Christliche Identität in Europa belehren: Interpersonale Beziehungen als Schlüssel zur Gerechtigkeit, Fürsorge und Vergebung Frau Professorin Kirsi Tirri Universität Helsinki Finnland Theoretisher Rahmen Gerechtigkeitsorientiertes moralisches Denken Die Mehrheit von Forschungen im Bereich der moralischen Entwicklung basieren ihre Theorien auf der kognitiven Entwicklungstheorie von Lawrence Kohlberg (z.B. 1969). Im traditionellen Interview wird der Protagonist vor hypothetischen moralischen Dilemmata mithilfe einer Reihe von Fragen gestellt. Die Antworten zu diesen Fragen werden analyziert, um die Stufe des moralischen Denkens des Protagonisten zu bestimmen. Kohlberg zufolge ist das moralische Denken von Natur aus deduktiv und wendet also allgemeine Ansätze auf Einzelfällen an. Diese Art von moralischem Denken wird oft als gerechtigkeitsorientiertes moralisches Denken beschrieben. Die Ethik der Gerechtigkeit betont Pflichte, Beachtung der Regeln und moralische Urteile, und sie verfügt über ein nicht-situiertes Ich. Die Dilemmata von Kohlberg spiegeln diese Art von präskriptivem, universalizierbarem Urteil, das von einem unparteiischen Akteur gefällt wird, wider (Strike, 1999, 21-36). Ein Aspekt der kritisierten Methoden von Kohlberg ist die Mangel an Vielfalt von in den Interviews angewendeten moralischen Dilemmata (Yussen, 1977). Die hypothetischen Dilemmata können auch als zu abstract und entfernt von den täglichen Erlebnissen der meisten Menschen betrachtet worden sein (Straughan, 1975). Auerdem heben die Dilemmata zwischenmenschliche Konflikte nicht hervor (Colangelo, 1982, 231). Das Erkennen dieser Aspekte von hypothetischen Dilemmata hat die Erziehungswissenschaftler geführt, die von Menschen identifizierten Probleme des Real-Lebens zu forschen (Walker et al.,1987). Kohlberg hat seine Theorie und deren verborgenen Annahmen durch Darstellung der kulturüberschreitenden und geschlechtsneutralen Anwendbarkeit der Theorie verteidigt. Er hat ebenso argumentiert, dass die Inhalte der Dilemmata Erwägungen sowohl über Gerechtigkeit als auch über Fürsorge hervorrufen (Kohlberg, 1984; Schrader, 1999). Die Studien in diesem Bereich zeigen, dass die Jugendliche Dilemmata formulieren, die sehr verschieden von den hypothetischen Dilemmata Kohlbergs und seiner Kollegen zur Beurteilung des moralischen Denkens sind (Tirri, 1996). Die Mehrheit von Kohlbergs Dilemmata konzentrieren sich auf Fragen des Eigentums, des Allgemeinwohls und auf Fragen von Leben und Sterben. Die üblichsten sozialen Beziehungen in diesen Dilemmata sind Familienbeziehungen und Beziehungen zu Autoritäten. Die moralischen Probleme des Real-Lebens bei Jugendlichen enthalten Konflikte zwischen Freunden. Andere Themen haben mit Ehrlichkeit und Peerdruck zu tun (Yussen, 1977; Colangelo, 1982; Binfet, 1995; Tirri, 1996). Der Kontext des Reallebens lädt Menschen ein, sowohl über Gerechtigkeit als auch über Fürsorge in ihren Erwägungen über Dilemmata nachzudenken. Die Individuen unterscheiden sich jedoch in ihren Fähigkeiten, zwei verschiedenen Weisen von Erwägung der moralischen Fragen zu integrieren. Oft wird eine Orientierung dominierend oder die zwei Orientierungen werden parallel benutzt, je nach dem jeweiligen moralischen Konflikt (Schrader, 1999). Fürsorgeorientiertes moralisches Denken 1 Zusätzlich zum gerechtigkeitsorientierten Denken setzt die moralische Sensitivität in den menschlischen Beziehungen Empathie und Fürsorge voraus (Gilligan & Attanucci, 1988; Noddings, 1992). Die Fürsorge zielt auf persönliche Beziehungen, in denen gerade die Fürsorge und die Beziehungen sehr hochgeschätzt werden. Die Ethik der Fürsorge berührt das partikularistische Denken über realen Situationen, mit denen das Ich untrennbar verbunden ist (Schrader, 1999). Die Natur der moralischen Dilemmata mag unterschiedliche moralische Orientierungen hervorrufen. Laut Schrader fördern die Beziehungsdilemmata das moralische Konzept von Fürsorge und Reaktion, während die Dilemmata bezüglich des Betrügens/Stehlens