gestalten.
Die Stiefelternteile in diesen offenen Familienformen werden in der Regel von den Kindern als Freund
akzeptiert, und es kommt nicht zu den Schwierigkeiten, die Mehrelternfamilien haben, die sich als
Normalfamilien verstehen.
Offene Mehrelternfamilien erweitern außerdem den Verwandtschaftskreis der Kinder. Durch die
Wiederheirat können Kinder Beziehungen hinzugewinnen, die potentielle Quellen von Beistand und
Unterstützung
sein
können.
Ferner
verlieren
diese
Kinder
auch
nicht
ihre
alten
Verwandschaftsbeziehungen vonseiten des getrenntlebenden Elternteils.
Kinder dieser offenen Mehrelternfamilien scheinen nach den Berichten der Eltern in der Studie von
Napp-Peters die Scheidung und die Wiederverheiratung recht gut bewältigt zu haben, d.h. ohne
nennenswerte Verhaltensauffälligkeiten.
Ich möchte auf die unterschiedlichen Formen und Schwierigkeiten der Mehrelternfamilien nicht weiter
eingehen, sondern lediglich auf einen Aufsatz von Maier-Aichen u. Friedl, 1997 verweisen, in dem sie
die Situation von Stieffamilien bzw. Mehrelternfamilien differenziert erläutern.
Abschließend zu den Mehrelternfamilien möchte ich allerdings nochmals zusammenfassend auf
günstige Voraussetzungen hinsichtlich des Gelingens dieser Familienform hinweisen, die aber
lediglich als Orientierungspunkte verstanden werden dürfen und nicht als allgemeingültige
Empfehlungen, da viele verschiedene, oft voneinander abhängige Faktoren (wie z.B. die
Persönlichkeiten, d.h. die persönlichen Ressourcen und Fähigkeiten der einzelnen Familienmitglieder,
die sozio-ökonomische Situation der Familie etc.) die Anpassungsprozesse in diesen Familien
beeinflussen.
38
vgl. Napp-Peters, 1995, 68-92.
98
Günstige Bedingungen können sein (vgl. Maier-Aichen u. Friedl, 1997, 321):
 eine stabile und gute Paarbeziehung der neuen Partner, in denen Konflikte offen angegangen und
Unterschiede in den Persönlichkeiten und Vorstellungen toleriert werden können;
 eine starke Familienorientierung der Ehepartner, d.h. daß beide viel Toleranz und Engagement für
den Aufbau der Familienbeziehungen aufbringen und die als Familie gemeinsam verbrachte Zeit
einen hohen Stellenwert hat;
 das Interesse des Stiefelternteils an seinem Stiefkind und seine Bereitschaft, sich auf das Kind
einzulassen;
 ein außerhalb lebender leiblicher Elternteil, der entweder kooperativ ist oder zumindest nicht
störend in den Gestaltungsprozeß der Mehrelternfamilie eingreift;
 die Möglichkeit, daß Kinder zuverlässige und vertrauensvolle Beziehungen zu den verschiedenen
Elternfiguren haben können, d.h.:
-eine kontinuierliche Beziehung zu dem Elternteil, bei dem sie leben, die nicht
durch die zweite Heirat in Frage gestellt wird,
-die Möglichkeit des Kindes, eine eigenständige Beziehung zu seinem Stiefelternteil
aufzubauen,
-eine
uneingeschränkte
und
gute
Beziehung
zwischen
dem
Kind
und
seinem
außerhalb lebenden leiblichen Elternteil.
4.3.3 Einelternfamilien, die kooperieren39
Bei dieser Lebensform haben die geschiedenen, alleinerziehenden Elternteile keine neuen dauerhaften
Lebenspartner. Sie leben mit ihren Kindern in einer Einelternfamilie. Das entscheidende Merkmal
dieser kooperierenden Eineltern-familien ist, daß der außerhalb lebende Elternteil in die
Familienbeziehungen integriert ist, d.h. der Kontakt zwischen den Kindern und ihm ist nicht
abgebrochen, sondern besteht weiter. Somit stellt diese Familienform eine binukleare Familie dar, in
der den Kinder zwei Haushalte zugänglich sind.
Auch hier haben es die Eltern geschafft, trotz Beendigung ihrer Ehe die Elternschaft weiterhin
gemeinsam wahrzunehmen. Diese gemeinsame Verantwortung beider Elternteile kann einen großen
Beitrag zur Stabilisierung des Familiensystems nach der Scheidung und eine positive Anpassung an
die sich verändernden Gegebenheiten leisten. Wie in Punkt 4.2.1 beschrieben leiden viele
Alleinerziehende nach der Scheidung unter der Mehrfachbelastung, was sich negativ auf ihr
Wohlbefinden und das ihrer Kinder auswirken kann. Trägt nun der getrenntlebende Elternteil
99
weiterhin Verantwortung für die Familie und wird von dem alleinerziehenden Elternteil nicht
ausgegrenzt, so kann dies eine große Entlastung und Unterstützung für den Elternteil sein, der mit den
Kindern zusammenlebt.
Dadurch, daß die Kontakte zum ehemaligen Partner bestehen bleiben, existieren meist auch weiterhin
dessen Verwandtschaftsbeziehungen. Eine Scheidung muß dadurch nicht, wie ebenfalls in Punkt 4.2.1
beschrieben, zu einer Reduzierung der Kontakte führen, bei der die Gefahr der Isolierung und
Vereinsamung der Scheidungsfamilie besteht.
Für Kinder in diesen kooperierenden Einelternfamilien sind die Veränderungen nach einer Scheidung
in vielen Fällen nicht so gravierend, da der außerhalb lebende Elternteil für sie, wenn auch in einer
anderen Form, präsent bleibt.
Manche Kinder, derern Väter nach der Scheidung Kontakt zu ihnen halten, verbringen nun sogar mehr
Zeit mit ihnen, als zuvor (vgl. Fthenakis et al., 1982, 97-98).
Die meisten befragten Eltern dieser Familienform sind in der Studie von Napp-Peters der Ansicht, daß
ihre Kinder die Scheidung recht gut bewältigt haben. Außerdem schätzen sie ihre eigene Beziehung zu
den Kindern überwiegend als eng und herzlich ein und berichten wenig von problematischen oder
konflikthaften Entwicklungen in ihrer Beziehung zum Kind (vgl.Napp-Peters, 1995, 108).
Erleben die Kinder nach einer Scheidung eine gut funktionierende Einelternfamilie, die finanziell und
sozial über gute Ressourcen verfügt, wie z.B. tragfähiges Einkommen des Elternteils, gute
Kinderbetreuungsmöglichkeiten, soziale Kontakte, ausreichende Wohnverhältnisse, entwickeln sie oft
besondere Sozialisationskompetenzen. So zeigen sie beispielsweise eine große Selbständigkeit, da
durch die Berufstätigkeit des Elternteils keine Gefahr einer Überbehütung (overprotection) besteht,
wie sie in Zweielternfamilien häufiger vorkommen kann. Außerdem erleben Kinder in
Einelternfamilien vermehrt einen partnerschaftlichen und weniger dirigistischen Erziehungstil, da ihre
alleinerziehenden Elternteile eher Konflikte aushandeln, als Weisungen zu erteilen. Das Ergebnis
dieses Eeziehungsstils sind oft sehr selbständige, selbstbewußte und gerade auch schulisch
erfolgreiche Kinder (vgl. Gutschmidt, 1997, 302).
Weitere positive Auswirkungen dieser Einelternfamilien habe ich bereits in Punkt 4.1.5 unter den
positiven Folgen einer Ehescheidung beschrieben. Ich möchte an dieser Stelle nicht näher auf eine
Diskussion von Einelternfamilien, die früher von vorneherein als defizitär betrachtet wurden, heute
aber immer mehr die positiven Aspekte dieser Lebensform gesehen werden, eingehen, sondern
verweise lediglich auf Gutschmidt, 1997 und Rauchfleisch, 1997.
4.3.4 Einelternfamilien, die ausgrenzen40
In diesen Einelternfamilien wird der getrenntlebende Elternteil nach der Scheidung ausgegrenzt,
wodurch es zu keiner binuklearen Familienform kommt.
39
40
vgl. Napp-Peters, 1995, 93-111.
vgl. Napp-Peters, 1995, 112-137.
100
Der häufigste Grund für den Kontaktabbruch besteht darin, daß die Konflikte nach der Scheidung
anhalten, daß jedes Elternteil noch so verletzt ist, daß es den anderen sowohl psychisch, als auch
physisch aus seinem Leben und dem der Kinder ausschließt und ihn abwertet. Daß diese Situation für
Kinder mit hohen psychischen Belastungen verbunden ist, wurde nun schon zur Genüge klar.
Solche ausgrenzenden Einelternfamilien verlieren in der Regel auch alle Kontakte, die über den
getrenntlebenden Elternteil bestanden, wodurch sich das für die Unterstützung so wichtige soziale
Netzwerk verkleinern kann. Die meisten dieser Familien leiden an sozialer Isolierung und Einsamkeit.
Napp-Peters stellte in ihrer Studie fest, daß die Familien, die nach der Scheidung zu ausgrenzenden
Einelternfamilien wurden, oft schon vor der Scheidung zerrüttete Familienverhältnisse aufwiesen, wie
z.B. Alkoholprobleme, körperliche Gewalt zwischen den Eltern etc. Viele dieser Einelternfamilien
litten nach der Scheidung außerdem finanzielle Not, was zur Folge haben kann, daß Kinder früh die
Schule verlassen müssen, um die Familie durch eine Berufstätigkeit finanziell unterstützen zu können.
In dieser Familienform kommt es oft zu den schon beschriebenen problematischen Rollenverteilungen
unter den Familienmitgliedern, wie z.B., daß Kinder zum Partnerersatz oder parentifiziert werden, d.h.
z.B. zu große Verantwortung in Haushalt oder Kinderbetreuung bekommen, oder daß Kinder in die
Rolle des negativ bewerteten getrenntlebenden Elternteils gedrängt werden. Viele Kinder, die solche
negativen Familienbeziehungen erleben, entwickeln oft langfristige Verhaltensauffälligkeiten, wie in
Punkt 4.1.4 beschrieben.
In der Studie von Napp-Peters erlebten fast alle Kinder aus diesen Einelternfamilien die Scheidung
ihrer Eltern als schmerzlich und belastend und erklärten auch noch zwölf Jahre später, daß es eine
Erfahrung war, die ihre Kindheit und Jugend stark negativ beeinflußt hat und unter der manche immer
noch leiden (vgl. Napp-Peters, 1995, 115). Bei den Eltern dieser Familien hatte sich nach zwölf Jahren
die Zahl derer fast verdoppelt, die von Schwierigkeiten mit ihren Kindern berichteten (vgl. ebd., 135).
Dies weist daraufhin, daß diese ausgrenzende Familienform, die oft verbunden ist mit sozialer
Isolation, finanziellen Problemen, zerrütteten Familienbeziehungen, die Reorganisation der Familie
nach der Scheidung erschwert und bei Kindern zu langfristigen Störungen führen kann.
In dieser Familienform fehlte vor allem ein „zweiter Erwachsener, der als Puffer für die Ängste und
den Schmerz dienen konnte und der in Notsituationen einfach da war“ (ebd., 136).
101
4.3.5 Fazit
Diese Darstellung der verschiedenen Familienformen ist idealtypisch zu verstehen, da die einzelnen
Formen nicht genau in der Weise strukturiert und die unterschiedlichen positiven und negativen
Bedingungen nicht unbedingt so auftreten müssen, wie sie beschrieben wurden. Es sollte mit der
Erläuterung dieser Typen nur verdeutlicht werden, daß die Scheidungsbewältigung der Kinder, neben
vielen anderen Faktoren, auch von den Familienformen und deren unterschiedlichen Bedingungen
beeinflußt werden.
Außerdem soll daraufhin gewiesen werden, daß es nach einer Scheidung zu einer Reorganisation eines
binuklearen Familiensystems kommen kann, was eine positive Scheidungsbewältigung für Kinder
bedeutet. Anhand von offenen Mehrelternfamilien und kooperierenden Einelternfamilien kann gezeigt
werden, daß es möglich ist, daß eine Scheidung nicht zu einer langjährigen Beeinträchtigung der
Kinder führen muß, sondern, daß es Wege gibt, eine Scheidung und deren Folgen konstruktiv zu
gestalten.
„Eltern, die übereinstimmend sagen, sie können nicht zusammenleben, die aber dennoch freundlich
und kooperativ bleiben, die den Haushalt des anderen Partners respektieren und ihre Verantwortung
als Eltern gemeinsam ausüben, können ihren Kindern wertvolle Einsichten über Beziehungen mit auf
den Lebensweg geben“ (Napp-Peters, 1995, 111).
Solche Kinder lernen z.B., daß es konstruktive Wege gibt, eine Beziehung, die nicht mehr lebbar ist,
zu beenden, ohne daß langjährige Verletzungen und Beeinträchtigungen entstehen müssen.
Damit dieser konstruktive Umgang mit einer Scheidung noch mehr Familien gelingt (vermutlich
schaffen dies immer noch nur eine verschwindenden Minderheit), müssen diese positiven Modelle
noch mehr in die Öffentlichkeit dringen und die wohl immer noch gängige öffentliche Meinung, nach
der Scheidung wäre es das beste, einen klaren Schlußstrich zu dem geschiedenen Partner zu ziehen,
muß revidiert werden.
Diese positiven Modelle müssen in unserer Zeit, in der es viele Ehescheidungen gibt, viel mehr in den
Vordergrund treten und Familien so Orientierungshilfe in der kritischen Zeit der Scheidung geben.
Da dieser konstruktive Umgang mit einer Scheidung, der vor allem fordert, daß Eltern die Paarebene
und die Elternebene und sich als Partner psychisch voneinander trennen, hohe Anforderungen an die
Betroffenen stellt, ist es besonders wichtig den Scheidungsfamilien die notwendige Unterstützung und
Hilfe zu bieten.
In dem letzten Kapitel meiner Arbeit soll es deshalb darum gehen, welche Hilfen für
Scheidungsfamilien wichtig sind, damit eine positive Scheidungsbewältigung gelingen kann.
102
5. Bewältigungsmöglichkeiten und -hilfen im Prozeß der
Ehescheidung
Nachdem nun klar geworden ist, daß eine Ehescheidung mit vielen verschiedenen Veränderungen
innerhalb eines Familiensystems verbunden ist, die leicht zu einer Überforderung der Betroffenen und
zu ungünstigen Entwicklungen in ihrem Leben führen können, soll es in diesem abschließenden
Kapitel darum gehen, wie den betroffenen Familien dabei geholfen werden kann, den komplexen
Prozeß der Ehescheidung so zu gestalten, daß er für alle Beteiligten nicht zu langfristigen negativen
und zerstörerischen Entwicklungen führen muß.
Da es in meiner Arbeit schwerpunktmäßig um die Kinder im Scheidungsgeschehen geht, werden sie
auch hier vermehrt berücksichtigt werden.
Zuerst gebe ich einen Überblick über günstige Bewältigungsbedingungen, die sich aus den bisher
erläuterten Zusammenhängen schlußfolgernd zusammenfassen lassen. Dabei wird es sich nicht
vermeiden lassen, Aspekte zu erwähnen, die bereits in anderen Kapiteln angeklungen sind.
