Fernsehen & Angstbewältigung, Peter Vitouch

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Fachhochschule St. Pölten -Studiengang Medienmanagement
ILV-Medienpädagogik - Sommersemester 2001/02
Vortragende: Dr. Astrid Wiesenöcker
Fernsehen und Angstbewältigung
– Zur Typologie des Zuschauerverhaltens
Peter Vitouch
Westdeutscher Verlag, 2. Auflage 2000
Christoph Ramler mm011064
Günter Schmatzberger mm011067
Der Autor
Peter Vitouch wurde im Mai 1947 geboren. 1967 begann er mit dem Studium
der Psychologie an der Universität Wien. 1973 feierte er seine Promotion und
übernahm eine Assistentenstelle am Institut für Psychologie. Er absolvierte
eine Ausbildung zum Psychotherapeuten.
Von 1975 bis 1980 war er Konsulent des ORF für den Bereich
Kinderfernsehen (Sendung Am,Dam,Des), ab 1980 übernahm er auch eine
beraterísche Tätigkeit für den NDR (Serien Sesamstraße, Hallo Spencer) und
Children´s Television Workshop (CTW).
Er war Galionsfigur beim Aufbau des Fachbereichs Medienpsychologie.
Habilitation für das Gesamtfach Psychologie an der Universität Wien. Ein Jahr danach Berufung zum Ao. Univ.-Prof. für Psychologie an das Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Seit 1991 leitet er zusätzlich das Ludwig Boltzmann-Institut für Empirische Medienforschung (LIFEM).
Er ist Autor zahlreicher Publikationen, z.B. Fernsehen und Angstbewältigung (1993) oder
Psychophysiological Methods in Media Research. In: New Horizons in Media Psychology
(1997); IN MEDIAS RES - Gedanken hinter einer Kolumne (1998).
Seit 1989 ist er Herausgeber der wissenschaftlichen Fachzeitschrift "Medienpsychologie".
Die Vorbemerkung
Das Buch "Fernsehen und Angstbewältigung" versucht auf der Basis empirischer Untersuchungen die Frage zu beantworten, wer warum welche Programme konsumiert. Und es will
beispielhaft zeigen, wie auf der Basis eines theoriengestützten Ansatzes empirische Untersuchungen im Bereich der Medienpsychologie konzipiert werden können.
In der folgenden Zusammenfassung geht es uns primär darum, die Leitgedanken, Ergebnisse
und Schlussfolgerungen zu dokumentieren, die von diversen Wissenschaftern aus der Psychologie, Soziologie und Medienforschung gezogen wurden. Auf Versuchsanordnungen und
Details gehen wir nicht näher ein. Außerdem nennen wir nur die für den Gesamtverstand
wichtigsten Namen von Forschern und bedeutende Jahreszahlen.
Die Beschaffung
Im Buchhandel: z.B. bei www.amazon.at zum Preis von € 24,90 als Paperback (Stand: Mai
2002).
In Bibliotheken:
Universitätsbibliothek Wien: 1 Exemplar in der Hauptbibliothek, Entlehndauer1 Monat.
20 Exemplare in der Lehrbuchsammlung, Entlehndauer 3
Monate (nur zugänglich für Studenten der Universität Wien!)
5 Exemplare in der Bibliothek des Publizistik-Instituts, Präsenzbibliothek, Ausleihe über Wochenende möglich.
Das Buch
Abschnitt 1
Vielsehen als Symptom
Im Verlauf dieses Abschnittes trägt Peter Vitouch die Theorien, Erkenntnisse und Ergebnisse
der Medienwirkungsforschung, der Forschung zum Kontrollüberzeugungskonzept und Konzept der "gelernten Hilflosigkeit" zusammen und lässt gleichzeitig immer wieder Kritik und
eigene Gedanken zu den Theorien anderer Autoren einfließen.
Die Kultivierungshypothese
Als Einstieg in die Thematik diskutiert Vitouch die Geschichte der Vielseherforschung und
widmet sich ausführlich George Gerbners Kultivierungshypothese.
In den späten 40er Jahren wurde polemisch festgestellt, dass es nun erwiesen sei, dass "some
kinds of communications on some kinds of issues, brought to the attention of some kinds of
people, under some kinds of conditions, have some kinds of effect..."1. Nach dieser Aussage
hat sich das Bewusstsein gegenüber den Massenmedien – vor allem gegenüber dem TV –
verändert. Das Problem, in dem die Medienwirkungsforschung stecken blieb (z.B. TV und
Gewalt), war und ist immer noch, dass es schwer fällt, sinnvolle soziologische, langfristige
Wirkungen der Medien zu ergründen. Ergebnisse erhielt man vorwiegend auf der psychologischen und kurzfristigen Wirkungsebene.
