Kooperationstheorien

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Kooperationstheorien
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Kooperationstheorien
1. Vorbemerkung – Seit Anbeginn ihrer Geschichte mag die Dialektik von
Konflikt und Kooperation, → Krieg und Frieden als Bewegungsmoment der
internationalen Beziehungen begriffen werden. Dementsprechend bildet die
Untersuchung der Gründe, Anlässe, Prozesse, Strukturen, Ziele und
Ergebnisse von konflikthaftem wie kooperativem Akteursverhalten einen der
Arbeitsschwerpunkte der Lehre von den Internationalen Beziehungen. Und:
Eine umfassende → Theorie der internationalen Beziehungen ist ohne Rekurs
auf das Ensemble von Konflikt- und Kooperationstheorien nicht formulierbar.
Generell liefert die Frage nach
– der Beschaffenheit, Qualität und Struktur des Milieus, d.h. des Handlungs(um)feldes internationaler Akteure,
– der Beschaffenheit, Qualität und dem Charakter der in diesem Handlungs(um)feld (überwiegend) handelnden Einheiten, d.h. den Akteuren,
– den von diesen typischerweise verfolgten Interessen und Zielen sowie den
zur Verwirklichung dieser Interessen und Ziele eingesetzten Mittel
Kriterien für die Klassifizierung, Systematisierung und vergleichende Bewertung
der Reichweite und Erklärungskraft von → Theorien internationaler
Beziehungen. In unserem Kontext wären diese Kriterien zu ergänzen durch die
Frage nach
– dem Stellenwert von Konflikt und/oder Kooperation als unabhängige
Variable in der Erklärung des Verhaltens internationaler Akteure,
– der postulierten Möglichkeit (oder Unmöglichkeit) einer die
Transformation
konfliktiven
in
kooperatives
Akteursverhalten
intendierenden gelingenden Konfliktbearbeitung,
– den aus konflikthaftem und/oder kooperativem Akteursverhalten
resultierenden Interaktionsprozessen und den sich daraus durch
Wiederholung über Zeit ausbildenden Strukturen.
Eine Durchmusterung des gesamten Theorienuniversums unserer Disziplin unter
den eben genannten Gesichtspunkten kann hier aus Platzgründen nicht erfolgen
(Übersicht: Schieder/Spindler 2006; Dunne/Kurki/Smith 2010). Desgleichen sind
die Konflikttheorien aus der weiteren Betrachtung auszuschließen (Übersicht bei
Bonacker 2005). Schließlich sind Theorien über Kooperation und Verflechtung
den Großtheorien/Weltsichten entweder des Rationalismus/Grotianismus (Wight
1991) oder des Liberalen Internationalismus zuzuordnen (Ableitung Meyers
1997: 383ff, 405ff; klassische Diskussion Kegley 1995; nahezu zeitlose
Gesamtsicht Hinsley 1967). Der Realismus und seine jüngeren Derivate scheiden
wegen ihrer Grundorientierung am nullsummenhaften Spiel der Macht- und
Ressourcenkonkurrenz im anarchisch-naturzuständlichen Staatensystem als
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Kooperationstheorien
potentielle Stammväter von Kooperations- und Verflechtungstheorien aus der
Betrachtung weitgehend aus. (Übersicht über die Grundpositionen der genannten
Großtheorien/Weltsichten in Abb. 1)
2. Kooperationsbegriff – Der Begriff der Kooperation lässt sich am besten
antithetisch formulieren, nämlich mit Blick auf die Klasse(n) von Konflikten,
die Konkurrenzverhältnisse, die es in Richtung auf eine Zusammenarbeit der
Akteure zu transformieren gilt (Müller 1993: 4ff). Aus der Betrachtung
ausgeschlossen werden können so a) Fälle von Interessenkongruenz und b)
Fälle antagonistischer Konflikte, d.h. Nullsummenspiele, in denen ein Spieler
gewinnt, was seine Mitspieler verlieren.
Kooperation setzt – bei aller ursprünglichen Interessendivergenz der Akteure –
eine Schnittmenge gemeinsamer Interessen voraus. Ihr typisches Bezugsfeld sind
Nicht-Nullsummenspiele, in denen die Akteure auf der Basis eines Grundbestands gemeinsamer Interessen – etwa der Systemerhaltung, des Schutzes ihrer
Unabhängigkeit und → Souveränität und/oder der Garantie eines zumindest
negativen, durch die Abwesenheit organisierter militärischer Gewaltanwendung
zwischen gesellschaftlichen Großgruppen charakterisierten Friedens – um die
Verteilung von Werten konkurrieren. In Situationen, die eine Mischung
konfligierender und komplementärer Interessen der Akteure enthalten, entsteht
Kooperation, wenn die Akteure ihr Verhalten an die tatsächlichen oder
antizipierten Präferenzen anderer Akteure anpassen (Axelrod/Keohane 1993: 85)
– oder anders: wenn sie eine Politik des „Wie du mir, so ich dir“ verfolgen
(Axelrod 2000; 2009). Dies kann in einem offenen oder stillschweigenden
Verhandlungs-/ Austauschprozess verabredet oder durch die stärkere Partei
erzwungen werden.
