LVR - Klinik Bonn Anlage zur Vorlage Nr. 12/4099 Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern in der LVR-Klinik Bonn 1. Einleitung Im Frühjahr 2008 wurden die Maßnahmen der LVR-Klinik Langenfeld zur Hilfe für Kinder psychisch kranker Eltern in den Krankenhausausschüssen vorgestellt. Aufgrund der detaillierten Darstellung der speziellen Probleme in den betroffenen Familien, insbesondere aber für die Kinder und Jugendlichen, wurde in den Gremien des LVR neben einer Berichterstattung aus den jeweiligen Kliniken, die jetzt im Januar 2009 vorgelegt wird, beschlossen, Maßnahmen zur gezielten Unterstützung für diese besondere Patientengruppe einzuleiten, um letztlich ein flächendeckendes ambulantes Angebot für Kinder psychisch kranker Eltern im Rheinland in Kooperation mit den Kommunen unter besonderer Berücksichtigung der Zuständigkeit der Jugendhilfe zu erreichen. Die Vorlage stellt die speziellen Versorgungsangebote in den verschiedenen Abteilungen der LVR-Klinik Bonn dar und fasst darüber hinaus wesentliche Aspekte der vorliegenden Berichte aus den anderen LVR-Kliniken zusammen. 2. Beschreibung der Patienten-Zielgruppe Psychiatrische Erkrankungen stellen einen wesentlichen Morbiditätsfaktor in der Bevölkerung dar. Die lebenslange Wahrscheinlichkeit, einmal an einer psychiatrischen Störung zu erkranken, wird mit etwa jedem dritten Erwachsenen angegeben. Demzufolge muss rein statistisch betrachtet davon ausgegangen werden, dass ebenso in einem nennenswerten Umfang Kinder und Jugendliche als Schutzbefohlene von den unmittelbaren Folgen psychiatrischer Erkrankungen ihrer Erziehungsberechtigten betroffen sind. Die Hochrechnungen von Mattejat (2006) hierzu ergaben in Deutschland: 740.000 Kinder und Jugendliche mit einem alkohol- oder drogenabhängigen Elternteil, 270.000 Kinder und Jugendliche mit einem an Schizophrenie erkrankten Elternteil, 1.230.000 Kinder und Jugendliche mit einem an affektiven Störungen erkrankten Elternteil, 1.555.000 Kinder und Jugendliche mit einem an Angststörungen erkrankten Elternteil. Neben diesen für sich betrachtet bereits erschreckend beeindruckenden Zahlen liegen die Schätzungen von Verbänden insbesondere in Bezug auf die Auswirkungen von Alkoholabhängigkeit noch um ein vielfaches höher. Demnach leben etwa 3-4 Millionen Kinder und Jugendliche in Familien, in denen mindestens ein Elternteil an einer Suchtmittel- oder Alkoholabhängigkeit erkrankt ist (Schätzungen Dachverband Drogen und Rauschmittel e.V. 2005). Wesentlich niedriger im Vergleich zur Gesellschaftsdroge Alkohol mit 1,8 bis 2 Millionen betroffenen Kindern und Jugendlichen liegt die geschätzte Rate der Minderjährigen, deren Eltern von so genannten harten Drogen abhängig sind; diese Zahl wird mit etwa 50.000 für Deutschland angegeben. Aufgrund der häufigen Folgen von psychischer Krankheit mit Verlust des Arbeitsplatzes, sozialer Ausgrenzung und Bedrohung durch Armut sind Kinder und Jugendliche nachhaltig in ihrer körperlichen, funktionalen, seelischen und kognitiven Entwicklung und Gesundheit gefährdet. Darüber hinaus tragen Kinder von psychisch kranken Eltern je nach Krankheitsbild selbst ein genetisch determiniertes erhöhtes Risiko, an einer psychischen Störung zu erkranken. -2- Eine Stichtagserhebung der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie der LVR-Klinik Düsseldorf im November 2008 hat ergeben, dass