Bildungsjargon bei Ödön von Horvath

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Der Bildungsjargon bei Ödön von Horváth
Verfasserin: Viktoria Klesl
Matrikelnummer: a1200499
Studienkennzahl: A 033 617
E-Mail: [email protected]
Einführende Übung Sprache - Sprachkritik
Sommersemester 2013
bei: ao. Univ.-Prof. Dr. Richard Schrodt
Wien, am 4. Juni 2013
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2
1.1Abstract
2
2 Der Bildungsjargon
2
3 Resümee und Zusammenfassung
7
4 Literaturverzeichnis
9
1
1. Einleitung
In Dramen von Edmund Josef von Horváth, besser bekannt als Ödön von Horváth, einem
österreichisch-ungarischen Schriftsteller, haben vor allem die Sprache und die damit
verbundenen Kommunikationssituationen eine große Bedeutung.
Horváth selbst betonte immer wieder, dass in seinen Stücken die dramatischen Effekte nicht
etwa durch die äußere Handlung, sondern durch die Sprache herbei geführt werden. Wir, die
Leser und Zuschauer, sind daher verpflichtet dem Prozess des Dialoges und den damit
verbunden Folgen und Geschehnissen eine große Aufmerksamkeit zu schenken. Die Figuren
in den Theaterstücken Ödön von Horváths wandeln sich in jedem Dialog, welchen er selbst
als Kampf zwischen dem Bewussten und Unterbewussten sieht.1
Charakteristisch für die Dramen des Anfang des 20. Jahrhundert lebenden Autors ist der
sogenannte Bildungsjargon, auf welchen ich in dieser vorliegenden Arbeit nun eingehen
möchte. Als Grundlage hierfür dienten mir Horváths Werke ‚Geschichten aus dem Wiener
Wald‘ und ‚Kasimir und Karoline‘, in welchen diese sprachliche Eigenheit sehr deutlich wird
und eine erhebliche Bedeutung für das Stück hat.
1.1 Abstract
In this paper, I’m going to write about the typical communication situation in the plays of the
author Ödön von Horváth. He is famous for a special language in his dramas, which is called
‘Bildungsjargon’. I read two plays of Horváth and on the basis of this I am going to analyze
this particular kind of language of Horváth in this paper.
2. Der Bildungsjargon
>> Es hat sich nun durch das Kleinbürgertum eine Zersetzung der eigentlichen Dialekte
gebildet, nämlich durch den Bildungsjargon. Um einen heutigen Menschen realistisch
schildern zu können, muß ich also den Bildungsjargon sprechen lassen. Der Bildungsjargon
(und seine Ursachen) fordert aber natürlich zur Kritik heraus. <<2
1
Vgl. Bartsch, Kurt (1976): Scheitern im Gespräch. Beobachtungen zu typischen Kommunikationssituationen in
Horváths Volksstücken. In: Horváth-Diskussionen. Kronberg/Ts.: Scriptor Verlag GmbH & Co KG, S. 38
2
Von Horváth, Ödön (1972): Gebrauchsanweisungen. In: Ödön von Horváth: Kasimir und Karoline. Frankfurt
am Main: Suhrkamp Verlag
2
Aus diesem Zitat können wir ableiten, dass Öden von Horváth das Volk ganz allgemein als
Kleinbürgertum bezeichnet und es mit damit gleichsetzt. Es sind nicht nur die niederen
Beamten und kleinen Geschäftsleute der Zwischenkriegszeit, welche hier von Horváth als
Kleinbürgertum
gesehen
werden,
sondern
auch
Personen
aus
heterogenen
Gesellschaftsschichten, wie verarmte und heruntergekommene Adelige oder auch das
aufstrebende Proletariat, welches sich an den Normen und Wertmaßstäben des Bürgertums
orientiert. Die Menschen des genannten Kleinbürgertums wollen durch ihre Sprache und
deren Gebrauch oft einen höheren Status vortäuschen und dadurch einen sozialen Abstieg
oder einen nicht errungenen Aufstieg kaschieren. Diese spezielle Ausprägung der Sprache des
Kleinbürgertums wird von Öden von Horváth als Bildungsjargon bezeichnet.