Gerbner, der sich intensiv mit dem Thema Gewalt im TV auseinander setzte, stellte im Zuge
seiner Forschungstätigkeit seine Kultivierungshypothese auf. Diese rechnet dem TV einen
dominierenden Sozialisationsfaktor zu und besagt, dass "bei Personen, die viel fernsehen, eine
Verzerrung der Vorstellung von der gesellschaftlichen Realität eintritt – und zwar in Richtung
auf die dargestellte "Fernsehwelt"."2 Außerdem definierte er zwei Kennzahlen, den "Gewaltindex" und die "Risikoquote". Ersterer gibt Aufschluss über die Häufigkeit von Gewalt im
Fernsehen und letzterer trifft Aussagen darüber, in welchem Ausmaß unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen eher als Täter oder als Opfer von Gewalttaten im TV dargestellt werden.
Diese Kultivierungshypothese überprüfte er empirisch, indem er Vielseher (täglich mehr als
vier Stunden TV) mit Wenigsehern (täglich weniger als zwei Stunden TV) verglich. Er untersuchte, inwieweit diese auf Fragen über die "reale Welt" "Fernsehantworten" geben. Widerspruch zu dieser These erhält Gerbner von Winterhoff-Spurk, der empirisch fundiert feststellt,
dass Vielseher sehr wohl zwischen Fernseh- und Alltagsrealität unterscheiden können.
Weiteres Forschungsergebnis Gerbners war, dass Vielseher signifikant ängstlicher sind; dies
ergibt sich für ihn logisch aus dem hohen "Gewaltkonsum" im TV. Diese Kausalität, die
Gerbner festgestellt hat, nämlich dass erhöhter TV-Konsum Angst und Ähnliches bewirken,
steht im Widerspruch zu Ergebnissen anderer Forschergruppen, wie z.B. um Lazarsfeld oder
Katz und Foulkes. Diese meinen, dass Angst, Stress und Belastung im Alltagsleben Ursache
für den Eskapismus in den Medienkonsum seien, also genau umgekehrt. Vor allem letztere
sind Vertreter des "uses-and-gratification"-Ansatzes. Die Frage nach der Richtung der Kausalität ist ein zentraler Aspekt des Buches.
Nach Gerbner sind Vielseher vermehrt der Ansicht, dass sie in einer "erbärmlichen Welt"
leben, sie sind passiv, unmotiviert und scheinen der Annenberg-Gruppe (Forschergruppe)
1
2
Vitouch, Fernsehen und Angstbewältigung, 2000, S.13
derselbe, S.17
zufolge gezielt Information zu vermeiden und stereotype Unterhaltungsprogramme zu bevorzugen.
Auch neigen sie zu sozialer Abschottung, mangelndem Selbstwertgefühl und Selbstentfremdung, sie sind feindseliger, reizbarer, unglücklicher und haben Konzentrationsschwierigkeiten. Der "Mainstream-Hypothese" der Annenberg-Gruppe zufolge vertreten Vielseher eher
Mainstream-Standpunkte, wobei Mainstream definiert wird als "relative Gemeinsamkeit der
Perspektiven und Werte, die durch die Rezeption von der Charakterzüge und Dynamik der
Fernsehwelt kultiviert werden."3
Kritik an Gerbners Untersuchungen äußert Vitouch erstens dahingehend, dass Gerbner keine
Rezipientenvariablen wie Motivation, selektive Wahrnehmung berücksichtigt und zweitens,
dass die von Gerbner festgestellte Korrelation zwischen Ängstlichkeit und Vielsehen nicht
notwendigerweise bedingt, dass Fernsehinhalte ängstlich machen. Er stellt also die Richtung
der Kausalität in Frage.
Medienforschungsansätze
Hier liefert Vitouch einen prägnanten Rückblick auf die Medienforschung des vergangenen
Jahrhunderts.
Am Beginn (30er Jahre) stand die persuasive Forschung – Allmacht der Medien -repräsentiert
durch das SR-Modell eingebettet in den Behaviorismus und Pawlow. In den 50ern erklärten
sich Forscher Massenkommunikation mithilfe des SOR-Modells vorangetrieben durch
Hovland, Festinger (kognitive Dissonanz), Postman (selektive Wahrnehmung). Über das
Opinion-Leader-Konzept von Lazarsfeld kommt man dann zum Nutzen-und-Belohnungsansatz – Ohnmacht der Medien.
Das Stimulus-Response-Modell geht davon aus, dass massenmediale Inhalte eine identische
Wahrnehmung und Verarbeitung durch die einzelnen Rezipienten mit sich ziehen, die eine
identische Reaktion im Sinne des Kommunikators hervorrufen. Man ging in den Anfängen
der Medienforschung (30er-Jahre) davon aus, dass man eine massenmediale Aussage nur
optimal zu gestalten brauchte, um die Massengesellschaft bestmöglich zu manipulieren.
