Gesundheitsmanagement im Tourismus

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Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess?
FH-Studiengang „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ in
Bad Gleichenberg.
Gelungene Institutionalisierung von Innovation in der Tourismusausbildung oder
doch nur ein Disziplinen-Kaleidoskop?
Von Harald A. Friedl
Erschienen in: Schmude, Jürgen; Schaarschmidt, Karen (Hg.) (2007): Tegernseer Tourismus Tage
2006. Proceedings. Beiträge zur Wirtschaftsgeographie Regensburg, Band 9.
Regensburg: Universität Regensburg, S. 161-172.
Abstract
Mit dem Start des Studienganges „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ im Jahr 2001 in Bad
Gleichenberg wurde versucht, mit Tourismus und Gesundheit zwei bislang scheinbar getrennte
Wissenschafts- und Lebensbereiche im touristischen Ausbildungsbereich zu einem Gesamtkonzept
zu verknüpfen. Dies geschah vor dem Hintergrund absehbarer Zukunftstrends, aber auch in
Hinblick auf die Entwicklung einer innovativen Ausbildung, die ihrerseits die Fähigkeit zum
innovativen und vernetzten Denken und Handeln vermitteln soll. Das Ausbildungskonzept stieß
unter Studierenden wie auch unter Betrieben auf sehr positives Echo. Darüber hinaus führte es auch
unter den Studienplanautoren und Lehrenden zu neuen Lernprozessen. Die Erfahrungen mit den
ersten abgeschlossenen Jahrgängen und mit den bisherigen Curriculumsreformen lassen vermuten,
dass der Versuch, in diesem explizit interdisziplinären Studiengang den Prozess einer permanenten
Innovation implizit zu verankern, gelungen sei.
Inhalt:
1. Lasst sich Innovation in der Tourismusausbildung institutionalisieren? ......................................... 2
2. Die FH JOANNEUM in der Steiermark .......................................................................................... 2
3. „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ – was ist das? ............................................................... 3
3.1 Megatrend Tourismus und Freizeit ............................................................................................ 4
3.2 Megatrend Gesundheit ............................................................................................................... 4
3.3 Megatrend Gesundheitstourismus .............................................................................................. 5
4. Ausbildung zum Gesundheitstouristiker: nur in Bad Gleichenberg! ............................................... 6
5. Die Evolution des Studienganges in Bad Gleichenberg .................................................................. 8
5.1 Der Start im Jahr 2001 in Bad Gleichenberg ............................................................................. 8
5.2 Die erste Studienreform im Jahr 2003 ....................................................................................... 9
5.3 Die Umstellung auf Bachelor und Master im Jahr 2005 ............................................................ 9
5.3.1 Wie und wo sind „Gesundheitsmanager / -innen im Tourismus“ tätig? ........................... 10
5.3.2 Verstärkte Verschränkung von Praxis und Forschung ...................................................... 10
5.3.3 Gelebte Inter- bzw. Transdisziplinarität............................................................................ 11
6. Schlussfolgerungen ........................................................................................................................ 12
Quellen: .............................................................................................................................................. 12
1
Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess?
1. Lasst sich Innovation in der Tourismusausbildung
institutionalisieren?
In einer Zeit der gesättigten Märkte, der sich immer stärker differenzierenden Konsumenten und vor
allem einer Welt, in der es bereits alles in jeder beliebigen Form gibt, wird es immer schwieriger ,
neue bahnbrechende Produkte für die Freizeit- und Tourismusindustrie zu erfinden und zu
entwickeln. Thomas A. Edisons alte Regel für kreative Arbeit besagt, dass 99 % des Erfolges auf
Transpiration und nur 1 % auf Inspiration beruhe. Für den dauerhaften Erfolg in der
Tourismusbranche bedürfe es somit in erster Linie zuverlässiger, sauberer (Entwicklungs-)Arbeit
und nur dann und wann einer zündenden Idee. Daraus würde folgen, dass es für die
Zukunftsfähigkeit des Tourismus im Wesentlichen solchen (Management-)Personals bedürfe, das
über eine solide Ausbildung in den wesentlichen touristischen Handwerksbereichen verfügt.
Was aber soll geschehen, wenn der kleine, feine Geistesblitz letztlich ausbleibt, oder schlimmer
noch, wenn der Geist zwar blitzt, aber von den „soliden“ fleißigen Mitarbeitern ganz einfach nicht
erkannt wird, etwa weil er als zu „grell“ im Sinne von visionär empfunden werde, oder weil die
Umsetzung des dahinter stehenden Konzepts den Mitarbeitern Kompetenzen abverlangen würde,
über die sie nicht verfügen?
Sind aber solche Einwände hinreichend genug, um einfach nur die Schultern zu zucken, weiterhin
auf rechtzeitig eintretende, hoffentlich dann auch „verständliche“ Geistesblitze zu vertrauen und an
der Strategie einer „soliden“ touristischen Grundausbildung festzuhalten? Sollte es nicht vielmehr
zu denken geben, dass die meisten großen neuen Erkenntnisse sich deswegen lange Zeit nicht
durchsetzen und dynamische Entwicklungsprozesse initiieren konnten, eben weil sie in ihrem
Umfeld auf grundlegendes Unverständnis, wenn nicht gar auf massiven Widerstand, stießen (vgl.
Kuhn 1976)? Resultieren gegenwärtig die großen neuen Erkenntnisse nicht im Wesentlichen aus der
Verknüpfung von solchen Wissensbereichen, die traditionellerweise als von einander unabhängig
betrachtet, gelehrt und beforscht wurden?
Daraus würde aber folgen, dass zukünftiges Tourismuspersonal, um mit innovativen Ideen besser
umgehen oder gar selbst leichter innovatives Denken hervorbringen zu können, in der Verknüpfung
von unterschiedlichen Disziplinen geschult werden müsste. Lässt sich aber ein solches Curriculum
entwickeln, das
1. für eine große Zahl von Studierenden und nicht für wenige Spezialisten attraktiv ist,
2. auch vom Arbeitsmarkt als Bereicherung empfunden und angenommen wird, und
3. die Förderung von innovativem Denken auch dauerhaft leisten kann?