Danach werde ich auf Bewältigungshilfen und Angebote der Scheidungsberatung eingehen. Bei den
Interventionsangeboten
soll
es
nicht
um
solche
gehen,
die
im
Zusammenhang
des
Desorganisationsmodells der Ehescheidung (vgl. Punkt 2.3.1 und 2.3.2) im Vordergrund standen und
vor allem meist nach der Ehescheidung einsetzten, um Kinder, die Verhaltensauffälligkeiten zeigten,
zu therapieren. Hier möchte ich auf Bewältigungsmöglichkeiten und -hilfen hinweisen, die eher
103
präventiven Charakter haben, da sie einen positiven Umgang mit Scheidungen ermöglichen und
langfristige Störungen verhindern sollen.
„Grundsätzlich kann ... früh einsetzende Hilfe für Scheidungsfamilien durch ein entsprechendes
Ünterstützungssystem oder spezielle Beratungsangebote viele der in Scheidungsfamilien auftretenden
Probleme verringern oder in der Entstehung stoppen“ (Klein-Allermann u. Schaller, 1992, 288).
Ich werde drei verschiedene Arten von Hilfsangeboten vorstellen und möchte an dieser Stelle auf ein
Buch verweisen, in dem eine Vielzahl von Beratungsangeboten diskutiert werden: Witte et al., 1992.
5.1 Günstige Bewältigungsbedingungen
Nachdem in der Arbeit schon mehrmals daraufhingewiesen wurde, wie wichtig das Verhalten der
Eltern im Scheidungsprozeß hinsichtlich einer positiven Bewältigung für Kinder ist, möchte ich nun
erläutern, wie ein Elternverhalten aussehen sollte, das den Kinder zu einer gelingenden
Scheidungsanpassung verhelfen könnte.
Danach gehe ich auf hilfreiche sozio-ökonomische Bedingungen im Scheidungsbewältigungsprozeß
ein, die ebenfalls eine bedeutende Rolle spielen, wie in Punkt 4.2.1 erläutert wurde.
5.1.1 Positives Elternverhalten
„Die Eltern können ihren Kindern durch ihr Verhalten während der Krise und danach das Leben in
jeder Hinsicht erleichtern. Die Unterstützung der Eltern ist entscheidend, um Kinder auf eine
Scheidung vorzubereiten und ihnen durch das unvermeidliche Chaos zu helfen“ (Wallerstein u.
Blakeslee, 1989, 336).
Wie diese Unterstützung aussehen kann wird im folgenden dargelegt41.
 In Punkt 4.1.1 wurde erläutert, welche Gefühle eine elterliche Scheidung bei Kindern auslösen
kann. In diesem Zusammenhang ist es besonders bedeutend, daß Eltern überhaupt den seelischen
Kummer ihrer Kinder wahrnehmen und ihn aufgrund eigener Belastung und Betroffenheit nicht
übersehen. Es wäre hilfreich, wenn sie Verständnis für die Gefühle der Kinder haben und ihnen
Raum geben, diese zuzulassen. Erfahren Kinder hier elterliche Unterstützung, müssen sie sich mit
ihren Problemen nicht alleingelassen fühlen.
 Bezüglich der Schuldgefühle, die die meisten Kinder entwickeln, ist es wichtig, daß Eltern den
Kindern immer wieder erklären, warum es zur Scheidung kam, daß es eine Angelegenheit der
Eltern ist, an der sie keine Schuld haben. Eltern sollten ihren Kindern verdeutlichen, daß sie beide
diese Scheidung verantworten und keiner sollte den anderen beschuldigen. Wird ein Elternteil zum
41
Folgende Ausführungen beziehen sich, falls nicht anders angegeben, auf Figdor, 1991, 39; Figdor,
1998, 24-27, 124-134; Textor, 1991b, 110-112; Wallerstein u. Blakeslee, 1989, 336-339).
104
Schuldigen deklariert und in Folge oft auch vom anderen abgewertet, so können Kinder diesen
beschuldigten Elternteil nicht mehr weiterhin problemlos lieben.
 Weiterhin sollten Eltern ihren Kindern immer wieder zeigen, daß sie sie liebhaben und wie
wertvoll sie sind. Diese Bestätigung ist vor allem in der Zeit der Scheidung ganz entscheidend, da
viele Kinder Angst haben, die Liebe der Eltern zu verlieren.
 Außerdem ist es notwendig, die Kinder genau über die Scheidung und deren mögliche
Veränderungen zu informieren, um die Angst vor einer ungewissen Zukunft und das Gefühl, hilflos
und ohnmächtig dieser Scheidung ausgeliefert zu sein, zu vermindern (vgl. dazu Punkt 4.1.1).
Wissen schafft Vertrauen und Sicherheit. Kinder sollten erfahren, welche Veränderungen anstehen,
wie z.B. ein Umzug oder die Aufnahme einer Berufstätigkeit der Mutter etc. Besonders sollten
auch die positiven Veränderungen genannt werden, wie z.B., daß die Eltern nach der Trennung
nicht mehr soviel streiten und weniger gereizt sein werden. Auch sollte erläutert werden, was sich
nicht verändern wird, um unnötige Ängste zu verhindern und dem Kind soviel Sicherheit wie
möglich zu vermitteln. Die Kinder müssen die Gewißheit haben, daß sie über alle möglichen
Veränderungen rechtzeitig informiert werden. Damit Kinder sich nicht als hilflose Opfer im
Scheidungsgeschehen fühlen müssen, sollten sie, soweit es möglich ist, an den Überlegungen, wie
die Familiensituation nun gestaltet werden soll, beteiligt werden. Sie erfahren dadurch, wie man
mit einer Krise aktiv und konstruktiv umgehen kann.
Die ausführlichen Gespräche über die Trennung und Scheidung und deren Endgültigkeit sind auch
deshalb besonders wichtig, da Kinder oft die Wunschvorstellung haben, es käme wieder zur
Versöhnung der Eltern. Eltern können ihren Kindern mit diesen Gesprächen helfen, die
unerfüllbaren Hoffnungen loszulassen und die schmerzliche Realität der Scheidung allmählich zu
akzeptieren.
 Damit Kinder keine langfristigen Verhaltensauffälligkeiten entwickeln müssen, ist es notwendig,
daß sie von ihren Eltern nicht in pathogene Rollen gedrängt werden, wie z.B. Partnerersatz,
Bündnispartner (vgl. Punkt 3.1.3).
 Besonders bedeutsam ist weiterhin, daß Eltern begreifen und akzeptieren, daß eine Scheidung zwar
die Ehe beendet, aber nicht die Elternschaft. Sie müssen ihre beendete, oft sehr konfliktreiche
Paarebene von der Elternebene trennen. Das bedeutet zum einen, daß sie die Paarkonflikte nicht in
ihre Eltern-Kind-Beziehung miteinbeziehen sollten. Diese Konfliktreduzierung nach der Scheidung
ist ganz entscheidend für eine gelingende kindliche Scheidungsbewältigung (vgl. Punkt 4.2.3).
Zum anderen heißt dies, daß sie trotz der geschiedenen Ehe weiterhin gemeinsam Verantwortung
für die Kinder tragen.
 Daraus ergibt sich ein weiteres sehr wichtiges Elternverhalten. Nach der Scheidung sollte das Kind
zu beiden Elternteilen weiterhin Kontakt haben können und zwar so, daß beide Elternteile diese
Kontakte akzeptieren und sie den Kindern wohlwollend ermöglichen. Beide Elternteile müssen
zulassen, daß das Kind beide lieben darf. Diese Elternhaltung ist die Voraussetzung dafür, daß
Kinder in keine Loyalitätskonflikte kommen müssen, weiterhin beide Elternteile lieben, sich mit
beiden identifizieren und sich an beiden orientieren können. Sie sind dadurch nicht gezwungen,
105
einen Elternteil und damit verbunden, die eigenen, von diesem Elternteil übernommenen,
Persönlichkeitsanteile, abzulehnen (vgl. Punkt 3.3.4). Ferner müssen Kinder, die nach der
Scheidung noch Kontakt zu beiden Elternteilen haben, sich nicht im Stich gelassen und nicht mehr
geliebt fühlen.
Fortgesetzte Beziehungen zu dem getrenntlebenden Elternteil entsprechen außerdem in der Regel
dem ausdrücklichen Wunsch der Kinder (vgl. Fthenakis, 1995, 137).
In der Gestaltung der Beziehungen zu beiden Elternteilen ist es ferner von Bedeutung, daß der
getrenntlebende Elternteil nicht nur zum Freizeitgestalter und Besuchselternteil wird, sondern
weiterhin am Alltag der Kinder, an ihren täglichen Sorgen und Aufgaben beteiligt ist, z.B. daß
auch er sich um das Erledigen der Hausaufgaben oder um Termine der Kinder kümmert. Dies hätte
zusätzlich den Nebeneffekt der Entlastung des Elternteils, bei dem die Kinder leben.
Daß der getrenntlebende Elternteil für die Kinder präsent bleiben kann, d.h. daß Kinder das
Gefühl, einen Vater, bzw. eine Mutter zu haben, auch zwischen den Besuchszeiten aufrechterhalten
können, liegt vor allem am Verhalten des Elternteils, der bei den Kindern wohnt. Günstig ist z.B.,
wenn dieser Elternteil den anderen in Gesprächen und in Alltagsfragen miteinbezieht.
Wünschenswert wäre auch, wenn Kinder neben den Besuchszeiten mit dem getrenntlebenden
Elternteil jederzeit, wenn sie wollen, Kontakt halten können, z.B. telefonisch oder persönlich.
Für viele Familien ist es allerdings hilfreich, einen festen Rahmen der Beziehungsgestaltung zum
getrenntlebenden Elternteil zu haben, damit nicht ständiges Aushandeln und Absprechen
notwendig ist, was für manche Eltern die Gefahr neuer Konflikte erhöhen könnte.
Je nach Alter der Kinder ist es im Bereich der Besuchsregelung günstig, die Kinder soweit wie
möglich, zu beteiligen und ihre Wünsche und Bedürfnisse zu berücksichtigen (vgl. Lederle et al.,
ohne Jahreszahlangabe, 29).
Zusammenfassend wird deutlich, daß ein positiver Umgang mit der Scheidung ein hohes Maß an
Einfühlungsvermögen, Offenheit, Kooperations- und Gesprächs-bereitschaft von den Eltern fordert,
und daß sie ihre Situation als geschiedenes Ehepaar, aber weiterhin verantwortungsbewußtes
Elternpaar akzeptieren und bewältigen lernen.
Diese hier aufgeführten günstigen Verhaltensweisen der Eltern, die den Kindern eine positive
Scheidungsbewältigung ermöglichen können, stellen ein sehr hohes Ideal und sehr hohe
Anforderungen an Eltern dar. Manche mögen sogar denken, daß diese Umgangsweise nicht
realisierbar und für geschiedene Eltern unzumutbar ist. Doch ich möchte darauf hinweisen, daß diese
Ausführungen nicht als Rezept und einzuhaltende Forderungen zu verstehen sind, sondern als
Orientierungshife auf dem langen Weg der familialen Veränderung, die eine Scheidung mit sich bringt.
Jede Familie muß für sich ihren eigenen Weg finden. Dafür brauchen sie Zeit zur Entwicklung und die
Möglichkeit, Fehler machen zu dürfen.
An dieser Stelle wird auch deutlich, daß es sinnvoll und notwendig ist, Scheidungsfamilien auf diesem
Weg, der mit hohen Anforderungen verbunden ist, professionell zu unterstützen und ihnen zu helfen,
106
mit kleinen Schritten zu einer positiven Gestaltung der neuen familialen Gegebenheiten zu gelangen.
Wie diese professionelle Unterstützung aussehen kann werde ich in Punkt 5.2 erläutern.
5.1.2 Günstige sozio-ökonomische Bedingungen
Wie bereits in Punkt 4.2.1 beschrieben, können belastende und ungünstige soziale und ökonomische
Veränderungen nach einer Scheidung die Entwicklung und Manifestierung langfristiger Störungen bei
Kindern fördern. Deshalb ist es sinnvoll, in diesem Bereich darauf hinzuwirken, die Einschränkungen
nach der Scheidung so gering wie möglich ausfallen zu lassen. Hier sind vor allem Veränderungen in
der Familienpolitik und in der Versorgungsstruktur für Alleinerziehende und ihren Kindern dringend
geboten, die wesentliche Vorraussetzungen für ein optimistisches Lebensgefühl und eine positive
Alltagsbewältigung gewährleisten können (vgl. Stiehler, 1997, 211). Zu erwähnen wären z.B.
ausreichend geeignete Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, Hilfen beim Wiedereinstieg in das
Berufsleben, Ermöglichung flexibler Arbeitszeiten, um Kindererziehung und Beruf vereinbaren zu
können.
Laut Rauchfleisch (1997, 18) sind z.B. Alleinerziehende im Vergleich zu „vollständigen“ Familien bei
etlichen Vergünstigungen im sozialen Bereich benachteiligt. So sind Alleinerziehende bei der Vergabe
von Genossenschaftswohnungen zum Teil explizit ausgeschlossen, obwohl gerade sie auf diese
preisgünstigen Wohnungsangebote
besonders angewiesen sind.
Außerdem gewähren viele
Reiseunternehmen nur dann Fahrpreisreduktionen für Kinder, wenn zwei voll zahlende Erwachsenen
mitreisen.
Sander (1993, 423 u. 426) betont ebenfalls, daß es auf sozial-politische Maßnahmen ankommt, die
eine Sicherung der ökonomischen Basis der Einelternfamilie zum Ziel haben und der
gesellschaftlichen Stigmatisierung, die ihrer Meinung nach in bestimmten räumlichen oder kulturellen
Subgruppen noch herrscht, entgegenwirken.
Besonders hilfreich ist es, wenn sich nach einer Scheidung das soziale Netzwerk nicht gravierend
verändert und verkleinert, d.h. die Beziehungen des gemeinsamen Bekannten- und Verwandtenkreises
der Ex-Ehepartner nicht abbrechen, da ein Abbruch für Kinder weitere Verlusterfahrungen im
Scheidungsprozeß und eine Abnahme sozialer Ressourcen für die gesamte Scheidungsfamilie bedeuten
würden. Bleiben diese Kontakte allerdings erhalten, so können diese eine stark unterstützende
Funktion haben. Sie können z.B. bei der Kinderbetreuung behilflich sein und dadurch den Elternteil,
bei dem die Kinder leben, entscheidend entlasten. Auch können diese zu Vertrauenspersonen werden,
mit denen die Kinder über ihre Gefühle und Probleme hinsichtlich der elterlichen Scheidung reden
können, da die eigenen Eltern durch ihre eigenen Sorgen dafür oft keine Zeit und Kraft haben (vgl.
Lederle, 1997, 245; Krieger, 1997, 145-152).