Gelegentlich wird Kooperation als eine Menge von Beziehungen zwischen
Akteuren definiert, die weder auf Zwang noch auf Nötigung beruhen, sondern
im Kontext → internationaler Organisationen oder Institutionen legitimiert
werden: Nämlich als Antwort auf einen aus Interdependenz- und
Verflechtungsproblemen resultierenden internationalen Problemlösungsbedarf
in zentralen Politikfeldern, dem nur durch wachsende Institutionalisierung der
kollektiven Problembearbeitung gerecht zu werden ist (Rittberger/Zangl
2003). Häufiger aber ist der Hinweis darauf, dass Kooperation in einem
dezentralisierten internationalen Milieu stattfindet, das einer den Akteuren
übergeordneten (Zwangs-)Gewalt entbehrt: Kooperation unter Anarchie (Oye
1986). In einer solchen Situation stellt sich die Frage, warum sich Akteure auf
das Wagnis der Kooperation einlassen sollen, wenn keine übergeordnete
Macht sie dazu zwingen noch vor Täuschung und Betrug durch ihre
Mitakteure schützen kann? Auf diese Frage gibt es zwei Antworten:
a) Akteure kooperieren aus Altruismus oder aus einem Gefühl der
Verpflichtung auf die Förderung des Gemeinwohls und/oder der Wohlfahrt
ihrer gesellschaftlichen oder staatlichen Bezugseinheit;
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Kooperationstheorien
b) Akteure kooperieren
Eigeninteresse!
aus
wohlverstandenem,
rational
kalkuliertem
Mit der auch als Rationalismus bezeichneten Annahme b) gewinnen wir eine
handlungstheoretische, d.h. von den Nutzenkalkülen der Akteure ausgehende
Erklärung des Zustandekommens wie auch der Institutionalisierung von
Kooperation, die zu ihrer Geltung weiterer Hilfsbegründungen nicht bedarf. Sie
ist zudem offen für die Bestimmung der Akteure: Staaten, Organisationen,
Interessengruppen, Individuen. Und sie betont die Möglichkeit freiwilliger
Vereinbarungen zwischen den Akteuren ebenso wie deren Durchsetzung durch
Rekurs auf das Prinzip der Erwartungsverlässlichkeit künftigen Akteurshandelns.
Dabei ist es eher sekundär, wie dieses Prinzip als gleichsam kategorischer
Imperativ der Kooperation begründet wird: Nämlich optimistisch durch die
Grundannahme eines Akteurs, dass eigene Kooperations(vor)leistungen in der
Gegenwart Kooperationsverhalten anderer Akteure in der Zukunft auslösen, oder
eher pessimistisch durch Beschwörung des „Schattens der Zukunft“ (Axelrod
1984) als effektiver Kooperations-Promotor: „The more future payoffs are
valued relative to current payoffs, the less the incentive to defect today – since
the other side is likely to retaliate tomorrow ...“ (Axelrod/Keohane 1993: 91). In
jedem Fall ist die zentrale Frage einer rationalistischen Kooperationstheorie die
nach dem Ausmaß, in dem die Aussicht auf oder die tatsächliche Erzielung
gegenseitiger Kooperationsgewinne die Vorstellung überwinden kann, aus der
Durchsetzung eigener Interessen in der Konkurrenz des Nullsummenspiels sei
für den einzelnen Akteur ein höherer Gewinn zu erzielen als aus der
Zusammenarbeit mit anderen im Rahmen eines Nicht-Nullsummenspiels.
Dieser so beschriebene Begriff von Kooperation stützt sich auf zwei
wesentliche Prämissen:
1) Die Annahme, das Verhalten der Akteure sei rational und zielgerichtet
(wobei die Akteure durchaus unterschiedliche Ziele verfolgen können).
2) Die Annahme, dass Kooperation den Akteuren Gewinne oder Belohnungen
verspricht (wobei die Gewinne oder Belohnungen für jeden Akteur weder
gleich groß noch von gleicher Art sein müssen).
Jeder Akteur hilft den anderen, ihre Ziele zu erreichen, indem er sein
Verhalten in der Antizipation seines eigenen Gewinnes entsprechend
verändert. Dabei handelt er nicht aus Altruismus: „ ... it is the anticipation of
bettering one’s own situation that leads to the adjustment in one’s policies ...“
(Milner 1992: 468). Damit gewinnen wir einen umfassenderen Kooperationsbegriff: Er bezieht sich auf „... goal-directed behavior that entails mutual
policy adjustments so that all sides end up better off than they would otherwise
be ...“ (ebd.).
278
Kooperationstheorien
3. Erklärungen von Kooperation – Eine Durchmusterung der neueren
kooperationstheoretischen Literatur erbringt mindestens fünf unterschiedliche
Hypothesen, die die Genese kooperativen Akteursverhaltens zu erklären
suchen:
1) Akteure kooperieren, um absolute Gewinne zu realisieren (Axelrod 1984,
2009). Die Aussichten auf Kooperation schwinden in dem Maß, in dem die
Anzahl der Akteure (etwa im internationalen System) ansteigt (Oye 1986:
18).
2) Die Bereitschaft von Akteuren, miteinander zu kooperieren, wird
beeinflusst von ihren Zukunftserwartungen: Je größer die
Wahrscheinlichkeit und Dauerhaftigkeit kooperativen Akteursverhaltens in
der Zukunft ist, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit von
Kooperation in der Gegenwart (Milner 1992: 474f).
3) Kooperation wird angeregt und befördert durch internationale Regime: Sie
erhöhen die Kenntnisse der Akteure über das Verhalten anderer ebenso wie
die Chancen gegenseitiger Kooperationsgewinne durch regelkonformes
Verhalten der Regimemitglieder, damit letztlich aber auch das Maß der Erwartungsverlässlichkeit zukünftigen Akteurshandelns (Keohane 1984: 89ff.).
4) Ausmaß und Dauerhaftigkeit von Kooperation wird beeinflusst durch die
(Macht-)Stellung, die die Mitglieder akteursübergreifender sogenannter
„epistemic communities“ – Gruppen von Experten, die die gleichen
wissenschaftlichen Grundannahmen, Schluss- und Beweisverfahren,
wissenschaftlichen
Urteilskriterien,
Werte,
Problemsichten
und
Lösungsansätze teilen – im Entscheidungsverfahren ihrer jeweiligen Akteure
genießen (Haas 1992).