Identische Wahrnehmung und
Verarbeitung durch die einzelnen
Rezipienten führt zur identischen
Reaktion im Sinne des Kommunikators
Massenmediale
Inhalte
Das SOR-Modell hingegen - ausgehend vom Kleingruppenmodell der Gesellschaft - meint,
dass massenmediale Inhalte von den Rezipienten individuell bzw. in Abhängigkeit von psychologischen und sozialkategoriellen Merkmalen variierende Reaktionen hervorrufen.
Aber auch in diesem Modell ist der "One-Directional-Flow" von Massenmedien zum Rezipienten zu finden.
Massenmediale
Inhalte
3
derselbe, S.26
Organismus
Individuelle bzw. in Ab-hängigkeit von
psycho-logischen und sozialkategoriellen Merkmalen variierende
Reaktionen derRezipienten
Bei Lazarsfelds Modell passiert Massenkommunikation über zwei Stufen, denn er bezieht die
sogenannten "Opinion-Leader" mit ein. Diese nehmen Medieninhalte auf und geben sie an
weniger aktive Bevölkerungsteile weiter. Dieses Modell wurde mittlerweile aktualisiert durch
das "Opinion-Sharing"-Konzept, das die Wechselbeziehung bei der Weitergabe von
Medieninhalten zwischen "opinion givers" und ebenso interessierten "opinion askers" in den
Vordergrund stellt.
Jüngere Forschungsansätze wie der "Uses and Gratifications"-Ansatz nach dem Motto "Was
machen die Menschen mit den Medien?" gehen von einem aktiven Publikum aus, das erstens
seine Bedürfnisse kennt und das Medium TV vorwiegend zur Gratifikation benutzt.
Psychologische Konzepte für die Medienforschung
Das Locus-of-Control-Konzept von Julian B. Rotter unterscheidet Menschen mit interner
und externer Kontrollüberzeugung. Hierbei stellt er fest, dass viele Charakteristika, die auf
Vielseher zutreffen auch externen Typen zueigen sind. Externe Menschen meinen, dass ihr
Schicksal mehr von äußeren Umständen als von ihrem eigenen Willen beeinflusst wird, sie
neigen zu Ängstlichkeit, Konformität, depressiver und pessimistischer Stimmung, geringer
Selbsteinschätzung und klagen über institutionelle Zwänge. (vgl. Vielseher)
Die Kindheit, also die Zeit der Sozialisation durch Eltern und Familie, stellt den entscheidenden Zeitraum für die Entstehung von interner und externer Kontrollüberzeugung dar. Ein
positives Familien-Klima, eine positive Mutter-Sohn-Beziehung, Förderung von autonomen
Handeln, Erziehung zu Eigenständigkeit, familiäre Zusammengehörigkeit und Ausdrucksfreudigkeit (sogenannte konzeptorientierte Familienverhältnisse) bewirken tendenziell interne,
während eine liebevolle Vater-Tochter-Beziehung, hoher Medienkonsum innerhalb der
Familie, chaotische, inkonsistente und konfliktreiche aber auch zu stark übereinstimmende
(sogenannte sozio-orientierte) Familienverhältnisse zu externer Kontrollüberzeugung führen.
Das Konzept der "gelernten Hilflosigkeit" von Martin E.P. Seligman vertritt die Ansicht,
dass Menschen, die längere Zeit einer Phase des Unkontrollierbarkeit und Unvorhersagbarkeit
ausgesetzt sind, in ein Stadium der Hilflosigkeit eintreten, in dem sie ähnliche Symptome wie
Vielseher und externe Kontrolltypen aufweisen. Durchlebt also der Mensch eine Phase, in der
er das Gefühl hat, das Auftreten von Ereignissen nicht selbst kontrollieren zu können, neigt er
zu Passivität, Ängstlichkeit, Mangel an Motivation, emotionale Labilität, Depression und
Gefühl der Machtlosigkeit und Ausgeliefertheit.
Zur Systematisierung von Hilflosigkeitstypen definierte Seligman Attributionsmodi, bei
interner Hilflosigkeit wird der Kontrollverlust inneren Ursachen zugeschrieben. Bei externer
hingegen wird die Hilflosigkeit auf eine generelle Unlösbarkeit einer Aufgabe zurückgeführt.
Global ist die Hilflosigkeit, wenn sie in vielen Lebensbereichen auftritt, im Gegensatz zur
spezifischen. Eine variable Hilflosigkeit liegt dann vor, wenn diese lediglich kurz und akut
erlebt wird im Gegensatz zur chronischen.