Der Bildungsjargon verzerrt die Realität und bedient sich an sogenannten vorgeformten
Sprachmaterialien, wie Klischees, Zitaten und Schlagwörtern.3 Solche vorgeformten
Sprachmaterialen jedoch sind meist situationsfremd und sagen nur etwas Allgemeingültiges
aus. Sie dienen also nicht zur Lösung eines konkreten Problems.
Ein Beispiel hierfür bietet die Äußerung von Kasimir in der 70. Szene im Werk ‚Kasimir und
Karoline‘. Kasimir möchte sein Empfinden über das Verschwinden von Karoline mit einem
Zitat von Schiller ausdrücken, jedoch ist diese Zitat wenig aussagekräftig für das, was er in
diesem Moment wirklich zu fühlen scheint.
69. Szene
KASIMIR hält nun eine Rede an die ferne Karoline: Fräulein Karoline. Du mußt keineswegs
hergehen, weil es halt jetzt ganz aus ist mit unseren Beziehungen, auch mit den
menschlichen. Du kannst ja auch nichts dafür, dafür kann ja nur meine Arbeitslosigkeit
etwas und das ist nur logisch, du Schlampen du elendiger! Aber wenn ich jetzt dem
Merkl Franz folgen täte, dann wärest aber nur du daran schuld – weil ich jetzt innerlich
leer bin. Du hast in mir drinnen gewohnt und bist aber seit heute ausgezogen aus mir –
und jetzt stehe ich da wie das Rohr im Winde und kann mich nirgends anhalten – Er setzt
sich.
70. Szene
Stille.
DER MERKL FRANZ: Also?
3
Vgl. Bartsch, Kurt, S. 40
3
KASIMIR: Leergebrannt ist die Stätte.
Ebenso erleben wir in einer vorangegangenen Szene wie Karoline Schürzinger, ihrer soeben
gemachten Bekanntschaft, widerspricht als dieser vom automatischen Verlassen eines
arbeitslosen Partners spricht. Nach einer kurzen Pause fügt sie jedoch ein ‚könnt ich mir
schon vorstellen‘ an. Hier wird deutlich, dass das zuvor Gesagte also gar nichts mit ihrer
eigenen und wahren Meinung zu tun hat.
4. Szene
[…]
SCHÜRZINGER: Sie werden mich schon gleich verstehen. Nehmen wir an, Sie lieben einen
Mann. Und nehmen wir weiter an, dieser Mann wird nun arbeitslos. Dann läßt die Liebe
nach, und zwar automatisch.
KAROLINE: Also das glaub ich nicht!
SCHÜRZINGER: Bestimmt!
KAROLINE: Oh nein! Wenn es dem Manne schlecht geht, dann hängt das wertvolle Weib
nur noch intensiver an ihm - - könnt ich mir schon vorstellen.
SCHÜRZINGER: Ich nicht.
Stille.
[…]
Dass es sich oft nur um vorgefertigte Ausdrücke und nicht um das wirklich Gefühlte und
Gedachte der Personen handelt, wird in der 52. Szene anhand von Karolines Ausspruch, sie
denke ja nicht, sondern sage es nur, dann noch überdeutlich.
52. Szene
KAROLINE: Wie willst du das verstanden haben, daß du nicht angeregt bist?
SCHÜRZINGER: Aber das war doch nur eine momentane Taktik.
4
KAROLINE: Ich höre dich schon gehen. Du bist also ein berechnender Mensch. Auch in der
Liebe?
SCHÜRZINGER: Nein das ist ein krasses Mißverständnis, was du da nämlich jetzt denkst.
KAROLINE: Ich denke ja garnichts, ich sage es ja nur.
Auch im Stück ‚Geschichten aus dem Wiener Wald‘ trumpfen die Personen mit
Allerweltsweisheiten von Zitaten und Sprichwörtern auf, wie ein Auszug am Ende des
Stückes zeigt. Es ist die Szene in der Alfred sich mit Marianne versöhnen möchte, diese es
jedoch ablehnt.
VALERIE: Mariann! Hier wird jetzt versöhnt!
MARIANNE deutet auf Alfred: Aber nicht mit dem!
VALERIE: Auch mit dem! Alles oder nichts! Auch das ist doch nur ein Mensch!
ALFRED: Ich danke dir.