das moralische Konzept von Gerechtigkeit unterstützen. Die Motivation scheint die hauptsächliche Erklärung zur moralischen Orientierung eines moralischen Akteures zu sein. Die Studien über das moralische Denken bei Hochschulstudierenden haben gezeigt, dass die Studenten beide Gerechtigkeit und Fürsorge in ihrem moralischen Denken üben. Häufig jedoch war die hauptsächliche Motivation zu Handlungsentscheidungen in den moralischen Dilemmata alles Mögliche zu tun, um das Ziel zu erreichen (Schrader, 1999, 37–55). Die moralischen Handlungen benötigen mehr als kognitive und affektive Komponenten des moralischen Denkens. Wir müssen zum moralischen Handeln motiviert sein, um Gerechtigkeit und Fürsorge in unserem Verhalten zu üben. Hoffman argumentiert, dass die Motivation zum moralischen Handeln sich auf unserer Fähigkeit, uns in andere einzufühlen, basiert. Auf der höchsten Ebene der Empathie sollten wir fähig sein, uns in der Lage einer anderen Person hineinzuversetzen und ihre Gefühle und ihr Lebenssituation zu verstehen (Hoffman, 1991, 275– 276). Selman hat argumentiert, dass Kinder im Verlauf der Schuljahren progressiv bewusster von den Subtilitäten der interpersonalen Beziehungen werden. In der Adoleszenz werden Kinder fähig, sich eine einigermaen unparteiische und analytische Anschauung über ihr Verhalten sowie über das Verhalten von anderen zu bilden. Laut Selman mitwirkt die Fähigkeit der Kinder, die Gefühle der anderen zu verstehen, nicht nur an den Kompetenzen in den Beziehungen mit den Peers aber auch an der moralischen Entwicklung. Kinder, die die Subtilitäten des Verhaltens und der Gefühle ihrer Peers verstehen, sind in der Lage, sich tiefer in sie hineinzuversetzen. Die Studenten, die die jeweilige Situation aus einer Drittpersonperspektive betrachten können, können mit groer Wahrscheinlichkeit ihr eigenes Verhalten und dasjenige von anderen beurteilen, wenn sie sich in einer auf gemeinsamen Regeln basierenden Interaktion engagieren. Auerdem darf die Fähigkeit, eine sensitive und umfassende Anschauung über Situationen zu bilden, zu einer reiferen Analyse über moralischen Dilemmata führen (Selman, 1976). Emotionale und geistliche Intelligenz – Schlüssel zu interpersonalen Beziehungen? Moralische Konflikte in interpersonalen Beziehungen laden uns ein, sowohl das gerechtigkeitsorientierte als auch das fürsorgeorientierte moralische Denken anzuwenden. Neue Konzepte, die im Kontext von interpersonalen Beziehungen diskutiert werden müssen, inkludieren die emotionale und die geistliche Intelligenz. Daniel Goleman behauptet, dass eine neue Art von Intelligenz – emotionale Intelligenz – uns Bewusstheit unserer Gefühle und der Gefühle von anderen gibt. Sie gibt uns Empathie, Mitgefühl, Motivation und die Fähigkeit, korrekt auf Leid oder Freude zu reagieren. Goleman hat darauf hingewiesen, dass EQ eine grundlegende Voraussetzung für die effektive Anwendung von IQ ist. Falls der Gehirnbereich, mit dem wir fühlen, geschädigt wird, denken wir weniger effektiv (Goleman, 1995). Die Empathie und die Kompetenz, eigene Rolle zu finden, sind sehr wichtige Aspekte des EQ, und alle diese Fähigkeiten sind nötig für die Annahme der fürsorgeorientierten moralischen Beurteilung. Zohar und Marshall (2000) haben eine dritte Art von Intelligenz eingeführt: die geistliche Intelligenz. Nach Zohar und Marshall hilft SQ uns die bedeutendste Verhandlungsweise bedenken. Mit SQ bearbeiten und lösen wir Probleme der Würde und Wert. Zohar und Marshall behaupten, dass SQ die erforderliche Grundlage für die 2 effektive Funktion sowohl von IQ als auch von EQ ist. SQ ist unsere grundlegende Intelligenz (Zohar & Marshall, 2000). Der Unterschied zwischen EQ und SQ besteht in der konkreten Situation, in der sie angewendet werden. Die emotionale Intelligenz ermöglicht uns zu beurteilen, in was für einer Situation wir uns befinden und danach der entsprechend korrekt zu handeln. Dies bedeutet das Handeln innerhalb der Grenzen der Situation, wobei wir die Situation uns führen