5) Asymmetrien in der Verteilung von Macht und Einfluss unter Akteuren
sind zumindest dann kooperationsfördernd, wenn sie mit der Ausbildung
hierarchischer Abhängigkeiten zwischen den Akteuren einhergehen und die
stärkeren Akteure den schwächeren Gewinne und Belohnungen in Aussicht
stellen, um sie zur Zusammenarbeit zu veranlassen.
Von den genannten Hypothesen greifen wir jene (Nos. 1, 3) heraus, die uns die
zur Erklärung des Zustandekommens von Kooperation gebräuchlichsten
Theorieansätze erschließen.
3.1. Neoliberaler Institutionalismus – Die zentrale Frage für die Vertreter des
neoliberalen Institutionalismus (Axelrod, Keohane) heißt: „Under what
conditions will cooperation emerge in a world of egoists without central
authority?“ (Axelrod 1984: 3). Die Analyse des Ausgangsproblems –
Verhalten der Akteure unter den Bedingungen internationaler Anarchie –
knüpft somit an klassische realistische/ neorealistische Grundannahmen an:
Als einheitliche, rationale Akteure sind die Staaten die Haupt-Handlungsträger
der internationalen Politik (Grieco 1993: 121). Allerdings: Ihre Rationalität ist
Kooperationstheorien
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nicht die des Realismus, dessen Akteure dem Ziel des je eigenen Überlebens
(und sekundär der Verteidigung ihrer relativen Position in der Hierarchie der
Staatenwelt) alles andere unterordnen. Ihre Rationalität ist vielmehr die des
rationalen Egoisten, der im Spiel der internationalen Politik nach der
Maximierung seines Nutzens, nach der Netto-Mehrung seiner Wohlfahrt
strebt. Wenn alle Akteure so denken, führt dieser Weg unmittelbar ins
Gefangenendilemma – in dessen Kontext eine Maximierung absoluter
Gewinne für jeden Mitspieler am ehesten durch eine Strategie der reziproken
Kooperation erreicht werden kann. Unter der Prämisse, dass sich das Spiel
zwischen den Akteuren unbestimmt oft wiederholt, können auch künftige
Spielgewinne in aktuelle Entscheidungskalküle miteinbezogen werden. Auch
für rationale Egoisten macht so der Schatten der Zukunft die kooperative
Lösung eines Gefangenendilemmas möglich. Aus dieser Überlegung resultiert
der Befund, dass die Entstehung und iterative Verfestigung von Kooperation
auch unter der Bedingung eigeninteressierten Handelns rationaler Akteure und
bei Abwesenheit einer Verhaltensabweichungen und Betrug sanktionierenden
Zentralinstanz prinzipiell denkbar wird: „cooperation arises tacitly; it evolves
over time as the actors’ expectations converge“ (Milner 1992: 470).
In solch einer Situation reziproker Kooperation kommt es für die Akteure
darauf an, nicht nur die Erfüllung der Kooperationserwartungen
sicherzustellen und Betrugsversuche zu unterbinden; vielmehr müssen auch
die Kosten entsprechender Sanktionen geringer sein als der Gewinn, den
kooperatives Verhalten verspricht. An dieser Stelle wird die Bedeutung von
Institutionen deutlich: Aus gleichförmigem Verhalten über Zeit geronnene
Strukturen, Regeln und Normen, die die künftige Iteration des
Akteursverhaltens befördern, die Möglichkeiten zur Verifikation kooperativen
Akteursverhaltens ebenso verbessern wie die Kosten solcher Verifikation
reduzieren, und die Bestrafung von Betrügern erleichtern (Grieco 1993: 124).
Oder anders: Je häufiger Akteure in strukturell vergleichbaren Situationen
miteinander kooperieren, desto mehr werden sich nicht nur ihre
Verhaltenserwartungen und -strategien aneinander anpassen. Sondern desto
mehr werden sie auch virtuelle oder reale Gehäuse für ihre Interaktionen
ausbilden, die Foren für den Informationsaustausch bieten und
Verhandlungsgelegenheiten eröffnen, die die Überwachung abgeschlossener
Vereinbarungen erleichtern und die Erfüllung eigener Verpflichtungen
ermöglichen, und die den vorherrschenden Erwartungen hinsichtlich der
Dauerhaftigkeit von (internationalen wie anderen) Vereinbarungen Ausdruck
geben. „... cooperation is possible but depends in part on institutional arrangements ...“ (Keohane 1989: 4).
In mancher Hinsicht ließe sich der Prozess der internationalen
Institutionenbildung (Martin/Simmons 2001) als eine über Zeit hinweg stabile
reziproke Typisierung habitualisierter Routinehandlungen zwischen typisierten
Rollenpartnern begreifen. Politische Strukturen wären dementsprechend nicht
deduktiv von abstrakten Axiomen (etwa dem Anarchie-Theorem) abzuleiten,
280
Kooperationstheorien
sondern aus (beobachtbarem) praktischem Routineverhalten der Akteure zu
rekonstruieren. Und: „... the ability of states to communicate and cooperate
depends on human-constructed institutions, which vary historically and across
issues, in nature (with respect to the policies they incorporate) and in strength
(in terms of the degree to which their rules are clearly specified and routinely
obeyed) ... . States are at the center of our interpretation of world politics ...
but formal and informal rules play a much larger role ...“ (Keohane 1989: 2).
Diese Perspektive rekurriert im Übrigen auf den politikwissenschaftlichen
Neo-Institutionalismus, wie ihn March und Olsen in den 80er Jahren entwickelt
haben (systematisiert in March/ Olsen 1995, 2005). Ihnen zufolge definieren
Institutionen die Rahmenbedingungen für das Handeln politischer Akteure und
prägen gleichzeitig deren Verhalten – u.a. durch die Konstituierung und
Legitimierung politischer Rollen, durch die Festlegung von Verhaltensregeln für
die in den Institutionen Handelnden, durch das Setzen von Maßstäben für die
Einschätzung und Bewertung der Realität, durch das Vorhalten von Rahmen für
affektive Beziehungen, durch die Schaffung von Voraussetzungen für
zielgerichtetes Handeln und durch die Setzung von Regeln für den Besitz und die
Nutzung politischer Macht.