107
5.2 Beratungsangebote im Scheidungsprozeß
In der Regel wenden sich Ehepaare, die sich scheiden lassen wollen, an Rechtsanwälte und Richter,
die ihre Eheauflösung vollziehen und ihnen bei der Klärung der damit verbundenen Folgen helfen
sollen. Die juristische Scheidung kann zwar die Ehe formal lösen, aber sie bewirkt nicht, daß
Betroffene sich auch psychisch voneinander lösen und ihre neu entstehenden Familienbeziehungen
befriedigend gestalten können. Anstatt Eltern bei einer Scheidung zur kooperativen Zusammenarbeit
zu befähigen, verstärkt das juristische System meist noch die Konflikthaftigkeit einer Beziehung, da
Anwälte aus ihrer Berufsrolle und ihrem Selbstverständnis heraus darauf bedacht sind, ihren
Mandanten optimal zu vertreten und dessen Gewinne oft auf Kosten des anderen Ehepartners zu
maximieren. Daraus resultiert meistens, daß die Ex-Ehepartner, anstatt gemeinsame Regelungen zu
treffen, die sie beide vertreten können, immer mehr gegeneinander arbeiten und um ihren persönlichen
Sieg kämpfen. In diesem Verfahren geht es also vermehrt um Gewinner und Verlierer und nicht um
eine positive, einvernehmliche Lösung (vgl. Witte et al., 1992, 40-41).
Dieser Weg im Umgang mit Scheidungen verhindert aber in den meisten Fällen, daß es nach der
Scheidung zu einer Reorganisation der Familie, zu einer Konfliktreduzierung und zu einer elterlichen
Kooperation kommen kann. Vielmehr wird dadurch ein Abbruch der Familienbeziehungen begünstigt.
Familien, die eine Scheidung erleben, benötigen deshalb Unterstützungen, die ihnen helfen, trotz einer
Scheidung ihr Familiensystem zu erhalten, jedoch in einer veränderten Form.
Laut Erfahrungen mit Scheidungsfamilien schaffen es nur wenige Eltern von sich aus, die negativen
Gefühle und Verhaltensweisen, die eine Scheidung auslösen kann, wie Zorn, Feindseligkeiten und
Anschuldigungen, zu überwinden und nach der Trennung gemeinsam Elternverantwortung weiterhin
zu tragen. „Aber nur wenn Eltern dies gelingt, haben Kinder eine gute Chance, die Scheidung
psychisch gesund zu überstehen. Dazu benötigen Scheidungsfamilien fachliche Hilfe“ (vgl. NappPeters, 1995, 145).
Seit der Einführung des neuen Kinder- und Jugendhilfegesetzes, das 1991 in Kraft getreten ist, wurde
die „Beratung in Fragen der Partnerschaft, Trennung und Scheidung“ (vgl. §§17 u. 28 KJHG) als ein
eigenständiges Leistungsangebot der Jugendhilfe etabliert (vgl. Menne et al., 1997, 14). Solche
Beratungen werden von folgenden Institutionen angeboten:
-Erziehungs- und Familienberatungsstellen in öffentlicher und freier Trägerschaft, die
auf der Grundlage des Kinder- und Jugendhilfegesetzes arbeiten;
-Ehe-und Lebensberatungsstellen, meist in kirchlicher Trägerschaft, die vor allem auf
Erwachsene ausgerichtet sind (vgl. ebd., 14-15).
Was sollte nun eine Trennungs-und Scheidungsberatung leisten und wie sollte sie aussehen (vgl.
Menne et al., 1997, 14-21, falls nicht anders angegeben)?
„Beratungsarbeit bei Trennung und Scheidung muß sich an der Leitfrage orientieren: Was trägt dazu
bei, daß Eltern auch nach einer Scheidung Eltern sein können?“(Menne et al., 1997, 16).
108
 Sie soll dazu beitragen, daß die Reorganisation der Familie nach einer Scheidung gelingt, daß ein
binukleares Familiensystem entstehen kann. Dafür ist eine kooperative Zusammenarbeit der Eltern
hinsichtlich ihrer Kinder notwendig. Um diese erreichen zu können, sind oft viele Hilfestellungen
notwendig. Eltern sind in der Regel erst dann in der Lage , nach der Scheidung der Kinder zuliebe
zusammenzuarbeiten, wenn ihnen die Verarbeitung, der mit dem Trennungsprozeß verbundenen
emotional-affektiven Belastungen, möglich ist. Bei dieser psychischen Scheidung (vgl. Punkt
3.3.1) sollten Beratungsstellen spezifische Hilfen anbieten.
 Allerdings darf die Scheidungsberatung nicht nur die psychischen Probleme im Blick haben,
sondern muß die Komplexität der Veränderungen und die damit verbundenen Schwierigkeiten und
Belastungen berücksichtigen. Neben psychologischen Aspekten müssen auch soziale und
juristische Fragestellungen miteinbezogen werden. Die Scheidungsberatung erfordert also eine
multidisziplinäre, eine integrative Arbeit, wie Textor (1991b, 8-10) es nennt, die verschiedene
therapeutische
Methoden
zur
Verarbeitung
psychischer
Probleme,
sozialarbeiterische
Kompetenzen im Hinblick sozialer Probleme und juristische Kenntnisse beeinhalten sollte. Laut
KJHG (vgl. § 28) sollen verschiedene Fachkräfte unterschiedlicher Fachrichtungen bei der
Beratung in Trennungs- und Scheidungssituationen zusammenarbeiten, die mit verschiedenen
methodischen Ansätzen vertraut sind.

Weiterhin sollte die Trennung- und Scheidungsberatung das ganze Familiensystem, beide ExPartner, die Kinder und möglicherweise auch die neuen Partner miteinbeziehen. Wie allerdings mit
den einzelnen Familienmitgliedern gearbeitet wird, gemeinsam oder jeweils getrennt, kann ganz
unterschiedlich sein und richtet sich nach den jeweiligen Bedürfnissen der einzelnen (vgl. Diez u.
Krabbe, 1993, 202).
 Die Trennungs- und Scheidungsberatung muß sich außerdem an der wissenschaftlichen Kenntnis
orientieren, daß Scheidungen einen phasenhaften Prozeß darstellen. Es ist deshalb notwendig, daß
die Interventionsangebote phasenspezifisch über den gesamten Prozeß der Ehescheidung
ausgerichtet sind. Beratungsangebote sollen von der Vorscheidungs- bis zur Nachscheidungsphase
helfen, die Kompetenzen der Familien zu erweitern, um mit den Veränderungen und
Anforderungen in den einzelnen Phasen besser umgehen zu können.
 Die Beratung soll den sich Scheidenden helfen, fähig zu werden, eigenverantwortliche und
einvernehmliche Regelungen zu treffen, ohne daß sie Rechtsanwälte und Richter brauchen, die für
sie Entscheidungen fällen (vgl. Weber u. Beck, 1993, 211-212).
Besonders möchte ich betonen, daß die Trennungs- und Scheidungsberatung noch vielmehr an die
Öffentlichkeit dringen und mehr zu einem normalen und selbstverständlichen Angebot für
Scheidungsfamilien werden sollte. Viele Menschen besitzen eine große Schwellenangst, eine
Trennungs- und Scheidungsberatungsstelle aufzusuchen. Zur Normalisierung von Trennungs- und
Scheidungsberatung
könnten
z.B.
offene
Informationsverantstaltungen
zu
rechtlichen
und
psychologischen Fragen hinsichtlich Trennung und Scheidung beitragen. Der 1986 gegründete
Berliner Verein „Zusammenwirken im Familienkonflikt - interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft“ hat
beispielsweise
mit
solchen
Informationsveranstaltungen
109
die
Erfahrung
gemacht,
daß
die
Schwellenangst, eine Beratungstelle aufzusuchen, herabgesetzt werden konnte und Ratsuchenden der
Schritt in die Trennungs- und Scheidungsberatung dadurch ermöglicht wurde (vgl. Brehme, 1993,
230-231).
Nachdem ich nun die allgemeinen Ziele der Trennung- und Scheidungsberatung dargelegt habe,
möchte ich drei Interventionsbereiche schildern, die mir im Rahmen meiner Arbeit bedeutsam
erscheinen.
Zuerst möchte ich auf die phasenspezifische Intervention eingehen, da ich in meiner Arbeit die
einzelnen Phasen der Ehescheidung und die jeweils speziellen Anforderungen und Probleme
beschrieben habe, auf die nun damit Bezug genommen werden soll.
Danach gehe ich auf Kinderinterventionsprogramme ein, da der Schwerpunkt meiner Arbeit in der
Scheidungsbewältigung der Kinder liegt und ich damit ein Unterstützungsangebot speziell für Kinder
vorstellen möchte.
Abschließend werde ich die Scheidungsmediation erläutern, da sie eine Alternative zur oft
konfliktverstärkenden Scheidungsregelung durch die Rechtsanwälte darstellen kann.
5.2.1 Phasenspezifische Intervention
In der Beschreibung der phasenspezifischen Intervention beziehe ich mich auf Textor (1991b, 95167), der eine ausführliche Darlegung einer Scheidungsberatung bietet, die sich an dem
Prozeßcharakter der Ehescheidung orientiert.
Die Scheidungsberatung soll den Klienten helfen, den phasenhaften Scheidungsprozeß auf
bestmögliche Weise zu durchlaufen. Sie sollen „... auf der individuellen Ebene psychische
Ausgeglichenheit und einen für sie akzeptablen Grad der Leistungsfähigkeit erreichen, auf der
Paarebene zu einem relativ konfliktarmen Verhältnis finden und auf der Elternebene die Entwicklung
der Kinder fördernde Beziehungen aufrechterhalten... . Ferner können sie Hilfestellung für eine
gütliche Einigung über die Scheidungsfolgen und bei praktischen Problemen erhalten (wie
Kinderbetreuung, Haushaltsführung, Arbeitssuche, Vereinbarkeit von Familie und Beruf)“ (Textor,
1991b, 97).
110
Die Scheidungsberatung hat demnach die schwierige Aufgabe zu erfüllen, der Komplexität personaler
(intrapsychischer), dyadischer (bezogen auf das Ehepaar), familiendynamischer, juristischer,
praktischer und therapeutischer Prozesse gerecht zu werden. Sie muß, wie bereits schon in Punkt 5.2
beschrieben, viele verschiedene Methoden und Disziplinen integrieren, wie z.B. Einzel-, Ehe- und
Familienberatung, Kenntnisse über das Scheidungsrecht, Techniken der Sozialarbeit, Wissen um
Hilfsangebote der Jugendhilfe und Erfahrungen mit Mediation, auf die ich in Punkt 5.2.3 eingehen
werde.
Ich möchte nun einen groben Überblick geben, welche Beratungsaufgaben in den einzelnen
Scheidungsphasen vorliegen.
5.2.1.1 Beratung in der Vorscheidungsphase
In dieser Phase beginnt die Beratung meist mit einer Eheberatung, da Ehepartner mit ihrer Ehe
unzufrieden sind und Probleme haben. Vielen Ehepaaren ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar, ob
sie ihre Ehe weiterführen oder beenden wollen. Wichtig ist in dieser Phase, daß die Eheberater beide
Alternativen, d.h. die Rettung der Ehe, aber auch die Scheidung der Ehe berücksichtigen müssen.
„Weder die Scheidung noch das Fortsetzen der Ehe sollte an sich als ein „gutes“ oder „schlechtes“
Beratungsergebnis definiert werden. Im Einzelfall ist vielmehr zu prüfen, welche dieser Alternativen
die bessere ist, durch welche das Wohl und die Weiterentwicklung der Familienmitglieder auf Dauer
am ehesten gefördert werden“ (Textor, 1991b, 100).
Berater haben in dieser Phase also die Aufgabe, Paaren bei der Entscheidungsfindung zwischen
Trennung und Verbleib in der Ehe zu helfen. Dabei werden die beiden möglichen Alternativen
durchdacht und die Vor- und Nachteile, sowie die Konsequenzen der jeweiligen Alternative genauer
untersucht. Dadurch soll erreicht werden, daß die Partner sich genau darüber im Klaren sind, was z.B.
im Falle einer Ehescheidung auf sie zukommt, welche Veränderungen sie dann zu bewältigen haben.
Wie in Punkt 3.1.2 schon erläutert, haben viele Paare Angst vor dem Schritt einer Ehescheidung, da
sie oft die daraus resultierenden Folgen und Konsequenzen nicht einschätzen und überschauen können.
Hier ist z.B. wichtig, Betroffenen genügend Informationen hinsichtlich einer Ehescheidung zu geben
(z.B. über den juristischen Ablauf, das Scheidungsrecht, finanzielle Konsequenzen etc.).
Haben sich die Betroffenen für eine Ehescheidung entschlossen, dann geht es um die Realisierung
dieses Entschlußes. Es wird z.B. besprochen, wie die Paare ihre Entscheidung den anderen
Familienmitgliedern, ihren Freunden und Verwandten am besten mitteilen, mit welchen Reaktionen sie
zu rechnen haben und auf welche Weise sie damit umgehen können.
111
Besonders entscheidend ist hier, die sich trennenden Eltern genauestens darüber aufzuklären, wie sie
sich nun ihren Kindern gegenüber am günstigsten verhalten können, damit diese durch eine Scheidung
nicht langfistig beeinträchtigt werden müssen. Ich möchte darauf nicht mehr eingehen, da dies schon in
Punkt 5.1.1 erläutert wurde.
Außerdem können anstehende Fragen und zu unternehmende Schritte, wie Wohnungs- und
Arbeitssuche,
Einschalten
eines
Rechtanwaltes
bzw.
eines
Mediators
zur
Klärung
der
Scheidungsfolgen durchgesprochen werden.
Als nächstes beginnt für den Berater die Aufgabe, den Partnern zu helfen, sich emotional voneinander
zu lösen. Er sollte daraufhinwirken, daß die Partner beide die Scheidung akzeptieren und jeweils ihren
Anteil an der Beendigung der Ehe erkennen können. Gelingt dies und kommt es nicht zu einseitigen
Schuldzuschreibungen, dann besteht eine gute Voraussetzung für einen konstruktiven, für alle
Beteiligten positiven Umgang mit der Scheidung.
5.2.1.2 Beratung in der Scheidungsphase
In dieser Phase wäre es ideal für eine Beratung, mit dem gesamten Familiensystem zu arbeiten, da so
eine Umstrukturierung der ursprünglichen Familie am besten erreicht werden könnte. Dies bedeutet
allerdings nicht, daß immer alle Familienmitglieder bei den einzelnen Sitzungen anwesend sind. In
manchen Fällen ist es z.B. wichtig, nur mit einem Partner allein oder nur mit den Eltern oder Kindern
zu arbeiten. Im Einzelfall muß immer festgestellt werden, wo die eigentlichen Probleme liegen und
welche Hilfen angebracht sind. „Die zugrundeliegende Problematik bedingt die Behandlungsform“
(Textor, 1991b, 113).
Folgende Ziele lassen sich für diese Phase der Beratung und für die einzelnen Betroffenen, bzw. für
die verschiedenen Beziehungsebenen der Familienmitglieder formulieren:
 Beratungsziele für einzelne Erwachsene: Die Betroffenen sollen das Ende ihrer Ehe akzeptieren,
den eigenen Anteil am Scheitern der Ehebeziehung erkennen, die Trennung emotional verarbeiten
und eine psychische Scheidung erreichen, die sich oft bis in die Nachscheidungsphase hinzieht.
