wissenschaftlichen Zugang zur Vergangenheit als Herausforderung

Werbung
Die Diskussion über den wissenschaftlichen Zugang zur Vergangenheit als Herausforderung
für die Praxis der Forschung über Geschlechterrollen und Ethnographie in der Antike
Christoph Ulf
Die Menschen, die in Diotimas Salon sprachen, hatten in nichts ganz unrecht,
weil ihre Begriff so unscharf waren wie Gestalten in einer Waschküche.
„Diese Begriffe, in denen das Leben hängt wie der Adler in seinen Schwingen!“
dachte Ulrich. „Diese unzähligen moralischen und künstlerischen Begriffe
des Lebens, die ihrem Wesen nach so zart sind wie harte Gebirge in
undeutlicher Ferne!“1
Wer sich heute Rechenschaft ablegt, auf welche Weise sich die eigene wissenschaftliche
Arbeit gestaltet bzw. gestaltet werden soll, der kann – jenseits aller thematischen Selektion für
die eigenen Forschungen – an zwei Bereichen grundsätzlicher Überlegungen nicht
vorbeigehen: an der Diskussion über die Theorie und die Methoden nicht nur der
Geschichtswissenschaft, sondern der sogenannten Geisteswissenschaften insgesamt in der viel
beschworenen Postmoderne und an den theoretischen und praktischen Postulaten des
Feminismus.
Die Diskussionen über die Methoden der Geschichtswissenschaft und die des Feminismus
haben nicht nur zu einer Fülle an gelehrten Auseinandersetzungen geführt, sondern auch zu
einem nicht zu unterschätzenden Maß an Verunsicherung unter den Betroffenen, die sich
unterschiedlich äußern kann: als konkrete Beteiligung an den Diskussionen, als nicht offen
nach außen getragene Verunsicherung, ob das eigene wissenschaftliche Arbeiten wohl noch
zeitgemäß sei, oder auch als bewußtes Verweigern der Auseinandersetzung aus einem
Bewußtsein heraus, daß die bisher angewendeten Methoden nicht weiter überprüft zu werden
bräuchten. Es geht im folgenden weder darum, die letztgenannte Position als völlig falsch zu
erweisen, auch nicht darum, eine umfassende Analyse von Methodendiskussion und
Feminismus zu bieten, sondern darum, einige wichtig erscheinende Punkte aus beiden
Bereichen aufzugreifen, um sie in unserem Zusammenhang auf ihre praktische Nützlichkeit
hin zu befragen.
Was aus dem behaupteten Eintritt in die Postmoderne für die Geschichtswissenschaft folgte,
ist in seinen Grundzügen wohl hinreichend bekannt.2 Man spricht vom Ende der
Strukturgeschichte, also vom Poststrukuralismus und vom Postmaterialismus. Die Rede vom
Diskurs hat die Suche nach den Strukturen abgelöst. Auch sei die „große Erzählung“, der ‘die
Geschichte’ gliedernde große Gedanke, nicht mehr möglich; oder wir befänden uns gar in
einem Stadium der „Kristallisierung“, also in einer Erstarrung, in der nur mehr die
Selbstreproduktion möglich sei, wie das die Vertreter der Posthistoire behaupten.3

Der Beitrag leitete den im Vorwort erwähnten Workshop „Geschlechterrollen – Frauenbild – Antike
Ethnographie“ ein. Er wurde geringfügig überarbeitet, der Vortragscharakter aber beibehalten. Den Teilnehmern
am Workshop danke ich für die Diskussionsbeiträge, Robert Rollinger für die kritische Lektüre.
1
R. Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Reinbek 1999, 458.
2
Aus der Fülle der auf die Diskussion eingehenden Literatur sei verwiesen auf: Küttler/Rüsen/Schulin 1993;
Conrad/Kessel 1994; Nagl-Docekal 1996; Iggers 1995; Iggers 1996; Bourdé/Martin 1997: innerhalb der
Altertumswissenschaft z.B. Cameron 1989. Eine apologetische Darstellung des Postmoderne-Begriffs und der zu
ihm führenden Tradition Bürger 2000.
3
Vgl. zur Vorstellung der Kristallisierung als einen die Denker der Posthistoire auszeichnenden Begriff
Niethammer 1989, 163f.
2
Der mit all dem verbundene sogenannte linguistic turn hat dazu geführt, die Vergangenheit
nur mehr als Text zu sehen, aber nicht nur als einen Text, sondern als eine Vielzahl von
Texten. Der Zugang zu dieser Art von Texten sei nicht in der Gestalt von rational
nachvollziehbaren und kritisierbaren Kausalerklärungen möglich, sondern nur durch
Interpretationen der Texte, die als Erzählungen gefaßt werden. Welche der Interpretationen
dem, was die traditionelle, häufig als positivistisch bezeichnete – manchmal auch mit diesem
Adjektiv denunzierte – Wissenschaft als Wirklichkeit zu fassen meinte, entspricht, bleibt
hierbei weitgehend offen. Dies hängt damit zusammen, daß große Zweifel darüber existieren,
ob es eine derartige Wirklichkeit überhaupt gibt.
Der Feminismus hat eine Verunsicherung anderer Art, aber zumindest für einen Großteil der
männlichen Wissenschaft nicht weniger tiefgehende zu bieten.4 Er proklamiert das Ende der
‘neutralen’ Geschichtsschreibung dadurch, daß er in ihr eine nur vorgeblich
geschlechtsneutrale sieht. Es soll nicht nur den Frauen ihre Geschichte zurückgegeben
werden, sondern es wird auch vorgeführt, daß die von Männern geschriebene Geschichte nur
eine perspektivische Geschichte ist. Doch es geht nicht mehr nur darum, eine
Frauengeschichte neben die existierende Männergeschichte zu stellen, sondern die
Männergeschichte in ihrer Geschlechterperspektive zu entlarven, den Männern ihr Geschlecht
zu geben und somit zu einer von der Perspektive der Geschlechter getragenen Historiographie
zu gelangen.
Im folgenden werde ich, innerhalb der beiden Bereiche Methodendiskussion und Feminismus
aus meiner Sicht Möglichkeiten, Probleme und Anregungen am Beispiel vorliegender Studien
erörtern, ich kann und werde aber keine umfassende Skizzierung der Fragestellungen,
Begriffe und Probleme liefern. Die folgende, stark vereinfachende Schematisierung orientiert
sich an der alten Frage, wie der Weg vom beobachtenden Subjekt zum Objekt beschaffen ist
und wie Subjekt und Objekt zu charakterisieren sind.5
4
Vgl. hierzu z.B. Friedrich 2000; Osinski 1998; Medick/Trepp 1998.
Die Schematisierung des Überblicks geht aus von der Skizze der Diskussion bei Daniel 1997, weicht aber in
einigen wichtigen Punkten von ihr ab bzw. geht über sie hinaus.
5
3
ICH
?
POSITIONIERUNG
VERGANGENHEIT
als KONTEXT,
DER HISTORISCHEN SUBJEKTEN BEDEUTUNG VERMITTELT
DES
SUBJEKTS
Methode
Darstellungsform
Reflektierend
beobachtendes
Subjekt
Beschreibung
Erklärung
Wissenschaftliche
Darstellung in verschiedenen Formen
Anteilnehmendes
Subjekt
Beschreibung
Interpretation
Verstehen
Erzählung
(Text)
Diskurs statt Subjekt
Diskursanalyse
Dekonstruktion
Dekodierung
Abb. 1
Text
Gesellschaft
„Strukturen“ als Rahmen für Wahrnehmung
und Wertehierarchie der Subjekte und der
Sinnstiftung
Kultur
Weltdeutung und Selbstwahrnehmung,
Bedeutung der sozialen Praktiken der Subjekte
und Kollektive
Text
Sinnkonstituierung ‘hinter dem Rücken’ der
Subjekte mittels Diskursen.