bei 55% der behandelten Kinder und Jugendlichen im voll- und teilstationären Bereich die Eltern sich in psychiatrischer bzw. in psychotherapeutischer Behandlung befanden oder noch befinden. Zum selben Erhebungszeitpunkt war dies in der Tagesklinik der LVR-Klinik Bedburg-Hau zu 100% (!) zutreffend, was aber möglicherweise ein angebotsinduzierter Effekt ist, da sich die Abteilung in den vergangenen beiden Jahren gezielt auf entsprechende Versorgungsaspekte inhaltlich ausgerichtet hat. Ausführliche Darstellungen zu statistischen Hintergründen sind insbesondere den aktuellen Berichten für die Krankenhausausschüsse aus den LVR-Kliniken Köln, Langenfeld und Düsseldorf zu entnehmen. Ausführliche Darstellungen der Folgen für die Betroffenen sowohl aus Sicht der Eltern wie auch der Kinder und Jugendlichen haben die LVR-Kliniken Viersen und Bedburg-Hau zusammengestellt. Die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie BedburgHau zeigt darüber hinaus in Diagrammen die abteilungsbezogene Häufigkeit und Verteilung von Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Störungen bei den behandelten Kindern und Jugendlichen. Im Bereich der Selbsthilfe sind bisher noch sehr überschaubare Angebote vorhanden. Im Einzugsbereich des LVR existieren diese in Duisburg, Köln, Langenfeld, LeverkusenOpladen und Solingen (Angabe: www.netzundboden.de). Die entsprechenden LVR-Kliniken sind wie beispielhaft für Langenfeld ausgeführt in die Kooperation eingebunden. In anderen Kommunen wie Bonn sind entsprechende Maßnahmen in der Planungsphase oder inhaltlich teilweise in andere Arbeitskreise integriert. 3. Behandlungsangebote in der LVR-Klink Bonn Die LVR-Klinik Bonn bietet als einzige LVR-Klinik die Möglichkeit, neben der inhaltlichen und themenzentrierten Verbindung von Erwachsenen- mit Kinder- und Jugendpsychiatrie auch die Entwicklungs- und Sozialpädiatrie im Kinderneurologischen Zentrum mit einzubeziehen. Derzeit werden die folgenden Maßnahmen und Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern in der LVR-Klinik Bonn umgesetzt: 3.1 Abteilung Allgemeine Psychiatrie II, Eltern-Kind-Behandlung (OA Dr. Dickopf-Kaschenbach/Frau Dr. Harrer-Langer) Aufnahmemöglichkeiten bestehen auf der Mutter-Kind-Station für Mütter, die in der Schwangerschaft oder postpartal psychisch erkrankt sind. Die Aufnahme kann auch mit dem Säugling/Kleinkind im ersten Lebensjahr erfolgen. Korrespondierend werden entsprechende Problemfälle in der Abteilung für Allgemeine Psychiatrie I durch Frau Dipl.-Sozialpädagogin Brümmer betreut. 3.2 Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie Behandlung sämtlicher akut und chronisch auftretender Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter, auch in Verbindung mit psychischer Erkrankung der Eltern. Individuelle fallbezogene Behandlungsplanung und Hilfeplanerstellung in Kooperation mit den nichtmedizinischen Ansprechpartnern im Versorgungsgebiet, insbesondere der Jugendhilfe. Behandlungsmöglichkeiten stationär, tagesklinisch und ambulant. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie Bonn hat in ihrem Versorgungsgebiet eine relativ breite Vernetzung aufgebaut, was die Versorgung für Kinder psychisch kranker Eltern betrifft. Zu folgenden Arbeitskreisen und Institutionen besteht aktiver Kontakt: In Bonn besteht ein Arbeitskreis zum Thema „Kinder psychisch und/oder suchtkranker Eltern“. -3- Daran nehmen teil : Frau Brümmer, Sozialdienst AP 1, Frau Winterscheid, Suchtabteilung, Frau Schmitz-Petzchen und Herr Liertz für die KJPP, Frau Wolfsdorf, Eulenburg e.V., Frau Prinz, Deutscher Orden sowie für das Bonner Jugendamt Frau Grube. Ziel dieses AK’s ist die Vernetzung der Angebote und die Bekanntmachung der verschiedenen Angebote bei anderen Helfersystemen. Z. Zt. wird ein gemeinsames Plakat für die Fachöffentlichkeit erarbeitet, in dem auf die verschiedenen Angebote hingewiesen wird. In Eitorf gibt es ebenfalls einen AK unter Beteiligung des dortigen Jugendamtes und des SPZ Eitorf, an dem demnächst Frau Schmitz-Petzchen teilnehmen wird. In Euskirchen gibt es eine lange Tradition, dort trifft sich halbjährlich die Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft (PSAG) des Kreises Euskirchen. Mitglieder sind Jugendamt EU, Jugendhilfeeinrichtungen, Niedergelassene Ärzte und Therapeuten, Kollegen aus der Psychiatrischen Abteilung des Marienhospitals, Erziehungsberatungsstelle sowie Frau Karsch, Ärztin der Abt. KJPP. Parallel existiert der AK unter Beteiligung des Gesundheitsamtes. Gemeinsam wurde ein „Wegweiser für seelische Gesundheit“ entwickelt, der u. a. im Internet einsehbar ist. Ziel beider AK’s ist die Vernetzung und die gegenseitige Zuweisung der Kinder/Patienten. In Bonn wurde das Angebot der Abteilung KJPP bei der Agentur für Arbeit, speziell im „U25- REHA-Team“, bei der Adoptions- und Pflegekinder-Vermittlung der Stadt Bonn, bei der AG §78 ( Jugendamt und Bonner Jugendhilfeträger) und regelmäßig in der Sozialdienstbesprechung der LVR-Klinik bekannt gemacht. Der aktuelle Flyer der Gruppe Gleichgewicht wird z. Zt. überarbeitet und aktualisiert. 3.3 Kinderneurologisches Zentrum Ähnlich wie in der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie bestehen Behandlungsmöglichkeiten für sämtliche Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten sowie Behinderungen in Verbindung mit psychischer Erkrankung der Eltern auf Überweisung der niedergelassenen Vertragsärzte für Kinder- und Jugendmedizin. Es erfolgt die individuelle fallbezogene Erstellung des medizinischen Behandlungsplans sowie assoziierter Hilfemöglichkeiten. Spezialisierte Versorgung von physisch und /oder psychisch traumatisierten Kindern im Vorschul- und frühen Grundschulalter ist auf der Sozialpädiatrischen Kinderstation möglich (Frau Dr. Reimer) unter Einbezug der familiären und anderer Bezugspersonen. Hier findet eine unmittelbare Kooperation mit den Jugendämtern statt, da inzwischen mehr als 75% der aufgenommenen Kinder nicht mehr in die Stammfamilie zurückkehren können und in einer Fachpflegefamilie oder therapeutischen Institution dauerhaft außerhäusig weiterbehandelt werden müssen. Diese Tendenz als Ausdruck der stattgehabten Traumatisierung nimmt weiter zu. Auf der Eltern-Kind-Station werden im Rahmen der Sozialpädiatrischen Behandlungswoche insbesondere ressourcenorientierte Vorgehensweisen mit Aktivierung von Maßnahmen der Selbsthilfe neben dem unmittelbaren medizinischen Behandlungskonzept verfolgt. Hierzu zählt auch die Anbahnung entsprechender Behandlungsmaßnahmen für die Eltern selbst durch Eigenerkenntnis bei den Betroffenen. 