Mit der Einrichtung des FH-Studienganges „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ in Bad
Gleichenberg durch die FH JOANNEUM wurde ein solches Experiment gewagt, indem die drei
Bereiche Tourismus, Gesundheit und Management miteinander verknüpft wurden. Gelang letztlich
den Curriculumsautoren, das scheinbare Paradox der Institutionalisierung von Innovation
aufzulösen, oder handelt es sich bei diesem Studiengang letztlich nur um einen bunten Haufen
willkürlich aneinander gereihter Disziplinen im Sinne von Lengkeeks und Platenkamps Konzept
von Tourismusforschung als Paradigmen-Kaleidoskop (vgl. Lengkeek / Platenkamp, 2006)?
2. Die FH JOANNEUM in der Steiermark
Die Entwicklung von Fachhochschul-Studiengängen in Österreich wurzelt in den frühen 1990er
Jahren und resultierte aus dem Bedürfnis, hoch qualifizierte, akademische Bildung praxisnäher zu
gestalten und zu vermitteln. Dieser Wunsch wurde vor allem seitens der Privatwirtschaft an die
Bildungspolitiker herangetragen. Darin spiegelte sich die durchwegs ambivalenten Erfahrungen von
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Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess?
Unternehmen mit theoretisch fundiert ausgebildeten Universitätsabsolvent / -innen wieder, denen es
häufig an praktischen Erfahrungen im Umgang mit ihrer abstrakt vermittelten Materie mangelte.
Ein noch größeres Problem war jedoch der unter Universitätsabsolventen verbreitete Mangel an
Kompetenzen, die für die Umsetzung von theoretischen Kenntnissen in die Praxis Voraussetzung
sind, wie etwa soziale und Fremdsprachenkompetenzen oder Kenntnisse in den Bereichen Projekt-,
Organisations- und Konfliktmanagement.
Im österreichischen Bundesland Steiermark wurde im Jahr 1995 mit der Gründung der FH
JOANNEUM in Graz der erste Schritt zum Aufbau einer Privatuniversität nach den Prinzipien des
FHStG (1993) gesetzt. Für die Organisationsstruktur wurde die Konstruktion einer
Kapitalgesellschaft gewählt, welche die Aufgabe der wirtschaftlichen Verwaltung,
wissenschaftlichen Koordination und strategischen Weiterentwicklung zu erfüllen hatte. Bei den
ersten vier genehmigten Studiengängen im Jahr 1995 (vgl. FH JOANNEUM 2006, S. 39) handelte
es sich überwiegend um solche mit technischer Ausrichtung. Diese Studienpolitik erschien vor dem
Hintergrund der wirtschaftlichen Struktur der zentralen Steiermark nahe liegend, zeichnete sich
diese Region doch durch die Ausbildung eines veritablen Autoclusters im Umfeld von
internationalen Entwicklungs- und Produktionsunternehmen wie AVL und MAGNA STEYR aus.
Mittlerweile sind unter der FH JOANNEUM über 30 Studiengänge mit rund 3.000 Studierenden
vereint, betreut von knapp 300 Vollzeit-Lehrenden sowie zahlreichen externen Lehrenden. Die
Studiengänge sind verteilt auf drei Standorte. Die Zentrale mit den meisten Studiengängen befindet
sich in der Landeshauptstadt Graz, ein technisch-elektronisch ausgerichteter Standort wurde im
alten Industriegebiet von Kapfenberg angesiedelt, und ein gesundheitlich-touristisch ausgerichteter
Standort wurde im Jahr 2001 in Bad Gleichenberg gegründet.
Eines der Grundprinzipien von Fachhochschul-Studiengängen liegt in ihrer optimalen
berufsfeldbezogenen Qualifikation auf wissenschaftlicher Basis. Das gegenwärtige Umfeld von
Hochschulen, die postmoderne Gesellschaft, ist als hochdynamisch und von weit reichendem
Wandel gekennzeichnet zu begreifen. Daraus folgt zwangsläufig, dass Studiengänge, wollen sie
dem genannten Fachhochschul-Prinzip entsprechen, einer ständigen Evaluierung hinsichtlich ihrer
Kompatibilität mit den gesellschaftlichen Anforderungen unterzogen werden müssen. Dies gilt
jedoch nicht nur für die Curricula von Studiengängen, sondern auch für Studiengänge an sich. Die
Fachhochschule als wissenschaftsbasierte Reflexion gesellschaftlicher und wirtschaftlicher
Bedürfnisse hat den Auftrag, auf die Wahrnehmung von gesellschaftlichen Veränderungen oder
neuen Bedürfnissen mit entsprechenden Angeboten zu reagieren. Dazu zählt insbesondere die
Identifikation bzw. Entwicklung neuer Berufsfelder sowie von darauf aufbauenden neuen
Studiengängen.
3. „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ – was ist das?
Ende der 1990er Jahre wurde im Umfeld der FH JOANNEUM das Bedürfnis nach hoch qualifiziert
ausgebildetem Personal in den Überschneidungsbereichen Gesundheit, Freizeit und Tourismus,
insbesondere Thermentourismus, sowie Management wahrgenommen. Diese Branchen wiesen
immer mehr Überlappungen und Gemeinsamkeiten auf, sodass schließlich als Antwort darauf das
Berufsfeld des „Gesundheitsmanagers im Tourismus“ gleichsam „erfunden“ wurde. Darauf
aufbauend wurde der Studiengang „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ entwickelt. Im
Folgenden werden die identifizierten „Megatrends“ in den genannten Bereichen und insbesondere
die erkannten Überschneidungen näher erläutert
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Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess?