Wichtig ist, die Betroffenen zu ermutigen, ihre Gefühle, die sie nach einer Trennung vom Partner
empfinden, zu-zulassen und auszudrücken. Betroffene brauchen in dieser Phase oft viel Wärme,
Empathie, Zuwendung, Trost und emotionale Unterstützung.
Außerdem benötigen manche auch Hilfe in der Umstellung vom Verheiratetenstatus zum Getrenntbzw. Geschiedenenstatus. Viele erwarten auch Unterstützung bei den notwendigen Umstellungen
wie Wohnungssuche, Wiedereintritt in die Arbeitswelt, Vereinbarkeit von Beruf und Erziehung,
Umgang mit der Haushaltsführung und mit den Kindern (in der Regel für die Männer). Betroffene
sollten hinreichend über Unterstützungen jeglicher Art informiert werden, sei es über finanzielle
Ansprüche, wie z.B. Unterhalt, Wohngeld, Sozialhilfe etc., oder über Betreuungsmöglichkeiten für
die Kinder. Der Berater muß sich nicht selbst in allen diesen Fragen auskennen, aber er sollte
112
wissen, an welche Behörden und Institutionen er seine Klienten verweisen kann. Ferner sollte der
Berater den Klienten, wenn nötig, dabei helfen, ihr soziales Netzwerk zu ihrer Unterstüzung zu
nutzen oder es sogar erst wieder aufzubauen, wenn es durch die Trennung zerstört wurde. Der
Idealfall wäre natürlich, wenn der Berater dazubeitragen könnte, daß sich das gemeinsame
Netzwerk der Ex-Ehegatten nicht aufspaltet, sondern für die Familie erhalten bleibt.
Selbsthilfegruppen, auf die der Berater verweisen kann, können für manche Betroffenen z.B. auch
eine große Unterstützung bedeuten.
Zusammenfassend kommt es für die einzelnen Erwachsenen nach der Trennung darauf an, dabei
unterstützt zu werden, ein neues Selbstbild zu erlangen und ein befriedigendes Leben in der
veränderten Lebensform entwickeln zu können.
 Beratungsziele für die Beziehung zwischen den Getrenntlebenden: Hier geht es darum, den
Getrenntlebenden positive Modelle im Umgang miteinander aufzuzeigen, da in unserer
Gesellschaft keine verbindlichen Muster existieren, wie ehemalige Ehepartner miteinander
umgehen. In Punkt 3.3.2 habe ich verschiedene Beziehungsmuster zwischen Geschiedenen
beschrieben. Ziel könnte sein, den Partnern zu helfen, gute Freunde oder kooperative Partner zu
werden.
Dabei ist es in den meisten Fällen notwendig, bestehende Konflikte zwischen den
Getrenntlebenden zu lösen, um Spannungen zwischen ihnen abbauen zu können. Allerdings sollte
in diesem Punkt bedacht werden, daß die Entwicklung positiver Beziehungen zwischen
Getrenntlebenden in vielen Fällen Zeit braucht, die den Betroffenen gegeben werden muß.
Hilfreich für den Umgang zwischen Getrenntlebenden kann sein, sie darin zu unterstützen, Regeln
für ihren Umgang zu entwickeln.
Erreichen die Getrenntlebenden eine distanzierte, sich gegenseitig achtende Beziehung, so lassen
sich auch alle weiteren Scheidungsfolgen leichter und in vielen Fällen einvernehmlich regeln.
 Beratungsziele für die Eltern-Kind-Beziehung: „Scheidungsberatung will (...) verhindern, daß von
der Trennung oder Scheidung ihrer Eltern betroffene Kinder einen Elternteil verlieren“ (Textor,
1991b, 128). Der Berater vermittelt den Eltern, welches Elternverhalten den Kindern hilft, die
Scheidung positiv zu bewältigen (vgl. Punkt 5.1.1).
Hauptaufgabe der Berater ist, den Eltern bei der konkreten Umsetzung und Gestaltung der
gemeinsamen elterlichen Verantwortung zu helfen. Da ab Juli diesen Jahres nach einer Scheidung
die Eltern automatisch die gemeinsame elterliche Sorge beibehalten und es nur noch in Ausnahmen
eine richterliche Entscheidung gibt, ist es nun besonders wichtig, die Eltern darin zu unterstützen,
diese gemeinsame Sorge auch wirklich auszuüben und ihre Kompetenzen zu kooperativer
Elternverantwortung zu fördern. Wie eine kooperierende ko-elterliche Interaktion aussehen kann,
wurde in Punkt 3.3.3 beschrieben.
Der Berater sollte die Eltern auch über auftretende Verhaltensauffälligkeiten ihrer Kinder nach
einer Trennung aufklären, und ihnen verdeutlichen, daß diese in der Regel normale Reaktionen auf
das Trennungsgeschehen sind und im Verlauf von Wochen oder Monaten wieder verschwinden,
wenn nicht viele ungünstigen Bedingungsfaktoren, wie sie in Punkt 4.2 beschrieben wurden, eine
113
Verfestigung der Verhaltensauffälligkeiten hervorrufen. Eltern sollten jedoch darauf hingewiesen
werden, das Verhalten ihrer Kinder über einen längeren Zeitraum zu beobachten und notfalls einen
Berater
hinzuzuziehen,
falls
es
zu
keiner
Beruhigung
der
Auffälligkeiten
kommt.
Verhaltensstörungen sollten aber nicht dramatisiert werden. Generell versucht der Berater, den
Eltern die Angst zu nehmen, daß ihre Kinder durch die Trennung auf Dauer geschädigt werden
könnten.
Der Berater empfiehlt den Eltern außerdem, die Lehrer oder Erzieher, d.h. die Personen, mit denen
die Kinder konfrontiert sind, über die Trennung zu informieren, damit bei möglichen
Verhaltensauffälligkeiten, diese darauf angemessen reagieren und den Kindern möglicherweise
zusätzlich hilfreiche Unterstüzung geben können. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, zu
erwähnen, wie bedeutend es ist, daß pädägogisch arbeitende Menschen über das Spezialwissen
hinsichtlich einer Ehescheidung und die Konsequenzen für Kinder informiert sind, da sie neben
dem Elternhaus wichtige Ansprechpartner für die Kinder sein können und Kindergarten und Schule
wichtige Interaktionsfelder der Kinder sind. Im „Staatsinstitut für Frühpädagogik und
Familienforschung, München“ äußerten Kinder im Rahmen eines Präventionsprogrammes für
Scheidungskinder z.B. Hinweise auf ihre Isolation in der Schule und auf Schwierigkeiten, bei
Gleichaltrigen und Lehrern Hilfe, statt Ablehnung, zu erfahren. Dies zeigt, wie notwendig
scheidungsspezifische
Fortbildungsangebote
für
Lehrer,
Schulpsychologen und
Erzieher
hinsichtlich eines kompetenten Umgangs mit Scheidungskindern sind (vgl. Fthenakis et al., 1997,
276).
 Beratungsziele für Kinder: Den Kindern muß geholfen werden, die Gründe und Folgen der
Trennung ihrer Eltern zu verstehen, deren Endgültigkeit zu akzeptieren, ihre mit der Trennung
verbundenen Gefühle und die veränderten Familienbeziehungen zu bewältigen.
Näher möchte ich an dieser Stelle auf die Beratung für Kinder nicht eingehen, da ich im nächsten
Gliederungspunkt speziell Interventionsangebote für Kinder erläutern möchte.
5.2.1.3 Beratung in der Nachscheidungsphase
In dieser Phase des Scheidungsprozesses sind die Beratungsziele ähnlich denen der Scheidungsphase.
Nun geht es darum, die einzelnen in der Scheidungsphase angefangenen Prozesse, wie die psychische
114
Scheidung der Ex-Ehepartner, die Etablierung eines neuen Lebensstils, die Reorganisation der
Familienstruktur weiterzuführen und abzuschließen. Aufgabe kann es sein, Familien die jeweilige
Unterstützung zu geben, die sie für eine gelungene Anpassung an die veränderte Situation brauchen,
wie z.B. Hilfe bei finanziellen Problemen, bei Problemen mit der Mehrfachbelastung durch
Kindererziehung und Berufstätigkeit des Elternteils, bei dem die Kinder leben oder bei
Schwierigkeiten, neue Kontakte aufzubauen. Je mehr Belastungen in der Nachscheidungsphase
reduziert werden können, umso besser kann eine Scheidungsbewältigung von Erwachsenen und
Kindern vollzogen werden. Überforderungen und zu große Belastungen in der Nachscheidungsphase
können nämlich zur Vernachlässigung der Kinder führen und verhindern, daß sie die elterliche
Unterstützung bekommen, die sie im Umgang mit der Scheidung brauchen (vgl. Punkt 4.2.1). Berater
sollten, wie auch schon in der Scheidungsphase, Wege zur Entlastung der Scheidungsfamilien
aufzeigen, wie z.B. Kinderbetreuungsangebote: Kindertageseinrichtungen, Hausaufgabenhilfe,
Freizeitangebote für Kinder oder Hilfen, im Falle von Krankheit der Kinder oder des Elternteils, wenn
dieser berufstätig ist. Hier bietet sich an, Familien viel Informationsmaterial zur Verfügung zu stellen.
Im Materialanhang meiner Arbeit verweise ich auf solche Informationsbroschüren, die kostenlos zu
erhalten sind.
Da es in unserer Gesellschaft noch keine verbindlichen Muster für die Gestaltung von
Scheidungsfamilien gibt, brauchen diese Familien Hilfen, wie ein funktionierendes binukleares
Familiensystem (vgl. Punkt 4.3.2 und 4.3.3) aussehen und gelebt werden kann. Beratung ist vor allem
auch dann in vielen Fällen notwendig, wenn neue Partner ins Familiensystem hinzukommen und es zu
den in Punkt 4.3 beschriebenen Mehrelternfamilien kommt. Da Mehrelternfamilien hohe
Anforderungen an alle Familienmitglieder stellen, wie z.B. eine große Kommunikations- und
Kooperationsfähigkeit, und vermehrt die Gefahr für konflikthafte und ungünstige Entwicklungen (wie
in den Mehrelternfamilien als Normalfamilien, vgl. Punkt 4.3.1) bestehen kann, ist eine professionelle
Unterstützung hier sehr empfehlenswert. Außerdem kann es zu komplexen familialen Beziehungen
kommen, mit denen vermutlich viele ohne beratende Hilfe überfordert sind.
„Wenn die Integration aller Mitglieder gelingt, bietet die Stieffamilie den Kindern einen erweiterten
Erfahrungsspielraum mit einem erweiterten verwandschaftlichen Netz. Die Stieffamilie kann also
durchaus positive Entwicklungschancen beinhalten und es ist die Aufgabe der Scheidungsberatung,
durch Beratung und Aufklärung über potentielle Konfliktfelder die familiäre Kompetenz der
Stieffamilie zu stärken und, wo Hilfe notwendig ist, sie bei der Suche nach Konfliktlösungen zu
unterstützen“ (Napp-Peters, 1992a, 22).
5.2.2 Interventionsangebote für Kinder
Beratungsangebote, speziell für die von Scheidung betroffenen Kinder und Jugendliche, die präventiv
arbeiten, d.h. die nicht zum Ziel haben, die Verhaltensauffälligkeiten von Scheidungskindern zu
therapieren, sondern die den Kindern helfen, eine Scheidung ohne die Entwicklung von langfristigen
115
Beeinträchtigungen zu bewältigen, sind in Deutschland noch selten (vgl. Witte et al., 1992, 98). Wie
sinnvoll solche Angebote aber sind, soll nun verdeutlicht werden.
Kinder geraten im Prozeß der Trennung und Scheidung ihrer Eltern oft aus dem Blick der selbst häufig
massiv belasteten Eltern, die dadurch den Kindern in vielen Fällen nicht die emotionale Unterstützung
geben können, die auch sie jetzt brauchen. Kinder können in ihren Familien in manchen Fällen nicht
offen über ihre Probleme reden, können nicht ihre wahren Gefühle des Schmerzes, der Wut etc.
ausdrücken, da viele Eltern übersehen und nicht wahrhaben wollen, daß ihre Kinder unter der
Trennung leiden. Die Kinder fühlen sich deshalb alleingelassen in ihrem Kummer und Schmerz. Viele
Kinder werden von ihren Eltern auch nicht genügend über die Trennung und ihre Folgen informiert
und nur selten finden offene Gespräche statt (vgl. Punkt 3.2.3). Außerdem werden Kinder in vielen
Fällen im gesamten Prozeß der Ehescheidung noch zu wenig selbst berücksichtigt, d.h. sie haben nicht
ausreichend die Möglichkeit, ihre Sicht der Situation, ihre Probleme und Bedürfnisse zu äußern und
werden zu wenig gehört und aktiv in den Bewältigungsprozeß miteinbezogen (vgl. Tauche, 1991, in:
Fthenakis et al., 1997, 271). Kinder müssen deshalb vermehrt in die Scheidungsberatung integriert
werden.
Präventive Angebote für Scheidungskinder können hierzu ihren Beitrag leisten. Ihr zentrales Ziel ist
es, Möglichkeiten zur emotionalen Unterstützung und zur Entlastung der Kinder zu schaffen. Im
Rahmen dieser Angebote haben Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, sich mit ihren durch die
Trennung entstandenen Gefühle und Fragen auseinanderzusetzen (vgl. Witte et al., 1992, 179).
Präventive Beratungsangebote für Kinder werden häufig als Gruppenprogramme angeboten.
Seit Anfang der 90er Jahre kann man in Deutschland ein wachsendes Interesse an Gruppenangeboten
für Kinder aus Trennungs- und Scheidungsfamilien verzeichnen, obwohl konkrete präventivtherapeutische Angebote auf breiter Basis noch weitestgehend fehlen oder erst im Aufbau begriffen
sind (vgl. Jaede et al., 1994, 359). In den USA liegen bereits seit Mitte der 70er Jahre
Praxiserfahrungen und erprobte, veröffentlichte Modelle vor, während in Deutschland kaum
entwickelte und erprobte präventive Gruppenkonzepte zu erhalten sind (vgl. Schmitt, 1997, 46).
Ich möchte zur Verdeutlichung dieser präventiven Gruppenarbeit mit Scheidungskindern ein deutsches
Modell vorstellen, das bislang eines der detaillierter dokumentierten Konzepte dieser Gruppenarbeit
ist. Es handelt sich um das „Freiburger Gruppeninterventionsprogramm für Kinder aus Trennungs- und
Scheidungsfamilien“ (vgl. Schmitt, 1997, 46).
116
5.2.2.1 Das Freiburger Gruppeninterventionsprogramm für Kinder aus Trennungsund Scheidungsfamilien42
Dieses Programm wurde in den psychologischen Beratungsstellen der Stadt Freiburg, speziell für
Erziehungsberatungsstellen, entwickelt. Das Konzept dieses Programms lehnt sich an zwei
amerikanische Modelle (Stolberg et al., 1991 u. Pedro-Carrol, 1985, in: Jaede et al., 1994, 359) an.