Grundsätzlich steht dieses Modell im Widerspruch zur "Reaktanztheorie" von Brehm, die
zunehmende Aktivität, Aggressivität und Zorn als Folge von unkontrollierbaren Ereignissen
sieht. Vereint wurden beide Theorien im "integrativen Modell" von Brehm, das bei
vereinzelten unkontrollierbaren Ereignissen Aggressivität im Sinne der Reaktanztheorie und
bei länger anhaltender Unkontrollierbarkeit Hilflosigkeitssymptome als Folge sieht, wobei je
subjektiv bedeutsamer das Ereignis ist, desto stärker ist der Reaktanzeffekt.
Abschnitt 2
Das Experiment in der Medienforschung
Provozierte Hilflosigkeit
In diesem Abschnitt versucht Vitouch mithilfe von eigens durchgeführten Experimenten
hinter dem korrelativem Zusammenhang zwischen Vielsehern, "externer Kontrollüberzeugung" und "gelernter Hilflosigkeit" eine Kausalität herauszuarbeiten.
Mit dem ersten von Vitouch in diesem Buch dokumentierten Experiment beantwortet er folgende Frage: Entwickeln Menschen, bei denen Hilflosigkeit provoziert wird, ein äquivalentes
TV-Konsumverhalten wie Vielseher? Hierzu testete er 100 Versuchspersonen und fand
heraus, dass nicht der Fernsehkonsum das Verhalten der Rezipienten beeinflusst, sondern dass
Menschen mit bestimmten Lebenserfahrungen (Kontrollverlust) zum Vielsehen tendieren und
die dabei typischen Symptome aufweisen.
Entfremdung
In diesem Kapitel führt Vitouch an, dass der Begriff der Entfremdung, der eigentlich ein
soziologischer ist, in der Forschung oft synonym mit dem Begriff des Kontrollverlusts verwendet wird, also psychologisch. Nach Seeman sind Machtlosigkeit, Sinnlosigkeit, Normenlosigkeit, Isolation und Selbstentfremdung als Kategorien hauptverantwortlich für die Entstehung von Entfremdung.
Auf soziologischer Basis hat in diesem Zusammenhang vorwiegend Schneewind Arbeit geleistet. Er fand heraus, dass hohe Fähigkeiten ( aufgrund von Erziehung und Begabung),
günstige sozio-ökonomische Bedingungen und unrealistische Erwartungen der Person das
Entstehen einer starken internen Kontrollüberzeugung fördern.
Grundlagen der Programmwahl
Hier werden die Motive des Rezipienten für den TV-Konsum diskutiert und welche Faktoren
bei der Programmwahl eine Rolle spielen.
Als Motive werden Entspannung, Ablenkung, billiger Nervenkitzel usw. genannt. Als beeinflussende Faktoren für die Programmwahl stehen das Ausmaß der Anstrengung am Arbeitsplatz und Intelligenz zur Diskussion. Die Intelligenz wird häufig als Hauptfaktor angesehen;
Vitouch weist ihr jedoch aufgrund empirischer Untersuchungen keine dominierende Rolle zu.
Anschließend fasst er nochmals zusammen, dass es Vermutungen gibt, dass "die Lebenssituation eines Menschen sowie seine sozialen Erfahrungen mitverantwortlich sind für die Aufnahme von Medieninhalten (...), wie auch für die Entwicklung von Programmpräferenzen."4
Demnach ist erhöhter Medienkonsum als Symptom und nicht als Ursache von interner oder
externer Kontrollüberzeugung anzusehen.
Eine wichtige Rolle spielt auch der Faktor Wiederholung: So werden Unterhaltungssendungen und sonstige stereotype Sendungen gern gesehen, weil sich viele Menschen Vorhersagbarkeit und Kontrollierbarkeit wünschen.
4
Vitouch, Fernsehen und Angstbewältigung, 2000, S.79
Arbeit und Vergnügen
Im zweiten zur Schau gestellten Versuchsplan untersuchte Vitouch die These, ob ein Kontrollverlust am Arbeitsplatz ein erhöhtes Kontrollbedürfnis und Vorhersagbarkeits-bedürfnis
bei der Programmauswahl hervorruft.
Hiezu untersuchte er 128 Fabrikarbeiter – geteilt in Hilfs- und Facharbeiter - und kam zum
Ergebnis, dass die quantitative Mediennutzung nicht beeinflusst wird von Variablen wie Qualifikation des Arbeitnehmers, der Möglichkeit zur Kontrolle am Arbeitsplatz (also der Möglichkeit den Arbeitsablauf zu beeinflussen), der Dauer der Betriebszugehörigkeit und der
Arbeitsplatzerfahrung. Konzentriert man sich hingegen auf die qualitative Nutzung, so fand er
heraus, dass der Faktor Kontrolle am Arbeitsplatz eine signifikante Bedeutung spielt.