MARIANNE: Gestern hast du noch gesagt, daß er ein gemeines Tier ist.
VALERIE: Gestern war gestern, und heut ist heut, und außerdem kümmer dich um deine
Privatangelegenheiten.
ALFRED: Nur wer sich wandelt, bleibt mit mir verwandt.
OSKAR zu Marianne:
Denn so lang du dies nicht hast
Dieses Stirb und Werde!
Bist du noch ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde!
MARIANNE grinst: Gott, seid ihr gebildet –
OSKAR: Das sind doch nur Kalendersprüch!
Solche Goethe-Zitate, wie jenes von Oskar, welches er nach dem Zitat Alfreds erwähnt,
werden als Kalendersprüche gesehen und sind ebenfalls charakteristisch für den
5
Bildungsjargon bei Ödön von Horváth. Mit diesen wird „der Gegner zum Schweigen
gebracht“ und sie sind Mittel „pure Selbstsucht ins allgemein Menschliche zu stilisieren.“ 4
Ebenfalls typisch für die Sprache bei Horváth ist eine häufig ordinäre Ausdrucksweise. Die
Personen stecken in ihrer Art zu sprechen fest. Sie sind sozusagen gezwungen sich auf diese
Art auszudrücken und oft reagieren sie sich dann durch Kraftausdrücke oder Beschimpfungen
ab. Es ist sozusagen ein „Reflex der Erniedrigung, aus der das gefangene Bewusstsein nicht
herausfindet.“5
Im Bezug auf den Begriff Bildungsjargon liest man auch immer wieder den Ausdruck
Ersatzsprache. Ersatzsprache insofern, weil in Horváths Dramen die Personen immer wieder
auf diese Art des Sprechens zurückgreifen, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, ihren
Problemen Ausdruck zu verleihen. Nämlich insofern nicht in der Lage, da dies ihren
Bildungs-, Erfahrungs- und Erlebnishorizont übersteigen würde. Es fehlt ihnen an der nötigen
Sprachkompetenz. „Das Nicht-Bewusstsein, welches sich im Bildungsjargon manifestiert,
leistet
Sichtbarmachung von Differenzen zwischen Wirklichkeit
und sprachlicher
Bewusstseinsäußerung.“6
Ein weiteres Beispiel aus ‚Kasimir und Karoline‘, in welchem deutlich wird, dass das Gesagte
nicht mit dem Gefühlten übereinstimmt finden wir in der 11. Szene.
11. Szene
Karoline kreischt nun droben auf der abwärtssausenden Achterbahn.
KASIMIR starrt empor: Fahre wohl, Fräulein Karoline! Daß dir nur nichts passiert. Daß du
dir nur ja nicht das Genick verrenkst. Das wünscht dir jetzt dein Kasimir.
Diese Äußerung von Kasimir lässt uns vermuten, dass er hier wohl genau das Gegenteil von
dem, was er sagt, fühlt. In diesem Ausschnitt wird auch ganz klar ersichtlich, was Horváth mit
den Kampf des Bewussten und Unterbewussten meint, welchen ich zu Beginn in der
Einleitung erwähnte.
4
Doppler, Alfred (1975): Dramaturgisches Geschehen als sprachliches Arrangement. Ödön von Horváths
Volksstück ‚Geschichten im Wiener Wald‘. In: Ders.: Wirklichkeit im Spiegel der Sprache. Wien: Europaverlag,
S. 166
5
Doppler, Alfred, S. 166
6
Bartsch, Kurt, S. 40
6
Horváth betont, dass die Personen in seinen Dramen nur vereinzelt und unvorhergesehen im
Dialekt sprechen, jedoch hochdeutsch klingen. Sie klingen wie jemand der sonst nur Dialekt
spricht und sich zwingen muss, hochdeutsch zu sprechen. Dies ruft immer wieder eine
ironisch-verfremdende Wirkung hervor und man wird darauf hingewiesen, dass die Art und
Weise des Sprechens Ausdruck der Figuren ist, deutlich zu machen, dass man eigentlich zu
Besserem geboren wäre. Der Weg den die Personen in den Dramen Ödön von Horváths also
vom Dialekt zu Hochsprache zeigen, soll ihr persönlicher Weg des sozialen Aufstiegs sein.