Rahmenbedingungen und methodisch-didaktische Gesichtspunkte:
 Das Programm umfaßt 17 Gruppensitzungen, zwei Elternabende, sowie eine Vordiagnostik bzw.
ein Vorgespräch.
 Bestimmt ist die Gruppe für Kinder aus Trennungs- und Scheidungsfamilien.
 Die Altersstruktur der Kinder ist begrenzt auf eine Spanne zwischen neun und zwölf Jahren.
 Die Gruppengröße sollte nicht mehr als acht Kinder betragen.
 Die Gruppenprogramme verstehen sich als präventive Interventionen, d.h. die Entwicklung
langfristiger Störungen, die Chronifizierung negativer unmittelbarer Scheidungsreaktionen soll
nach Möglichkeit verhindert oder zumindest verringert werden. Auffälligkeiten sollen frühzeitig
erfaßt und behandelt werden, damit Langzeitfolgen vermieden werden können. Die Kindergruppen
verstehen sich nicht als Behandlungsgruppen im engeren Sinne, sondern „sie verstehen sich als
präventiv-therapeutische Maßnahme zu Krisenintervention und Bewältigungshilfe und erfordern
eine entsprechend themenzentrierte und offensive Angebotsform“ (Jaede et al., 1994, 360). Aus
diesem Grund ist es ein wichtiges Kriterium dieser Interventionsangebote, daß keine schweren
psychischen Beeinträchtigungen vorliegen, die eine Einzelbetreuung bzw. Therapie erforderlich
machen.
 Dieses Kindergruppenangebot versteht sich als eine Interventionsart, die allerdings eingebettet ist
in den Rahmen eines Gesamtmodells der Trennungs- und Scheidungsberatung.
Die Gruppen sind außerdem ein Element der Hilfe im Rahmen von Erziehungsberatung und
können deshalb, in notwendigen Fällen, Kinder direkt an Anschlußmöglichkeiten der Beratungsund Therapiehilfe vermitteln.
 Kinder, die an diesen Gruppen teilnehmen, sollten bestimmte Grundfertigkeiten der sozialen
Kompetenz besitzen. Sie sollten von ihrem Verhaltensrepertoire her über die Fähigkeit verfügen,
anderen zuhören, die Grenzen anderer Kinder akzeptieren, sowie sich in die Gruppenstruktur
einfügen zu können.
 In Bezug auf den Entwicklungsstand der einzelnen Kinder ist eine Homogenität der Gruppe
anzustreben, um eine altersbedingte Hierachiebildung innerhalb der Teilnehmergruppe zu
verhindern.
 Inhomogenität ist aber bezüglich der Phase des Scheidungsprozesses, sowie der Erfahrung der
einzelnen Kinder, vorteilhaft, da Kinder, die bereits spätere Scheidungsphasen durchlaufen, denen
helfen können, die sich noch in frühen Phasen befinden.
42
Folgende Darstellung bezieht sich auf Jaede et al., 1994, 359-365.
117
 Weiterhin sollte eine Gleichverteilung von Mädchen und Jungen gegeben sein, damit die Kinder
Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht machen können.
 Außerdem ist es wichtig, daß beide Elternteile von der Teilnahme der Kinder an diesen Gruppen
informiert sind. Dies soll die Allparteilichkeit der Gruppenleiter, d.h. ihre Haltung, nicht für
bestimmte Familienmitglieder Partei zu ergreifen, sondern alle Beteiligten gleichermaßen zu
berücksichtigen, unterstützen.
 Von großer Bedeutung ist auch die regelmäßige Teilnahme an den Sitzungen, um die notwendige
Kontinuität und Stabilität zu sichern.
 Wesentlich ist auch, daß die Gruppenleiter gegenüber den Eltern einer Schweige-pflicht
unterliegen, um die Neutralität und den Schutzraum der Gruppe nach außen hin zu garantieren. Nur
so haben die Kinder die Garantie eines „therapeutischen Raumes“ und können von ihren bisherigen
Solidaritäts- bzw. Loyalitätskonflikten entlastet werden (vgl. ebd., 364-365).
 Die Gruppen sollen von einem Mann und einer Frau geleitet werden, um Kindern und Eltern ein
Modell des positiven gemeinsamen Umgangs der Geschlechter miteinander geben zu können. Die
Kinder haben somit auch die Möglichkeit, die Gruppenleiter als ein Elternmodell zu erleben, das
kooperatives Verhalten und einen konstrutiven Umgang mit Konflikten zeigt.
 Während der Gruppensitzungen sollten das Tun und das Erleben der Kinder im Vordergrund
stehen. Deshalb erhalten neben Gesprächen zu Themen, die die Scheidung betreffen, der Umgang
mit unterschiedlichen Materialien, wie z.B. Kinderbücher, Filme zum Thema, Schreib- und
Malutensilien, Stabpuppen etc. (vgl. ebd., 362), die Bewegung und das Spiel viel Raum. Spaß und
Freude haben dabei eine hohen Stellenwert. Diese unterschiedlichen Angebote ermöglichen den
Kindern eine vielfältige und ganzheitliche Auseinandersetzung mit dem Scheidungsthema. Bei
allen
Angeboten
sollte
der
sozial-kognitive
Entwicklungsstand
des
einzelnen
Kindes
Berücksichtigung finden.
Zielsetzung:
„Übergeordnetes Ziel der Strukturierung der Sitzungen ist es, dem „Chaos der Scheidung“ eine
stabilisierende Struktur entgegenzusetzen“ (ebd., 360).
Weitere Ziele sind:
 Die Kinder sollen darin unterstützt werden, ihre Gefühle bezüglich der Trennung ihrer Eltern
wahrzunehmen und auszudrücken.
 Kinder sollen erleben, daß auch andere Kinder von der Trennung der Eltern betroffen sind und sie
mit ihren Erfahrungen nicht alleine stehen. Dies kann das Gefühl der Isolation und auch die
Schamgefühle verringern und ihnen emotionale Unterstützung bieten (vgl. auch Witte et al., 1992,
182).
 Es soll den Kindern erleichtert werden, ein realistisches Bild von Trennung und Scheidung und
ihren Folgen zu bekommen.
 Den Kindern sollen Bewältigungsstrategien vermittelt werden, d.h. ihnen soll ein kreativer und
konstruktiver Umgang mit der veränderten Familiensituation ermöglicht werden. Dabei geht es um
118
die veränderten Beziehungen zu den Eltern, den Umgang mit neuen Partnern, ihre Beziehungen zu
Gleichaltrigen in ihrem Alltag, wie z.b. Schule oder andere Betreuungseinrichtungen und um ihre
mehr oder weniger veränderten sozio-ökonomischen Lebensverhältnisse.
 Weiterhin sollen den Kindern Freiräume für ihre eigene, altersadäquate Entwicklung angeboten
werden, da viele durch eine Scheidung sehr früh zu große Verantwortung und oft ErwachsenenRollen übernehmen müssen. Manche verlieren ihre eigenen Bedürfnisse aus den Augen, da sie die
eigenen belasteten Eltern unterstützen und trösten wollen.
 Das Selbstwertgefühl der Kinder soll gestärkt werden.
 Den Eltern soll durch die begleitende Elternarbeit eine Basis geboten werden, um mit ihren
Kindern über die Trennung bzw. Scheidung zu sprechen und sie an den Erfahrungen ihrer Kinder
teilhaben zu lassen.
Ablauf und Inhalt von Vorgespräch, Elternarbeit und Gruppenprogramm:
Das Vorgespräch:
Das Vorgespräch findet mit den Eltern und dem Kind gemeinsam statt, um ein gegenseitiges
Kennenlernen zu ermöglichen, die Ziele der Gruppenarbeit zu erklären und Informationen darüber zu
erhalten, ob das Kind für die Gruppe geeignet ist. Dem Kind wird seitens der Leiter explizit das Recht
zugesprochen, selbst über die Teilnahme zu entscheiden, wobei ihm empfohlen wird, eine erste
„Schnupperstunde“ zur Überprüfung seines Wunsches nach Teilnahme zu nutzen. Es wird
verdeutlicht, daß nach der Entscheidung eine kontinuierliche Anwesenheit gefordert wird.
Abschließend wird Eltern und Kindern zur gemeinsamen Bearbeitung Literatur empfohlen.
Im Materialanhang habe ich auf einen Ratgeber für Eltern und auf Kinder- und Jugendliteratur zum
Thema Trennung und Scheidung hingewiesen.
Die Elternarbeit:
Entsprechend der systemischen Sichtweise von Trennung und Scheidung wird eine begleitende
Elternarbeit für unabdingbar gehalten. Es werden im Rahmen des Gruppenprogramms deshalb zwei
Elternabende angeboten. Außerdem wird den Eltern die Teilnahme an einer parallel in der
Beratungsstelle durchgeführten Elterngruppe empfohlen. An diesen Elternabenden werden, aufgrund
der schon beschriebenen Schweigepflicht, keine Informationen über die einzelnen Kinder
weitergegeben. Die Elternabende dienen dazu, die Trennung und Scheidung aus der Sicht von Kindern
zu vermitteln, auf mögliche Verhaltensänderungen hinzuweisen und die inhaltlichen Themen des
Kindergruppenprogramms darzustellen. Angestrebt wird ein Erfahrungsaustausch der Eltern, die sich
gegenseitig unterstützen sollen.
Das Kindergruppenprogramm:
Das Programm beginnt mit der schon erwähnten Schnupperstunde, die vor allem zum gegenseitigen
Kennenlernen dient. Danach schließen sich 16 Gruppensitzungen mit themenzentrierter Orientierung
119
an. Die Gruppensitzungen finden wöchentlich statt und dauern 90 Minuten.
Wichtig ist, daß die einzelnen Sitzungen eine sehr klare Struktur aufweisen, die sich in allen Sitzungen
wiederholt, was den Kindern Sicherheit, Kontinuität und Stabilität vermitteln kann. Merkmale des
Gruppenprogramms sind auch die unterschiedlichen, sich abwechselnden Momente in diesen
Sitzungen, wie Zeiten des Spiels, der Entspannung und der thematischen Arbeit. Auf eine genaue
Schilderung des Ablaufs einer Sitzung möchte ich hier verzichten (vgl. ebd., 361-362). Ich werde
lediglich den Verlauf des gesamten Gruppenprozesses erläutern.
Das Programm wird in drei Phasen unterteilt und zwar in die Kennenlernphase, die themenzentrierte
mittlere Phase und die Abschlußphase (vgl. ebd., 362-363).
a) Die Kennenlernphase: Sie dient dem gegenseitigen Kennenlernen und der Entwicklung einer
Gruppenzusammengehörigkeit, was durch verschiedene Spiele, das Aufstellen von Gruppenregeln und
die Entscheidung für einen Gruppennamen erreicht werden kann. Es zeigt sich, daß der Aufbau
persönlicher Kontakte unter den Kindern, persönliche gegenseitige Wertschätzung und das Gefühl des
Zusammengehörens entscheidende Faktoren für die Effektivität des Interventionsprogrammes sind.
b) Die themenzentrierte Phase: Diese Phase gliedert sich wiederum in zwei Blöcke. Der erste
themenzentrierte Block umfaßt die allgemeine Auseinandersetzung mit dem Thema „Trennung und
Scheidung“. Den Kindern wird die Pluralität unterschiedlicher familialer Lebensformen vermittelt.
Ihnen wird deutlich, daß neben der traditionellen Kernfamilie auch Alleinerziehende, Scheidungs- und
Mehrelternfamilien gleichwertige Lebensformen sein können.
Kennzeichen der Gruppenprogramme ist die allmähliche Steigerung der Intensität problematischer
Themen. In wachsendem Maße können sich die Kinder mit Hilfe verschiedener Materialien mit
scheidungsspezifischen Themen, wie z.B. Kontakt zum getrenntlebenden Elternteil, neue Partner der
Eltern, Geschwister- und Ehekonflikte auseinandersetzen.
Der zweite Block beinhaltet die persönliche Auseinandersetzung mit scheidungsrelevanten Gefühlen
und möglichen Bewältigungsstrategien. Das Wahrnehmen, Zulassen und Ausdrücken der Gefühle wird
mittels unterschiedlicher Methoden, wie z.B. Entspannungs- und Körperwahrnehmungsübungen,
Rollenspiele, Umgang mit Farben und Materialien etc. gefördert. Die Gruppe versucht außerdem
mittels vorgegebener Themen verschiedene Lösungsmöglichkeiten für Problemsituationen bei
Trennung und Scheidung zu erarbeiten.
c) Die Abschlußphase: Diese Phase ermöglicht den Kindern, positive Erfahrungen des
Abschiednehmens und der Trennung zu erfahren. Frühzeitig wird das Ende der Gruppe thematisiert. In
der vorletzten Sitzung wird der bisherige Gruppenverlauf reflektiert, die positiven und negativen
Erlebnisse der Kinder zum Thema gemacht. Außerdem werden Kindern Informationen über weitere
Unterstützungssysteme gegeben. In der letzten Sitzung feiern die Kinder und die Leiter den Abschied,
zu dem gegen Ende der Sitzung die Eltern hinzukommen können. Falls die Gruppenmitglieder es
wünschen, können sie den Eltern ihr Erarbeitetes, wie z.B. eine Wandzeitung, zeigen. Die Kinder
erhalten ihre Mappe, die sie in den Sitzungen angelegt haben, wodurch die Gruppe den Kindern in
konkreter Weise in Erinnerung bleiben kann.
120
Halten die Gruppenleiter eine weitere Betreuung eines Kindes in Einzelsitzungen für notwendig, dann
führen sie nochmals ein Abschlußgespräch mit den Eltern.
Erfahrungen aus den bisher durchgeführten Kindergruppen:43
 Kinder, die in ihrem Familienalltag eine parentifizierte Funktion eingenommen haben, können von
dem Gruppeninterventionsprogramm profitieren und lernen, wieder Kind zu sein. Kinder können
wieder Anschluß an ihre altersadäquaten Rollen und Aufgabenstellungen finden (vgl. Jaede et al.,
1994, 363).
 Voraussetzung dafür, daß Kinder von diesen Gruppen profitieren können, ist jedoch, die
Bereitschaft der Eltern, sich selbst mit dem Thema Scheidung auseinanderzusetzen, da ihre
Einstellung gegenüber der Gruppe einen entscheidenden Einfluß auf die Effektivität derselben für
das Kind hat (vgl. ebd., 363).
 Von großer Bedeutung ist auch, daß Kinder die in der Gruppe erlebte adäquate Kinderrolle in ihrer
elterlichen Beziehung zu Hause nun ebenfalls integrieren und leben können. Hilfreich dafür
erweisen sich die in der Gruppe empfohlenen Bücher, die die Kinder mit ihren Eltern zusammen
bearbeiten können, und anhand derer sie ihre Gruppenerlebnisse mitteilen können (vgl., ebd., 363364).
 Die Elternabende bieten den Eltern die Gelegenheit, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen
und wahrzunehmen, daß sie mit ihren Fragen und Unsicherheiten nicht alleine sind (vgl. ebd., 364).
 Die kontinuierliche und strukturierte Arbeit in den Gruppen bietet den Kindern, die durch die
Trennung und Scheidung in der Regel viele Unregelmäßigkeiten und Brüche erlebt haben,
Stabilität und Sicherheit (vgl. ebd., 364).
