Psychosomatik -. Fall 5 Stefanie Bopp Patientenvorstellung: 19jährige Patientin kommt in die Gynäkologie in der Lehre zur Reisekauffrau gibt an mittelschwere Unterbauchbeschwerden seit ca. 2 Jahren zu haben Schmerzbeschreibung: drückend, ziehend, andauernd vorhanden, nicht zyklusabhängig Vor 6 Monaten wurde sie deswegen appendektomiert - 14 Tage später gleiche Schmerzen Unauffälliges Labor, kein Blut im Stuhl Vorschlag des Gynäkologen: Laparaskopie zum Ausschluss einer Endometriose Latente Übelkeit; Patientin befürchtet an evtl. an Krebs zu leiden Schmerzmitteltherapie in Eigenregie bringt keine Besserung Lebenssituation: Scheidung der Eltern vor 2 Jahren; Patientin lebt bei der Mutter; Eltern haben keinen Kontakt ; durch häufige Fehlzeiten Befürchtung die Lehre nicht abschließen zu können Untersuchung: gynäkologisch keine Auffälligkeiten sonographisch keine Pathologie 1. Frage: Welche Diagnose stellen Sie anhand welcher Kriterien? Somatoforme Schmerzstörung o Hauptmerkmal: chronisches Syndrom von mehrjähriger Dauer mit vielfältigen, rezidivierenden und flukturierenden körperlichen Beschwerden und andauernden, schweren, quälenden Schmerzen, die durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht vollständig erklärt werden können o Meist besteht eine komplizierte medizinische Vorgeschichte mit vielen körperlichen Diagnosen und einer Vielzahl von behandelnden Ärzten o Die Schmerzen sind in einer oder mehreren anatomische Regionen lokalisiert (-> Unterbauch) o Für eine Diagnosestellung wird eine Dauer der Beschwerden von mind. 6 Monaten gefordert o Relativ häufig findet sich Missbrauch von Alkohol, Schmerzmitteln oder Tranquilizer und eine familiäre Häufung o In der Pathogenese spielen kritische Lebensereignisse, seelische Belastungssituationen (-> Scheidung der Eltern; Eltern reden nicht mehr miteinander) und Konflikte eine wesentliche Rolle o Es besteht eine gewisse Beeinträchtigung familiärer und sozialer Funktionen durch die Art der Symptome (häufige Fehlzeiten) o Schmerz – schützt vor Verletzung, ist verknüpft mit sozialen Beziehungen, als Zeichen der Schuld, als Zeichen des Verlustes 2. Frage: Welche differentialdiagnostischen Überlegungen erscheinen Ihnen sinnvoll? Körperliche Störung o Patienten können ebenso zusätzliche körperliche Krankheiten entwickeln wie andere weitere Untersuchungen, wenn die somatischen Beschwerden sich verändern Hypochondrische Störung o Vorherrschendes Kennzeichen ist das beharrliche Festhalten an der Möglichkeit an einer schweren Krankheit zu leiden o ständige Beschäftigung mit der eigenen körperlichen Erscheinung o vorwiegende Betonung einer Erkrankung gegenüber einer anderen o Keine familiäre Häufung o Beträchtliche Depression und Angst o Patienten fordern Untersuchungen, um die Erkrankung zu bestätigen o Patienten fürchten Medikamente und ihre Nebenwirkungen Gegen eine hypochondrische Störung sprechen in diesem Fall: o Hauptakzent liegt auf den Symptomen selbst und ihren individuellen Auswirkungen o Es wird nach einer Behandlung zur Beseitigung der Symptome gesucht nicht zur Bestätigung o Das Vorliegen eines ausgeprägten oder übertriebenen Medikamentenkonsums Somatoforme autonome Funktionsstörung o 2 Symptomgruppen: Funktionsstörung vegetativ innervierter Organsysteme (kardiovaskulär, gastrointestinal, respiratorisch) wie Herzklopfen, Schwitzen, Zittern zusätzliche nicht spezifische subjektive Beschwerden wie fließender Schmerz, Brennen, Enge o Beharren auf einem besonderen Organsystem als