3.1 Megatrend Tourismus und Freizeit
Die wachsende Bedeutung des Tourismus im internationalen Kontext beweisen die alljährlichen
Rekordmeldungen der UNWTO (2006). Mit 808 Million internationalen Ankünften bei einem
stetigen Wachstum von 5 % im Jahr 2005 gilt der internationale Tourismus mittlerweile als
Leitwirtschaft des 21. Jahrhunderts (vgl. Oberste-Lehn 2005). Dies gilt umso mehr für Österreich,
einem der Länder mit dem verhältnismäßig dichtesten Tourismusaufkommen der Welt. Im Jahr
2004 wurden hier durch direkte und indirekte Wertschöpfungseffekte des Tourismus rund 21 Mrd. €
erwirtschaftet, was knapp 9% der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung entspricht. Rechnet
man den Freizeitkonsum der Inländer am Wohnort hinzu, so beträgt der Gesamtanteil der
Tourismus- und Freizeitwirtschaft am österreichischen BIP rund 16,4 %. Diese überragende
ökonomische Bedeutung der Tourismus- und Freizeitwirtschaft spiegelt auch die
Beschäftigungssituation in Österreich wieder. So sind rund 270.000 Personen direkt oder indirekt
im Tourismus beschäftigt, weitere 480.000 Menschen in der Freizeitwirtschaft. Somit wird „etwa
jeder 5. Vollarbeitsplatz (...) durch die Tourismus- und Freizeitwirtschaft generiert.“ (Laimer /
Smeral 2005, S. 6)
Das Bild von der Bedeutung des Tourismus in der Steiermark ist sogar noch nuancierter. Hier
bewältigen rund 7.000 Beherbergungsbetriebe mit insgesamt knapp 105.000 Betten rund 10
Millionen Nächtigungen von 2,7 Mio. Gästen. Die Steiermark ist übrigens auch das beliebteste
Urlaubsland der Österreicher / -innen, wählen doch rund 20 % aller Österreicher, die für ihren
Urlaub im eigenen Land bleiben, die Steiermark als Ziel (vgl. Statistik Austria 2006, S. 410 ff.).
Eine herausragende Rolle spielt in der Steiermark der Thermen- und Bädertourismus. Hier gibt es
derzeit fünf Heil- und Erlebnisthermen, darunter die bekannte Hundertwasser-Therme in Blumau.
Deren wirtschaftliche Bedeutung zeigt sich daran, dass sich 28% aller Spa-Nächtigungen in
Österreich auf die Steiermark konzentrieren, bei einem jährlichen Umsatz von rund 50 Mio. Euro.
Bevölkerungsstatistische Rahmenbedingungen lassen davon ausgehen, dass die Nachfrage nach
Freizeit- und Tourismusprodukten weiter zunimmt. Überspitzt formuliert, leidet Europa zunehmend
an Veralterung. Während die Fertilitätsraten sinken, nimmt die Lebenserwartung der Menschen zu.
Dies bedeutet, dass immer mehr Menschen immer länger frei von Arbeitszeit sind und damit zum
Zielmarkt für entsprechende Freizeit- und Tourismusprodukte werden. Allerdings haben „60+“Kunden völlig andere Bedürfnisse als etwa junge Familien. Das wohl wichtigste Bedürfnis älterer
Menschen, das zugleich auch die Grundvoraussetzung für den Konsum von Freizeitangeboten
darstellt, ist Gesundheit. Denn nur bei entsprechender körperlicher Verfassung wird die
Lebensphase des Ruhestandes zum Genuss anstatt zur Plage.
3.2 Megatrend Gesundheit
Die steigende Lebenserwartung macht Gesundheit zu einem der wichtigsten Güter für Menschen.
Dies gilt jedoch nicht nur in Hinblick auf die Sicherung der Lebensqualität, sondern auch in
ökonomischer Hinsicht. Erfahrungsgemäß steigen die Ausgaben für Gesundheit mit zunehmendem
Alter an. Steigende Lebenserwartung bedeutet somit für die öffentliche Hand auch massiv steigende
Gesundheitskosten. Gesundheitsförderung ist somit die Voraussetzung sowohl für mehr
Lebensqualität im Alter als auch für eine substanzielle Entlastung der Krankenversicherungen.
Während alte Menschen gesund bleiben wollen, um ihren Lebensabend genießen zu können,
geraten jüngere Menschen zunehmend in die Situation gesund bleiben zu müssen. Am Arbeitsmarkt
werden die Anforderungen immer härter. Seltenere Krankenstände von Angestellten sind hier
weniger Ausdruck von gesünderen Menschen als vielmehr von Angst vor dem Arbeitsplatzverlust.
So befindet sich auch eine wachsende Zahl von Menschen in neuen, unternehmerähnlichen
Beschäftigungsformen, die im Krankheitsfall den Anspruch auf Einkommen verlieren.
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Gleichzeitig steigen auch die beruflich sowie gesellschaftlich bedingten Belastungen der Menschen.
Die beschleunigte Mobilisierung aller Lebensbereiche, die mit Phänomenen wie häufiger
Jobwechsel, Partnerwechsel, Patchwork-Familien und allgemeinen Wertewandel verbunden ist,
steigert die täglichen Anforderungen an die Menschen. Lebenslanges Lernen, Flexibilisierung,
Wissensmanagement, Zeitmanagement, Netzwerkbildung etc. sind nur einige Schlagwörter, welche
die Herausforderungen der neuen Arbeitswelt zum Ausdruck bringen. Die Folgen dieser
vielfältigen, überwiegend stressverknüpften Belastungen äußern sich in Krankheitsbildern wie
Burn-out, Depressionen und anderen mentalen Krankheiten. Illing (2006) diagnostiziert für die
Gesellschaft eine Entwicklung, wonach die Belastungen der Gesundheit im ganzheitlichen Sinne
zunehmend, während gleichzeitig die wirtschaftlichen und sozialen Kosten von Krankheit rapide
steigen.
Angesichts dieser Situation ist es nur scheinbar ein Paradox, dass der Lebensstil der postmodernen
Gesellschaft alles andere als gesund ist. So gelten heute 50 % der Deutschen als übergewichtig und
20 % als adipös (vgl. Huth 1996). Krankhaftes Übergewicht führt jedoch zu Erkrankungen wie
Diabetes mellitus und zu Schädigungen u. a. von Herz und Kreislaufsystem sowie des
Stützapparats. Dieser gesundheitsschädliche Lebensstil ist jedoch selbst lediglich eine Reaktion auf
die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen, die man im Sinne Ritzers (2003) als
„eisernen Käfig“ des Zwangs zur Rationalisierung verstehen kann. Weil Zeit für die arbeitende
Bevölkerung zum knappsten Gut wird, werden kompensierende Tätigkeiten wie Nahrungszunahme
und Genusskonsum in konzentrierter Weise vorgenommen, etwa in Form von Fastfood, bestehend
aus viel Fett und Zucker, oder in Form von immobilen Freizeittätigkeiten wie Fernsehen,
Videospielen oder Autofahren. Was der Körper aber als Ausgleich für berufsbedingte Belastungen
und Bewegungsarmut benötigen würde, wäre eine vitamin- und ballaststoffreiche, fett- und
zuckerarme Ernährung bei gleichzeitig mehr körperlicher Betätigung.