Er stellte fest, dass Arbeiter mit wenig Möglichkeit zur Kontrolle am Arbeitsplatz signifikant
dazu neigen, Sendungen zu bevorzugen, die hinsichtlich dramaturgischer Struktur und Inhalt
eher klischeehaft und stereotyp sind.
Stereotype
Stereotype sind nach Lippmann ein begrenztes, unvollständiges Bild von der Welt, das Überschaubarkeit garantiert bzw. Orientierungspunkte liefert. Trotz dieser Definition hat der Begriff heute eine negative Konnotation, obwohl Lippmann „Stereotyp“ ursprünglich neutral als
Orientierungshilfe gesehen hat. Stereotype sollen die Realität überschaubar machen durch
Bereitstellung vereinfachender Entscheidungskategorien.
- Gruppenaspekt von Stereotypen: Grad der Übereinstimmung bei der Beurteilung der
Eigenschaften von Rassen, Nationen etc.
- Individualaspekt
von
Stereotypen:
Neigung
zu
Stereotypenbildung
aus
Persönlichkeitsmerkmalen.
Stereotype sind auch für die Aufrechterhaltung unseres Selbst-Bildes von Bedeutung.
Das Vorurteil unterscheidet sich vom Stereotypen durch eindeutig negative Bedeutung und
konstituiert sich v.a. aus affektiven Komponenten. Das Vorurteil ist eine vereinfachende
Kategorisierung, bei der bestimmte Gruppenmerkmale überakzentuiert werden. Vorurteile
setzen Selbstbestätigungsprozesse (self-fulfilling prophecies) in Gang. Sie werden stärker
durch indirekte als durch direkte Erfahrungen mit den Umweltobjekten gewonnen und sind
selbst bei Vorliegen widersprechender Information sehr resistent.
Stereotype und Vorurteile haben viele Gemeinsamkeiten, und Vitouch meint, dass beiden
ähnliche Entstehungsursachen zu Grunde liegen, das Vorurteil aber eine Weiterentwicklung
des Stereotyps ist.
Stereotype entstehen nach der so genannten Reizklassifikation: Die Komplexität der Umwelt
ist zu groß, deshalb schafft das Individuum Umwelttransparenz durch Reizklassifikation.
Dabei werden entweder Sachverhalte ähnlicher gesehen als sie sind (Generalisierung) oder
Sachverhalte werden unterschiedlicher gesehen als sie sind (Dichotomisierung). Massenmedien spielen dabei eine wichtige Rolle: Sie liefern mittelbare Erfahrungen der Sozialwelt,
wobei das Medium Fernsehen besonders glaubhaft wirkt. In dem Maße, in dem aber die Unmittelbarkeit von Erfahrung abnimmt, wird die Bildung von Stereotypen begünstigt. Stereotype wiederum begünstigen die Vorhersagbarkeit von Reaktionen, sozialen Situationen und
Geschehnisabläufen.
Das Fernsehen in den Vereinigten Staaten
Vitouch geht zunächst auf die Struktur des amerikanischen Fernsehens ein, um die Thesen
von Neil Postman im richtigen Kontext sehen zu können. In den USA wird der Fernsehmarkt
von drei großen Networks beherrscht: ABC, CBS, NBC. Sie finanzieren sich durch den Verkauf von Werbezeiten. Daher sind Einschaltquoten von großer Bedeutung. Regionale
Rundfunkanstalten sind meist sehr klein und haben Verträge mit den Networks und kaufen
deren Produktionen und gleichzeitig deren Werbespots.
Da Pay-TV nur eine unbedeutende Rolle spielt, gibt es in der amerikanischen TV-Landschaft
somit keine Programmvielfalt. Der Einfluss der Werbung erzeugt ein für das Massenpublikum
abgestimmtes Programm aus dem kleinsten Nenner des Geschmacks und damit eine klare und
simple Fernsehwelt.