 Die durch die Trennung und Scheidung bedingten Selbstwertprobleme können, durch gegenseitige
Bestätigung und bessere Distanzierung vom Scheidungsverlauf, in den Gruppen bearbeitet werden
(vgl. ebd., 365).
 Durch das gegengeschlechtliche Leiterpaar erleben Kinder ein Elternmodell für positive und
konstruktive Kommunikation (vgl. ebd.).
 Kinder bewerten es als besonders positiv und hilfreich, mit Gleichaltrigen über ihre Gefühle
sprechen zu können und sich in den Gruppen eingebunden zu fühlen. Manche Kinder, die sich
weniger am Gespräch beteiligen, weil es ihnen vielleicht unangenehm ist, können schon alleine
durch das Zuhören und die teilnehmende Beobachtung profitieren und lernen (vgl. Witte et al.,
1992, 182).
 Für viele Kinder bieten diese Gruppen die Möglichkeit, ihre Isolations- und Schamgefühle zu
überwinden und eine wichtige emotionale Stützung zu erhalten (vgl. ebd.).
 Die Gruppenprogramme helfen den Kindern, das Scheidungsgeschehen besser zu verstehen und
realistischer einzuschätzen (vgl. ebd.).
43
Ich ergänze die Erfahrungen aus dem Freiburger Interventionsangebot mit Erfahrungen aus
verschiedenen amerikanischen Kinderprogrammen, die evaluiert wurden
(vgl. Witte, 1992, 182 u.183), um deutlich zu machen, welchen Beitrag sie im Bereich der
Scheidungsbewältigung für Kinder bieten können.
121
 Außerdem sind diese Interventionen auch geeignet, Schuldgefühle abzubauen, Gefühle der
Verantwortung für die Eltern zu reduzieren, Versöhnungshoffnungen zu verringern und das Gefühl
der Kontrolle über das eigene Leben zu fördern (vgl. ebd.).
 Zusätzlich wird das Verständnis für die eigenen Gefühle erhöht, und Ängste können verringert
werden (vgl. ebd., 182-183).
Zusammenfassend kann festgehalten werden:
„Die Durchführung von Interventionsgruppen für Kinder hat sich als ein wesentliches Angebot für die
frühzeitige Bearbeitung von Trennungs- und Scheidungsproblemen erwiesen. Es hat sich gezeigt, daß
die Kinder in den Gruppen nicht nur einen freieren Zugang zum Thema Trennung und Scheidung und
eine Solidarität bei anderen hierfür finden, sondern daß gerade ihre verschütteten Bedürfnisse und
Wünsche nach Kindsein, Bindung, Spiel und Anerkennung in den Gruppen berücksichtigt werden. Die
Kinder gewinnen Abstand von den sie einengenden und belastenden Krisen und Problemen der
eigenen Familie, entwickeln neue Perspektiven und gewinnen ein Gefühl für die zeitliche
Verarbeitung der Krise und die Veränderung der Familienstruktur“ (Jaede et al., 1994, 365).
5.2.2.2 Prävention innerhalb der Schule
Hier möchte ich kurz einige Gedanken von Jopt (1997, 16-20) aufgreifen, die er sich hinsichtlich
präventiver Arbeit zur Scheidungsproblematik gemacht hat.
Jopt ist der Ansicht, daß vor allem auch die Schule, als wichtiger Sozialisationsbereich neben der
Familie, den betroffenen Kindern, in dem ihr möglichen Rahmen, Hilfe und Unterstützung anbieten
soll.
In den USA finden z.B. viele Kindergruppenprogramme in den Schulen statt. Hodges (1986, in: Witte
et al., 1992, 180) sieht die Schulen, in denen alle Kinder erreichbar sind, als das natürliche Ziel
primärer Prävention an.
Jopt weist darauf hin, daß eigentlich zu jedem Pflichtprogramm der Lehrerausbildung Seminare
hinsichtlich der Scheidungsthematik und Möglichkeiten pädagogischen Beistands gehören müßten. Er
meint auch, daß „... das Aufzeigen kindlichen Leids auch seinen Eltern gegenüber zur künftigen
Selbstverständlichkeit schulischer „Einmischung“ in die Privatheit von Familie gehören. Denn
Lehrerinnen und Lehrer sind oft die einzigen Lobbyisten, die es für diese Kinder gibt“ (Jopt, 1997,
20).
Nach der Auffassung Jopts ist die Tatsache, daß es bei Scheidungen zu ungünstigem Elternverhalten
gegenüber der Kinder kommt, wie z.B., daß Kinder als Bündnispartner oder Partnerersatz
instrumentalisiert werden, nicht unvermeidliches Schicksal, sondern hat mit dem Bewußtsein der
Erwachsenen zu tun. Viele Erwachsene sind nicht auf die vielen Beziehungsveränderungen durch eine
Scheidung vorbereitet, obwohl es in unserer Zeit hohe Scheidungszahlen gibt. Die meisten sind mit
den wandlungsbedingten neuen Elternrollen und dem Umgang mit sich bildenden neuen
122
Familienformen, wie Eineltern- und Mehrelternfamilien überfordert. Es ist vielen nicht klar, was
Kinder in diesen sich wandelnden Verhältnissen brauchen. Solche Sachverhalte weisen darauf hin, daß
die Schule sich als bewußtseinsbildendes Institut von hohem Rang einer bisher unbekannten Aufgabe
von großer gesellschaftlicher Dringlichkeit stellen muß. Wenn die Schulkinder von heute, angesichts
der Scheidungsdynamik, die Scheidungseltern von morgen sind, dann ist nicht länger ambulante Hilfe
angesagt. Nach Jopts Überlegungen käme es darauf an, bereits diesen zukünftigen Eltern Wege und
Mittel aufzuzeigen, die sie befähigen, mit den eigenen Kindern im Ernstfall angemessen und
kindgerecht umzugehen. Dies hätte dann mit Bewußtseinsbildung zu tun, da kein Elternteil seine
Kinder in persönlichkeitsschädigende Loyalitätskonflikte stürzen würde, wenn ihm sein persönlicher
Anteil daran klar wäre.
Nach seiner Meinung käme es darauf an, von vornherein den Anfängen zu wehren und Eltern da
anzusprechen und zu sensibilisieren, wo sie selbst noch Kinder und deshalb für kindgemäßes
Elternverhalten so leicht erreichbar sind, wie später niemals wieder.
Er plädiert deshalb „... für die Einrichtung eines Curriculums
‘Beziehungslehre’ in der
Sekundarstufe I, in der all die aus dem familialen Wandel resultierende Informations- und
Aufklärungsarbeit als präventive Investition geleistet werden könnte. Nur so werden wir über die
psychologische ‘Flickschusterei’ von heute hinauszukommen und zukünftige Elterngenerationen
befähigen, im Trennungsfall so mit ihren Kindern umzugehen, wie es Respekt und Achtung vor ihrer
Würde ... gebieten (ebd., 20). Er befürchtet allerdings, daß es noch ein langer Weg sein wird, bis sich
Kinder zu jenen robusten und mit der Verarbeitung von Beziehungseinbrüchen vertrauten Experten
des Wandels, wie Beck-Gernsheim es schreibt (vgl. Punkt 4.1.6 ), entwickelt haben werden.
5.2.3 Mediation
Wie in Kapitel 3 und 4 meiner Arbeit deutlich wurde, hat das Konfliktpotential der Eltern großen
Einfluß auf die Entwicklung der Kinder. Halten Konflikte nach einer Scheidung an, so konnte
festgestellt werden, daß Kinder dieser Familien schlechte Voraussetzungen für eine gute
Scheidungsanpassung haben.
„Hilfe für Scheidungskinder kann also in erster Linie vor allem darin bestehen, das Konfliktpotential
zwischen den Eltern zu verringern“ (Moch, 1994, 407).
In der Regel sind Rechtsanwälte die ersten Ansprechpartner für Menschen, die sich scheiden lassen
wollen. Hier holen sie sich erste Informationen über ihre Rechte und das vorgeschriebene juristische
Scheidungsverfahren. Außerdem kann ein Scheidungsantrag nur über einen Rechtsanwalt beim für
Scheidungen zuständigen Familiengericht gestellt werden und die Eheleute müssen sich vor Gericht
von einem Anwalt vertreten lassen. Anwälten fällt demnach eine entscheidende Rolle im
Scheidungsgeschehen zu (vgl. Witte et al., 1992, 40). Viele Ehepartner wenden sich an einen
Rechtsanwalt, aus Angst, die eigenen Interessen dem anderen Partner gegenüber nicht ausreichend
vertreten zu können. Der Anwalt ist für sie der Garant, daß ihnen rechtliches Gehör gewährt wird (vgl.
123
Mähler u. Mähler, 1993, 148). Da, wie schon in Punkt 3.2.2 beschrieben, Rechtsanwälte von ihrer
Berufsordnung und ihrem Selbstverständnis her verpflichtet sind, die Interessen ihres Mandaten
optimal zu vertreten und dessen Gewinne zu maximieren, besteht die Gefahr, daß es, anstatt zu einer
gütlichen Einigung der Partner, zu einer Verschärfung des in vielen Fällen nach der Trennung
bestehenden Spannungs- und Konfliktverhältnisses kommt. Anstatt eines Miteinanders entwickelt sich
eher ein Gegeneinander, in dem einer zum Gewinner und der andere zum Verlierer wird. Diese
Gegnerschaft verhindert eine nacheheliche Kooperation der Partner, die aber, wie bereits deutlich
wurde, für die positive Scheidungsbewältigung der Kinder sehr wichtig ist (vgl. Witte et al., 1992, 4041).
Aus diesem Grund ist es notwendig, alternative Wege zur Verhandlung der Scheidungsfolgen für
scheidungswillige Partner anzubieten.
Die Mediation (übersetzt:Vermittlung) stellt einen solchen Weg dar.
Im folgenden möchte ich das Konzept der Mediation vorstellen, aber ohne in Details zu gehen, was
den Rahmen meiner Arbeit sprengen würde. An dieser Stelle möchte ich auf einen Ratgeber zur
Mediation für betroffene Paare bzw. Eltern hinweisen: Mähler et al., 1994.
5.2.3.1 Definition von Mediation im allgemeinen
„“Vermittlung“ (Mediation) ist ein strukturierter, zielorientierter Entscheidungs-prozeß zur
einvernehmlichen und eigenverantwortlichen Konfliktregelung der Konfliktparteien. Mit Hilfe einer
neutralen, unparteiischen dritten Person erarbeiten die Parteien eine konfliktregelnde Vereinbarung,
welche den individuellen Bedürfnissen und Interessen gerecht wird. Die bestehenden gemeinsamen
Interessen an einer Lösung sind dabei wichtiger als die Anwendung rechtlicher Normen. Nicht die
rechtlich richtige Entscheidung ist das Ziel der „Vermittlung“, sondern die für beide Parteien
annehmbare Konfliktlösung. Der Vermittlungserfolg hängt deshalb weitgehend davon ab, daß die
Parteien die Überzeugung gewinnen können, der ihnen aus einer eigenverantwortlichen Einigung
erwachsende Vorteil aus einer Lösung des Streits sei größer als die Durchsetzung ihrer vollen
(rechtlichen) Ansprüche in einem streitigen Verfahren“ (Proksch, 1993, 176-177).
Die Prinzipien der Mediation beruhen vor allem auf dem Konfliktlösungsmodell von Deutsch (1973)
und dem strukturierten Vermittlungsmodell von Coogler (1978) (vgl. Proksch, 1993, 177). Nach den
Grundsätzen dieser zwei Modelle werden dauerhaft befriedigende Streitregelungen umso eher erreicht,
je mehr es den Streitparteien gelingt, in Kooperation und Kommunikation über die Definition
gemeinsamer Bedürfnisse und Interessen einvernehmliche Regelungen selbst zu erarbeiten (vgl.
Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, 1993, 240).
Mediation hat eine lange Tradition und ist in unterschiedlichen Kulturen und sozialen
Zusammenhängen zu finden (vgl. Proksch, 1993, 173).
124
Vor allem in den USA sind Vermittlungsverfahren seit vielen Jahren ein untentbehrliches
Instrumentarium zur Konfliktsteuerung auf den unterschiedlichsten Gebieten geworden, wie z.B.
Umwelt-, Nachbarschafts-, Politikkonflikten und nicht zuletzt auch bei elterlichen Streitigkeiten bei
Trennung und Scheidung (vgl. ebd., 174).
Die Entwicklung von Mediation, als Alternative zum klassischen, gegnerschaftlichen Streitverfahren,
beruhte auf der grundlegenden Einsicht, daß die entstandenen juristischen Konflikte von persönlichen
Beziehungskonflikten belastet und beeinflußt werden und eine richterliche Entscheidung allein diese
Konflikte nicht lösen kann. Vor diesem Hintergrund begannen Anfang der 70er Jahre Rechtsanwälte in
den USA damit, vor allem für Scheidungs- und Scheidungsfolgeverfahren „nicht-gegnerschaftliche
Beratung“ anzubieten (vgl. ebd., 174). Seit 1980 haben mittlerweile über die Hälfte der USamerikanischen Bundesstaaten Gesetze verabschiedet, die Mediation in Familiensachen als Pflichtbzw. als freiwillige Leistung an den Familiengerichten vorsehen (vgl. Dutenhaver, 1988, in: Proksch,
1993, 176). Mediation ist in den USA seither zu einem festen Bestandteil des Scheidungsverfahrens
geworden.
Mediation gewinnt auch zunehmend bei uns an Bekanntheit und beginnt sich als Interventionsform für
Scheidungsfamilien zu etablieren (vgl. Niesel, 1991, 84).
Ich möchte nun genauer darauf eingehen, was Mediation im Scheidungsgeschehen erreichen will, was
ihre Ziele sind.
5.2.3.2 Ziele der Scheidungsmediation
„Mediation ist ein vor- und außergerichtlicher Weg der Konfliktbearbeitung. Sie bezieht sich auf alle
persönlichen und sachlichen Folgen der Trennung und Scheidung. Mediation will eine faire und
rechtsverbindliche Lösung, die von beiden Partnern selbst entwickelt wird. Sie werden hierbei durch
einen neutralen Dritten ohne eigene Entscheidungsmacht, den Mediator, unterstützt“ (Mähler et al.,
1994, 8).
 Die Trennungs- und Scheidungsmediation befaßt sich hauptsächlich mit der Gestaltung der mit
Trennung und Scheidung zusammenhängenden Folgen, insbesondere im Hinblick auf Elternschaft
und
andere
familiäre
Beziehungen,
Aufteilung
des
Familieneinkommens,
Vermögensauseinandersetzungen, Alterssicherung, Hausratsteilung und Klärung der Wohnsituation
(vgl. Groner, 1996, 178).
125
 Innerhalb der Scheidungsmediation soll folgendes geleistet werden (vgl. Niesel, 1991, 85):
-Berücksichtigung der Bedürfnisse von Eltern und Kindern;
-Trennung der partnerschaftsbezogenen von den elternschaftsbezogenen
Problemen;
-Erörterung und
-Formulierung
Prüfung der
einer
Alternativen,
Vereinbarung,
die
die sich der jeweiligen Familie bieten;
nach
juristischer
Prüfung
als
Scheidungs-
folgenvereinbarung rechtskräftig werden soll;
-Verbesserung der Kommunikation und Kooperation zwischen den Eltern;
-Konfliktverminderung für die Zeit nach der Scheidung.