3.3 Megatrend Gesundheitstourismus
Mittlerweile macht sich innerhalb der westlichen Gesellschaft ein Wandel im Bewusstsein um die
Bedeutung der Gesundheit bemerkbar. Das zeigt sich deutlich an der wachsenden Nachfrage für
Nahrungsergänzungsprodukte, vor allem aber am Zauberwort „Wellness“. Vom Urlaub über das
Menü bis zu den Socken, das Prädikat „Wellness“ hat mittlerweile fast alle Lebensbereiche erobert.
Für Deutschland wurden die Umsätze für Wohlfühlprodukte und Dienstleistungen im Jahr 2003 auf
ca. 44 Mrd. Euro geschätzt (Romeiß-Stracke 2002, S. 6 f.).
Darin kommt das Bedürfnis des postmodernen Menschen zum Ausdruck, wahrgenommene Defizite
wiederum durch Konsum, wenn auch durch vermeintlich „besseren“, zu kompensieren. Dass
Gesundheitserhalt jedoch in erster Linie Resultat eines gesundheitsförderlichen Lebensstils ist, dass
somit Gesundheit im ganzheitlichen Sinn der WHO-Definition von Ottawa (vgl. WHO 1992) als
Ausdruck von Selbstverantwortung und nicht etwa von staatlicher Leistung oder göttlicher Segnung
begriffen werden muss, dies ist für viele Menschen eine schmerzliche und darum konsequent
verdrängte Erkenntnis. Daraus folgt aber auch, dass Gesundheitsförderung, will sie erfolgreich
angenommen werden, dem Zielpublikum als Lustgewinn vermittelt werden muss. Darum bietet sich
der Freizeit- und Tourismusmarkt als zentrales Feld der Gesundheitsförderung an, denn hier sind
Menschen leichter bereit sich die Zeit zu nehmen, um sich und ihrem Körper über den Umweg von
besonderen Erlebnissen Gutes zu tun. Hier existieren bereits eine sehr große Zielgruppe von
Personen, die bereits spürbar gesundheitsfördernde Dienstleitungen nachfragt, und eine weitere
wachsende Zielgruppe von Personen, die bei entsprechender Angebotserstellung und
gesundheitsfördernder Begleitung zusätzliche Nachfrage artikulieren könnte.
In der Steiermark erweist sich der Gesundheitstourismus seit bald fünfzehn Jahren als der
wichtigste Wachstumsmark. Während etwa in den Jahren 1993-94 die gesundheitstouristisch
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orientierten 14 Kur- und Heilorte des Bundeslandes ihre Übernachtungen um 7 % ausbauen
konnten, hatten die restlichen Gemeinden im selben Zeitraum einen Rückgang von Nächtigungen
im Ausmaß von 1,6 % zu verzeichnen (Industriewissenschaftliches Institut 1995). Aufgrund der
spezifischen, vernetzten Struktur des Gesundheitstourismus ist er zudem hervorragend geeignet,
über das bloße branchenspezifische Wachstum hinaus auch regionale Wachstums- und
Entwicklungsprozesse zu fördern. Gesundheitstourismus verbindet Elemente der Erholung mit
Fitness, Ernährung mit Genuss, Körperpflege mit Entspannung und Erlebnis, aber auch
Unterhaltung mit Elementen wie Lern- und Erkenntnisprozessen und mentaler Stärkung. So fließen
in entsprechenden Produkten die Kompetenzen der Anbieter verschiedener Massage- und
Entspannungstechniken über Fitnesstrainer bis zu Biobauern und Forstwirten zusammen.
Ein wesentlicher Wachstumsmarkt für Gesundheitstourismus wird auch dort liegen, wo
entsprechende Angebote als Ergänzung zu klassischen Tourismusprodukten verfügbar sind. Dabei
ist etwa an Wellness-Angebote in Verbindung mit Kultur-, Kunst-, Natur- und
Gastronomieangeboten, mit Kreuzfahrten und Schiurlauben zu denken. Der wachsende Druck auf
die Zeitbudgets der Kunden wird wohl auch den Trend zu mehr Kurzurlauben verstärken. Und diese
werden dann genutzt werden, um die „eigenen Akkus wieder aufzuladen“.
Die Herausforderung im Gesundheitstourismus liegt nun darin, qualitativ hochwertige Produkte zu
entwickeln, die zum einen dem üblichen Standard und Komfort von klassischen
Tourismusprodukten entsprechen, zum anderen aber der Gesundheit zuträglich und sogar förderlich
sind. Diesen völlig neuen Herausforderungen für Freizeit- und Tourismusunternehmen konnten
diese bislang, nicht zuletzt mangels verfügbarer Qualifikationen, jedoch nicht ausreichend
entsprechen.
Der Grund dafür liegt in erster Linie in fehlenden Ausbildungsinstitutionen, die Kompetenzen
sowohl aus den Bereichen Tourismus, Gesundheit und Gesundheitsförderung sowie auch
Management in integrierter Form vermitteln.
4. Ausbildung zum Gesundheitstouristiker: nur in Bad Gleichenberg!
Welche Mindestfertigkeiten benötigt nun ein Gesundheitstouristiker, und wo kann er diese
erlernen?
Wer den Erholungsbedürfnissen seiner Kunden gerecht werden, gleichzeitig mit seinem Produkt
deren Gesundheit fördern und schließlich auch entsprechend verdienen will, muss Fähigkeiten wie
Freizeit- und Tourismusproduktgestaltung, Gesundheitsförderung, Animation, Kommunikation,
Public Relations und Marketing, und nicht zuletzt Management, Betriebswirtschaftslehre,
Qualitätssicherung und vieles mehr beherrschen. Dabei geht es in erster Linie darum, Bedürfnisse
und Entwicklungsmöglichkeiten an den Schnittstellen zwischen dem Gesundheits- und
Freizeitwesen zu erkennen, gesundheitsfördernde und gesundheitsberatende
Dienstleistungsangebote zu entwickeln und organisieren, dabei jedoch wissenschaftliche
Grundlagen, praktische Erfahrungen und internationale Entwicklungen zu berücksichtigen. Die
darauf aufbauenden touristischen Angebote sollen den Bedürfnissen an eine postmoderne
Freizeitnutzung entsprechen und zugleich dem Aspekt der Gesunderhaltung und
Gesundheitsförderung gerecht werden. Wer freilich derart komplexen Anforderungen entsprechen
will, bedarf auch hinreichender Fähigkeiten im selbstverantwortlichen Management, gilt es doch,
verschiedene Anbieter von Teilleistungen zu koordinieren, umzusetzen und als Gesamtpaket zu
vermarkten, die Aufrechterhaltung der Produktqualität zu gewährleisten und letztlich auch
permanent weiter zu entwickeln.