Diskurse als soziale Praktiken (ohne
konstitutierenden Anteil der Subjekte)
4
Wie die Positionierung des beobachtenden Subjekts vorgenommen wird, ob als reflektierend
beobachtendes, als Anteil nehmendes Subjekt oder ob das Subjekt in einem Diskurs
gewissermaßen verschwindet, hängt entscheidend davon ab, wie die Vergangenheit als Objekt
konstituiert wird. Für die Art der Konstitutierung des Objekts ‘Vergangenheit’ sind die
Begriffe ‘Gesellschaft’, ‘Kultur’ und ‘Text’ wichtige Indikatoren, weil mit ihnen eine jeweils
andere Einschätzung der Möglichkeiten des Denkens und Handelns für die historischen
Akteure verbunden ist. Der Gesellschaftsbegriff korreliert mit dem der Struktur, der
Kulturbegriff mit dem der Bedeutung bzw. Deutung, der Begriff des Textes mit dem des
Diskurses. Von den mit den drei genannten Begriffen verbundenen Vorstellungen leiten sich
auch unterschiedliche Folgerungen für die Methode ab, wie Vergangenheit wissenschaftlich
zu erfassen und darzustellen ist.6
Das Auftauchen der Hypothese von der Existenz von Diskursen, die intensive Rückbesinnung
auf den Kulturbegriff samt der Betonung der Hermeneutik als historischer Methode (zum Teil
unter explizitem Bezug auf Hans-Georg Gadamer7) und schließlich das mit beiden Positionen
verbundene Augenmerk für Strukturen und Besonderheiten von Texten haben unter anderem
dazu geführt, daß auch der für die wissenschaftstheoretische Diskussion wichtige Begriff der
Erklärung präzisiert, zum Teil erweitert, insgesamt aber offener gestaltet wurde. Insgesamt
hat das eine zwar auch früher schon grundsätzlich vorhandene, jetzt aber explizit gemachte
Übereinstimmung aller genannten Positionen hervortreten lassen, daß nämlich keine
historische Äußerung, keine historische Quelle ohne den Blick auf ihre
Produktionsbedingungen hinreichend auswertbar ist. Anders gesagt: es wird weithin
anerkannt, daß es problematisch ist, von einem ‘reinen’ Faktum auszugehen, weil jede
historische Äußerung in dem Sinn mehrschichtig ist, daß sie mehrere Bedeutungsebenen in
sich birgt.
Zusammenhang von Interpretation und Kultur
Die Vorstellung, daß die Interpretation das der Geschichtswissenschaft angemessene
Verfahren sei, hängt direkt mit einer spezifischen Vorstellung über die Beschaffenheit der
Realität zusammen. Der Begriff der Kultur stellt den Schlüssel für diese Auffassung dar. Die
Besprechung des bekannten, für die Methodenreflexion in den Geschichtswissenschaften
einflußreichen8 Artikels des Anthropologen bzw. Ethnologen Clifford Geertz Dichte
Beschreibung soll im folgenden benutzt werden, um das hier Gemeinte zu verdeutlichen.
Dabei spielt das Datum der Ersterscheinung der Abhandlung, nämlich 1973, keine Rolle, da
es nicht um das Weiterführen der methodischen Diskussion geht, sondern um das
Exemplifizieren einer nach wie vor aktuellen Position.
Geertz geht, wie er selbst sagt, von einem semiotischen Kulturbegriff aus: „Ich meine mit
Max Weber, daß der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe
verstrickt ist, wobei ich die Kultur als dieses Gewebe ansehe.“9 Dieses Gewebe bezeichnet
Geertz als ein „Dokument“, das zwar „ öffentlich“ sei, das „aus Ideen besteht“, aber „nicht in
den Köpfen“ existiert. Über seine Qualität sei weiter nichts aussagbar. „Sobald menschliches
Verhalten als symbolisches Handeln gesehen wird ... verliert das Problem, ob Kultur
6
Eine ungemein instruktive Übersicht über die hiermit verbundenen Fragen und Probleme aus der Sicht der
analytischen Philosophie der Geschichte bietet Lorenz 1997, vgl. aber auch Acham 1974.
7
So z.B. Daniel 1997, 210ff.
8
Als Hinweis soll die Feststellung von Lorenz 1997, 179, genügen, daß sich eine ganze Reihe von Historikern
und Historikerinnen unter dem Einfluß von Geertz „blitzschnell in ‚historische Anthropologen‘ und ‚neue
Kulturhistoriker‘ umbenannten“. Das in den letzten Jahren erfolgte Wiederaufleben der Kulturgeschichte und
Kulturanthorpologie als eigenes Fach ist für diese Feststellung allein schon hinreichende Basis. Zur Diskussion
und Eigendarstellung der Kulturgeschichte vgl. z.B. Kaschuba 1995, van Dülmen 1995; Hardtwig/Wehler 1996.
9
Geertz 1994, 9.
5
vorgestanztes Verhalten, ein beschränkter intellektueller Horizont oder sogar von beiden
etwas ist, seinen Sinn ... Es ist der gleiche [Status] wie bei Felsen einerseits und Träumen
andererseits: sie sind Dinge dieser Welt.“10
Geertz gibt auf die die Historikerin, den Historiker brennend interessierende Frage, woher
Kultur stammt bzw. wie sie zustande kommt, trotz großem rhetorischem Aufwand keine klare
Antwort.11 Dennoch fordert er, nach den Bedeutungen ‘der Dinge dieser Welt’ zu fragen. Die
Art des Weges, der zur Antwort auf diese Frage führt, bestimmt Geertz nach dem von ihm
vorgegebenen Kulturbegriff. Weil Kultur ein Gewebe von Bedeutungen sei, sei ihre
Untersuchung „keine experimentelle Wissenschaft, die nach Gesetzen sucht, sondern eine
interpretierende, die nach Bedeutungen sucht.“12 Das ist aber nur ein Teil der Argumentation,
der auch für sich genommen nicht recht einsichtig zu machen ist und zudem das alte Vorurteil
der qualitativen Differenz zwischen den sogenannten idiographischen und nomothetischen
Wissenschaften wieder aufleben läßt.13 Im anderen Teil der Argumentation verbindet Geertz
den Vorgang der Interpretation direkt mit der Form der wissenschaftlichen Darstellung. Das
Bindeglied hierfür bildet der Begriff der Fiktion. Unter Fiktion versteht Geertz alles, was
„gemacht“ ist, alles was „etwas Hergestelltes“14 ist. So wird der Bericht des Einheimischen
über seine eigene Kultur genauso zur Fiktion wie die Analyse des Ethnologen.15 Daß es sich
um Geschichten unterschiedlicher Ordnung handeln soll, bleibt ohne Belang, weil: „die eine
Geschichte ist genauso fictio – ‘etwas Gemachtes’ – wie die andere.“
Mit dieser Auffassung als Grundlage geht Geertz noch einen Schritt weiter und hält fest, daß
es deswegen „in der Untersuchung von Kultur ebensowenig wie in der Malerei möglich ist,
eine Grenze zwischen Darstellungsweise und zugrunde liegendem Inhalt zu ziehen.“16 Er
ordnet dieser Behauptung den Charakter eines Faktums zu. Der wissenschaftliche Beobachter,
so Geertz unter Bezug auf den Philosophen Paul Ricoeur, kann nicht mehr tun, als „den
sozialen Diskurs“ niederzuschreiben, um so „aus einem flüchtigen Ereignis .. einen Bericht“
zu machen und dabei „Vermutungen über Bedeutungen“17 anstellen. Für die Abfassung der
Beschreibung wäre zwar eine Theorie vonnöten, aber Geertz sieht sich nicht in der Lage,
mehr als eine Art von Handlungsanweisung zu bieten.
Zwischen „der Notwendigkeit zu verstehen und der Notwendigkeit zu analysieren“, muß
Geertz wegen seines Kulturbegriffs einen unauflösbaren Widerspruch sehen. Denn Kultur ist
„keine Instanz, der gesellschaftliche Ereignisse, Verhaltensweisen, Institutionen oder Prozesse
kausal zugeordnet werden könnten.“18 Statt dessen fordert er eine mikroskopische
Beschreibung, „die einen Zugang zur Gedankenwelt der von uns untersuchten Subjekte
erschließt, so daß wir – in einem weiten Sinn des Wortes – ein Gespräch mit ihnen führen
können.“19 Dennoch kann keine mikroskopische Beschreibung von solcher Qualität sein, daß
sie als ausreichend angesehen werden könnte. Zwar stellt eine Untersuchung „ einen
Fortschritt dar, wenn sie tiefer eindringt – was immer das heißen mag – als die ihr
vorausgehenden“ – aber: „Sie steht nicht so sehr auf deren Schultern, als daß sie Schulter an
10
Geertz 1994, 16.
Kultur bleibt eben die „okkulte Größe“, obwohl Geertz 1994, 16, behauptet, daß sie das nicht sei.
12
Geertz 1994, 9.
13
Vgl. zur vergleichsweise kurzen Geschichte dieser Vorstellung Dainat 1993.
14
Geertz 1994, 23.
15
Es ist wenig hilfreich, wenn Geertz 1994, 23, in diesem Zusammenhang den Begriff der Fiktion so erweitert,
daß er alles „Gemachte“ enthält. So wird jedes Kultur-Produkt zur Fiktion, aber auch jede Analyse solcher
Produkte. Ein derart inhaltsleerer Begriff kann auch durch die Unterscheidung nach erster, zweiter und dritter
Ordnung nicht hinreichend präzise werden.
16
Geertz 1994, 24.
17
Geertz 1994, 30.
18
Geertz 1994, 21.
19
Geertz 1994, 30, 35.