 Anders als bei dem juristischen Verfahren, in dem Anwälte und Richter die Konflikte für die
Betroffenen klären, was von Betroffenen meist als sehr negativ, als Gefühl der Ohnmacht, des
Ausgeliefertseins, empfunden wird (vgl. Mähler u. Mähler, 1993, 153-154), wird die
Verantwortung für die Entscheidungen in der Mediation den Eltern belassen (vgl. Groner, 1996,
178). Sie selbst bleiben „Inhaber“ ihrer Konflikte, sie selbst sollen zu Lösungen und Regelungen
finden, wobei der Vermittler lediglich Hilfestellungen gibt, damit die Betroffenen zu
befriedigenden, einvernehmlichen Entscheidungen kommen können. Er selbst hat keine
Entscheidungsmacht (vgl. Mähler u. Mähler, 1993, 155-156). Auf die genauen Aufgaben des
Mediators möchte ich nicht weiter eingehen, sondern verweise lediglich auf die eben angegebene
Literatur.
Mediation ist somit eine Möglichkeit der Hilfe zur Selbsthilfe (vgl. Groner, 1996, 178).
Die Tatsache, daß die Lösungen von den Beteiligten selber erarbeitet werden, erhöht die
Akzeptanz der Regelungen, so daß es zu einer dauerhaften Befriedigung kommen kann und die
Wahrscheinlichkeit, daß sich beide an die Abmachungen halten, im Vergleich zu gerichtlichen
Entscheidungen erhöht ist (vgl. Groner, 1996, 179; Niesel, 1991, 85).
 Weiters Ziel der Mediation ist es, die Kommunikation und Kooperation der Eltern zu fördern,
damit sie selbst fähig werden, zukunftsorientierte Lösungen zu erarbeiten, mit denen sie beide
zufrieden und die in ihrer beider Interesse sind. Hier soll es nicht um Verlierer und Gewinner
gehen, wie im juristischen Verfahren. Wichtig bei dieser gemeinsamen Lösungsfindung ist, daß
beide Elternteile jeweils ihre Interessen vertreten und sich dabei selbst behaupten. Hinzu kommt,
daß sie jeweils auch die Interessen und Möglichkeiten des anderen reflektieren und so zu einer
Abwägung beider Seiten kommen, vielleicht sogar auch zu einem Verständnis für die Situation des
anderen. Sie lernen dadurch, die eigene Position durch die Einbeziehung der Gegenseite neu zu
überdenken und möglicherweise auch realistischer einzuschätzen. In der Gesamtschau der Dinge
erscheinen die eigenen Probleme oft in einem neuen Kontext, in einer neuen Gewichtung, aus der
heraus auf die Zukunft orientierte Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet werden. Indem die Interessen
des Partners mitbedacht werden, wächst die Einsicht für seine Seite, wodurch das gegenseitige
Verständnis gefördert und die Versöhnungsbereitschaft unterstützt wird (vgl. Mähler u. Mähler,
1993, 154-158).
126
 Mediation ist besonders geeignet, die Unterscheidung zwischen der Trennung als Paar und dem
Weiterbestehen der elterlichen Verantwortung zu initiieren. Häufig sind beide Eltern daran
interessiert, daß die Kinder durch die Trennung so wenig wie möglich in Mitleidenschaft gezogen
werden. Auch wollen in der Regel die meisten Eltern das Beste für ihre Kinder. Wenn das Beste
für die Kinder ist, wie es sich der Familienforschung der letzten Jahre entnehmen läßt, zu beiden
Elternteilen einen guten Kontakt trotz Trennung und Scheidung zu behalten, wird dies für die
Eltern eine starke Motivation sein, entsprechende Regelungen für die künftige Gestaltung des
veränderten Familienlebens zu finden (vgl. ebd., 158).
 Die Mediationserfahrung soll den Eltern für zukünftige Konfliktlösungen als Modell dienen (vgl.
Niesel, 1991, 85).
 Mediation zielt nicht auf eine vergangenheitsbezogene Aufarbeitung der familiären Konflikte ab
und ist auch kein therapeutischer Prozeß, obwohl die Grenzen hier fließend sein können. Es geht
weder schwerpunkmäßig um die Einsicht in innerpsychische Konflikte, noch um Veränderung von
Persönlichkeitsmustern (vgl. Proksch, 1993, 178).
 In der Mediation kommt den Anwälten eine besondere Funktion zu. Gerade, wenn der Mediator
nicht rechtskundig ist und wegen des Rechtsberatungsgesetzes keine eigene juristische
Beratungstätigkeit entfalten darf, ist der Mediator auf Anwälte angewiesen. Im Mediationsprozeß
haben Anwälte beratende Funktion. Sie sollen im Rahmen dieses Prozeßes ihrer Partei
verdeutlichen, welche Rechte ihr nach dem Gesetz zustehen, damit sie genügend informiert ist, um
in der Mediation ihre Interessen vertreten zu können. Weiterhin haben Rechtsanwälte bei
nichtjuristischen Mediatoren die Aufgabe, die gefundenen Lösungen rechtlich fundiert zu
formulieren, so daß sie entweder in eine notarielle Vereinbarung münden oder als Vereinbarung zu
Protokoll des Gerichts gegeben werden können (vgl. Mähler u. Mähler, 1993, 159-160).
Die Mediation ist ein zeitlich begrenzter Prozeß, der in verschiedenen strukturierten Phasen und
Schritten abläuft. Auf die Struktur und den Ablauf der Mediation werde ich nicht weiter eingehen und
verweise auf: Diez u. Krabbe, 1993, 109-131.
Scheidungsmediation können folgende Personen anbieten (vgl. Deutscher Verein für öffentliche und
private Fürsorge, 1993, 240):
Absolventen sozialwissenschaftlicher Studiengänge an FHs und Unis, sowie juristischer Studiengänge
mit jeweils mehrjähriger beruflicher Erfahrung und zusätzlichen Qualifikationen in der
Vermittlungsarbeit.
5.2.3.3 Erfahrungen mit Mediation
In einem Pilotprojekt am Jugendamt Erlangen von Dezember 1990 bis Oktober 1991 konnten erste
praktische Erfahrungen mit Vermittlung im Rahmen der jugendhilferechtlichen Mitwirkung in
familiengerichtlichen Verfahren (§§50, 17 KJHG) in der Bundesrepublik Deutschland gewonnen
werden (vgl. Proksch, 1997, 204-209).
127
Ich möchte nur kurz die wesentlichen Ergebnisse aufführen.
 Überraschend war die hohe Akzeptanz von dem freiwilligen Vermittlungsangebot des Jugendamts
durch die Eltern (ca. 90% der Scheidungseltern willigten spontan ein, in ihrem eigenen
Sorgerechts- bzw. Umgangsrechtsverfahren Vermittlung zu praktizieren, wobei dann ca. 70%
tatsächlich die Vermittlung durchführten).
 72% der am Vermittlungsverfahren teilgenommenen Eltern erreichten eine Vereinbarung, während
28% die Vermittlung abbrachen.
 Weit über die Hälfte der befragten Eltern, sowohl solche, die zu einer Vermittlungsvereinbarung
gelangt sind, wie auch jene, die die Mediation abbrachen, erlebten Vermittlung als ein hilfreiches
Verfahren, das sie ihren Bekannten weiterempfehlen würden.
 Ca. 78% der befragten Eltern äußerten, daß sie mit der Vermittlung zufrieden seien.
 Durchgängig wurde das Vermittlungsangebot von den Eltern begrüßt.
 In Vermittlungssitzungen wurde deutlich, daß selbst Eltern mit hohem Streitpotential befähigt sein
können oder durch die Vermittlungsinterventionen befähigt werden können, konstruktiv zu streiten
und durch kooperative Kommunikation zu einer einvernehmlichen eigenen Regelung zu kommen.
 Aus der Befragung ergibt sich weiterhin, daß das gerichtliche Verfahren als nicht befriedigend
bewertet wird (68% der Befragten gaben an, daß das Gerichtsverfahren ihren Ärger erhöht habe).
 Zur Situation der Eltern-Kind-Beziehung fällt auf, daß die Mehrheit der Eltern sich beide trotz
Scheidung für die Kinder verantwortlich fühlen. Dies zeigt, daß grundsätzlich ein gutes
Einigungspotential auch in streitigen oder sogar hoch streitigen Fällen vorhanden sein und durch
Vermittlung unterstützt werden kann.
 Außerdem konnte
auch eine Verringerung der Sreithäufigkeit der
Eltern nach der
Vermittlungsintervention festgestellt werden.
Diese Ergebnisse zeigen, „... daß Vermittlung sehr wohl eine deutliche Befriedung im Verhältnis der
streitenden Eltern befördern kann“ (Proksch, 1997, 209).
Die Ergebnisse legen die Vermutung nahe, daß von den Scheidungseltern Vermittlung als wirksame
Alternative zum gerichtlichen Verfahren verstanden und als Standardangebot zur Förderung des
„Wohls des Kindes“ gewünscht wird (vgl. ebd., 206).
Aufgrund der geringen Fallzahl in der nur kurzen Zeitspanne des Pilotprojektes können allerdings im
einzelnen noch keine gesicherten Aussagen gemacht werden, aber es läßt sich anhand der Ergebnisse
eine positive Bewertung der Mediation im Scheidungsgeschehen durchaus rechtfertigen (vgl. ebd.,
209).
Im folgenden möchte ich noch kurz auf die Thematik der Einbeziehung von Kindern in die Mediation
eingehen.
128
5.2.3.4 Einbeziehung der Kinder in die Mediation
Zu der Frage, ob Kinder in den Mediationsprozeß miteinbezogen werden sollen, bestehen keine
einheitlichen Meinungen. Die Entscheidung, ob Kinder an der Mediation teilnehmen, gehört zu den
Aspekten der Mediation, die der Beliebigkeit jedes Mediators unterstellt zu sein scheinen (vgl.
Pearson u. Thoennes, 1988b; Paquin, 1988, in: Niesel, 1991, 88). Dies liegt vielleicht daran, daß
Mediatoren aus unterschiedlichen Professionen kommen und dadurch unterschiedliche Kompetenzen
hinsichtlich des Umgangs mit Kindern haben (vgl. Groner, 1996, 181).
Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienmediation sieht die Einbeziehung folgendermaßen: „Den
Interessen und Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen kommt im Mediationsprozeß besondere
Bedeutung zu. Der Mediator/die Mediatorin trägt dafür Sorge, daß die Kinder soweit wie möglich
geschützt werden. (...). Ihnen sollte je nach Alter die Möglichkeit gegeben werden, sich am Prozeß zu
beteiligen. Die bei den Eltern liegende Verantwortung für die Entscheidung bleibt jedoch bei diesen.
Für die Kinder und Jugendlichen ist es wichtig, daß ihre Eltern in der Mediation kooperative
Verhaltensformen einüben, überprüfen und weiterentwickeln“ (Bundesarbeitsgemeinschaft für
Familienmediation, 1994, in: Groner, 1996, 181).
Wissenschaftliche Untersuchungen zu der Einbeziehung der Kinder in die Mediation gibt es in der
Bundesrepublik Deutschland noch nicht. Forschungsprojekte laufen hier erst allmählich an (vgl.
Groner, 1996, 181).
Erste Erfahrungen gibt es aber von der Trennungs- und Scheidungsberatungsstelle „Familiennotruf
München“. Der Familiennotruf stellte hinsichtlich der Einbeziehung von Kindern folgendes fest (vgl.
Jahresbericht des Familiennotrufs München, 1993, in: Groner, 1996, 183):
 Kinder können ein Stück Sicherheit zurück gewinnen, wenn sie in die Entwicklung der Regelungen
einbezogen werden;
 Kinder können einen Teil ihrer Schuldgefühle aufgeben, wenn sie in der Mediation erleben, daß
die Eltern ihre Verantwortung für die Überwindung der Familienkrise selbst übernehmen;
 die Gefahr, daß Eltern Kinder in die Auseinandersetzungen um Geld miteinbeziehen und sie
manchmal als Unterhändler mißbrauchen, kann verringert werden;
 der Alltag der Kinder kann konflikfreier werden, da die Elternvereinbarungen dem Alltag der
Kinder möglichst genau angepaßt werden können, wie z.B. bzgl. Schulen, Freunden,
Freizeitaktivitäten etc.,wenn Kinder bei den Verhandlungen anwesend sind;
 Kinder können ihre Loyalität zu beiden Eltern aufrechterhalten, wenn sie in der Mediation erleben,
daß die Eltern nicht gegeneinander kämpfen, sondern um gemeinsames und gerechtes Aushandeln
bemüht sind;
 Kinder können selbst modellhaft lernen, wie Streit und Konflikte gelöst werden können.
Groner machte in ihrer Mediationspraxis die Erfahrung, daß Kinder durch die Sachlichkeit der
Atmosphäre eher in der Lage sind, ihre Anliegen ihren Eltern gegenüber zu formulieren, ohne das
Gefühl haben zu müssen, die Eltern zu verletzen. Kinder können es auch als erleichternd und befreiend
129
erleben, wenn in der Mediation einmal offen über ihre Familiensituation gesprochen wird (vgl. Groner,
1996, 189).
Wichtig bei der Einbeziehung der Kinder ist, wie dies auch die Bundesarbeitsgemeinschaft für
Familienmediation fordert, daß Kinder nicht den Eindruck bekommen, Verantwortung für die
Situation übernehmen zu müssen, was Kinder bekanntlich oft bei einer Ehescheidung ihrer Eltern tun
und sich damit überfordern. Die Verantwortung muß ganz klar bei den Eltern bleiben. Die
Einbeziehung der Kinder ermöglicht aber, sie aus der Objektrolle, aus der machtlosen Opferrolle zu
holen und sie als Subjekt mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu behandeln. Die Einbeziehung
kann ihr Selbst stärken. Die Frage, wie die Kinder miteinbezogen werden sollen, muß in jedem
Einzelfall verantwortlich entschieden werden. Bei dieser Entscheidung muß berücksichtigt werden: die
Person des Kindes, die zu bearbeitende Thematik, fachliche und persönliche Kompetenz der
Mediatoren (vgl. ebd., 194-197).
Außerdem zeigen auch amerikanische Berichte, daß die Kinder es selbst als positiv bewerten, wenn sie
ein Gespräch mit dem Mediator führen können. Sie fühlen sich ernstgenommen, besser informiert, und
das Umgehen mit ihren Gefühlen wird ihnen erleichtert (vgl. Pearson u. Thoennes, 1988b, in:Fthenakis
et al., 1997, 269-270).
Resümee zur Mediation:
Mediation ersetzt weder Therapie noch Erziehungsberatung. Verhaltensauffälligkeiten und
Entwicklungsstörungen brauchen andere Interventionen. Mediation kann aber einen wichtigen Beitrag
leisten, die Selbstheilungskräfte und Ressourcen der Eltern und Kinder zu nutzen und bietet so eine
Chance, die Probleme und konfliktreichen Situationen zu mindern, so daß Scheidungen besser
bewältigt werden können (vgl. Groner, 1996, 196-197).