Der erste Blick auf derartige Anforderungen könnte den Eindruck vermitteln, ein solcher
„Gesundheitsmanager im Tourismus“ sei eine „Eier legende Wollmilchsau“, gleichsam ein
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postmodernes Pendant zum Universalgelehrten der Aufklärung im Stile Immanuel Kants, jedoch
zusätzlich versehen mit dem nötigen praktischen und sozialen Know-how. Der Eindruck kommt
nicht von ungefähr, entspricht doch der Kerngedanke hinter diesem scheinbar visionären
Ausbildungskonzept dem postmodernen Selbstverständnis von wissenschaftlicher
Berufsfeldorientierung im Gegensatz zu wissenschaftlicher Disziplinorientierung. In diesem Sinn
sollen profunde Basiskenntnisse in den wichtigsten Grundlagenwissenschaften und –methoden
sowie Einblicke in verknüpfte Disziplinen jene (Selbst-)Sicherheit vermitteln, die Voraussetzung
für Offenheit und Neugierde gegenüber neuen Entwicklungen, Methoden und Disziplinen im
Bereich der Tourismus- und Gesundheitswissenschaften sind. Erfolgreich ist dieses
Ausbildungskonzept dann, wenn es die Bereitschaft und Befähigung zur Auseinandersetzung mit
bzw. zur Integration von Neuem zu freizeitmarktfähigen, gesundheitsfördernden Produkten fördert.
Denn in einer postmodernen, interkulturellen, wissensbasierten Gesellschaft kommt es weniger
darauf an, möglichst viele „Sprachen“ möglichst gut zu sprechen, als vielmehr sich möglichst rasch
in einer sich ständig ändernden Sprachwelt zurecht zu finden und zu reagieren.
Für einen Manager, auf welcher Ebene auch immer, bedeutet dies die Fähigkeit, die individuellen
Bedürfnisse von Kunden in Hinblick auf ihr Wohlbefinden und ihre Stärkung zu erspüren, ein
entsprechendes Gesamtprodukt zu entwickeln und zu inszenieren, und schließlich die jeweils
passenden, qualifizierten Personen für die entsprechenden Teilbereiche des Gesamtprodukts zu
engagieren und zu koordinieren. Im Fall des Gesundheitstourismus ist dies ohne grundlegende
Kenntnisse der jeweiligen Teilmaterien, Gesundheit und Tourismus, unmöglich, ohne Gefahr zu
laufen, dilettantische, wirtschaftlich erfolglose oder gar gesundheitsgefährdende Produkte
anzubieten.
Wo aber hätte man sich gegen Ende der 1990er Jahre diese Kompetenzen aneignen können?
Damals gab es Europaweit keine einzige Ausbildungsinstitution, die den oben genannten
interdisziplinären Anforderungen gerecht werden konnte. Vielmehr teilte sich das weite Feld der
berufsbildenden, höheren und Hochschulen in jenes der Gesundheits- bzw. gesundheitsfördernden
Ausbildungsstätten, die jedoch keinerlei signifikante Elemente der Freizeit- und
Tourismuswirtschaft aufweisen konnten, und jenes der freizeit- und tourismusorientierten
Ausbildungsstätten, die gesundheitstouristisch relevante Teilaspekte wie „Lifestyle“ bestenfalls am
Rande behandelten. In die Tiefe gingen zwar „Wellness-Trainer“-Akademien wie jene in
Niederösterreich, doch wurden dort überwiegend praktische Fertigkeiten ohne wissenschaftliche
Fundierung vermittelt. Darüber hinaus gab es auch einige wenige Studienangebote zum
Themenbereich Spa-Management wie jenes im Deutschen Baden-Baden, wo seit dem Jahr 2001 die
European Spa Academy e.V. die Ausbildungen zum Spa Managern und Spa Practitioner anbietet.
Gesundheitstourismus als ein innovatives, interdisziplinäres Feld und als boomender Zukunftsmarkt
wurde von Hochschulen erst in den Folgejahren entdeckt. So bietet seit dem Jahr 2006 die
Fachhochschule Coburg den Studiengang „Integrierende Gesundheitsförderung“ an. Dessen
Curriculum lehnt sich weitestgehend an jenes des Pionier-Studienganges in Bad Gleichenberg an
(vgl. Fachhochschule Coburg 2006; FH JOANNEUM 2001).
Pionierprojekte haben notwendigerweise Kinderkrankheiten, die erst mit der Bewährung von
Studierenden in der Praxis kuriert werden können. Zudem verändert sich seit der „Erfindung“ eines
Studiengangs auch das gesellschaftliche Umfeld. Dies führt zwangsläufig dazu, dass ein innovativer
Studiengang, will er dies auch bleiben, „reifen“ und sich auch weiterentwickeln muss.
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5. Die Evolution des Studienganges in Bad Gleichenberg
Die Verknüpfung von scheinbar so unterschiedlichen Disziplinen wie Tourismus und Gesundheit
birgt ein gewisses Konfliktpotenzial, wie es aus der Geschichte der zaghaften Versuche zu
interdisziplinärer Forschung bestens bekannt ist (vgl. Kocka 1987). Damit war aber auch von
Beginn an klar, dass ein solcher Studiengang als Entwicklungsprozess begriffen werden müsse. Die
Vertreter der diversen Disziplinen, die am Studiengang unterrichten, mussten in einem diskursiven
Prozess erst langsam „zusammen wachsen“, ihre jeweiligen Erfahrungen, Expertisen und
Perspektiven einbringen, vor allem aber auch voneinander lernen, um letztlich eine gemeinsame
„Sprache“ im kulturalistischen Sinne (vgl. Rähme 1998) zu entwickeln. Nachdem aber derartige
Erfahrungen bis zur Akkreditierung des Studiengangs im Jahr 2001 nicht vorlagen, wurde dessen
Umsetzung in Bad Gleichenberg zu einem – letztlich erfolgreichen – Experiment für eine
innovative Tourismusausbildung.