11
6
Schulter neben ihnen voranschreitet.“ Daher muß jede „ernsthafte Analyse einer Kultur“ von
vorne anfangen.20
Da – obwohl implizit doch gefordert21 – keine klare Unterscheidung zwischen besseren und
schlechteren Untersuchungen möglich ist, auch nicht zwischen solchen, welche die Grundlage
darstellen und solchen, welche deren Fortführung sind, und weil Verstehen und Analysieren
sich gegenseitig im Wege stehen, und schließlich, weil Kultur nicht durch Analyse erfaßbar
ist, ist das „natürliche Genre“ für „die Präsentation kultureller Interpretationen und der ihnen
zugrundeliegenden Theorien“ der Essai. In ihm ist das möglich, was er in Nachfolge des
Philosophen Gilbert Ryle „dichte Beschreibung“ nennt.
Kultur bildet also nur einen „Kontext“ bzw. einen Rahmen, „in dem sie [gesellschaftliche
Ereignisse, Verhaltensweisen, Institutionen oder Prozesse] verständlich – nämlich dicht –
beschreibbar sind.“22 Geertz verabsäumt es aber, deutlich zu machen, nach welchen Regeln
und Methoden diese Beschreibung, hinter der das Verstehen der Kultur steht, erfolgen kann
bzw. soll. Und es bleibt – abgesehen von der grundsätzlichen, aber nicht weiter begründeten
Trennung in experimentelle und interpretierende Wissenschaften – unbeantwortet, was uns
hindern sollte, in der uns fremden Kultur nach regelhaftem Verhalten zu suchen, dessen
Kenntnis uns diese Kultur zugänglich machen kann.23 Geertz scheint sich des Problems
bewußt zu sein, daß mit vagen Begriffen keine präzisen Antworten geliefert werden könnnen,
wenn er meint: „Will man eine Wissenschaft verstehen, so sollte man nicht in erster Linie ihre
Theorien oder Entdeckungen ansehen und keinesfalls das, was ihre Apologeten über sie zu
sagen haben, sondern das, was ihre Praktiker tun.“24 Doch auch angesichts dieses Auswegs
muß die essentialistische Art der Begründung in dem folgenden Satz stutzig machen: „Die
Untersuchung von Kultur ist ihrem Wesen nach unvollständig. Und mehr noch, je tiefer sie
geht, desto unvollständiger wird sie.“25
Zusammenhang von Kausalerklärung und Erwartungen
Das grundlegende Problem, mit dem sich Geertz herumschlägt, daß nämlich das
beobachtende Subjekt mit Vorerwartungen an die Beobachtung herangeht, ist von jenen, die
davon ausgehen, daß auch die Welt der Kultur und des Geistes mit der Hilfe von Regeln und
Kausalbeziehungen erfaßbar ist, ernst genommen worden. Damit komme ich zum zweiten mir
wichtig erscheinenden Begriff, dem der Erklärung, bzw. zum Zusammenhang von
Erwartungen und Kausalerklärung.
Clifford Geertz hält es für eine Aufgabe der Theorie der Ethnographie, „ein Vokabular
bereitzustellen, in dem das Wissen, das das symbolische Handeln über sich selbst, d.h. über
die Rolle der Kultur im menschlichen Leben hat, ausgedrückt werden kann.“26 Es ist im
gegebenen Zusammenhang nicht von Bedeutung, ob symbolisches Handeln als Wissensträger
angesehen werden kann, sondern nur, daß Geertz auf den aufs erste simpel wirkenden
20
Geertz 1994, 36.
Vgl. z.B. die Rede von „besseren Vermutungen“ (Geertz 1994, 30).
22
Geertz 1994, 21.
23
An manchen Stellen wird jedoch deutlich, daß Geertz selbst mit derartigen Regeln rechnet, etwa dann, wenn er
von „der informellen Logik des tatsächlichen Lebens“ (25) spricht oder von einer „empirischen Tatsache“ (35)
oder von „haltbaren Interpretationen“ (38).
24
Geertz 1994, 10f.
25
Geertz 1994, 41 (Hervorhebung C. U.). Das dahinter stehende Problem der Letztbegründung ist ein uraltes. Es
wird für die Praxis der Forschung von Geertz jedoch ebensowenig für relevant gehalten wie von den Vertretern
einer analytischen Geschichtstheorie, weil man hier von der Einschätzbarkeit der Qualität von Aussagen ausgeht.
Vgl. hierzu z.B. Gethmann 1980, und mit Bezug auf J.-F. Lyotard Reese-Schäfer 1995, 40ff.
26
Geertz 1994, 39.
21
7
Sachverhalt verweist, daß eine wissenschaftliche Beschreibung ein spezielles Vokabular
benötigt. Er selbst verwendet natürlich in seiner Darstellung eine ganze Reihe nicht nur
alltagssprachlicher Ausdrücke, sondern auch eine Vielzahl von Begriffen aus der
Wissenschaftssprache wie Integration, Rationalisierung, Symbol, Ideologie usw.27 Als Ziel
für seine Arbeit nennt Geertz, „aus einzelnen, aber sehr dichten Tatsachen weitreichende
Schlußfolgerungen zu ziehen und vermöge einer präzisen Charakterisierung dieser Tatsachen
in ihrem jeweiligen Kontext zu generellen Einschätzungen der Rolle von Kultur im Gefüge
des kollektiven Lebens zu gelangen.“28 Es soll hier nicht die Frage gestellt werden, in
welchem Verhältnis dieses Ziel zum Postulat der Interpretation als der den
Geisteswissenschaften angemessenen Methode steht, d.h. auf welche Weise die geforderten
Schlußfolgerungen gezogen werden können. Denn darauf gibt Geertz keine Antwort. Es soll
aber von dieser Äußerung von Geertz die Brücke zu einer Studie des Philosophen und
Soziologen Karl Acham geschlagen werden, mit deren Hilfe gezeigt werden kann, wie die
von Geertz erhobene, so einfach klingende Forderung, ein Vokabular bereitzustellen, im
Rahmen von Kausalerklärungen zu beurteilen ist. Es handelt sich um einen Artikel mit dem
Titel: Über den Zusammenhang von Erwartungshaltung, Wirklichkeitskonzeption und
Darstellungsweise in den Sozialwissenschaften29. Die Studie stößt somit, weil Acham
durchgehend auch an die Geschichtswissenschaft denkt, mitten in unsere Problemstellung.
Für jede historische Darstellung ist ein Gegenstandsbereich auszuwählen, der zuerst –
gleichgültig, wie man methodisch vorgehen will – beschrieben werden muß. Acham geht
davon aus, daß es diesen Gegenstand auch in der Realität gibt, unter anderem mit der nur
schwer bestreitbaren Begründung, daß wir andernfalls niemals wissen könnten, „ob oder daß
zwei oder mehrere Beschreibungen die Beschreibung einer identischen Sache sind.“30 Die
Beschreibung, das heißt das Erfassen dieses Gegenstandes, muß also seiner Erklärung
vorausgehen. Einen Gegenstand erfassen, heißt aber auch, eine Vorstellung von dem in dem
ausgewählten Bereich des „kulturellen Sinngebildes“ geltenden Regelsystem zu besitzen. Da
dieses Regelsystem über den zur Analyse ausgewählten Gegenstand hinausreicht, fließen in
die Beschreibung des Sachverhalts auch weiterreichende Annahmen und Hypothesen ein.
Beschreibungen, die sich als kenntnisreich von anderen, als schlecht eingeschätzten
Beschreibungen unterscheiden, beinhalten derartige Annahmen, „die sich darauf beziehen,
wie etwas möglich war bzw. warum etwas ‘notwendig’ eingetreten ist.“31
Es wurde schon angesprochen, daß in der Praxis Beschreibungen desselben Sachverhalts
differieren können. Die Unterschiede ergeben sich jedoch nicht nur aus unterschiedlichen
Fragehaltungen, die sich auf verschiedene Seiten der Sache richten oder dieselben Elemente
in unterschiedlicher Gewichtung bieten, sondern sie sind auch eine Folge der Erwartungen der
Fragesteller. Es hängt mit diesen Erwartungen, die sich auch näher spezifizieren lassen,
zusammen, daß aus dem bereit stehenden Fundus existierender Begriffe auf bestimmte
zurückgegriffen wird oder auch neue Begriffsbestimmungen vorgenommen werden, um den
zur Debatte stehenden Gegenstand zu beschreiben. Die Entscheidung, welche Begriffe
verwendet werden, steht in Verbindung mit der schon bei der Beschreibung mitgedachten
Erklärung. Die von Acham im Anschluß an den Soziologen Paul F. Lazarsfeld formulierten
Überlegungen gelten auch für die Arbeit der Historikerin, des Historikers. „Wenn man sich im
Rahmen sogenannter gesellschaftstheoretischer Analysen an die Ausarbeitung eines
Klassifikationsschemas und an Begriffsbestimmungen macht ..., so trifft man zumeist auch
schon bedeutsame Vorentscheidungen mit Bezug auf die Hypothesen-Ebene, da ja zwischen
den begrifflichen Charakteristiken des Explanandum-Bereichs und dem Explanans-Bereich
27
Vgl. die von Geertz 1994, 40, selbst vorgenommene, natürlich unvollständige Auflistung.