Die Folgen des Neoliberalen Institutionalismus für die Betrachtung der
internationalen Beziehungen sind frappant: Nicht der Naturzustand der Anarchie,
sondern der geschaffene Kulturzustand der – über Zeit durchaus schwankenden
und sich verändernden – Institutionalisierung internationaler Beziehungen
produziert die maßgeblichen strukturellen Effekte, die das Verhalten der Akteure
beeinflussen. Ihr Handeln orientiert sich nicht nur am Selbstinteresse, sondern
auch an der Antizipation der positiven Effekte dauerhafter Kooperation
(Keohane 1984: 88ff.): Garantie der Erwartungsverlässlichkeit künftigen
Akteurshandelns, Verminderung existentieller Unsicherheit durch die
Beschaffung von Informationen über Handlungen und Ziele der anderen,
Reduzierung von Transaktionskosten, Behebung kollektiver Defekte
(„Marktversagen“) usw. Ein Vergleich mit neorealistischen Grundpositionen
(vgl. Abb.2 am Beitragsende; knappe Charakteristika des Neoliberalen
Institutionalismus in Abb.3) mag die Veränderung der Perspektive besonders
drastisch illustrieren (nach Baldwin 1993: 4ff):
1. In der Sicht des Neorealismus verursacht die internationale Anarchie
strengere Zwänge für das Verhalten der Akteure als in der Sicht des
Neoliberalismus.
2. In der Sicht der Neorealisten ist internationale Kooperation härter zu
bewerkstelligen, schwieriger aufrechtzuerhalten, und sehr viel abhängiger
von der Machtaustattung der Akteure als in der Sicht der Neoliberalen.
3. Das
Interesse
des
Neoliberalismus
gilt
den
absoluten
Kooperationsgewinnen der Akteure, während sich die Neorealisten auf
relative Kooperationsgewinne konzentrieren. D.h. sie fragen danach,
welcher Akteur im Vergleich zu anderen mehr von Kooperation profitiert,
Kooperationstheorien
281
während das Interesse der Neoliberalen auf die Maximierung des Gesamts
an Gewinnen für alle Akteure zielt.
4. In der Sicht des Neorealismus zwingt die internationale Anarchie die Staaten
dazu, sich vordringlich mit Fragen ihrer Sicherheit und ihres Überlebens zu
beschäftigen, während das Interesse der Neoliberalen eher Problemen der
internationalen politischen Ökonomie gilt. Damit ergeben sich
unterschiedliche Hinsichten auf die Realisierungsmöglichkeiten von
Kooperation: Im weltwirtschaftlichen Bereich werden diese als deutlich
höher eingeschätzt.
5. Neorealisten widmen ihre Aufmerksamkeit eher der (meist materiellen)
Befähigung der Akteure zum Handeln denn ihren Absichten und
Zielvorstellungen; Neoliberale betrachten eher die Absichten,
Zielvorstellungen, Perzeptionen und Situationsdefinitionen der Akteure
denn deren Handlungsbefähigungen.
6. Neorealisten glauben nicht, dass internationale Institutionen die
einschränkenden Zwangseffekte der Anarchie auf Kooperation mildern
können; Neoliberale betonen demgegenüber ausdrücklich, dass selbst unter
Anarchie Institutionen Kooperation erleichtern.
3.2. Internationale Regime – „The ability of states to communicate and cooperate depends on human-constructed institutions ...“ (Keohane 1989: 2) – unter
diese Grundprämisse des neoliberalen Institutionalismus lässt sich auch eine
Vielzahl jener Beiträge ziehen, die sich mit der Entstehung, Verfestigung,
Funktion, Struktur und Wirkung internationaler Regime beschäftigen
(Übersicht Müller 1993; Synthese der arg zerfransten Theorieentwicklung
Hasenclever/Mayer/Rittberger 1997; informative Übersichten Zangl 2006;
Sprinz 2003). Importiert aus dem → Völkerrecht, wo er bereits seit den 1920er
Jahren gebräuchlich war, bezeichnet der Begriff „Regime“ Komplexe von
Prinzipien,
Normen,
Regeln
und
Entscheidungsverfahren,
d.h.
institutionalisierte Arrangements zur Lösung von Problemen, die gleichzeitig
die Interessen mehrerer Staaten – oder besser: mehrerer staatlicher und/oder
nichtstaatlicher Akteure – berühren. Als kooperative Institutionen – oder
besser: eher informelle Gehäuse des Kooperationsverhaltens internationaler
Akteure – entstehen sie aus der gewohnheitsmäßigen Orientierung der Akteure
an gemeinsamen Handlungskontexten über Zeit (Kohler-Koch 1989: 52ff). Sie
führen zu konvergenten Erwartungen der beteiligten Parteien bezüglich des
gegenseitigen Verhaltens, verbessern die Kommunikation unter ihren
Mitgliedern und senken deren Transaktionskosten.