5.1 Der Start im Jahr 2001 in Bad Gleichenberg
Das Diplom-Studienprogramm „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ wurde anfänglich nur mit
45 Studienplätzen ausgeschrieben, für die sich auf Anhieb knapp 400 Bewerber / -innen meldeten.
Der Studienplan, wie er in seinen wesentlichen Strukturen heute noch gilt, baute auf der Integration
der fünf Elemente Gesundheit (mit Gesundheitsförderung, Gesundheitsmanagement und
Gesundheitssport), Tourismus und Freizeitwissenschaften (mit Freizeit- und Eventmanagement),
Gesundheitstourismus (mit Kurbäder- und Wellnessressort-Management), Studium generale (mit
soziologischen, betriebswirtschaftlichen und ethischen Inhalte) und Praxiselemente (mit
berufsspezifischen Fremdsprachen, Sozial- und Kommunikationskompetenz und Praktika) auf.
Dabei vermittelte das Basisstudium von vier Semestern die Grundlagen in den diversen Disziplinen.
Wahlfächerbündel im zweiten Studienabschnitt ermöglichten eine individuelle Schwerpunktsetzung
in Richtung gesundheitsfördernder und -beratender Kompetenzen in Verbindung mit touristischen
Managementqualifikationen einerseits und dem Management im Tourismus– und Freizeitbereich in
Verbindung mit gesundheitsfördernden Elementen andererseits.
Wesentliche strukturelle Elemente schon dieses ersten Studienplans waren die Verbindung von
fachlichen Inhalten mit ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Fächern, insbesondere mit der
Managementlehre, sowie mit kommunikativen und persönlichkeitsbildenden Aspekten. Dazu zählte
eine durchgehende Sprachausbildung in Englisch, die insbesondere auf die Fertigkeiten in den
Fachsprachen im Umgang mit wissenschaftlicher Literatur, vor allem aber auf Kompetenz in
Diskussions- und Verhandlungstechnik in der Fremdsprache ausgerichtet war. Großer Wert wurde
auch auf die Entwicklung der Fähigkeit der Studierenden gelegt, in globalen wie auch spezifischen
Kontexten zu denken. Den Praxisbezug sollten zwei verpflichtende Berufspraktika, die im 3. und 7.
Semester stattfanden, sowie Exkursionen und Projektarbeiten, sichern.
Die ersten Tage dieses neuen, viel versprechenden Studiums führten unter den 45 zugelassenen
Studierenden zu einem Schock: Entgegen den Empfehlungen des FH-Rates, dem
Akkreditierungsorgan in Wien, hatte die steiermärkische Landesregierung beschlossen, Bad
Gleichenberg als neuen Standort der FH JOANNEUM zu entwickeln. Dieser kleine 2000-SeelenOrt 70 km südwestlich von Graz konnte zwar auf eine große Tradition als Heiltherme
zurückblicken, deren Beliebtheit einstmals unter österreichischem und russischem Hochadel
verbreitet war. Mittlerweile beruhte aber der Ruf des Ortes nur noch auf den hiesigen
Tourismusschulen, während die Therme wie auch der Ortskern zunehmend in einem Schlummer
versank.
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Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess?
Aus regionalpolitischer Sicht erwies sich diese Standortentscheidung als visionär. Die Studierenden
hingegen wurden mit einem Studienort konfrontiert, der von Graz aus mit öffentlichen
Verkehrsmitteln im günstigsten Fall binnen zwei Stunden erreichbar ist und in dem es keinerlei
studentische Infrastruktur, weder entsprechende Unterkünfte noch ein Hochschulgebäude, gab. Dies
führt anfangs dazu, dass sich nur wenige kompetente Lehrende zur Übernahme von
Lehrverpflichtungen an diesem „morbiden Ende Österreichs“ bereit erklärten. Die Revanche des
überstimmten FH-Rats für dieses Experiment war die Ankündigung einer Evaluierung binnen
zweier Jahre sowie die vorläufige Genehmigung des Studiengangs für lediglich zwei Jahrgänge.
Tatsächlich drohte das Experiment anfangs zu kippen. Die Studierenden hatten angesichts ihrer
Unterbringung in Containern mit offenem Aufstand gedroht. Eine Entspannung zeichnete sich erst
mit der Übernahme der Studiengangsleitung durch die Weltraummedizinerin, Dr. Eva AdamerKönig, ab. Ihr gelang es mit einer Mischung aus Verständnis, Charme, Überredungskunst und
vorbildlichem Engagement, die Studierenden zu einem gemeinsamen Vorgehen insbesondere auch
mit dem engagierten Team der Lehrenden zu bewegen. Erstaunlicherweise bewarben sich trotz
dieser anfangs so schwierigen Studienbedingungen im zweiten Jahr sogar knapp 500 Bewerber.
5.2 Die erste Studienreform im Jahr 2003
Der vereinte Kampf von Studiengangsleitung und Studentenvertretung für bessere
Studienbedingungen mündete u. a. in den Bau eines neuen Campus, der im Herbst 2003 eröffnet
wurde. Mittlerweile konnte der Studiengang drei hauptberuflich und 22 nebenberuflich Lehrende
aufweisen, weitere Professuren für Public Health, Betriebswirtschaftslehre sowie für
Freizeitwissenschaften wurden ausgeschrieben. Der Auf- und Ausbau internationaler Aktivitäten
und Kooperationen wurde durch die Aufnahme von Prof. James Miller aus dem US-Bundesstaat
New York gesichert.