Geertz 1994, 40.
29
Acham 1982.
30
Acham 1982, 362.
31
Acham 1982, 363f.
28
8
(der die Hypothesen einschließt) eine gewisse Entsprechung bestehen muß. Umgekehrt
formen bereits unsere Erwartungen bezüglich der geeigneten Hypothesen zur Erklärung von
‘sozialen Tatsachen’ das Klassifikationsschema und die Explikation der Begriffe.“32 Acham
weist selbst auf die hierin sichtbar werdende Nähe der Erklärung zur Hermeneutik, indem er
das von ihm beschriebene Vorgehen als „deskriptiv-explanativen Zirkel“ bezeichnet, „der
wohl ein Bruder des hermeneutischen Zirkels ist.“33
In der Abgrenzung von jenen, welche die Erklärung als den Geisteswissenschaften für nicht
angemessen halten, weist Acham dann aber darauf hin, daß sich im „Vorgang der
Begriffsbestimmung ein Wissen um ganz bestimmte kausale Zusammenhänge niederschlägt.
Mit anderen Worten: Hypothetische Vorerwartungen über kausale Zusammenhänge, also
kognitive Antizipationen, bedingen die begriffliche Struktur oder den konzeptuellen Rahmen
möglicher sozialwissenschaftlicher Darstellungen.“34 Analoges gilt ohne Zweifel auch für
historische Darstellungen. Die Konsequenz daraus heißt, „Begriffe analog den Hypothesen zu
behandeln“35.
Diskurs statt Wirklichkeit?
Die Ausführungen Achams sind auch als massiver Vorbehalt gegenüber „der mitunter recht
hurtig vorgetragenen Rede von der ‘sprachlichen Konstruktion der Wirklichkeit’“ gedacht.
Acham illustriert seine Skepsis mit dem bekannten, den Zusammenhang zwischen den
Konzeptionen des wissenschaftlichen Beobachters und der Realität charakterisierenden Zitat
des englischen Physikers Arthur Eddington: „Welche Fische man fängt, hängt davon ab,
welche Netze man auswirft“, und ergänzt selbst: „Die Netze bestimmen zwar die Größe der
Fische, welche gefangen werden, aber das heißt nicht, daß sich die Fische – je nach Knüpfung
der Netze – verändern.“36 Eben das ist aber eine Grundthese der Diskurstheorie. Einige mir
wesentlich erscheinende Aspekte an ihr sollen im folgenden in Auseinandersetzung mit
Thomas Späth vorgeführt werden, weil dessen Buch Männlichkeit und Weiblichkeit bei
Tacitus einen eindrucksvollen Versuch darstellt, die Diskurstheorie zur Analyse der
Geschlechterrollen in den Texten von Tacitus anzuwenden.
Späth bekennt sich unter den inzwischen möglich gewordenen Verwendungen des Begriffs
‘Diskurs’ zu dem von Michel Foucault in der ‘Archäologie des Wissens’ vorgetragenen.
Diskurs meint danach „soziale Praktiken in umfassendem Sinn“37. Sprachliche Äußerungen
sind als ‘diskursive Ereignisse’ aufzufassen. Aber Diskurse – als ein Ensemble von Regeln
verstanden – existieren nur im Augenblick des diskursiven Ereignisses. Das soll heißen, daß
Diskurse nicht als etwas Eindeutiges dingfest gemacht werden können, sondern sich in einem
dauernden Prozeß neu bilden, ‘rekonstituieren’. Der Prozeßcharakter des Diskurses wird als
wesentliches Unterscheidungsmerkmal zum Begriff der Struktur betont, weil die als Basis der
Vorstellung von Strukturen behauptete ontologische Qualität abgelehnt wird.
32
Acham 1982, 379f.
Acham 1982, 380. Daraus ergibt sich die Nähe der „Regelkreise“ bzw. „Bestimmungsebenen“, die Küttler
1993, 56, im Anschluß an T. S. Kuhn auseinanderhält: „1. als komplexes System von Geschichtsorientierung,
Geschichtsforschung, Historiographie und Geschichtskultur; 2. als Regelsystem der Geschichte als Wissenschaft,
d.h. als Gesamtheit der Methoden, Theorien und Prinzipien kognitiver Geschichtsaneignung.“ Ähnliches, nur
gewissermaßen von der anderen Seite her, findet auch in naturwissenschafltichen Texten statt, wenn in die
Darstellung der Genese einer Problemlösung normative Erwartungen einfließen, die die wissenschaftliche
Darstellung der Problemlösung selbst bestimmen. Zu diesem Problem der Authentizität vgl. Danneberg 1993,
bes. 110ff.
34
Acham 1982, 381.
35
Acham 1982, 393.
36
Acham 1982, 388.
37
Späth 1994, 283. Zum Diskursbegriff vgl. z.B. Dainat/Kruckis 1995, 136-142.
33
9
Dieser Begriff des Diskurses als ein Ensemble von Regeln, das nur im Augenblick der
sprachlichen Realisierung in der jeweils spezifischen Weise präsent sei, wird nun „mit der
kulturanthropologischen Definition der Wirklichkeit als Text“38 verbunden ganz in dem Sinn,
wie das oben am Beispiel von Clifford Geertz ausgeführt wurde. Kultur wird als Text
aufgefaßt, und die Diskurse bestimmen über den Text bzw. die Vielzahl an Texten, die eine
Kultur ausmachen. Die Diskurse werden als nicht ableitbare Größen vorgeführt, mit denen
allein wir uns auseinandersetzen können. Da wir uns als Angehörige einer Kultur stets
innerhalb eines Geflechts vielfältiger Texte befinden, ist ein direkter Zugang zur Wirklichkeit
nicht möglich. Am Beispiel von Tacitus sieht Späth das so: „Die Annalen schaffen ... nicht
eine Transparenz, welche den Blick auf die Wirklichkeit der römischen Gesellschaft freigibt,
sie sind eher zu vergleichen mit einem Bild, das sich vor diese Wirklichkeit geschoben hat.“39
Und: „Der Wirklichkeit der in den Annalen geschriebenen Geschichte konnte auch ein
Tacitus nicht als Realität begegnen. Wir können annehmen, daß die ersten sechs Jahrzehnte
des Prinzipats in Form von Anspielungen in Reden im Senat, in Form von Erzählungen älterer
Leute, von Erzählungen von Erzählungen für einen Tacitus ‘gegenwärtig’ waren; die
Wirklichkeit der julisch-claudischen Herrschschaft zeigte sich in Bauwerken und Statuen,
Grabdenkmälern, Kulteinrichtungen, sie war präsent in Aufzeichnungen über
Senatsverhandlungen, in Archiven, welche mehr oder weniger direkt zugänglich waren, in
historischen (oder andern Gattungen zugehörigen) Schriften. Kurz: Die Wirklichkeit, mit der
sich der Schreibende konfrontierte, war die Wirklichkeit eines vielfältigen Textes“.40 Die
Produktion des Historiographen und darüber hinaus jedes Textproduzenten wird vor diesem
Hintergrund als „Kreuzpunkt und gegenseitige Auflösung einer Vielfalt von Texten“ gesehen.
In solcher Funktion kann, so Späth weiter, der „Text kein Zentrum haben, keinen von einem
Subjekt beherrschten einzigen Sinn“. Der Autor verliert damit seine schöpferische Kraft, seine
Funktion übernimmt der Leser eines Textes. Unter Bezugnahme auf Roland Barthes meint
Späth, daß er die „Intertextualität“ im Lesevorgang aufhebt, indem er dem Text einen (neuen)
Sinn gibt, den er selbst wieder als Text formulieren kann. In der Sprache der Theorie des
Diskurses heißt das, daß Tacitus durch den historiographischen Diskurs als Historiker
konstituiert wurde, er aber „als (durch politischen Diskurs bestimmter) Senator, als (durch
Verwandtschafts- und Geschlechterdiskurs bestimmter) pater familias und Mann“ durch seine
Textproduktion gleichzeitig auch den historiographischen Diskurs produzierte und
entwickelte.41
Es muß aber dennoch eine Möglichkeit geben, sich aus dem Geflecht von Texten und der
Eingebundenheit in Diskurse so weit zu lösen, daß eine wissenschaftliche Analyse möglich
wird. Nach Jacques Derrida ist das das Mittel der Dekonstruktion, das als Suche danach
verstanden wird, was im Text an Gegenbegriffen, Oppositionen und widerstreitenden
Argumenten unterdrückt wird, ohne die Spuren der Unterdrückung ganz beseitigen zu
können.42 Späth spricht von der „Arbeit im Text“. Die von ihm geforderte Zertrümmerung des
38
Späth 1994, 283
Späth 1994, 267.