lassen. Die geistliche Intelligenz erlaubt uns zu fragen, ob wir uns in dieser bestimmten Situation überhaupt befinden wollen. Würden wir lieber die Situation verändern und eine bessere schaffen? Dies bedeutet das Handeln innerhalb der Grenzen unserer Situation, wobei wir die Situation leiten. In interpersonalen Konflikten brauchen wir beide von diesen Intelligenzen, um ein einheitliches Bild von der Situation zu machen und die für eine bessere Situation erforderlichen Handlungen zu bestimmen. Die moralische Entwicklung der Vergebung Obwohl die Philosophen sich mit den differenziellen Vorteilen der Gerechtigkeit und der Gnade seit Jahrhunderten beschäftigen, betonen die Psychologieforscher die Gerechtigkeit. Die Vergebung kann als eine spezifische Anwendung von Gnade in interpersonalen Beziehungen gesehen werden. Enright definiert Vergebung als Verzichten auf den negativen Affekt und auf das Urteil durch Betrachten des Übeltäters mit Empathie und Liebe, trotz der groen Ungerechtigkeit des Übeltäters (Enright, 1991). Laut Enright kann Vergebung eine effektive Problemlösungsstrategie für das Auslassen der eigenen Wut und für das sich wieder Anschlien an anderen sein. Die interpersonale Vergebung in der Christlichkeit bedeutet, dass man dem/der Übeltäter/in verzeihen soll, unabhängig davon, ob er/sie bereut oder nicht. In dieser Hinsicht zeigt der/die Vergebende Agape durch ein bedingungsloses Hineinziehen des anderen in Liebe. Ein/e Christ/in soll die Zahl der Vergebungen nicht begrenzen (Matthew 18:21). In diesem Prozess werden beiden, dem/der Übeltäter/in und dem/der Verzeihende das Gefühl des Friedens wiederhergestellt. Die Vergebung ist möglich nur, wenn eine Person zuerst das Gerechtigkeitsgefühl besitzt. Man kann kein tiefes Gefühl des moralischen Schadens ohne Gerechtigkeitsgefühl empfinden. Empirischen Studien gemä weist dies darauf hin, dass Kinder sogar schon im Alter von 4 oder 5 Jahren mögen verzeihen bedürfen (Enright, 1991, 128). Enright gesteht jedoch, dass die Vergebung jemandem nie gezwungen werden sollte. Die Vergebung geht über die Pflichte hinaus und sie ist ein Ausdruck von Agape, in dem Individuen sich in einer liebevollen, beiderseitigen Unterstützung vereinigt worden sind. Wenn wir nach der gerechteste Lösung für ein Problem fragen, kommt die Vergebung nie zum Vorschein. Wenn wir über die Vergebung nachdenken, geben wir die Suche nach der gerechten Lösung auf. Statt dessen versuchen wir eine mitfühlende oder für unsere emotionale und geistliche Gesundheit günstige Lösung, oder sogar die für unsere Beziehungen günstigste Lösung zu finden. Man wird mit höher Wahrscheinlichkeit die Vergebung bedenken, wenn es eine Motivation dazu gibt. Einige Kulturen oder Subkulturen sehen die Vergebung nicht als akzeptable Konfliktlösungsstrategie für bestimmten Schaden an. Gleicherweise können Familien, Freunde und gesellschaftliche Gruppen durch ihre Ermunterung zur Vergebung die Motivation bestärken. Ebenso kann die religiöse Erziehung die Motivation zum Vergeben erhöhen. Diejenigen, die über Vergebung belehrt sind und die die Vergebung verstehen, sind vielleicht bereiter, sie als eine primäre Problemlösungsstrategie zu berücksichtigen (Enright, 1991, 142). Empirische Ergebnisse Moralische Anliegen und Orientierungen der Schüler der sechsten und neunten Klasse 3 In einer Studie über die moralischen Anliegen und Orientierungen der Finnischen Jugendliche waren ein Hundert Schüler der sechsten Klasse (12 bis 13 Jahre) und vierundneunzig Schüler der neunten Klasse (14 bis 15 Jahre) von vier finnischen Schulen ersucht, einen Aufsatz über einen moralischen Konflikt zu schreiben, an dem sie oder ihre Freunde in ihrer Schule beteiligt gewesen waren (Tirri, 2003). Die Schüler hatten dreizig Minuten, um einen Aufsatz mit einem realistischen, moralischen Problem zu schreiben. Die Themen der Konflikte in Schulen, wie identifiziert von den Schülern, konzentrierten sich auf die folgenden Hauptkategorien: Schikanieren, Peerbeziehungen, Verhalten der