Die Thesen von Neil Postman
Neil Postman beschäftigt sich in „Wir amüsieren uns zu Tode“ mit dem Niedergang der
amerikanischen Kultur. Ursache dieses bedauerlichen Prozesses ist nach Postman einzig und
allein das Fernsehen. Vitouch: „Er begibt sich damit auf das gleiche Niveau, das er dem Fernsehen ankreidet; Inhalte werden nur mehr in amüsanter Form und extrem vereinfachend dargestellt.“5
Zunächst beschäftigt sich Vitouch im Sinne von Postman mit der Bedeutung der formalen
Angebotsweisen: Das eigentlich medienspezifische sind nicht die vermittelten Inhalte,
sondern die Art, wie diese Inhalte transportiert werden. Vitouch betont die notwendigen empirischen Untersuchungen, mit denen sich Postman aber „nicht aufhält“.6
Postman behauptet: Die formale Darstellungsweisen des Fernsehens erlauben keine seriöse
Information, sondern nur Unterhaltung. Diese Entwicklung rührt also nicht von den Inhalten,
die formalen Möglichkeiten des Fernsehens erlauben es nicht anders. Sie rührt auch nicht von
ökonomischen Zwängen (Finanzierung durch Werbung) oder dem Geschmack des Publikums,
sondern vom Medium an sich. Postman lässt allerdings außer Acht, aus welchen ökonomischen, psychischen, sozialen Gründen Trivialsendungen erfolgreich sind. Vitouch nennt als
mögliche Ursachen die bereits genannten Schlagworte Kontrollverlust, Verlust der Vorhersagbarkeit, Entfremdung, gelernte Hilflosigkeit.
Nun geht Vitouch auf das Phänomen der "Kontextlosen Information" ein. Nach Postman hat
die Erfindung des Telegraphen zur Überwindung von Raum und Zeit geführt, sodass Nachrichten heute nicht mehr zweckbestimmende Information sind, sondern nur noch „neu“ und
„aktuell“. Die persönliche Relevanz der Meldungen rückt in den Hintergrund (=Kontextlose
Information). Kontextlose Information führt zu Kontrollverlust und Verunsicherung. Da aber
in den USA Einschaltquoten überlebenswichtig sind, bildeten sich die "News-Shows". Sie
verschleiern den Kontrollverlust durch Unterhaltung und Vorhersagbarkeit der Gestaltung
(Info-Tainment).
5
6
Vitouch, Fernsehen und Angstbewältigung, 2000, S.102.
Vitouch, Fernsehen und Angstbewältigung, 2000, S.104.
Zur Wirkung und Verarbeitung von Nachrichtensendungen
Vitouch nennt den Trend, dass Fiktion und Realität in den News-Shows zusammenfließen,
und zwar einerseits durch Boulevardjournalismus, andererseits durch Einbeziehung der Werbeblöcke. Zur Verarbeitung von Nachrichtensendungen nennt Vitouch zwei Theorien:
- Das Origin-Pawn-Konzept: Einem Individuum schafft es Befriedigung, sich selbst als
Verursacher (= Macher = engl. "origin") von Ereignissen zu sehen. Andererseits fühlt er
sich extern bestimmt, also als Opfer (Bauer beim Schach = engl. "pawn"). Das Individuum
fühlt sich in verschiedenen Umständen manchmal als origin und manchmal als pawn. NewsShows versuchen, das Gefühl von pawn durch Infotainment abzuschwächen.
- Just-Word-Theorie: Für die kognitive Kontrolle unserer Umwelt scheint es wichtig, nicht
nur die Ursache für Geschehnisse im sozialen Umfeld zu kennen, sondern auch die Verantwortlichkeit dafür. Die Just-World-Theorie meint nun, dass in einer gerechten Welt jeder
das kriegt, was er verdient. Das führt zu einer Stabilisierung der Umwelt und lässt langfristig eine Vorhersagbarkeit der Umwelt zu (aber nicht deren Kontrollierbarkeit!). Der Beobachter eines Unglücks verleugnet, dass ihm ein ähnliches Schicksal widerfahren könnte,
denn da die Welt gerecht ist, kann das Opfer nicht ganz unschuldig an seinem Unglück sein.
Dabei ergibt sich eine interessante Korrelation zum Locus-Of-Control-Konzept: Interne
suchen eher Informationssendungen, weil ihnen die Just-World-Theorie die Stabilisierung
der Welt erlaubt.
Kontrollverlust kann auch durch stellvertretende Erfahrung erworben werden. Dabei spielen
soziale Vergleichsprozesse eine wichtige Rolle: Wird z.B. der Misserfolg einer anderen
Person beobachtet und fühle ich mich dieser Person ähnlich, so erlebe ich die stellvertretende
Erfahrung von Hilflosigkeit. Menschen mit interner Kontrollüberzeugung scheinen aber weitgehend resistent gegenüber diese Erfahrung stellvertretender Hilflosigkeit.
Die Macht der Werbung
Vitouch weist darauf hin, dass ein durchschnittlicher Amerikaner mit 40 Jahren in der Regel
mehr als eine Mio. Werbespots gesehen hat. Werbespots bieten für alle möglichen Probleme
schnelle Lösungen an. Gleichzeitig muss eine Werbebotschaft kurz und klar sein. Außerdem
ist sie meist bunt, nett und freundlich. Deshalb wird ihr oft eine hypnotisierende Wirkung
unterstellt.