40
Späth 1994, 272.
41
Späth 1994, 292. Hierin liegt das implizite Eingeständnis, daß ohne eine Metaposition Texte weder
analysierbar noch beurteilbar sind, auch wenn das unter Rekurs auf das Mittel der Dekonstruktion geleugnet
wird.
42
Der Weg für diese Suche führt über das ‚Ausstreichen‘ von Begriffen, die auf einen Gegenbegriff verweisen,
und über das Aufdecken der différance als Verweis auf das Ausschließen von Gegenbegriffen; der zweite Begriff
weist auf die Doppeldeutigkeit des Wortes différer: ‚sich unterscheiden‘ und ‚aufschieben, verschieben‘, und ist
aus der Verbindung von Infinitiv und dem Partizip différant gebildet; vgl. z.B. Daniel 1997, 263f.; Lorenz 1997,
166-170 (mit Lit.).
Die Behauptung der Existenz potentieller, unerwähnter bzw. weggelassener Gegenbegriffe setzt etwas voraus,
was der ‚traditionellen‘ Geschichtswissenschaft nicht nur gut bekannt ist, sondern auch nicht nur auf binäre
39
10
Textes erfolgt so, daß „ihn das arbeitende Subjekt (konstituiert durch die für seine
Subjektivität spezifische Konstellation von Diskursen) mit dem historiographischen Diskurs
(der das Subjekt als HistorikerIn konstituiert und das Arbeiten zum historischen macht)
konfrontiert. Die Konfrontation bedeutet eine Zerstörung des Textes“43. Damit ist die
Zerlegung in einzelne Elemente gemeint und das Hervorheben von Beziehungen zwischen
diesen, aber auch die Isolierung von Diskursen. „Das Ergebnis historischen Arbeitens ist
wiederum die Produktion eines Textes, worin sich die diskursive Wirklichkeit und die Arbeit
der Zerstörung der Sinnkonstruktion einschreibt.“44
Folgerungen für die Forschungspraxis
Es kann hier nicht darum gehen, diese Hypothesen, Vorstellungen und Behauptungen im
einzelnen zu bewerten. Ziel der folgenden knappen Ausführungen ist es nur, im Hinblick auf
die bisher in groben Strichen vorgeführten Standpunkte zwei in der theoretischen Diskussion
unterschiedlich eingeschätzte Felder herauszugreifen und mit ihnen einige Überlegungen für
die konkrete Forschungsarbeit zu verknüpfen.
Durch die postmodernen Theorieansätze ist der Begriff der Wirklichkeit wieder verstärkt ins,
nicht, wie man meinen möchte, aus dem Blickfeld geraten. Als eine Folge davon beginnt es
zur Selbstverständlichkeit zu werden, daß mit dem Begriff der Realität zumindest zwei
Ebenen mitzudenken sind: eine, die man bei einem sehr weiten Begriffsverständnis als die der
Ereignisse umschreiben könnte, und eine zweite, welche die Bedeutungen und Symbole trägt.
Es ist keine Frage, daß nicht nur die in der Vergangenheit Agierenden, sondern auch der
historische Informant in das sich aus der Verschränkung dieser beiden Ebenen ergebende
komplexe Geflecht eingebunden sind. Analoges gilt natürlich für diejenigen, die den
wissenschaftlichen Zugang zur Vergangenheit suchen.45
Der Feminismus war es, der im Hinblick darauf die gleichwertige Berücksichtigung der dieses
Geflechts ebenso wie der Mann konstituierenden Frau eingefordert hat. So entstanden
bekanntlich auch in der Altertumswissenschaft zuerst Untersuchungen zur Frau und zum
Frauenbild und dann in Parallele zur Fortentwicklung der feministischen Diskussion46 solche
zu den Geschlechtern. Es kann keine Streitfrage sein, ob dies berechtigt ist oder nicht, sondern
es kann wohl nur mehr darum gehen, die These zu diskutieren, in welchem Ausmaß
Geschlecht als kulturell determiniert zu betrachten ist.47 Um Materialien zur Beantwortung
dieser Frage zu gewinnen, erscheint der Weg, den Thomas Späth eingeschlagen hat, fruchtbar
zu sein. Will man dem Geschlecht auf die Spur kommen, dann ist es nötig, beide bzw. alle
Geschlechter ins Blickfeld zu nehmen. Späth hebt Handlungssubjekte von Handlungsobjekten
ab, und trennt diese jeweils in Männer und Frauen. Diese Gliederung wird noch durch die
Untersuchung der Handlungsbeziehungen männlicher und weiblicher Subjekte zu Objekten
des jeweils anderen Geschlechts erweitert. Auf diese Weise entstehen vier
Kategorisierungsfelder, mit denen Späth die den Geschlechtern männlich und weiblich
zugeschriebenen Charakteristika und Handlungsmöglichkeiten in den Annalen des Tacitus
beschreibt.
Oppositionen hin ausgerichtet ist, nämlich das sogenannte Gedankenexperiment; zur praktischen Durchführung
vgl. z.B. Demandt 1986; Ferguson 1999. Natürlich benötigt auch die Dekonstruktion derartige Gedankenwege.
43
Späth 1994, 293.
44
Späth 1994, 293.
45
Zur Aktualität des Themas vgl. z.B. Müller/Rüsen 1997; Rüsen 1999.
46
Vgl. hierzu Friedrich 2000, 43ff.; Strasser 1995; Osinski 1998, bzw. Schmitt Pantel 1993, 513-523; Richlin
1993, bes. 283ff.; Scheer 2000.
47
Vgl. hierzu z.B. Lorenz 1997, 168f. Friedrich 2000, 47ff., Hauser 2000; Apelt 2000, 28-35.
11
Abb. 2: Analyseraster nach Thomas Späth
Handlungssubjekt
Männlich
Handlungsobjekt
Beziehungen unter
Männern
Männlich
Handlungssubjekt
Weiblich
Handlungsobjekt
Beziehungen unter
Frauen
Weiblich
Faßt man diese Kategorisierungen als Suchschema ohne den von Späth intendierten Bezug zu
der von ihm angenommenen Textualität der Wirklichkeit auf, dann sind sie ohne Zweifel dazu
geeignet, Grundkonstituenden des Bezugsfeldes ‘Geschlecht’ sichtbar zu machen. Angesichts
der angedeuteten Frage, in welchem Maß Geschlecht kulturell determiniert ist und ob es
ausreicht, mit der Geschlechteropposition ‘weiblich-männlich’ zu rechnen, wird ein
idealtypisches Suchschema zumindest um die Möglichkeit einer weiteren
Geschlechterdifferenzierung zu ergänzen sein. Daß dies kein müßiges Spiel ist, beweist die
Analyse der in dem in Innsbruck laufenden Forschungsprojekt48 zum Gegenstand gewählten
ethnographischen Texte, in denen z.B. Intersexualität in Gestalt von Androgynie oder von
Eunuchen immer wieder eine Rolle spielt.49 Darüber hinaus wird das Suchschema auch die
soziale Herkunft der Subjekte und Objekte einschließen, aber auch präzise
Fragemöglichkeiten nach dem Ort des Auftretens der als Subjekte und Objekte kategorisierten
Personen enthalten müssen. Der gesamte Vorgang bewegt sich so in Richtung auf den von
Karl Acham behandelten Begriffsschematismus zu, den jede Gegenstandsbeschreibung
benötigt. Je umfassender dieser gestaltet wird, desto geringer wird die Belastung der mit der
Beschreibung zusammenhängenden Argumentation über Autor und Text durch unreflektierte
Begründungszusammenhänge. Der wissenschaftliche Zugang zur Vergangenheit wird
dadurch transparent und somit auch kontrollierbar.
Das Verhältnis von Autor und Realität ist das zweite Feld, das hier noch unter drei
forschungspraktischen Aspekten kurz betrachtet werden soll. Es ist eine alte philologische
Forschungstradition, die Genese von Texten zu analysieren und die Qualität eines Textes bzw.
auch des Autors einerseits nach den Quellen zu beurteilen, die für die Herstellung des Textes
benutzt wurden, andererseits danach, wie aus diesen Quellentexten ein neuer gestaltet wurde.
48
Vgl. hierzu das Vorwort dieses Bandes und Ulf/Rollinger in diesem Band.
Das gilt unabhängig davon, in welchem Maß diese Differenzierung in der Realität erst durch ökonomische
Privilegierung möglich wird; auf diesen Zusammenhang verweist Hauser 2001.