Lehrer, Verhalten der Erwachsenen und gemeinsame Regeln. Das Schikanieren war ein sehr übliches Thema in den Konflikten, die von sowohl der Sechst- als auch der Neuntklässern beschrieben wurden. Bei den Sechstklässern waren über 50 % der geschriebenen Aufsätze über dieses Thema. In einer früheren Forschung von Yussen (1977) schrieben gleichaltrigen amerikanischen Studenten Aufsätze über die physische Sicherheit weniger als über Themen über Peerbeziehungen. In der vorliegenden Studie wurde die Yussens Kategorie der physischen Sicherheit erweitert, alle Arten von quälendem Verhalten in der Schule zu umfassen. Eine Subkategorie besteht aus Aufsätzen über das Schikanieren auerhalb der Schule. Weiter wurden alle Sorten von Vorurteilen hinsichtlich der Nationalität oder Rasse in diese Kategorie aufgenommen. Die Faktoren, die das Schikanieren in den Aufsätzen provozierten, waren häufig mit dem physischen Aussehen des Opfers verbunden. In einigen Aufsätzen kam der Rassismus als die Ursache des Schikanierens zum Vorschein. Interessanterweise waren alle diese Aufsätze von Mädchen geschrieben. Mädchen haben möglicherweise eine besser entwickelte Fähigkeit als die Jungen, und es scheint den Mädchen leichter zu sein, sich in die Rolle eines anderen hineinzuversetzen, auch wenn die andere Person aus einer anderen ethnischen Gruppe stammt. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass es am leichtesten fällt, Empathie für Menschen zu haben, die gleichartig wie man selber sind. In der Entwickling der Empathie wird die höchste Stufe erreicht, wenn eine Person fähig ist, sich in allerlei Menschen einfühlen (Hoffman, 1991, 278–279). Das folgende Zitat veranschaulicht die Fähigkeit der Mädchen, sich in eine Person einzufühlen, die sehr anders ist: ”Wir hatten in unserer Klasse einen Sinti und Roma Junge, dessen Name Hate war. Er war ziemlich dick aber sehr nett. Die Jungen schikanierten ihn immer, aber er war trotzdem sehr froh die ganze Zeit. Er gab den anderen Jungen Aufkleber und hoffte Freundschaft mit denen zu schlieen. Er konnte nichts dazu, dass er Sinti und Roma und noch ein bichen dick war. Die Mädchen waren freundlich zu ihm und viel netter als die Jungen waren. Ich glaube, dass die Mädchen sich in seine Rolle hineinversetzen konnten und verstanden, dass es nicht angenehm ist, schikaniert zu werden.” (Sechstklässerin) Verhalten der Lehrer. Die von Neuntklässikern am häufigsten genannten moralischen Konflikte in den Schulen waren Konflikte, die mit dem Verhalten der Lehrer verbunden waren. Mehr als 50 % ihrer Aufsätze beschäftigten sich mit irgendeinem unrechten Verhalten seitens der Lehrer. Die Lehrer hatten Kinder auf ungerechter Weise bestraft; sie waren parteiisch für die begabten Schüler; oder sie wandten unhöffliche Sprache in ihrer Kommunikation mit den Kindern an. Das folgende Zitat erläutert gut die Natur der moralischen Konflikte, die mit dem Verhalten der Lehrer verbundenen waren: ”Ein Junge aus unserer Klasse war abwesend gewesen und er hatte die Erklärung dafür von seinen Eltern bringen vergessen. Die Lehrerin war wirklich böse auf den Jungen weil er die Erklätrung zu Hause gelassen hatte. Sie schrie: ”Du bist ein Dummkopf!” Der Junge versuchte sich zu verteidigen, aber die Lehrerin setzte fort und fragte die anderen Schüler nach ihrer Meinung über diesen Jungen: ”Denkt ihr nicht, dass ich 4 eine Person Dummkopf nennen darf, wenn sie dieselbe Sache immer wieder vergisst?” Die anderen Schüler traten für den Jungen ein, aber sie sagten nichts. Die Affäre endete so, und ich denke, dass die Lehrerin zu weit ging. Sie hätte den Jungen ein wenig tadeln können, aber nicht auf dieser Weise!” (Neuntklässer) Wie beschrieben von dem Neuntklässer, die Lehrerin hatte im genannten Fall unhöfliche Sprache angewendet, um das Verhalten eines bestimmen Schülers, der seine Abwesenheitserklärung vergessen hatte, zu kontrollieren. Der Autor des Aufsatzes betrachtete das Verhalten des Lehrers als gemein und ungerecht. Interessant ist, dass die Schüler