Vitouch beschreibt nun eine von im 1986 durchgeführte Untersuchung zur Wirkung von
Werbung. Dabei wurde untersucht, inwieweit gefolgerte Meinungen (inferential beliefs) aus
dem Konsum von Werbespots die Wahrnehmung beeinflussen. Dabei zeigte sich v.a., dass die
Neigung zu höheren Inferenzschlüssen einhergeht mit signifikanten Werten in Richtung
Ängstlichkeit, Misstrauen, Selbstunsicherheit, emotionale Labilität. Außerdem neigen
Menschen mit diesen Persönlichkeitsmerkmalen zu stärkerer Stereotypenbildung. Je ängstlicher also jemand ist, desto stärker neigt er zur Bildung von Stereotypen.
Fernsehen und Angst
Vitouch wiederholt, dass viel Fernsehen mit Ängstlichkeit einhergeht, wobei aber die Frage
bleibt, ob Fernsehen Ängstlichkeit bedingt oder umgekehrt. In einer Untersuchung aus 1987
versuchte er Antworten auf diese Frage zu finden. Die wichtigsten Ergebnisse: Es gibt besonders ängstliche Rezipienten, die bei direkter Befragung ihre Angst jedoch leugnen. Gerade
diese angstneurotischen Rezipienten neigen ganz besonders stark zu angsterregenden Inhalten
im Fernsehen. Vitouch folgert daraus, dass ängstliche Menschen offenbar Nutzen aus der Betrachtung angsterregender Fernsehinhalte ziehen und es sich dabei um eine vorsichtige Bewältigungsstrategie handeln könnte.
Abschnitt 3
Zur Typologie des Zuschauerverhaltens
Der Einfluss von Angstabwehr und Unweltkomplexität auf die Informationsverarbeitung
Anschließend an das vorhergegangene Kapitel untersucht Vitouch den Zusammenhang
zwischen Informationsverarbeitung, Angst bzw. Angstverleugnung und Umweltkomplexität.
Er geht davon aus, dass diese Variablen einen Bezug zueinander haben.
Ausgangspunkt ist Schroders Modell der komplexen Informationsverarbeitung. Schroder
postuliert, dass sich Individuen nicht nur hinsichtlich Art und Menge ihres Wissens unterscheiden, sondern dass es auch individuelle Unterschiede bezüglich der Verarbeitungsstrategien der wahrgenommenen Information gibt. Zwei Komponenten sind dabei zentral:
Informationsaufnahme und nachfolgende Organisation der Inhalte.
Aus diesen beiden Komponenten ergibt sich das konzeptuelle Niveau eines Individuums: Es
ist hoch, wenn Objekte der Umwelt durch Auswahl unabhängiger Dimensionen beurteilt
werden und diese Dimensionen werden unterschiedlich gewichtet. Die so entstandenen Konzepte werden in differenzierter Weise miteinander verbunden. Ein simples konzeptuelles
Niveau nach Schroder zeichnet sich durch Stereotypisierungstendenz und Intoleranz gegenüber Mehrdeutigkeiten aus. Vitouch weist auf den Zusammenhang zwischen Medienrezeption
und konzeptuellem Niveau hin. Über den Zusammenhang von Umweltkomplexität und konzeptuellem Niveau sagt Schroder: "Mit steigender Umweltkomplexität werden konzeptuell
komplexe Personen ihre Kapazität steiler steigern als simple, des weiteren ein absolut höheres
konzeptuelles Niveau erreichen und erst in einem Bereich stärkerer Umweltkomplexität einen
Leistungsabfall in Folge Stress zeigen." Dieser Ansatz ist auch nützlich für die Medienforschung: Voraussagen können gemacht werden, wann und welche Rezipienten mit Medieninhalten überfordert sind.
Das R-S-Konstrukt ist ein Modell zur Beschreibung von Angstbewältigungsverhalten. Man
spricht von "normaler" Angstkontrolle, wenn Personen in einer nicht-defensiven Weise mit
Angstreizen umgehen. Zunächst reagiert das Individuum nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip:
Die Angst steigt kontinuierlich bis zum Entscheidungspunkt an (z.B. stehen bleiben oder
davonlaufen). Erst dann setzen Kontrollmechanismen zur Hemmung der Angst ein.
Abnorme Angstkontrolle ist gekennzeichnet durch die Beibehaltung des Alles-oder-NichtsPrinzips: Das Individuum vermeidet die Konfrontation mit der Angst, kann aber keine Verhaltenssequenzen zum effektiven Umgang mit Gefahrensituationen entwickeln.