Ursache der Störung gegen eine somatoforme autonome Funktionsstörung sprechen: o keine vegetativen Symptome (Durchfälle, Miktionsbeschwerden, Flatulenz) Somatisierungsstörung o Multiple, in unterschiedlichen Körperregionen und Organsystemen liegende körperliche Beschwerden, die umfangreiche diagnostische und therapeutische Maßnahmen bewirken, obwohl keine ausreichend körperliche Erklärung gefunden wird gegen eine Somatisierungsstörung sprechen: o es ist nur ein Körperregion betroffen Depressive Störung o Oft Komorbidität bei somatoformer Schmerzstörung gegen eine depressive Störung sprechen: o anamnestisch keine Hinweise auf Kardinalsymptome wie Antriebsstörungen, Schlafstörungen, Unruhe, Essstörungen 3. Frage: Welche zusätzlichen Informationen halten Sie für notwendig, um Ihre Diagnose zu erhärten bzw. die Problematik besser zu verstehen? Wie war die Kindheit der Patientin (v.a. Pubertät) Wie war/ist die familiäre Atmosphäre (vor/nach Scheidung), Verarbeitung der Scheidung, Empfindungen, Aktzeptanz? Wie ist die berufliche Belastung? Gibt es persönlicher Kontakte, soziales Umfeld? Gibt es eine familiäre Prädisposition hinsichtlich einer somtoformen Schmerzstörung? Gibt es bestimmte Situationen, in denen eine Symptomverbesserung oder – verschlechterung erfolgt? Genaue Medikamentenanamnese Schmerzanamnese Besteht ein „doctor shopping“? Bestehen Randsymptome: innere Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten, Erschöpfung, depressive Verstimmung, Angst, Schlafstörungen 4. Frage: Welche weiteren organbezogenen Untersuchungen halten Sie für notwendig? gezielter Blut-/Serumwerte hinsichtlich eines Medikamentenabusus Laparaskopie erscheint aufgrund der untypischen Symptomatik (Endometriose = Vorkommen ektopen Endometriums mit Dysmenorrhoe, Dyspareunie, Sterilität, chron. Unterbauchschmerzen, meist nach der Menarche, Schmerzen meist mit Menstruationszyklus assoziiert), dem unauffälligem Sono-Abdomen und der medizinischen Vorgeschichte nicht indiziert Zum Ausschluss körperlicher Erkrankungen: o Provokationstest zum Ausschluss von Nahrungsmittelintoleranz o Urinuntersuchung zum Ausschluss eines urologischen Leidens o Stuhluntersuchung und Klärung von Verdauungsproblemen o Mikrobiologischer Abstrich (Ausschluss Gonorrhoe, Chlamydien) 5. Frage: Welches therapeutische Procedere wählen Sie und warum? Herstellen einer vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung Patientin mitteilen, dass ihre Erkrankung ernst genommen wird Ziel der Therapie: o Verständnis der psychischen Ursachen o Verringerung der Medikamenteneinnahme o Verringerung der Inanspruchnahme medizinischer Einrichtungen o Nicht -> vollständige Beseitigung der körperlichen Symptome regelmäßige Kontakttermine regelmäßige körperliche Untersuchungen weitere Untersuchungen nur bei klarer Indikation Diskussion über Realität der Beschwerden Verhaltenstherapeutische Maßnahmen: o Bearbeitung kognitiver Schemata o Sensibilisierung kognitiver Effekte bzgl. Der Körperwahrnehmung o Bewältigungsstrategien o Physische Aktivierung und Bestärkung von „Normalverhalten“ Psychoanalytisch orientierte Maßnahmen o Biographie o Eigene Krankheitserfahrungen o Schuldgefühle, Bestrafungswünsche Evtl. antidepressive Medikation: trizyklische Antidepressiva 6. Frage: Welche Quellen haben Sie zur Beantwortung benutzt? (mit Titelangabe) Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik, 4. Auflage, Gerd Rudolph AWMF Leitlinien: anhaltende somatoforme Schmerzstörung; somatoforme Sörungen ….