49
12
Das zu tun, hat nach wie vor seine Berechtigung, weil dadurch Denk- und Texttraditionen und
deren Veränderungen gut sichtbar werden können. Es wird der Präzision von Beschreibung
und Begründung sicherlich förderlich sein, die anmerkungsweise geäußerte Forderung Späths
aufzunehmen und den jeweils zur Debatte stehenden Text als ganzen in getrennten Vorgängen
einmal innerhalb seines Genos mit anderen Texten zu vergleichen, und einmal mit Texten
anderer Genera.50 Nicht nur die im Rahmen des Innsbrucker Projekts durchgeführten Studien
haben so schon erste nützliche Ergebnisse erzielen können.51
Im Hinblick auf den Realitätsbezug eines Textes ist die Frage nach der Autonomie des Autors
nicht weniger wichtig. Verbietet zwar die Diskurstheorie, von einem Autor zu sprechen, so
kommt – um ihn ein weiteres Mal zu zitieren – Thomas Späth nicht umhin, indirekt doch vom
Autor zu sprechen. Es ist bei ihm die Rede vom „Erzähler Tacitus“ und seiner Sichtweise, von
seinen Vorstellungen, von den Quellen für den Autor und seiner Abhängigkeit von diesen,
und schließlich auch von der Frage, in welchem Ausmaß die normgebende Ordnung des
Textes vom Autor abhängig ist. Nebenbei macht er den Autor auch dingfest, indem er Tacitus,
wie es sich gehört, der Aristokratie zuordnet und in den Annalen des Tacitus die Verbindung
des normenstörenden Verhaltens mit der von ihm so gesehenen (Un)Ordnung des Prinzipats
als Leitmotiv seiner Darstellung ausfindig macht. Gerade das Letzte ist etwas, was sich nicht
einfach als dem Diskurs der Aristokratie entstammend ansehen läßt. Späth geht also selbst
den Weg, den Autor zu entdecken, indem er die Textcharakteristik sichtbar macht und den
Vergleich mit anderen Texten fordert. Er beschreitet aber darüber hinaus noch den
altbekannten und zielführenden Weg, indem er sich in den Anmerkungen fast durchgängig auf
den zeitgleichen historischen Kontext der Art bezieht,52 wie er über andere literarische und
nicht-literarische Quellen zu rekonstruieren versucht wird. Da nicht jede einzelne historische
Quelle mit einem eigenen Diskurs gleichgesetzt werden kann, ist es, solange keine Quellen
oder Quellenteile zusammenfassenden Diskurse plausibel gemacht werden können, nach wie
vor sinnvoll, im zu analysierenden Text, so wie das Späth de facto tut, nach dem Autor und
seiner Intention zu suchen. In der Distanz und Nähe zum zeitgleichen historischen Kontext
kommt einerseits die Kontur des Autors zum Vorschein, es können aber andererseits auch
über das Ausmaß der Abhängigkeit des Autors von ‘seiner Zeit’ Aussagen gewagt werden.
Die Analyse des in seinem Text verwendeten Begriffsinstrumentariums ist hierfür eine nicht
zu übersehende Hilfe.53
Dem Autor auf die Spur zu kommen, ist auch in nicht wenigen Fällen von ganz anderer Seite
möglich, nämlich durch den Blick auf die in den Texten aufscheinenden Äußerungen zur
Ethnographie. Diese liefern in der Regel durch die ihnen inhärenten Projektionen von der
Eigenwelt auf die Fremdwelt eine Art von Außenperspektive auf den Text bzw. auf den
Autor.54 Diese zu ermitteln, ist aber deswegen nicht einfach, weil das Verhältnis zwischen
realer Kenntnis der Fremdwelt und den für deren Darstellung benutzten überlieferten Topoi
nicht leicht zu bestimmen ist. Um vor allem in der Frage der Topologie sichereren Boden
unter den Füßen zu gewinnen, wurde in Innsbruck in den letzten Jahren begonnen, einen
Katalog ethnographischer Äußerungen aufzubauen.55 Für die Erstellung eines derartigen
Katalogs ist ein Begriffsschematismus aus zwei Gründen notwendig: Erstens werden mit
50
Späth 1994, 57 Anm. 63.
Weiler 2000, Comploi 2000, Truschnegg 2000.
52
Späth bezieht sich unter anderem auf Rechtsverhältnisse, die Verwandtschaftsterminologie und ihre
Bedeutung, auf die Bedeutung der Heirat als Mittel der Allianzenbildung oder auch auf Normen des männlichen
Sexualverhaltens.
53
So z.B. Santoro L’Hoir 1992, Truschnegg 2000.
54
Vgl. K. v. See 1982, Lund 1990, Timpe 2000.
55
Nach der Fertigstellung dieses Katalogs – ein Teilergebnis des mehrfach angesprochenen, vom FWF
geförderten Innsbrucker Projekts zu den Geschlechterrollen in der antiken Ethnographie – soll er über Internet
zugänglich gemacht werden. Die Forderung nach einem solchen Katalog als notwendige Arbeitsbasis ist alt; vgl.
Norden 1920, 58.
51
13
seiner Hilfe die Weichen für die Lektüre der Texte so gestellt, daß möglichst viele der
möglichen ethnographischen Äußerungen erfaßt werden, die unter dem Gesichtspunkt
‘Frauenrolle – Geschlechterrolle’ von Relevanz sind. Zweitens werden durch die so gegebene
‘Standardisierung’ der Fragen an die Texte die Analyseergebnisse direkt vergleichbar. Gerade
das ist für alle topologischen Fragestellungen von wesentlicher Bedeutung. In seinen
Grundzügen sieht dieser Begriffsschematismus wie folgt aus:
HAUPT
KATEGORIEN
1. Autoren
1. UNTERKATEGORIE
2. UNTERKATEGORIE
3. UNTERKATEGORIE
Namen
(alphabetisch)
2. Gender
Verwandtschaft
Eheformen
Verstöße gegen
Ehe/Heiratsnormen
Außereheliche
Sexualität
Abstammungslinien
Terminologie
klassifikatorisch
Verwandtschaftformen
elternlose Abstammung
Heiratsformen
Brautgabe
Mitgift
Verhältnis Eltern-Kind
Namensgebung
Elternrolle
Erziehungsformen
Erbregelungen
Avunkulat
Ehelosigkeit
Geschwisterehe
Geschlechtsverkehr
Monogamie
Polygamie
Polyandrie
Ehebruch
Frauenraub
Inzest
Nekrophilie
Vergewaltigung
Zwang zur Prostitution
Androgyne
Askese
Jungfräulichkeit
Frauenlosigkeit
Männerlosigkeit
Promiskuität
patrilinear
matrilinear
begrenzt auf:
Altersstufen
Eliten
bestimmte Frauenzahl
Riten
Männer
Prostitution
Sexualität außerhalb der Ehe
14
Homosexuelle
Beziehungen
Formen der
Sexualität
Beschneidung
Frauenrolle, -status
Zweck: Kinderzeugung
von Mädchen
frauenspezifisch
für beide Geschlechter
gültig
als Regelfall
als Sonderfall
zwischen Männern
zwischen Frauen
zwischen gleichrangigen
Partner
mit Abhängigen
Frauen als Opfer des Kriegs
Frauen auf Leben und Tod
den Männern ausgeliefert
Frauen den Männern
übergeordnet
Frauen im Troß des Heeres
Frauen in aitiologischer
Funktion
Frauen in Gefangenschaft
Frauen von Herrschern
.......
Männer in Frauenrollen
Mutterrolle
Tochterrolle
Rolle der Ehefrau
Auffälliges Verhalten
von Männern
3. Geographie
Völker-Namen
Lokalisierung
4. Völker
Merkmale
Spezifische Merkmale
Allg. Erscheinungsbild
Fruchtbare Frauen
Kleider
Physiognomie
Schmuck
Wesensart
Art der Ernährung
Art der Wohnung
Eßgewohnheiten
Siedlungsweise
Wirtschaftsweise
Gruppen/Kategorien
Wesensart von Frauen
Ökonomie
Soziale Beziehungen
(nicht Verwandtschaft)
Aufnahme in Gruppen
Verhalten gegenüber
Kranken
Verhalten gegenüber
Alten
Alterskategorien
Männergruppen
Frauengruppen
15
Religiöse Merkmale
Formen normativen
Denkens
Herrschaftsformen
Existenz von Göttern
Machtbereich der Götter
Religiöse Feste
Religiöse
Merkwürdigkeiten
Spezifika der Götter
Verhältnis zu den Toten
Nicht-rechtliche
Regelungen
Rechtliche Regelungen
Raumvorstellungen
Zeitvorstellungen
Politische Institutionen
Formen interner Gewalt
Personale Herrschaft
Verhältnis zu
Fremden
5. Personen
Egalitäre Ordnung
Hierarchische Ordnung
Frauenherrschaft
Männerherrschaft
Behandlung der Fremden
Behandlung des Fremden
Kriegführung
Kontaktaufnahme mit
Fremden
Kontakte zu Fremden
Frauennamen
Göttinnen
6. Zeit
Volk
Darstellung
Abstammung
Entstehung
Mit Autor gleichzeitig
Historisch vorzeitig
Mythisch gleichzeitig
Mythisch vorzeitig
In den Kategorien 2 – 5 lassen sich gleich oder ähnlich lautende Passagen leicht eruieren. Ihre
Nähe und Distanz zueinander wird durch die Unterkategorien gut faßbar. Was ein Topos ist,
ist aber durch die inhaltliche Nähe einer Passage mit anderen Passagen allein noch nicht
festgelegt. Das ist auch vom nicht immer gleich einzuschätzenden Realitätsgehalt und darüber
hinaus noch von der Position abhängig, welche das jeweilige Motiv innerhalb eines Textes
einnimmt. Diese Position bestimmt wesentlich darüber, ob ein Motiv tatsächlich als reiner
Topos aufzufassen, oder nur bedingt als solcher anzusprechen ist, weil das Motiv innerhalb
des Textes eine erkennbare Funktion erhält.