Die äußerst positiv ausgefallene Evaluierung des Studienganges durch den FH-Rat sowie der
anstehende Antrag auf die Verlängerung des Studienganges eröffnete nunmehr die erste
Möglichkeit, bisherige Erfahrungen mit der Lehre und den ersten Praktika für die Verbesserung des
Curriculums zu nutzen. Im Wesentlichen wurden störende Doppelgleisigkeiten bei
Lehrveranstaltungen entschärft, was etwa zur Reduktion der anfänglichen Soziologielastigkeit des
Studiengangs führte. Dafür wurde das Lehrangebot im Bereich Event-Know-how,
Projektmanagement, Destinationsmanagement, Qualitätsmanagement und Social Skills erweitert
und vertieft, um nur einige zu nennen. Auf Anregung von Praktikumsbetrieben als auch von
Studierenden wurde das Berufsorientierungspraktikum vom 3. Semester in das 4. Semester verlegt
und von 450 auf 240 Stunden verkürzt. Dadurch konnten die Studierenden mit einem vertieften
Wissensstand in ihr Praktikum gehen, sich auf diese Weise besser in den Betrieben einbringen und
zudem freiwillig bis zum Ende der Sommerferien Erfahrungen sammeln. Als weitere Maßnahme
wurde in Reaktion auf den großen Andrang durch Studiengangsbewerber dieser auf 75 Plätze
aufgestockt.
5.3 Die Umstellung auf Bachelor und Master im Jahr 2005
Die Entscheidung der FH JOANNEUM, dem Auftrag der Bologna-Erklärung möglichst rasch
nachzukommen und eingliedrige Diplom-Studiengänge zu zweigliedrigen Bachelor- und
Masterstudiengängen weiterzuentwickeln, eröffnete in den Jahren bis 2005 neuerlich die Chance zu
einer Revision und Anpassung des Studiengangskonzepts. Dazu konnten mittlerweile die
Erfahrungen aus zahlreichen Praktika und den ersten Diplomarbeiten verwertet werden, was
Antworten auf die Frage lieferte, was denn eigentlich ein / -e „Gesundheitsmanager / -in im
Tourismus“ tatsächlich mache und wo er /sie tätig sei.
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Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess?
5.3.1 Wie und wo sind „Gesundheitsmanager / -innen im Tourismus“ tätig?
Die Frage nach dem faktischen Tätigkeitsfeld der Studierenden und Absolventen ergab ein
verblüffendes Ergebnis hinsichtlich der enormen Einsatzbreite. Grob vereinfacht ließen sich dabei
folgende Tätigkeitsbereiche herauskristallisieren:
- Tourismus mit den Bereichen Rezeption, mittleres Management, Regionalentwicklung
- Eventorganisation, Animation, Marketing und PR
- Spa-, Wellness- und Trainingskonzept-, programmentwicklung sowie –durchführung
- Gesundheitsprogrammentwicklung und -durchführung, betriebliche Gesundheitsförderung
- Sozialdienste, Qualitätsmanagement
- Markt- und Produktforschung, Gesundheitsforschung, Produktentwicklung
In abstrahierter Form ließe sich dieses breite Tätigkeitsprofil der damaligen Praktikanten mit den
Funktionen des Planens und Entwickelns, des Umsetzens und des Vermittelns auf den Punkt
bringen, also letztlich die gesamte Spanne des weiten Marktes des Tourismus, der Gesundheit und
seiner Überschneidungsgebiete. Diesen Eindruck bestätigen auch die unterschiedlichen, breit
gestreuten Kategorien von Unternehmen und Organisationen, in denen „Gesundheitsmanager / innen im Tourismus“ tätig waren, nämlich
- private und öffentliche Forschungsinstitute, Hochschulen und politische Büros,
- Thermen und Kurbäder, Fitnesszentren, Abenteuercamps...
- Eventbüros, Hotels, Ressorts, Freizeitparks, Naturparks …
- PR- und Regionalentwicklungsagenturen, Tourismusverbände, Non-Profit-Organisationen…
- Krankenhäuser, Pflege- und Sozialinstitutionen, Gesundheitsagenturen...
- große Privatunternehmen wie Hilti, VOEST, OMV…
Die hohe Zufriedenheit der Studierenden mit ihren Erfolgen in den Praktika und insofern mit dem
vom Studiengang vermittelten Handwerkszeug indizierte, dass sich der Studiengang am richtigen
Weg befand. Dies bestätigte auch das äußerst positive Feedback der mittlerweile über 300
Praktikums-Kooperationsunternehmen, die zur überwiegenden Zahl explizit die Kooperation mit
den Diplomanden des Studienganges wünschten, und von denen rund 50 % sogar konkrete Jobs für
zukünftige Absolventen in Aussicht stellten. All dies ermutigte dazu, das Curriculum auch für
zukünftige Absolventen „nachhaltig innovativ“ zu gestalten. Dazu wurden im Wesentlichen zwei
Strategien, jene der engeren Verschränkung von Praxis und Forschung und jene zur verstärkten
Anwendung von Transdisziplinarität, verfolgt.
5.3.2 Verstärkte Verschränkung von Praxis und Forschung
Die äußerst positiven Erfahrungen mit den Praktika ließen es als fahrlässig erscheinen, von diesem
didaktisch wertvollen Instrument abzugehen. Aus Wien wurde jedoch seitens des FH-Rats
signalisiert, ein Praktikumssemester werde als mit einem wissenschaftlichen Masterstudium
unvereinbar und somit als teure Zeitvergeudung betrachtet. Zur Entkräftung dieses Einwands wurde
daraufhin das Konzept einer „integrierten Forschung in der Praxis“ entwickelt, das zwar nach dem
Prinzip eines Praktikum in einem Betrieb zu absolvieren ist, dabei aber zwingend an ein
Forschungsprojekt gekoppelt sein muss. Da im dritten Master-Semester gelegen, konnte dieses
Projekt jedoch direkt mit der nachfolgenden Diplomarbeit verknüpft werden, etwa in Gestalt einer
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Friedl 2007, FH-Studium „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ als Innovationsprozess?
empirischen Forschung für den Praktikumsbetrieb. Auf diese Weise können zukünftige MasterStudierende auch weiterhin über ein Praktikum ihre Chancen auf einen Arbeitsplatz als Absolvent
steigern, werden aber zusätzlich zu ihrem „Glück gezwungen“, ihr kritisches und forschendes
Potenzial im Betrieb einzubringen, um dieses im günstigsten Fall als Diplomarbeit zu verwerten.
Von dieser Strategie wird zum einen die verstärkte Praxisorientierung der Diplomarbeiten erwartet,
aber auch eine Steigerung des Anteils jener Arbeiten, die von Betrieben unter Bezahlung in Auftrag
gegeben werden.