Zusammenfassend kann man sagen, dass der Bildungsjargon, wie ganz zu Beginn im Zitat
schon zu lesen war, ein Zersetzungsprodukt des alten Dialekts und zum anderen ein Produkt
der Kultur, über die man verfügen möchte und so zu sozialem Aufstieg gelangt, darstellt.7
Der Bildungsjargon ist aber ganz klar nicht nur ein Mittel der Darstellung, sondern auch eines
der Kritik und Satire. Die sprachliche Rechtfertigung diverser Handlungsmotive richtet sich
immer wieder gegen den Sprecher selbst und lässt dadurch eine Struktur entstehen, durch
welche man Sinnzusammenhänge aufdeckt und Erkenntnismöglichkeiten anbietet. Das ist
auch der Grund, warum man Ödön von Horváth vorwirft, er zeige nur das Dunkle und
Hässliche der Menschen. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass Horváth nicht das Leben,
sondern ausschließlich die Zustände der damaligen Gesellschaft und das Verhalten der
Personen der damaligen Zeit zeigt.8
3. Resümee und Zusammenfassung
In den Dramen Öden von Horváths bieten sich einen Missverständnisse oft geradezu an. Nur
selten haben wir es mit Szenen zu tun, welche sich zweifelsfrei interpretieren lassen und
grundsätzlich hat man bei Horváth wohl eher wenig zu lachen. Man wird oft mit Situationen
purer Ausweglosigkeit konfrontiert und das Scheitern der Personen steht im Mittelpunkt. Oft
hängt jedoch genau dieses Scheitern mit der fehlenden oder gestörten Kommunikation
zusammen. Dies hat sich für mich beim Lesen der beiden Werke ‚Kasimir und Karoline‘ und
‚Geschichten aus dem Wiener Wald‘ als äußerst interessant erwiesen und mich dazu angeregt,
mich mit der Sprache in Horváths Werken, nämlich dem beschriebenen Bildungsjargon, näher
auseinanderzusetzten.
7
Vgl. Doppler, Alfred, S. 165
8 Vgl. Doppler, Alfred, S.167
7
Die Art und Weise in welcher die Bühnenfiguren sich artikulieren und welche Auswirkungen
dies für den gesamten Verlauf einer Geschichte haben kann, ist charakteristisch für Ödön von
Horváth und es ist definitiv die Sprache, die er verwendet, welche ihn unverwechselbar
macht. Für ihn werden die Menschen durch die Sprache lebendig. Die Kleinbürger, welche
für ihn damals den ‚heutigen Menschen‘ verkörperten, und deren Darstellung bedeutet, so
Horváth selbst, die Darstellung des Sprechens als Bildungsjargon. Begreift man also was der
Bildungsjargon ist, so begreift man auch wie die Menschen sind.9
9
Arntzen, Helmut (1983): Zur Sprache kommen. Studien zur Literatur- und Sprachreflexion, zur deutschen
Literatur und zum öffentlichen Sprachgebrauch. Münster: Aschendorff Münster, S. 185
8
4. Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Von Horváth, Ödön (1988): Geschichten aus dem Wienerwald, 1. Auflage, 2. [2. Dr.],
Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag
Von Horváth, Ödön (1972): Kasimir und Karoline, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag
Sekundärliteratur
Arntzen, Helmut (1983): Zur Sprache kommen. Studien zur Literatur- und
Sprachreflexion, zur deutschen Literatur und zum öffentlichen Sprachgebrauch. Münster:
Aschendorff Münster
Bartsch, Kurt (1976): Scheitern im Gespräch. Beobachtungen zu typischen
Kommunikationssituationen in Horváths Volksstücken. In: Horváth-Diskussion. Hrsg. v.
Kurt Bartsch, Uwe Baur u. Dietmar Goltschnigg. Kronberg/Ts: Scriptor Verlag GmbH, S.
38 – 54.
Doppler, Alfred (1975): Dramaturgisches Geschehen als sprachliches Arrangement. Ödön
von Horváths Volksstück "Geschichten aus dem Wiener Wald". In: Ders.: Wirklichkeit im
Spiegel der Sprache. Wien: Europaverlag, S. 150 – 171.
9
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