Durch die nach dem Begriffsschema vorgenommene Katalogisierung der ethnographischen
Texte wird darüber hinaus sichtbar, daß die Grenzziehung zwischen Eigenwelt und
Ethnographie nicht nur von den sich wandelnden geographischen Realkenntnissen abhängig,
sondern daß auch die Perspektive des jeweiligen Autors zu der ihm fremden Welt hierfür von
wesentlicher Bedeutung ist.56 Mit dieser Perspektive hängt es auch zusammen, daß die Welt
56
Unter etwas anderem Aspekt hat darauf jüngst wieder Timpe 2000 hingewiesen; vgl. z.B. auch Günnewig
1998. Die hier gemeinte Perspektivität entspricht der Zwischenwelt, wie sie Günther 2000 für Ammianus
Marcellinus als spezifisch festgestellt hat.
16
der Barbaren dazu benützt werden kann, um Requisiten für das Bild der Frau in der eigenen
Welt zu gewinnen.57 Im Vergleich der Texte wird diese Perspektive bestimmbar.
Richten sich die Begriffe 2-5 vor allem auf das Problem der Topologie, so macht die
Kategorisierung unter dem Begriff „Zeit“ sichtbar, daß die Abgrenzung von Eigenwelt und
ethnographischem Raum nicht nur wegen unterschiedlicher Realkenntnisse und
Autorenperspektiven schwierig vorzunehmen ist. Denn richtet man den Text am Parameter
„Vorzeitigkeit“ aus, dann zeigt sich, daß die Trennung von Mythos und Ethnographie kaum
möglich ist. Dieses Problem besteht, wenn auch in unterschiedlicher Schärfe, für jeden
antiken Text.58 Die mythische Geschichte wird so zum ethnographischen Raum und
umgekehrt. Die ethnographische Welt erhält so auch Funktionen der mythischen Geschichte,
zu denen es auch gehört, in der eigenen – männlichen – Welt zwar Existentes, aber in ihr nicht
Abbildbares als Projektionen aufzunehmen.59
Wenn man die in diesem Begriffsschematismus aufscheinenden, vom Problem der Topologie
angeregten Suchbegriffe mit einer Analyse des autorspezifischen Vokabulars60 und darüber
hinaus noch mit einer quantitativen Erfassung der ethnographischen Einzelelemente61
verbindet, dann ergibt das in der Summe eine beachtliche Basis für Rückschlüsse auf die
Intention eines Textes und auf seine Spezifik vor dem Hintergrund nicht nur der Texttradition,
sondern auch der Entstehungszeit des Textes. Es ist offensichtlich, daß eine
Zusammenführung der hier genannten Ansätze innerhalb nur einer Untersuchung in der Praxis
nur schwer möglich sein wird. Hat man diese aber als Ziel vor Augen, dann dürfte das – und
sollte wohl auch – Auswirkungen auf die Gestaltung der Einzelstudien haben.
Mit all dem ist das Problem des oben angesprochenen deskriptiv-explanativen Zirkels, die
Wahl der Begriffe für den Begriffsschematismus, noch nicht gelöst. Ist aber einmal das
ausgewählte wesentliche Begriffsmaterial offen gelegt, dann kann man diesem Problem
offensiv begegnen, d.h. die konzeptuellen, sprachlichen Schemata, die mit der expliziten
Begriffswahl in Vergangenheit und Gegenwart verbunden sind, reflektieren und ihren auch
perspektivischen Bezug zum Beschreibungs- und Erklärungsvorgang dadurch erkennbar und
kritisierbar machen. Die künftige praktische Arbeit wird zeigen, in welchem Ausmaß dies
realisierbar ist.62
57
Vgl. z.B. Schmal 2000, Wagner-Hasel 1993, 542.
Vgl. Weiler 2000, Comploi 2000, Noggler 2000, Truschnegg 2000, Wenskus 2000.
59
Diese Funktion des Mythos ist dann, wenn man auf seine religiösen oder politischen Intentionen blickt,
unbestritten. Foxhall/Salmon 1998a und Foxhall/Samon 1998b legen eine erste Basis, um diesen Gedanken auf
dem Feld der Geschlechterrollen weiter zu verfolgen.
60
Vgl. Truschnegg 2000.
61
So bes. Rollinger 2000, aber auch innerhalb seines Begriffschemas im Anhang Späth 1994.
62
Vgl. zur männlichen Perspektive der in der Wissenschaft verwendeten Begriffe z.B. Hausen 1998, bes. 50ff.,
und natürlich die auch in der Altertumswissenschaft geführte Diskussion über die Anwendbarkeit des
Gegensatzes ‚privat – öffentlich‘; dazu z.B. Wagner-Hasel 1988, auch Schnurr-Redford 1996, 13-56.
58
17
Literaturverzeichnis
Acham 1974 = K. Acham, Analytische Geschichtsphilosophie. Eine kritische Einführung,
Freiburg/München 1974.
Acham 1982 = K. Acham, Über den Zusammenhang von Erwartungshaltung,
Wirklichkeitskonzeption und Darstellungsweise in den Sozialwissenschaften, in: R.
Koselleck/H. Lutz/J. Rüsen (Hg.), Formen der Geschichtsschreibung (Theorie der Geschichte.
Beiträge zur Historik 4) München 1982, 353-414.
Apelt 2000 = E. Apelt, Geschlecht als Machtkonfiguration, in: Klettenhammer/Pöder 2000,
27-42.
Bourdé/Martin 1997 = G. Bourdé/H. Martin, Les écoles historiques, Paris ²1997.
Bürger 2000 = P. Bürger, Ursprung des postmodernen Denkens, Weikerswist 2000.
Cameron 1989 = A. Cameron (Hg.), History as Text: the Writing of Ancient History, London
1989.
Comploi 2000 = S. Comploi, Die Darstellung der Semiramis bei Diodorus Siculus, in:
Rollinger/Ulf 2000, 223-244.
Conrad/Kessel 1994 = Ch. Conrad/M. Kessel, Geschichte ohne Zentrum, in: Ch. Conrad/M.
Kessel (Hg.), Geschichte schreiben in der Postmoderne. Beiträge zur aktuellen Diskussion,
Stuttgart 1994, 9-36.
Dainat 1993 = H. Dainat, Vom Nutzen und Nachteil, eine Geisteswissenschaft zu sein. Zur
Karriere der Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften, in: P. J. Brenner (Hg,),
Geist, Geld und Wissenschaft. Arbeits- und Darstellungsformen von Literaturwissenschaft,
Frankfurt 1993, 66-98.
Dainat/Kruckis 1995 = H. Dainat/H.-M. Kruckis, Die Ordnungen der Literatur(wissenschaft),
in: J. Fohrmann/H. Müller (Hg.), Literaturwissenschaft, München 1995, 117-155.
Daniel 1997 = U. Daniel, Clio unter Kulturschock. Zu den aktuellen Debatten der
Geschichtswissenschaft, 2 Teile, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 48 (1997)
195-218, 259-278.
Danneberg 1993 = L. Danneberg, Darstellungsformen in Geistes- und Naturwissenschaften,
in: P. J. Brenner (Hg,), Geist, Geld und Wissenschaft. Arbeits- und Darstellungsformen von
Literaturwissenschaft, Frankfurt 1993, 99-137.
Demandt 1986 = A. Demandt, Ungeschehene Geschichte. Ein Traktat über die Frage: Was
wäre geschehen wenn...?, Göttingen ²1986.
Ferguson 1999 = Niall Ferguson (Hg.), Virtuelle Geschichte, Historische Alternativen im 20.
Jh., Darmstadt 1999.
Foxhall/Salmon 1998a = L. Foxhall/J. Salmon (Hg.), Thinking Men. Masculinity and its SelfRepresentation in the Classical Tradition, London/New York 1998.