3.4 Dependance Eitorf der Abteilung Allgemeine Psychiatrie III (Frau Hartebrodt-Scheuren) Gemeinsam mit dem Rhein-Sieg-Kreis (Familienberatungsstelle Eitorf/Ruppichteroth/Windeck und Jugendhilfezentrum Eitorf/Windeck) sowie dem Sozialpsychiatrischem Zentrum Eitorf/Siebengebirge der AWO und dem niedergelassenen Kinder- und -4- Jugendarzt Dr. Draf wird das „Netzwerk für Kinder und Jugendliche psychisch kranker Väter und Mütter“ unterhalten. Ein auf die speziellen Belange der Zielgruppe abgestimmter Informationsflyer ist vorhanden. Kommentar: Trotz der vielfältig vorhandenen und teilweise spezialisierten Behandlungsmöglichkeiten in der LVR-Klinik Bonn wird im Rahmen der Berichterstellung deutlich, dass NetzwerkStrukturen noch weiter ausgebildet werden müssen. Dies betrifft sowohl die klinikinterne abteilungsübergreifende Erweiterung von Behandlungsmöglichkeiten mit der Etablierung von Behandlungspfaden als auch die Fokussierung in den verschiedenen Gremien und Arbeitskreisen in Verbindung mit der Stadt Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis, in denen Fachmitarbeiterinnen und –mitarbeiter der Klinik vielfältig vertreten sind. Es muss aber mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass die medizinische Behandlung im Bereich der Erwachsenen solange auf Freiwilligkeit beruht, wie keine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt. Für die Behandlung bei Kindern und Jugendlichen gilt ebenfalls uneingeschränkt die Eigenverantwortlichkeit der Eltern, solange kein Hinweis auf eine drohende Kindeswohlgefährdung besteht. Auch in diesem Fall ist primär die Unterstützung, dann auch Kontrolle, durch das Jugendamt gefordert, während medizinisch- psychotherapeutische Maßnahmen erst danach bei fehlender Freiwilligkeit der Erziehungsberechtigten eingesetzt werden können. Aufgrund dieser juristischen Rahmenbedingungen kommt den gezielten Hinweisen und der Widmung von Aufmerksamkeit bei Fachleuten wie insbesondere den niedergelassenen Kinder- und Jugendärzten, ebenso aber auch Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen und Lehrern oder Betreuern in Sportvereinen eine hohe Bedeutung bei. Dieser Aspekt ist bei der Implementierung von Hilfeangeboten und Behandlungsmöglichkeiten, die an die LVR-Klinik Bonn assoziiert sind, systematisch zu berücksichtigen durch den Einbezug von Arbeitskreisen in der Jugendhilfe, Qualitätszirkeln mit den niedergelassenen Vertragsärzten und anderen Informationsmöglichkeiten. 4. Ausblick und Planung Neben den bestehenden individuellen Behandlungsmöglichkeiten in den verschiedenen Fachabteilungen der LVR-Klinik Bonn ist beabsichtigt, die neue Chefärztin/den neuen Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie mit der Erstellung eines Konzeptes und Einleitung der Umsetzung zu medizinischen Behandlungsmaßnahmen mit Kooperation und Integration der nichtmedizinischen Hilfsangebote sowie Unterstützungs- und Kontrollmaßnahmen zu beauftragen. Das bereits in Anwendung befindliche Konzept der Kolleginnen und Kollegen in Bedburg-Hau ist hier eine wichtige Orientierung und Richtschnur. Aufgrund der spezifischen Möglichkeiten in Bonn wird eine unmittelbare Abstimmung insbesondere für den Kleinkindbereich, der überwiegend von Kinder- und Jugendärzten betreut wird und damit im Kinderneurologischen Zentrum die entsprechende Expertise vorfindet, vorgenommen werden. Erste Ergebnisse werden voraussichtlich Mitte 2011 im Krankenhausausschuss vorzustellen sein. Für die Betriebsleitung: Der Ärztliche Direktor (komm.) P r o f. D r. B i n i e k