Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 209. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. Dezember 2001 (A) erster Lesung zu beraten haben, mit dem Sie die Präimplantationsdiagnostik zulassen wollen, ist ein Tiefpunkt der Debatte. Was eigentlich wollen Sie damit gewinnen, wen vor allem? Einige unmittelbar Betroffene können Sie damit vielleicht davon überzeugen, dass Sie an deren Seite stehen. Aber ich kann gar nicht glauben, dass Sie so wenig vom Debattenverlauf mitbekommen haben, dass Sie die Vorlage Ihres Gesetzentwurfes für ein angemessenes Vorgehen halten. lm Sommer 2000 hatte ich mich an die Fraktionen des Bundestages gewandt, hatte auf den zuvor vom Gesundheitsministerium organisierten Kongress zur Fortpflanzungsmedizin verwiesen und um Gespräche über ein angemessenes Verfahren gebeten, damit das Parlament das Embryonenschutzgesetz zu einem Fortpflanzungsmedizingesetz weiterentwickeln kann. Zu den dort zu entscheidenden Fragen gehört natürlich auch die nach der Zulässigkeit der PID. Vonseiten der FDP habe ich nie eine Antwort auf dieses Gesprächsangebot erhalten – so wichtig also ist Ihnen diese Frage. Im Mai dieses Jahres nun hat der Bundestag sehr ernsthaft über die Biomedizin debattiert. Es war in dieser Debatte unverkennbar, dass das Parlament sich noch am Anfang der schwierigen ethischen Erörterungen sieht, die durch die neuen medizinischen Verfahren aufgeworfen sind. Die Enquete-Kommission hat in diesem Herbst die Frage des Imports von embryonalen Stammzellen bearbeitet, das Thema PID ist das nächste auf ihrer Agenda. Während also noch Parlamentsgremien dazu beraten, während viele Kolleginnen und Kollegen noch keine hin(B) reichende Gelegenheit zur Meinungsbildung hatten, da kommen Sie mal eben so daher und legen einen Gesetzentwurf auf den Tisch. Jede, die sich mit diesem Thema schon einmal genauer beschäftigt hat, weiß, wie kompliziert die ethischen Abwägungen sind, weiß, wie diffizil die Regelung unter juristischen Gesichtspunkten ist, weiß, wie sehr davon die Gefühle und moralischen Empfindungen vieler Menschen betroffen sind. Und Sie meinen, das könne man im Handstreich erledigen, man müsse sich nicht einmal mit den anderen Fraktionen über einen gemeinsamen Weg verständigen, auf dem das Parlament in einer so umstrittenen Frage zu einer tragfähigen Entscheidung findet! Ich weiß nicht, welchen billigen parteipolitischen Punkt Sie sich davon versprechen, auf jeden Fall ist das Thema zu komplex, als dass man sich ihm so unernsthaft zuwenden könnte, wie Sie das tun. Das verheißt nichts Gutes für die weiteren Entscheidungen im Parlament. Auch der Gesetzentwurf selber ist nicht von einer wirklich ernsthaften Auseinandersetzung in der Sache geprägt. Das Argument, dass man hiermit Schwangerschaften auf Probe vermeide, ist nicht überzeugend – denn die PID vermeidet Schwangerschaften um den Preis des vorzeitigen Todes des Embryos. Das heißt, ein Verfahren des Schwangerschaftsabbruchs wird durch ein anderes Tötungsverfahren ersetzt – von Vermeidung kann hier wohl nicht die Rede sein. Sie weichen der Frage aus, ob es wirklich akzeptiert werden sollte, dass Schwangerschaftsabbrüche aufgrund einer Behinderung des Kindes zu einer Selbstverständlichkeit werden. SEITE ZURÜCK 20791 Sie wollen mit Ihrem Gesetzentwurf an der medizini- (C) schen Indikation des § 218 anknüpfen und mit dem neuen § 3 a eine „genetische Indikation“ einführen. Waren Sie wirklich alle nicht dabei, als das Parlament vor sechs Jahren beschlossen hat, die eugenische Indikation abzuschaffen? Wollen Sie das rückgängig machen? So schwierig die Konsequenzen aus dieser damaligen Entscheidung zum § 218 teilweise auch sind – ich halte es immer noch für richtig und geboten, dass diese Gesellschaft sich darauf verständigt, dass die mögliche Behinderung des Kindes keine Abtreibung rechtfertigt. Ich stehe mit Schrecken vor Ihrem Konzept von Freiheit. Sie nehmen den Wunsch der Eltern ausschließlich als Maßstab – was ist mit dem Wollen des Kindes? Was ist mit seinem Lebensrecht? Was ist mit den verletzten Gefühlen all der Menschen, die mit den Krankheiten leben, die nach Ihren Vorstellungen zur Abtreibung berechtigen? Ich finde es gut, dass wir alle durch die Entwicklung der Biomedizin wieder mit moralischen Fragen konfrontiert sind, es kann unserer Gesellschaft nur gut tun, wenn sie sich ihrer eigenen Werte neu vergewissern und sie herausarbeiten muss. Ich erlebe sehr spannende und kontroverse Debatten mit Bürgerinnen und Bürgern. Sie von der FDP haben sich aber mit dem Versuch, eine Position im Parlament mal eben so durchzusetzen, als Partner für dieses Ringen um eine gesellschaftliche Moral disqualifiziert! Detlef Parr (FDP): Wir alle sind vor wenigen Tagen aufgeschreckt worden – aufgeschreckt von der Ankündigung des US-Forschers Panos Zavos, den ersten geklon- (D) ten Embryo herzustellen. Wir alle sind uns einig in der Ablehnung solcher Exzesse. Wir sind uns einig in der ethischen und moralischen Bewertung. Das reproduktive Klonen muss weltweit geächtet werden. Aber wir dürfen uns nicht verleiten lassen. Das Thema der heutigen Debatte hat nichts, aber auch gar nichts mit forschenden Untaten dieser Art zu tun. Wir beraten in erster Lesung über gesetzgeberische Möglichkeiten, ein international, vor allem aber bei den meisten unserer unmittelbaren europäischen Nachbarn anerkanntes reproduktionsmedizinisches Verfahren, die Präimplantationsdiagnostik, auch in Deutschland rechtssicher zu machen. Von 17 europäischen Ländern gehört Deutschland zu den vieren, die die PID nicht ausdrücklich zulassen. Vor einem halben Jahr hat der Deutsche Ärztetag in Ludwigshafen auf die Konfliktlage bei ärztlichen Entscheidungen am Beispiel der Präimplantationsdiagnostik hingewiesen. Einerseits verfügen unsere Ärztinnen und Ärzte mit der PID in Verbindung mit einer künstlichen Befruchtung über Methoden, die Paaren mit monogenetischen Erkrankungen – mit schwerwiegenden Erbkrankheiten – zu einem davon nicht betroffenen Kind verhelfen könnten. Andererseits müssen sie nach heutigem Recht mit der in der Gesellschaft anerkannten Anwendung vorgeburtlicher Diagnostik der Frau eine „Schwangerschaft auf Probe“ und gegebenenfalls eine Abtreibung, den Verzicht auf Kinder, eine Befruchtung mit Spendersamen oder eine Adoption zumuten. Die FDP-Fraktion hat den SEITE VOR