der sechsten Klasse mehr Konflikte hinsichtlich des Verhalten der Erwachsenen als der Lehrer angaben. Die Peerbeziehungen und das Verhalten der Lehrer waren weniger übliche moralische Konflikte in den Aufsätzen der Sechstklässer. Peerbeziehungen wiesen auf Konflikte über Freundschaften und interpersonales gesellschaftliches Verhalten hin. Dieses Thema war ein typisches Anliegen der Sechstklässerinnen. In unserer früheren Forschung wurde festgestellt, dass an der sechsten Klasse das wichtigste moralische Dilemma bei sowohl durschschnittlichen als auch akademisch begabten Schülerpopulationen Peerbeziehungen war (Tirri, 1996). In dieser Studie beschäftigten sich elf Sechstklässerinnen mit interpersonalen, moralischen Konflikten, und sie alle waren also Mädchen. In den Daten über die neuente Klasse befassten sich nur sechs Aufsätze mit Peerbeziehungen. In unserer Studie enthalten die Peerbeziehungen drei hauptsächliche Subkategorien: Wahl der Freunde, Beschützen der Schwachen und Peerdruck. Ein gemeinsamer Faktor in diesen Kategorien war das Bedenken des Protagonisten über die mögliche Effekt der Lösung auf seine Peerbeziehungen. In den Aufsätzen der Mädchen befasste der moralische Konflikt sich am öftesten mit der Wahl der Freunde. Die Konflikte tauchten wegen früherer Vereinbarungen, Freunde zu sein, und wegen neuer Freundschaften auf. In den Aufsätzen der Mädchen kann man einen Bedarf für eine beste Freundin und gleichzeitig einen Wunsch nach anderen sozialen Beziehungen feststellen. Im folgenden Zitat kann man eine typische Situation mit solchen Konflikten mit der besten Freundin erkennen. “Ich war allein an der Pause. Ich bin an der sechsten Klasse und habe blonde Haare. Gestern war ich mit Liisa, aber heute war Liisa mit Katri. Liisa sagte mir unfreundlich, dass sie nicht immer mit mir sein kann. Zum Glück war der Tag bald zu Ende. Am folgenden Tag kam Liisa zu mir und fragte mich, ihre Freundin zu sein. Ich war nicht sicher, was ich machen sollte—sie war gestern so unfreundlich gewesen. Zum Schluss sagte ich, dass ich lieber allein wäre. Liisa war böse und wendete sich von mir ab, und ich war nicht sicher, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Es war zu spät, meine Worten zurückzuziehen, und später war ich zufrieden mit meiner Entscheidung, weil ich nicht nur dann mit ihr sein wollte, wenn sie darum bat, sondern auch wenn ich darum bat.” (Sechstklässerin) Verhalten der Erwachsene. Die Konflikte, die mit dem Verhalten der Erwachsenen auer Lehrer verknüpft sind, umfassten Dilemmata mit Fuballtrainern und Erwachsenen in der Umgebung. Sechstklässer gaben mehr Konflikte bezüglich des Verhalten der Erwachsene als desjenigen der Lehrer. Das folgende Zitat, geschrieben von einem Sechstklässer, ist ein typischer Aufsatz in dieser Kategorie: “Der Trainer behandelte mich und meinen Freund sehr ungerecht. Er lies uns nicht mehr als ein halbes Spiel von drei spielen. Er meinte, dass es eine kritische Situation die ganze Zeit gewesen sei. Wir fühlen uns sehr schlecht. Es war so unrecht, dieselben Spieler die ganze Zeit spielen lassen. Nach dem Spiel fragten wir den Trainer, warum er 5 uns zum Spielen gefragt hat, wenn er uns nur ein halbes Spiel spielen lies. Ich bin der Meinung, dass er mehr Gerechtigkeit hätte üben sollen, und alle fair spielen lassen.” (Sechstklässer) Gemeinsame Regeln. Die gemeinsamen Regeln umfassten die Regeln im Sport und die verbotenen Sachen in der Schule. Den Neuntklässern gemä war das Rauchen eine der Sachen, in denen es keine uniformen Regeln in den Schulen gab. Die Schüler beschwerten sich darüber, dass bezüglich des Rauchens jede/r Lehrer/in sich unterschiedlich verhielt und verschiedene Regeln befolgte. Das folgende Zitat stellt ein gutes Beispiel von Aufsätzen über gemeinsamen Regeln dar: “Das System in unserer Schule ist sehr ungerecht. Letztes Jahr, wenn du beim Rauchen erwischt wurdest, musstest du zwei Stunden nach der Schule sitzen bleiben. Dieses Jahr kam eine Lehrerin hinter uns in den Wald, in dem eine Gruppe von Schülern rauchten. Einige schüler lieften davon und die Lehrerin erkannte sie, schrieb aber ihre Namen nicht auf. Mein Name war jedoch aufgeschrieben, obwohl ich der Lehrerin erklärte, dass meine Eltern von meinem Rauchen wussten. Sie rief meine Eltern nicht an. Die andere wurden zu Hause angerufen und sie mussten groe Konflikte mit ihren Eltern konfrontieren.” (Neuntklässerin) Wir können eine statistisch bedeutende Veränderung in den Themen der Konflikte von Sechstklässern und Neuntklässern feststellen (F=7.87, p=. 