Ausgangspunkt der Regimebildung ist das Interesse der Akteure an der
Entwicklung gemeinsamer Lösungen für gemeinsame (politische,
ökonomische, soziale, ökologische oder technische) Probleme. Trotz
möglicherweise grundsätzlicher Interessen soll unter Rückgriff auf gleichwohl
vorhandene komplementäre Interessenlagen ein Kooperationsergebnis erzielt
werden, das in verschiedener Form den individuellen Interessen aller
282
Kooperationstheorien
Beteiligten dienen kann (Siedschlag 1997: 176ff). Genauer: Regime eröffnen
Möglichkeiten zur Bewältigung der aus Interessenüberschneidungen der
Akteure resultierenden Probleme – nämlich durch die Ausarbeitung eines
Sortiments von Verfahrensweisen und Verfahrensregeln, die in bestimmten
Sachbereichen Zusammenarbeit institutionalisieren und durch die so
ermöglichte Regulierung von Interessenkonflikten die Anarchie der
Staatenwelt transzendieren. Institutionalisierung der Konfliktbearbeitung und
normative Verregelung der zwischenstaatlichen Beziehungen ermöglichen,
politische und sozioökonomische Streitfragen und Konflikte in ihre
spezifischen
wirtschaftlichen,
gesellschaftlichen
und
technischen
Konstituenten aufzubrechen und sich mit ihnen auf einer eher sachbezogenadministrativen Ebene auseinanderzusetzen. Der Prozess der Konfliktlösung
wäre dann als kontinuierlicher Prozess des friedlichen Wandels zu begreifen –
eines friedlichen Wandels durch Annäherung, Anpassung und Angleichung
konflikthafter Positionen über mittelfristige Zeiträume hinweg.
In einem solchen Prozess der institutionalisierten Verregelung von Konflikten
wird ein spezifisches Moment der wachsenden Verdichtung und
spinnwebartigen
Verflechtung
zwischengesellschaftlicher
und
zwischenstaatlicher Austausch- und Kommunikationsbeziehungen greifbar. Er
hat insbesondere zwischen den hochindustrialisierten Gesellschaften der
OECD-Welt – aber auch auf der gesamtglobalen Ebene – zu einer Vielzahl
von Übereinkommen und Regelungen geführt, die der Koordination der
Zusammenarbeit internationaler Akteure dienen und in einem bestimmten
Sachbereich (issue-area) das Verhalten der in diesem Bereich Kooperierenden
im Interesse des größeren Ganzen regeln. Regime können im Sinne der
Verfestigung regelmäßig wiederkehrender Verhaltensweisen der Akteure
sowohl durch bestimmte soziale Praktiken über Zeit als auch durch
Völkergewohnheitsrecht begründet werden, oder das Produkt expliziter
vertraglicher Abmachungen oder der multilateralen Konferenzdiplomatie
darstellen (lehrreich hier insbes. die Entwicklung der internationalen
Streitbeilegung und Schiedsgerichtsbarkeit, vgl. Collier/Lowe 1999; Merrills
2005). Die ohnehin schon relativ dichten Austauschbeziehungen der Akteure
sollen sie institutionell derart kanalisieren, dass diese bei nur geringen
Reibungsverlusten verhältnismäßig kalkulierbar werden und/ oder bleiben.
Ansätze zur multilateralen Regulierung der Weltwirtschaftsbeziehungen,
gipfelnd in der organisatorischen Dachkonstruktion der WTO, sind hier ebenso zu nennen wie etwa Abmachungen über die Nichtverbreitung von
Atomwaffen oder die Ausbildung einer Konfliktregulierungskultur im Rahmen
des KSZE-Prozesses und der OSZE. Auch ein neueres Element globaler
Interaktion sowohl staatlicher wie nichtstaatlicher Akteure gehört in diesen
Kontext: Weltkonferenzen und Weltberichte, die insbes. seit der Konferenz für
Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 das internationale Geschehen
bereichern (Übersicht: http://www.rio-10.de/rioprozess/rioprozess.html )
Kooperationstheorien
283
Entscheidendes Merkmal internationaler Regime ist, dass sie – wie die
freiwillig eingehaltenen Regeln eines Spiels – das Verhalten der RegimeAkteure binden und an Kriterien einer kollektiven Rationalität orientieren. Sie
stellen also keine Instrumente zur Durchsetzung spezifischer Interessen
einzelner Akteure dar, sondern können als Ausdruck von Situationen begriffen
werden, in denen die Orientierung auf individuelle Rationalitätskriterien des
Akteursverhaltens für den einzelnen zu schlechteren Ergebnissen führt als die
Orientierung auf das Gesamtinteresse aller Regime-Akteure. Insofern können
sie auch bei auftretenden Interessendivergenzen situationsstabilisierend und
konfliktregulierend wirken – eben durch Förderung eines kontinuierlichen
Prozesses des friedlichen Wandels durch Annäherung, Anpassung und
Angleichung konflikthafter Positionen über mittelfristige Zeiträume hinweg.
Solche Prozesse können kollektiv durch Prinzipien und Normen geregelt
werden, auf die sich die beteiligten Parteien entweder ausdrücklich oder
stillschweigend – durch Anerkennung und Nachvollzug bestimmter politischpraktischer Verhaltensweisen – geeinigt haben. Um es zu wiederholen: Lassen
sich solche Prinzipien und Normen über Zeit nachweisen, werden sie durch
Entscheidungs- und Verhaltensroutinen ergänzt, können sie analytisch zu
internationalen Regimen verdichtet werden – d.h. zu norm- und regelgeleiteten
Formen der Bearbeitung von Konflikten, die sich in aller Regel auf
Konfliktgegenstände innerhalb eines spezifischen Problemfeldes beziehen und
die Bereitschaft der beteiligten Akteure voraussetzen, momentane
Eigeninteressen um des längerfristigen Vorteils willen den Normen und Regeln
des Regimes unterzuordnen.