5.2.4 Fazit zu den Scheidungsberatungsangeboten
Hinsichtlich der Angebote der Trennungs- und Scheidungsberatung muß leider festgestellt werden,
daß es zwar in verschiedenen Städten solche spezialisierten Interventionen gibt, wie z.B. Der
„Familiennotruf“ München, der „Trialog“ Münster, die interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft e.V.
Berlin „Zusammenwirken im Familien-konflikt“ (Witte et al., 1992, stellen Scheidungsberatungstellen
in der Bundesrepublik Deutschland vor), aber daß solche Angebote flächendeckend noch fehlen (vgl.
Fthenakis et al., 1997, 265). Es wäre deshalb angesichts der hohen Scheidungszahlen wünschenswert,
wenn sich dieses Netz der präventiven Interventionsangebote noch erweitern würde, damit
Scheidungen wirklich zur neuen Chance für Eltern und Kinder werden können. „Wenn ... Trennung
130
und Scheidung eine alltägliche Erscheinung geworden ist, dann müssen darauf abgestellte Hilfen
auch in allgemeinen Beratungstellen für Kinder, Eltern und Familien selbstverständlich sein“ (Menne
et al., 1997, 18).
Nach telefonischer Auskunft des Leiters der Erziehungsberatungsstelle Fulda finden die meisten
Scheidungsberatungen immer noch zu spät statt, d.h. erst, wenn Kinder schon verhaltensauffällig oder
Eltern schon so verfeindet sind, daß Interventionen nicht mehr dem Schaden vorbeugen können,
sondern nur noch versuchen können, ihn vielleicht zu verringen. Er bestätigte, daß es vielerorts, wie
auch hier in Fulda, an präventiven Maßnahmen fehlt. Dies ist nach seiner Ansicht auch ein finanzielles
und familienpolitisches Problem, dem sich die Sozial- und Familienpolitik zu stellen hat (vgl. Plass,
1998).
Außerdem ist es besonders bedeutend, daß es zunehmend mehr zu einer Zusammenarbeit der an einer
Scheidung beteiligten Professionen kommen muß, damit es nicht auf institutioneller Ebene erneut zu
einem Scheidungskonflikt kommt, da die verschiedenen Professionen, anstatt zum Wohl der Familien
zu kooperieren, sich eher voneinander abgrenzen und darüber diskutieren, wer das angemessenere
Angebot bietet (vgl. Moch, 1994, 408).
„Scheidungsfamilien brauchen Beratungs- und Betreuungsdienste, die ihnen Modell sind hinsichtlich
Fairneß, Kooperation und Arbeitsteilung zugunsten der Entwicklung und Förderung ihrer Kinder“
(ebd.).
Abschließend soll ein Betroffener zu Wort kommen, der auf die Frage, welchen Rat er anderen
Scheidungsfamilien gebe würde, folgendes sagte: „ Nicht aufhören, miteinander zu reden und sich
zuhören ... und das beherzigen, was in den Broschüren von den Jugendämtern drin steht, daß die
Kinder beide Elternteile dringend brauchen. (...) Wenn sie erst einmal unvorbereitet oder als Gegner
in die Mühlen der Jugendämter, Gerichte und Anwälte kommen, dann haben Sie da kaum noch eine
Chance, das nach Ihren eigenen Vorstellungen zu regeln. Und bei dem Streit bezahlen beide, und die
Kinder vor allen Dingen. Und das wäre nicht nötig. Denn es bringt alles nichts“ (Moch, 1994, 408).
131
6. Schlußbetrachtung
Wie in den Ausführungen deutlich wurde, können Ehescheidungen so bewältigt werden, daß sie für
alle Beteiligten, vor allem für Kinder, nicht schädigend sein müssen. Allerdings brauchen viele
Familien dabei Hilfe und Unterstützung, die früh genug ansetzt und nicht erst, wenn Eltern und Kinder
schon andauernde Störungen haben, und vor allem eine Gesellschaft, die diese Familien nicht per se
als defizitär betrachtet, sondern sie im positiven Umgang mit ihrer Situation stärkt.
Dafür wäre es notwendig, daß die breite Öffentlichkeit zu dem Bewußtsein kommt, daß Kinder das
Recht auf beide Eltern haben, auch wenn die Ehe geschieden wird, und daß sich Elternschaft beider
Eltern und Scheidung nicht ausschließen (vgl. Lederle, 1997, 257).
Lederle formuliert weiter, daß es wünschenswert wäre, wenn Scheidungen in der Zukunft per Antrag
beim Standesamt angemeldet werden könnten, wo Eltern dann alle wichtigen Informationen über einen
angemessenen Umgang mit der Scheidung erhalten würden. Sie bekämen dort z.B. die Auskunft, daß
sie eine Vereinbarung über die Scheidungsfolgen als Voraussetzung für den Vollzug der Scheidung
benötigen und dabei Unterstützung von Beratungsstellen und Mediatoren bekommen können. In
Fällen, in denen trotz allen Hilfsangeboten keine Vereinbarungen erreicht werden können, würde, so
wie bisher, das Gericht entscheiden. Mit diesen Maßnahmen, so meint sie, wären die mit einer
Scheidung verbundenen Verletzungen und Belastungen aller Familienmitglieder, vor allem der Kinder,
einzuschränken (vgl. ebd., 258).
Obwohl Ehescheidungen wegen ihrer Häufigkeit zu einer fast normalen Entwicklung geworden sind,
stellen sie, wie in der Arbeit deutlich wurde, an Eltern und Kinder trotzdem hohe Anforderungen und
belasten sehr (vgl. Kardas u. Langenmayr, 1997, 50). Meine Arbeit möchte deshalb nicht leichtfertig
für Ehescheidungen plädieren oder ihre möglichen Belastungen verharmlosen. Mir ging es vielmehr
darum, konstruktive Wege im Umgang mit der Realität der vielen Ehescheidungen aufzuzeigen.
Natürlich
wäre
es
auch
sehr
sinnvoll,
wenn
im
Vorfeld
der
Scheidungen,
ihre
Auftretenswahrscheinlichkeit verringert werden könnte. Möglich wird dies dadurch, daß Paaren im
Umgang mit Konflikten geholfen wird und ihnen vermehrt Kompetenzen hinsichtlich ihrer
Beziehungsfähigkeit vermittelt werden. Außerdem wäre vermutlich Unterstützung in Fragen der
Gestaltung von Partnerschaft und Ehe wichtig, da in diesem Bereich in unserer Zeit keine
allgemeingültigen Normen mehr bestehen und jeder seine Ehe selbst gestalten muß, was viele Ehen
132
überfordert, wie in Punkt 2.1.2 beschrieben. Ferner wäre die Verbreitung eines realistischeren Bildes
von Ehe und Partnerschaft angebracht, da viele zu große Erwartungen haben, die dann schmerzhaft
enttäuscht werden und zu Trennungen führen können.
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Textor, Martin R. (1991b). Scheidungszyklus und Scheidungsberatung:
Ein Handbuch. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht.
Thery, Irene (1990). „Die Familien nach der Scheidung: Vorstellungen, Normen,
Regulierungen“.
In: Lüscher, Kurt et al. (Hrsg.). Die postmoderne Familie: familiale Strategien und
Familienpolitik in einer Übergangszeit. 2. unveränd. Aufl., Konstanz: Univ.-Verl.,
84-97.
Weber, Roland; Beck, Lothar (1993). „ Elterliche Verantwortung und Sozialarbeit“.
In: In: Krabbe, Heiner (Hrsg.). Scheidung ohne Richter. Neue Lösungen für
Trennungskonflikte. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verl., 207-225.
Wallerstein, Judith; Blakeslee, Sandra (1989). Gewinner und Verlierer. Frauen,
Männer, Kinder nach der Scheidung. Eine Langzeitstudie. München: Droemer
Knaur.
Witte, Erich, H. et al. (1992). Trennungs- und Scheidungsberatung. Grundlagen Konzepte - Angebote. Göttingen; Stuttgart: Verlag für Angewandte Psychologie.
Materialanhang
Ich möchte in diesem Materialanhang auf einige Informationsschriften für Eltern, die
von einer Trennung oder Scheidung betroffen sind, auf Kinder- und Jugendliteratur
zu diesem Thema und auf Adressen von Beratungsstellen hinweisen.
Informationsschriften für Eltern,
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die kostenlos beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Broschürenstelle, Postfach 201551, 53145 Bonn, zu erhalten sind:
1.Alleinerziehend. Tips und Informationen;
2.Der Unterhaltsvorschuß. Eine Hilfe für Alleinerziehende.
3.Eltern bleiben Eltern. Informationen über Hilfen für Kinder bei Trennung und
Scheidung der Eltern.
Informationsschriften für Eltern,
die kostenlos beim Bundesministerium der Justiz, Referat für Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit, 53170 Bonn, zu erhalten sind:
1.Ehe- und Familienrecht;
2.Das neue Kindschaftsrecht.
Weiterhin möchte ich auf einen geeigneten Familienratgeber zum Thema Trennung
und Scheidung hinweisen:
Niesel, Renate. Scheidungskinder. Mit Kindern Trennungen bewältigen. Wie Eltern
ihren Kindern in familiären Extremsituationen helfen können. Mit den
neuen Regelungen zum gemeinsamen Sorgerecht. München:
Südwest-Verl., 1998, 19,80DM.
Bilderbücher zum Thema Trennung und Scheidung:
Becker, A.; Scharf-Kniemeyer, M.: Und was wird aus uns? Eine Familie geht
auseinander. Ravensburger Verlag.
Brown, L.K.; Brown, M.: Scheidung auf dinosaurisch. Ein Ratgeber für Kinder und
Eltern. Carlsen Verlag.
Enders, U.; Wolters, D.: Auf Wieder-Wiedersehen! Ein Bilderbuch über Abschied,
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Trennung und Wiedersehen. Anrich Verlag.
Gydal, M.; Danielson, T.: Ole und seine Welt. Petras Eltern sind geschieden.
Carlsen Verlag.
Maar, N.; Ballhaus, V.: Papa wohnt jetzt in der Heinrichstraße.
Modus Vivendi Verlag.
Neuhaus, E.; Fournier, A.: Anna und Wuwu. Engel und Bengel Verlag.
Weninger, B.; Marks, A.: Auf Wiedersehen, Papa! Neugebauer Verlag.
Kinder- und Jugendliteratur zum Thema Trennung-und Scheidung:
Bobel, J.: Eine Tür fällt zu, wenn Eltern auseinandergehen. Schneider Verlag.
Boeck, J.: Mama hat sich verliebt. Herder Verlag.
Blume, J.: Davon geht die Welt nicht unter. Klopp Verlag.
Carna, Z.: Ein Brief aus Afrika.Ueberreuter Verlag.
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Chidolue, D.: Lady Punk. Beltz Verlag.
Cleary, B.: Ruf doch an, Papa. Ueberreuter Verlag.
Donelly, E.. Tine durch zwei geht nicht. Ravensburger Verlag.
Fox, P.: Der Schattentänzer. Arena Verlag.
Friesel, U.: Jeden Tag Spaghetti. Rheinbeck Verlag.
Fritsch,L.: Wo wird Olli bleiben. Spektrum Verlag.
Härtling, P.: Anna auf dem Dach. Beltz u. Gelberg Verlag.
Haslor, E.: Der Sonntagsvater. Von Andi, der an drei Orten lebt und an keinem
richtig. Ravensburger Verlag.
Kessl, I.: Alle Tage ist kein Sonntag. Bitter Verlag.
Kirchberg, U.: Rike und Matti - wenn Eltern sich trennen. Ellermann Verlag.
Ladiges, A.: Mann bist du gemein. Rowohlt Verlag.
Mazer, N.: Anruf nach acht Jahren. Sauerländer Verlag.
McAffee, Brown, A.: Mein Papi, nur meiner! Oder: Besucher die zum Bleiben
kamen.
Ali Baba Verlag.
Mooser, T.: Familienkrieg; wie Christoph, Vroni und Anette die Trennung der Eltern
erleben. Suhrkamp Verlag.
Naumann, F.: Den Vater denk ich mir. Rowohlt Verlag.
Nöstlinger, C.: 1. Der Zwerg in meinem Kopf.
2. Oh, du Hölle, Julias Tagebuch.
3. Ein Mann für Mama.
4. Einen Vater hab ich auch. Alle: Beltz Verlag.
Sakowski, H.: Munzo und ich. Lebenskerben oder Scheidung ist nicht komisch.
Rowohlt Verlag.
Spangenberg, B.: Märchen für Scheidungskinder. Verlag Orac, Wien.
Törnquist, R.: Camilla in der Weide. Dressler Verlag.
Uebe, I.: Die Zeit als Papa kochen lernte. Loewe Verlag.
Zöller, E.: Alex belogen. DTV Junior.
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Die Zusammenstellung der Bilder-, Kinder- und Jugendbücher zum Thema Trennung
und Scheidung erfolgte nach: Schmitt, 1997, 74-75.
Wichtige Adressen von Scheidungsberatungsstellen:
Arbeitskreis Partnerschaftskrise
Trennung und Scheidung e.V.
Schneckenhofstr. 27
60596 Frankfurt/M.
069/620604 +724379
Deutsches Familienrechtsforum
Haußmannstr. 6
70188 Stuttgart
0711/2333399/602565
Familien-Notruf München
IETE - Intakte Elternsschaft trotz
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Pestalozzistr. 46
80469 München
089/269194
Scheidung
Germersheimer Str. 26
81541 München
089/496411
TRIALOG e.V.
Von Vinkestr. 6
48143 Münster
0251/511414
Projekt „KUGEL“
Camillo Sitte Platz 3
45136 Essen
0201/265165
Zusammenwirken im Familienkonflikt Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft
e.V.
Wilhelmsaue 133
10715 Berlin
030/8610195
Bundes-Arbeitsgemeinschaft für
FamilienMediation (BAFM)
Rathausplatz 25
22926 Ahrensburg
04102/54541
Im allgemeinen können Betroffene vor, während oder nach der Scheidung
fachkundigen Rat bei folgenden Ämtern, Verbänden und Istitutionen einholen:
 Jugendämter;
 Allgemeiner Sozialdienst;
 Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen;
 Beratungsstellen für Eltern, Kinder und Jugendliche (Erziehungsberatungsstellen);
 Jugend- und Familienhilfe der Wohlfahrtsverbände und deren Fachverbände
(Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Sozialdienst katholischer Frauen, Diakonisches Werk,
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Kinderschutzbund).
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Erklärung
Hiermit erkläre ich, daß die vorliegende Arbeit selbständig, ohne unerlaubte fremde
Hilfe und ohne Benutzung anderer als den angegebenen Quellen und Hilfsmitteln
angefertigt habe. Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus anderen Werken
entnommen wurden, habe ich als solche kenntlich gemacht.
Diese Diplomarbeit hat in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner anderen
Prüfungsbehörde vorgelegen.
Fulda, den 14.09.1998
Materialanhang
Fulda, September 1998
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