Foxhall/Salmon 1998b = L. Foxhall/J. Salmon (Hg.), When Men were Men: Masculinity,
Power and Identity in Classical Antiquity, London/New York 1998.
Friedrich 2000 = M. Friedrich, Konstruktionen – Rekonstruktionen – Dekonstruktionen.
Frauenforschung, feministische Wissenschaft, gender studies in der Geschichtswissenschaft,
in: Klettenhammer/Pöder 2000, 43-60.
Geertz 1994 = C. Geertz, Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von
Kultur (engl. 1973), in: C. Geertz, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller
Systeme, Frankfurt 41994, 7-43.
Gethmann 1980 = C. F. Gethmann, Letztbegründung, in: Historisches Wörterbuch der
Philosophie 5 (1980) 251-154.
Günnewig 1998 = B. Günnewig, Das Bild der Germanen und Britannier. Untersuchungen zur
Sichtweise von fremden Völkern in antiker Literatur und moderner wissenschaftlicher
Forschung, Frankfurt/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1998.
18
Günther 2000 = L.-M. Günther, Geschlechterrollen bei Ammianus Marcellinus, in:
Rollinger/Ulf 2000, 57-86.
Hardtwig/Wehler 1996 = W. Hardtwig/H.-U. Wehler (Hg.), Kulturgeschichte Heute
(Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 16) Göttingen 1996.
Hausen 1998 = K. Hausen, Die Nicht-Einheit der Geschichte als historiographische
Herausforderung. Zur historischen Relevanz und Anstößigkeit der Geschlechtergeschichte, in:
Medick/Trepp 1998, 15-55.
Hauser 2000 = K. Hauser, Gender: Die Verwandlung eines sozialen VergesellschaftungsPhänomens in ein Zeichensystem, in: Klettenhammer/Pöder 2000, 15-26.
Hauser 2001 = K. Hauser, Frauen-Männer-Genderforschung. Ein kritisch-analytischer
Literaturbericht, in: Das Argument 42/204 (im Druck).
Iggers 1995 = G. Iggers, Zur „Linguistischen Wende“ im Geschichtsdenken und in der
Geschichtsschreibung, in: Geschichte und Gesellschaft 21 (1995) 557-570.
Iggers 1996 = G. Iggers, Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert, Göttingen ²1996
Kaschuba 1995 = W. Kaschuba, Kulturalismus: Kultur statt Gesellschaft?, in: Geschichte und
Gesellschaft 21 (1995) 80-95.
Klettenhammer/Pöder 2000 = S. Klettenhammer/E. Pöder (Hg.), Das Geschlecht, das sich
(un)eins ist? Geschlechterforschung und Geschlechtergeschichte in den Kulturwissenschaften,
Innsbruck 2000.
Küttler 1993 = W. Küttler, Erkenntnis und Form. Zu den Entwicklungsgrundlagen der
modernen Historiographie, in: Küttler/Rüsen/Schulin 1993, 50-64.
Küttler/Rüsen/Schulin 1993 = W. Küttler/J. Rüsen/E. Schulin (Hg.), Geschichtsdiskurs Band
1: Grundlagen und Methoden der Historiographiegeschichte, Frankfurt 1993.
Lorenz 1997 = Ch. Lorenz, Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in die
Geschichtstheorie, Köln/Weimar/Wien 1997.
Lund 1990 = A. A. Lund, Zum Germanenbild der Römer. Eine Einführung in die antike
Ethnographie, Heidelberg 1990.
Medick/Trepp 1998 = H: Medick/A.-Ch. Trepp (Hg.), Geschlechtergeschichte und
Allgemeine Geschichte. Herausforderungen und Perspektiven, Göttingen 1998.
Müller/Rüsen 1997 = K. E. Müller/J. Rüsen (Hg.), Historische Sinnbildung.
Problemstellungen, Zeitkonzepte, Wahrnehmungshorizonte, Darstellungsstrategien, Reinbek
1997.
Nagl-Docekal 1996 = H. Nagl-Docekal, Ist Geschichtsphilosophie heute noch möglich?, in:
H. Nagl-Docekal (Hg.), Der Sinn des Historischen. Geschichtsphilosophische Debatten,
Frankfurt 1996, 7-63.
Niethammer 1989 = L. Niethammer, Posthistoire. Ist die Geschichte zu Ende?, Reinbek 1989
Norden 1920 = E. Norden, Die germanische Urgeschichte in Tacitus Germania, Leipzig 1920
Osinski 1998 = J. Osinski, Einführung in die feministische Literaturwissenschaft, Berlin 1998
Rabinowitz/Richlin 1993 = N. S. Rabinowitz/A. Richlin (Hg.), Feminist Theory and the
Classics, New York/London 1993.
Reese-Schäfer 1995 = W. Reese-Schäfer, Lyotard. Eine Einführung, Hamburg ³1995
Richlin 1993 = A. Richlin, The Ethnographer’s Dilemma and the Dream of a Lost Golden
Age, in: Rabinowitz/Richlin 1993, 272-303.
Rollinger/Ulf 2000 = Rollinger. R./Ch. Ulf (Hg.), Geschlechterrollen und Frauenbild in der
Perspektive antiker Autoren, Innsbruck/Wien/München 2000.
Rüsen 1999 = J. Rüsen (Hg.), Westliches Denken. Eine interkulturelle Debatte, Göttingen
1999.
Santoro L’Hoir 1992 = F. Santoro L’Hoir, The Rhetoric of Gender Terms, ‘Man’, ‘Woman’,
and the Portrayal of Character in Latin Prosa (Mnemosyne, Suppl. 120) Leiden/New
York/Köln 1992.
19
Scheer 2000 = T. Scheer, Forschungen über die Frau in der Antike. Ziele, Methoden,
Perspektiven, in: Gymnasium 107 (2000) 143-172.
Schmal 2000 = St. Schmal, Frauen und Barbaren bei Euripides, in: Rollinger/Ulf 2000, 87128.
Schnurr-Redford 1996 = Ch. Schnurr-Redford, Frauen im klassischen Athen. Sozialer Raum
und reale Bewegungsfreiheit, Berlin 1996.
Schulze 1994 = W. Schulze (Hg.), Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie,
Göttingen 1994.
Sieder 1994 = R. Sieder, Sozialgeschichte auf dem Weg zu einer historischen
Kulturwissenschschaft?, in: Geschichte und Gesellschaft 20 (1994) 445-468.
Späth 1994 = Th. Späth, Männlichkeit und Weiblichkeit bei Tacitus. Zur Konstruktion der
Geschlechter in der römischen Kaiserzeit, Frankfurt/New York 1994.
Strasser 1995 = S. Strasser, Eine Einleitung, in: N.-C. Mathieu, Nachgeben ist nicht
zustimmen. Ethnologische Überlegungen zum Geschlechterverhältnis (frz. 1985), Wien 1995,
7-40.
Timpe 2000 = D. Timpe, Der Barbar als Nachbar, in: Ch. Ulf (Hg.), Ideologie – Sport –
Außenseiter. Aktuelle Aspekte einer Beschäftigung mit der antiken Gesellschaft (Innsbrucker
Beiträge zur Kulturwissenschaft, Sonderheft 108), Innsbruck 2000, 203-230.
Truschnegg 2000 = B. Truschnegg, Die Semantik wichtiger Termini zur Bezeichnung für
Personen weiblichen Geschlechts bei T. Livius, in: Rollinger/Ulf 2000, 299-344.
van Dülmen 1995 = R. van Dülmen, Historische Kulturforschung zur Frühen Neuzeit.
Entwicklung – Probleme – Aufgaben, in: Geschichte und Gesellschaft 21 (1995) 403-429.
v. See 1981 = K. v. See, Der Germane als Barbar, in: Jahrbuch für internationale Germanistik
13, 42-72.
Wagner-Hasel 1988 = B. Wagner-Hasel, „Das Private wird politisch“. Die Perspektive
„Geschlecht“ in der Altertumswissenschaft, in: U. A. Becher/J. Rüsen (Hg.), Weiblichkeit in
geschichtlicher Perspektive, Frankfurt 1988, 11-50.
Wagner-Hasel 1993 = B. Wagner-Hasel, Nachwort, in: P. Schmitt Pantel (Hg.), Geschichte
der Frauen, Bd. 1: Antike, Frankfurt/New York 1993, 535-543.
Weiler 2000 = I. Weiler, Materialien zum Verhältnis der Geschlechter im antiken utopischen
Schrifttum: Mythographische, ethnographische und poetische Quellen, in: Rollinger/Ulf 2000,
129-172.
Wenskus 2000 = O. Wenskus, Amazonen zwischen Mythos und Ethnographie, in:
Klettenhammer/Pöder 2000, 63-72.
Herunterladen