006). An der sechsten Klasse ist das Hauptthema das Schikanieren und an der neunten Klasse das Verhalten der Lehrer. Die Sechstklässer überlegen Peerbeziehungen und Konflikte bezüglich des Verhalten der Erwachsenen. Diese Themen sind nicht mehr hauptsächliche Anliegen der Neuntklässer. Soziale Beziehungen in den Konflikten in der Schule Die sozialen Beziehungen in den Konflikten in der Schule waren den von der Schülern in den Aufsätzen erwähnten Beziehungen zufolge kategorisiert. In den sozialen Beziehungen wurden die folgenden Kategorien gefunden: Lehrer-Schüler, Schüler-Schüler, Schüler-Erwachsener, Schülerjemand anderer. Die Sechstklässer schrieben über Konflikte zwischen zwei Schülern. Sechzig Prozent der Beziehungen befassten sich mit Konflikten zwischen Freunden oder Bekannten. Dieser Trend war derselbe sowohl bei Sechst- als auch Neuntklässern. Die Sechstklässer schrieben mehr (18 %) Aufsätze bezüglich der Konflikte zwischen Schülern und anderen Erwachsenen als Lehrern. Diese Erwachsenen waren Trainers, Eltern und andere Erwachsenen, die mit der Schule zusammenarbeiteten. Die Konflikte zwischen einem/r Lehrer/in und einem/r Schüler/in waren nicht besonders üblich in den Aufsätzen. Nur 15 % der Aufsätze beschrieben einen moralischen Konflikt zwischen einem/r Lehrer/in und einem/r Schüler/in. Sieben Prozent der Aufsätze enthalten einen Konflikt zwischen einem/r Schüler/in und jemandem anderen, der/die nicht den anderen Kategorien entsprach. Der Protagonist, der eine ungerechte Tat beging, war in den 45 % der Aufsätze ein/e Schüler/in, der/die ein/e Bekannte/r war. Der zweithäufigste Protagonist war ein/e Erwachsene/r (18 %), gefolgt von einem/r Lehrer/in (14 %) und einem/r Freund/in (13 %). Das Geschlecht des Protagonisten war in 30 % der Aufsätze nicht angegeben. Mehr als die Hälfte der Schüler schrieben jedoch über einen männlichen Protagonisten und 19 % beschrieben einen weiblichen Protagonisten in ihren Aufsätzen. Die Opfer in den Konflikten war entweder der/die Autor/in selbst oder ein/e Freund/in. Die Sechstklässer schrieben mehr über sich selbst als Opfer (55 %) als über ihre Freunde als Opfer (45 %). In den Aufsätzen der Mädchen war die Opfer beinahe immer weiblich (99 %); in den Aufsätzen der Jungen war die Opfer männlich (99 %). Wir können eine Veränderung in den sozialen 6 Beziehungen in den Konflikten in der neunten Klasse feststellen. Diese Veränderung ist statistisch bemerkenswert (F=22.32, p=. 000). Hier kamen die Konflikte hauptsächlich in den Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern vor. In über 50 % der Aufsätze wurden Konflikte mit Lehrern und Schülern beschrieben. Schüler-Schüler –Beziehungen bilden 38 % der sozialen Beziehungen, und nur einige Konflikte waren mit Beziehungen zwischen einem/r Schüler/in und anderen Erwachsenen oder einem/r Schüler/in und jemandem anderen verbunden. Der Protagonist, der eine ungerechte Tat beging, war in den 50 % der Aufsätze ein/e Lehrer/in. Der zweithäufigste Protagonist war ein/e Bekannte/r (29 %). Die Neuntklässer gaben nur wenige andere Erwachsenen oder Freunde als Protagonisten in ihren Aufsätzen an. Das Geschlecht des Protagonisten war in 70 % der Aufsätze nicht identifiziert. Wir können jedoch annehmen, dass die Lehrer in den Meisten Fällen Frauen waren, weil die Mehrheit der Lehrer in den an unserer Studie beteiligten Schulen Frauen waren. Zudem wurden Frauen häufiger als Männer in den Aufsätzen, die einen Protagonist