Den Erfolg dieses Konzepts muss erst die Zukunft erweisen. Bildungspolitisch interessant ist
allerdings, dass der FH-Rat seit dem Jahr 2006 schlichte Praktikumssemester für
Masterstudiengänge wieder zulässt. Ob diese Rückkehr zur „Schlichtheit“ zukunftsweisend ist,
müssen nachfolgende Studiengänge für sich in Erfahrung bringen.
5.3.3 Gelebte Inter- bzw. Transdisziplinarität
Will man als Lehrender wissen, was ein / -e „Gesundheitsmanager / -in im Tourismus“ sei, so sollte
man genau genommen das gesamte Studium auch selbst durchlaufen. Auf diese Weise käme man
wohl am einfachsten in den Genuss, die unterschiedlichsten Disziplinen von den mittlerweile
zahlreichen Lehrenden vermittelt zu bekommen, die selbst vielfältiger nicht sein könnten.
Rekrutiert sich doch das Lehr- und Forschungspersonal aus so erstaunlichen und insofern
befruchtenden Bereichen wie Weltraummedizin, Journalismus, Projektmanagement, kybernetische
Ethik, Systemwissenschaften, Wirtschaftspädagogik, Trainingswissenschaften und vieles mehr.
Doch auch die Vielfalt der kulturellen Hintergründe, welche die Lehrenden aus Österreich,
Deutschland, Ungarn, Afrika, den USA und anderen Ländern mitbringen, ist erstaunlich und
letztlich für diesen Studiengang auch bezeichnend.
Die große, jedoch äußerst fruchtbare Herausforderung für dieses heterogene Team besteht nun
darin, Gemeinsamkeiten zu entdecken und weiterzuentwickeln, etwa zu gemeinsamen Forschungsund Entwicklungsprojekten und über diese gemeinsame Praxis zu einer gemeinsamen „Sprache“,
verknüpft mit einem gemeinsamen Selbstverständnis. In diesem Kontext stellt sich für das
Mitarbeiter-Team die zentrale Frage, was denn „Gesundheitstourismus-Wissenschaft“ sein könne,
welche wichtigen Fragen in dieser transdisziplinären Disziplin zu stellen seien, und mit welchen
neuen Methoden diese am besten beforscht werden können. Vor dem Hintergrund des holistischen
Gesundheitsbegriffs der WHO bzw. des Balance-orientierten Wellness-Begriffs des National
Wellness Institute mit seinen sechs Dimensionen Soziales, Beruf, Spiritualität, Physis, Intellekt und
Gefühl (vgl. Hettler zit. in Miller 2005, 98 f.) ist die Vermutung gerechtfertigt, dass über die
Integration von touristischen und Gesundheitskonzepten mit den Instrumenten von Psychologie,
Pädagogik und moderner Systemtheorie der Weg zu einem neuen Verständnis des postmodernen
Menschen als Gestalter von zukunftsfähiger Wirklichkeit beschritten werden könnte.
Diese Überlegungen flossen in das reformierte Curriculum in Gestalt einiger neuer Fächer ein:
- „Sustainable Tourismdevelopment“ im Sinne eines Changemanagements komplexer Systeme
- „Ethik im Tourismus“, verstanden als prozessorientiertes Konfliktmanagement im Kontext
heterogener Sprachen und Werte
- „Rural Tourism Development“ und „Ökotourismus“ (vgl. FH JOANNEUM 2005)als theoretisch
fundierte Reflexion schon bisher praktizierter Regionalentwicklungsprojekte zur Förderung einer
„Gesunden Region“.
Am Beispiel dieser neuen Fächer, besonders aber anhand ihrer systemischen Konzeption, lässt sich
bereits erahnen, wohin die Entwicklung dieses Studienganges gehen dürfte. Auf den Punkt bringen
lässt sich dessen Selbstverständnis mit dem Leitsatz „Wir leben, was wir lernen und lehren!“,
nämlich das Bemühen, Gesundheit, menschliche Bedürfnisse, Sehnsüchte und Fähigkeiten, aber
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auch Grenzen und der Respekt vor eben diesen in Wissenschaft, Forschung und Lehre, aber auch in
die Organisationsprozesse des Studiengangs selbst, einfließen zu lassen.
6. Schlussfolgerungen
Eine Geistesgröße wie Immanuel Kant mag zwar Universalgelehrter gewesen sein, letztlich kannte
er die soziale Welt und deren Dynamik kaum, hatte er doch Königsberg zeitlebens nie verlassen.
Sein Ziel war aber auch „nur“ die Erkenntnis der Grenzen des Denkens.
Gesundheitsmanager / -innen im Tourismus hingegen sind wagemutiger und zugleich bescheidener:
Sie sind wagemutiger, müssen sie doch über Kants Beschränkung weit hinausgehen, denn sie
suchen nach der Erkenntnis, wie Grenzen von Verhaltensspielräumen überwindbar gemacht werden
können, um individuelle und gemeinschaftliche Lebensqualität zu verbessern. Sie sind aber auch
bescheidener als Kant, denn für ihr Ziel bedarf es keiner paradigmatischen Erkenntnisse, als
vielmehr permanenter Lern- und Anpassungsprozesse an neue gesellschaftliche Entwicklungen. Mit
dem Studiengang „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ scheint es gelungen zu sein, unter den
Studierenden die Bereitschaft für die Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Disziplinen zu
stimulieren, dadurch die permanente Neugierde für die Umwelt zu fördern und so die Sensibilität
für Veränderungen zu steigern. Dies garantiert keine Geistesblitze, steigert aber die Chance dazu
enorm.
Ist also das Experiment dieses Studienganges gelungen? Zumindest lässt sich festhalten, dass sich
pro Studienplatz bis zu zehn Kandidaten / -innen bewerben, und dass die Absolventen bislang über
Arbeitslosigkeit nicht klagen können. Ob die Innovativität des Studienganges auch in Zukunft
erhalten bleibt, ist erst zu beweisen. Dass dieses Curriculumsexperiment zumindest gegenwärtig als
vorbildlich betrachtet wird, beweisen die ersten nachfolgenden „Copy-and-Paste“-Studienangebote
im Ausland...
MMag. Dr. Harald A. Friedl lehrt seit dem Jahr 2003 am Studiengang in Bad Gleichenberg und
war seit 2004 Mitglied des Curriculum-Entwicklungsteams.
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