Die Ausgangsprämisse der regimeanalytischen Perspektive lautet, dass
internationale Regime den gewaltsamen Austrag von Konflikten
unwahrscheinlicher machen, weil ein regelgeleiteter Konfliktaustrag geringere
soziale Kosten hervorruft als ein auf Gewalt rekurrierender regelloser. Sind sie
einmal begründet, erleichtern und stabilisieren internationale Regime die
Zusammenarbeit zwischen verschiedenartigen staatlichen und/oder
nichtstaatlichen Akteuren. So tragen sie dazu bei, beidseitige
Gewaltanwendung zu verhindern. Und: In gleicher Weise wie beim vom
Neoliberalen Institutionalismus postulierten Kooperationsverhalten der
Akteure geht auch die Regimeanalyse davon aus, dass das Verhalten der
Regimeakteure dem Schatten der Zukunft unterworfen ist: Die Gefahr der
Vergeltung von nicht-kooperativem Verhalten in der Zukunft macht
kooperatives Verhalten in der Gegenwart wahrscheinlicher. Positiv formuliert:
Akteure kooperieren miteinander, weil sie ihren Partnern bei der Definition
von Interessen und Zielen ebenso wie auch bei der praktischen Verwirklichung
solcher Interessen und Ziele das gleiche Maß an Rationalität unterstellen, das
sie auch für sich selbst in Anspruch nehmen. Der Schatten der Zukunft
entpuppt sich als das Prinzip der Erwartungsverlässlichkeit des
Akteurshandelns. Schließlich: Die Wahrscheinlichkeit der Kooperation
wächst, wenn ein Interaktionsrahmen vorhanden ist, der den Interaktionen in
284
Kooperationstheorien
einem bestimmten Problemfeld eine gewisse Dauerhaftigkeit verleihen kann.
Internationale Regime stellen einen solchen Trans- und Interaktionsrahmen zur
Verfügung, der die Kosten der Kooperation senkt, da Kooperation innerhalb
eines solchen Rahmens zur Routine wird, und die Kosten der NichtKooperation mit Blick auf den Schatten der Zukunft erhöht. Oder anders: Die
Annahme, dass die nullsummenspielartige uneingeschränkte internationale
Konkurrenz Ressourcen eher vernichtet denn vermehrt, begründet auch bei
objektiver Divergenz der Interessen den Wunsch der Akteure nach „...
zumindest bedingt kooperativen Verhaltensweisen und ... nach einer diese
fördernden Regelsetzung im internationalen Verkehr, um Reibungsverluste zu
minimieren, die Verfügbarkeit von Ressourcen insgesamt zu erhöhen und
damit zugleich den Umverteilungsdruck von seiten der weniger privilegierten
Staaten (Neuordnung der Weltwirtschaft) abzumildern. Es ist dieses Interesse,
das den historischen Prozeß der internationalen Organisation und Integration
und die Herausbildung von Prinzipien, Normen und Regeln für die
Abwicklung der zwischenstaatlichen Beziehungen in Abwesenheit eines
Monopols legitimer Gewaltsamkeit vorantreibt. Und es ist dieses Interesse,
das das Gegeninteresse an einem Verhalten nach individuellen
Rationalitätskriterien im Zaum hält.“ (Brock 1989, 76). Prämissen, Ziele und
Charakteristika regimetheoretischer Ansätze werden in Abb. 4 am Ende des
Beitrags noch einmal zusammengefasst.
Die bisherigen Ausführungen sollten nun nicht dazu verleiten, eine
einheitliche Regime-Theorie zu erwarten. Tatsächlich hat diese sich einmal im
Zuge der Neorealismus-Neoliberalismus-Debatte, zum anderen im Kontext der
Rationalismus-Reflexivismus-Debatte in mindestens drei unterschiedliche
Schulen aufgespalten, die je differente Antworten auf die Kernfragen der
Regimeanalyse geben – nämlich wie und warum internationale Regime
entstehen, und welche Faktoren für ihre Stabilität und Dauerhaftigkeit über
Zeit sorgen (Näheres Hasenclever/Mayer/Rittberger 1997). Und: Während
gemeinhin die friedens- und stabilitätsfördernden Aspekte internationaler
Regime im Vordergrund der Analyse stehen, werden in der jüngeren Literatur
(Wolf 2000) doch auch kritische Anmerkungen formuliert, die die
Schattenseite der formalisierten, institutionalisierten Kooperation betreffen:
Wenn Staaten im Wege der Selbstbindung in immer mehr Politikfeldern
miteinander kooperieren und als Ergebnis ein enges, verdichtetes Geflecht von
völkerrechtlichen Verträgen und inter- wie supranationalen Institutionen
ausbilden, entziehen sie sich zunehmend den Partizipationsansprüchen ihrer
Gesellschaften. Die zunehmende Verlagerung von Regierungstätigkeiten in den
subnationalen, internationalen, transnationalen Raum jenseits des Staates schafft
den Regierungen neue Handlungsspielräume auch und gerade gegenüber ihren
eigenen Gesellschaften; diese Handlungsspielräume aber sind der
demokratischen Kontrolle schon deshalb in grossem Masse entzogen, weil die in
ihnen getroffenen Entscheidungen oftmals als nicht vermeidliche Folgen von
Sachzwängen dargestellt werden.