identifizierten, erwähnt. Die Opfer in den Konflikten war entweder der/die Autor/in selbst oder ein/e Freund/in. Die Jungen der neunten Klasse schrieben zweilmal so viele Aufsätze über sich selbst als Opfer (70 %) als über ihre Freunde als Opfer (30 %). Die Mädchen der neunten Klasse unterschieden sich von den Jungen in dieser Hinsicht. In den Aufsätzen der Mädchen waren die Opfer genauso oft Freunde wie die Autorin selbst. Die Konfliktlösungen in der Schule Die Konfliktlösungen der Schüler in der Schule wurden entsprechend der in den Aufsätzen beschriebenen hauptsächlichen Orientierung des moralischen Urteils untersucht. Diese zwei qualitativ unterschiedliche Weisen des Bedenkens der moralischen Fragen waren die Moralität der Rechte und die Gerechtigkeit (Colby & Kohlberg, 1987) und die Moralität der Reaktion und die Fürsorge (Gilligan & Attanucci, 1988). Die Gerechtigkeitsperspektive zieht die Aufmerksamkeit auf die Probleme der Ungleichheit und Unterdrückung, und erhält das Ideal der Reziprozität und des fairen Respekts aufrecht. Die Fürsorgeperspektive zieht die Aufmerksamkeit auf Probleme der Trennung oder des Verlassens, und erhält das Ideal der Aufmerksamkeit und der Reaktion auf Bedürfnisse aufrecht. Die Fürsorgeperspektive befasst sich mit den Fragen, wie verantwortungsvoll zu handeln und wie die Verletzbarkeit in einer bestimmten Situation schützen (Gilligan &Attanucci, 1998). Die Konfliktlösungen der Schüler wurden in drei möglichen Kategorien gegliedert: gerechtigkeitsorientiert, fürsorgeorientiert, sowohl gerechtigkeits- als auch fürsorgeorientiert. Die Jungen der sechsten Klasse waren deutlich gerechtigkeitsorientiert in ihren Konfliktlösungen in der Schule. Nur 14 % der Jungen drückten fürsorgeorientiere Lösungen aus. Zwölf Prozent der Jungen waren fähig sowohl gerechtigkeits- als auch fürsorgeorientierte Konfliktlösungen in der Schule anzuwenden. Die Mehrheit der Jungen (74 %) schlugen nur gerechtigkeitsorientierte Lösungen mit Betonung auf Regeln und gleiches Behandeln von allen vor. Ein gutes Beispiel vom Aufsatz, der als gerechtigkeitsorientiert eingestuft wurde, ist derjenige über ungerechtes Verhalten der Erwachsenen. Der Junge, der den Aufsatz schrieb, betonte die Wichtigkeit von Gleichbehandlung bei der Spielzeitverteilung. Seiner Meinung nach war der Trainer ungerecht, weil er das Prinzip der Gleichbehandlung bei der Spielzeitverteilung nicht einsetzte. Die Mädchen der sechsten Klasse zeigten eine unterschiedliche Orientierung in ihrem moralischen Urteil durch das Befürworten von fürsorgeorientierten Lösungen. Achtundvierzig Prozent der Mädchen drückten in ihren Aufsätzen fürsorgeorientierte moralische Urteile durch Betonen die Bedürfnisse und Gefühle der Beteiligten aus. Ein gutes Beispiel vom Aufsatz, der als fürsorgeorientiert eingestuft wurde, ist derjenige über den Sinti und Roma –Jungen, der von den 7 anderen Jungen schikaniert wurde. In diesem Aufsatz war das Mädchen in der Lage, sich in die Rolle eines anderen, der anders war als sie, hineinzuversetzen, und sie wollte sich um sein Wohlergehen in der Schule kümmern. Allerdings 38 % der Mädchen waren gerechtigkeitsorientiert; nur 14 % von ihnen waren fähig die beide Orientierungen in ihren Lösungen miteinander zu verknüpfen. Der Unterschied zwischen Jungen und Mädchen war statistisch bemerkenswert (F=7.46, p=007). Dieses Ergebnis entspricht den früheren Studien über das moralische Urteil. In den meisten Studien scheinen Männer die Gerechtigkeitsorientierung in ihrem moralischen Denken zu bevorzugen. Die Frauen dagegen scheinen die Fürsorgeorientierung zu favorisieren (Gilligan, Ward & Taylor, 1988). Die Jungen der neunten Klasse zeigten dieselbe Tendenz als die Sechstklässer in ihrer moralischen Orientierung. Nur 18 % der Jungen befürworteten fürsorgeorientierte Lösungen, und 5 % von ihnen gaben sowohl gerechtigkeits- als auch fürsorgeorientierte Konfliktlösungen an. Achtundzwanzig Prozent der Jungen drückten keine Art von moralischem Urteil aus. Die Mehrheit der Jungen (49 %) waren gerechtigkeitsorientiert in ihrer moralischen Orientierung. Die Neuntklässerinnen drückten öfter moralische Urteile in ihren Aufsätzen als die Jungen aus. Nur 4 % der Mädchen gaben keine Lösungen zu Konflikten in ihrer Schule. Trotzdem waren die Neuntklässerinnen gerechtigkeitsorientierter als die Sechstklässerinnen. Dies könnte teilweise mit verschiedenen Arten von moralischen Konflikten der Sechst- und Neuntklässerinnen erklärt werden. Die Mehrheit von moralischen Konflikten an der neunten Klasse befassten sich mit dem ungerechten Verhalten der Lehrer. Diese Art von Dilemma könnte ein moralisches Konzept von Gerechtigkeit etwas mehr unterstützen. Achtzehn Prozent der Mädchen waren fähig, beide Orientierungen in ihren Lösungen zu kombinieren. Die Mädchen befürworten öfter gerechtigkeitsorientierte (40 %) als fürsorgeorientierte (38 %) Lösungen. Die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen waren statistisch bemerkenswert (F=17.21, p=. 000). Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es keine groen Veränderungen in der moralischen Orientierung von der sechsten bis zur neunten Klasse gibt. Die Jungen neigen dazu, eher gerectigkeitsorientiert als fürsorgeorientiert zu verbleiben, und die Mädchen sind geneigter als die Jungen, fürsorgeorientierte Lösungen bei moralischen Dilemmata anzuwenden. Es gab keine statistisch wesentlichen Unterschiede in den Orientierungen zwischen Sechtsklässern und Neuntklässern, und auch nicht zwischen Sechstklässerinnen und Neuntklässerinnen. Schlussfolgerungen In diesem Referat haben wir die moralischen Konflikte in den Schulen, wie beschrieben von Schülern der sechsten und neunten Klasse, erörtert. Im besonderen Interesse der Studie war, die moralischen Anliegen und Orientierungen dieser Schülern ihren Beschreibungen gemä zu analyzieren. Die empirischen Ergebnisse deuten darauf hin, dass die moralischen Konflikte an der sechsten Klasse verschieden sind als an der neunten Klasse. Die Sechstklässer waren am häufigsten besorgt um das Schikanieren und um die Beziehungen zwischen Schülern besorgt. Die Neuntklässer schrieben am meisten über Konflikte bezüglich des Verhalten der Lehrer und über Beziehungen zwischen einem/r Lehrer/in und einem/r Schüler/in. Wir könnten ebenso einige statistisch bemerkenswerten Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen feststellen. An beiden Klassen waren die Jungen sehr gerechtigkeitsorientiert in ihren Lösungen zu moralischen Konflikten in der Schule. Auf der anderer Seite waren die Mädchen fürsorgeorientiert in ihren Lösungen zu moralischen Konflikten sowohl an der sechsten als auch an der neunten Klasse. Die Mädchen scheinten auch besser als die Jungen in der Lage zu sein, sich in anderen einzufühlen und sich in die Rolle des anderen hineinzuversetzen. Die Mädchen zeigten mehr Tendenz, moralische Konflikte in einem breiteren Lebenskontext zu bedenken. Sie überlegten die Bedeutung der Ereignisse für die Protagonisten des Aufsatzes und für die ganze Gesellschaft. Einige Mädchen beurteilten die 8 Situationen mithilfe der Anwendung ihrer emotionalen und geistlichen Intelligenz. Keine der Schüler hielt jedoch die Vergebung für eine mögliche Problemlösungsstrategie in ihren interpersonalen Beziehungen. Die Lehrer und Erzieher können die Ergebnisse dieser Studie zur Förderung der Empathie und der Fähigkeit zur Hineinversetzung bei ihren Schülern und Studenten anwenden. Auerdem können die christlichen Erzieher die Gnade und Vergebung als mögliche Problemlösungsstrategien in interpersonalen Beziehungen einführen. Die Aufsätze aus dem realen Leben der Schüler können als Fallstudien in Vorlesungen der moralischen Erziehung dienen. Die Lehrer sollten gerechtigkeits-, fürsorge- und gnadeorientierte Lösungen zu Problemen vorstellen, und die Bedeutung von jeder Situation in einem breiteren Lebenskontext behandeln. Das Ziel der Erziehung sollte die Förderung der vielseitigen Intelligenz, sowie der emotionalen und geistlichen Entwicklung der Schülern sein. 9