Byrne unterscheidet bei der Abnormen Angstabwehr Represser und Sentisizer. Represser
suchen in geringem Ausmaß nach Information oder nur nach Information, die unvereinbar mit
ihrer Ängstlichkeit ist. Sentisizer hingegen unterdrücken gefahrenrelevante Anstreize nicht,
sondern „suchen“ sie in besonderem Maße. Dadurch entwickeln Sentisizer ein chronisch
erhöhtes Aktivierungsniveau, während sich Represser mit einer Hemmung in der Wahrnehmung von Angstinhalten schützen.
Schroder fand heraus, dass Represser über eine geringere Informationsverarbeitungskapazität
verfügen als „Normale“, aber in ihrem konzeptuellen Niveau grundsätzlich gleich sind. Erst
bei steigender Umweltkomplexität senken Represser das Ausmaß ihrer Informationssuche und
steigern damit den Grad subjektiver Sicherheit. Sentisizer hingegen senken in
Angstsituationen ihr Integrationsniveau, d. h. sie verwenden eine geringere Zahl von
Konzepten.
Das Angstbewältigungsverhalten beeinflusst also das Informationsverarbeitungsniveau.
Vitouch untersucht in einer Untersuchung aus 1991 die Akzeptanz von "social advertising"7
und damit die Frage, wie angstbesetzte Information vom Zuseher aufgenommen und verarbeitet werden. Es zeigte sich in der Hauptsache, dass sich Sentisizer und Represser
schlechter an die gezeigten Spots erinnern konnten als Nicht-Defensive.
Ein lerntheoretischer Ansatz zur Erklärung individueller Niveauunterschiede bei der Informationsverarbeitung
Schroder fand heraus, dass es Zusammenhänge zwischen Angstbewältigung und Erziehungsstil gibt. Werden Kinder nach festen Regelschemata und Konzepten erzogen (unilaterale Erziehung), neigen sie zu externer Kontrollüberzeugung und zu eher simplem konzeptuellen
Niveau. Ein interdependenter Erziehungsstil, in dem es keine "absoluten" Schemata gibt,
exploratorisches Verhalten und Selbstverantwortung gefördert werden, führt eher zu interner
Kontrollüberzeugung und zu eher komplexem konzeptuellen Niveau.8
Daraus entwickelte Krone das Zwei-Prozess-Modell elterlicher Erziehungswirkung:
Erwerb von
Kontrollkompetenz
+
Vorhersagbarkeit v. elterlichem
Feedback
Entwicklung von
nicht-defensiver
Angstbewältigung
Defizite hinsichtlich dieser Faktoren fördern defensive Angstbewältigung (Represser,
Sentisizer). Vitouch weist nun wieder darauf hin, dass Vielseher zu externer
Kontrollüberzeugung neigen und damit auch zu defensiver Angstbewältigung. Seine
Untersuchung aus 1989 beschäftigt sich mit dem Umgang mit konfliktbesetzten
Medieninhalten. Er konnte zeigen, dass die Lebensbedingungen von Schülern in AHS
Grundbedingung für die Entwicklung inadäquater Angstbewältigungsstile sind.
Abschnitt 4 Ein interaktives Kompensations- und
Verständigungsmodell
Vitouch fasst im letzten Kapitel das bisher Gesagte nocheinmal in drei Modellen zusammen.
Vitouch stellt noch einmal klar, dass Massenmedien nicht die unmittelbaren Verursacher
dieser Prozesse sind, sondern nur beschleunigende Transportmittel. Die psychische
Ausstattung eines Individuums beeinflusst sein Medienkonsumverhalten und nicht umgekehrt.
7
Social Advertising sind z.B. Spots zu Anti-Alkohol-Kampagnen, Anti-Rauch-Kampagnen, Gewalt gegen
Kinder, AIDS-Vorsorge etc.
8
Vgl. auch die Definitionen von Schneewind zum Familienklima in Abschnitt 2.
Der Kommentar
Peter Vitouch widmet sich in diesem Buch einem breiten Forschungsfeld in knapper Form.
Das kann zum einen für jemanden, der in diesem Gebiet noch über nicht so viel Vorwissen
verfügt, zu Schwierigkeiten führen. Das Buch ist eine Tour de Force durch die
Mediennutzungs- und Medienwirkungsforschung in Verbindung mit den Erkenntnissen der
kognitiven Psychologie.
Andererseits stellt „Fernsehen und Angstbewältigung“ eine durchaus geglückte, sehr
kompakte und verständliche Zusammenfassung der aktuellen Forschungsergebnisse der
Medienwirkungs- und Mediennutzungsforschung dar. Vitouch verbindet dabei Erkenntnisse
und Theorien anderer Forscher mit eigenen, empirisch gestützten Überlegungen.
Alles in allem ist „Fernsehen und Angstbewältigung“ ein sehr empfehlenswertes Buch, für ein
wissenschaftliches Buch sehr flott in durchaus verständlicher Sprache geschrieben..
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