Kooperationstheorien
Ergänzende Beiträge
Theorien der Internationalen Beziehungen
285
286
Kooperationstheorien
Abb. 1 „Stammväter“ von Kooperations- und Verflechtungstheorien
Realismus
(zum Vergleich)
Nationalstaaten
Rationalismus/
Grotianismus
Nationalstaaten
Liberaler
Internationalismus
Akteure
individuelle,
gesellschaftliche,
nationalstaatliche Akteure
Prozesse Nullsummenspielartige Kon- Konflikt und Kooperation im internationale Arbeitsteilung
kurrenz um Macht, Einfluss Rahmen gemeinschaftlich
und funktionale Vernetzung
und Ressourcen
anerkannter
als Ergebnis wie als VorausVerhaltensregeln und
setzung wissenschaftlicher,
(informeller wie formeller)
technischer, ökonomischer
Institutionen
und politischer
Modernisierung
StrukturSicherheitsdilemma
Regulierte Anarchie
Kooperation,
prinzip
Interdependenz,
Verflechtung
Milieu
Staatenwelt als internationa- Staatenwelt als rechtlich
Staaten- und Gesellschaftsler anarchischer
verfasste internationale
welt als
Naturzustand
Staatengesellschaft
Friedensgemeinschaft
liberaler Demokratien
Ziel
Sicherheit des Akteurs (als Garantie der
Fortschreitende
Voraussetzung seines Über- Erwartungsverlässlichkeit
Verwirklichung von Freiheit,
lebens)
des Akteurshandelns in der Gerechtigkeit, Wohlfahrt als
internationalen (Rechtsmenschliche Existenz)Ordnung (pacta sunt
bedingungen plus Intensiservanda)
vierung der internationalen
Kooperation plus Förderung
der Modernisierung als
Bedingung moralischer
Perfektibilität wie
zunehmender Wohlfahrt der
Menschheit
(Erklä(außengerichtetes) Aktions- Vergesellschaftung/Systemb Politische/soziökonomische
rungs-)
/Interaktionsverhalten der
ildung der Akteure;
Binnenstruktur der Akteure
AnsatzAkteure (unit-levelPhänomen der governance (inside-out-explanation)
ebene
explanation)
without government
Mittel
Machtakkumulation,
Ausbildung eines
Freihandel, Förderung der
(gewaltsame) Selbsthilfe zur Konsenses der Akteure über internationalen Organisation
Durchsetzung von
gemeinschaftliche
und kollektiven Sicherheit,
Eigeninteressen,
Interessen (selbstbindende Demokratisierung der
Abschreckung, GleichgeVerhaltens-) Regeln und
Akteure im Lichte von
wichtspolitik
Institutionen; insbesondere Rechtsstaatlichkeit und
Anerkennung/Befolgung von MenschenrechtsverwirkliVerhaltensregeln, die die
chung, Aufklärung über
Gewaltausübung in der
gemeinsame (Menschheits-)
Staatengesellschaft
Interessen und Erziehung
einhegen, beschränken,
zu kompromisshafter,
reduzieren
interessenausgleichender
Konfliktbearbeitung
Schlagwort Konkurrenz
Kooperation unter
Dauerhafte
unter Anarchie
regulierter Anarchie
Kooperation/Verflechtung
unter institutioneller
Verfestigung
287
Kooperationstheorien
Abb. 2:
Perspektivische Differenzen von Neorealismus und
Neoliberalem Institutionalismus
Neorealismus
Neoliberalismus
Folgen der internationalen Selbstschutz und ÜberlebensAnarchie
interesse als zentrale Motive
staatlichen Handelns
Vorrang welcher
Nationale Sicherheit vor
Akteursziele?
ökonomischer Wohlfahrt
Entstehungsbedingungen Schwierig herzustellen und zu
internationaler Koopera- erhalten; letztlich abhängig von der
tion
Macht der beteiligten Staaten
Exemplarischer
Intergouvernementalismus
Theorieansatz
Relative versus absolute Frage nach der relativen Verteilung
Kooperationsgewinne
von Kooperationsgewinnen unter
die Akteure impliziert relatives
Gewinndilemma*
Bedeutung von
Institutionen
Kooperation und Verflechtung als
Friedensstrategie zur Überwindung
der Anarchie
Ökonomische Wohlfahrt vor
nationaler Sicherheit
Folge von funktionalen Sachzwängen oder vernunftbegründeten
Entscheidungen
Funktionalismus/
Neofunktionalismus
Streben nach absolutem Gewinn für
jede Konfliktpartei als
Voraussetzung der Intensivierung/
Vertiefung/ Erweiterung von
Kooperation
zweifelhaft; Erfolg bei der Milderung Institutions matter!
der Folgen internationaler Anarchie
nicht voraussetzbar
* Relatives Gewinndilemma:
Prämisse: Im Interesse des Überlebens sind Staaten extrem empfindlich
gegenüber jedweder Erosion ihrer Handlungsfähigkeiten, die letztlich die
Grundlage für ihr Überleben bilden. „The first concern of states is not to maximize power but to maintain their position in the system“ (Waltz 1979: 126).
Konklusion I: Das Hauptziel von Staaten in welcher Beziehung auch immer ist
nicht die Erzielung des höchsten absoluten Gewinns für sich selbst, sondern
„to prevent others from achieving advances in their relative capabilities“
(Grieco 1993: 127).
Konklusion II: Staaten sind Positionsverteidiger; dies beeinträchtigt ihren
Willen zur Kooperation.
Begründung: Staaten fürchten, dass ihre Partner aus einem
Kooperationsverhältnis relativ größere Gewinne ziehen als sie selbst; dass, im
Ergebnis, ihre Partner sie auch in Bezug auf ihre relativen
Handlungsfähigkeiten überholen werden; dass schließlich ihre mächtiger und
mächtiger werdenden gegenwärtigen Partner irgendwann in der Zukunft ihre
Feinde werden können (Grieco 1993: 128ff).
Auch hier handelt es sich um einen „shadow of the future“ – allerdings um
einen, dessen Wirkung der des im Abschnitt 1 beschriebenen genau
entgegengesetzt ist.
288
Abb. 3:
Prämisse:
Kooperationstheorien
Neoliberaler Institutionalismus
In einem durch ständig zunehmende Interdependenz- und Verflechtungsprozesse
gekennzeichneten internationalen System, das durch eine sich globalisierende
Weltwirtschaft unterfüttert wird, gewinnen Institutionen (und Regime) mehr und mehr
an Nutzen für Akteure, die gemeinsame Probleme lösen und komplementäre Ziele
verwirklichen wollen. „Institutions matter“ und sind notwendig für die Verwirklichung
von Akteurszielen, indem sie den Akteuren Bezugsrahmen für deren Kooperation
anbieten.
Ziele:
Verhinderung und/ oder Überwindung von Interessengegensätzen und Konflikten
durch die Schaffung, Unterhaltung und den Ausbau von Kooperationsrahmen, die
kollektives Handeln der Akteure ebenso wie Verhandeln zwischen den Akteuren
erleichtern
Charakteristik Institutionalisierte Kooperationsrahmen gründen nicht auf einer (klassischen
a:
liberalen) Interessenharmonie, sondern auf einem (aufgeklärten) rationalen
Egoismus der Akteure, Kooperation entsteht nicht gleichsam automatisch, sondern
erfordert Planung und zielgerichtete Verhandlung. Akteure werden selbst dann
Kooperationsbeziehungen aufnehmen, wenn andere Akteure aus dem
Kooperationsverhältnis größere Gewinne als sie selbst erzielen; die absoluten
Gewinne der Akteure sind wichtiger als ihre relativen. Gemeinsam geteilte Interessen
können zur Erschaffung von Institutionen führen, die, wenn sie erst einmal bestehen,
weniger schwierig fortzuführen sind.
Es gibt vier Gründe, warum institutionalisierte Kooperationsstrukturen überleben
können. Institutionen
– heben das Informationsniveau (und reduzieren Informationsasymmetrien)
zwischen Akteuren, was wiederum die Unsicherheit der Akteure hinsichtlich der
Absichten anderer Akteure reduziert
– erhöhen die Kosten einer Aufgabe kooperativen Verhaltens, da sie
Mechanismen und Prozeduren für die Bestrafung Abtrünniger anbieten
– ermutigen die Verknüpfung von Problembereichen, das Angebot von
Paketlösungen und die Abwicklung kompensatorischer Tauschgeschäfte
zwischen Akteuren, da sie solche Arrangements erleichtern und die
Transaktionskosten des Aushandelns von Abmachungen zwischen den Akteuren
reduzieren
– beeinflussen die Interessendefinition der Akteure ebenso wie die Perzeption der
Interessen anderer.
Anders formuliert: Institutionen verändern nicht nur den Kontext, in dem Akteure ihre
vom rationalen Eigeninteresse affizierten Entscheidungen treffen. Unter bestimmten
Umständen sind sie sogar notwendig, um den Akteuren die effektive Umsetzung ihrer
Entscheidungen und die Verfolgung darauf basierender Politiken zu ermöglichen.
Probleme:
– Nongouvernementale Akteure spielen im Vergleich mit gouvernementalen
Akteuren in den internationalen Beziehungen eine entschieden nachrangige
Rolle
– Die Definition des rationalen Eigeninteresses der Akteure ist vorwiegend geprägt
von einer utilitaristischen Grundhaltung, die sich im wesentlichen auf
wirtschaftliche Kosten/ Nutzen-Kalküle bezieht. Ethisch-normative Ziele und
Handlungsanweisungen haben in einem solchen Kontext (fast) keinen Platz
– Die anarchische Grundstruktur des internationalen Systems wird als vorgegeben
akzeptiert. Das Hauptinteresse gilt der Einleitung und Aufrechterhaltung von
Kooperation unter Anarchie, nicht aber der Überwindung der Anarchie selbst.
Institutionen regulieren Interessen eher als sie zu verändern. Die vorherrschende
Perspektive ist die des Schutzes des status quo, der allenfalls inkrementalem,
schrittweisem Wandel ausgesetzt wird.
Kooperationstheorien
Abb. 4:
Regimetheorie
Prämisse:
Ziele:
Charakteristika:
Probleme:
289
Die Notwendigkeit, gemeinsame grenzüberschreitende tatsächliche Probleme,
die aus internationalen Verflechtungskontexten herrühren, auch gemeinsam zu
lösen, führt zur Entwicklung informeller Netzwerke von Übereinkünften,
Prinzipien, Regeln, Normen und Entscheidungsverfahren in bestimmten
Politikfeldern, die als Regime bezeichnet werden. Sie
ergänzen/überwölben/unterlaufen die Kompetenzsphären der klassischen
Staatengesellschaft und überlagern als flexible Formen von Kooperation die
anarchische Binnenstruktur des internationalen Systems.
– Reduzierung von Transaktionskosten
– Institutionalisierung von Konfliktbearbeitung/Konfliktmanagement/Konfliktlösung durch Verregelung des Konfliktaustrags
– Stabilisierung der Zukunftsverlässlichkeit des (eigenen wie fremden)
Akteurshandelns
– informelle Netzwerke (Gewebe konsenssuchender und konsensbildender
Verständigungsprozesse) stabilisieren/setzen über Zeit fort/formalisieren die
gesellschaftliche und/oder politische Regulation von Konflikten
– Einhegung von Konflikten durch Verrechtlichung ihrer Bearbeitung und
Lösungsmodi („Zivilisierung von Konflikten“)
– Einbettung/Einschließung der Kooperation von Akteuren in ein komplexes Multiebenensystem politischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Zielsetzungs-,
Entscheidungs- und Umsetzungsverfahren, die die Regulationsinteressen der
Akteure in spezifischen Problembereichen und Politikfeldern widerspiegeln
– Bereitstellung von Bezugsrahmen, in denen wirtschaftliche Interdependenzprobleme vermittels verhandelter Politikkoordination reguliert werden
– der informelle Charakter von Regimen macht ihre „Lebenserwartung“
abhängig von einer rationalen Kosten-Nutzen-Rechnung der an ihnen
beteiligten Akteure
– der informelle Charakter von Regimen lässt die Umsetzung von in ihrem Kontext
formulierten politischen, ökonomischen, gesellschaftlichen Handlungsempfehlungen abhängen von der Selbstdefinition ihrer Interessen durch die Akteure;
diese wiederum ist abhängig von den Annahmen der Akteure über die
Erwartungsverlässlichkeit des künftigen eigenen wie fremden Akteurshandelns
– OECD-weltliche Voreingenommenheit: da die Regimetheorie ursprünglich
entwickelt worden war, um die politisch-wirtschaftlichen Beziehungen des
Westens zu erklären, bleibt offen, ob sie auch auf Kulturkreise anwendbar ist,
die das ihr zugrundeliegende, an der individuellen Nutzenmaximierung
ausgerichtete Rationalitätsideal nicht teilen
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